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Wer nun bald ein Decennium die frische Entwickelung eines besseren Zustandes mitgemacht, an derselben Theil genommen und freudig mitgewirkt hat, glaubt sich plötzlich in eine längst verflossene Zeitperiode zurückversetzt, wenn er jetzt in die Lage konimt, in Konsistorialprozessen zu arbeiten. Während dort ein unermeßlicher Fortschritt zum Besseren sich überall dem Auge darbiete, ist hier nur Stillstand und Rückschreiten wahrnehm⸗ bar. Vorzüge, welche in keinen Rechtssachen sich mehr bemerk⸗ bar machen würden, als gerade in Ehe⸗ und Verlöbnißsachen, sind dem Verfahren in diesen verschlossen.
Es gelangt kaum eine Konsistorialsache an das höchste Gericht, in welchem dieses nicht einen neuen Beleg dafür er— hält, wie tief die Behandlung der Ehe und Verlöbnisse der Be⸗ handlung anderer Prozeßsachen zurücksteht. ; —
Ein solcher Zustand besteht in unserem Lande, während in einem großen Theile von Deutschland der Ruf erschallt, unsere bürgerliche Prozeßordnung zur Grundlage einer allgemeinen deutschen Prozeßordnung zu machen.. .
So äußert sich dieser der Verhältnisse so kundige Mann über das Verfahren in Ehescheidungssachen. Ich glaube, meine Herren, man kann sagen die Ehe, d. h. die christliche Ehe, ist in der Provinz Hannover ohne Schutz, ohne defensio matrimonü, sie befindet sich gleichsam im Nothstande, und diesem Nothstande wird abgeholfen werden müssen.
Aus dem Kommissionsberichte muß ich mir erlauben, einige Punkte hervorzuheben. Es ist zuvörderst bemerkt, daß die Geistlichkeit beider Konfessionen 1857 entschieden gegen eine derartige Aenderung sich ausgesprochen hat, nämlich gegen die Aufhebung der Konsistorial⸗Gerichtsbarkeit. Diese aus der Werlhoffschen Schrift entnommene Aeußerung ist, wie auch in der Brühlschen Schrift Seite 3 klar dargelegt ist, unrichtig. Die Sache verhält sich kurz in folgender Weise. Die hannoversche Konferenz von 18651 war eine Privatzusam⸗ menkunft einzelner Geistlichen: sie war nur von Vertretern einer bestimmten kirchlichen Richtung besucht. Nur diese führ⸗ ten auf der Konferenz fast allein das Wort. Die Konferenz bat sich über jene Frage gar nicht ausgesprochen, der Vorsitzende lehnte vielmehr, nachdem einige der Anwesenden — und zwar wesentlich von einander abweichend — über die Frage geredet hatten, ab, die Konferenz zu einer Aeußerung über die Frage aufzufordern. Von einem Ausspruche der luthe⸗ rischen Geistlichen kann hiernach keine Rede sein. Ein zweiter Punkt, den ich berühren möchte, ist folgender. Der Bericht sagt: von dem Herrn Justiz Minister sei selbst an⸗
geführt, wie bedenklich die jetzigen Zustände seien, die sich in
Ostfriesland geltend gemacht hätten. Hier seien aber weltliche Gerichte und es könnte daher unmöglich aus der mangelhaften Organisation derselben die Aufhebung der geistlichen Gerichte gefolgert werden.
Der Herr Berichterstatter hat hier etwas für sich ver⸗ werthet, was in anderer Beziehung gesagt worden ist. Ich habe nie geäußert, daß die Einzelgerichte in Ostfriesland die Rechtspflege schlecht administrirt hätten, vielmehr habe ich ge⸗ sagt, es sei absurd, wenn in Ostfriesland über Alles, was nicht Bagatellsache ist, Kollegialrichter, Einzelrichter dagegen über Ehesachen urtheilen. Der Nachdruck liegt hier auf dem Gegensatze von Einzelrichter und Kollegialrichter, nicht auf dem Gegensatze von weltlichen und geistlichen Richtern. Ein dritter Punkt, den ich noch berühre, ist folgen⸗ der: der Bericht glaubt, für die hannoversche Rechtsprechung in Ehestreitigkeiten gelangten in der Provinz Hannover nur 25 Be⸗ rufungen an den obersten Gerichtshof. Aber diese Zahl beweist nichts, weil sie zu viel beweist. Ich will in dieser Beziehung hervorheben, daß in der Provinz Posen 1867 nur 16 Appella⸗ tionen in Frage kamen bei einer Bevölkerung von 13 Millio⸗ nen, und in Westfalen bei einer Bevölkerung von fast 2 Millio⸗ nen Seelen im Jahre 1867 nur 19, im Jahre 1866 nur 17. Und dann, meine Herren, in der Rheinpropinz mit einer Be⸗ völkerung von fast 3 Millionen Seelen kamen nur 4oder 5 Appella⸗ tionssachen vor. Wenn man also argumentiren will, wie der Be⸗ richt thut, so würde man sagen können, in der Rheinprovinz besteht das beste und vorzüglichste Verfahren in Ehesachen, dann kommt das Verfahren in Westfalen, in Posen und schließlich das in Hannover. Meine Herren, ich muß nun weiter eingehen auf die Reformangelegenheit der Provinz Hannover. Ich will nicht sagen, daß sie durchgeführt, sondern angeregt worden ist. Man ist nun in Hannover nie und zu keiner Zeit darüber zweifelhaft gewesen — und die Sache ist mit durchsichtigster Klarheit von dem Herrn Brüel dargelegt worden — daß die Regelung der Ehegerichtsbarkeit und des Verfahrens erreicht werden könne auf dem Wege der gewöhnlichen Legislatur. In dem Staatsgrundgesetze vom Jahre 1833 war schon autz— gesprochen, daß die Ehegerichtsbarkeit auf weltliche Beamte übergehen soll. In dem Landesverfassungsgesetz von 1840 war bestimmt worden, es könne die Ehegerichtsbarkeit durch Gesetz den
Konsistorien abgenommen und weltlichen Gerichten übertragen werden. fassungsgesetz von 1848 nicht wiederholt wurde, so erklärt sich das einfach daraus, daß erlassen war, welches im Allgemeinen den Konsistorien die streitige und freiwillige Gerichtsbarkeit entzog, die Entziehung der Gerichtsbarkeit in Ehesachen aber vorbehielt. Auch im e, ,,, vom stimmt worden, daß die den Konsistorien einstweilen verbliebene Gerichtsbarkeit in Ehesachen denselben abgenommen werden soll.
Es ist freilich richtig, daß seit der Zeit des Erlasses des Gerichts.
Verfassungsgesetzes eine recht geraume Zeit verflossen ist. Ich meinerseits will' die Gründe nicht näher erörtern, welche dazu
geführt haben. Ich meine aber, die Gründe sind rein sus
licher Natur gewesen; soviel ist jedenfalls gewiß, daß daß Kultus-⸗Ministerium in Hannover die Schuld nicht trägt, daß
diese Reform nicht eingetreten ist, — das Kultus-Ministerium
war aber in Hannover für die Erledigung dieser Angelegenheit das Ressort⸗Ministerium. — General-Gouverneur der Provinz Hannover einen Bericht an den Herrn Kultus⸗Minister als Ressort⸗Minister, worin er es als das Wünschenswertheste darlegte, die . dringend nöthige Reform in dem Gerichtsverfahren und in dem Verfahren in Chesachen baldthunlichst in Hannover eintreten zu
lassen. Der Bericht ist, glaube ich, mit großer Einsicht verfaßt& und rührt, wie nicht zu bezweifeln ist, von dem mehrgedachten
Herrn Brüel her. Da nun die Ansicht des hannoverschen Kultusdepartements und des General-Gouverneurs als der damaligen obersten Ressortbebörde Bedeutung für diese Sache hat, so erlaube ich mir aus dem Eingange dieses Berichtes
Einiges hervorzuheben. Der Bericht spricht also zuvörderst über
den Zustand, wie er besteht und sagt dann: . »Dieser Zustand hat, abgesehen ganz von dem provisorischen Charakter, den er nach dem eit. §. 10 des , , Gesetzes an sich trägt, unverkennbar erhebliche Mängel und Un— zuträglichkeiten. ö Mit Ausnahme des großen (Provinzial⸗ Konsistoriums zu Hannover, in welchem fit einigen Jahren für die gericht— lichen Sachen ein besonderer aus 3 weltlichen und 2 geistlichen Mitgliedern gebildeter Ehesengt besteht, sind die übrigen Konsi— storialbehörden sämmtlich nicht so besetzt, daß sie ein geeignetes Gerichtskollegium bilden könnten. . Die Zahl der rechtskundigen Mitglieder ist zu gering E sogar ij und die meisten derselben stehen noch dazu der richterlichen Thätigkeit sonst fern, eine überwiegende Betheiligung des geistlichen Elements wird aber selbst in Ehesachen einer tüchtigen Rechtsprechung schwerlich als günstig sich erweisen. — Während deshalb diese Rechtsprechung fast nothwendig man— gelhaft ist, belästigt sie außerdem die Konsistorien als ein der Hauptthätigkeit derselben fremdes Geschäft zum Nachtheil ihres Wirkungskreises. Ganz besonders tritt es daneben als ein mehr und mehr unhaltbar werdender Mißstand hervor, daß das alte auf gemeinrechtlicher Basis beruhende, der Kenntniß und dem Verständniß der jüngeren Generation fast schon entschwundene Prozeßverfahren noch für die Ehesachen seine Geltung bewahrt, während sonst allgemein seit nunmehr über 14 Jahren das alte vortrefflich erkannte, öffentlich mündliche neue Ver— fahren zur Herrschaft gelangt ist. Für Ehesachen würde sich überdies (mit geringen Modifikationen) dies neue — freilich für die Konsistorien nach deren Personal und Einrichtungen schwerlich anwendbare — Verfahren an— scheinend ganz vorzüglich eignen. — Kommt diesem Allen gegen— wärtig noch hinzu, daß im ganzen Bereiche des bisherigen önig⸗ reichs Preußen die Ehegerichts barkeit — unbeschadet der Befug= nisse der katholischen kirchlichen Stellen, in foro interno zu erkennen vollständig den geistlichen Gerichten abgenommen ist, so wird die Erwägung nahe gelegt, ob es sich nicht empfiehlt, für daß Gebiet des vormaligen Königreichs Hannover nunniehr ohne Aufschub und namentlich, bevor die Regelung durch ein Mit, wirkungsrecht der Kammern erschwert wird, und dabei vielleicht Fragen des materiellen Eherechts hineingezogen werden, den vor— . §. 10 des Gerichts⸗Verfassungsgesetzes zur Ausführung zu bringen.« Als im Jahre 1867, meine Herren, die Königliche Staatsregierung aus der Provinz Hannover, so wie aus an— deren Provinzen Männer ihres Vertrauens berief, so haben diese Vertrauensmänner den dringenden Wunsch hier zu erken— nen gegeben, daß die Ehegerichtsbarkeit in Hannover durch Uebertragung derselben auf die weltlichen Gerichte geregelt werden möge, und damals hat der Kommissarius des Herrn Kultus-Ministers den Vertrauensmännern gegenüber geäußert . die gen fit erial Gericht an len in Hannover nicht haltbar ein würde.
Der erste Provinzial⸗Landtag hatte gelegentlich einer an. deren Regierungsvorlage an die Regierung den dringenden
Wenn dies in dem Zusatzgesetze zum Landesver⸗ kurze Zeit vorher ein Gese⸗
ahre 1850 ist be.
Im November 1866 erstattete der
eform, die so
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unsch ausgesprochen, daß diese Verhältnisse geregelt werden chen, und der zweite e, ,. hat die Gesetzes⸗ zrlage, welche jetzt zur Berathung steht, in ganz überwiegen⸗ ERajorität angenommen. Sodann hat sich für die Rege⸗ ng der Gerichtsbarkeit in der Art, daß die Gerichtsbarkeit Konsistorien entzogen und den weltlichen Gerichten über⸗ men werde, auch das neue Verfahren auf sie Anwendnng 35. der oberste Gerichtshof in Hannover erklärt.
Meine Herren, dieser oberste Gerichtshof hat aufgehört ber⸗Appellationsgericht zu sein, dennoch bewahrt er, wie ich ube mit Recht, in der Provinz Hannover noch den Ruf er Behörde, welche sehr wohl in der Lage ist, die Interessen Rechtspflege in der Provinz Hannover zu übersehen. Ich auf die gutachtliche Aeußerung dieses obersten Gerichtshofes
rovinz ein um so nc, Gewicht, weil dieser oberste ichts hof stets in Ehescheidungssachen die Berufungsinstanz bildet hat, demgemäß ganz ö, e,, in der Lage ist, die rhältnisse zu übersehen, insonderheit zu übersehen, wie es mit der richtsbarkeit in den unteren Instanzen steht, welche Vortheile ir Nachtheile das Verfahren hat, der auch zu würdigen weiß sich selbst, in seinen Mitgliedern, was es heißen will, in mnnover in Ehescheidungssachen zu erkennen. Meine Herren! h bin neun Monate Porsitzender eines Civilsenats des Ober⸗ öhellationsgerichts in Celle gewesen, und es ist mir vorge⸗ men, daß sämmtliche Mitglieder des Gerichts, mich ein⸗ schossen, erklärten, sie wüßten nicht, was für den Prozeß ng Rechtens sei. Das ist Alles erklärlich nach Lage der stände. Es sind nun aber auch gehört worden die hnsistorien der Provinz Hannover, und die haben allerdings in ihrer Mehrheit mehr oder weniger entschieden für erklärt, daß den Konsistorien die Ehegerichtsbarkeit ver— übe. Ein Konsistorium hat sich entschieden für das Gegen⸗ ll erklärt, die beiden katholischen Konsistorien sind nicht ehr lsceden aufgetreten, eins erklärte sogar, es wäre ihm ganz erlei, es schiene ihm nicht von Erheblichkeit zu sein, ob die segerichtsbarkeit von weltlichen Gerichten oder von den Kon⸗ korien oder anderen Personen ausgeübt werde, indem dieses Hhnsistorium davon ausgeht, daß geistliche Gerichtsbarkeit nicht boten sei. Im Uebrigen ist anzuerkennen, daß die Konsistorien, urvon abgesehen, sich für Beibehaltung der Konsistorial⸗Ge⸗ htöbarkeit erklärt haben, ich möchte betonen, nicht etwa für sibehaltung des gh en Zustandes. Vielmehr erklärt das oße Provinzial -Konsistorium Hannover, es sei nothwendig, dem jetzigen Verfahren Wandel geschafft werde.
Uebrigens ist es gar nicht uninteressant hervorzuheben, daß Jahre 1832 dasselbe Provinzial⸗Konsistorium zu Hannover für ganz unbedenklich erklärte, daß den Konsistorien die trichtsbarkeit in Ehesachen abgenommen würde, und daß man r darauf Gewicht legen müsse, daß dem Konsistorium die trichtãßbarkeit in persönlichen Sachen der Geistlichen verbliebe. las Provinzigl-⸗Konsistorium erachtete also damals dafür, daß r letztere Theil der Gerichtsverfassung, welcher den Konsistorien reits im Jahre 1848 ohne alles Bedenken entzogen worden wichtiger sei, als die Gerichtsbarkeit in Ehesachen.
Das ist nun Lage der Sache, was soll denn nun ge⸗ hehen? Um mit dem Provinzial-Konsistorium zu Hannover reden: es muß Wandel geschafft werden; es muß die Ehe schüzt werden, das Verfahren so geregelt werden, daß eine klensio matrimonii eintreten kann. Es darf nicht länger ge— lte werden, daß die jüdische Ehe höher gehalten wird wie die ristiche. Die Gerichtsbarkeit in Ehesachen muß den großen nnaten übertragen werden und hier ein wohlgeordnetes Ver⸗ ihren eintreten, das ist ganz nothwendig.
Meine Herren! Ein neues wohlgeordnetes Verfahren wün— än auch die Konsistorien. Die Differenz besteht lediglich darin, ß die Konsistorien ihrer Mehrzahl nach die Beibehaltung der onfistorien verlangen.
Meine Herren, ich möchte Sie fragen, ist es denn wohl tglich, in der Provinz Hannover unter Beibehal— ö der Konsistorial-Gerichtsbarkeit im Wege der Legis⸗ t zu reformiren. Wenn Sie, meine Herren, das auch zllten, können Sie denn annehmen, daß das Abgeordneten⸗ e dazu seine Hand bietet? Wenn die Konsistorial-Gerichts— eit, soweit sie bestand, in der Monarchie längst beseitigt urden ist, wenn im ganzen Gebiete der Monarchie zu ver⸗ denen Zeiten die Gerichtsbarkeit auf die weltlichen Gerichte mtteagen ist, wie sollte man denn wohl annehmen können, man nun für eine einzelne Provinz Konsistorial⸗-Gerichts—= krteit beibehielte? Meine Herren, ich will gar nicht behaupten, daß sich uber nicht streiten ließe, ob Konsistorial-Gerichtsbarkeit vor— schen sei oder nicht. Ich bin weit entfernt davon, wenn ne wohlgeordnete Koönsistorial Gerichtsbarkeit in Hannover nde und daneben ein wohlgeordnetes Verfahren, zu sagen,
s in den übrigen Theilen) der Monarchie anders ist, sei
die Konsistorialgerichtsbarkeit zu beseitigen. Deshalb ist es auch wiederum nicht richtig, wenn in dem Berichte hervorgehoben worden ist, ich wünsche dieses Gesetz, um Rechtseinheit herbeizu—⸗ führen. Dieser Gedanke hat mir ganz fern gelegen. Ich wünsche aber dringend, daß die trostlosen Zustände der Provinz Han— nober in ein anderes Stadium treten, und ich sehe keine andere Möglichkeit dies zu erreichen, als wenn ich Sie bitte, gewähren Sie doch das Recht, welches in der ganzen Monarchie gilt, auch der Provinz Hannover. keine Herren! Es kommen auch noch politische Erwä— ungen bei der vorliegenden Frage in Betracht. Ich bitte Sie, doch nicht zu glauben, und Sie thuen es auch wohl nicht, daß es in Hannover nicht Partikularisten und Pessimisten gäbe; an diesen fehlt es in der That nicht. Diese und daneben Andere argumentiren so: wir müssen In⸗ stitutionen übernehmen, welche uns zur Beschwerde gereichẽen; das geht nicht anders, weil diese Institutionen für die ganze Monarchie gemeinsam sein müssen. Dahin rechnet man die Militärverfassung und die Steuern. Man sagt aber weiter: wenn wir wünschen, daß uns etwas gewährt werde, was in der ganzen Monarchie gilt, was sich bewährt hat, und für uns durchaus nothwendig ist — weil man allerseits anerkennt, daß die betreffenden Zustände in Hannover bedenklich sind —, so schlägt man uns das ab.
Meine Herren, wenn ich vielleicht hin und wieder etwas lebhaft gewesen sein sollte, so glauben Sie doch ja nicht, daß es bei mir um eine Antipathie gegen die Verhältnisse sich handle. Der Gesetzentwurf, welchen ich Ihnen vorzulegen die Ehre ge— habt habe, rührt in seinem wesentlichen Bestande gar nicht von mir her, sondern von meinem Herrn Amtsvorgänger, ich habe nur in Betreff des Sühneversuchs, wie mir der Herr Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten bezeugen wird, einige weitere Konzessionen gemacht. Für mich, meine Herren, ist in der ganzen Angelegenheit wie für den General⸗Gouverneur im No⸗ vember 1866 der Gedanke maßgebend, daß man einer Provinz, welche auf ihre Institutionen stolz ist, oft, meiner Meinung nach, zu stolz, von Seiten der Staatsregierung zeigen muß, daß sie den Willen und die Kraft habe, die Interessen der Pro⸗ vinz zu fördern, wo es Noth thut.
— Hieran anknüpfend erklärte der Minister der geistlichen
Angelegenheiten Or. von Mühler: Ich ergreife das Wort, um zunächst zu konstatiren, daß in dieser Frage das Kultus-⸗Ministerium auf durchaus gleichem Boden steht mit dem Justiz-Ministerium. Es ist vom Herrn Justiz⸗Minister am Schluß . Rede gesagt und ausgeführt worden, daß, wenn die Konsistorialgerichtsbarkeit in Hannover sich thatsächlich in einem Zustande befände, welcher dem Be⸗ dürfniß genügte, er von seiner Seite durchaus nicht prinzipiell darauf ausgegangen sein würde, diese Gerichtsbarkeit zu be⸗ seitigen, daß dieselbe aber, wie sie sich gestaltet hat, mit so vielen Mängeln und Schäden behaftet ist, daß eine radikale Reform nothwendig ist, und daß diese Reform in keiner andern Weise vollzogen werden kann, als wie in der gegenwärtigen Vorlage. Darin stimmen im Wesentlichen auch die übrigen Herren über⸗ ein. Wenn ich das Votum des Herrn Grafen Borries recht verstanden habe, so hat er auch seinerseits zugestanden, daß die Gerichtsbarkeit der Konsistorien im Verfall, und daß eine tief greifende Reform erforderlich sei. Von anderen Seiten ist Aehnliches zugestanden worden und die Beläge dafür sind vor⸗ geführt. Wir haben das Zeugniß des ehemaligen hannover⸗ schen Kultus-Ministers, wir haben das Zeugniß der früheren Gesetzgebung, das Zeugniß des Provinzial-Landtages, die Wahr⸗ nehmungen der Gerichte, wir haben ift t von einzelnen Kon⸗ sistorial⸗Kollegien Zeugnisse. Jedenfalls ist von allen Kon⸗ sistorien der Mangel des jetzigen Zustandes offen anerkannt. Dies Alles in Summa überschauend, kann ich nicht anders sagen, als: es ist eine tiefgehende Reform nothwendig. Wenn aber diese Nothwendigkeit vor uns liegt, so stellt sich uns die zweite Frage gegenüber, nach welcher Richtung hin ist diese Reform zu vollziehen? Und da scheidet sich denn die Auffassung, die vom Herrn Grafen Borries entwickett ist und die des Herrn Justiz— Ministers. Herr von Kleist glaubt, daß der Zustand, wie er jetzt ist, noch mit Aenderungen und Besserungen erhalten wer⸗ den könne. Aber ich halte das nicht für möglich. Jede Reform, wenn sie tief greift, muß nach der einen oder anderen Seite hin gravitiren; ein Zustand, welcher sich einmal überlebt hat, kann nicht auf der alten Grundlage erhalten werden, die Re— form muß mit Nothwendigkeit eine veränderte Richtung nehmen. Das ist ein nothwendiges Gesetz, dem sich die Legislative in keiner Weise entziehen kann.
Nun aber, meine Herren, fassen Sie den Zielpunkt ins Auge, der Ihnen in der Rede des Grafen von Borries vor Augen gestellt ist; er geht hinaus auf die Etablirung der geist= lichen Gerichtsbarkeit im vollen Sinne des Worts, mit gefon- derten geistlichen Gerichten für die Lutherischen, für die Refor⸗
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