1874 / 136 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jun 1874 18:00:01 GMT) scan diff

Das Reichskanzler⸗Amt hat demnach den Bund esrath

[ 69 Berufung einer aus Medizinalbeamten, Aerzten und Apothekern zu bildenden Kommiffion behufs der gutachtlichen Aeußerung über das in der Anlage befindliche Programm zu beschließen. . ;

Das Programm für die Berathung der Grund⸗ sätze für einheitliche Ordnung des Apothekenwesens lautet:

Hauptfragen. A. Ist die Errichtung von Apotheken auch fernerhin von der Ertheilung einer obrigkeitlichen Kon; ession abhãngig zu machen? oder ĩ

B. Ist der selbständige Betrieb des Apothekergewerbes, unter Aufrechterhaltung der staatlichen Begufsichtigung desselben, approbirten Apothekern für eigene oder fremde Rechnung an jedem Orte des Bun desgebiets zu gestatten? (

A. Im Falle der Bejahung der Frage zu A. würden folge nde weitere Fragen zu erörtern sein: . ; .

1) Ist ein Bedürfniß vorhanden, die Bestimmungen in den 55.7 und 9 der Gewerbe⸗Ordnung auf die mit Apotheken roch verbundenen ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, auf die Berechtigungen zur Er⸗ theilung von Apothekenkonzessionen und auf die Abgaben vom Betriebe des Apothekergewerbes auszudehnen? ;

2) Soll die Ertheilung neuer Apothekenkonzessionen von der Be⸗ völkerungszahl abhängig gemacht und, bejahenden Falls, soll neben der Zahl der Bevölkerung auch die Dichtigkeit der letzteren in Rechnung gezogen werden? Welche Zahl oder welche Zahlen sollen genügen, um das Bedürfniß nach Errichtung einer neuen Apotheke zu begründen, bezw. die Lebensfähigkeit einer bestehenden Apotheke fuͤr gesichert zu erachten? : k .

3) Ist bei der Beurtbeilung der Bedürfnißfrage der Räcksicht auf die Entfernung der dem Orte, für welchen die Tonzession nachgesucht wird, naäͤchstgelegenen Apotheke ein entscheidender Einfluß einzurãumen? Im Fall der Bejahung, in welcher Weise? .

H Soll in der Konzession die Stelle, an welcher die Apotheke zu errichten ift, mil der Wirkung bestimmt werden, daß jede ohne Ge⸗ nehmigung der Behörde vorgenommene Verlegung an eine andere Stelle den Verlust der derne fn! ur Folge hat? .

3) Soll die Behörde verpflichtet fein, in jedem Falle die Kon—⸗ zession zu ertheilen, in welchem die Ertheilung zulässig und ein quali- fizirter Bewerber vorhanden ist? ;

6) Ist bei der Bewerbung mehrerer approbirter Apotheker um Verleihung der Konzession zur Errichtung einer neuen potheke das Vorrecht unter denselben a. nach dem früheren Zeitpunkt der Bewer⸗ bung, oder b. nach der durch die Erlangung der Approbation bezeich⸗ neten Anziennetät, im Falle der gleichzeitigen Bewerbung aber oder der gleichen Anziennetät, C. nach dem Lebenzalter oder d. nach dem Ausfall der Approbationsprüfung zu bestimmen? .

7 Sind Apothekenbesitzer, die dem Staate ihre auf Privilegium oder Konzession beruhende Apothekenberechtigung zur Verfügung stellen, zu gleichen Rechten mit sonstigen Bewerbern zur Bewerbung zuzu—⸗ lassen? l 8) Haben Bewerber, denen früher bereits eine Konzession ertheilt worden, oder die schon eine Apotheke besessen oder solche, die nach Erlangung der Approbation einem anderen Lebensberuf sich gewidmet haben, den übrigen Bewerbern nachzustehen?

9) Ist großen industriellen Instituten (Hütten⸗ und Bergwerken, Fabriken mit bedeutender Arheiterbevölkerung 2c. die Errichtung einer eigenen Apotheke und deren Betrieb durch einen approbirten Ayotheker für Rechnung des Instituts (zum ausschließlichen Zweck der Befriedi—

gung des Arzneihedürfnisses der dem Justitut zugehörigen Familien) ohne weitere Prüfung und ohne Rücksicht auf benachbarte Apotheken zu gestatten? f

10) Sind die aus der Beantwortung der Fragen zu 6 bis sich ergebenden Normen in gleicher Art hei der Konkurrenz mehrerer Be⸗ werber um die Ertheilung der Konzession zur Uebernahme einer schon bestehenden Apotheke, im Falle des Todes des . oder des Ver⸗

zichts desselben auf die fernere Ausübung des Konzessionsrechts, zur Anwendung zu bringen? oder: ; .

11) Ist vorläufig noch bis zu einem gewissen Zeitpunkt (etwa 31. Dezember 1885) den Besitzern derjenigen Apotheken, welche in 6 auftz gegenwärtig nicht mehr in erster Hand sind (bezw. den

rben solcher Besitzer die Bestimmung bezw. Präsentation des Ueber⸗ nehmers 1 Grund selbständiger Vereinbarung mit dem letzteren ein⸗ Uuräumen ; 12) An welche Frist ist der Verlust der Rechte aus der er— e,, ,,. zu knüpfen, falls dieselben demnächst nicht ausgeübt werden

B. Im Falle der Bejahung der Frage zu B. würde die folgende Frage zu erörtern sein: .

Genügt die Ausdehnung des unter A. J bezeichneten Bestimmungen der Gewerbe⸗Ordnung auf das Apothekergewerbe, oder welcher anderen Bestimmungen bedarf es? . ;

G. Folgende weitere Fragen werden zu erörtern sein, es mag die Frage zu A. oder die Frage B, bejahet werden:

I) Ist der Beginn des selbständigen Betriebes des Apotheker⸗ gewerbes, außer von dem Nachweise der persöͤnlichen Befähigung, be⸗ ziehungsweise der Konzession, auch von einer vorgängigen Prüfung der Geschaͤfts und Betriebsräume durch die Behörde abhängig zu machen?

2) Sind allgemeine Vorschriften zu erlassen

a. über die räumliche Einrichtung der Apotheken und die Vor— richtungen und Werkzeuge, welche in denselben vorhanden sein müssen,

b. über die Beschaffenheit und Zubereitung der in den Apotheken zu vertreibenden Heilmittel, ;

C. über die Aufbewahrung und Verabfolgung von giftigen oder stark wirkenden Apothekerwaaren,

d. über diejenigen . und Arzneimittel, welche in einer e, edürfniß entsprechenden Menge jederzeit bereit zu hal⸗ en find?

3) Ist den Apothekern das Feilhalten von Geheimmitteln über-

, und von anderen Gegenständen, als den vorstehend unter 2b. ezeichneten Heilmittéln, und zwar überhaupt oder nur in den Ge—

schäftsräumen der Apotheke zu untersagen? n

) In welchen Perioden soll eine amtliche Revision der Apotheken stattfinden, wie sollen die Revisions behörden zusammengesetzt sein, und welche Aufgaben soll die Revision haben? .

) Wie soll verfahren werden, wenn bei der Revision verfälschte oder verdorbene Arzneistoffe oder Arzneimittel sich vorfinden?

6) Soll Aerzten (6. 29 der Geiwerbe⸗Ordnung), welche in Orlen wohnen, wo eine Apotheke sich nicht befindet, gestattet sein, den ärzt⸗ lich von ihnen behandelten Einwohnern des Orts die erforderlichen Arzneimittel zu liefern?

Das Justiz⸗Ministerial⸗Blatt hat in den Nummern 19 bis 23 eine Folge von Aufsätzen über das Recht der väter⸗ lichen Gewalt in Preußen, vom Geheimen Justizrath Dr. Stöl zel, veröffentlicht. Nachdem der Verfasser im ersten Ab⸗ schnitte alle Einzelfragen der Materie nach römischem, gemeinem, dem Allgemeinen Landrecht, dem Code und vielen Partikular⸗ rechten erörtert hat, beurtheilt er im zweiten Abschnitt das gel⸗ tende Recht im Hinblick auf eine künftige Gesetzgebung. Hierbei wird konstatirt, was der Gesetzgeber un übersehen dürfe, daß sich bei der väterlichen Gewalt mehr als bei sonstigen Rechts⸗ infstituten unseres heutigen Rechts lebens ein entschiedenes Zurück⸗ weichen der grundlegenden römischen Prinzipien und ein enischie⸗ dener Sieg der deutschen Anschauung nachweisen läßt, welche die väterliche Gewalt durch die elterliche (väterliche) Vormund⸗ schaft und das eheliche Güterrecht ersetzen. ; ;

Schon im Rechte der e . Kaiserzeit war die Patria

testas“ ihrem Namen und theilweise auch der Sache nach eine istorische Reminiscenz: der Namen beruhte darauf, daß man in alter Zeit, wie dem Herrn über den Sllaven, so dem Vater

über das Kind und zwar über dessen Person, eine Herrschaft zuschrieb, welche die Zeit der klassischen Jurisprudenz bereits nicht mehr kannte, und in der Sache hatte die fort und fort um sich greifende Lehre von den Pekulien der patria potestas ihre Hauptstütze, nämlich das Prinzip der unitas Personae, schon vor uͤeberführung des römischen Rechtes nach Deutschland so sehr entzogen, daß in Wahrheit uns nur Trümmer der römischen patria potestas überliefert sind. An diesen Trümmern fuhr zu⸗ nächst die gemeinrechtliche Praxis fort, das Zerstörungswerk aus⸗ zuüben; sie drängte das Prinzip der Personeneinheit und das Pekulienrecht fast gänzlich zurück, oder wohl besser gesagt, sie verweigerte in diesen Richtungen dem römischen Rechte den Ein⸗ laß. Partikulargesetze haben in den gemeinrechtlichen Landes⸗ theilen nach dieser Richtung hin wenig eingegriffen; um so klarer ist es, daß die Fernhaltung des römischen Rechtes auf den noch im Volksbewußtfein fortwirkenden Einflüssen altdeutschen Rechtes basirt. ö Noch deutlicher als der Stand von Gesetzgebung und Praxis in den Landestheilen des gemeinen Rechtes lassen das Preußische Landrecht und der Code erkennen, daß die väterliche Gewalt ein abgestorbenes oder wenigstens absterbendes Institut ist. Das Landrecht hat zwar eigenthümlicherweise einen Ab⸗ schnitt, der von „Aufhebung der väterlichen Gewalt“ handelt (i. 2, §8§. 210 70), aber es fehlt ein Abschnitt über die Begrundung der väterlichen Gewalt und was die Haupt⸗ sache ist über deren Inhalt, so daß mit Grund Zweifel auf⸗ geworfen werden können, welche Rechte Ausfluß der väterlichen Gewalt nach Landrecht seien, und welche Entstehungsgründe außer selbstverständlich der ehelichen Geburt das Landrecht anerkenne. Es kann daher kaum Wunder nehmen, wenn von Einzelnen die Existenz einer väterlichen Gewalt im Landrechte geradezu geleugnet wird. Im Code tritt selbst der Name der väterlichen Gewalt im Gesetzestext nirgends auf, lediglich in der Ueberschrift des 9. Titels ersten Buchs (de la puissance paternelle“) ist er sonderbarerweise konservirt worden.

Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß eine künftige Gesetz⸗ gebung die „väterliche Gewalt! gänzlich bei Seite zu lassen und durch eine „väterliche (oder elterliche Vormundschaft“ zu er⸗ setzen habe. Die Vormundschaft würde sich dann. naturgemãß scheiden in eine gesetzliche und eine obrigkeitliche. Hinsichtlich der gesetzlichen wäre zu erwägen, ob sie nicht neben dem Vater eventuell der Mutter zu übertragen sei. Erfahrungsgemäß habe diese Einrichtung, wo sie partikularrechtlich bestehe, zu keinerlei Schädigung der Bevormundeten geführt, und sie schließe eine sehr wünschenzwerthe Entlastung des Staates in sich, auch ent⸗ spreche sie dem jetzigen Kulturstande wohl mehr, als die Be⸗ schränkung der Mutter im Gegensatze zum Vater. Ein Kind stände hiernach an erster Stelle unter dem Mundium des Vaters (des leiblichen oder des Adoptivpaters), an zweiter unter dem Mundium der Mutter (der leiblichen oder der Adoptivmutter), an dritter unter dem Mundium eines von Obrigkeits wegen er⸗ nannten Ersatzmannes. Um erschöpfend die Rechte des Vaters und der Mufster am Kindesvermögen bestimmen zu können, müßte eine Regulirung des ehelichen Güterrechts vorausgehen, welche kaum für so schwierig zu halten sei, als sie in der Regel gehalten werde. Man fürchte die außerordentliche Rechtsver⸗ schiedenheit und das Einschneiden in altbegründete Verhältnisse, aber man berücksichtige nicht die fast überall herrschende Un⸗ klarheit des angeblich bestehenden Rechts, welche zweifellos die Aufnahme eines klaren und einfachen Rechtes erleichtere. In einem ähnlichen Sinne erklären die Appellationsgerichte zu Wiesbaden, Ehrenbreitstein, sowie das Kreisgericht zu Fulda eine gesetzliche Regelung des Rechtes der väterlichen Gewalt ver⸗ bunden mit Regelung des Familienrechts überhaupt oder wenigstens des Vormundschafts- und ehelichen Güterrechts für erwünscht.

In wie erheblichem Maße der Gebrauch der Korre⸗ spondenzkarten zunimmt, ergiebt u. A. die Thatsache, daß nach der neuesten Statistik die Anzahl der im Reichspostgebiete täglich zur Versendung kommenden Postkarten gegenwärtig bereits über 100, 000 Stück beträgt. Im vorigen Jahre belief sich dieselbe auf 60 000 Stück täglich. Die aus diesem Verkehrs⸗ zweige resultirende Jahreseinnahme beträgt 600,000 Thaler.

Der Kaiserlich Deutsche Botschafter Frhr. von Werther ist von München hier eingetroffen.

Der General⸗Major und Kommandant von Wittenberg von Zedtwitz hat sich dorthin zurückbegeben.

Der Kapitän zur See Ulffers von der Kaiserlichen Marine hat sich nach Wilhelmshaven begeben.

Der Hauptmann im Fürstlich rumänischen Generalstabe, Romulus Maghieru ist zur Dienstleistung beim General⸗ stabe von hier zum X. Armee⸗Corps kommandirt worden.

Düsseldorf, 10. Juni. Die 9. Sitzung des 22. Rhei⸗ nischen Pravinzial⸗Landtages wurde gestern abgehalten.

Nach Eintritt in die Tagesordnung beschloß derselbe, das Gesuch der Gemeinde Malstatt „Burbach Roßhütte“ um Auf⸗ nahme in den Stand der Städte bei des Kaisers und Königs Majestät zu befürworten, ferner der Provinzial⸗Blinden⸗A1nstalt zu Düren das in dieser Stadt auf dem Irren⸗Anstalts⸗Bau⸗ terrain vorhandene, früher zur Einrichtung einer Irren⸗ heil⸗ und Pflege⸗Anstalt in Aussicht genommene Gebäude unter bestimmten Bedingungen zu überweisen und das alte Blinden⸗ Anstaltsareal zu veräußern.

Hierauf wurde in die Revision des Tarifs für die Erstat⸗ tungsforderungen der Armen⸗Verbände vom 21. August 1871 eingetreten, und wurden bestimmte Vorschläge zur Abänderung des Tarifs zur Mittheilung an den Herrn Landtags⸗Kommissa⸗ rius aufgestellt.

Demnächst fanden die Ergänzungswahlen der Bezirksstraßen⸗ Kommissarien und deren Stellvertreter für den Regierungsbezirk Aachen, für den links⸗ und rechtsrheinischen Theil des Regie⸗ rungsbezirks Cöln und den rechtsrheinischen Theil des Regie⸗ rungsbezirks Düsseldorf statt. Die Verwendungspläne ir den ostrheinischen k der Regierungs⸗ bezirke Coblenz und Düsseldorf wurden sodann genehmigt und den Gemeinden Haan und Ellscheid zum Bau der Straße vom Dorfe Haan nach dem Bahnhofe Haan eine Beihülfe von 3090 Thalern aus dem ostrheinischen Bezirksstraßenfonds des Regie⸗ rungsbezirks Düsseldorf bewilligt. Für die Taubstummen⸗An⸗ stalten der Provinz wurden die geforderten Kredite eröffnet und beschlossen, die Anstalt in Moers eingehen zu lassen, sobald der Neubau oder die Erweiterung der Anstalt zu Neuwied, wofür i. k von 15.000 Thalern bewilligt wurde, vollendet

ein wird. ;

Der Antrag des Vereins für die Beförderung des Taub⸗ stummen⸗Unterrichts zu Aachen auf eine Erhöhung des seitheri⸗ en Zuschusses der Provinz wurde abgelehnt, hierauf der Etat ür die Taubstummen⸗Anstalten der Provinz pro 1874/76 fest⸗ gestellt, die Rechnungen derselben pro 1870572 für erledigt er⸗ flärt, der Etatsentwurf für die Provinzial⸗Hebammen-⸗-Lehran⸗ stalt zu Coln pro 1874176 genehmigt, die Aufnahme einer An⸗ leihe für deren Erweiterungsbau beschlossen und bestimmt, daß der Regierungsbezirk Trier und die sieben Coblenzer Kreise des früheren Verba des Trier zu den Bau⸗ und Einrichtungskosten mit herangezogen werden sollen.

Der Landtag stellte im ferneren Gange der Verhandlungen die Bestimmungen über die Organisation derselben Anstalt und die allgemeinen Grundlagen ihres Etats fest und beschloß, daß die von dem früheren Landiage gewählte Kommission behufs Aus⸗ gleichung der Kriegsleistungen nochmals Schritte thun solle, um eine vollständige Erstattung aller dieser Leistungen zu er= langen, und daß fernerhin nicht mehr eine Ausgleichung inner⸗ halb der Kreise und Gemeinden zu erfolgen habe, sondern diese Last als eine Last des Gesammtstaates angesehen werde.

Bayern. München, 9g. Juni. Der Bericht des Finanzausschusses der Kammer der Abgeordneten über den Voranschlag der Staatsausgaben auf den Etat des Finanz⸗ Mi nisteriums ist heute ausgegeben worden. Der Ausschuß beantragt, die ständigen Gehalte des Staats⸗Ministeriums der Finanzen von 78, 6590 Fl. auf 81,050 Fl. zu erhöhen wegen der unabweisbaren Nothwendigkeit eines weiteren Referenten im Finanz⸗Ministerium, da diesem mehr als einem anderen Ressort neue und wichtige Aufgaben geworden seien und zu denselben unter Anderen die seit langer Zeit geforderte nunmehr höchst dringliche Reform der Steuergesetze gehöre, deren legislatorische

Vorarbeiten nach der bestimmten Erklärung der Königlichen

Staatsregierung ungesäumt begonnen werden. Die Einbrin⸗ gung des Antrages des Abgeordneten Dr. Gerstner, die organische Üümgestaltung des obersten Rechnungshofes betreffend, in der Kammer hielt der Ausschuß für nicht geboten, da die Königliche Staatsregierung bestimmk erklärte, daß in Folge des über diefen Gegenstand gefaßten gleichlautenden Beschlusses beider Kammern in der vorigen Budgetperiode ein Gesetzentiwurf des angeregten Betreffs in Ausarbeitung begriffen sei. Der all⸗ gemeine Etat schließt ab mit: 1,135,588 Fl. (Regierungs⸗ postulat: 100,296 Fl.), Katasterbureau: 220,269 Fl. (Re⸗ gierungspoftulat: 198,356 Fl.), Landbau⸗Ausgaben: 36,000 Gl.

Sachsen. Dresden, 11. Juni. (Dr. J.) In der heutigen Sitzung der Ersten Kamm er, welcher als Vertreter der Regierung die Staats⸗Minister v. Fabrice und v. Nostitz⸗

Wallwitz, sowie Geheimer Kriegsrath Mann beiwohnten, berichtete

zunächst Sekretär Löhr über zwei von der Zweiten Kammer zu dem Dekrete über die Verlängerung des Landtags zu den dies⸗ seitigen Beschlüssen hinzugefügte Zusätze, deren Ablehnung das Direktorium empfahl und die Kammer aussprach. Die Kam⸗ mer genehmigte hiernächst auf Vortrag der 1. Deputation ohne Debatte den Gesetzentwurf, die Uebertragung der Verpflich⸗ tung zu Unterstützung hülfsbedurftiger Familien von zum Dienste einberufenen Mannschaften der Reserve, Ersatzreserve und Land⸗ wehr auf die Bezirksverbände betreffend, und beschloß auf An⸗ trag der 4. Deputation, das Gesuch des Superintendenten Dr. Großmann in Grimma um Ausstattung der Vertretung der

Diözesen mit einer gleichen Summe, wie die politischen Bezirks⸗

vertretungen für Zwecke der Selbstverwaltung, auf sich beruhen zu lassen. Den Schluß bildete die Wahl zweier Mitglieder zur Finanz⸗Deputation, welche die Herren Präsident v. Criegern und Bürgermeister Dr. Koch traf. .

Zu dem Berichte über die gestrige Sitzung der Zweiten Kam mer ist berichtigend nachzutragen, daß der Referent Abg. Dr. Gensel die Ablehnung, der Korreferent Abg. von Wagner die Annahme des von der Kammer mit der gestern erwähnten Majorität angenommenen Sachßeschen Antrags auf Gewährung der durch die neue Landtagsordnung festgesetzten höhern Diäten bereits vom 1. Januar d. J. ab, beantragt hatte.

Heute bewilligte die Zweite Kammer Pos. 27 des außer⸗ ordentlichen Budgets, Coursverlust beim Verkauf 4prozentiger Staatspapiere, mit 90, 000 Thlr., und Pos. 90 des außerordent⸗ lichen Budgets, Reservefond, mit 140,512 Thlr. Eisenbahnbericht der Finanz⸗Deputation Abtheilung B., der erst heute Morgen ausgegeben worden ist, beantragte der Abg. Walter von der Tagesordnung abzusetzen, ein Antrag, der vom Finanz ⸗Minister befürwortet wurde; er wurde zwar angenommen, aber auf Antrag des Abg. Sachße mit 26 gegen 25 Stimmen beschlossen, der Berathung dieseß Gegenstandes heute eine Abendsitzung zu widmen; der Finanz-Minister erklärte, daß die Regierung, wenn die Majo⸗ ritãät der Kammer glaube, in diese Berathung noch eintreten zu sollen, ihre Genehmigung dazu nicht versagen möge, obschon dieser Beschluß mit seiner Ueberzeugung nicht übereinstimme. Zum Schluß beschäftigte sich die Kammer mit Petitionen. Eine lange und zum Theil sehr erregte Debatte rief der Bericht der 4. Deputation über die Beschwerde des Schlossers A. B. Muth wegen seiner Ausweisung aus Leipzig hervor. Die Dedu tionen des Berichts, der den Polizeibehörden das Recht vindizirt, poli⸗ zeilich bestrafte Personen auszuweisen, erfuhren Seitens der Abgg. Krause und Kirchbach eine überaus scharfe Beurtheilung; diese und der Abg. Wigard wandten sich überhaupt gegen die auf das Heimaths⸗ gesetz von 1334 begründete Prazis der sächsischen Behörden be⸗ züglich der Ausweisungen, deren Ünverträglichkeit mit der Reichs⸗ gefetzgebung und den Grundsätzen des Rechtsstaats sie nachzu⸗ weisen suchten. Staats⸗Minister v. Nostitz⸗ Wallwitz nahm die Deputation insofern in Schutz, als sie die Regierung um gesetz⸗ liche Regelung der Befugniß zu Ausweisungen ersucht wissen will: dies stehe mit den Zwecken des Rechtsstaats doch gewiß nicht in Widerspruch. Die Regierung wünsche eine solche Nor⸗ mirung und werde sie in Erwägung ziehen, er mache aber darauf aufmerksam, daß eine definitiwe Regelung dieses Gebiets nur von der Reichsgesetzgebung werde ausgehen können. Ganz zu entbehren werde die Befugniß, auch polizeilich bestrafte Per⸗ sonen in gewissen Fällen auszuweisen, nicht sein. Der Bericht schließe sich nur an die von den sächsischen Behörden seit 40 Jahren dem Heimathgesetze konstant gegebene Auslegung an. Außerdem wurde der Bericht vom Referenten und dem Abg. v. Ehrenstein ver⸗ theidigt, welcher mit warmem Nachdruck die heftigen Angriffe Krause's und Kirbachs gegen die Deputation zurückwies. Der Antrag Dr. Wigards: zu erklären, daß die Ausweisung gesetzlich nicht gerechtfertigt worden sei, und ihre Aufhebung zu verlangen, wurde mit 33 gegen 28 Stimmen abgelehnt. Ebenso wurde der Antrag Krause's und Kirbachs, die Beschwerde der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen, mit 35 gegen 26 Stimmen abgelehnt, da ges der Deputationsantrag, die Beschwerde auf fich beruhen zu kassen die Frist, auf welche Muths Auswei⸗ sung verfügt worden ist ist bereits abgelaufen mit 36 gegen

Den zweiten

25 Stimmen und gegen 7 Stimmen der weitere, vom Vize⸗ Präsidenten Streit amendirte Antrag angenommen: die Regie⸗ rung um Vorlegung eines Gesetzes, spätestens an den nächsten Landtag, zu ersuchen, wodurch für die den Polizeibehörden ver⸗ bliebene Befugniß zu Ausweisungen feste, das bloße Ermessen ausschließende und die Freiheit der Person und das Freizügig⸗ keitsrecht möglichst fichernde Normen aufgestellt werden.

Württemberg. Stuttgart, 10. Juni. Der Köni begab sich zu Vornahme von Truppenmusterungen heute na Gmünd und Mergentheim, von wo Se. Majestät morgen Abend wieder hierher zurückkehren werden.

Baden. Karlsruhe, 8. Juni. Die Zweite Kammer

zog in ihrer gestrigen Sitzung unter Vorsitz des 1. Vice⸗Präsi⸗

denten, Geh. ö. Bluntschli, den Gesetzentwurf, betref⸗

fend die Ein führung des Reichspreßgesetz es, welchen die Kommission zur unveränderten Annahme empfohlen, in Berathung und nahm denselben nach kurzer Debatte ohne Widerspruch ein⸗ stimmig an. Es waren nur wenige landesgesetzliche Einführungs⸗ Vorschriften erforderlich; so für die . die 558. 18 und 28 des Reichspreßgesetzes geschaffenen Fälle formaler Preßvergehen, von welchen nur einer von dem badischen Preßgesetze in glei⸗ cher Weise behandelt war, während die übrigen Fälle theils nur Uebertretungen bildeten, theils gar nicht mit Strafe bedroht waren. Diese Vergehen werden in Artikel 1 des Einführungsgesetzes in leichteren Fällen den Amts⸗

gerichten und, wenn eine deren Kompetenz übersteigende Strafe

erkannt werden soll, den Strafkammern der Kreisgerichte zu⸗ gewiesen. Art. 2 bildet eine Ergänzung der badischen Straf⸗ prozeßordnung durch einen Zusatz bezüglich der gerichtlichen Be⸗

schlagnahme von Druckschriften, da das badische Preßgesetz, in

welchem diese Beschlagnahme geregelt war, nicht bruchstückweise neben dem Reichspreßgesetze in Geltung bleiben kann. Art. 3 hält bezüglich der der Landesgesetzgebung vorbehaltenen Verpflichtung zur Hinterlegung eines Exemplars der öffentlichen Bekanntmachungen, Plakate und Aufrufe bei der Polizeibehörde lediglich den bisherigen Rechtszustand aufrecht. Das Gesetz tritt am 1. Juli 1874 in Wirksamkeit, und vom gleichen Tage an ist das badische Preßgesetz nebst den dar⸗ auf bezüglichen sonstigen Gesetzesbestimmungen aufgehoben. Sodann erledigte das Haus noch zwei durch die neue Reichs währung veranlaßte Gesetzentwürfe, zunächst denjenigen, die Berechnung der Geldstrafen nach der Reichsmark rechnung betreffend Je 1 Gulden wird durch 2 Mark und je 1 Kreuzer durch 31! / Pfennig der Reichswährung ersetzt; bei der Umrechnung sich ergebende Bruchtheile von Pfennigen kommen nicht in Ansatz. Die Rechte beantragte, statt 2 Mark 1Mark 80 Pfennige, statt 31 / Pfennige 3 Pfennige zu setzen. Dieser Antrag wurde abgelehnt und der Entwurf mit allen gegen die 8 Stimmen der Rechten angenommen. Eine ähnliche Dpposition Seitens der Rechten fand der folgende Gesetzentwurf, welcher sich wesentlich als ein Nachtrag zu dem den Haupt⸗Finanzetat für die Jahre 1874 und 1875 regelnden Gesetze vom 19. Februar 1874 darstellt, und durch welchen die Sätze für die indirekten Steuern schon für das Steuereinzugsjahr 1875 durch neue in Reichswährung ausgedrückte Tarifsätze ersetzt wer⸗

den, sodann der Steuerfuß für die Kapitalrentensteuer (15 Pf. von

je 100 Mark Steuerkapital) geregelt und die von dem Reichs⸗ gesetz vom 30. April J. J. über die Ausgabe von Reichskassen⸗ scheinen bedingten Maßregeln und gesetzlichen Vorschriften be⸗

stimmt werden. Der Entwurf wurde mit allen gegen die 8 Stim⸗

men der Rechten angenommen. Für alle diese Gesetze gilt, daß der Termin ihrer Wirksamkeit ein anderer wird, wenn die Reichs⸗ markrechnung nicht schon mit dem 1. Januar 1875 für das Großherzogthum in Kraft treten sollte.

Hessen. Darmstadt, 10. Juni. In der heutigen (62.) Sitzung der Zweiten Kammer wurde die Verhandlung über das Nachtrags budget begonnen und zwar zunächst eine Generaldebatte über die proponirte Besoldungsaufbesserung im Ganzen eröffnet. Es standen sich hier drei Anschauungen ge⸗ genüber. Einmal die des Antrags Buff und von Rabenau, der eine definitive Bewilligung abgesehen von den zur Durch⸗ führung der Verwaltungsgesetze und des Volksschulgesetzes nöthi⸗ gen Summen ablehnte, dagegen der Regierung für die Be⸗ amten ꝛc., wie am 31. Januar I. J. für 1873 geschehen, für 1874 eine Theuerungszulage auf Anfordern bewilligen und die Regierung wiederholt ersuchen wollte, eine Revision resp. Reduk⸗ tion der Personal⸗ und Besoldungsetats eintreten zu lassen. Zweitens lag ein Antrag von Schröder und Genossen vor, welche verlangen, daß die Kammer unter Wiederholung aller

Vorbehalte des Beschlusses vom 19. Dezember v. J. der Staats⸗

regierung als Zulage für die Beamten einen Sechstheil des seit⸗ herigen Gehalts für die Jahre 1874 und 1875, jedoch ohne je⸗ des Präjudiz für die Zukunft, zur Verfügung stellen wolle; fer⸗ ner die Großherzogliche Regierung ersuche, vor Ablauf dieser

Finanzperiode ein in den Personal⸗ und Besoldungetats wesentlich

vereinfachtes Budget für 1876/78 vorzulegen; sofort aber (und noch vor Feststellung der neuen Etats) den Ständen die finan⸗ ziellen Vorlagen mache, welche zur unmittelbaren Einführung der Gesetzentwürfe, betreffend das Volksschulwesen und die innere Verwaltung ꝛc. der Kreise, erforderlich sind, oder sonstige un⸗ aufschiebliche Reorganisationen bezwecken, wie z. B. diejenigen der Gymnasien und Realschulen, die Aufbesserung der Gensd'armen u. s. w. Der Ausschuß endlich empfahl die Spezialberathung des Nachtragsbudgets. Nach vierstündiger Diskussion wurde der Antrag Buff von Rabenau mit allen gegen 6 Stimmen der Antrag Schröder ebenfalls mit allen gegen sechs Stimmen in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Die nächste Sitzung findet am Donnerstag, den 11. d. M. statt, und wird in derselben die Spezialberathung des Nachtragsbudgets beginnen.

Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. Weimar, 11. Juni. Das „Regierungsblatt für das Großherzogthum Sachsen⸗Weimar⸗ Eisenach“ enthält in Nr. 15 einen zweiten Nachtrag zu dem revidirten Gesetze über die Steuerverfassung des Großher⸗ zogthums vom 18. März 1869, ferner einen Nachtrag zu dem revidirten Gesetze vom 19. März 1869 über die allgemeine Einkommen teuer, endlich das Steuergesetz für die Jahre 1875, 1876 und 1877, sowie eine Ministerial⸗Bekanntmachung betr. Fortfall der Kalender stempel. r

Anhalt. Dessau, 10. Juni. Die Herzogin ist gestern Abend mit ihren beiden jüngsten Kindern von Marienbad wie⸗ der eingetroffen und am Bahnhofe von den Mitgliedern der

Herzoglichen Familie begrüßt worden. Die engere Familie des Herzogs wird in diesen Tagen ihren Sommeraufenthalt in

örlitz nehmen. Die Herzogin von Nassau gedenkt noch einige

Zeit bei ihren Hohen Verwandten hier in Dessau zu verweilen.

Schwarzburg⸗Sondershausen. Sondershausen, 9. Juni. Der Fürst und die Prinzessin Elisabeth sind aus Aachen in erwünschtem Wohlsein hierher zurückgekehrt.

dvieuß j. L. Gera, 10. Juni. Wie die Justizgemein⸗ schaft, die vereinigten Schwurgerichte, der von hier aus ins Le⸗ ben gerufene Städteverband und andere Verbindungen bereits bestehen, so ist neuerdings ferner eine Vereinigung thürin⸗ gischer Juristen angeregt worden, welche am 21 d. M. hier in Gera ihre erste Zusammenkunft, ihren Juristentag. In den letzten Tagen hat hier auch eine Versammlung höherer Polizeibeamten und Gensd' armen der thüringischen Staaten stattgehabt, zunächst und hauptsächlich zu dem Zwecke einer Berathung, wie bei Verfolgung von Verbrechern aller Art die geeignetsten gemeinschaftlichen Maßregeln zu ergreifen seien.

Oesterreich⸗Ungarn. Wien, 10. Juni. Der Kaiser ist heute früh in Begleitung des Kriegs⸗Ministers, Ackerbau⸗ Ministers, Landes⸗Kommandirenden und Statthalters in St. Pölten eingetroffen und daselbst am Bahnhofe vom Minister⸗ Präsidenten, dem Bschofe Binder und den Spitzen der Be⸗ hörden empfangen und von dem zahlreich versammelten Publi⸗ kum mit stürmischen Hochrufen begrüßt worden. Der Kaiser begab sich nach Inspizirung der ausgerückten Truppen in die Militärschule, woselbst Allerhöchstderselbe der Prüfung der Zög⸗ linge beiwohnte, und besichtigte hierauf die landwirthschaftliche Ausstellung.

Das Reichsgesetzblatt veröffentlicht u. A. die Ver⸗ ordnung des Ackerbau⸗Ministeriums im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern und dem Landesvertheidigungs⸗Mini⸗ sterium vom 15. Mai 1874, betreffend die Ergänzung und theil⸗ weise Abänderung der Bestimmungen über die Verwendung von Privathengsten zum Beschälen; das Gesetz vom 21. Mai 1874, betreffend ein Uebereinkommen mit der Stadtgemeinde Wien wegen Excamerirung der über den Wiener Donaukanal führen⸗ den ärarischen Brücken und der ärarischen Straßen innerhalb der Linien Wiens (die Gemeinde Wien erhält für Uebernahme der Brücken und Straßen jährlich 170, 000 Fl. von der Staats verwaltung); die Kundmachung des Gesammt⸗Ministeriums vom 27. Mai 1874 (in Betreff der ertheilten verfassungsmäßigen Genehmigung) des Beschlusses des Reichsrathes über die Kaiserliche Ver⸗ ordnung vom 21. Juni 1873, woselbst besondere Bestim⸗ mungen über die Auflösung von Aktiengesellschaften erlassen wurden; die Kundmachung des Gesammt⸗Ministeriums vom 27. Mai 1874 in Betreff des Beschlusses des Reichsrathes über die Kaiserliche Verordnung vom 23. September 1873 wegen zeitweiliger Aufhebung der Eingangszölle für Getreide und Hülsenfrüchte.

11. Juni. (W. T. B.) Die Eröffnung der inter⸗ nationalen Cholerakonferenz ist auf Wunsch mehrerer Regierungen vom 15. Juni auf den 1. Juli d. J. verschoben worden.

Prag, 10. Juli. Der Kaiser Ferdinand ist heute um 8 Uhr 40 Minuten Vormittags mittelst eines Hofseparatzuges vom Prager Sandthorbahnhofe aus über Bubna, Neratowic und Jungbunzlau zum Sommeraufenthalte nach Reichstadt abgereist. Die Kaiserin Marie Anna hat sich gestern Abend nach Reich⸗ stadt begeben.

Pest, 10. Juni. Die kirchenpolitische Kommission acceptirte nach eingehender Debatte trotz eines Gegenantrages 3sedeny''s den Bericht des Subeomits über die Civilehe mit geringen Aenderungen. Alle Sektionen haben den Wahlgesetz⸗ Entwurf, zwei derselben sogar den Inkomgatibilitäts⸗Gesetzent⸗ wurf erledigt. .

Morgen beginnen die Verhandlungen im Centralausschusse über den Entwurf der Wahlnovelle. Zum Referenten ist Desider Szilagyi designirt. In der heutigen Abendkonferenz hat die Deakpartei den Inkompatibilitäts⸗Gesetzentwurf ohne wesentliche Aenderung angenommen.

Greußbritannien und Irland. London, 11. Juni. (W. T. B.) Im Unterhause erwiderte heute auf eine An⸗ frage Sir C. R. D. Hanbury⸗Traey's der Unter⸗Staatssekretär im Auswärtigen Amte, Sir R. Bourke, Griechenland habe das Verlangen kundgegeben, diplomatische Vertreter bei den europäi⸗ schen Höfen zu ernennen; Seitens Englands sei bezüglich der griechischen Staatsschuld keinerlei Vorstellung an die griechische Regierung gerichtet worden. Bezüglich des Brüsseler Kongresses über das Kriegsvölkerrecht, den Sir J. Simon zur Sprache brachte, ertheilte Sir R. Bourke die Auskunft, daß sich die Regierung über ihre Betheiligung an demselben noch nicht schlüssig gemacht habe. Der Unter⸗Staatssekretär im De⸗ partement der Kolonien, Sir J. Lowther, erklärte auf eine Anfrage Mac Arthurs endlich, daß ein Bericht über die bean⸗ tragte Abtretung der Fidschi⸗Inseln an England zwar einge⸗ gangen sei, daß er indeß die Vorlegung desselben ablehnen müsse.

Frankreich. Paris, 10. Juni. Das „Journal offieiel“ veröffentlicht das Gesetz, welches die auf die Naturalisation Frem der betreffenden Gesetze auf die Kolonien ausdehnt. Ferner hringt dasselbe Blatt eine Verordnung des Ministers des Innern, der eine Kommission einsetzt, um alle auf die Ausübung und Regelung des Vereinsrechtes bezüglichen Dokumente zu vereinigen und zu ordnen und einen Gesetzentwurf über diesen

11. Juni. (W. T. B.) Nachdem schon gestern auf dem Bahnhofe von Versailles bei der Ankunft, sowie bei der Rückreise der Deputirten tumultugrische Scenen statigefun⸗ den hatten, kam es heute auch auf dem hiesigen Bahnhofe, als die Deputirten sich nach Versailles begeben wollten, zu ähnlichen Auftritten. Das Erscheinen Gambetta's gab zu dem Rufe: „Es lebe die Republik“ Veranlassung, der von anderer Seite mit lautem Zischen erwidert wurde. Dem entstandenen weiteren Konflikte wurde durch die Polizei ein Ende gemacht und ein der radikalen Partei angehöriger Deputirter vorübergehend verhaftet.

Als die Deputirten heute Abend von Versailles nach Paris zurückkehrten, kam es auf dem Bahnhofe abermals zu einem Aergerniß erregenden Vorgang. Der Graf von Sainte⸗Croix führte mit seinem Rohrstocke einen Schlag auf Gambetta, der Schlag wurde jedoch von dem Deputirten Ordinaire aufgefan⸗ gen. Der Graf von Sainte⸗Croix ist verhaftet worden.

12. Juni. (W. T. B.) Außer dem Grafen v. Sainte⸗ Croix, der gestern Abend den thätlichen Angriff auf Gam betta richtete, sind noch mehrere andere Personen, die bei dieser Gelegenheit Exzesse verübten, von der Polizei verhaftet worden. Der Graf hat bei seiner Vernehmung vor der Polizei erklärt, er sei in der bestimmten Absicht nach dem Bahnhofe gegangen, um Gambetta zu züchtigen und denselben zu provoziren. Sainte⸗ Croig hat während des Kaiserreichs bei den Zuaven der Kaiser⸗ lichen Garde gedient. 33

Versailles, 10. Juni. Heute empfing der Präsident Marschall Mac Mahon die birmanische Gesandtschaft.

Stoff vorzubereiten.

Dieselbe besteht aus 11 Personen, nämlich dem Minister des Aeußern, welcher den Titel eines Botschafters führt, dem Se⸗ kretär des Königs, zwei hohen Offizieren und sechs anderen Per- sonen Der Marschall war von seinem militärischen Gefolge und den Ministern Decazes und Cissey umgeben. Die Marschallin wohnte dem Empfange ebenfalls an. Es ist das erste Mal seit dem Sturz des Kaiserreichs, daß die Gemahlin des Staatsober- hauptes sich an einer offiziellen Feierlichkeit betheiligt. Nach den offiziellen Reden unterhielt sich der Marschall einige Minuten mit dem Gesandten vermittelst eines Dolmetschers.

11. Juni. (W. T. B.) Die Nationalversamm⸗ lung setzte heute die Berathung des Munizipalwahl⸗ gesetzes fort. Ein Amendement Lucien Bruns (von der außersten Rechten), das darauf abzielte, den Familienvätern und solchen Personen, die direkte Steuern bezahlen, die Aufnahme in die Wahllisten zu erleichtern, wurde mit 397 gegen 268 Stimmen abgelehnt. Dasselbe geschah mit einem Antrage Meaux' von der Rechten, nach welchem für alle außerhalb einer Gemeinde geborenen Wähler ein dreijähriges Domizil in dieser Gemeinde zur Ausübung des Wahlrechtes erforderlich sein sollte. Der Antrag Ferry's von der Linken, statt dessen nur das Erforderniß eines sechsmonatlichen Domizils in der betreffenden Gemeinde in das Gesetz aufzunehmen, wurde an die Kommission zurückverwiesen. Am Schlusse der heutigen Sitzung richtete der Quästor der National versammlung, Baze, an den Minister des Innern, Fourtou, eine Anfrage we⸗ gen der auf dem Bahnhöfe von St. Lazaire vorgekommenen Auftritte. Der Minister erwiderte, bis jetzt seien ihm nur ein⸗ ander widersprechende Mittheilungen zugekommen. Die einzige amtlich feststehende Thatsache sei die Verhaftung und die darauf wieder erfolgte Freilassung eines Deputirten. Die Regierung werde eine weitere Untersuchung des Vorganges eintreten lassen. Der Minister schloß mit der Erklärung, es seien zwei Umstaäͤnde besonders bedauerlich. Auf der einen Seite der Mißbrauch der öffentlichen Gewalt, auf der anderen die offene Widersetzung ge⸗ gen die pflichtgetreuen Männer, die mit der Ueberwachung und Wahrung der öffentlichen Ordnung beauftragt seien. Baze er⸗ klärte sich durch die Antwort des Ministers zufriedengestellt.

Spanien. Ein Telegramm aus Hendaye, 11. Juni, meldet: Mehrere baskische Truppenabtheilungen sollen sich, nach hier eingegangenen Nachrichten von der spanischen Grenze, unter dem Rufe: „Hoch die Fueros“ gegen Don Carlos erhoben haben. Die Erhebung ist sofort unterdrückt; die An⸗ führer sollen erschossen werden.

Italien. Rom, 5. Juni. Die Deputirtenkammer hielt gestern ihre letzte Sitzung. Justiz⸗Minister Vigliam legte den vom Senat modifizirten Gesetzentwurf über die Reor⸗ ganisation der Geschwornengerichte vor, indem er sie gleichzeitig er⸗ suchte, sich noch in der laufenden Sitzung darüber auszusprechen. Indessen verhandelte die Kammer über den ebenfalls vom Senat modifizirten Gesetzentwurf betreffs der Börsenoperationen und ge⸗ nehmigte ihn, jedoch nur mit einer allerdings vom Ministerium angenommenen Modifikation, so daß er nochmals vom Senat be⸗ rathen werden muß Demnach wurde der neue mit Frankreich abge⸗ schlossene Postvertrag und ein Kapitel des Definitivbudgets des Finanz⸗Ministeriums genehmigt, dessen Berathung bis auf den heutigen Tag ausgesetzt worden war Die Gesammtausgaben des Staats für das ahr 1874 betragen 1,540, 862,261 Frs. Die mit der Berathung und Berichterstattung über den die

Reorganisation der Geschworenengerichte betreffenden Gesetzent⸗

wurf betraute Kommission hatte inzwischen die vom Senate be— schlossene Modifikation desselben berathen. Der Deputirte Pueccioni stattete der Kammer Bericht darüber ab, und diese be⸗ schloß nach kurzer Berathung, die Abänderung zu genehmigen. Hierauf ergriff der Marine⸗Minister das Wort, um die Kammer zum Zeugniß aufzurufen, daß es nicht seine Schuld ge⸗ wesen ist, wenn ihr der Bericht über seinen die Veräußerung gewisser Kriegsschiffe betreffenden Gesetzentwurf, der Angelpunkt der von ihm beabsichtigten Reformen in der Marine, nicht vorgelegt worden sei. Er habe nicht ver⸗ fehlt, der Versammlung die Dringlichkeit seines Gesetzentwurfs ans Herz zu legen und müsse sein Bedauern darüber aussprechen, daß die Kommission die Berichterstattung schuldig geblieben sein. Ein Mitglied der Kommission, Giuseppe de Luca, setzte der Ver⸗ sammlung auseinander, daß die Kommission die Vorlage des Marine⸗Ministers gründlich geprüft habe, und daß der Bericht darüber aus keinem anderen Grunde nicht zu Stande gekommen sei, als weil der Berichterstatter krank geworden sei. Hierauf dankte der Präsident der Versammlung für das Vertrauen und das Wohlwollen, welches sie ihm im Laufe der Sitzungen an den Tag gelegt, sowie auch für den Eifer und die Aufopferung, womit sie die Angelegenheiten des Vaterlandes behandelt, und ersuchte sie, auch in den Provinzen für die Eintracht und die Wohlfahrt Aller thätig zu sein, indem er nicht unerwähnt ließ. daß es dieser legislativen Periode vergönnt gewesen sei, ihre Sitzungen in der neuen Hauptstadt Rom abzuhalten. Nachdem die Kammer schließlich mehrere bereits berathene Vorlagen in ge⸗ heimer Abstimmung angenommen hatte, erklärte der Präsident die Verhandlungen für prorogirt.

6. Juni. Der König hat dem Minister⸗Präsiden⸗ ten durch einen seiner Flügel⸗Adjutanten die Insignien des Annuneiaten⸗Ordens zustellen lassen.

Der Senat nahm in seiner gestrigen Sitzung drei der vom Ministerium vorgelegten Finanzgesetzentwürfe an: Die Abschaffung der Portofreiheit, die Eisenbahnbillettaxe und die Einführung des Tabakmonopols in Sicilien. Schließlich ge⸗ nehmigte er auch noch den Vorschlag, den Neujahrstag als civilen Fest⸗ und Feiertag anzuerkennen.

Das von den Kammern nunmehr angenommene De⸗ finitin⸗Budget für das Jahr 1874 beziffert sich mit 1,540, 862,262 Fres. Ausgaben und 1,364,147, 325 Fres. Ein⸗ nahmen, mithin ein Defizit von 176,7 14,937 Fres. Von den Ausgaben kommen 991,186,728 Fres. auf das Finanz⸗ und 31,145,680 Fres. auf das Justiz⸗Ministerium, 6,002,928 auf das Ministerium des Auswärtigen, 21,946,213 auf das öffent⸗ liche Unterrichts⸗Ministerium, 56,257,917 auf das des Innern, 164 128,470 auf das Bauten⸗, 213,015,852 auf das Kriegs⸗ 45,455,777 auf das Marine⸗ und 11A 722, 700 auf das Handels⸗ und Ackerbau⸗Ministerium.

Heute Vormittag wurde der Cardinal⸗Erzbischof von Paris, Msgr. Guibert vom Papste in Privataudienz empfangen.

Das Finanz⸗Ministerium hat die Gesuche um Er⸗ haltung des Freihafens von Genua und um Gründung von Freihäfen in Venedig und anderen italienischen Hafenstädten abschlägig beschieden.

Nußland und Polen. St. Petersburg, 10. Juni. Wie die R. W.“ hört, gedenkt das Kriegs⸗Ministerium in diesem Sommer unter Anderem die westliche Grenze des Reiches rekognosciren zu lassen und vom Nordufer des Schwarzen Meeres eine Aufnahme zu veranstalten.