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Neichstags⸗Angelegenheiten.
Berlin, 27. November. In der 29. Plenarsitzung des Reichstags, am Freitag, 24. November, nahm zu dem Antrage des Abg. Lasker, die für Marinezwecke bestimmte Summe von 1222, 000 Thlr. nicht aus der Anleihe von 1867 zu realisiren, sondern dieselbe der französischen Kriegsentschädigung zu ent — nehmen, der Bundeskommissar, Geh. Regierungs⸗Rath Dr. Michaelis, nach dem Antragsteller das Wort:
Was zunächst die Motivirung des Antrages angeht, so vermisse ich eine Angabe des Grundes, weshalb der Herr AUntragsteller aus den Einnahmen die 20000 Thlr. zur Deckung der außerordentlichen Ausgabe für die Revision der Kriegsrechnung entfernen will. Was nun den Hauptantrag des Herrn Antragstellers angeht, den Zuschuß für die außerordentlichen Ausgaben der Marineverwaltung, statt ihn nach dem Gesetze vom Jahre 1867 durch Schatzanweisungen resp. durch die Marine ⸗Anleihe aufzubringen, aus den Kriegskosten ⸗ Entschädigun⸗ gen zu entnehmen, so verlangt der Herr Antragsteller den ziffermäßi—⸗ gen Nachweis, daß gerade diese 14200000 und so und so viel tausend Thaler fehlen. Ich glaube, der Herr Antragsteller selbst wird bei der gegenwärtigen Lage der Verhältnisse nicht einen ziffermäßtigen Nach⸗ weis verlangen, der genau mit 1,200,000 Thlr. abschlteßt. Einen Nachweis, daß die Ausgaben, welche auf die Kriegskosten ⸗Entschädi⸗ gung bis jetzt angewiesen sind, bereits einen solchen Umfang erreicht haben, daß es dem Hause nicht gerathen erscheinen fann, in diesem Moment noch eine Mehrausgabe auf diesen Fonds anzuweisen, — diesen Nachweis glaube ich dem Herrn Antragsteller vollständig liefern zu können. Dem Hohen Hause ist zum leßten Male in den Motiven u deim jüngsten Kreditgesttz Entwurf Auskunft gegeben über ie kis dahin aus Verantlassung des Kriegs aufgelaufenen und zur Erscheinung gekommenen Kosten. Es wurde da— mals in den Motiven zu dem erwähnten Gesetze angegeben, daß bis zum 31. März an durch den Krieg veranlaßten Ausgaben des Norddeuischen Bundes zur desnnitiven oder vorschußweisen Besireitung gelangt waren 286,493 900 Thlr. Seitdem sind nicht nur weitere Ausgaben aus Veranlassung des Krieges entstanden, sondern es sind auch von den früheren Kriegskosten weitere Beträge zur Liquidation gelangt, die damals noch nicht bekannt sein konnten. Wie weit die in Veranlassung des Krieges enistandenen Ausgaben und Kosten bis heute angelaufen sind, kann nun unmöͤglich gesagt werden, da eine zu große Anzahl von Kassen bei der Vtrausgabung betheiligt ist, als daß über die unmittelbar vorausgegangene Vergangenheit Auslunft ge— geben werden könnte. Es liegen aber eingthende Nachweisungen vor, welche bis zum Schluß des Monats August reichen. Bis dahin be— zifferten sich die zur Liquidation und Erscheinung gelangten und theils vorschußweise, theils definitiv benritienen Ausgaben des Norddeutschen Bundes aus Veranlassung des Krieges auf im Ganzen 322.914, 000 Thaler. Auch seitdem sind — daran ist durchaus nicht zu zweifeln
— sehr bedeutende fernere Beträge an Kriegsausgaben zur Liquidation gelangt; es ist nur unmoglich, darüber einen ziffermäßigen Nachweis
zu geben. Ich bleibe stehen bei diesem bis zum 1. August d. Is. nachgewiesenen Ausgabebetrage. Derselbe setzt sich zusammen aus den bei den verschiedenen Verwaltungszweigen aufgelaufenen Summen.
Der Hauptbetreg ist natürlich entstanden beim Landheer. Die Ausgabe zerfällt hier in die einmaligen Ausgaben für die Mebil— machung und in die laufenden Kosten des Krieges. Die ersteren stellen sich zum angegebenen Zeitpunkt nach den Büchern bereits wie— der niedriger, als sie ursprünglich durch die Bücher gegangen sind, weil damals in Folge der Demobilmachung bereits wieder Erlöͤse für verkfaufte Pferde in Rückeinnahme gekommen und von den Ausgaben abgeschrieben waren. Durch die Bücher gegangen sind an Aukgaben für die Mobilmachung rund 42 090 060 Thaler; an Pferdtverfaufs ⸗-Erlösen sind darauf abgegangen: 4740 000 Thaler, so daß an einmaligen Ausgaben 37,3650 000 Thaler verbleiben, — ich lasse die letzen Stellen immer weg, weil es bei diesen Angaben ja dech auf die Hunderter und Einer nicht an— kommen kann. Die laufenden Kosten des Krieges bezifferten sich beim Landheere bis Ende August 1 J. auf rund 267,850 000 Thlr. Die Gesammtsumme der beim Landheer entstandenen Ausgaben, so⸗ weit sie bis ultimo August zur Erscheinung gekommen sind, beträgt also 305 200 000 Thlr; bei der Marine berechnen sie sich auf 6,431,060 Thlr, bei der Post⸗ und Telegraphenverwaltung auf im Ganzen un— gefähr 2.430 (00 Thlr.; an Vergütungen für Kriegsleistungen sind zur Liquidatlon gelangt etwas über 1 Million. An Zinsen sind veraus— gabt 7,375 000 Thlr. und an sonstigen Ausgaben zur Liquidation ge⸗ langt ea. 444 000 Thlr. Das ist ein ungefährer Ueberblick der Aus⸗ gaben, wie sie bis ultimo August d. J. zur Erschrinung gekommen waren. Ihrem Gelammtbetrage von 3272 914,000 Thlr. stehen nun gegenwärtig noch an Deckungsmitteln, welche im Wege des Kredits beschafft sind, gegenüber, eistens: Die fundirte Anleihe vom J. 1870 und zweitens der in seinem vollen Betrage flüssig gemachte Betrag des Kredils vom November 1870. Diese durch den Kredit flüssig ge—⸗ machten Beträge belaufen sich auf 204,369 000 Thlr. Ziehen wir dies von jenen Kriegsagusgaben ab, so bleiben aus anderen Quellen zu decken 118 545,000 Thlr. Diese haben ihre Deckung ge⸗ funden zum Theil, und zwar im Betrage von 41 634,465 Thlrn. in dem Antheile des Norddeutschen Bundes an der Pariser Kontribu⸗ tion. Es sind ferner bisher durch den rorschußweise geleisteten preu— ßischen Staate schaz gedeckt 30 Mill., so daß auch noch ausstehende Kredite nicht gedeckt und aus der franösischen Kriegsentschädigung geleistet, zur Eischeinung kommen 46,910 000 oder nahezu 47 Mill. Thaler. Nun sind die fünfjährigen Schaßanweisungen, die ausgegeben waren im Betrage von 102 Millionen, bereits gekündigt. Es ist ferner vem Reichs- tage die Ermächtigung ertheilt zur Kündigung der Anleihe vom Johre 1870; es ist endlich der Betrag von Schaßanweisungen, welcher neben
der jährigen zur Ergänzung des Krediles auf Grund des Gesctzes vem November vorigen Jahres auf 190 Mill. Thaler in Höhe von 4217000 Thlr. ausgegeben ist. am 1. Februar künftigen Jahres fällig. Es sind also die gesetzlichen Dispositionen so getroffen, daß aus dem Antheise des Norddeutschen Bundes an der Kriegsentschädigung nicht nur die noch auflaufenden und zur Erscheinung gelangenden noch nicht gedeckten Kriegskosten des Norddeutschen Bundes gedeckt, sondern auch die von ihm aufgenommenen Kriegskredite zurückerstattet werden.
Dem gegenüber sind nun bereits ebenfalls mit Genehmigung des Reichstages Bestimmungen über die Verwendung der Einnahmen aus der Kriegsentschädigung zu Reichszwecken getroffen, welche eine Rück. wirkung auf die Höhe der Antheile der Rorddeutschen Bundes an der Kriegsentschädigung haben, weil sie von dem zu ertheilenden Vetrag rorweg abgehen.
In der Anlage D. zu dem Berichte der Kommissarien des Reichs« tages sind an solchen Ausgaben berechnet: 109.266 000 Thlr., ihnen treten hinzu die Ausstattung des Reichskriegsschatzes mit 40 Millonen, die durch Gesetz bewilligten Dotationen mit 4 Millionen, die zur Ab— bürdung der Zoll, und Steuerkredite nöthige Summe, über welche das Etatsgesetz die erforderlichen Betimmungen enthält, mit 17 350 000 Thaler, die eisernen Vorschüsse für die Militätverwaltung mit 6-270, 000 Thlr., die Betriebsfonds für die Reichs -Hauptkasse mit 2 Millignen (die 1I750 000 Thlr. für die Postverwaltung gehen nicht auf Rechnung des Reiches, sondern auf Rechnung der bei der Post⸗ verwaltung betheiligten Staaten); ferner der nachträglich in Anspruch genommene Kredit für AÄusstattung der Eisenbahnen in Elsaß und Lothringen mit Betriebsmitteln und dergleichen 6,440 006 Thalern. Das sind alles fesistehende Summen, welche vor— weg abgehen, im Betrage von im Ganzen 185 Millionen Thaler. Ferner sind aus der Kriegsentschädigung zu bestreiten die Penstonen und Unterstützungen für Invaliden und Hinterbliebene aus dem Krüege von 187090— 1871 sür das Jahr 1872, und ferner auch die gleichen In—⸗ validen Pensionen, die im Jahre 1871 aufgelaufen und bisher in dem aufgeführten Ausgabebetrage noch nicht zur Erscheinung gelangt sind. Nach den Ihnen vorliegenden Angaben würden für 1872 ctwa 10 Millionen zu veranschlagen sein, wie viel für das Jahr 1871 — das vermag ich nicht genau anzugeben, ein annähernder Betrag wird sich aber nach dem Anschlage von 1872 mit einiger Wahrscheinlichkeit konstruren lassen. — Es treten ferner nech Hinzu Ausgaben sür Kriegsentschädigungen und für Entschätigung der Rhederei, welche nach dem im Frühjahr dieses Jahres verabschiedeten Gesttze noch ferner zu leisten sein werden. Wie höoch diese Ausgaben, die noch weiter auflaufen, sich beziffern werden, läßt sich vorläufig nicht absehenz es ist aber jedenfalls nothwendig, einen sehr erheblichen Betrag für Rechnung dieser Ausgaben zu reserviren. Tiesen Ausgaben, also von 185 Millionen, denen hinzutteten ca. 10 Millionen an Invaliden pensionen pro 1872 u. s. w., und ein rorsäusig noch nicht zu berech ⸗ nender Betrag an Ausgaben für Kriegsentschädlgungen und Rhederel⸗ Entschädigungsspesen an Invalidenpensienen für 1871 — sind gegen über zu stellen die Gesammteinnghmen aus der Kriegsentschädigung, dieselben haben bisher betragen 4160 Millionen Thaler und für 1872 sind in Aussicht 650 Millionen Franks, gleich rund 173 Millionen Thaler, im Ganzen also 573 Millionen Thaler. — Von diesen gehen ab die Beträge zunächst, welche für Red nung des Reiches theils verausgabt, theils durch Gesetze angewiesen sind, im Betrage von 185 und 10, also 195 Millionen und einer unbestimmten Summe, die sich eben zur Zeit nicht schätzen läßt. Nehmen wir an, es erhöhe sich der eben angegebene Betrag durch das, was nothwendig für die letztbezeichneten Ausgaben des Reichs zu re— serviren ist, auf ungefähr 210 Millionen Thaler, so würden also von den 573 Millionen Thaler übrig bleiben zur Vertheilung 363 Millionen Thaler; davon würden auf den Norddeutschen Bund kommen unge— fähr 282 Millionen Thaler. Ich habe, wehl bemerkt, hier die ge⸗ sammte Kriegsentschädigung, die lis Mei kemmenden Jahres, ein schlieflich der bisher gezahlten Beträge, zur Einziehung gelangen wird, genommen und habe aus dieser Kriegsentschädigung den Antheil des Norddeutschen Bundes auf 282 Millionen Thaler berechnet. Vei Be⸗ rechnung dessen, was aus diesem Anthril bestritten oder auf denselben angerechnet werden muß, will ich nur die bestimmt fesistehenden Be— träge in Ansatz bringen, will also namentlich auf die auf— gelaufenen und auflaufenden Kriegskosten, die durch Kredite und durch die Pariser Kontribution nicht gedeckt worden sind, keine Rücksicht nehmen. Zunächst waren hieraus zu decken die 15 Millienen Schatzanweisungen des Norddeuischen Bundes, welche auf Rechnung der Kriegskredite emittirt waren und bereits ein gezogen sind; feiner sind zu decken 102 Millionen sünfjährige Schatz⸗ anweisungen, welche am 1. Januar und 1. Februar fünftigen Jahris fällig werden; drittens 4‚247, 000 Thlr. Schatzan weisungen, welche am 1. Februar fällig werden; viertens der preußische Staatsschaß, welcher noch zu erstatten ist, mit 30 Millionen Thalrirn; endlich ist die Ermächtigung ertheilt zur Rügzahlung der 5Hprozentigen Kriege anleihe, welche sich beläuft auf 1135773 009 Thlr. Die Gesammtlumme dieser zurückzuzahlenden Kredite beläuft sich auf 265 Millionen Thaler, so daß also von den 282 Millionen 17 Millionen übrig böeiben. Au diesen 17 Millionen sind nun ferner noch zu decken die halbjährigen Zinsen der Kriegsanleihe und der Schätzanweisungen, welche theils am 1. November fällig geworden sind, theils am 1. Januar, resptltive 1. Februar fällig werden. Diese Zinsen betragen ungefähr 65 Millionen Thaler, und dabei ist ven der 52. Anleihe nur dieser eine halbjährige Coupon gerechnet, während es noch gar nicht abzuschen ist, wann und zu welchem Tage die fünf— prozentige Anleihe zur Kündigung und Rüchkzablung gelangen fann, so daß über diesen Zinsenbetrag hinaus noch weitere Beiräge in Aus⸗ sicht zu nehmen sind, über deren Hohe sich gegenwärtig noch nicht Berechnungen anstellen lassen. Es treten ferner hinzu der Antheil des Norddeutschen Bundes an der abzutragenden Anleihe für die
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Küstenbefestigungen von 3 500,900 Thalern, und der Antheil des Nord⸗ deuifchen Bundes an dem Betriebsfonds für die Post⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung, welcher im Ganzen 15750, 000 Thaler beträgt. Wenn Sie piese Betrage zusammenrechnen, meine Herren, dana bleibt von dem Antheil des Norddeutschen Bundes, der ihm nach der bisher getroffenen Verfügung an der bis Mai nächsten Jahres eingehenden Kriegsent⸗ jon gung. nimm. zusteht, ein so geringer Betrag übrig, und diesem geringen Betrage stehen der Möglichkeit nach so hohe noch nicht ab—Q zuschaͤznde Ausgaben gegenüber, daß ich nur dringend rathen kann, um die ungleich vortheilhafteren Finanzoperationen, welche durch die Zurückzahlung der Kriegsanleihe ermöglicht würden, nicht zu er- schweren, von dem Antrage des Herrn Abgeordneten für Meiningen Abstand zu nehmen.
Nach dem Abg. Frhrn. v. Hoverbec nahm der Bundes⸗ kommissar, Geh. Regierungs⸗Rath Dr. Michaelis, nochmals das Wort:
Was zunächst die Bemerkung des letzten Herrn Redners betrifft, daß es sich um die Bewilligung einer Anleihe handelt, so ist ja die Anleihe bereits bewilligt, und es handelt sich nur darum, eine Ein— nahme aus der Anleihe auf den Etat zu setzen.
Dem Herrn Antragsteller habe ich auf seine Bemerkungen zweierlei zu erwidern. Erstens, wenn er annahm, daß die Erstattung des pteußischen Staatsschatzts zweimal in Anrechnung gekommen sei, so beruht ditse Annahme entschieden auf einem Irrthum; ich habe die 10 Millionen, mit denen der Reichsschatz auszustatten ist, als Reichs- ausgabe angerechnet, und habe es außerdem als Verpflichtung des Rorddeuschen Bundes bezeichnet, die 30 Millionen, die von Preußen aus dem Staatsschatze vorgeschossen sind, zurückzuerstatten. Um es also noch einmal zu wiederholen: die durch den Kredit zur Deckung der Kriegs sosten des Norddeutschen Bundes aufgenommenen Gelder sind also: 1135773, 000 Thlr. Anleihe von 1870, 102 Millionen fünfjährige Schatzanweisungen, 15 Millionen in Schatzanweisungen, die aus dem Antheil des Norddeutschen Bundes in der Kriezsentschaͤdigung bereits eingelöst sind, und 4,747,000 Thlr. Schatzanweisungen, welche im Feörüar künftigen Jahres fällig werden. Das sind die durch den Kredit aufgenommenen Summen. Denen tritt hinzu der vom Nord— deutschen Bunde zu erstattende preußische Staattschatz. Wenn alle diese Beträge gerechnet und die Ausgaben dafür aus dem Antheile des Norddeutschen Bundes in der Kriegskostenentschädigung fluͤssig ge⸗ macht worden ist, so sind nur dle behufs der Kriegskosten vom Norddeutschen Bunde aufgenommenen Kredite zurückerstattet. Ich habe vorhin bereits die Ehre gehabt auszuführen, daß über den Betrag, der durch den Kredit geschaffenen Mittel und des Antheils an der Pariser Kontribution ,,. schon bedeutende Kriegskosten für den Norddeutschen Bund aufgelaufen sind; wenn also nach dem schließlichen Vertheilungsplane sich für den Norddeutschen Bund ein Mehr als der von mir nach dem Maßstabe der Bevoͤlke—⸗ rung berechnete Antheil ergiebt, so steht diesem Mehr gegenüber ein schr bedeutender Posten an bis jetzt aus Kreditmitteln nicht gedeckten Kriegs ⸗Ausgaben des Norddeutschen Bundes, welcher auf die Kriegs- kontribution angewiesen ist und dieses Mehr sicherlich mehr als absor⸗ biren wird. Ich muß ferner darauf ausmersam machen, daß ich, da ich in der vorgetragenen Berechnung nur bie mit Sicherheit in Ziffern aufzustellenden Ausgaben in Rechnung bringen wollte, gar nicht Rücksicht genommen habe auf die schwer zu beziffernden Aus- gaben, welche im nächsten Jahre aus Reichsmitteln gedeckt werden müssen, die Ausgaben für die Olkupationstruppen in Frankreich; meine Herren, wir stehen ja erst im Anfange der Abwickelung der Kriegsausgaben. Wir konnen weder übersehen die ganze Höhe der Kriegsausgaben, noch überschen die Höhe der Aus- gaben für das Retablissement der Armee. Wir stehen vor sehr bedeu⸗ inden Ausgaben, denen gegenüber wir erst einen verhältnißmäßig geringen Theil der Kriegsentschädigung zu unserer Verfügung haben. Ittzt schon aus diesem geringfügigen Theile — weil eine ziffermäßige Nachweisung sich nicht bis zum letzten Hunderttausend des Anfangs des nächsten Jahres fällig werdenden Quantums geben läßt — schon jetzt über einen Theil dieses Abschlages auf die Kriegsentschädigung für andere vor dem Kriege auf den Kredit angewiesenen Zwecke zu ver— sügen, das, meine ich, liegt nicht im Sinne und Geiste einer vorsich tigen Finanzwirthschaft. Verfügungen, die wir jetzt in dieser Beziehung treffen, erschweren uns spätere Verfügungen, denen sowohl finanziell, als auch vom Standpunkte des Reichstages aus ein großer Werth beizulegen sein wird. .
Nach dem Abg. Lasker fügte der Geh. Regierungs⸗Rath Dr. Michaelis noch hinzu:
Ich ergreife nur deshalb das Wort, um dem letzten Herrn Redner zu erwidern, daß von Rechtsfragen in Betreff der Einsetzung dieses Betrages aus der Marine⸗Anleihe in den Etat kein Wort in diesem Saale aus meinem Munde gekommen ist. ch habe nur gegen den Herrn Abgeordneten Freiherrn von Hovperbeck bemerkt, daß es sich nicht um die Bewilligung einer Anleihe, sondern um die Einsetzung ines Betrages aus der Anleihe in den Etat handelt; dabei ist das Wort »Nechi« nicht über meine Lippen gekommen.
— In der 30. Plenarsitzung des Neichstages am Sonnabend den 25. November erklärte der Bundes bevollmächtigte Staats Minister von Lutz im Verlaufe der Diskussion über die Ergänzung des Straäfgesetzbuches für das Deutsche Reich nach dem Abg. Grafen Kleist: .
Meine Herren! Daß ich in den wenigen Worlen, die ich noch zum Hause zu sprechen gedenke, nicht den Ton der Späße und Perfönlich⸗ leiten anschlage, der gegen mich angeschlagen worden ist, werden Sie begreiflich finden, . .
Ich wurde fürchten, thäte ich dies, noch eine niederere Qualifika— lion als die eines Parteiredners zu bekommen. Im Uebrigen bedaure ich, daß Angelegenheiten, wie diejenige ist, die uns heute beschäftigt,
nicht anders als mit Verletzung von Gefühlen Verschiedenter besprochem werden können.
Wtshalb ich das Wort genommen habe, ist, daß man noch in Bezug auf die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs mancherlei Nachweise veimißt hat und eine Bewelsführung nachgetragen zu sehen wünscht. So ist insbesondere der Theil meiner Ausführungen als nicht erwiesen bezeichnet worden, in welchem ich davon sprach, daß die Kirche die Theorie von jther vertreten habe, daß ihr die Oberherrlichkeit über den Staat geöühre. Diese meine Ausführungen hat man Beschuldigungen genannt, Behaup⸗ tungen über mißverstandene Lehren der katholischen Kirche. Ich will nun nicht davon sprechen, daß der Herr Abgeordnete für Meppen einen sehr erheblichen thatsächlichen Grund gegen mich darin gefunden hat, daß er als katholisches Mitglied einer Regierung doch gar keinen übergreifenden Gebrauch von seiner kirchlichen Gesinnung ge⸗ macht habe. Denn hierin finde ich in feiner Weise eine Wider- legung gegen das, was ich aufzustellen mir erlaubt habe. Das hat die katholische Kirche in größerem Stile schon verstanden, wag der Herr Abgeordnete für Meppen hier geübt hat, nämlich die Geltendmachung ihrer übergreifenden Theorie da zu unterlassen, wo sie keine Aussicht hatte, durchzudringen!
Im Uebrigen würde ich fär mich anführen können eine Fülle von Stellen aus der Literatur und nicht etwa blos aus exceptlons- mäßigen Schriftstellern, sondern aus einer solchen Literatur, welche die Kirche als Autorität anzuerkennen sich wohl kaum wird erwehren können. Ebenso kann ich eine Fülle von offiziellen Stellen anführen, die in dem Sinn sich aussprechen, den ich neulich den Herren als die Auffassung der Kirche anführte. Es warde indeß viel zu weit führen, wollte ich mich auf ein einläßlicheres Citiren solcher Stellen einlassen. Sie stehen reichlich zu Gebot. Nur um die Erlaubniß bitte ich, zwei Belegsstellen anführen zu dürfen, eine aus der Literatur und eine offizielle Aeußerung. Kardinal Bellarmin, — gewiß eine kirchliche Autorität, deren Gewicht man nicht wird bestreiten können, — sagt in seiner Schrift über die indirekte Gewalt des Papstes in zeitlichen Dingen (die Schrift ist be— titelt: ⸗De Romano Pontisicio«) in Buch 5, Kap. 6 f.. Was die Personen betrifft, so kann der Papst als Papst gemeinhin weltliche Fürsten nicht absitzen, auch nicht aus einem gerechten Grunde in der Weise, wie er die Bischöfe absetzen kann, d. h. gleichsam als der or— dentliche Richter. Doch kann er die Regierungen wechseln, sie Einem nehmen, und einem Anderen übertragen, gleichsam als der höchste geistliche Fürst; wenn dies nothwendig ist zum Heile der Seelen! Was die Gesetze betrifst, so kann der Papst nicht als Papst gemeinhin ein bürgerliches Gesetz geben oder bekräftigen, oder die Gesetze der Fürsten für unwirksam erklären, weil er nicht selbst ein politischer Fürst der Kirche ist. Doch kann er alles das thun, wenn irgend ein bürgerliches Gesetz nothwendig ist zum Heile der Seelen und die Könige dasselbe nicht geben wollen oder wenn ein anderes Gesetz dem Seelenheile schädlich ist und die Fürsten sich weigern, dasselbe aufzuheben. Und was die Gerichte betrifft, so kann der Papst nicht als Papst gemeinhin urtheilen über weltliche Dinge. Aver nichtsdestoweniger kann er es in dem Falle, wenn es zum Heil der Seelen nothwendig ist. Der Papst kann dann die Gerichtsbarkeit an sich nehmen, namentlich dann, wenn zwei Könige mit einander streiten, oder wenn diejenigen, die urtheilen lönnten und sollten, ein Urtheil nicht fällen wollen. «
Dies die Stelle aus der Literatur. Eine andere, offizielle Stimme: In den Vorlagen, die dem jüngsten Konzil gemacht worden sind, sindet sich in dem Schema De ecelesia Christi eine Aeußerung uber das Verhältniß von Siaat und Kirche, also eine ganz offizielle Aus⸗ lassung, deren wesentlicher Inhalt lautet, wie folgt:
»Der Papst hat Herrschaft, Gerichtsbarkeit, Strafgewalt nicht blos fön die ganze Kirche, sondern auch über jeden Einzelnen, der getauft ist.
»So hoch die Seligkeit über Nutzen und Güter des irdischen Lebens, so hoch steht die Kirche über dem Staat. Darum muß jeder Mensch den Nußen der Kirche allezeit über das Wohl des Staates stellen. Die oberste Kirchengewalt entscheidet darüber, was die Fürsten und die Regierungen bezüglich der bürgerlichen Gesellschaft und der öffentlichen Angelegenheiten zu thun und zu lassen haben.
»Der Papst entscheidet in diesen Dingen nicht blos als Inhaber des obersten Lehramtes, er hat auch das Recht, mittels Zwanges und Strafe Jeden, er sei Monarch, oder Fürst, oder einfachtr Bürger zur Unterwerfung unter seinen Spruch anzuhalten. Wo immer ein Staatsgesetz im Widerspruche steht mit einem Kirchengesetze, da geht das letztere vor, und dem Banne verfällt der, welcher behauptet, daß etwas nach dem bürgerlichen Gesetz erlaubt sei, was ein tirchliches Gesetz verbietet. 9.
Meine Herren! Wenn solche Dinge in der Civiltâ cattolica und in ähnlichen Organen mitgetheilt werden, dann werden diese Organe von dem Kirchenregimente belobt. Wenn wir es nachsprechen, ist man geneigt zu sagen wir ständen auf einem heidnischen Standpunkte.
Man hat heute dem Abg. von Schauß mit Lachen begegnet, als er daxon sprach, daß es in den Intentionen der Kirche liege, eine ruhige Gemeinschaft und eine Gleichberechtigung der verschiedenen
donfessionen nebeneinander auszuschließen. Gewiß, meine Herren, in Deutschland wird die Kirche sich nie bemühen, solche Grundsäße in das Leben einzuführen. Wo sie es aber gekonnt hat, hat sie es gethan, und auch in der neuesten Zeit! Ueberlesen Sie nur die mit den süd⸗ amerikanischen Staaten geschlossenen Konkordate.
Ein weiterer Nachweis den ich erbringen soll, betrifft die Behaup- tung, daß die Kirche den Staat bekämpfe mit dem Sate: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Herr Abg. Freiherr von Ketteler hat mir entgegengehalten, das sei eine falsche Bezichti-= gung, daß die Katholiken durch die Kirche verhindert würden, den