— (W. T. B.) Die Bundestruppen sind gestern hier eingerückt. Wie die »Neue Züricher Zeltung« meldet, sind die Verhafteten meistens ehemalige Zuchthaussträflinge, Obdachlose und ver⸗ führte Arbeiter. Die Untersuchung ist bereits anhängig gemacht. Weitere Excesse sind kaum zu befürchten. Der Kantonalrath ist hier versammelt,
Großbritannien und Irland. London, 13. März. W. T. B) Im Oberhause machte Lord Granville, im lnterhause Enfield folgende Mittheilung: Die Pontuskon— ferenz hat einschließlich des französischen Gesandten heute einen Vertrag unterzeichnet, welcher die Klauseln bezüglich der Neu— tralisation des Schwarzen Meeres abschafft. Die bisherigen Beschränkungen des Sultans betreffs der Schließung der Dar— danellen und des Bosporus sind dahin a n, worden, daß die Pforte selbige auch in Friedenszeiten den Kriegsschiffen der befreundeten Mächte erschließen darf, wenn sie dies zur Durch⸗ führung der Pariser Stipulationen für nöthig erachten sollte. Der Traktat bestimmt, daß die bestehende Donau- Kommission 12 Jahre fortdauern solle und daß die Neutralisation bezüglich der geschaffenen und der zu schaffenden Arbeiten fortbestehen bleibe. Der Pforte wird die Berechtigung vorbehalten, als Territorialmacht Kriegsschiffe in die Donau abzusenden. Die Konferenz unterzeichnete in einem Spezialprotokoll die Erklä⸗ rung, daß vermöge des Völkerrechts keine Macht einseitig die Verkräge lösen oder modifiziren dürfe. Die Konferenz hält morgen ihre formelle Schlußsitzung ab.
Frankreich. Paris, 12. März. (W. T. B.) Versailles ist heute von den deutschen Truppen geräumt worden. Ein französisches Regiment ist diesen Mittag von Paris dorthin abgegangen, um die Verlegung der Garnison vorzubereiten. —
n Ferriores wurde gestern die Konyention bezüglich der
urückführung der französischen Kriegsgefangenen aus Deutsch— land unterzeichnet. — Die Suspendirung der sechs Pariser Journale hat durchaus keine Erregung hervorgerufen, nur ein⸗ zelne Journale sprechen sich dagegen aus. Man hofft auch jetzt noch, daß der Zwischenfall auf dem Montmartre ohne ernstes Einschreiten beendigt wird.
— 13. März. Die Situation auf dem Montmartre ist auch heute unverändert. Es herrscht fortgesetzt die vollständigste Ruhe, jedoch weigert sich ein Theil der Nationalgarde noch immer, die Kanonen auszuliefern. — Das »Journal des Dé— bats« äußert sich im höchsten Grade entrüstet über eine an den Mauern angeschlagene Proklamation der Rothen, welche die Armee zur Insubordination und Revolte auffordert. Das enannte Blatt spricht sich dahin aus, daß Derartiges unter einem Vorwande geduldet werden dürfe. Die französische Armee habe durch ihren Mangel an Disziplin bereits genug
gelitten, es sei zu hoffen, daß man den demagogischen Auf⸗
wieglern nicht gestatten werde, die Soldaten zu verführen.
— Wie bestimmt versichert wird, hat die National⸗ garde, welche die Kanonen auf dem Montmartre bewachte, aus eigenem Antriebe die Militärbehörde um die nöthige Be⸗ spannung ersucht, damit sie die Kanonen nach dem Artillerie⸗ park in der Avenue Wagram zurückbringen könne. Ein Theil dieser Kanonen ist bereits diesen Morgen dorthin zurückgeschafft. Der Maire Clemenceau hat bei dieser Angelegenheit einen sehr versöhnlichen Einfluß ausgeübt.
Das » Journal officiel« enthält ein Dekret, durch welches
der Marquis von Banneville zum Botschafter in Wien ernannt wird. — Wie mehrere Blätter wissen wollen, hat sich die Re⸗ ierung im Prinzip für Abschaffung der Unterpräfekten ent⸗ chieden; eine kleine Anzahl werde nur noch provisorisch bei⸗ behalten. — Thiers wird morgen hier erwartet. ö. Nachträglich ist folgende Depesche Gambetta's bekannt eworden: ö. Kriegs⸗Ministerium. Herr Dutrs, der der Residenz der Regie⸗ rung attachirte Prsvot Civil, ist ermächtigt, auf der Post die Aus- lieferung aller Briefe zu requiriren, deren Adresse er angiebt.
Tours, 17. November 1870. Der Minister des Innern und des Krieges.
Lille, 13. März. Der gestrige Tag verlief vollkommen ruhig. Der Strike in Roubalz ist im Abnehmen begriffen, die Arbeit ist theilweise wieder aufgenommen worden.
— Ueber die Unruhen, die am 1. März in Algier aus⸗ brachen, erfährt das »Journal de Genever, daß nach einem
este, das die Eingeborenen hielten, eine Schaar über den Posten am Regierungsgebäude mit Stöcken herfiel und nicht
oöhne Mühe von den Soldaten zurückgetrieben wurde. In anderen Straßen kam es gleichfalls zu unruhigen Scenen. Die Israeliten wurden beschimpft, geprügelt, ihre Läden ge⸗ plündert; in anderen Läden wurde, was man nicht stahl, in Staub und Schmutz umhergeschleift. Endlich wurden die Truppen der Sache Meister und nahmen zahlreiche Verhaf⸗ tungen vor. Viele dieser Araber waren bewaffnet. In der
Straße Bab⸗Agun wurde auch geschossen und ein Araber dabei getödtet. Abends war es in der unteren Stadt zwar ruhig, aber alle Läden waren geschlossen. Man sprach von einigen Tödtungen und vielen Verwundungen, die bei diesen Pluün⸗ derungen und Raufereien erfolgten.
Schweden und Norwegen. Stockholm, 9. März. Der Reichstag genehmigte den Vorschlag des Ausschusses in Betreff der Befestigung Carlsborgs und Waxholms. Die Be— festigung von Carlskrona wurde in der Ersten Kammer mit 75 gegen 19 Stimmen genehmigt, von der Zweiten dagegen mit 92 gegen 77 Stimmen verworfen. Trotzdem wird bei ge⸗ , Abstimmung die Gutheißung der Befestigung erwartet.
Berlin, 14. März.
Im Anschluß an den in Nr. 56 und 57 des »Staats⸗ Anzeigers« mitgetheilten Bericht des Obersten Stoffel, ehe⸗ maligen Militär-Attachés hei der französischen Botschaft in Berlin, vom 23. April 1868, lassen wir nachstehend weitere Ausführungen desselben über die militärischen Verhältnisse Preußens folgen:
Militärbericht vom 12. August 1869. 1 Allgemeine Betrachtungen.
Bis 1866, als Preußen nicht mehr als 18 Millionen Einwohner zählte, war sein Anspruch auf die Herrschaft in Deutschland gerade in dem Verhältniß der Zahl seiner Bevölkerung und der geringfügigen Ausdehnung seines Gebiets beschränkt, welche es zum Stand einer Macht zweiten Ranges herabminderten. Plötzlich aber entdeckt sich diese Macht der Welt und sich selbst durch den Blitzstrahl von 1866. Herkules fühlt sich zum Manne gereist. Alsobald kennt dessen Anspruch auf Herrschaft über alle germanischen Stämme keine Grenzen mehr. Was nur eine Ahnung gewesen, wurde Ueberzeugung, und heute herrscht der Wunsch nach Verwirklichung der deutschen Einheit vor in ganz Preußen und wird vorherrschend bleiben, allen Ereignissen, wie sie auch seien, zum Trotz. Und man hüte sich wohl vor dem Glauben, daß dieser Wille etwa für eine Aenderung oder Abschwächung empfänglich ist; im Gegentheil, es ist ein fester Entschluß, welcher mit der Zeit nur noch stärker werden wird. Diesen Umstand als unbestreitbar zugelassen, macht noch ein anderer ebenso nachdenklich. Wenn man fragt, warum Preußen sich
nicht aller deutschen Staaten nach der Schlacht bei Koͤniggräß bemäch⸗
tigt habe oder aus welchem Grunde es nicht heutzutage bei Vereini⸗ gung der Sädstaaten mit dem Norddeutschen Bunde mehr Kühnheit entwickele, wird Jedermann sofort antworten: Aus Furcht vor einem Kriege mit Frankreich. Und in der That, nach welcher Seite Preußen auch seine Blicke wendet, wird es nur Frankreich in der Hinderung seiner Pläne gewahr. Wenn man in Betracht zu ziehen hat, daß das preußische Volk voll Stolz, voll Kraft und voll Ehrgeiz, von seinem eigenen Werthe im höchsten Grade durchdrungen ist, und daß es historisch Frankreich als seinen Erbfeind von Jahrhunderten her ansieht, so wird man sich leicht eine Vorstellung von den Gefühlen des Miß irauens der Erbitterung, ja des Hasses machen, welche die aus den Ereignüssen von 1866 erzeugte Lage in Bezug auf Frankreich bei dem⸗ selben hervorgebracht hat. Richtiger würde es heißen, daß diese Er⸗ eignisse nur zur Entwickelung und Belebung der eben bezeichneten Gefühle beigetragen haben, denn sie haben stets bestanden. Dies wird ein aufmerksamer Beobachter anstandslos erkennen; ebenso wird er leicht die Beschaffenheit der dermaligen Stimmung Preußens hinsicht⸗ lich Frankreichs würdigen. Es wird mir vielleicht gelingen, eine klarere Vorstellung von dieser Stimmung zu verschaffen, wenn ich vorausschicke, daß das preußische Volk in drei Gruppen oder Frak— tionen getheilt ist. .
Die, welche die erste, es ist wahr, die minder zahlreiche Gruppe bilden, hegen gegen Frankreich ein Zwittergefühl von Haß und Neid in jeder Bedeutung dieser Worte. Diesen erbitterten Feinden Frank⸗
reichs begegnet man in den alten Provinzen der preußischen Monarchie.
(lim Norden und Osten) unter den Abkommen der Geschlechter, welche näher in die Ereignisse von 1806 bis 1815 verwickelt waren oder welche unter der französischen Okkupation am meisten gelitten und für die, Preußen nach Jena auferlegten Erniedrigungen am lebendigsten das Gefühl der Vergeltung bewahrt haben. Diese verfolgen Frankreich in blindem Haß, welcher trotz Allem anhält. Wenn ihre Väter auch weimal in Paris eingezogen sind, sehen sie sich nicht als gerächt an, n, brennen vor Sehnsucht, Frankreich zu demüthigen und u vernichten. Die zweite Gruppe ist die zahlreichste. Sie begreift Alle, bei welchen die ebenbezeichneten Gefühle, jedoch gewissermaßen abge⸗
schwächt, vorhanden sind. Sie haben ebensowenig, wie die ersteren,
Frankreich die Erniedrigungen verziehen, welche es Preußen angethan hat, aber bei in n begrenzen sich Haß und Neid. Man könnte rich tiger sagen, daß sie Frankreich nicht lieben, sondern auf dasselbe eifer⸗ süchtig sind — Die Preußen der dritten Gruppe . ebenfalls sehr zahlreich. Sie bestehen größtentheils aus Geschäftsleuten, Handel- treibenden oder solchen Leuten, welche ihre Geschäfte an dem Groll und den Elfersüchteleien von Volk zu Volk theilnahmlos macht. Sie tragen keine Antipathie, kein Uebelwollen in Rücksicht auf Frankreich zur Schau; sie würden selbst zufrieden sein, mit Frankreich in gutem Einvernehmen zu leben; aber in ihrer Eigenschaft als Preußen sind sie eifersüchtig auf die Größe ihres Landes, voll Verlangen, es seine Mission (nach dem in Preußen gebräuchlichen Ausdruch das heißt die deutsche Einigung erfüllen zu sehen, und von dem Gesichtspunkt aus ist ihnen Frankreich wenigstens unbequem, da ek allein sich der Aus- führung ihrer Vorsätze entgegenstemmt.
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Dies erkläri, wie diese dritte Fraltion des preußischen Volks bei seiner, rücksichtlich unser, besseren Stimmung, sich indeß von einem Gefühle der Unruhe und des Mißtrauens beseelt fühlt. Die vorstehenden Würdigungen, welche ich für richtig halte, ergeben, daß Frankreich heute, fern davon, irgendwelche Sympathie in Preußen zu erwecken, im Gegentheil daran ist, ein Gegenstand des Hasses für die Einen, des Neides für die Anderen, des Mißtrauens und der Unruhe für Alle zu werden. Ich bleibe hauptsächlich bei diesem allgemeinen Gefühl der Unruhe und des Mißbehagens stehen, welches uns heutzutage ganz Preußen entfremdet hat, und die unheilvolle Folge der Ereignisse von 1866 ist. Das Mißbehagen darüber ist vielleicht tiefer als in Frantreich; Jeder fühlt in einer mehr oder weniger unbestimmten Art, daß der gegenwärtige Stand der Dinge nur ein vorübergehender ist; Zweifel und Furcht wohnen in allen Gemüthern; die Geschäfte erlahmen, der Marasmus herrscht überall. Das allgemeine Gefühl, welches daraus hervorgeht, giebt sich in etwa den Ausdrücken kund: Alles dies würde sich ändern, wenn Frankreich sich nicht in unsere Angelegen—⸗ heiten mischen wollte. Und dann häuft man hundert Anklagen gegen Frankreich; man wirft demselben die während des Waffen stillstͤndes 1866 gespielte Rolle vor, als es Preußen an der Diktirung des Friedens in Wien hinderte, seine, durch die Erfolge
der preußischen Armee erweclte Eifersucht, seine unbegründete Empfind⸗
lichkeit, seine angeblichen Armirungen, seine Anmaßung, sich in die Angelegenheiten fremder Länder zu mischen. Diese Stellung darf kein Erstaunen hervorrufen, denn sie ist durch die Ercignisse und die Eifer⸗ sucht beider Völker nothgedrungen erzeugt. Aber ich habe mich bestrebt, ihren Charakter genauer zu bestimmen, um besser darzulegen, daß sie unaushleihlich zum Kriege führen wird.
Die Personen, welche in Frankreich oder anderwärts ein Einver— ständniß als möglich ansehen, kennen vielleicht den preußischen Cha— rakter nicht recht oder rechnen mit demselhen nicht genugsam ab. Man darf jedoch nicht leugnen, daß der Charakter beider Volker Rivalen, ihre Tugenden und ihre Fehler wichtige Grundlagen für die Vorausbestimmung des Urtheils abgeben, ob aus einer bestimmten Lage Frieden oder Krieg eatquillen werden. Es ist hier wie bei zioei Individuen, welche wegen einer Prozeßsache zum Vergleich oder zur Klageanstrengung kommen, je nachdem der Eine oder der Andere dies oder jenes Temperament, diese oder jene Fehler oder Tugenden hat. Dann ist das preußische Volk ganz ebenso empfindlich als das fran—⸗ zoͤsische, ganz ebenso stolz, mehr von stinem eigenen Werth durchdrungen; es ist thatkräftig, zähe, ehrgeizig, schätzenswerther und tüchtiger Tugen— den voll , aber ungelenk, ziemlich anmaßend und aller Großmuth baar. Und dies Volk hat es unternommen, die Frage der deutschen Einheit, was es auch koste, zu lösen, wenn Frankreich darin nicht will gen kann und will. Und dieser so ernste Streit hat sich zwischen zwei gleich empfindlichen und stolzen, ehrgeizigen und mächtigen Nationen, welche sich als Erbfeinde ansehen und sich einander Anfang dieses Jahrhun⸗
derts die blutigsten Beschimpfungen zugefügt haben, angesponnen;
zwischen zwei Ngtionen, welche Alles trennt, Sprache, Religion, Richtung, Charakter! Wie ist hiernach noch eine Möglichkeit des Einvernehmens unter ihnen zu hoffen! Nur ein empfindsamer Staatsmann oder ein Träumer ohne alle Kenntniß des Spiels der menschlichen Leidenschaften kann eine solche Hoffnung hegen! Man muß sich also darauf gefaßt machen: der Zusammenstoß wird an dem oder jenem Tage / furchtbar und heftig, erfolgen. ;
Es ist nicht wahrscheinlich, daß er über die Frage der deutschen Einheit selbst entsteht, so lange wenigstens Herr v. Bismarck die Geschäfte des Bundes leitet. Dieser hervorragende Mann, ein merk— würdiges Urbild des vollkommensten Gleichgewichts zwischen Verstand
und Willenskraft, wird keinen Fehler, dafür kann man sicher sein,
aus Ungeduld begehen. Er weiß zu gut, daß die Zeit sein sicherster Bundeggenosse ist, und daß er in einem Krieg mit Frankreich Gefahr liefe, sein Werk von 1866 zu gefährden. Bel einer kürzlich gehabten Unterhaltung setzte er mir in einem Gespräch voll Wohlwollen die Gründe auseinander, welche Preußen verbieten, weder den Krieg ervorzurufen, noch zu wünschen, und endigte mit den Worten: ir werden Ihnen nie den Krieg erklären, Sie müßten denn mit Gewehrschüssen auf Schritiweite an uns heran kommen?! — Der Ernst der Lage ruht also nicht in der Frage der deutschen Einheit, aber wohl in der gegenseitigen Haltung, in welche diese Frage Frankreich und Preußen gebracht hat, eine Haltung, welche Mißtrauen, Eifersucht, überreizte Empfindlichkeiten charakterisiten, und welche diese Mächte gezwungen bewahren werden, so lange der Streit dauert. Diese Lage kann sich ja nur verschlimmern; das allgemeine ö. wird mehr und mehr in derselben Zeit zunehmen, als Mißtrauen und Eifersucht von einer oder der andern Seite wachsen. Man ö dieser Stimmung besser Rechnung, wenn man in Preußen wohnt. Schon heute sind die Dinge auf dem Punkte angelangt, daß der dem Anschein nach einfachste Borfall oder das unbedeutendste Ereigniß einen Bruch herbeiführen kann. Mit andern Worten: Der Krieg hängt an einem Faden. Wie der Fall auch sei, die flachen Köpfe werden ihn als Ursache des Krieges ansehen, aber diese Ursache liegt viel tiefer und ist viel verwickelter. Die gegenseitige Feindseligkeit beider Völker, eine Feindseligkeit, welche stets wächst, kann man einer reifenden Frucht vergleichen, und der Fall, aus welchem der Bruch
- y, wird, wird dem zufälligen Stoß ähneln, welcher die zur
eife gelangte Frucht vom Baum schüttelt. 2) Preußen hat nicht die Absicht, anzugreifen. . Ich habe bereits erwähnt, daß Preußen keineswegs beabsichtigt, Frankreich anzugreifen und im Gegentheil Alles thun wird, was sich mit seiner Ehre verträgt, um den Krieg zu vermeiden. Ich weiß wohl, wie sehr diese Meinung von den Gesinnungen abweicht, deren Verbreitung in Frankreich durch Leute von unzuverlässigem Urtheil überhand nimmt, duich Leute, welche Preußen keineswegs kennen und welche ihre eigenen Leidenschaften und Wünsche denen eines ganzen
Volkes unterlegen und aus den nichligsten Redereien ihre Ueberzeu⸗ gung bilden.
Wenn dergleichen Personen sich die Mühe geben wollten, nach Preußen zu gehen und die Lage der Dinge dort ohne Heiden schaft und ohne jegliche Parteinahme zu untersuchen, würden sie gewiß anderer Ansicht werden. Was hat man nicht gesprochen und was spricht man nicht nech über Preußens Ehrgeiz, über seine Anmaßung und seine ungeheuren milltärischen Vorbereitungen)
Preußen ist in der That ehrgeizig, auch mangelt es ihm nicht an Anmaßung und seine militärischen Vorbereitungen sind wirklich groß- artig. Weshalb aber schließt man hieraus ohne jeglichen gegründeten Beweis, daß diese Vorbereitungen einen beabsichtigten Angriff kenn⸗ zeichnen? Hier bietet sich wieder ein Fall, nochmals diese verab- scheuenswerthe Unwissenheit betlagen zu müssen, in welche die un⸗ geheure Mehrzahl der französischen Bevölkerung versunken ist, denn sie ist, es wird sich zeigen, die Quelle unserer sämmtlichen Irrthümer.
Wie groß war vor 1866 die Zahl derjenigen Franzosen, welche gesucht hätten, sich um Deutschland zu bemühen ober sich über die deutschen Angelegenheiten zu unterrichten? War und ist nicht der Rhein für uns Alle noch immer wie eine zweite »Mauer des chinesi⸗ schen Reiches⸗? Und dennoch schreiben und besprechen Journalisten, Schriftsteller und Andere, die sich nicht einmal in Deuischland auf— gehalten und weder seine Beschichte, noch seine Einrichtungen studirt hahen, bis zum Ekel über allerhand Dinge, bilden darüber Urtheile und beherrschen auf diese Weise ein Publikum, das noch unwissender ist, als sie selber. Sie haben es nicht daran fehlen lassen, in der militärischen Thätigkeit, welche heutigen Tages in Preußen herrschend ist, Kriegsrüstungen zu erblicken, ohne zu ahnen, daß eben diese Thä⸗— tigkeit sich schon seit lange herschreibt; daß man sie nur fortdauern läßt, und daß sie von dem Leben der Nation untrennbar ist.
Die einzige Wahrheit liegt vor, daß die Nation sich gegenwärtig zu einer bedeutend höheren Stufe entwickelt, was eine Folge der Arbeit ist, der sich Preußen zu unterziehen genöthigt sah, um die drei annektirten Provinzen mit sich auf gleiche Höhe zu stellen. Ich erkläre mich:
Vor 1866 war die französische Bevölkerung über Alles, was sich auf die Organisirung der preußischen Armee und das kriegerische Empor⸗ steigen bezog, zu welchem der König gegen 1860 die ganze Nation fort⸗ gerissen hatte, vollständig in Unwissenheit. Die neugeschaffene und in beträchtlichem Maße vermehrte Armee; die in der ganzen Fülle in Kraft tretende Wehrpflicht, welche Preußen eine Stärke von 600000 Mann siehender Truppen verlieh; die Verbesserung der meisten Dienst-⸗ zweige; die angestrengten Arbeiten der Kommission, die jährlichen großartigen Herbstmanöver, die Reserve⸗ und Landwehr⸗Exercitien, die Genehmigung eines neuen Mobilisirungsplans der Armee und die Annahme eines in Stahl konstruirten Hinterladungsgeschützmaterials für die Artillerie, die unaufhörlichen Erfahrungen im Gebiete der Feld- Artillerie, mit einem Wort, eine unermeßliche militärische Thätigkeit — war das nicht Alles in Frankreich fast unbekannt?
Es gestalteten sich die Ereignisse von 1866; es war nicht mehr er⸗ laubt, Preußen zu ignoriren, und das französische Publikum fing an, sich darüber zu unterrichten. Wie jedoch leicht vor— auszusehen war, glauhte es, daß Alles, was es erfuhr, neu wäre und seit 1866 datire. Den damals herrschenden Gefühlen gegen= seitigen Mißtrauens, welche die Ereignisse des nämlichen Jahres zwi— schen beiden Völkern gesä't hatten, war es zu danken, daß die fran— zösische Bevölkerung ganz in der Stimmung war Preußens militä— rische Thätigkeit, diese Thätigkeit, deren es zum ersten Mal erwähnen hörte, als gegen Frankreich gerichtet und als Angriff ansah. Diese militärische Thätigkeit, welche eben nur fortgesetzt ward, diese, um nicht durch die . überrascht zu werden, beständig der Armee gewidmeten Sorgen, die großartigen Manöver, die zahlreichen Uebun⸗ gen jeder Art, nannte das Volk: Vorbereitungen zum Kriege die getroffen würden, um Frankreich zu überfallen.
Indessen ist es hier am Platze, einen Umstand anzuführen, der zu seiner Täuschung beigetragen. Im Jahre 1866 hat Preußen Hanno⸗ ver, Schleswig-Holstein und Hessen⸗Cassel, Rassau und Frankfurt annektirt, die weder seine militärische Organisation noch seine Reglements, noch seine Infanterie⸗ Bewaffnung, noch sein Mattrial der Artillerie, besaßen. Nun hatte es diese Dinge in diesen Provinzen einzuführen. Stelle man sich recht vor, welche Zeit und welch' umfangreiche Arbeit solch eine derartige Erhebung auf gleiche Stufe erfordert, ist es da nicht ganz natürlich, daß Preußen darum zu thun war, so rasch als möglich damit fertig zu werden? Außerdem hatte es mit Bayern, Württemberg und Baden Bundesverträge zu gemeinsamer Defenstve geschlossen, in Folge deren sich diese Staaten verpflichtet fanden, die preußische Organisirung, Militär Reglements und Bewaffnungsweise mehr oder weniger einzuführen; das ist wohl noch eine Thatsache, die zu erwägen von Interesse wäre um die Ursachen der überhandneh⸗ menden militärischen Thätigkeit, deren Schauplatz heute ganz Deutsch⸗= land ist, richtig zu begreifen.
3) Preußens Scharfblick.
Wenn es nun aber auch wahr ist, daß Preußen in kei- ner Weise den Hintergedanken eines Angriffs nährte, ist es doch ebenso wahr, daß sein militärisches Schaffen durch die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit Frankreich, oder richtiger durch den allgemeinen Glauben, daß dieser Krieg unvermeidlich und eine Fügung des Schicksals sei, aufs Höchste angespannt wurde. Ich will eingehender von dem betrübenden Gegensatz sprechen, welchen einerseits dieser Scharfblick Preußen, im Verein mit der daraus fol⸗ genden Wachsamkeit, andererseits Frankteichs Verblendung und Sorg-= losigkeit darboten, welche die Erkenntniß desselben, daß Ler Krieg als Fügung des Geschickes bevorstehe, und daß jede andere Angelegenheit dieser Hauptsache untergeordnet werden müsse, verhinderten.
Ich habe bereits meine Meinung in Betracht der Fälle des Zu⸗