1868 / 76 p. 12 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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Die großen Flüsse.

Wenn wir nun einen Blick auf die Lage jener großen wasser⸗ reichen Niederungen im Osten und im Westen werfen, so ist offenbar, daß dieselbe mit der Richtung und dem Laufe der

roßen Ströme zusammenhängt. Da dig norddeutsche Ebene . allgemeinen sich von Südosten nach Nordwesten senkt, da eben dies die Streichungslinie der mitteldeutschen Gebirge und ber beiden Bodenanschwellungen des Tieflandes ist, da alle Spuren festeren Gesteins in der Ebene dieselbe Richtung zeigen, beispielshalber liegen die drei größten Bildungen von duschel⸗ talk: bei Rüdersdorf, bei Lüneburg und die Insel Helgoland in einer solchen Linie von Südost nach Nordwest so sollte man annehmen, daß auch die großen Ströme von der Weichsel bis zur Ems in dieser Richtung fließen müßten. Und in der That folgen sie dieser Senkung der Ebene in dem größeren Theile ihres Laufes, nur auf kurze Strecken weichen sie davon ab; in ihrem unteren Laufe aber wenden sie alle plötzlich nach Norden, die östlichen sobald sie in die Seenplatte eintreten; die Elbe, welche nach dem Einflusse der Havel ihre frühere Richtung wieder annimmt, wo sie den uralisch-karpathischen Höhenzug, die Weser, wo sie die Weserketten durchbricht. Da, wo diese Flüsse von ihrer Hauptrichtung abweichen, setzt ein anderer Fluß dieselbe nach Westen fort. So fließt westlich von Bromberg die Retze in der bisherigen Richtung der Weichsel, westlich von Frankfurt die Spree mit der Havel, westlich von der Elbe die Äller, westlich von der Weser Else und Haase. Alle diese Flüsse fallen durch die Breite ihres Bettes auf, das zu ihrer Wasser⸗ menge in keinem Verhältniß steht. An eben diesen Flüssen und an den Hauptströmen liegen jene wasserreichen Niederungen, deren Enkstehung aus dem gegenwärtigen Lauf der Flüsse fast nirgend erklärt werden kann. Aus allen diesen Gründen ist schon vor längerer Zeit die Ansicht aufgestellt und begründet worden, daß die genannten Nebenflüsse mit ihren breiten Bet ten den ehemaligen Lauf der großen Ströme darstellen, die früher auch in ihrem unteren Lauf der allgemeinen Richtung bes Tieflandes folgten und in alter Zeit vielleicht alle zur Nordsee ihren Abfluß nahmen, bis große Hochwasser über die Seen— platte, durch den Fläming und die Weserketten hindurch ihnen ben kürzeren Weg zum Meere bahnten. Für Weichsel und Oder ist dies schon längst erwiesen ) und allgemein anerkannt, in Bezug auf Elbe und Weser hat Guthe aus genauer Terrain⸗ kenntuiß den alten Gründen neue und treffende hinzugefügt, so daß diese Thatsache kaum noch einem Zweifel unterliegen kann. Die Leichtigkeit, mit der hier die Flüsse ihre alten Richtungen aufgegeben und sich nordwärts gewendet haben, ist ein deutliches Zeichen, daß in der norddeutschen Ebene und ebenso in der Tussisch⸗polnischen Ebene die Wasserläufe nicht scharf von einander geschieden sind; sie hat es auch der menschlichen Kunst leicht gemacht, die spät entstandenen Wasserscheiden mit Kanälen zu überschreiten. Im Osten Norddeutschlands und in Rußland hat man es denn auch verstanden, diesen Vortheil auszunutzen, und man kann von Hamburg wie von Stettin auf Flüssen und Kanälen nach Danzig und Memel, ja bis zur Küste des schwarzen Meeres gelangen. Eben diesen Verbindungen verdankt Berlin einen großen Theil seiner Bedeutung. In der Mitte des norddeutschen Landes gelegen, gleich weit entfernt von der Küste wie von dem Gebirgösaum, von den östlichen wie von den westlichen Grenzen, ist es durch je zwei Wasserstraßen mit Elbe und Oder, den beiden Hauptflüssen des mittleren Rorddeutschland, durch die letztere und ihre Verbindungen mit allen Flüssen des Ostens verbunden. FJreilich ist ihm seine centrale Stellung auch für den Landverkehr zu Statten gekom— men, es ist dadurch der Mittelpunkt des norddeutschen Eisenbahn⸗ netzes geworden. Im Westen Norddeutschlands ist die Verbin dung der großen Flüsse bis jetzt noch nicht hergestellt und erst neuerdings die Herstellung eines Rhein⸗Weser ⸗Elbe⸗ Kanals in Aussicht genommen. Dieser Kanal würde für den Westen die— selbe Bedeutung erlangen können, die der Müllroser und Bromberger Kanal noch heute für den Osten haben.

Zur Münzkunde des preußischen Staats.

So eben ist im Verlage von J. A. Stargardt hierselbst das Verzeichniß einer brandenburg⸗-preußischen Münzsammlung erschienen, welche vom 27. April an zur Versteigerung gelangt. Dasselbe ist von dem Frhrn. v. Saurma—-Jeltsch verfaßt, welcher diese Sammlung seit mehreren Jahren angelegt, und nachdem sie zu einem hohen Grade von Vellständigkeit gelangt ist, sich en alf hat, seine Wirksamkeit für Sammlung vaterlän⸗ discher Denkmäler nunmehr seiner heimathlichen Provinz Schle— sien zuzuwenden.

Es enthält diese Sammlung höchst seltene und werthvolle

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. darüber namentlich: Girard, die norddeutsche Ebene. Berlin 1855.

Stücke, von den größten bis zu den kleinsten und vom Anfange des Münzens in unserem Lande an bis zur Gegenwart herab, in Gold, Silber und Kupfer. Es würde zu weit führen, einzelne Seltenheiten und bisher unbekannt gewesene Stücke hervorzuheben, und deshalb kann hier nur im Allge⸗ meinen eine Aufzählung erfolgen.

Zuerst erscheinen die Münzen der Wenden. Da ihnen die Kenntniß des Schreibens und Lesens abging, ahmten sie die Münzen der deutschen Kaiser, der Erzbischöfe von Magdeburg und anderer Münzstände in roher Weise nach, dann folgen die Münzen der Markgrafen von Brandenburz bis zu den Kurfürsten aus dem 6. Hohenzollern, von wel chen an das Münzwesen einen großen Fortschritt erfuhr,.

Vom Kurfürsten Friedrich J,, der nur in Franken Münzen schlagen ließ, ist ein Goldgulden, vom Kurfürsten Friedrich ll, der das Münzwesen sich vornehmlich 2 sein ließ, sind 60 Silbermünzen, von Kurf. Albrecht Achilles 2Goldgulden und der einzige von ihm geschlagene Groschen, von Kurf. Johann Cicero, der zuerst auf Münzen die Jahreszahl anbringen ließ, 20 Groschen, die so seltenen halben Gröͤschen und einige kleine Münzen, vom Kurfürsten Joachim 1J. 2 Goldgulden, 2 Thaler, ein Stendaler viertel Thalér und eine große Reihe Groschen, die seltenen halben Groschen desselben, sowie kleine Münzen, vom Kurfürsten Joachim Il. ein Goldgulden, 1 Dukat, !] Doppel- und 3 ein⸗ fache Thaler, sowie die vielen kleinen Münzen, vom Kur— fürsten Johann Sigismund 1 Goldgulden, 1 Doppel- und 3 einfache Thaler ꝛc, vom Kurfürsten Georg Wilhelm 10 Gold stücke und eine lange Reihe Doppel- und einfacher Thaler, seine Kipperungen und die derartigen Münzen der Städte Beeskow, Berlin, Brandenburg, Cöln 4. d. Spree u. s. w.; vom großen Kurfürsten und von seinen Nachfolgern fast alle Münzen, und die als Deuten und Thaler geprägten Schaustücke auf Ge burten, Vermählungen und Todesfälle im Herrscherhause, so wie auf Huldigungen, Siege und Erwerbungen vor— handen. Sodann folgen die Münzen der Provinz Preußen, hiernächst die Münzen für Südpreußen, Posen, Neuenburg

ohenzollern, Anspach⸗Baireuth, Geldern, die Grafschaft Marl

leve, Hervord, Ravensberg, Minden und LOstfriesland. Es liegen sonach in dieser Sammlung die metallenen Urkunden zur Geschichte des Vaterlandes von über 1090 Jahren vor.

Besonders verdient noch bemerkt zu werden, daß die Silber. münzen vom Kurfürsten Friedrich II. bis Jogchim II. ein, schließlich und einige Münzen des großen Kurfürsten in, in Holz geschnittenen getreuen Äbbildungen und auf 2 Tafeln dit durch Photographie ausgeführten Abbildungen von 12 seltenen Thalern vom Kurfürsten Joachim J. an, vorliegen.

Der Handel von Cöln während der Jahre 1815 bis 1866

J.

Unter den rheinischen Handelsplätzen hat Cöln schon seit Jahr hunderten eine Stelle von hervorragender Bedeutung eingenommen. Seine Lage unmittelbar an der verkehrsreichsten deutschen Wasserstraße nahe am Grenzgebiete Deutschlands, Frankreichs und der Niederlande, unfern dem Meere, inmitten eines an allen Naturprodukten reichen

Landes, so wie die darauf basirten historischen Verhältnisse, welche

diese Stadt zum Mittelpunkte des Eribisthums gleichen Namens er. hoben hatten, und sie, als klerikalen Besitz mehr wie andere deutscht Emporien während der unsicheren Zeiten des Mittelalters vor Fehde bewahrten, sind als die vornehmlichsten Ursachen jener früh gewonne— nen und wenn auch mit Unterbrechung bis in die Neuzeit be— haupteten Handelsblüthe Cölns anzusehen.

Die »übersichtliche Darstellung des Handels von Cölns in den letzten fünfzig Jahren (1815 18655 vom Regierungs- Assessor Rott laender. * Cöln, 1867, welcher wir Nachstehendes entnehmen, führt in anschgulicher Weise den historischen Verlauf der Coͤl⸗ ner Handels Verhältnisse vor und unterscheidet in der Handels geschichte der Stadt Eöln während der Jahre 1815 186b brei deutlich durch die Zeitereignisse abgegrenzte Perioden. Die (iht umfaßt die Zeit vom Beginne der preußischen Herrschaft bis zur Au. hebung des Kölner UÜmschlagsrechts, oder die Jahre von 1815 bis 189! die zweite die Zeit von ber Aufhebung des Kölner Umschlags bis zn Lisehtbahnzeit, Sder die Jabrs von js] bis 1843, die dritte die Sat der Eisenbahnen, oder die Jahre von 1842 bis 1865. .

Der Eigenhandel von Köln war schon vor Beginn der preußischen Herrschaft fehr zurückgegangen, der noch bestehende Umschlag de Fegen * bildes nah wie M vor cine ergiebige Guelie für den Sp bilions. und Kommissionshandel und (letzterer ist, es em hh welcher wenigstens im Anfange dieser Zeit die Cölner Hang, thätigkeit charakterisirt. Bern g c waren Kolonialwaaren . häute, amerikanischer Tabak, Baumwolle für die Schweizerfabri g Materialwaaren, Kohzucker und Thran die Handelsartikel welche ö den holländischen Häfen zugeführt, von Cöln aus nach der Scmen Frankreich, Bayern, Baden, Württemberg und den höher gegen, Häfen am Rhein und Main eniweder im Zwischenhandel weiter

kauft, oder nur spedirt wurden. Der Handelszug ging von dꝛetteiden

Amsterdam, namentlich aber von Antwerpen aus, und um faßte

11 ö. [ 4 J ganze Rhein⸗Gebiet. Den gesammten xheinischen andels erhaltnis stand jedoch damals in ü! ferner Zeit ein nr gn Umschwun

bevor. Cölns Speditions- und Kommissionshandel hatte sein Funda— ment lediglich in der bisherigen Mangelhaftigkeit des Transportwesens und dem durch allerlei Abgaben erschwerten Verkehr. Kein Wunder, daß mit der Aenderung dieser r nb Cölns Handel wollte er nicht ganz verkümmern neue Bahnen einschlagen mußte, und dazu brängken ihn in der That gewaltsam zwei handelspolitische eig. MR von sehr bedeutender Tragweite, welche beide in das Ende dieser . fallen: die Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Rhein—

trom (1826), und die Gründung des deutschen Zollvereins. Nach—= dem unter dem 11. Juli 1826 den Statuten der neugebildeten »preußisch⸗ rheinischen Dampfschifffahrts-⸗Gesellschaftè die Allerhöchste Genehmigung u Theil geworden war wurde bald durch Separat⸗Abkommen mit er niederländischen und der Mainzer Gesellschaft eine vollständige Korrespondenz der Fahrten längs des Rhein⸗Stromes von Mainz bis Rotterdam hergestellt, und dadurch der alte Waarenzug von Kolonial⸗ produkten nach den höher gelegenen Uferstaaten und der Schweiz in weit umfangreicherer Weise als er dereinst stattgefunden, auf die Rhein⸗ straße zurückgezogen.

Das zweite, für Cöln's Handel bedeutende Ereigniß, war die Gründung des deutschen Zollvereins. Wenn auch in einem anderen Vorgange / in der Aufhebung des Cölner Umschlags, die unmittelbare Fußere Veranlassung zu der jetzt beginnenden Entwickelung des Cölner Eigenhandels gelegen haben mag, so war es doch der schützende und fördernde Einfluß des Zollvereinstgrifs, der den veränderten Handels- verhältnissen Cöln's Wesen und Gestalt verlieh, und für das Ver— lorene einen reichen Ersatz finden ließ.

Die Aufhebung des Cölner Umschlagsrechts, welches so lange Zeit auf den Charakter der Cölner Handelsverhältnisse von bestimmendem Einflusse gewesen war keine plötzlich und unvorbereitet eingetretene Begebenheit, der Verlust des Umschlags war vielmehr eine natürliche glg der durch die Einführung der Dampfschifffahrt geänderten Ver⸗ ehrsverhältnisse, ein nothiwendiges Opfer der freieren Bewegung und einer ungebundeneren Konkurrenz. War schon früher der Cölner Um⸗ chlag als ein lästiges Verkehrshinderniß schwer empfunden worden o daß die Stadt Cöln, um die Aus- und Einladungen vieler Schiffe oberhalb und unterhalb ihres Gebietes zu verhindern, sich im Jahre 1817 genöthigt sah, zu Gunsten einer freieren Schifffahrt die umschlags⸗ freie Vorbeifahrt mehrerer inländischen Produkte nachzugeben, so mußte jenes Hinderniß um so drückender, und das Verlangen nach seiner Beseitigung um se lebhafter werden, je unmittelbarer seit Ein⸗ führung der Dampfschifffahrt die Verkehrsverbindungen, je überflüssiger alle Zwischenthätigkeit geworden, und je mehr in Folge dessen manche Einrichtungen, welche wegen der früheren Schwerfälligkeit des Verkehrs sich für den Handel als förderlich erwiesen hatten, jetzt grade in das Gegentheil auszuarten drohten. Was aber den stören—⸗ den Einfluß des Cölner Umschlags noch empfindlich steigerte, war außer der Höhe der städtischen Krahn Wage— und Werftgebühren (hoher als die von Mainz und Mannheim) die mangelhafte Beschaffenheit der Cölner Hafeneinrichtungen und Lagerhäuser, Solche Zustände trugen nur dazu bei, das Cöölner Spe⸗ ditionsgeschäft seinem Abschlusse näher zu bringen, und den Eintritt einer Wendung zu beschleunigen, welche durch die umgestalteten Ver⸗ kehrsverhältnisse nothwendig bedingt, auch bei der größten Vortrefflich⸗ keit der Hafen ⸗Anstalten zwar nicht hätte aufgehalten werden können, indessen auch als ein ohne alle Schuld der Coͤlner herbeigeführtes Er⸗ eigniß nicht wohl betrachtet werden kann. Schon im Jahre 1829 ver= lautete von einem Projekte zu einem definitiven Rheinschiff⸗ fahrts ⸗Reglement der Central: Kommission in Mainz, welches durch den niederländischer Kommissarius vorgelegt sei und auf dem Grundsatze emer ganz freien Konkurrenz, sowohl unter den Schiffern,

als den Rheinuferstaaten basiren sollte. Unter dem . Wan. 1831 wurde in der That von den 7 Uferstaaten des Rheins zu Mainz ein Rheinschifffahrts-Vertrag abgeschlossen, welcher das bis dahin bestandene Umischlagsrecht der Städte Cöln und Mainz aufhob, indem er die Schifffahrt auf dem Rheinstrome, von dem Punkte, wo er schiffbar wird, zu Berg und zu Thal bis in das Meer freigab, ohne daß man verpflichtet wäre, die Ladung aus einem Fahr⸗ zeuge in ein anderes zu bringen. Für den Verlust des Umschlags ward durch des Königs Gnade der Stadtkasse zu Cöln auf 2 Jahre eine jährliche Rente von 50 000 Thlrn. unter der Bedingung bewilligt, daß dem Freihafen eine bessere Einrichtung gegeben würde, Später hin folgten jener Rente noch mehrere Zahlungen aus der Staatskasse, se daß Seitens des Staates der Kommunaglkasse für den Verlust des Umschlags von 1831—1838 successive 232000 Thlr. zuflossen.

Die hundertjährige Jubelfeier von Lessings Minna von Barnhelm« im . Schauspielhause zu erlin.

Die Hofbühne beging Sonnabend, den 21. März, den hun⸗ dertsten Ja restag der ersten Berliner Aufführung von Lessings llassischem Lustsplel durch eine festlich arrangirte Vorstellung Ist es doch ein heute noch bedeutsames Zusammentreffen, daß dieses Meisterwerk des deutschen Lustspiel⸗Repertoirs ein preußi⸗ sches Soldatenstück ist, ein pöctischer Nachklang der sieben Kriegz= jahre Königs Friedrich Il. Goethe schrieb in Bezug darauf; Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des sieben⸗ jährigen Krieges in die deutsche Poesie. Jede National⸗ dichtung muß schal sein oder schal werden, die nicht auf dem Menschlichsten ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn Beide für Einen Männ stehen. Eines Werkes

aber, der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgehalt muß ich hier vor Allem ehrenvoll erwähnen: es ist die erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduction von specifisch⸗ temporärem Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung that Minna von Barnhelm.“ So Goethe im zweiten Theil seiner Wahrheit und Dichtung, Es sei nur noch hinzugefügt, daß Lessing (von 1760 bis 1765 Gouvernements Secrekair beim General von Tauenzien in Breslau) selbst ausgesprochen hat: ⸗Wäre der König so unglücklich geworden, seine Armee unter einem Baume versammeln zu können, Ge— neral Tauenzien hätte gewiß unter diesem Baume gestanden.« In Breslau, im Frühling des Hubertsburger Friedens— jahres, stizzirte Lessing sein frisch aus der Zeit geschöpftes Lust— spiel: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück«. Aber erst zwei Jahre nachher (1765) legte er die letzte Hand daran, und erst zu Ostern 1767 erschien es im Druck. In dem Cha⸗ rakter des »verabschiedeten Majors von Tellheim« wollten Frie⸗ drich Nicolai und Andere damals den »lebendigen Charakter des seligen Kleist«, des 1759 heldenmüthig bei Kunersdorf ge⸗ fallenen Sängers des Frühlings, erkennen. In neuerer Zeit bat man die dem Lustspiel eingewebte Contributions- und Wechselgeschichte auf den Major von Marschall oder den Dra⸗ goner⸗Major Meier gedeutet.

Die erste Aufführung in Deutschland erlebte das klassische Lustspiel in Hamburg, zur Zeit, als Lessing dort Dramaturg war, am 28. Septeniber 1767. Die erste Darstellung in Ber⸗ lin folgte den 21. März 1768. Ueber diese und die Wieder⸗ holungen des Lustspiels innerhalb des Zeitraums von hundert Jahren berichtet eine bühnengeschichtliche Zusammenstellung, welche auf Anordnung des General-Intendanten von Hülsen an die Zuschauer der Säkular-Vorstellung im Schauspielhause vertheilt wurde. Da diese historisch⸗statistische Uebersicht zugleich Berichtigungen für die Theater und Literatur-Ge-— schichte enthält, so theilen wir sie hier vollständig mit:

»Minna von Barnhelm von allen deutschen Bühnenwer⸗ ken, die sich bis zur Gegenwart thatsächlich auf dem Repertoir erhal⸗ ten haben, das älteste, gelangte am 21, März 1768 unter dem Schauspiel Direktor Döbbelin, welcher das Schuch'sche Comödienhaus in der Behrenstraße gemiethet hatte und dort vom 19. Dezember 1767 bis 23. April 1768 Vorstellungen gab, zum ersten Male in Berlin zur Darstellung. Die heutige Aufführung fam 21. März 1868) zur 100jährigen Jubelfeier ist die 168. des Lustspiels. In der Zeit vom 21. März bis 23. April 1768 also in 34 Tagen kam Minna von Barnhelm« 19 Mal zur Darstellung. Vom 21, bis 30. März erschien das Lustspiel in 10 aufeinander folgenden Vorstellungen alsdann in Wie⸗ derholungen am 5. 6. 9. 12, 16, 19, 29. 22. und 23. April. (Am 31. März wurde eine Posse: »Der Bocksbeutel«“, am 10. April: »Ro-⸗ meo und Julie, am 14 April: »Der poetische Dorfjunker« gegeben, und an den übrigen zwischeninneliegenden Tagen war die Bühne ge⸗ schlossen. Demnach ist die Mittheilung Plümeke's in seinem »Ent⸗ wurf einer Theatergeschichte in Berlin«: 2Minna von Barnhelm⸗ habe in 22 Tagen 19 ununterbrochene Vorstellungen erlebt, un richtig)

Mit »Minna von Barnhelm« schloß Döbbelin im Jahre 1768 am 23. April, seine Vorstellungen in Berlin bei welcher Gelegenheit Mad. Döbbelin nach der Aufführung eine Abschiedsrede hielt. Bei⸗ nahe ein Jahr ruhten die Aufführungen des Stückes; denn die Schuch⸗ sche Gesellschaft, welche nach Döbbelin's Abreise vom 16. August bis 8. September 1768 und vom 28. Februar bis 11. März 1769 hier auftrat, brachte das Lustspiel nicht auf ihr Repertoir. Erst wieder unter Döbbelin der nach Berlin am 21. März zurückkehrte und bis zum 15. Juli 1769 hier sich aufhielt, wurde Minna von Barnhelm« am 28. März, 18. Mai und 10. Juni dem Publikum vorgeführt; jedoch bei der abermaligen Anwesenheit des genannten Theater⸗Unter⸗ nehmers vom 27. November 1770 bis 2. März 1771 nicht zur Darstellung gebracht.

Im Jahre 1771 wurde Minna von Barnhelm⸗ 2 Mal gegeben, und zwar unter dem Schauspiel-Direftor Koch, welcher von Friedrich dem Großen die Konzession zu einem stehenden Theater erhielt, das Komödienhaus in der Behrenstraße, im Jahre 1771 von den Schuch— schen Erben käuflich erwarb und am 10. Juni mit Lessing's »Miß Sara Sampson« eröffnete.

„1772 erschien Minna von Barnhelm« 2 Mal auf der hiesigen Bühne; 1773 ebenfalls 2 Mal; 1774 3 Mal; 1775 2 Mal, wiederum unter Döbbelin, welcher in diesem Jahre von der Wittwe Koch's das Theater in der Behrenstraße durch Kauf an sich brachte und am 7. April mit dem Trauerspiel »Perseus und Demetrius« eröffnete. Auch 1776 und 1777 wurde das Lustspiel je 7 Male gegeben und bei öfteren Wiederholungen auch in den nächstfolgenden Jahren, mit Aus- nahme von 1782, 1733, 1785 und 1786, dem letzten r der Direc⸗ tionsführung Döbbelins, welcher von da ab die Stelle eines Re⸗ gisseurs, bis zu seiner Pensionirung 1789 übernahm und 1793 starb.

178 erschien Minna von Barnhelm« 3 Mal im „Neuen Na. tional Theater dem ehemaligen französischen Theatergebäude, auf dem Gensd'armen⸗Markte, nachdem dasselbe am 5. Dezember 1786 eröffnet worden war, und am 3. Dezember 1786 die letzte Vor— stellung im alten Theater in der Behrenstraße, stattgefunden hatte. Nachdem »Minna von Barnhelme 1788 1 Mal gegeben worden,

traten in den Aufführungen des Stückes vielfa J ö brechungen ein. . fache und längere Unter