zu ermächtigen. Dabei wurde ein Antrag angenommen: der Re⸗ gierung gegenüber die Erwartung auszusprechen, daß die ge⸗ fammte CEivilrechtspflege erster Instanz in Einem Gerichtsgebäude vereinigt werde.
Württemberg. Stuttgart, 17. Januar. In der gestrigen Sitzung der Zweiten Kammer konnte wegen Un⸗ wohl eins des Justiz⸗Ministers v. Mittnacht die Berathung über den Neubau eines Justizpalastes, die als erster Gegenstand auf der Tagesordnung stand, nicht vorgenommen, sondern mußte auf Montag Abends verschoben werden. Die Berathung über den Bau eines weiteren akademischen Krankenhauses in Tübingen war daher einziger Gegenstand. Die neue Anstalt soll zu 70 Betten eingerichtet werden und außerdem noch eine besondere Abtheilung für die Augenheilkunde mit 24 Betten erhalten, das alte der chirurgischen, das neue der medizinischen Klinik dienen. Exigirt ist dafür die Summe von 475,900 Gulden, die aus den Mitteln der französischen Kriegsentschädigung genommen werden sollen. Die Kommission trug einstimmig auf Verwilligung an, und auch in der Kammer erhob sich keine Stimme dagegen. Die Debatte betraf die von Freiherrn W. v. König aufgeworfene Frage der Konkurrenz für Baupläne bei größeren Staatsbauten überhaupt, auf welche sein Antrag lautete. Finanz⸗Minister v. Renner erklärte sich gegen den Antrag in seiner Allgemeinheit, war aber nicht gegen denselben in der vom Abg. Baumgärtner vorgeschlagenen, von Mohl empfohlenen Form, nämlich die Frage der Regierung zur Erwägung zu geben. Die Exigenz von 475,000 Gulden wurde einstimmig verwilligt und der nach Baumgärtners Ansicht formulirte Antrag des Freiherrn v. König gleichfalls an⸗ genommen.
Baden. Karlsruhe, 16. Januar. In der heutigen 18. Sitzung der Zweiten Kammer, in welcher der Abg. Friderich über die Nachweisung der in den Jahren 1871 und 1872 eingegangenen Staatsgelder und deren Verwendung Be⸗ richt erstattete, handelte es sich auch um die seit dem 1. Januar 1872 ertheilten Administrativkredite, zu welchen es in dem Be⸗ richt der Budget⸗Kommission heißt:
„Indem wir die nähere Pruͤfung dieser ungewöhnlich hohen und zahlreichen Administrativkredite dem kommenden Landtag hiermit vor⸗ behalten, beantragen wir, die Kammer wolle die Erwartung ausspre⸗ chen: Die Regierung werde Administrativkredite nur in dringenden, durch die Staatsinteressen gebotenen Fällen ertheilen.“
Die Unterbringung der Großherzoglichen Gesandtschaft zu Berlin in einem von der Großherzoglichen Staatsverwaltung zu erwerbenden eigenen Gebäude daselbst hatte sich bei den seit einer Reihe von Jahren in Berlin herrschenden außergewöhnlichen Wohnungsverhältnissen als ein dringendes Bedürfniß heraus⸗ gestellt. Nachdem die Ermächtigung zur Einleitung von Kaufs⸗ verhandlungen und zum Abschluß eines Kaufvertrages ertheilt worden war, wurde bereits im Mai 1872 ein entsprechendes Haus, Behrenstraße Nr. 70 zu Berlin, um den Preis von 115,000 Thlrn. oder 201,250 fl. angekauft. Diese Summe und weitere Kosten für Umbau u. dgl., zusammen 290,500 fl., wurden durch Administrativkredite aufgebracht. Staats⸗ Minister Dr. Jolly erklärte,. „Ende März 1872 war der Landtag geschlossen, und in Berlin war eine ge⸗ meinsame Kanzlei für umfassende Registraturen und Akten ir die Bundesrathsmitglieder und den Gesandten, sowie auch im Interesse der Reichstagsabgeordneten Badens dringend noth⸗ wendig. Das gleiche Bedürfniß hat sich für andere Staaten des Reichs herausgestellt. Hätte man damals den Landtag abwarten wollen, so würden die Uebelstände für drei Sessionen des Reichs⸗ tags fortgedauert haben; es mußte dem dringenden Bedürfniß abgeholfen werden. Damit wurde der Gegenstand verlassen. — Der oben mitgetheilte Antrag in Betreff der Administrativkredite wurde angenommen. — Vom Abgeordneten von Buß ist ein Antrag gestellt:
„Das Haus spricht den Wunsch aus, daß die Vertreter Badens im Bundesrathe sich dort für Gewährung von Diäten an die Reichs⸗ tagsabgeordneten erklären.“
Aus den Staats rech nungen ist noch Folgendes erwähnens⸗ werth: Die Gesammtkosten der Eisenbahnen betrugen 1872 143,434,755 fl. Diese Summe hat sich pro 1872 verzinst mit 421 Proz. Eine Abrechnung über den badischen Antheil an den Einnahmen der Reichspost, an welche mit dem Jahre 1872 die badische Post übergegangen ist, hat bis Ende 1872 noch nicht stattgefunden; als geringster Antheil ist für die Dauer von 8 Jahren an Baden die Summe von 175,000 fl. garantirt; es wird dieser Antheil nach dem Budget der Reichspostverwaltung auf 2093 303 fl. berechnet für das Jahr 1873. Die Bodensee⸗ Dampfschiffahrtsverwaltung hat den veranschlagten Ueberschuß von 3400 fl. nicht geliefert, es zeigte sich vielmehr eine Unzu⸗ länglichkeit von 63, 965 fl. 53 Kr.
Sessen. Darmstadt, 19. Januar. Der Prinz Alexander ist heute zu den Feierlichkeiten der Vermählung der Großfürstin Marie nach St. Petersburg abgereist.
Sach sen⸗Weimar⸗Eisenach. Weimar, 20. Januar. Der Großherzog hat am 29. Dezember v. J. den Königlich sächsischen Gesandten und bevollmächtigten Minister, Kammerherrn und Geheimen Legations⸗Rath von Carlowitz in feierlicher Audienz empfangen und aus dessen Händen ein Schreiben Sr. Majestät des Königs Albert von Sachsen entgegengenommen, durch welches derselbe wiederholt als außerordenktlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister am Großherzoglichen Hofe beglau⸗ bigt wird. Herr ron Carlowitz hatte hierauf die Ehre, von der Großherzogin in einer Audienz empfangen und dann zur Groß⸗ herzoglichen Tafel gezogen zu werden.
— In seiner heutigen Sitzung beschäftigte sich der Land⸗ tag mit der Wahl des Finanz-, Petitionst, Rechtsgesetzgebungs⸗, Administratipgesetzgebungs⸗ und Verfassungs⸗Ausschusses.
Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Gotha, 19. Januar. In der heutigen Sitzung des Sonderlandtages wurde ein An⸗ trag auf Regelung des Vereins- und Versammlungs⸗ wesens eingebracht. — Nach einer vom Staats⸗Ministerium abgegebenen Erklärung ist auf das Herzogthum Coburg⸗Gotha bei den beiden Vertheilungen (360 und 30 Millionen) der fran⸗ zösischen Kriegsentschädigung die Summe von 411,213 Thlrn. entfallen, so daß für Gotha der betreffende Betrag auf 287,840 Thlr. 21 55 sich beziffert, der zeitweilig bei der hie⸗ sigen Grundkreditbank niedergelegt ist.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 20. Januar. Der Kaiser ertheilte gestern hier Audienzen. Die Kaiserin ist gestern Vor⸗ mittags von München in Wien angekommen und Nachmittags nach Budapesth abgereist. ;
— (W. T. B) In der nächsten Sitzung des Herren⸗ hauses wird die Regierung, wie in gut unterrichteten Kreisen verlautet, Gesetzentwürfe über die Wahrung der Rechte der Be⸗ sitzer von Pfandbriefen, über die Anlegung von Eisenbahn⸗
büchern, sowie über die Wirkung der an einer Eisenbahn einge⸗ räumten Hypothekarrechte und die Sicherung der Rechte von Eisenbahnprioritätsgläubigern einbringeu.
— 21. Januar. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Reichsraths sind die konfessionellen Gesetzesvor⸗ lagen eingebracht worden, und wird über den Inhalt dersel⸗ ben folgendes Nähere mitgetheilt: Der erste Gesetzentwurf, wel⸗ cher von der Vesetzung der Kirchenämter und Pfründen han⸗ delt, hebt das Konkordat formell auf. Jede Besetzung muß der Staatsbehörde angezeigt werden und kann eventuell in⸗ hibirt werden. Die Bischöfe sind verpflichtet, ihre Er⸗ lasse gleichzeitig mit der Publikation derselben der Staatsbehörde mitzutheilen. Kirchliche, den Gottesdienst be⸗ treffende Anordnungen können aus öffentlichen Rücksichten unter⸗ sagt werden. Der Gesetzentwurf regelt ferner den Einfluß des Staates auf das Kirchenvermögen.
Der zweite Gesetzentwurf ordnet die Rechtsverhältnisse der klösterlichen Genossenschaften. Nach demselben ist zur Errichtung eines Klosters oder Ansiedelung einer klösterlichen Genossenschaft die Genehmigung des Staates und die Vorlage der Statuten erforderlich. Im Falle der Nichtgenehmigung soll die betreffende kirch⸗ liche Korporation aufgehoben resp. derselben die Bewilligung ent⸗ zogen werden. Wenn ein Mitglied einer kirchlichen Korporation vor der politischen Behörde seinen Austritt erklärt, soll dasselbe vom Staate als ausgeschieden betrachtet werden. Die Vorstände der Korporationen sollen alljährlich ein Verzeichniß der Mit⸗ glieder bei den staatlichen Behörden einreichen und die ertheilten Disziplinarstrafen angeben. Stiftungen, Schenkungen, Legate zu Gunsten kirchlicher Korporationen sollen der staatlichen Genehmigung bedürfen. Bei Verdacht gesetzwidriger Vor⸗ gänge kann eine Visitation durch die Staatsbehörden erfolgen. Zur Niederlassung auswärtiger kirchlicher Korporatio⸗ nen oder zur Erwerbung von Grundbesitz für die inländischen ist ebenfalls Genehmigung des Staats erforderlich.
Der dritte Gesetzentwurf regelt die Beiträge aus dem Ver⸗ mögen der Pfründen zu dem Religionsfonds behufs Deckung der Bedürfnisse des katholischen Kultus. Die Beiträge sollen auch zur Aufbesserung des Einkommens der Geistlichkeit und zur Deckung des bisher aus den Staatsfinanzen bestrittenen Auf⸗ wandes dienen.
Der vierte Gesetzentwurf enthält Bestimmungen über die gesetzliche Anerkennung der noch nicht anerkannten Religions⸗ genossenschaften. Dieselbe soll erfolgen, wenn die Religionslehre, der Gottesdienst und die Verfassung dieser Genossenschaften nichts Gesetzwidriges oder sittlich Anstößiges enthält und die Genossen⸗ schaft einen Namen führt, der keine Verletzung Andersgläubiger involvirt. Die übrigen Bestimmungen sind den entsprechenden Bestimmungen über die bereits anerkannten kirchlichen Korpora⸗ tionen analog.
Pesth, 20. Januar. (W. T. B.) Das Ministerium hat heute im Einundzwanziger⸗Ausschusse die Entwürfe für die Budgets der Jahrgänge 1875, 1876 und 1877 vorgelegt. Nach denselben würde sich ein Defizit für 1875 von 21 Millionen, für 1876 von 144 Millionen und für 1877 von 127 Millionen er⸗ geben. Durch Ersparungen und Steuerreformen wird sich indeß voraussichtlich eine jährliche Mehreinnahme von 127 Millionen über den Anschlag herausstellen.
Schweiz. Bern, 20. Januar. (W. T. B.) Der Bun⸗ desrath hat die Einladungen zu dem internationalen Post kong resse erlassen, welcher, nachdem Rußland seine Theil⸗ nahme an demselben zugesagt hat, nunmehr am 15. September d. J. hier zusammentreten n, — Das Budget der inter⸗ nationalen Telegraphen⸗Verwaltung ist mit einem Ausgabeüberschusse von 86,500 Franes vom Bundesrathe ge⸗ nehmigt worden.
— Der Nationalrath setzte heute die Berathung über.
die Revision der Bundesverfassung fort und ertheilte der vom Ständerathe beschlossenen Fassung des vom Unterrichts⸗ wesen handelnden Art, 25 in allen wesentlichen Punkten seine Zustimmung.
Frankreich. Versailles, 20. Jinuar. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Nationalversammlung stand die Inter⸗ pellation des Generals du Temple über die Wiederbesetzung des Gesandtschaftspostens beim italienischen Hofe auf der Tagesordnung. Der Minister der auswärtigen Angelegen⸗ heiten, Herzog von Decazes, verlangte die Vertagung der Interpellation, und gab bei dieser Veranlassung folgende Er⸗ klärungen ab: Richts rechtfertigt die Erregung der letzten Tage. Keine Mißhelligkeit hat unsere guten Beziehungen zu Italien gestört. Ich bin autorisirt, dies unter der speziellen Zustimmung des Marschall⸗Präsidenten zu versichern. Un⸗ sere Politik besteht darin, den Papst mit frommer Ehrerbie⸗ tung und sympathischer Fürsorge zu umgeben und diese unsere Fürsorge auch auf seine geistliche Autorität und Unabhängigkeit auszudehnen. Unsere Politik besteht aber auch darin, mit dem Italien, wie es die Umstände geschaffen haben, aufrichtige Beziehungen des guten Einvernehmens und der Freundschaft zu unterhalten. Unsere Politik gegen die anderen Mächte ist dieselbe. Wir wollen den Frieden, weil wir ihn für das von allen Parteien erstrebte Wohlergehen Frank— reichs für nothwendig halten. Wir wollen den Frieden mit ganz Europa und werden unaufhörlich arbeiten, um allen Kon⸗ flikten und Mißverständnissen vorzubeugen. Wir werden uns bemühen, allen Aufreizungen von welcher Seite sie auch kommen mögen, zu unterdrücken. Die Würde Frank⸗ reichs würde nur gefährdet werden durch eine abenteuerliche Politik, welche uns zu einem Akte der Schwäche oder zu einer Tollheit führen würde. Frankreich ist stark genug, um immer verständig handeln zu können. Der Minister sprach darauf die Erwartung aus, daß diese Erklärungen genügen würden, um unfruchtbare Debatten abzuschneiden, die nur die Sicherheit des Landes n, könnten, und verlangte deshalb die Vertagung der Interpellation du Temple. — Der Antragsteller hielt trotz dieser Erklärungen des Ministers seine Interpellation aufrecht und verlangte das Wort. Die Versammlung beseitigte aber die Interpellation durch Annahme der Vorfrage. — Sodann wurde das Maires⸗Gesetz mit 367 gegen 324 Stimmen ange⸗ nommen.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 19. Januar. Die beim Ministerium der Reichsdomänen eingesetzte Kommission zur Berathung der Frage von der Verschmelzung der ausländischen Kolonisten des europäischen Rußlands mit der bäuerlichen Fommunalorganisation hat auch eine Umgestaltung der Verhältnisse der ackerbautreibenden 53 in den Gouverne⸗ ments Chersson und Jekaterinoslaw ins Auge gefaßt, die jetzt unter dem Ressort des besonderen Fürsorgekomites für auslän⸗ dische Ansiedler stehen.
— Ueber die Kriegsmarine im Baltischen Meere bringt der „Kronst. Bot.“ folgende Daten: Während des ab⸗
gelaufenen Jahres zählte die Ostseeflotte im Ganzen 81 aus⸗ gerüstete Schiffe mit 4 Admiralen, 738 Stabs⸗ und Ober⸗Ofst⸗ zieren, gi87 Mann, 134 Gardemarines und Condukteuren, 355 Zöglingen und 96 Personen verschiedener Berufsarten an Bord. Außerdem sind aus der Ostsee sieben Schiffe ins Ausland ab⸗ gegangen, auf denen sich 166 Stabs⸗ und Ober⸗Offiziere, 97 Gardemarines und Condukteure und 2764 Mann befanden.
— 20. Januar. (W. T. B.) Heute hat das feierliche Leichenbegängniß des GSeneral⸗Feldmarschalls Gra⸗ fen Berg stattgefunden. Graf Berg war am 26. Mai 17990 geboren und schon im Jahre 1814 Kapitän im russischen Generalstabe; im Jahre 1826 hatte ihn Kaiser Nikolaus zum General⸗Major ernannt. Im Jahre 1849 war der Verstorbene russischer Bevollmächtigter im österreichischen Hauptquartier während des Feldzuges in Ungarn und wurde für seine hervorragende Thätigkeit durch die Er⸗ hebung in den öcsterreichischen Grafenstand ausgezeichnet. Als General⸗ Gouverneur und Truppen⸗Commandeur in Finnland bestand Graf Berg das dreitägige Bombardement von Sweaborg durch die britisch⸗französische Flotte vom 8. bis 10. August 1855; für die Vertheidigung Sweaborgs verlieh Kaiser Alexander an seinem Krönungstage (7. September 1856) dem General Berg den Titel eines finnländischen Grafen. Im März 1863 wurde Graf Berg zum Adjunkten des damaligen Statthalters von Polen Großfürsten Konstantin und nach dem Rücktritte des letzteren am 31. Oktober desselben Jahres zum Statthalter und Oberbefehlshaber der russischen Armee im Kö⸗ nigreiche Polen ernannt.
Schweden und Norwegen. Stockholm, 17. Januar. Am 21. d. M., dem 45. Geburtstage des Königs wird im Schlosse ein großer Ball mit Souper veranstaltet werden, wozu etwa 1800 Personen, und darunter die Mitglieder des Reichstages Einladungen erhalten sollen. Am 13. d. M. gab die Königin große Cour für die bisher noch nicht präsentirten Damen, welche um die Erlaubniß angehalten hatten, Ihrer Ma⸗ jestät vorgestellt zu werden. In den ersten Tagen des Februar werden die Majestäten wahrscheinlich nach Christiania reisen.
— Seit vorgestern ist der Reichstag wieder eröffnet. Am 15. wurden die Vollmachten der neu gewählten Repräsentanten von dem Justiz-Minister geprüft und saͤmmtlich richtig befunden. Gestern hatten beide Kammern ihre erste Zusammenkunft, und diese wurde eröffnet von dem ältesten Mitgliede jeder Kammer, nämlich in der Ersten von dem General⸗Lieutenant, Freiherr J. M. Sprengtporten, dem früheren Oberstatthalter in Stockholm, der seit der Einführung der neuen Repräsentation bei jedem Reichstage diese Pflicht gehabt hat, und in der Zweiten zum erstenmal von dem Landeshauptmann Grafen E. Sparre. Um 11 Uhr begaben sich die gewählten Deputirten nach dem Schlosse, um den König um die Ernennung der Sprecher und Vicesprecher zu ersuchen, und kehrten zuruͤck mit der Nachricht, daß der König die Vorsitzenden des vorigen Reichstages auch für diesen dazu ausersehen habe, nämlich zu Präsidenten den Landshauptmann Grafen G. Lagerbjelke in der Ersten und den Landshauptmann G. F. Asker in der Zweiten Kammer, und zu Vice⸗Präsidenten den Kabinets⸗Kammerherrn Frhr. FJ. A. Funck in der Ersten und den Gutsbesitzer Frhr. J. G. N. S. Akerhjelm in der Zweiten Kammer, worauf die Präsidenten an die Kam⸗ mern eine Anrede hielten. Heute finden die Wahlen zum Se⸗ kretär und anderer Aemter beim Reichstage statt, und über⸗ morgen wird nach einem vollständigen Gottesdienste in der Nicolaikirche der Reichstag im Reichsfaale des Schlosses durch die Thronrede eröffnet werden. (S. d. gestr. Nr. d. Bl.)
— Die Stadt Gothenburg, welche jetzt über 60,0060 Bewohner hat, beansprucht die Wahl von 2 Repräsentanten in der Ersten und 6 in der Zweiten Kammer des Reichstags oder in jeder Kammer von einem mehr, als der Stadt bei der Wahl im September 1872 zukam.
Dänemark. Kopenhagen, 17. Januar. Der Kron⸗ prinz ist heute Nachmittag um 4 Uhr mittelst Dampfschiff ab⸗ gereist, um sich über Stralsund und Berlin nach St. Petersburg zur Vermählung des Herzogs von Edinburgh mit der Groß⸗ fürstin Marie zu begeben. Der Kronprinz ist auf dieser Reise vom Hofchef, Graf Dannestjold⸗Samsö, dem Commandeur der Leibgarde, Kammerherr Oberst Bauditz und dem Premier⸗Lieu⸗ tenant im Garde⸗Husaren⸗Regiment, Baron A. F. Wedell⸗ Wedellsborg, begleitet.
— Die Interpellation, welche die Folkethings⸗Abgeord⸗ neten Graf Holstein⸗Ledreborg, L. Larsen, Schjörring und Ter⸗ mansen an den Conseil⸗Präsidenten stellen wollen, lautet wörtlich:
„Erkennt das Ministerium an, daß es die Verantwortlichkeit für die Veröffentlichung des Königlichen Handschreibens vom 2. Januar 1874 zu tragen hat?“
Amerika. Washington 20. Januar. (W. T. V.) Das Finanzkomite des Kongresses empfiehlt, die Cir kulation des Papiergeldes auf 400 Millionen Dollar zu beschränken, und erklärt fich mit einer neuen Emission von Re⸗ servenoten einverstanden.
Aus New⸗Hork wird unterm 17. d. Mis. gemeldet: Der zur Untersuchung des Unterganges des Freibeuterschiffes „Vir⸗ ginius“ ernannte Marine⸗Gerichtshof hat das Sinken des Fahrzeuges für unvermeidlich befunden.
Asien. Aus Bengalen wird über London, 20. d. M. gemeldet, daß die Regierung die größten Anstrengungen macht, um der drohenden Hungersnoth vorzubeugen.
— Ein vom 13. d. M. datirtes und am 16. in Penang aufgegebenes Telegramm des General⸗Lieutenants van Swieten
über die niederländische Expedition gegen Atchin
meldet: .
„Wiederum ist eine Hauptstellung des Feindes mit Sturm ge— nommen worden, diesmal mit einem geringen Verluste, der sich nur auf 17 Verwundete belie Wir bemächtigen uns nämlich der Linie von der Moschee (dem Misstgit) nach Kota⸗Potjoet, wodarch der Feind im Kraton seine wichtigste (voornamsle) Kommunikation nach außen verliert; denn das Hauptthor des Krafons nach der Uferseite ist gesperrt und unter dem Schusse unserer Artillerie. Man beherrscht (beheerst) den Kraton von Kota-Potjoet aus mit Gewehrfeuer. Was Alles der Feind gearbeitet hat, und welch eine Energie er zeigt, um uns zu widerstehen, ist unglaublich. Aber wir sind auch nicht müßig, Sappenarbeit, Batteriebau, Tranchee und andere Wechten oder Sicherheitédienste und blutige Gefechte gehen Hand in Hand. Dennoch ist der Geist der Truppen fortwährend vorzüglich, und mit Recht; denn sie haben bei allen Gelegenheiten obgesiegt. Der Fall des Kratons wird ganz in Kurzem (nabij) eiwartet. Doch ist, um diesen Platz ohne ansehnlichen Verlust dem Feinde zu entreißen, nech viel zu thun, wegen gedeckten Terrains und dahinter gelegener Werke. Dreien von den Begleitern unseres Sendhoten, der beauftragt gewesen war, Briefe (an den Sultan) nach dem Kraton zu überbringen, ist es geglückt, 66 zu entfliehen; sie haben berichtet, daß der Sendbote ermordet worden.
Atchin, 12. Januar. 200 Atchinesen haben das Hauptquartier
der niederländischen Truppen im Rücken angegriffen, während der
rößte Theil der niederländischen Streitkräfte von da ahwesend war. ie Angreifer wurden nichtsdestoweniger zurückgeschlagen.“
Wie der niederländische „Staats⸗Courant“ angiebt, ist der
Kota⸗Potjoet an der Südwestseite des Kratons gelegen.“
Afrika. (W. T B.) Nach den vorliegenden Meldungen von der Goldküste, welche bis zum 3. Januar reichen, waren die Truppen im Vorrücken begriffen und sollten am 15. den Prah⸗Fluß überschreiten. Die unter dem Kommando des Ober⸗ sten Glover stehende Abtheilung setzte ebenfalls in Gemäßheit der Instruktionen des Generals Wolseley ihren Marsch in das Innere fort. Der Gesundheitszustand der Truppen war der beste.
— Nachrichten aus Casablanca vom 3. d. M. melden die Ankunft des Sultans von Marocco in Mequirez, wo ihm zu Ehren große Festlichkeiten stattfanden. Mulai⸗el⸗Kabir wurde von des Sultans Bruder, Mulai Smain, gefangen genommen, und es darf angenommen werden, daß die Thronbesteigung Mulai Hassan's nunmehr geregelt ist.
Landtags ⸗Angelegenheiten.
Berlin, 21. Januar. In der gestrigen Sitzung des Hauses der Abgeordneten erklärte der Justiz-Minister Br. Leonhardt in der Diskussion über den Gesetzentwurf, betreffend die Beurkundung des Personenstandes ze, nach den Abgg. Dr. Petri und von Bismarck (Flatow), welche das Petri'sche Amendement zu 5§. 52:
„Ein Gleiches gilt von den Bestimmungen, welche die Schlie⸗ ßung einer Ehe wegen Verschiedenheit des Religionsbekenntnisses oder die Trennung einer Ehe dem Bande nach wegen des Religions⸗ bekenntnisses verbieten u. s. w.“
befürwortet hatten:
Meine Herren! Ich vermag mich für das Amendement des Hrn. Dr. Petri nicht zu erklären. Soviel ist gewiß, de ö dieser Antrag für das Gesetz nicht nothwendig ist, keine Lücke ausfüllt; er enthält mehr einen äußeren Zusatz. Ich glaube nicht, daß es thunlich ist, so ganz beiläufig einen der wichtigsten Grundsaͤtze dez kanonischen Eherechts, wie es in den gemeinrechtlichen Provinzen noch besteht, zu beseitigen. Es mag sein, daß nach Lage der Verhältnisse, insonderheit auch mit Rücksicht auf den Inhalt dieses Gesetzes es sich empfiehlt, diesen be⸗ treffenden Grundsatz des kanonischen Rechts zu, beseitigen; diefez kann aber nur geschehen nach, sorgfältiger Er— wägung der Verhällnisse. Eine solche Behandlung erfordert innere und äußere Gründe. Wenn man aber den Grundsatz beseitigen wollte, welchen der Herr Abgeordnete im Auge hat, so würde es meines Er⸗ achtens nicht genügen, jo zu disponiren, wie der Herr Antragsteller disponirt wissen will. Der Herr Abgeordnete faßt Die Sache negativ; er will den Grundsatz insofern beseitigen, als derselbe ein negatives Erforderniß für die Eheschließung abzielt. Es müßten iedenfalls da—⸗ neben aber auch positive Vorschriften getroffen werden, es muß be⸗ stimmt werden, wie nun erkannt werden und was nun Rechtens sein soll. Richtig ist es allerdingz, daß der kanonische Grundsatz auch als negatives Erforderniß für die Eheschließung in Betracht kommt. Bei Erwägung der Veihältnisse habe ich geglaubt, daß es wohl erforderlich werden könnte, über das Eheschlietßungsrecht beson— dere Vorschriften zu erlassen; ich habe in dieser Richtung auch bereits die weiteren Vorarbeiten eintreten lassen. Kemmt man dahin, Die Voraussetzungen der Eheschließung zu regeln, so wird man auch das betreffende negative Erforderniß mit in Betracht ziehen können. In der Form, welche der gestellte Antrag an sich trägt, glaube ich nicht, daß ich ihn zur Annahme des Hohen Hauses empfehlen kann.
Dem Abg. Dr. von Gerlach, welcher die Streichung des §. 52 beantragt hatte, erwiderte der Staats⸗Minister Dr. Falk:
Die Bemerkungen des Hrn. Abg., von Gerlcich in Verbindung mit denjenigen Ausführungen, die der Hr. Abg. von Wedell⸗Vehlingẽ⸗ dorff vor einigen Tagen machte, nöthigen mich zu einigen Gegenaus⸗ führungen Der Hr. Abg. von Gerlach hat heute dem Derr Justiz Minister, wenn ich recht verstanden habe, eine gew sse Inkonsequenz entgegengehalten, insofern der Herr Minister sich gegen den Antrag dez Hrn. Abg. Dr. Petri auch aus dem Grunde erklärte, daß derselbe eine Materie berühre, die nicht mit Nothwendigkeit in dieses Gesetz gehöre. Diese letzte Cigenschaft hat der Herr Abgeordnete auch dem⸗ jenigen Satze des 5. 52 der- gegenwärtigen Zusammenstellung. welcher das Ehehinderniß der Religionsverschiedenheit beseitigen soll, zugeschrieben. In den Motiven ist darauf hingewiesen worden, daß eine derartige estim · mung eine ganz nothwendige Konsequenz des vorliegenden Gesetzes sei, und ich muß noch kinzufügen, uicht blos eine theoretisch neihwendige, sondern eine solche, die durchaus gezogen werden muß, um Verwirrung zu verhüten. Wir müssen uns nämlich vergegenwärtigen. wie jetzt in Altpreußen die Sache liegt. Es besieht für die Juden die Vorschrift, daß ihre Ehen ver dem Richter geschlossen werden. Digselbe Vor⸗ schrift besteht für diejenigen Christen, welche aus der Landeskirche ausgeschieden sind, und es ist bon in fang an, seit 1847 also, wenig; stens Praxis des großen Stadtgerichts in Berlin gewesen, daß durch diese Bestimmung die Ehe zwischen Juden und der dande lirch⸗ nicht angehörenden Christen eine vollkommen zulässige sei. Auf Grund dieser Kuffassunz sind Hunderte von Ehen geschlossen werden, und diese Auffasfung bat in den letzten Fahren auch bei anderen Gerichten eine weitgehende Anerkennung gefunden, seitdem von dem Herrn Justiz⸗ Minister vorgeschrleben worden ist, daß es möglich sein soll, durch Herstellung gemeinsamer oder gleichlaut ender Register, auch einen formalen Einwand zu beseitigen, der gegen die Zulässigkeit solcher Ehen aufgestellt worden ist. Wir haben also bereits den Zustand, dah auf Grund der Givilehe die Ehe zwischen Christen und Juden zulässig ist, und wenn nun die Civilche im Ganzen für alle Fälle eingeführt wird, so glaube
ich, die Konsequen; ist eine absolut gebotene, dasselbe auszusprechen für alle Fälle.
Thäten wir das nicht, wir würden das größte Be⸗ denken erregen , n ,, . Satzes, daß jene seit zwanzig ahren geschlosfsene Ehen gültige seien. . ö. bi g 6 . des Taufzw ang es betrifft, so hat ja diese Bestimmung einen doppelten Grund gehabt, einmal den Grund, das Interesse des Staates zu wahren, welches verbunden ist mit einer regelmäßigen, sicheren Konstatirung der Geburten, dann aber auch vill ich nicht lengnen, daß das Reskript von 1802, aus welchem die Be⸗ silmmung des Anhangs zum Allgemeinen Landrecht, um die es sich hier handelt, hervorgegangen ist, auch davon ausgeht, daß es ein Segen sei, die christliche Taufe zu empfangen, und aus diesem Grunde sich gleichfalls ein staatlicher Zwang zur Erzielung derselben recht fertige. 6 . ; Was den ersten Grund betrifft, so glaube ich, bedarf es keiner Ausführung, daß er vollkommen hinfällig wird, wenn dieses e. ur Annahme gelangt, was aber den kirchlichen Standpunk etrifft, so muß ich zunächst konstatiren, daß es vom Er⸗ cheinen ber Verfassungéurkunde an, wie es auch hald nach der⸗ 6 zum Ausdräck gebracht worden ist, die Auffassung der Staatsregierung war, daß eigentlich diese Rücksicht bereits durch die Verfässungsurkunde beseitigt sei, und daß ein staatlicher, ein polizeilicher Zwang — in der That ist es nichts Anderes — nicht mehr vereinbar sei mit den Gedanken, die in der Verfassungsurkunde 3 Formulirung gefunden haben, namentlich in dem Art. 12 der erfassung. . j igt nun doch außerordentlich nahe, daß, wenn dieses Kapitel vom staatlichen Standpunkte aus dergestalt geregelt wird, daß der Staat kein Interesse mehr haben kann, den Taufzwang aufrecht zu erhalten, außerdem die Frage aufgeworfen wird, ist denn überhaupt ein solcher Zwang mit der e n ,. vereinbar? daß diese Angelegenheit ganz und klar in diesem Gesetze geregelt wird; es scheint mir dies doch alse auch nicht etwas rein Aeußerliches zu
sein, sondern etwas, was inneren Zusammenhang mit der Vorlage hat.
Ich kann nicht umhin, noch einen andern Gesichtépunkt geltend zu machen, der vielleicht das Bedenken des Abg. v. Wedell-Vehlingé— dorff beseitigt. Ich bin vollständig durchdrungen, daß es im Interesse der Kirche ist, den Zwang zur Taufe abzuschaffen. Es ist das eine Auffassung, meine Herren, die in recht kirchlichen Kreisen seit lange gehegt wird. Wenn ich mich dem Abg. von Gerlach geg nüber auf den evangelischen Ober- Kirchenrath in seiner jetzigen Zusammensetzung beriefe, dann würde das vielleicht keinerlei Autorität für ihn fein; aber anders stert es am Ende, wenn ich den verehrten Herrn bitte, anzuhören einen Auszug aus einem Schreiben des Eyvan— gelischen Ober⸗Kirchenraths an den Minister v. Raumer vom 17. Fe— bruar 1851, in welchem sich diese Behörde darüber verbreitete, ob es im Interesse der Kirche läge, in Bezug auf die Angelegenheiten des Civilstandes Aenderungen eintreten zu lassen durch die Gesetzgebung. In diesem Schreiben ist zunächst eine lange Auseinandersetzung über die Civilehe gegeben, dann aber heißt es: ;
2) Aehnliche Mißstände, wie auf dem Gebiete der Ehe, ergeben sich in Beziehung auf die Taufe. Die Thagtsache der Geburt kann nach der bestehenden Gesetzgebung, mit Ausnahme der Personen, welche schon aus der Kirche ausgeschieden sind, nur durch den Akt der Taufe und die Eintragung in das Taufreg:ster konstatirt werden. Die Allerhöchste Ordre vom 23. Februar 1892 schreibt daher ein Zwangsverfahren gegen diejenigen vor, welche ihre Kinder nicht innerhalb der ersten 8 Wochen taufen lassen, und dieses Zwangs⸗ verfahren ist noch neuerdings von dem Herrn Minister des Innern als fortdauernd bestehend erklärt worden, da ein di— rekter Austritt aus der Kirche nicht angewendet werden kann, das civilrechtliche Interesse einer Urkunde aber irgend eine Form nothwendig macht, durch welche eine beweiskräftige Urkunde darüber geschaffen werde. Auch gegen diese Zwangstaufe haben sich bereits gewichtige Stimmen in der Kirche erhoben. Namentlich ist in einem Berichte des hiesigen Konsistoriums ausgeführt worden, daß
die evangelische Kirche niemals das Sakrament der Taufe in ein
sogenanntes bloßes opus operatum verkehren lassen dürfe, dergestalt, daß sie auch da taufen müsse, wo der widerstrebende Wille der Elsern keine Bürgschaft bietet für die Entwickelung des, noch unbewußten Glaubenslebens des Kindes durch eine christliche Erziehung. Wir haben überdem in der neuesten Zeit wiederholt die Wahrnehmung zu machen Gelegenheit gehabt, daß diese in Gemäß⸗ heit der Allerhöchsten Ordre vom 23. Februar 1802 angeordnete Zwangstaufe der evangelischen Kirche in einem Theile ihrer Glieder die Mißdeutung zuzieht, als suche sie, ungetren ihrem Grundprin— zipe von der freien Aneignung der freien Gnade Gottes in Christo, ihr Heil nur noch hinter polizeilichen Zwangsmaßregeln, und daß daher die evangellsche Kirche um ihrer selbst und um der Wahrung ihres geistigen Einflusses auf die Genossen ihres Glaubens willen mit. Nothwendigkeit darauf. dringen muß, von dieser Art staatlicher Freihäülfe befreit zu werden. Dies kann aber nur dadurch geschehen, daß das Zwangsver⸗ fahren der genannten Allerhöchsten Ordre abgestellt, und für Die⸗ jenigen, welche ihre Kinder innerhalb einer gewissen Frist nicht tau⸗ fen laffen, nicht ferner die Zwangstaufe, sondern eine bürgerliche Einzeichnung der Geburt vorgeschrieben und nöthigenfalls erzwungen würde. ᷣ
Und ich weiß, daß der Evangelische Ober-Kirchenrath in der Wandlung der Zeit diesen Gesichtspunkt stets festgehalten hat, daß er sogar den ihm untergeordneten Behörden gegenüber dahin wirksam ge⸗ wesen ist, daß von diesen wenigstens formelle Anträge auf Vollziehung der Zwangstaufe möglichst nicht eingingen. 2.
Ich möchte mich noch auf ein anderes Zeugniß berufen, welches vielleicht einiges Gewicht hat. Ich war der Meinung, daß der Herr Abg. v. Gerlach vielleicht eine von seinem Standpunkte aus, oder einer von den Anhängern seines Standpunkts gern in Bezug genom- mene Thatsache auch hier vortragen würde. Das sind nämlich die Verhältnisse, die in dieser Beziehung sich in Hamburg entwickelt haben. Ich würde dann in der Lage gewesen sein, aus den nackten statistischen Ziffern eine Beleuchtung hinzuzufügen, welche doch die daraus entnommene Argumentation schlüge. Ich habe es nicht nöthig, da nicht darauf Be⸗ zug genommen worden ist; aber i ng doch, daß derjenige Geistliche, auf dessen kirchlich statistische Mittheilung hin diese Vor— würfe gemeiniglich erhoben werden, in einer an das, statistische Bu⸗ reau des Hamburger Senats — ich habe eine amtliche Mittheilung vor mir — gerichteten n mn nach einer Ausführung über diesen
unkt folgendermaßen schließt: .
ö ir. . . also: Die seit Aufhebung des Tauf⸗ zwanges bemerkte Abnahme, der Taufen ist nicht Folge einer durch die Civilstandsgesetzgebung bewirkten Abnahme kirchlichen Sinnes —
und darauf allein kann es doch nur ankommen, . sondern eine Folge des Aufhörens nicht religiöser Antriebe zur Taufe. Demnach halte ich die Aufhebung des Taufzwangs, wie sie die selbstverständiliche Folge der Civilstandsgesetzgebung ist, auch kirchlich für unbedenklich und heilsam.“
Dem Abg. Dr. Baehr, welcher hierauf das Wort nahm,
entgegnete der Justiz⸗Minister Hr. Leonhardt
Meine Herren! Ich huldige auch dem Grundsatze, welcher von dem Herrn Abgeordneten Bachr hervorgehoben worden ist, daß auf eine Rechtseinheit in der Monarchie hinzuwirken sei; ich habe diesen Grundsatz außerdem genügend praktisch bethätigt. Demgemäß bin ich auch gar nicht abgeneigt — ich habe das schon vorher erklärt — dahin zu wirken, in der betreffenden Nichtung ein einheitliches Recht herzustellen. Ich habe bereits bemerkt, daß sich die Gelegenheit, dies zu thun, sehr bald ergeben wird, aber es widersteht nach wie vor, einen so wichtigen Grundsatz des kanonischen Eherechts so bei wege— lang zu beseitigen. Wenn man sich dazu entschließt, dann muß man auch die Ueberzeugung in sich tragen, daß man die Sache, in ihrem vollständigen Zusammenhange übersieht. So lange mir diese Ueber— zeugung nicht beigebracht wird — und diese Ueberzeugung habe ich mir bei dem Antrage, der erst gestern in das Haus gekommen ist, nicht verschaffen können — moͤchte ich mich für den Antrag nicht er— klären. Es ist auch ganz unrichtig, wenn der Herr Abgeordnete Pr. Baehr einen Gegensatz dahin macht, wir hätt'n. dann eine Che, deren Schließung von bürgerlichen Gsetzen, die Scheidung aber von kirchlichen Gesetzen abhängig ist. Das erscheint insofern unrichtig, als dieses Gesetz gar nicht die Eheschließnng regelt, sondern lediglich und allein die Forin der Eheschliehung., Das alte herecht besteht im Niebrigen neben diesem Gesetz. Es scheint mir aber doch, sowell ich die Sache übersehe, nothwendig oder doch wünschenswerth zu sein, daß das ö. geregelt werde. Mein Herr Kollege hat mich bereits in Schutz genommen gegen den Vorwurf der Inkon⸗ sequenz. Ich scheue übrigens einen solchen Vorwurf der Inkonsequenʒ gar nicht. Es hat seine ganz besondeien Gründe, welche entwickelt werden sind, wenn das Erforderniß der Gleichheit des Religionsbekennt⸗ niffes im Entwurf berührt worden ist. Man kann weiter sagen, der Punkt war zweifelhaft, konnte zweifelhaft sein, ist jedenfalls zweifel haft gewesen, deshalb empfiehlt es sich, ihn hier zu regeln, Ganz wesenklich kommt in Betracht, daß das Erforderniß, welches in dem Entwurf berührt worden ist, ein rein negatives ist. Was der Hr. Abgeordnete Pr. Petri will und was sein nunmehr ver— besserter Antrag auch sagt, ist etwas Pesitives, das ist eine Vorschrift, welche prinzipaliter die Äuflösung der Ehe bezielt und nur rein sekun⸗ där als etwas Negatives für die Eheschließung in Betracht kommt. Deshalb kann ich Ihnen nur anheimgeben: verwerfen Sie den An— trag. Das Gesetz ist schon schwierig genug, als daß es angemessen er⸗ scheinen könnte, die Schwierigkeiten noch durch Zusaͤtze der einen oder andern Art zu erhöhen.
— Ueber die von dem Abg. Dr. Hammacher beantragte
Resolution erklärte der Zu stiz⸗Minister: :
Die Königliche Regierung ist mit dem Gedanken, welcher der Resolution zu Grunde liegt, einverstanden und bethätigt damit von Neuem den lebhaften Wunsch nach Einheit des Rechtes in der ganzen Monarchie. Uebrigens mache ich bemerklich, daß die erfurderlichen Schritte zur Vorbereitung des Beschlusses, ob und mit welchen Modi—⸗
fikationen dieses Gesetz auf die Rheinprovinz und das Gebiet der Stadt Frankfurt auszudehnen sei, bereits getroffen sind.
— Die Berathung der Provinzialordnung leitete der Minister des Innern, Graf zu Eulenburg, wie folgt, ein: Ich erlaube mir, meine Herren, Ihnen als Einleitung in die Diskussion der Provinialordnung ein kurzes Bild von Dem jenigen zu 2 was im verflossenen Jahre zur Ausführung der Kreisordnung geschehen ist.
Die erste Cirkularverfügung, welche ich zu diesem Zwecke erlassen habe, datirt vom 29. Januar 1873; sie drückt aus, daß ich es für zweckmäßig erachtete, die Ausführung des Gesetzes nicht in die Hände der Reglerungen als solcher, sondern in die Hände der Regierungs⸗Prä⸗ sidenten zu legen, daß ich dieselben aufforderte, mit den Landräthen, als den Spezialorganen, sich in persönliche Beziehung zu . und nach ihren Kräften für ein Verständniß der Absichten des Gesetzes be. in amtlichen als außeramtlichen Kreisen möglichst wirksam zu sein.
Bei derjenigen Instruktion, welche ich demnächst erlassen habe habe ich den Weg befolgt, daß die ersten Entwürfe hier gemacht, dann zur Begutachtung an die Regierungs⸗Präsidenten e, w,. und erst, nachdem ich deren Bemerkungen entgegengenommen hatte, als Instruktion an die Behörden versendet worden sind. Die erste In—⸗ struktion der Art betraf die Zusammensetzung des Kreistages und datirt vom 7. März 1873. Es ist darin Vorschrift ertheilt über die Aufstellung der Verzeichnisse der Wahlberechtigten, die Feststellung der Zahl der Mitglieder des Kreistages, die Vertheilung der Kreig— tags-⸗Abgeordneten auf die einzelnen Wahlen. Außerdem enthält die Instruktien eine Anweisung über das Verfahren bei den Wahlen selbst, sewie die Anweisung, die Wahlen vorzunehmen, sobald die Vorarbeiten dazu vollendet seien. Ais wünschenswerth glaubte ich bezeichnen zu müssen, daß die Wahlen bis zum 15. September beendigt sein möchten, und sie sind auch wirklich, wenn auch nicht bis zum 15. September, so doch bis Anfang Oktober sämmtlich zu Stande gekommen.
Es folgte sodann eine Instruktion vom 16. Juni 1873 über die Bildung der Amtsbezirke, die Berufung der Amtsvorsteher und deren Stellvertreler und die Bestellung kommissarischer Amtsvorsteher. Dieser Theil der Ausführung des Gesetzes war der schwierigste. Es ist in dieser Beziehung mit großer Sorgfalt vorgegangen worden. Meiner Anordnung gemäß haben sich die Landräthe zuerst mit Ver trauensmännern in Verbindung gesetzt, um das erste Tableau der Amtsbezirke ihrer Kreise zu entwerfen. Dieses Tableau ist dem Re⸗ gierungs · Präsidenten vorgelegt, welcher dasselbe, mit seinen Bemerkungen begleitet, dem Ober⸗Praͤsidenten eingereicht hat. Von diesem ist es ge⸗ prüft und an mich gesendet worden, und nachdem ich eine Prüfung desselben hier habe vornehmen lassen, habe ich das Tableau heraus gegeben und die Landräthe angewiesen, sich nun noch mit den zunächst Betheiligten zu besprechen und das Tableau dann dem Kreistage vorzulegen. Nachdem die Kreistage ihr Urtheil abgegeben hatten, sind mir die Tableaus abermals miteingebracht, um nun von mir entweder so, wie sie der Kreistag befürwortet hatte, oder mit denjenigen Korrekturen, die ich für nöthig hielt, bestätigt zu werden, und einstweilen als maß— gebend zur Ausführung zu kommen. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß die Operation mit 214 Tableaus vorzuehmen war, daß etwa hundert und einige neunzig bereits von mir bestätigt worden sind und die übrigen in nächster Zeit bestätigt werden sollen, so werden Sie sich ein Bild der Arbeit machen, welche erforderlich gewesen ist. Ich habe demnächst den Entwurf einer Ge= schäftsordnung für die Kreistage anfertigen lassen. Derselbe ist durch Cirkularverfügung vom 7. Juli 1873 an die Landräthe herausgegeben, und ich habe die Genugthunng, daß eine große Mehrzahl der Kreis tage die Geschäftsordnung adoptirt hat. Ich habe ferner am 7. Sep- tember 1873 ein Cirkular wegen der Wahl der Kreisdeputirten er⸗ lassen Sodann habe ich eine Instruktion herausgegeben zur Aus⸗ führung der drei Abschnitte des zweiten Titels der Kreisordnung und zwar am 20. September 1873. Diese drei Abschnitte handeln namentlich von den Gemeindevorstehern und Schöffen, ven Gutsvorstehern und von den Léhnschulzen. Ferner habe ich ein Regulativ anfertigen lassen zur Ordnung des Geschäftsganges bei den Kreisausschüffen. Dasselbe datirt vom 20. November 1873. Ich habe einen Tarif für die Berechnung des Pauschquantums in den vor den Kreisausschüfsen zu entscheidenden streitigen Verwaltungssachen am 4. Dezember 1873 aufgestellt. Ich habe endlich eine Instruktion erlassen am 18. Dezember 1873 über die Bildung der Amtsausschüsse, ein Cirkular erlassen am 12. und 22. Dezember 1873 wegen Bildung der Verwaltungsgerichte, und am 27. Dezember 1873 ein Geschäfts- regulativ für die Verwaltungsgerichte. Daneben xichtete ich weitere Cirkulare am 10. Juli 1873 wegen Vertheilung des Kreisfonds, am 11. Januar d. J. wegen Veranstaltung vollstän—⸗ diger Sammlungen der in einzelnen Regierungsbezirken geltenden Lan— despolizeiverordnungen und wegen Erlaß einer Geschäftsinstruktion in Betreff der Amtevorsteher; ferner ein Cirkularreskript wegen Be handlung der am Tage der Inkrafttretung der Kreisordnung anhängigen
Verwaltungsstrafsachen. Datirt ist das Rejkript vom 25. Dezember 1873.
Es muß nun noch erfolgen eine Instruktion für die Gemeinde und Gutsvorsteher, eine Instruktion für das formelle Geschäfteverfah⸗ ren in Dismembrationsanzelegenheiten und ein Kostentarif für die Verwaltungẽ gerichte. .
Konstituirt sind jetzt alle Kreistage, alle Kreisausschüsse, alle Verwaltungsgerichte mit Ausnahme von einem oder zweien. Es sind außerdem, wie ich schon die Ehre hatte zu bemerken, in mehr als 99 Kreisen die Tableaus der Amtebezirke festgestellt, bis zum 1. April werden sie alle festgestellt und alle Amtsvorsteher und namentlich auch die kommissarischen Vorsteher in den anderen Bezirken. .
Sie werden mir zugeben, meine Herren, daß von Seiten der Centralstelle dasjenige geschehen ist, was das Gesetz von ihr verlangt. Mir liegt es aber ob, den mir nachgeordneten Behörden warmes Lob auszusprechen für die aufopfernde Thätigkeit, welche sie der Lösung der
mit großem Verständnisse von ihnen aufgeraßten Aufgabe gewidmet haben. Ein gleiches Verständniß hat auch die betheiligte Bevölkerung an den Tag gel-gt. Der Dissens, welcher während der Debatte über das Gesetz so lebhaft war, ist während der Ausführung des Gesetzes in den Hintergrund getreten. In dem Vzrstänznisse, daß in dem er weiterten Rechte auf Vertretung der Kreise und in dem erweiterten Rechte der Vertretung selbst eine lebhafte Aufforderung liege, diese Vertretung fachgemäß und würdig herzustellen, hat sich die Wahl der Kreiseingesefsenen, mit Ausnahme von vielleicht vier oder fünf Kreisen, auf Manner gerichtet, welche durch ihre Lebensstellung, durch ihre Intelligenz, und namentlich durch das Interesse, welches sie schon bisher den Kreisangelegenheiten gewidmet hatten, als würdige Reprä-⸗ sentanten des Kreises angesehen werden können. Ein gleiches Urtheil kann man von den Kreisausschüssen fällen, und, was die Amtsvor⸗ steherschaft anbetrifft, so hat sich die Bereitwilligkeit zur Uebernahme dieser Aemter in erfreulicher Weise kundgegeben; es sind die Hoffnun⸗ en, welche man bei der Berathung dieies Gesetzes auf diese Bereit willigkeit setzte zum großen Theile in Erfüllung gegangen. Die Zahl der kommissarischen Amtsvorsteher wird eine nicht zu Aroße sein.
Das Räderwerk ist zusammengesetzt und die Uhr aufgezogen. Hoffentlich wird sie richtig gehen. . .
In Bezug auf die Provinzialordnung habe ich einstweilen wenig u sagen, es ist der Reglerung außerordentlich erwünscht gewesen, bei hluss ling des Entwurfs der Previnzialordnung die Kreisordnung schon soweit durchgeführt zu sehen, daß mit Ueberzeugung vorgeschlagen werden konnte, die Wählerschaft für die Provinzial Landtage in die Hände der Kreistage zu legen. ⸗ ;
Im Uebrigen liegt der Provinzialordnung im Wesentlichen das Spystem der Kreisordnung zum Grunde, die Regierung giebt sich des halb der Hoffnung hin, daß im Großen und Ganzen der Entwurf die Billigung des Landtags finden werde; einzelne. Bestimmungen sind natürlich noch einer eingehenden, genauen Giwägung fähig und be dürftig. Ich würde Ihnen deshalb vorschlagen, meine Herren, daß Sie den Entwurf der Provinzialordnung an cine Kommission verwei sen, damit die Berathung desselben denselben Weg gehe, den wir bei der Kreisordnung glücklich und mit Erfolg betreten haben.