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2 * sammenstoßes ausgesprochen, indem ich sagte, daß unfehlbar der Krieg früher oder später ausbrechen werde, ich konnte mich daher nicht wun⸗ dern, dieselbe hier von vielen Leuten getheilt zu sehen, und muß mich, wie Jeder, der sein Vaterland liebt, nur über den Scharfblick unserer künftigen Feinde betrüben. —
Preußen, sagte ich bereits, glaubt sich 26 berufen, eine Mission zu erfüllen, nämlich die die Einheit des Deutschen Reiches herzustell en, und es hat den festen Willen, sich derselben zu widmen. Außerdem ist ihm wohl bekannt, daß dieses Vorhaben Frankreich nicht gleich- gültig lassen kann, daß seine Erfolge von 1866 das Mißbehagen seiner ehemaligen Feinde erweckt, und die Gefühle gegenseitigen Miß- trauen einen folchen Grad erreicht haben, daß der Bruch durch den leisesten Zufall herbeigeführt werden könne. Da nun diese Nation ernst und wachsam ist, ist sie sorgfältig auf ihrer Hut, um an dem Tage, an welchem der Konflikt ausbrechen wird, nicht überrascht zu werden, wie sie gleichermaßen entschlossen ist, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln den Kampf mit uns aufzunehmen,;
Baher diese Verdoppelung militärischer Thätigkeit von ganz Preußen; daher diese Eile, so schnell als möglich seine drei neuen ÄUrmee-Corps und auch das von Sachsen, wo es seine Organisirung, seine Reglements und seine Bewaffnungsweise einführte, mit sich auf gleiche Siufe zu stellen; daher diese Ausgaben, diese Verbesserungen in jeder Beziehung, Früchte der 1866 gemachten Erfahrungen / daher diese kostspieligen Uebungen jeder Art; daher diese Ausgaben und bedeuten⸗ den Anstrengungen, sich eine tüchtige Seemacht zu schaffen.
Das müssen wir uns gesagt sein lassen: wir werden Preußen nicht Überrumpeln. Seine militärische Organisirung, welche ihm er— laubt, an unsere Grenzen in 20 bis 25 Tagen mehrere Armeen von je 106000 Mann zusammenzuziehen, die Wachsämkeit der Regierung, welche diese Anordnungen leitet, sein Glaube an die Wahrscheinlich⸗ keit eines Kampfes bis zum Aeußersten gegen Frankreich sind bin reichende Gründe, um es zu der Stunde, in welcher der verhängniß⸗= volle Konflikt ausbrechen wird, vollkommen bereit zu finden.
Frankreichs Mangel an Scharfblichk. Unheilvolle Folgen desselben. . .
eigt nun ear e. unter diesen ernsten Umständen denselben Scharfblick wie Preußen? Leider nein! Und besonders traurig ist, daß Niemand zu sagen wüßte, wann die unheilvolle Verblendung, von welcher Frankreich betroffen ist, ihr Ende finden wird. Während demnach ein furchtbarer Krieg sich ankündigt und von einem Tag zum andern auszubrechen droht, erkennt unser ernstlichster Gegner aufs Klarste diese schreckenvolle Moglichkeit. Er lauert auf den Augen⸗ blick des Kampfes, obwohl er diesen nicht wünscht; er ist bereit, ihn
aufzunehmen mit den ganzen mannhaften Theilen der Nation, mit
einer Million der disziplinirtesten, kriegsgeübtesten und am stärksten
organisirten Soldaten, die es giebt; — und in Frankreich, wo vierzig
Millionen Menschen insgesammt überzeugt sein sollten so gut wie
das preußische Volk, daß der Krieg ein ungusweichliches Verhängniß
und vom nächsten . gusal abhängig ist, wo alle Sorgen vor o
der einen zurücktreten ten, wie der Staat zu retten sei, — in Frankreich zählt man kaum einige vereinzelte ersonen, welche sich von der Lage eine klare Vorstellung machen und ein Bewußtsein haben von der ungeheuren Gefahr, die sie mit sich führt. .
Der vornehmste Grund meiner Befürchtungen ist eben dieser guf⸗ allende Gegensatz zwischen dem Scharfblick Preußens und der Ver⸗ lendung Frankreichs. Die Nationen wie die Einzelnen können zur
Abwendung einer Gefahr nur dann die erforderlichen Anstalten treffen, wenn sie das volle Bewußtsein derselben haben; im entgegen ⸗ gesetzten Fail bleiben sie unthätig und setzen sich dabei den grausam⸗ sten Enttäuschungen aus. So sehen wir, wie Preußen alles Andere der Lebensfrage der Vorbereitung auf den Krieg unterordnet und sich beständig gewärtig hält, mit den gewaltigen Streitkräften, über welche es gebietet, in die Schranken zu treten, während Frankreich sich mehr und mehr schwächt als ob es sich um seine eigene Sicherheit nicht kümmerte. Beim Anblick eines solchen Schauspiels kann man sich nicht erwehren, laute Klage zu führen über diese unselige Un⸗ wissenheit und diesen verdammenswerthen Dünkel, welche uns die Einsicht verschließen in das, was Preußen so klar erkennt: die ver⸗ hängnißvolle Nothwendigteit des Krieges. .
Der Gegensatz, welchen die beiden Länder darbieten, findet sich leider überall wieder: in den Kammern, in der Presse, wie in der moralischen Haltung der beiden Nationen. .
In den preußischen Kammern begegnen sich die verschiedenen Par⸗ teien; wie getheilt sie immer über Fragen der inneren Politik sein mögen, in einem und demselben Gedanken gegen Frankreich und gegen das, was sie unsere Ehrsucht nennen oder unser Gelüsten, uns in die deuischen Angelegenheiten einzumengen. Alle, von einer glühenden Vaterlandsliebe beseelt und voll scharfblickenden Mißtrauens, opfern die Gefühle der Partei Gegnerschaft und unterstützen oder ermuthigen die Regierung in ihren Bestrebungen, furchtgebietende Streitkräfte zu organistren, eine mächtige Flotte zu schaffen und im entscheidenden Augenblick bereit zu sein.
Was sehen wir dagegen in Frankreich? Eine Kammer, die sich rühmt, das Land zu vertreten und die auch in der That durch ihre Unbeständigkelt und Leichtfertigkeit das getreue Ahbild desselben sein mag, wie z. B. das dieser Kammer zu dankende Gesetz über die me— bile Nationalgarde beweist, sowie die eigensinnige Verblendung, mit welcher dieselbe die Wolke nicht sehen will, welche von Deutschland her sich immer dichter zusammenballt und sich zu entladen droht; eine Majorität, beinahe ganz aus Mittelmäßigkeiten bestehend, aus Leuten ohne Charakter, ohne Adel der Gesinnung und ohne jegliche Kenntniß der Dinge, welche dem Gesetzgeber unentbehrlich sind; eine Opposition, beherrscht von eitlen und ehrgeizigen Advokaten, welche keinen andern Patriotismus besitzen, als ihre gehässigen Anschuldigungen und ihre Perechneten Vergeltungspläne, welche ihre Unfähigkeit und Ohnmacht
mit rhetorischen Floskeln zu verdecken suchen, dabei eine Miene an- nehmen, als ob ihnen allein die Interessen des Landes am Herzen lägen und doch, um eine wohlfeile Popularität zu erhaschen die Re⸗ gierung wegen eines jeden Soldaten oder Thalers kritteln, Leute, die man nur verabscheuen könnte, wenn sie sich ihres schuldvollen Beneh⸗ mens bewußt wären; denn indem sie Frankreich zu schwächen suchen, verrathen sie das Land an seinen furchtbarsten Feind. Auf derlei Leute passen so ganz die Worte eines Kriegsmannes: »Neue Thersites sind sie beißend mit der Rede, aber schwach an Herz und Arm, geeig- neter zu schwätzen als zu kämpfen.
2. . nämlichen Gegensätze finden sich in der Presse der beiden
nder.
Während die preußische Presse nichts versäumt, um gegen Frank- reich Haß und Neid zu erregen; während dieselbe weder vor Beschim⸗ pfungen, noch vor Verleumdungen zurückschrickt und sich einmuthig zeigt, um im Publikum alle franzosenfeindlichen Leidenschaften zu unkerhalten, indem unser Land als der einzige unversöhnliche Feind Deutschlands dargestellt wird, während diese Presse mit ihrem ganzen Einfluß die Regierung bei Ausführung der Maßnahmen unterstützt, wodurch dieselbe sich für alle Vorkommnisse in Bereitschaft setzt, — was sehen wir dagegen in Frankreich?
Dort ist eine Presse, deren Organe größtentheils von der Gefahr der Lage keine Ahnung haben, unaufhörlich beschäftigt, die Grundeinrichtungen des Landes zu erschüttern. Wir sehen diese Blätter bemüht, Zuchtlosigkeit und Entsittlichung in der Armee zu verbreiten, ja, sie gehen in der Verirrung so weit, daß sie eine Ver⸗ minderung des Präsenzstandes oder eine Entwaffnung verlangen, während Frankreich alle seine Kräfte, seine ganze Thatkraft und die Einigkeit aller Parteien nöthig hätte, um einen Kampf aufzunehmen, der vielleicht nahe bevorsteht, in jedem Fall aber furchtbar sein wird.
Wenn man nunmehr die sittlichen Zustände beider Länder be⸗ trachtet, so muß man anerkennen, daß dieses so scharfblickende, so wachsame und der Aufgabe, die es sich gestellt, so bewußte preußische Volk zugleich das am meisten unterrichtete and disziplinicte in Europa ist; daß es voller Saft, Thatkraft und Patriotismus ist, noch nicht verdorben durch das Bedürfniß materieller Genüsse; daß es sich warme Ueberzeugungen und die Achtung vor allem Achtungswerthen bewahrt hat.
Welch ein betrübender Gegensatz! Frankreich hat über Alles ge— lacht und das Ehrwürdigste findet daselbst keine Achtung mehr. Die Tugend, die Familie, die Liebe zum Vaterlande, die Ehre, die Religion werden einem leichtfertigen und zweifelsüchtigen Geschiecht als Gegen stände des Spottes dargestellt. Die Theater sind Schulen der Scham= losigkeit und Unfläthigkeit geworden. Ven allen Seiten träufelt das Gift, Tropfen um Tropfen, in die Organe einer unwissenden und entnervten Gesellschaft, die weder die Einsicht noch die Thatkraft be— sizt, um sich bessere, auf Recht und Gerechtigkeit gegründete Einrich- tungen zu geben, die dem Geist unserer Zeit angemessen, aber vor Allem geeignet wären, sie unterrichteter und sittlicher zu machen. So schwinden allmälig alle schönen Eigenschaften der Nation dahin; der Edelmuth, die Loyalität, der Zauher unseres Geistes und der Schwung der Seele verlieren sich, so daß diese edle französische Race sich bald nur noch an ihren Fehlern wiedererkennen wird. Und unterdessen bemerkt Frankreich nicht, wie ernsthaftere Nationen ihm auf der Bahn ö Fortschritts vorkommen und es auf den zweiten Rang zurück=
rängen. ;
An dieser meiner Darstellung würde man in Frankreich ohne Zweifel wenig Geschmack finden und doch ist dieselbe nichts als der Uusdruck der Wahrheit. Ich wünschte, daß aufgeklärte und von jedem Vorurtheil freie Franzosen nach Preußen kämen und dieses Land studirten. Sie würden da alsbald eine ernste, derbe und starke Nation erkennen, die allerdings jedes Reizes, jeder zarten und edlen Empfindung, aller der Eigenschaften, die man anziehend findet, ent- behrt, aber dafür mit den achtharsten Tugenden ausgestattet ist, mit der Liebe zur Arbeit und zum Studium, einem unermüdlichen Fleiße, dem Sinn für Ordnung und Sparsamkeit, mit Patriotismus, Pflicht. gefühl und dem Gefühl für personliche Würde, mit welchem sich Ächtung vor der Autorilät und Gehorsam gegen die Gesetze verbinden.
Sie würden ein vortrefflich verwaltetes Land erblicken, dessen Regierung auf festen, gesunden und sittlichen Institutionen beruht, wo die höchsten Stände sich ihres Ranges würdig zeigen und den ihnen
ebührenden Einfluß bewahren, und wo sie zugleich am meisten aufgeklärt ind, mit dem Beispiel patriotischer Aufopferung voran gehen und sich unablässig dem Dienste des Staates widinen; ein Land endlich, wo jedes Ding an seinem Platze ist und wo in allen Gliedern des gesellschaftlichen Körpers die vollkommenste Ordnung herrscht. Viel- leicht würden die Beobachter Preußen unwillkürlich mit einem Staunen erregenden, aber stark massiven Gebäude vergleichen, das fest gefügt vom Grunde bis zum Giebel und in welchem jede einzelne Lage in der Weise
angebracht ist, wie es für die Dauerhaftigkeit des Ganzen am meisten
geelgnet, ein Gebäude, das man wegen seiner meisterhaften Anord- nung bewundert, an dem aber freilich nichts dem Auge lieblich erscheint, noch in irgend welcher Hinsicht das Gefühl anregt.
Welcher Gegensatz zu der Unordnung, welche in den gesellschaft= lichen Zuständen Frankreichs herrscht, wo Alles gemischt, gemengt und durcheinander geworfen ist; wo, unter dem Vorgeben, daß Jeder das Recht hat, auf die höchsten Stellungen Anspruch zu machen, man bei der Beurtheilung oder Verwendung eines Mannes ganz und gar das so nothwendige Gleichgewicht zwischen Bildung, Sittlichkeit und Wissen außer Acht läßt, was dann zur Folge hat, daß die ehrenvoll sten und angesehensten Aemter und Stellen einestheils ungebildeten Leuten zufallen, die ein gewisses spezielles Talent haben, oder andern⸗ theils unwissenden Menschen, die ihre Ansprüche nur durch ihre ge= sellschaftliche Stellung und vielleicht einige welimännische Gewandt. heit begründen können. Ein unheilvolles und auflösend wirkendes
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Verhältniß! Daher findet man auch in Frankreich mehr als irgend= wo jene neiderfüllten Menschen ohne festen gesellschaftlichen Halt, jene aus ihrer Bahn geworfenen Geister, die ihren wahren Lebensweg suchen, aber nicht finden können.
In dieser Hinsicht ließen sich unsere so verworrenen gesellschaft— lichen Zustände im Gegensatz zu den preußischen mit einem der archi⸗ tektonischen Meisterwerke des alten Griechenlands vergleichen, das durch ein Erdbeben bis in seine tiefsten Grundlagen erschüttert, jetzt nur noch in zusammenhangslosen, durch einander geworfenen Trum mern daliegt. Der Wanderer bewundert noch die prächtigen oder an⸗ muthigen Stücke, welche auf dem Boden umherliegen, es ist aber ein Anblick, der, wenn er auf den Geist seinen Zauber nicht verfehlt, zu—
gleich das Herz mit Trauer erfüllt.
Wie wäre es möglich, nicht tief betrübt zu sein über diese Gegen⸗ sätze wenn man, wie ich, von der Unvermeidlichkeit des Krieges üper— zeugt ist! Und man darf nicht vergessen, daß in diesem Kriege Preußen oder genauer gesprochen der Norddeuische Bund über eine Mihion unterrichteter, disziplinirter und stark organisirter Soldaten verfügen wird, während Frankreich kaum 3. bis 460,000 zählt. Ueberdies ent- halten die Heere des Bundes den ganzen mannhaften Theil, die ganze Intelligenz und alle lebendigen Kräfte einer Natton, die von Zuver— sicht, Thaitraft und Vaterlandsliebe erfüllt ist, während die franzoöͤ⸗ siche Armee fast ausschließlich aus dem unwissendsten und ärmsten Theil der Nation zusammengesetzt ist. Das deutsche Heer wird eben in Folge des Umstandes, daß es den ganzen mannhaften Theil des Volkes, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Stellung, umfaßt, sich durch die Achtung und das Ansehen ohne Gleichen unterstützt und gestärtt fühlen, deren es im Lande genießt, während das französische Heer, von den Einen als eine unnütze Einrichtung betrachtet, von den An— dern, welche darin Verderbniß und Zuchtlosigkeit zu verbreiten streben, in seinem Bestand erschüttert, durch den gänzlichen Mangel an Achtung niedergedrückt wird und fast ganz ohne Bewußtsein der Aufgabe dahinlebt, welche es zu erfüllen hat.
Ich mache ein letztes Mal auf diesen auffallenden Gegensatz auf merksam, welchen die militärischen Kräfte der beiden Nationen und die Nationen seihst darbieten. Ich kann nicht verhehlen, daß derselbe für mich und einige Franzosen, welche den Krieg als unvermeidlich betrachten und Berlin bewohnen, den Gegenstand unserer schmerzlich sten Besorgnisse und beständiger Trauer bildet.
Ich würde aus dem Rahmen meiner Befugnisse heraustreten, wollte ich die großen Maßnahmen angeben die geeignet wären, solchen beklagenswerthen Zuständen abzuhelfen. Aber wie sollte man nicht betroffen sein über diese sittliche Auflösung, die in Frankreich entsetz= liche Fortschritte macht, und wie ließe sich verkennen, daß die Erstar⸗ rung, in welcher das französische Volk lebt, sowie sein verblendeter Dünkel es hindern, zu einer Einsicht in das Uebel zu gelangen?
Es wäre Sache der Regierung, die unumgänglich gewordene Ar⸗ beit einer vollständigen Regeneration auf sich zu nehmen und dieses edle Bestreben könnte ihr nur dann glücken, wenn mehrere unserer wesentlichsten staatlichen Einrichtungen von Grund aus abgeändert oder besser durch andere ersetzt würden, welche geeignet wären, die Bildung und Sittlichkeit des Volkes zu fördern und männliche Tu— genden in demselben zu entwickeln.
Unter diesen, die Wiedergeburt des Volkes anbahnenden Einrich—⸗ tungen würden, wie das Beispiel Preußens zur Genüge beweist, zwei in erster Linie kommen: die allgemeine Wehrpflicht und der Schul- zwang.
Um nur von der allgemeinen Wehrpflicht zu sprechen, so muß man vor Allem sich fragen, ob das französische Volk die erforderlichen Eigenschaften besitzt, um dieselbe anzunehmen und durchzuführen. Die Antwort lautet leider entmuthigend. Von Eigendünkel erfüllt und durch Selbstsucht verkehrt würde das Volk kaum sich einer Einrich- tung anbequemen, von deren kräftigender und fruchtbarer Wirkung es keine Ahnung hat und deren Durchführung Tugenden erfordert, die es nicht besitzt: Aufopferungsfähigkeit, Selbstverleugnung und Pflichtgefühl Gleich den einzelnen Menschen, welche sich im Leben nur durch die harten Lehren der Erfahrung bessern lassen, kommen auch die Völker zu einer Verbesserung ihrer staatlichen Einrichtungen erst, nachdem sie in grausamen Prüfungen deren Nothwendigkeit haben erkennen müssen Preußen hat Jena gebraucht, um in sich zu gehen und ein Gefühl der Nothwendigkeit, sich in gesunden und männlichen Institutionen zu verjüngen, um den Grundsatz der allgemeinen Wehr⸗ pflicht für alle Bürger anzunehmen. Und, im Vorbeigehen gesagt, man darf wohl behaupten, daß, wenn Preußen diese Einrichtung nicht be⸗ . besäße, es heute unmöglich wäre, dieselbe zur Durchführung zu ringen. t
Frankreich hat sich seit fünfzig Jahren ein einziges Mal in Um— ständen befunden, welche der Aufnahme der allgemeinen Wehrpflicht unter seine staatlichen Einrichtungen günstig waren. Es war dies im . 1848, wo Dank der durch die Februarrevolution erzeugten
deenbewegung die Nationalversammlung sich in einer ausgezeichneten Tage befand, um durch Annahme der allgemeinen Wehrpflicht zu zeigen, daß sie die Prinzipien der Gleichheit, die man so geräuschvoll , wirklich und ernsthaft zur Anwendung gebracht sehen wollte.
Sie machte auch nach dieser Richtung hin einen Versuch, indem sie den häßlichen wunden Fleck unseres Heeres, die militärische Stell= . beseitigen wollte. Eine Kommission wurde ernannt, deren Berichterstatter der General von Lamoricisre war. Aber die Mehr⸗ heit der Versammlung, beherrscht von den selbstsüchtigen und kleinlichen Anschauungen der Bourgeoisie, brachte den Gesetzvorschlag zu Falle,
und ich zaudere nicht, es offen auszusprechen; die Männer / welche Frankreich gehindert haben, schon im Jahre 1849 eine Bahn einzu- schlagen, welche später zur Annahme der allgemeinen Wehrpflicht mit Allem was dieselbe für die sittliche und intellektuelle Entwickelung eines Volkes Fruchtbares mit sich bringt, geführt hätte, haben auf die Geschicke des Landes einen unheilvollen Einfluß ausgeübt.
Berlin, 12. August 1869. Baron Stoffel.
Landwirthschaft.
Berlin, 14. März. Der bleibende Ausschuß des Landes Oekonomie ⸗ Kollegiums beschäftigte sich in seiner vierten Sitzung mit der weiteren Berathung der Vorlage in Betreff der statistischen Aufnahmen über die Anbauverhältnisse, Ernte- Erträge, Thierzucht, Jagd und Fischerei. Die Diskussion bezog sich zunächst auf den zweiten Theil der Vorlage, welche die Statistik der Ernte ⸗Erträge be⸗ trifft. Hierbei wurde folgende Frage, welche die Kommission in ihrem Berichte aufgestellt hatte: »Sollen mit Benutzung der Anbautabellen und zwar durch dieselben Organe, welche die Anbaurabellen hergestellt haben, Echebungen über die Ernte Erträge stattfinden?« verneint und hiermit die weitere Beschlußnahme über diesen Theil des Kommissions⸗ referats beendigt — In Betreff des dritten Theils der Vorlage, welcher von der Statistik der Viehzucht handelt, wurde beschlossen:
I) Die bisherige Tabelle für ausreichend zu ertlären; Y die Hunde zu streichen; 3) Federvieh nicht aufzunehmen; 4 als Termin der Zählung den 1. Juni zu empfehlen; 5) die Aufnahme in fünfjährigen Perioden zu befürworten; 6) die Frage; ob in den Fragen nach dem Viehstande auch die nach Größe der Fläche, auf welcher das Vieh lebt, mit aufgenommen werden soll, zu verneinen, dagegen 7 den Vorschlag der Kommission, die Zählung durch Fragen von Haus zu Haus zu empfehlen, anzunehmen.
Als Referent hatte der Landschaftsrath Richter- Schreitlaken fun⸗ girt. Derselbe übernahm die Berichterstattung des Ausschusses an den Minister. — Hierauf referirte der Landes⸗Deputirte Elsner von Gronow über die Vorlage des Ministers der landwirtbschaftlichen Angelegenheiten, betreffend die Einführung des Gewichts⸗Verkehrs im Spiritushandel und eines demselben entsprechenden Alkoholometers statt des Volumen ⸗Alkoholometers. In Betreff dieser Vorlage ist vor- auszuschicken, daß der Minister für Handel ꝛc. durch folgendes Schrei- ben an den Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten
die Frage angeregt hat:
Auf gegebene Veranlassung hat sich die Normal -⸗Eichungs⸗Kom⸗ mission des Norddeutschen Bundes neuerdings mit der Frage beschäf⸗ tigt, ob es sich empfiehlt, an Stelle der jetzt vorgeschriebenen Alkoholo⸗ meter nach Tralles solche einzuführen, welche den Alkoholgehalt wein⸗ geistiger Flüssigkeiten nicht nach dem Volumen, sondern nach dem Gewichte angeben, und zugleich die Herstellung zweckmäßiger Hülfs— mittel ins Auge gefaßt, um auch bei dem weiteren Gebrauch des Volumen⸗Alkoholometers die Berücksichtigung der Volumen ⸗Schwankun⸗ gen bei verschiedenen Temperaturen, sowie die Ermittelung der Ge⸗ wichtsprozente im Spiritushandel zu erleichtern. Ew. Excellenz beehre ich mich das Ergebniß dieser Verhandlungen mitzutheilen
Die Berathung zerfiel in zwei Theile: Einführung des Gewichts- verkehrs im Spiritushandel und Einführung eines Gewichts ⸗Alkoholo—⸗ meters anstatt des Volumen ⸗Alkoholometers. In Betreff des ersten Theils trat der Ausschuß den Konklusionen des Referenten bei: 1) die Einführung des Gewichtshandels beim Spiritus zu befürworten; 2) desgleichen den Gebrauch der Tabellen 2 und 3 der neuen, von der Normal ⸗Eichungs ⸗Kommission ausgearbeiteten Reduttions ˖ Tabellen für den Spiritus, welche an Stelle der Brir'schen Tabellen getreten sind. — Hiermit war auch eine Petition des Rittergute besitzers Schulz⸗ Petershagen erledigt, welche dahin ging, dafür einzutreten, daß beim Spiritushandel Tabelle 4 der Briz'schen Tabellen, oder vielmehr jetzt Nr. 2 und 3 der neuen Tabellen zur Anwendung kommen. — In Bezug auf den zweiten Theil der Vorlage wurde dahin entschieden, daß der Gegenstand einer weiteren wissenschaftlich⸗technischen Prüfung vorzubehalten sei. Ein Antrag des Referenten, Unterhandlungen zur Gewinnung eines internationalen Aikoholometers zu befürworten, wurde abgelehnt. — Den letzten Gegenstand der Tagesordnung bildete die Proposition des Grafen v. Borries, betreffend anzustellende Er- mittelungen hinsichtlich des vortheilhaftesten Verfahrens der Wäsche des Vließes gegenüber der Rückenwäsche, Es wurde hierbei der An— trag des Vorsitzenden: »den Herrn Minister zu ersuchen, eine Spezial- Kommission des Kollegiums mit weiteren Untersuchungen hinsichtlich der Wollwäsche zu beauftragen«, angenommen.
— Im Regierungsbezirk Stralsund hat sich bei dem Erdrusch des im verflossenen Jahre gewonnenen Getreides die Qualität des⸗ selben, in Folge des nassen Erntewetters, als noch geringer heraus⸗ gestellt, als sich im Herbste annehmen ließ. Dagegen sind die jungen Saaten, die sich ungeachtet der verzögerten Bestellung bei der milden Witterung im November noch vor Eintritt des Frostes günstig ent⸗ wickelt hatten, gut durch den Winter gekommen und berechtigen zu erfreulichen Hoffnungen.
Kunst und Wissenschaft.
Der Appellationsgerichts⸗Präsident Märcker ist am 11. März nach schweren Leiden in Halberstadt gestorben. Im Jahre 1848 war derselbe einige Zeit lang Justiz⸗Minister. ö.