1871 / 57 p. 12 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

litär - Zeitschriften dem Zündnadelgewehr nicht unhedingt den Vorrang zugestehen. So sagt der »Russische Invaliden; „Gleich in den ersten Gefechten zeigte sich ein bedeutendes Ueber⸗ gewicht des französischen Infanteriegewehrs über das preußische; jenes gestattet schnelleres Schießen, hat mehr bestrichenen Raum und größere Schußweite. Für Preußen dürfte die erste Arbeit nach beendigtem Kriege ohne Zweifel eine Neubewaffnung der Infanterie sein.« Aeber die Kavallerie sagt der Verfasser des mehrerwähnten Aufsatzes: »Weshalb haben die Preußen gesiegt?« daß die für die Aufstellung der Operationspläne so wichtigen Rekognos— zirungen mit großer Kühnheit von der preußischen Kavallerie ausgeführt worden seien. In der Schrift aus Brüssel aber heißt es: »Alle Ehre im gegenwärtigen Feldzuge gebührt dem preußischen Generalstabe und der deutschen Kavallerie.“ Ferner bemerkt der »Russische Invalide‘ über diese Waffe: »Die preußische Kavallerie brachte unleugbaren Nutzen, indem sie so weit vorgeschoben wurde, daß sie stets den Marsch der Armee deckte und den Franzosen jede Möglichkeit abschnitt, auf irgend eine Weise Nachrichten zu erhalten..

Dasselbe Blatt bespricht ins besop ere auch die Artillerie, welche »sowohl an Zahl, als an igkeit« der französischen entschieden überlegen wäre. In diesem etheile kommen übrigens alle Stimmen zusammen: Kaiser Napoleon und viele seiner Offiziere haben es offen ausgesprochen, »daß sowohl in der Trefffähigkeit wie in der Präzision des Feuers die preußische Artillerie die bessere sei.« Aehnlich äußern sich die »Times«, »Aftonbladet«, die »Italia militaree; auch die dem Kaiser Napoleon zugeschriebene Broschüre Campagne de 1870, des causes qui ont amené la capitulation de Sedan, spricht anerkennend von den Leistungen unserer Artillerie.

Auch dem Ingenieur⸗Corps hat es, insbesondere bei der Belagerung von Straßburg, Paris und der vielen größeren und kleineren genommenen festen Plätzen nicht an Gelegenhzei ge— fehlt, sich zu bewähren. Eine besondere Anerkennung aber spendete »Aftonbladet«, sowie der schwedische General Hazelius und Pxofessor Forsell in Upjala den technischen Einrichtungen des preußischen Heeres. In der »Stockholmer Zeitung«, die diesen Gegenstand behandelt, heißt es: »Es 1 der hohen militärischen Bildung im preußischen Heere zuzuschreiben, daß alle Erfindungen neuerer Zeit in demselben nach allen Rich⸗ tungen hin ihre Anwendung gefunden haben; davon zeugt das musterhaft eingerichtete Feldtelegraphenwesen. Die Feldpost so⸗ wie die für eine Armee so wichtige Intendantur und die Pflege der Verwundeten und Kranken sind auf gleiche Weise fürsorg⸗ lich eingerichtet. «

Mit richtigerem Urtheil, als das in mancher anderen Schrift geschehen, faßt das Brüsseler „Ou nous en sommes!“ die mili⸗ tärischen Thatsachen zusammen, indem es sagt: »Die Idee der ge— zogenen Geschütze und der Mitrailleusen entstammt der franzö— sischen Armee; ihr gehört das Chassepotgewehr an, dessen Ueber— legenheit die preußische Armee anerkennt; die französische Armee besaß eine ritterliche und anscheinend unübertreffliche Kavallerie; die französische Marine erfand das Panzerschiff mit Sporn und doch ist die französische Armee vernichtet und die franzö⸗ sische Flotte zur Unthätigkeit verdammt. Wo liegt der orga— nische Fehler? In der Routine!«

Am Schlusse dieser Beurtheilungen mögen einige Worte aus der »New⸗Horker Nation ihren Platz finden, welche wir n, Artikel entnehmen,) der die Ueberschrift: »Kultur und Krieg« rägt: . E*Eine wie die deutsche organisirte Nation ist eine neue Er⸗ scheinung und deshalb einer aufmerksamen Betrachtung wohl würdig. Wir kommen nicht über die Thatsache hinweg, daß Preußen den Vorsprung über alle andern Länder gewonnen hat, daß in diesem Augenblicke der Preuße der Mustermensch unserer Tage ist, derjenige, der wahrscheinlich, bewußt oder unbewußt, anderen civilisirten Ländern das Vorbild sein wird, bis zu dem Zeitpunkte, wo eine andere Nation ihn so erfolg⸗ reich nachgeahmt haben wird, daß sie Seinesgleichen erzeugt

Die deutsche Mythologie des Krieges.

Unsere germanischen Abnen waren vor Allem ein Volk von Kriegern. Ihre Hauptthätigkeit war dem Kriege gewidmet; auf den Krieg, als eigentlichen Beruf der Freien, bezog sich ihr ganzes Volks. und Staatsleben, auch ihr religiöser Glaube. Sie kannten keine höhere Lust, als die , im Getüm⸗

mel der Schlacht, keine , Ehre, als den Sieg und Waffen— ruhm, keine größere Schande, als Kriegsuntüchtigkeit und Feig heit, keinen glücklicheren Tod, als den Tod auf dem Schlacht. felde. Ist es nun eine allgemeine Wahrheit, daß bei heidnischen Religionen sich das Volk in seinen Göttern spiegelt, seinen Nationalcharakter, seine Neigungen, seine Lebenswelse und seine Sitten in ihnen idealisirt, so darf man dies auch von un⸗

sern Vorfahren erwarten. In der That sindet es sich in umfassend⸗ ster Weise bestätigt: ihre Götterwelt trägt einen vorzugsweise kriege⸗ rischen Charakter; fast alle bedeutenderen Götter nehmen an dem Weltkampfe gegen die Riesen und Unholde der Finsterniß Theil, in dem sie zuletzt erliegen, doch nur um in verjüngter Kraft wiederzuerstehen;, auch mehrere Göttinnen haben an den Kriegs- thaten menschlicher Helden ihre Freude und steigen herab, ihnen zu helfen und sie zu belohnen. Dies soll an einigen Hauptge⸗ stalten der germanischen Mythologie nachgewiesen werden.

Der eigentliche Kriegsgott der alten Deutschen, bei allen Stämmen mehr oder weniger verehrt, war Ziu oder mit der Lautverschiebung Diu, nordisch Tyr, angelsächsisch Tiu. Er war sicherlich in ältester Zeit der Hauptgott des germanischen Stammvolkes, noch früher wohl der Indogermanen über—⸗ haupt, vielleicht einst der einzige Gott, jedenfalls Vater und Herr der andern Götter. Dies beweist sein Name, der den »Leuchtenden« bedeutet und ihn als lichten Himmelsgott kennzeichnet, als den Vater alles Lichts, das als höchste sinnliche Offenbarung der Gottheit aufgefaßt wurde. Seine hervorragende Würde zeigt sich auch in den in Namen und Wesen ursprünglich genau übereinstimmenden Gestalten des indischen Djaus, griechischen Zeus und römischen Jupiter, d. i. Vater Dju. Nach der Theilung der Indogermanen begann jedes Volk seine Persönlichkeit in eigenthümlicher Weise zu ent- wickeln, durch mannigfache bildliche Auffassung zu vervielfälti⸗ gen und ihn den daneben aufwuchernden Göttergestalten gleich⸗ zustellen oder gar unterzuordnen. Die Germanen bildeten sein Wesen nach der kriegerischen Richtung hin aus und drück— ten ihn allmälig zum bloßen Gotte der kriegerischen Kühnheit herab, ohne daß alle Züge seiner einstigen höheren und allge— meineren Bedeutung verwischt worden wären. Nach ihrer volksthümlichen Naturanschauung galt dann die Sonne als linke Hand des Himmelsgottes, als seine vom Gold⸗ ring umgebene Faust; er trägt in ihr ein Schwert, dessen Glanz das Sonnenlicht ist. Die rechte Hand, denn es giebt nur eine Sonne, hat er verloren, als er sie, bei Fesselung des Wolfes der lichtverschlin⸗ genden Finsterniß (nordisch Fenrir), diesem zum Pfande in den Rachen steckte. Wegen dieses heldenmüthigen Opfers für die fernere Herrschaft der lichten Götterwelt der Ansen, wurde er als der kühnste der Götter verehrt. So sagt die Eosjda vom Tyr: »Er ist sehr kühn und herrscht über den Sieg im Kriege; darum ist es gut, daß die Krieger ihn anrufen. Wer kühner ist als Andere und vor Nichts zurück⸗ bebt, von dem sagt man sprichwörtlich: er sei kühn wie Tyr.«

So geht die Naturmythe in ethische Sage über. Da ferner,

wie Tacitus mit Verwunderung berichtet, die Germanen, in großartiger Naturanschauung beharrend, in ältester Zeit nicht wähnten, daß die Götter von Wänden eingeschlossen werden oder irgend eine menschenähnliche Erscheinung annehmen könnten, sondern ihnen Haine und Wälder weihten und mit den Namen der Götter jenes Geheimnißvolle bezeichneten, das sie in reiner Ehrfurcht anschauten: so dürfen wir in jener Epoche auch keine Tempel noch Bilder des Ziu erwarten, wie sie in späterer Entartung vorkamen. Dagegen galt als sein Symbol das Schwert, das »leuchten dee, von dem kriegerischen Völkern Glanz und Ruhm ausgeht. So trägt die Rune, welche den Namen des Gottes führte und unserem Laute T entsprach, die Gestalt des Schwertes; sie gehörte zu den Siegrunen, die beim Orakelwerfen mit den beritzten Buchenstäben für den Krieg ent⸗ ,, und nach nordischer Sitte aufs Schwert gezeichnet wurden:

»Siegrunen schneide, den Sieg zu sichern! »Grabe glücklich sie ein in des Schwertes Griff, »Auf die Seiten hier, auf das Stichblatt dort, »Und nenne zweimal den Tyr!«

Mit der Verehrung des Gottes hing die eingreifende, lang fortdauernde Personifikation des Schwertes zusammen. Das Wort »Schwert« hatte persönliche Flexion, die Schwerter vieler Helden führten einen Eigennamen, wie Siegfrieds Balmung; auf das Schwert (wie noch im Hamlet) und beim Schwerte schwor der Deutsche, es »regiert sich selbst wie ein Geist in des Helden Hand, oft wird es der traulichen, rühmenden, klagen—⸗ den Anrede theilhaft, so noch in Körner's »Du Schwert an meiner Linkene, in des Schwertes Griff und Spitze hausen Schlange und Natter« u. s. w. Von der allgemeinen Verehrung des Ziu zeugt ferner, daß ihm bei allen germa⸗ nischen Stämmen der dritte Wochentag, der Tag des Mars, geweiht ward: deutsch Dienstag (aus Diestag, Diustag), nor⸗ disch Tysdagr, englisch Tuesday. Im Besonderen finden wir in geschichtlicher Zeit als Verehrer des Ziu genannt die Schw a⸗ ben (Sueven), die in einer Glosse Ziuvari, d. i. Leute des Ziu heißen, wie ihre Hauptstadt Augsburg Zies burg; dann nach dem Zeugniß des Tacitus, die Tencht erer und die Ubier, die in ihrer Hauptstadt Cöln ein göttlich verehrtes Schwert

bewahrten, nach römischer Umdeutung das des Julius Cäsar, endlich mehrere vom Schwert benannte Stämme, denen daher

ohne Zweifel der Schwertgott Haupt; und Stammgott war: t mit Donner und Blitz, Hagelschauer und Regengüssen am

die Süugrdonen in Holstein, die Cherus ker am Harz (von altsächsischen Heru d. h Schwert und die Sachsen (von Sachs,

d. h. Schwert, Messer). Bei letzteren hieß der Gott auch

Sachs not, angelsächsisch Saxneat, d. i. Schwertgenoß, und er wird in der berühmten Abschwörungsformel der von Karl dem Großen bekehrten Sachsen ausdrücklich als einer ihrer drei Hauptgötter genannt. Es stammte daher auch das Schwert im sächsischen Wappen und die alte Sitte, daß der Herzog von Sachsen dem Deutschen Kaiser das Reichsschwert vortrug.

Im Ganzen dagegen finden wir bei den germanischen Stämmen den Ziu in seiner ursprünglichen, hervorragenden Bedeutung als Himmelsgott und Vater und Herr der anderen Götter verdrängt durch die aus ihm abgezweigte, später aber mächtiger entwickelte Gestalt des Wuotan, niederdeutsch Wodan, nordisch Odhin. Er ist der Gott des im Sturm, wie im sanf— ten Lufthauche bewegten Himmels und da man die Seele als sich bewegende Luft auffaßte, der Urquell alles Lebens, der Vater aller Geister. Auch Ziu ward zu seinem Sohne hinab⸗ gedrückt, wie denn das Licht nach dieser späteren An— schauung als erst aus der Luft hervorgehend gedacht ward. Wuotan ist einäugig, wie Ziu einhändig, denn die Sonne ist sein Auge,; Len anderes Auge liegt als Pfand für die erstrebte Enthüllung der Zukunft in Mimirs Brunnen versenkt, das Spiegelbild der Sonne im Meer; der Wolkenhimmel ist Wuotans grauer, blaugefleckter Mantel, der Sturmwind sein gedankenschnelles Roß, der Blitz seine allbe⸗ siegende Lanze. Der Kampfsinn der Germanen zog auch sein Wesen ins Kriegerische hinüber. Er hat die höchste Entscheidung über Krieg und Frieden, über Sieg und Niederlage; er wirft die Zwistrunen zwischen Völker und Fürsten, auch zwischen Freunde und Verwandte, ihm opferte man um Blutrache, ihm gelobte man sich selbst für den Sieg oder weihte ihm beim Beginnen der Schlacht das feindliche Heer, indem man einen Speer über dasselbe hinschoß, mit den Worten: »Gram ist euch Wuotan!« oder »So geb' ich euch Wuotan!« oder »Wuotan hat euch alle!« Nach errungenem Siege brachte man ihm dann die Kriegsgefangenen als Opfer dar, wie die Cherus—⸗ ker mit den Römern thaten nach der Teutoburger Schlacht, die Chatten (Hessen) mit den Hermunduren (Thüringern) im Kampf um die Salzquellen.

Im Gegensatz zum wilden, kühnen Ziu ist Wuotan der Gott des hesonnen und kunstvoll, mit Klugheit und List ge— führten Krieges: er galt als Erfinder der den Germanen eige— nen keilförmigen Schlachtordnung, des »Eberkopfes«, er stellt die Schiffe zum Seekampf, ertheilt seinen Günstlingen kriege— rischen Rath aller Art, macht die Feinde taub und blind und jagt ihnen Furcht und Schrecken ein. Er heißt »Sieg— vater, Helmträger, Heerschild, Toser, Wetterer, Schrecken«; die Raubthiere des Slachtfeldes sind ihm heilig: Wölfe lagern um seinen Thron, Raben sitzen auf seiner Schulter. Ihm gehört der Wal? , die Niederlage der Todten auf dem Schlacht⸗ felde, der Walstatt; den Wal zu kiesen (küren) sendet er seine Jungfrauen, die Walkhren, zu Roß oder im Schwanengewande, hinab: sie bezeichnen die zum Tode bestimmten Helden, helfen sie in der Schlacht fällen, wecken ste dann aus dem Todesschlummer und führen sie nach Wuotans Burg, Walhalla, in den Himmel hinauf. Dorthin kommt nur, wer in der Schlacht tapfer kämpfend gefallen oder an seinen Wunden gestorben ist, aber guch der muthig den Opfertod leidende Kriegsgefangene. Daher tödteten sich die von einem andern Tode Bedrohten oft frei⸗ willig, und an Krankheit oder Altersschwäͤche Sterbende ließen sich auf dem Todtenbette mit dem Speer ritzen, um eine frische Wunde aufweisen zu können. Den Helden aber geht Wuotan an das Thor der Burg entgegen, begrüßt sie auf der Schwelle und lädt sie zu dem herrlich gerüsteten Mahle. Hier tritt nun die K von dem Himmelsgotte wieder deutlich hervor; Walhalla ist das nächtliche Sternengewölbe, die jen⸗ seitige Welt; hier erscheint Wuotan als Mond, die Sterne sind die Schaaren der Einherier, der mit ihm schmausenden und zechenden Helden; sie essen vom gebratenen Fleische des gold borstigen Sonnenebers, der jeden Tag wieder auswächst, d. h. ihre Nabrung ist Licht, das Sternlicht aber ist erborgtes Sonnenlicht; sie trinken Meth aus dem Euterstrom der Himmels

ziege, der Milchstraße, versprengte Tropfen fallen zur Erde als

befruchtender Thau der Nacht; Schwertlicht erleuchtet die Halle, das sind die blutroth aufschießenden Strahlen des Nordlichts; die Walkyren, lichte die Sterne durcheilende Wolken, kredenzen den ö Aber nicht immer bietet der Himmel diesen friedlichen Unblick. Vom Mahle satt, erheben sich die Einherier, waffnen sich und üben sich auf dem Hofe der Burg im Kriegsspiel. Dann ertönt Walhalla vom Stampfen der Rosse, vom Krachen

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der Schilde, die Speere sausen, die Steine fliegen, die Waffen

blitzen, das Blut rinnt. Das ist das wilde oder wüthende Heer, das unter Wuotans Führung in Sturm und Gewitter,

Himmel dahinbraust. So üben sich Gott und Helden zum letzten Kampfe der Götterdämmerung, in dem sie alle erliegen werden, denn über den Göttern, den durch Blutschuld ent⸗ weihten, walten höhere, heiligere, unbekannte Mächte.

In späterer Zeit, als eine eigene Mondgöttin Frouwa (Frua) d. i. Herrin, nordisch Freya, unter fremdem Einflusse sich entwickelt hatte, wurde ihr die Hälfte der Einherier zu⸗ geeignet. Ihre jüngste mährchenhafte Gestalt ist die »weiße Frau, die Ahn⸗ und Todesfrau des hohenzollernschen und an⸗ derer Fürstenhäuser, die durch ihre mahnende Erscheinung die Seelen der Helden emporruft.

Neben Wuotan bildete sich ferner als eigentlicher Gewitter⸗ gott Don ar (Donner) aus, nordisch Thor, angelsächsisch Thur, von dem der Donnerstag noch heute überall den Namen trägt, wie noch im Englischen und Nordischen der Mitt⸗ woch vom Wuotan, englisch Wednesday, dänisch Onsdag (Odhinsdag). Im Blitz glaubte der alte Deutsche den rothen Bart Donars flammen zu sehn, daher noch die Sage von Kaiser Friedrich Rothbart, dessen Bart wie Feuersgluth den Tisch durchwächst, im Donner hörte er das Rasseln von Donars Wagen, der zerschmetternde Strahl war der von dem Gotte geschleuderte, kurz gestielte Hammer. Diese Anschauung des Gewitters mußte auch dem Do⸗ nar kriegerische Bedeutung verleihen. Man dachte sich ihn im Kampfe mit den Riesen, den wilden, wüsten und rohen Naturmächten der Finsterniß, Kälte, Dürre, des starren Fels⸗ bodens, des salzigen Meeres, des verzehrenden Erdfeuers. Wenn Donar sich aufmacht, sie zu bekämpfen, so »fährt die Erde ächzend zusammen, Felsen krachen, Klüfte heulen, Berge brechen und beben, Funken stieben, Wälder stehen in Flammen, die Wogen brausen, der Sturm rast.«“ Aber die rohe Naturmacht wird nur durch ihresgleichen gebändigt, daher erscheint Donar durchweg als Gott der rohen, oft einfältigen und sinnlosen Kriegswuth, ohne die geistige opferfrohe Kühnheit Zius oder die überlegene Klugheit Wuotans. Er wird nicht selten von den Riesen überlistet und ausgelacht. Dennoch konnten unsere Ahnen über den wüsten Tumult der Elemente und ihren blinden Verheerungen im Gewitter dessen segensreiche Folgen nicht übersehn, und so ist Donars Kampf doch für die Menschen heilbringend und rettend. Die Frühlings⸗ wetter brechen die Macht des alles eineisenden Winters, die Blitze spalten die Felsen und öffnen den befruchtenden Wassern den Weg, sie zerreißen den schwarzen Wolkenkessel und reinigen die Luft: so ist Donar der besondere Beschützer der ackerbauenden Landsassen, die er in seine volkwimmelnde Him- melsburg aufnimmt, und des friedlichen Lebens überhaupt. Sein Hammer bestimmt die Grenzen, weiht die Brautpaare, segnet die Leichen ein, sein Bild schmückte später den Vorder- steven des Schiffs, wie die Grundpfeiler des Hauses. Grade darum aber konnte er nicht Liebling des kriegerisch gesinnten Adels und Freienstandes werden, der im müßigen Frieden zu verweichlichen fürchtete.

Das Christenthum dämpfte den kriegerischen Geist der Germanen nur allmählich und empfing von ihm bedeutsame Rückwirkungen. Aus einem Kämpfer Wuotans wurde der deutsche Christ ein Streiter Gottes und der Kirche gegen den Bösen und die Ungläubigen; sein Leben ward ein heiliger Kampf für das Recht und die Unschuld. Das Ritter thum in seiner echten glänzenden Herrlichkeit ist wesent⸗ lich aus dieser Vermählung germanischen Kriegssinnes mit christlicher Zucht und Frömmigkeit hervorgegan—⸗ gen. Wie neben Wuotan Frouwa auf die elden Anspruch machte, so widmete der Ritter neben Gott seinen

Dienst der Maria, der hehren Jungfrau, der Himmelsmagd,

und vertheidigte Schönheit und Reinheit, Minne und Barm⸗ herzigkeit. Wie der heidnische Held Walhalla, hoffte der christ⸗ liche Ritter nur durch treuen Schlachtendienst das ewige Leben ererben zu können; noch immer galt der Waffentod als der ruhmvollste, edelste, seligste; noch in den mittelalterlichen Lehr- gedichten finden wir die Feigen und Zagen oft vom Himmel ausgeschlossen. Die Götterdämmerung verklärte sich zum jüngsten Gericht, vor dem der Antichrist, der Wolf der Finsterniß, mit seinen Höllenschaaren den letzten Entscheidungskampf versucht, aber unterliegt. Vom Ziu werden dabei einzelne Züge auf den Erzengel Michgel, den Besieger des Drachen, übertragen, der auch als Schirmer des Deutschen Kaiserreichs in die Reichsfahne aufgenommen ward. W. D.