1872 / 304 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 24 Dec 1872 18:00:01 GMT) scan diff

Schweiz. Bern, 23. Dezember. (W. T. B) Der Bundesrath hat heute das Departement für Politik zur Unterzeichnung des mit Rußland vereinbarten Niederlassungs⸗ vertrages ermächtigt.

Belgien. Brüssel, 19. Dezember. In der heutigen

Kammer . war die Ueberschwemmung der Stadt Gent durch die elde Gegenstand einer Interpellation des Abgeord⸗ neten de Baets. Der Minister der öffentlichen Arbeiten er— klärte, daß er sofort eingreifen werde und hoffe, daß die Er—⸗ weiterung des Kanals von Terneuzen die Lage fühlbar ver— bessern werde. Er werde ferner bei dem interimistischen Kriegs⸗ Minister darauf antragen, daß das Geniecorps den Genter Stadtbehörden zur Verfügung gestellt werde. Die Gemeinde⸗ behörden von Gent haben sofort eine Substription zu Gunsten der verunglückten Arbeiter eröffnet, an deren Spitze der Bürger⸗ meister mit 36000 Frs steht. Die Ueberschmemmuüng übertrifft die von 1852 weitaus. Die damals gebauten Abzugskanäle haben sich als unwirksam erwiesen. 21. Dezember. In der heutigen Sitzung der Reprä- sentantenkamm er ward das Gesetz über das Kontingent der Armee mit 61 Stimmen gegen 20 angenommen. a der Minister des Auswärtigen, welcher das Kriegs- Ministerium interimistisch übernommen hat, krank geworden ist, so trat der Finanz Minister, Malou, für die Regierung auf. Die Kammer hat sich bis zum 14. Januar vertagt.

Großbritannien und . London, 21. De⸗ zember. Dem »Calcutta Englishman« zufolge untersucht Lord Northbxrook, der General⸗Gouverneur von Indien, die Wirk= samkeit der indischen Lokal, und Staatsstenern. Man ver⸗ muthet, er werde sich definitiv entschließen, die Einkommensteuer aus dem nächsten Budget zu streichen.

Frankreich. Pgris, 22. Dezember. Die Zahl der Soldaten der Garde Mobile und der mohilisirten National- erde, welche, da sie ihre militärischen Pflichten während des

rieges nicht erfüllt hatten, von den Kriegsgerichten verurtheilt wurden, ist so bedeutend, daß der Kriegs-Minister sich veran= laßt sah, den . zu ertheilen, die Ausführung eines Theiles der Urtheile zu suspendiren. Das betreffende Cirkular— schreiben desselben lautet: .

General! Am 10. September schrieb ein Cirkular vor, falls die Beschuldigungen nicht zu ernster Natur seien, Begnadigungsanträge zu Gunsten der mobilen oder mobilisirten Nationalgarden einzusen˖ den, über welche wegen Vernachlässigung ihrer militärischen Pflichten Verurtheilungen ausgesprochen worden nnr Jedes Mal, wenn Ur⸗ theile zu öffentlicher Zwangsarbeit gegen Leute dieser Kategorie ge— sprochen worden sind, ist Grund vorhanden, die Ausführung der ge—= nannten Urtheile, sowie den Abgang der Leute nach den Werkstätten von Algerien zu suspendiren und mich in Stand zu setzen, Betreffs der Vexurtheilten zu statuiren, indem Sie mir für jeden von ihnen einen Bericht über die Thatsachen einsenden, welche die Verurtheilung motivirt haben. Empfangen Sie ze.

Der Kriegs ⸗Minister General de Cissey.

Ueber die Berathung der Subkommifsionen äußert sich das Bien publics wie folgt:

Wir schätzen uns glücklich, konstatiren zu können, daß die beiden Subkommissionen in ihrer gebrigen Sitzung die ihrer Prüfung an⸗ heimgegebenen Fragen mit einem wahren Geiste der Versöhnung und J behandelt haben. Alle Schwierigkeiten sind noch nicht geebnet; es bleiben noch Punkte übrig, uber welche eine allgemeine Einigung ohne Zweifel nur schwer zu gin gen, sein wird, aber es liegt auf der Hand, daß Jeder aufrichtig die Mittel sucht, diese Eini⸗ gung herbeizuführen, und daß wenigstens dies ist von Wichtig- keit Niemand den Anträgen und Rathschlägen der Regierung mit einfacher Abweisung oder mit Inkompetenz Erklärungen antwortet.

Das »Journal offieiel« berichtet aus Algerien: Der Gesundheitszustand in Algier hat sich bedeutend gebessert. Nachdem in letzter Zeit mehrfach Regen gefallen, sind die Feld arbeiten an allen Orten wieder aufgenommen worden. Die Arbeiten, durch welche die Niederlassung von Kolonisten in dem von den Isseos und Djedian abgetretenen Gebiete erleichtet werden soll, werden demnächst beendet sein. Noch vor Ablauf des Monats werden solid gebaute Baracken in hinreichender Zahl zu ihrem Empfange bereit sein. Zugvieh, Saatgetreide und Kleidungsstücke sind unter diejenigen Elsaß Lothringer ver— theilt worden, denen Ländereien in Kabylien angewiesen wor⸗ den sind. Die Abgeordneten der ÜUled⸗Sidi ⸗Scheickh haben sich von Laghuat nach Oran begeben, wo die weiteren Bedingungen, betreffs ihrer Unterwerfung festgestellt werden sollen. Im Süden sollen marokkanische Räuber einen Streifzug ausgeführt haben, wobei den Bewohnern von Metlili funfzig Kameele geraubt und drei Hirten getödtet worden sind. In Orgn sind die politischen Zustände im Tell sehr befriedi⸗ gender Art. Im Süden und Südwesten der Provinz herrscht vollständige Sicherheit, und die Beziehungen zu den benach⸗ barten marokkanischen Stämmen sind durchaus freundschaftlich. In den letzten Tagen ist viel Regen gefallen, wodurch die Be— fürchtungen, welche die lange anhaltende Trockenheit hervor⸗

erufen hatte, gehoben worden sind. In Konstantine ist die

itterung für die Feldarbeiten eine sehr günstige. Algierische Zelte, welche sich seit dem Aufstande nach Reita zurückgezogen hatten, haben die Absicht , ,, Nasseur ben Chokra zu verlassen und nach Algier zurückzukehren.

23. Dezember. (W. T. B.). Der radikalen Zeitschrift »Der Korsar« ist wegen Veröffentlichung eines Artikels, der die Bürger zu gegenseitigem Hasse aufreizt und die National— versammlung angreift, durch ein Dekret des Gouverneurs von Paris vom heutigen Tage das weitere Erscheinen unter—⸗ sagt worden.

Der Fürst von Lynax ist hier eingetroffen. Der Vicomte de lg Gueronnisre, unter dem Kaiferreiche Gesandter am belgischen Hofe, wurde heute vom Präsidenten Thiers in längerer Audienz n, ,. Wie verlautet, soll es in der Absicht liegen, ihm einen diplomatischen Posten in Konstantinopel zu geben.

Spanien. Madrid, 21. Dezember. Der Gesetzentwurf, betreffend Abschaffung der Sklaverei auf Portorico, hat heute . dritten Male die . der Cortes gefunden. Nach⸗

em vor einigen Tagen Becerra's Antrag, dem Minister Präsidenten den Beifall des Kongresses für seine Erklärungen in Bezug auf die Kolonialreformen auszusprechen, mit 182 gegen 6 Stimmen angenommen worden ein Beschluß, welcher die Veränderungen im Kabinet nur beschleunigte hielt n, Martos, der Minister des Auswärtigen, im Senate eine Rede zur Verlheidigung der sofortigen Aufhebung der Sklaverei und erzielte einen mit 60 zu 5 Stimmen n s. Beschluß zu Funsten seiner Darlegung. Darauf ist der Minister⸗Präsident Zorilla heute wieder im Kongresse erschienen und hat von demselben eine Vertrauenserklätung mit 214 gegen nur 12 abweichende Stimmen erhalten. Die Cortes haben sich nunmehr über Weihnachten und Neujahr hinaus bis zum 15. Januar vertagt.

Italien. Rom, 20. Dezember. Der der Deputirten. kammer vorliegende Kommissionsbericht über das Budget des

Unterrichts. Ministeriums empftehlt bie Bewilligung der ch ni steriu pfieh ing

sämmtlichen Positionen im Gesammitbetrage von 17 24 8. Dieser Betrag übersteigt den für das laufende Jahr bewilligten um 1,679,387 L. gu der Summe des Voranschlages für 1873 kommen dann noch 2.382.900 L., so daß insgesammt mehr als 20 Millionen erforderlich sind. Die Reorganisation der römischen Universität, die schon von Scialojas Vorgänger ener⸗ gi angebahnt worden war erfordert die Summe von 94,660 ür Ausgrabungen und Aufbewahrung von antiken Bauwerken und Kunstgegenständen werden gefordert M 599 L. für das ganze Königreich; davon kommen auf Rom 202500, auf Neapel resp. Pompeji 64 000 L., wäh⸗ rend für die Kommission für Alterthümer und Kunst in Sick lien Palermo) 25,900 L. und für das etruskische Museum in Florenz 6009 L. bestimmt sind. Außerdem erhalten die Museen von Alterthümern und Kunstgegenständen in allen Städten Italiens jährliche Zuschüsse, die . für das Museo Nazionale in Neapel auf mehr als 100,000 L. belaufen. Der Etat für die hiesige Königliche Ober -Intendantur der Ausgrabungen, an deren Spitze Com. Rosa steht, ist gegen das laufende Jahr um 15,000 L. erhöht worden. .

B.. Dezember. Der Präfekt der apostolischen Paläste, Kardinal Antonelli, hat, wie aus sicherer Quelle verlautet, die klerikalen Blätter aufgefordert, sich den päpstlichen Gesetzen gemäß der Censur zu unterwerfen. Die meisten Blät⸗ ter haben dieses Verlangen entschieden zurückgewiesen.

Numänien. Bukarest, 13. Dezember, Fürst Kart empfing vorgestern die von der Kammer gewählte Kommission zur Ueberreichung der Adresse auf die Thronrede. Präsident Demeter Ghika verlas die Adresse, auf welche der Fürst Fol⸗ gendes erwiderte: (

Ich danke Ihnen für die aufrichtigen ien, die Sie mir aus= sprechen. Ich werde stets mit Aufmerksamkeit an die Stimme des Volkes hören und ich wiederhole Ihnen auch bei dieser Gelegenheit, daß die Erfüllung meiner Pflicht, die mir die Vorsehung und das Vertrauen des Volkes vorgezeichnet haben, meine erste Sorge sein wird. Ich erwarte, meine Herren Deputirten, daß ich mich wegen der Unterstützung nur zu . haben werde, die Sie, wie bisher, hoffentlich den Anstrengungen meiner Regierung ge⸗ e, . werden, und wird letztere ihrerseits niemals von ihrer Pflicht, die Interessen des Staates zu wabren und das Prinzip der Harmonie der Staatsgewalten aufrecht ü erhalten, abweichen. So werden wir, meine Herren, die Geschicke Rumäniens auf dem großen Wege des Fortschrittes fördern. Seien Sie versichert, daß sowohl ich, als auch die Fürstin die Wünsche der Mandatare des Landes mit wahrer Freude entgegennehmen. . .

Auch der Sengt hat nach einigen unerheblichen De— batten die Antwort auf die Botschaft ausgearbeitet und votirt, aus welcher ersteren folgende zwei Stellen hervorzuheben sind:

Bezüglich der Eisenbahnen, die im größten Theile des Landes bereits dem Verkehre übergeben sind, kann der Senat nach Anhörung der in der Thronrede Eurer Hoheit gegebenen Versicherung, daß das ganze Bahnnetz vollendet werden wird, nicht anstehen, seiner 8 Genugthunng darüber Ausdruck zu geben, daß eine so wichtige Frage erledigt werden soll, und anerkennt er die Vortheile, welche das Land und unser Handel aus diesem Verkebrsmittel, das heutzutage ebenso mächtig als nothwendig ist, zieht. Die Versicherung, daß unsere Be— ziehungen mit den fremden Mächten befriedigend 662 nimmt der Senat mit beson derer Befriedigung entgegen. Die rumänische Nation, die stets alle legitimen Ansprüche der fremden . respektirt, hat das Recht und den fesien Glauben, daß sie sich derselben Achtung ihrerseits erfreuen werde.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 22. De— zember. Die »R. St. B. Z.« meldet: Der Feldzug gegen Chiwa soll nach abermaliger Prüfung der Frage in den Re⸗

ierungssphären, einem in der Stadt umgehenden Gerüchte zu- i definitiv beschlossen worden sein.

Dänemark. Kopenhagen, 20. Dezember. Die König⸗ liche Familie hat sich 8. Abend wieder nach Schloß Friedensburg begeben, um dort das Weihnachtsfest in aller Stille zu verleben.

Der Reichstag tritt mit dem Schluß der heutigen Sitzung seine Weihnachtsferien an und wird wahrscheinlich erst am 6. Januar wieder zusammentreten.

Der Bazar wurde gestern geschlossen und soll im Ganzen eine baare Summe von 30,990 Rdl. für die durch die Sturmfluth Beschädigten, und 3000 Rdl. durch Eintrittsbillets für die Kopenhagener J eingebracht haben.

23. Dezember. (W. T. B. Der Kriegs Minister Oberst von Haffner ist aus Gründen, die gutem Ver— nehmen nach nicht politischer Natur sind, von seinem Posten zurückgetreten und der Direktor des Kriegs-Ministeriums, Oberst von Thomsen, zu seinem Nachfolger ernannt worden.

Amerika. Dem Kongreß wird ein Gesetz zum Schutz der Einwanderer vorgelegt werden. Das Haupt⸗ ziel geht dahin, den Einwanderern gute Behandlung und ge⸗ sunde Nahrung während der Ueberfahrt auf dem Schiffe und sichere, schnelle und billige Beförderung auf den amerikanischen Eisenbahnen nach ihrer Ankunft zu sichern.

In New⸗Hork wird ebenfalls für eine perma— nente Ausstellung ein Krystallpalast errichtet werden. Zu diesem Zwecke ist ein entsprechendes Stück Land in der Nähe des Centralparkes für 1B700000 Dollars angekauft worden. General Dix und andere angesehene Männer sind mit der Ausführung des Planes betraut.

Die amexikanische Kommission hat ihren Bericht über die mexzikanischen Einfälle in Texas beendigt. Es wurden Untersuchungen nur auf der Grenzlinie zwischen der Mündung des Rio Grande bis zur Stadt Rio Grande, einer Strecke von 500 Meilen, angestellt, und dieselben ergaben, daß allein der von den Mexikanern angerichtete Schaden sich dort auf 30 Millionen Dollars beläuft. Dabei sind die verübten Mordthaten gar nicht berücksichtigt. Wären die Untersuchun- gen bis El Paso ausgedehnt worden, so würde die Entschädi=

ungssumme angeblich wenigstens auf 100 Millionen Dollars estzusetzen sein. Die Kommission empfiehlt, die Grenze durch . in Schutz zu nehmen, um einen Raubkrieg zu verhüten.

Der Entwurf einer deutschen Civilprozeßordnung.*) 1

S. J. »Mit den Bestrebungen nach einer politischen Eini- ung Deutschlands hat sich auch das Bedürfniß, eine Einheit es Rechts zu erreichen, verbunden. Auf dem Gebiete des mate⸗ riellen Rechts sind bereits bedeutendere Erfolge errungen wor- den. Im Rechtsverfahren dagegen besteht eine sehr erhebliche Vielgestaltigkeit fort; diese hat sogar durch die Prozeßordnun⸗ gen, welche in neuester Zeit in mehreren deutschen Staaten er lassen worden sind, an Umfang gewonnen. Mit Recht hat man

) Nach der Begründung des Entwurfs einer deutschen Civil 1 (Berlin 1872, Verlag der Königl. Geh. Ober ⸗Hof⸗ uchdruckerei R. v. Decker).

dem Streben nach einer Einheit im Rechtsverfahren tiefere Bedeutung beigelegt. Dasselbe ist ein weng des öffentlichen Lebens; die Eigenartigkeit eines Volkes findet darin ebenso ihre Ausprägung, wie in der Gestaltung der Formen für seine politische Existenz Das Bedürfniß des Verkehrs drängt zur Einheitlichkeit des Rechtsverfahrens. Der Verkehr bequemt sich nur mit Widerstreben einer vielgestaltigen Rechtsordnung an, diese wird für ihn ein Hemmniß, welches er durch Einschlagen anderer Bahnen möglichst meidet. ĩ

Mit richtiger Erkenntniß der Sachlage hat die Verfassung des Deutschen Reichs im Artikel 4 das gerichtliche Verfahren zum Gegenstande gemeinsamer Gesetzgebung gemacht.

Auch in dem , . ist die Nothwendig, keit, zu einer Einheit des Rechtsverfahrens zu gelangen, viel. fach anerkannt worden. Man darf sich indessen darüber nicht täuschen, daß gerade unter den Juristen auch zahlreiche und entschiedene Gegner vorhanden sind. Das zähe Festhalten an dem Bestehenden scheint eine Eigenheit des juristischen Sinnz zu . , welcher gewohnt ist, ein Verhältniß, weil es längere

eit bestanden hat, als wohlbewährt anzusehen und seine Mängel, welche die tägliches Anwendung oft ausgleicht, weni—⸗

er zu bemerken. Dazu kommt, daß dasjenige, was durch ange Uebung bekannt und bequem geworden, leicht eine gewisse Eingenommenheit erzeugt, welche durch die Besorgniß, sich mit Neuem und Ungewohntem einrichten zu müssen, befestigt wird. Auch ist es natürlich, daß man Einrichtungen nicht leicht und gern aufgiebt, mit welchen vielfache geistige Bestre— bungen, Mühe und Arbeit sich verbunden haben. Die deuischt Rechtsgeschichte liefert den Beweis, daß die in der Eigenthüm— lichkeit des deutschen Volks hervortretende Richtung, alle Ver, hältnisse des soziglen und politischen Lebens zu parkifularisiren, sich auch in der Rechtsentwickelung geltend gemacht hat und in Folge dessen zu einer Eigenheit des Juristenstandes geworden ist.

Nicht blos von Juristen, sondern auch von anderer Seite wird dem Streben nach Einheit des Rechtsverfahrens in Deutsch— land das Beispiel Preußens entgegengehalten, in welchem der gemeine, der rheinisch⸗französische und der Gerichtsordnungs— prozeß beinahe ohne Vermittelung eine Reihe von Jahren neben einander bestanden haben, ohne die Staatseinheit zu gefährden. Allein daß der preußische Staat diese von einander so abweichen— den Systeme bisher ohne erheblich wahrnehmbaren Schaden er— tragen hat, ist noch kein Beweis dafür, daß die Nachtheile nicht vielfach im Volke selbst empfunden worden sind, daß sie nicht oft Unzuträglichkeiten in der n, d, e,, verursacht haben, und kein Grund dagegen, nach besseren Zuständen zu streben. Die Besonderheit der Prozeßordnungen hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Staatseinheit nicht zur vollen Ent— wickelung kommen lassen. Auch der Verkehr hat darunter ge litten. Es darf nur an die Schwierigkeiten erinnert werden, welche die Verschiedenheit des Konkursverfahrens, die Voll— streckung der Urtheile in dem Gebiete einer anderen Prozeß, ordnung hervorriefen.

Aber auch aus dem bestehenden Prozeßrechte selbst ist das Reformbedürfniß nachzuweisen. Daß der gemeine deutsche Pro— zes in seiner durch die Schriftlichkeit und die Ausartung der Verhandlungs- Maxime bedingten Langsamkeit und Schwer— fälligkeit, in seiner Unsicherhelt in Folge der zahlreichen Streit— fragen und des Mangels der Kodisikation, in seiner Fremd— artigkeit und Unverständlichkeit zu dem Volks- und Verkehrs— leben seit länger als 6 im Mißverhältniß steht, beweisen die seit den . Jahrzehnten des vorigen Jahr— hunderts innerhalb Deutschlands hervorgetretenen Prozeßord— nungen, welche den Zweck hatten, diesem Mißstande abzuhelfen, unwiderleglich.

Die preußische Gerichtsordnung, welche sich in den wichtigsten Prinzipien von dem gemeinen deutschen Prozesse entfernte, ja sich in einen direkten Gegensatz gegen denselben stellte, indem sie an die Stelle der Verhandlungs- und Even— tual⸗Maxime ein Instruktionsverfahren einführte, welches dem Prozeßrichter die amtliche Fürsorge dafür auferlegte, durch jedes zulässige Mittel das materielle zwischen den Parteien be— stehende Recht zu erforschen, ist ein großartiger Versuch, sich aus den engen Grenzen des gemeinrechtlichen Formalismus zu befreien. Aber das Ziel sollte durch Mittel erreicht werden, welche sich in der Praxis als verfehlt und unausführbar er— wiesen. Es trat daher sehr bald das Bedürfniß nach Aende— rungen hervor. Die Reformen, welche die Allgemeine Gerichts. ordnung in Preußen durch die Gesetzgebung der Jahre 183 und 1846 erfahren hat, suchten von vielen einzelnen durch ,, ,, eingeführten Aenderungen abgesehen eine prinzipielle Besserung einerseits durch eine Annäherung an die Grundsäße der Mündlichkeit des Verfahrens, andererseits durch eine Rückkehr zu den beiden Grundsäßen der Verhandlungs— und Eventualmaxime zu erreichen. Aber der novellenartlge Charakter dieser Gesetze gestattete nicht den gänzlichen Bruch mit dem System der Gerichtsordnung. Das letztere blieb daneben gültig.

Dle Vereinigung so verschiedener, ja einander entgegen, gesetzter Prozeßgrundsätze, ihre Verarbeitung zu dem Ganzen des Rechtsganges blieb der Praxis überlassen. Diese hat auch hier Bedeutendes geleistet, war jedoch außer Stande, die schroffen Unebenheiten auszugleichen, die zu einander entgegengesetzten Resultaten führen müssen, je nachdem das eine oder das andere Prinzip vorwaltet.

Auch die Gesetzgebung würde die 3 unerfüllt lassen müssen, aus diesen heterogenen Elementen des preußischen Pro— zesses, unter Festhaltung an seinen bewährten Grundlagen, ein

nur einigermaßen in sich übereinstimmendes Ganzes zu gestal⸗

ten. Eine solche Aufgabe wird von Seiten preußischer Juristen vielfach der Gesetzgebung gestellt, ohne daß man erwäßt, daß das Mißlingen derselben schon in der Natur der Sache liegt, daß man nicht aus so verschiedenartigen Bestandtheilen eine Einheit herstellen, sie nicht auf einer Grundlage mit einander verbinden kann. Aber auch hiervon abgesehen, sind die Prozeß- novellen vom 1. Juni 1833 und 21. Juli 1816 weder nach Form noch Inhalt geeignet, als Ziel und Resultat des Ringens nach Einheit des Rechtsverfahrens in Deutschland angesehen zu werden. Gegen den Gerichtsordnungs⸗Prozeß gehalten, ver— körpern sie allerdings den oben enn slriln bedeutenden Fort- schritt im preußischen , ,. namentlich durch die den Schriftsätzen angehängte mündliche Verhandlung. Eine ein— ehendere Kritik kann aber unmöglich das Halbfertige, die e ge und Novellennatur in diesen Verordnungen ver— ennen.

Sieht man von dem in neuerer Zeit erheblich verbesserten Konkurs. und Vollstreckungsverfahren ab, so ist der preußische Prozeß seit den Reformen von 1833 und 1846 im a, unverändert geblieben, 6. der gänzlichen Umgestaltung des Staats- und offentlichen Lebens und der Bearbeitung und Ver— handlung fast aller anderen n n , trotz des gewaltigen 6 der Verkehrs. und Kommunikationsverhältnisse, von denen man meinen sollte, daß sie eine entsprechende Um⸗ gel ung des Rechtsverfahrens längst hätten nach sich ziehen müssen.

Daß eine solche auch im preußischen Volke dringend ge⸗

wünscht wird, hat sich sowohl in den Verhandlungen des Land—

tags, als in den Zeitschriften vielfach kundgegeben. Wenn solche

Aeußerungen vielleicht mehr in der Nation, besonders in den vom Leben und Verkehr berührten Kreisen derselben, als in dem in den geltenden Normen eingewohntem Juristenstande hervor—⸗ getreten sind, so kann hieraus auf den Mangel eines Reform⸗ bedürfnisses nicht geschlossen werden.

Der rheinisch⸗französische Prozeß beruht auf der Vertheilung von Recht und Faktum unter Richter und Par— teien. Das Faktum gehört den Parteien an. Dem entsprechend erörtern diese das Faktum, vorläufig unabhängig von der Ein- wirkung des Richters, untereinander in Schriftsätzen. Der Richter empfängt das Faktum von den Parteien, um, nach Feststellung des streitig Gebliebenen durch Beweis, Recht zu ar. Seine Thätigkeit ist die richterliche Funktion in ihrer Reinheit, eine urtheilende. Die Fortbewegung des Prozesses geht von den Parteien aus. Diese füllen mit ihrer Thätigkeit den Raum zwischen den Verhandlungen vor dem Gerichte. Es findet Freiheit der Bewegung statt, ohne welche, wie der gemeine deutsche Prozeß in seiner über das Maß getriebenen Verhand- lungsmaxime gezeigt hat, das materielle Recht im Prozesse nur zu leicht einem formalistischen Scheingebilde aufgeopfert wird.

Eine erfreuliche Erscheinung in dem Geltungsgebiete dieses Prozesses ist nicht allein die Uebereinstimmung der Juristen über die Vorzüge ihres Verfahrens, sondern auch, daß die Be⸗ völkerung sich durch dasselbe im Ganzen und Großen befriedigt fühlt und Reformwünsche in 266 der Grundlagen nicht hervorgetreten sind. Es kommt ferner die bestechende Logik in Betracht, welche aus der Vertheilung des Faktums und Rechts zwischen Parteien und Richter hervorzutreten scheint, und die Zurückführung des Richteramts auf das Urtheilen. Endlich darf die glückliche Lage nicht übersehen werden, in welcher sich der rheinische Nichter, von dem lästigen Beiwerke richterlicher Thätigkeit nicht behelligt, seinen altpreußischen Berufsgenossen gegenüber befindet, während der Advokat, bei bestehendem Anwaltszwange und der ihm überlassenen Sorge für die Er— örterung des Faktums, als beinahe unumschränkter Herr des Rechtsstreits dem altländischen Anwalt sich überlegen dünken mag. .

An dieser Stelle kommt es hauptsächlich auf die Frage an: ob der rheinisch⸗französische Prozeß mit oder ohne sachgemäße Ueberarbeitung, welche demselben bereits in verschiedenen Län— dern zu Theil geworden ist, Grundlage des neuen deutschen Prozesses zu werden geeignet ist? So viel muß man unbedenk— lich einräumen, daß, wie manche andere französische Institution, auch der französtsche Prozeß in den letzten Jahrzehnten mittel⸗ bar eine anregende, heilsame Rückwirkung auf die Entwickelung des deutschen Verfahrens geübt hat. Dennoch aber wäre der Uebergang zu diesem Verfahren ein Schritt, der eine allgemeine Zustimmüung, zumal seit der Bekräftigung des nationalen Be— wußtseins in Folge der Gründung des Deutschen Reichs, schwer erlangen würde. Als oberstes Erforderniß einer Prozeß— ordnung darf hingestellt werden, daß sie praktisch brauchbar und zweckmäßig ist, daß sie den Rechtsstreit auf dem ein— fachsten, kürzesten, sichersten Wege seiner Entscheidung zuführt. Allein daraus folgt noch nicht, daß ein Gesetzgeber ein Ver—⸗ fahren, selbst wenn es diesem obersten Erfordernisse durchweg entsprechen sollte, von einem fremden auf den heimischen Bo— den ohne Weiteres verpflanzen kann. Eine Nation, deren in bedeutenden Geschichtsepochen stärker hervortretendes Rechts. bewußtsein nicht blos das materielle Recht, sondern auch dat Rechtsverfahren umfaßt, würde in einem fremden Verfahren sich nicht wiedererkennen. Dieses würde keine Wurzel schlagen und trotz seiner Zweckmäßigkeit, von Einzelnen geschätzt, Weni⸗ gen bekannt, kein Theil des Rechtslebens des Volkes werden. Die Einbürgerung des französischen Prozesses in dem rheini⸗ schen Gebiete kann schon wegen der besonderen Verhältnisse und der nach der Einverleibung der Provinz mitwirkenden politi⸗ schen Ursachen nicht als Widerlegung dieser Ansicht angesehen werden.

Allerdings ist das öffentliche und mündliche Verfahren, welches in Frankreich seit den ältesten Zeiten sich forterhalten hat, auch a ,, des ältern deutschen Prozesses gewesen und in Deutschland erst in späterer Zeit durch den aus Italien herübergekommenen kanonisch⸗römischen er n raf, wor⸗ den. Allein andere Eigenheiten des französischen Prozesses entsprechen dem deutschen Rechtsbewußtsein um so weniger. Letzterem gehört vor Allem der durch die Geschichte des deutschen Prozesses hindurchgehende Zug an, die richterliche Machtvoll⸗ kommenheit durch Formen heilsam einzuschränken. Hierin dürfte die Quelle des sonderbar gestalteten altdeutschen Beweis— verfahrens und wahrscheinlich auch der gus dem altdeutschen Prozesse in den gemeinen übernommenen Verhandlungsmaxime zu suchen sein. Im Gegensatze hierzu, findet der französische Prozeß in der sogenannten Souveränetät der Gerichte den Ersaß für Normen des Verfahrens, welche allerdings die freie Bewegung hemmen, aber auch gegen Willkür und Uebereilung

ützen können. . 1 i ganz überwiegende Bedeutung des Urkundenbeweises im franzoͤsischen Civilverfahren ist für ein mündliches Ver⸗ fahren von wesentlichster Bedeutung; allein die Einführung des Rechtsgrundsatzes, worauf, jene Bedeutung des Urkunden beweises beruht, würde der im deutschen Volke herrschenden Rechtsanschauung und Sitte nicht entsprechen.

Ebensowenig würde es thunlich sein, den sogenannten Prozeß betrieb der Parleien in dersenigen Konsequenz und Starrheit, welche das ö, Frankreichs beherrscht, ohne Ver⸗ letzung des ö , . zu einem gemeinen deutschen Nechte zu erheben .

1 hen in Betracht, daß das französische Prozeß⸗ gesez, wie allgemein anerkannt wird, die mangelhafteste der Rapoleonischen Rechtsschöpfungen ist. Dasselbe ist nur eine neue Ausgabe der Ordonnanz Ludwigs des Vierzehnten vom Jahre 1667, auf welche der übermächtige Einfluß der Korpora— fion der Anwälte einen höchst nachtheiligen Einfluß geäußert hat. Während das Gesetz einerseits eine sehr freie Bewegung gestattet, starrt es andererseits von Formen, Auch wird, ohne haß Widerspruch zu befürchten wäre, behauptet werden dürfen, daß das Prozeßverfahren in den deutschen Rheinprovinzen durch Einwirkung der deutschen Prozeßwissenschaft mehrfach eine nicht unerhebliche Umgestaltung erfahren hat. Wie groß übrigens das Reformbedürfniß in Staaten ist, in welchen der Code de procòdure civile herrscht, zeigen nicht allein die Reformschriften aus jenen Ländern, sondern auch die aus der neuesten Zeit stammenden Entwürfe von Civilprozeßordnungen, welche im Auftrage der französischen und belgischen Regierung bearbeitet worden sind. . . ;

Einer besonderen Erwähnung verdient die hannoverische . weil sie dem sogenannten hannoverischen

ntwurfe aus dem Jahre 1866, der letzte aber wiederum einer

rößeren Reihe von Gesetzgebungsarbeiten, insbesondere auch dem 6 einer Prozeßordnung für den Norddeutschen Bund zur Grundlage gedient hat. In der hannoverischen Prozeßordnung ist der Versuch gemacht worden, ein Verfahren herzustellen, welches auf den Grundlagen des gemeinen deutschen

Pxozesses das große freigestaltete Prozeßprinzip der Unmittelbar⸗ keit der Verhandlung eines Rechtsstreits vo] dem erkennenden Gerichte mit seinen Konsequenzen in sich atlfnimmt. Funda— mental in der hannoverischen Prozeßordnung ist, daß das Haupt- verfahren in zwei Abschnitte zerfällt, von denen der erstere die Behauptungen der Parteien, der zweite den Beweis der be⸗ strittenen Behauptungen zum Gegenstande hat, daß diese beiden Abschnitte getrennt und gegeneinander abgeschlossen werden durch eine richterliche Verfügung, in welcher nach Prüfung des von den Parteien vorgelegten Prozeßstoffs diesen eröffnet wird, was und von wem zu beweisen sei; daß diese richterliche Ver⸗ fügung im Sinne des deutschen Prozeßrechts ein Urtheil ist, unabänderlich für die Instanz, in welcher sie erlassen wurde. Sobald man diese Fundamental⸗Einrichtung aufgiebt, ist die hannoverische Prozeßordnung als Grundlage für ein neues Gesetzgebungswerk nicht weiter geeignet. Den sogenannten hannoverischen Entwurf und sämmtliche ihm folgende Prozeß⸗ ordnungen oder Prozeßordnungs⸗Entwürfe, welche die erwähnte Konstruktion des Verfahrens aufgegeben haben, trifft gemein⸗ sam der Vorwurf, daß sie die große Bedeutung dieser Ab⸗ weichung in materieller und systematischer Beziehung nicht ge—⸗ nügend gewürdigt haben.« .

S8. 2. »Die Herstellung eines Reichsprozeßrechts für bürger⸗ liche Rechtsstreitigkeiten ist ein Werk von außerordentlicher Schwierigkeit. Andere Gesetze werden durch das im Volks⸗ leben und im Verkehr hervortretende Bedürfniß und die sich daran knüpfende Rechtsübung nicht selten dergestalt gezeitigt, daß der Gesetzgeber der nach Inhalt und Form fast vollendeten Rechtsidee nur die staatliche Anerkennung und Geltung aufzu⸗ prägen hat; sie fallen ihm, wie eine reife Frucht, gleichsam in den Schooß. Die neue Prozeßordnung erfordert einen Auf⸗— bau durch die Hand des Gesetzgebers vom Fundamente aus. Die Ursachen dieser Schwierigkeit find in der Geschichte und in der Zerspaltung Deutschlands zu suchen. Der einheimische Prozeß des Mittelalters ist nicht zur Ausbildung gekommen, sondern von dem über die Alpen eindringenden römisch-⸗kano⸗ nischen Rechtsverfahren, das aus dem altgermanischen nur einzelne Elemente in sich aufnahm, nach und nach, weniger auf dem Wege der Gesetzgebung als des Gewohnheitsrechts, verdrängt worden. Es liegt in der Natur der Sache, daß dies in den verschiedenen Ländern, je nach den lokalen Verhält- nissen und nach den Regierungsgrundsätzen der Fürsten, bei der schwachen Einwirkung des fruheren Reichsregiments, nicht überall auf dieselbe Weise und mit demselben Ergebnisse ge⸗ schah. Zwar bildete sich auf der fremden Grundlage allmälig der gemeine deutsche Prozeß aus; allein dieser kam theils nicht zur vollen Durchbildung eines in sich bestimmten und festge⸗ liederten Verfahrens, theils blieb er seiner fremdartigen Grundlage halber der Nation fern und unverständlich, theils artete er, bei über⸗ hand nehmender Schriftlichkeit, zu einer unerträglichen Schwerfäl⸗ ligkeit und Langsamkeit aus. Eine Anzahl deutscher Territorien, und zwar die bedeutendsten, haben sich durch eigene Prozeß⸗ ordnungen von dem gemeinschaftlichen Grunde des gemeinen deutschen Prozesses gelöst; andere sind in den letzten Jahren, nachdem in den deütschen Prozeß Leben und Bewegung ge⸗ kommen ist, gefolgt. Wenn in anderen Fällen dem Gesetzgeber die Grundlage seines Werkes durch die Verhältnisse und die Rechtsentwickelung seines Landes gegeben ist, so daß er nicht zweifelhaft sein kann, wo er anjuknüpfen hat, so ist diese Grundlage für die deutsche Prozeßordnung schwer und nur durch Reflexion zu finden. Es ist auch hier an der Regel fest⸗ zuhalten, daß der Gesetzgeber nicht sowohl Recht zu machen, nach Hinwegräumung des Bestehenden aus seinem Kopfe Neues zu schaffen, als vielinehr das im Volksleben und Verkehr sich bildende Recht weiter zu entwickeln und zu gestalten hat. Sonst läuft er Gefahr, daß sein Werk dem Rechtsbewußtsein seines Volkes fremd bleibt, in seinem Lande keine Wurzel schlägt, trotz der ihm beigelegten Autorität gesetzlicher Geltung . nicht zur Anwendung kommt oder doch sich nicht fort⸗ entwickelt.

Dem deutschen Gesetzgeber steht ein überreiches Material an Vorarbeiten zu Gebote. Man kann dasselbe in vier Gruppen sondern.

Die erste Gruppe bilden neuere, deutsche Prozeßgesetze, welche im Wesentlichen die Grundprinzipien des gemeinen deutschen Prozesses beibehalten, und die Bearbeitungen des deutschen Prozeßrechts oder einzelner Theile desselben, welche an wissenschaftlicher Bedeutung die Bearbeitungen fremder Prozeß⸗ rechte weit überragen. .

Eine zweite Gruppe bilden die aus den letzten Jahrzehn— ten herrührenden preußischen Gesetze, durch welche zuerst in den landrechtlichen, später auch in den meisten gemeinrechtlichen Provinzen eine weitgreifende Reform des bestehenden Prozeß⸗ rechts bewirkt worden ist. . e

Eine dritte Gruppe bildet der in Rheinpreußen, in Rhein. hessen und in Elsaß⸗Lothringen geltende Code de procedure civile und die in fast sämmtlichen Ländern seines Geltungs. bereichs unternommenen 6 oder weniger freien Umarbeitun⸗ gen desselben. In der neuesten Zeit ist sowohl in Belgien als in Frankreich ein projet de révision du Code de procgdure civsie bearbeitet worden. Der erstere Entwurf entfernt sich von seiner Grundlage weiter als der letztere, wenngleich nicht so weit als der Code de Geneve. ;

Im Mittelpunkte der vierten Gruppe steht die hannoversche Proseßordnung vom 8. November 1850. Sie diente bei der Bearbeitung des sogenannten hannoverschen Entwurfs als Grundlage, wie dieser wiederum die Grundlage für eine Reihe neuerer deutscher Gesetzgebungswerke abgab. Unter den letzteren sind die württembergsche Civilprozeßordnung (1868 und der Entwurf einer Cipilprozeßordnug für den Norddeutschen Bund 6 besonders hervorzuheben. Auch die neuesten Gesetzentwürfe für die nicht zur ungarischen Krone zehörigen Länder des österreichischen Kaiserstaates beruhen auf beg Grundlage. ;

Während die badische Prozeßordnung (1864) und das oldenburgsche Prozeßgesetz (1857) der vierten Gruppe zugewiesen werden können, . sich der preußische Entwurf (1864 und die bayerische Civilprozeß⸗ Ordnung (1869) in Betreff der Anlage und Konstruktion des eigentlichen Verfahrens den Gesetzen der dritten Gruppe, im Uebrigen aber den 26 der dierten Gruppe an. In ersterer Richtung unterscheiden sich die beiden Gesetzeswerke wesentlich so, daß der preußische Entwurf die dem Code de procédure civile eigenthümlichen Prozeßprinzipien mit großer Feinheit und übertriebener Kon sequenz durchführt, während das bayerische Gesetz diesen Fehler meidet und der Rechtsentwickelung in der Rheinpfalz sich an—⸗

ließt. . . . ie Geschichte der Prozeßgesetzgebung in bürgerlichen Rechts streitigkeiten beweist unwiderleglich den Satz, 3 die weitläufi⸗

en Formen einer ordentlichen Prozedur im Laufe der Zeit 6 die einfachen Formen einer beschleunigten Prozedur ver- drängt werden. Im alten Rom trat an die Stelle des Pro— zesses mittelst legis actio der ordo judiciorum privatorum und wiederum an dessen Stelle die früher nur als Aus⸗

nahme von demselben zugelassene extraordinaria causae-

Cognitio. Das von der Clementine Saepe als Ausnahm von dem alten ordo judiciarius des kanonischen Rechts ein-

geführte beschleunigte Verfahren hat in Deutschland bereits seit

zwei Jahrhunderten das Regelverfahren vollständig verdrängt und die Fortbildung des beschleunigten Verfahrens, als des neueren ordentlichen Prozesfes, ist auf dem von der Clementine Zaepe betretenen Wege der Vereinfachung und Abkürzung des Verfahrens viel weiter und über die von der Clementine noch eingehaltenen Grenzen längst hinausgegangen. Die neueste Geschichte der Gesetzzebung bietet weitere Belege für den obigen Satz. Die preußische Verordnung vom 1. Juni 1833 führte das neue (summarische) Verfahren für eine beschränkte Zahl von Fällen, also als Ausnahmeverfahren, ein; allein bereits durch die Verordnung vom 21. Juli 1846 wurde dieses Aus— nahmeverfghren zum ordentlichen Verfahren erhoben, die Pro⸗ zedur der Allgemeinen Gerichtsordnung aber nur für eine sehr beschränkte Zahl von Rechtsstreitigkeiken beibehalten. Von be⸗ sonderem Interesse ist es ferner, daß der für das Verfahren nach dem Code de procédure civile so überaus wichtige Unterschied zwischen ordinären und summarischen Sachen nach⸗ dem derselbe bereits seit Jahrzehnten den lebhaftesten Anfech⸗ tungen unterlegen hatte, nicht allein in dem neuesten Projekte für Belgien, sondern auch in dem für Frankreich in der Art beseitigt ist, daß die Prozedur in summarischen Sachen die durchgreifende Regel bilden soll.

In dieser geschichtlichen ee, ,,. liegt für jeden Gesetz⸗ geber eine wichtige Lehre, welche er nicht übersehen darf, wenn er dem Verkehrsleben seines Volkes die gebührende Rücksicht gewähren will.«

§. 3. »Innerhalb des deutschen Prozesses findet seit Jahr. zehnten eine Bewegung statt, über deren Tiefe, Nachhaltigkeit und Zielpunkte man sich wenigstens jetzt nicht mehr täuschen kann. Diese Bewegung geht unverkennbar von der Schrift- lichkeit zur Mündlichkeit hin. Sämmtliche neuen Prozeß⸗Ord⸗ nungen, die Literatur des deutschen Prozeßrechts, die Verhand⸗ lungen fast aller deutschen Landesvertretungen sind Beweise für die Bewegung selbst und deren Ziel. Wir stehen mitten in dieser Bewegung, hier liegt der berechtigte Standpunkt für den Gesetzgeber.

Ueber die erwähnten prozessuglischen Gegensätze der Schrift- lichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens ist Mancherlei geredet und geschrieben worden, allein ein allgemeines wirkliches Ver⸗ ständniß der Sache ist nicht gewonnen. Eine Verständigung über die Begriffe muß hier versucht werden.«

Zu diesem Ende beleuchtet nun die Kommission das Ver⸗ fahren nach den Prozedursystemen der oben gesonderten Gruppen.

Kunst und Wissenschaft. Hanau, 12. Dezember. In neuester Zeit ist die Aufmerksamkeit der Freunde der Geschichte und des Alterthums in der unmittelbaren Nähe der Stadt auf eine reiche Fundstätte römischer Alter⸗ thümer gelenkt worden. Diesseits, d. h. südwärts des Pfahlgrahens, der befestigten Grenze des Röinerreichs, in der unmittelbaren Nähe des Dorfes Rückingen, eine Stunde Wegs von Hanau entfernt, war schon längst ein Römerbad bekannt, das auf eine lange Zeit dauernde Niederlassung der Römer in hiesiger Gegend hinwies, und bei dessen Bloßlegung viele römische Alterthümer aufgefunden wurden, die zu⸗ sammen im Schlosse des Fürsten Isenburg zu Birstein aufbewahrt werden. Zweifellos hatten hier die Römer ein befestigtes Lager. Nicht weit, nur ein paar hundert Schritte davon entfernt, lag eine von Ackerfeld und Wald umgebene, mehrere Tagwerke große wüste Blöße, die nie anders denn als Hutweide und hier und da als Sandgrube benutzt worden ist. Ein Stück dieses wüsten Platzes, der unbekannten Ruhestaͤtte römischer Krieger, ist bei Anlegung der Frankfurt Leipziger Landstraße davon i ,, und zur Erweiterung derselben verwendet worden. Vor wenigen Jahren erhielt nun die Stadt Frankfurt von der Staats regierung die Erlaubniß, die Röhren ihrer Wasserleitungen, welche gutes Quellwasser aus dem Vogelsberg und Spessart hinüberführen sollen, in die Tiefe der Landstraße, die Staatseigenthum ist legen zu dürfen; die Legung dieser Röhren führte im verwichenen Herhbst⸗ die Entdeckung des alien Todtenfeldes herbei. Der Verein für hessische Geschichte und Alterthümer in Hanau trat nun alsbald in ein Pacht- verhältniß mit der Gemeinde Langendiebach, welche Eigenthümerin des bezeichneten Platzes ist, und ließ umfassende Nachgrabungen vor nehmen. Es wurden weit über 190 Grabstätten durchsucht und bis jetzt in 890 derselben in einer Tiefe von einem halben bis ganzen Meter verschiedene Gefäße, Münzen und dergleichen Gegen stände aufgefunden. Der Verein hat herrliche Thon, Glas= und Metallarbeiten gefunden, die für die Kunstschätze von Bedeutung sind. Die Ausgrabungen werden im kommenden Frühjahre fortgesetzt werden, und müssen da zu Ende gehen weil das alte romische Grabfeld ein nutzbarer Wald werden soll. Der Verein für hessische Geschichte und Landeskunde hat sich, da er nicht aus eigenen Mitteln sich zur Aufstellung seiner zahlreichen Sammlungen ein Lokal miethen kann, mit einem Gesuch um Ueberlassung eines geeigneten Lokals im ehemaligen Regierungsgebäude zu Hanau an die Königliche Negierung zu Cassel gewandt. Inzwischen werden die auf sefundenen Münzen von einem tüchtigen Kenner und eifrigen Sammler, 6 Gymnasiallehrer Dr. Souchier, beschrieben und näher bestimmt, und der JZeichenakademie⸗ Direktor Hausmann hat es über- nommen, die durch Kunstwerth hervorragenden Stücke bildlich dar stellen zu lassen. Der Geschichtsverxein beabsichtigt, über seine Funde ö. Schrift nach dem Schlusse der Ausgrabungen heraus. ugeben. ; Im Verlage von D. B. und T. G. Wie mann (J. F. Stein haus) in Barmen ist vor Kurzem erschienen: Lui se, Königin von Preußen. Ein Lebensbild für deutsche Frauen und Jung-

auen von hr. G. E. Burckhardt, Qber. Domprediger und Superinten ent in Stendal 6 B. S'. Das Werk behandelt in einer seiner aus. . Bestimmung angemessenen Weise die wechselvollen ebensschicksale der allverehrten hohen Frau, deren hehres Bild mit unauslöschlichen Zügen in das Gedächtniß ihres treuen Volkes einge⸗ graben ist, und von der Jean Paul am Schluß seiner »schmerzlich= kröstenden Erinnerungen an den 19. Juli 18104 sagt: * sie geboren wurde, trat ihr Genius vor das Schicksal und sprach⸗ 0 habe vielerlei Lränze für das Kind, den Blumenkranz der Schönheit, den Myrthenkranz der Ehe, die Krone eines Königs, den Lorbeer. und Eichenkranz deutscher Vaterlandsliebe, auch elne Dornenkrone: welche von allen darf ich dem Kinde geben ?«« Gieb ste ihm alle, Deine Kränze und Kronen, sagte das Schicksal, aber es bleibt noch ein Kranz zurück, der alle übrigen belohnt« der himmlische

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Reichsland, Heidentempel auf dem Mont Donon in den Ve Die westpreußische Säkularfeier, der Ritterzug bei der Grund legung des Denkmals Friedrich d. Gr. vor der Marienburg. Rr. 15235. Bayerische Volkstrachten. ibsõ. Lutas Cra nach der Aeltere. Ludwig Feuerbach. . burg, Gemälde von Zichy. Die H des ö. Schlosses am 29. September. Die Kartoffelernt.

rund. Aus den illustrirten Monatsheften Deutsch edel, von Julius Lohmeyer. Nr, 31. Mel . Eine Ausstellung von Rindpieh in Augsb

lbbrücke bei Hamburg. Nr. 15332. Die goldene

sischen Königspaares. Die deutsche Kolonie in *

deutscher Urwald (das neuenburger Holz bei Bockhorn unw

im Oldenburgischen. Die Festgaben zum Ehrenjubiläum

Suther auf der Wart.