1874 / 172 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 24 Jul 1874 18:00:01 GMT) scan diff

Erledigung. Genehmigt wurden u. A. die Regierungsvorlagen wegen der zweimonatlichen Steuererhebung; wegen der Erwerbung eines Bauplatzes für ein in Gießen zu errichtendes Justizgebäude; wegen der Erhöhung der staatlichen Hundesteuer und Zulassung einer Kommu⸗ nal⸗Hundesteuer; wegen Errichtung einer Güterhalle in Zwingenberg und einer Güterstation in Arheilgen; wegen Be⸗ schaffung eines Amtslokals nebst Dienstwohnung für das Kreis⸗ amt Worms; wegen Verwendung der Denunziationsgebühren und Strafantheile; wegen Regulirung des Rheins zwischen Mainz und Bingen; wegen Erhöhung der Pensionen für Witt⸗ wen und Waisen der Beamten; wegen Erhöhung der Minimal⸗ gehalte der definitiv angestellten evangelischen und katholischen Geistlichen auf den Betrag von 1000 Fl.; endlich wegen Gehalts⸗ aufbesserung der hessischen Beamten und Bediensteten der Main⸗ Neckar⸗Bahn für 1873. Abgelehnt wurden, wie in Zweiter Kammer, der Antrag des Abg. Dernburg wegen Gehaltsauf⸗ besserung der Forstwarte für 1872 und der Antrag von Greim und Genossen wegen Gründung einer Unterstützungskasse für ver⸗ unglückte Feuerwehrleute oder deren Hinterbliebene.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Coburg, 22. Juli. Der Herzog von Edinburgh und Gemahlin sind heute Nach⸗ mittag 5 Uhr 40 Minuten mittels Extrazugs hier eingetroffen. Die hohen Herrschaften wurden am Bahnhofe von dem Herzog, der Her zogin, dem Hofpersonale und dem Vorstand der hie⸗ sigen Ministerial⸗Abtheilung emp fangen und sodann von dem Herzog und der Herzogin in vierspänniger Hofequipage durch die reichbeflaggte, festlich geschmückte Stadt unter fortwährenden Hochrufen der jubelnden Volksmenge nach ihrem neuen Palais am Theaterplatz geleitet, wo dieselben ausstiegen, um daselbst Wohnung zu nehmen.

Anhalt. Dessau, 23. Juli. Durch Höchste Resolution vom 26. v. Mts. ist dem Kreise Bernburg das landesherrliche Privilegium zur Emission einer Anleihe von 400, 0090 Thlr. 1,200 000 Reichsmark in fünfprozentigen, auf den Inhaber lautender Kreis⸗Obligationen in Stücken zu 100 Thlr. 300 Reichsmark ertheilt worden.

Jeuß j. L. Gera, 22. Juli. Der Fürst hat sich am Montage von dem Sommeraufenthalte Heinrichsruhe bei Schleiz zu einem mehrwöchigen Kurgebrauche nach Ostende begeben. Gleichzeitig reiste die Fürstin mit dem Erbprinzen und der Prinzessin Elisabeth nach Wildbad in Württemberg.

Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 22. Juli. Gestern

traf, über Basel kommend, die Kronprinzessin von Italien hier ein und setzte darauf ihre Reise nach dem Bade Spaa in Belgien, über Luxemburg, weiter fort.

Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 23. Juli. Das Reich s⸗ gesetzblatt veröffentlicht die Verordnung des Justiz⸗Ministe⸗ riums vom 10. Juli 1874 wirksam für Oesterreich unter der Enns, Oesterreich ob der Enns, Salzburg, Kärnten, Mähren, Ober⸗ und Niederschlesien womit für die obbezeichneten Länder in Gemäßheit des 8. 39 der Gesetze vom 2. Juni 1874, dann auf Grund des Artikels V. des Einführungsgesetzes zum allge⸗ meinen Grundbuchsgesetze vom 25. Juli i871 und des 5. 31 des Gesetzes vom 25. Juli 1871 Vollzugsbestimmungen über die Anlegung, Richtigstellung und Führung der Grundbücher er⸗ lassen werden.

Pest, 22. Juli. Im Abgeordnetenhause sprach Ma⸗ darasz den Wunsch aus, das Oberhaus möge demnächst über die Inkompatibilitäts⸗Vorlage verhandeln. Eine Anzahl sanktionirter Gesetze wurde publizirt, 5. 9 der Wahlgesetzvorlage mit Ableh⸗ nung sämmtlicher 12 Amendements in der Fassung des Cen⸗ tralausschusses angenommen. 12 der Wahlgesetzvorlage, welcher die Wahlfähigkeit von der Bezahlung der rückständigen Steuer abhängig macht, veranlaßte eine lebhafte Debatte. Von der Linken ward diese Bestimmung heftig angegriffen.

Niederlande. Haag, 20. Juli. Die Königin traf am Abende des 18. von ihrer nach Marienbad unternommenen Badereise hier wieder ein.

Die in Scheveningen zum Gebrauche der Seebäder weilen⸗ den Söhne des Kronprinzen des Deutschen Reiches kamen gestern nach Amsterdam, um die Hauptstadt der Nieder⸗ lande in Augenschein zu nehmen. Am Abende kehrten sie wieder nach Scheveningen zurück.

Hr. Heemskerk hat die von dem Könige ihm übertragene Mission, ein neues Kabinet zu bilden, an⸗ genommen. Vorgestern hatte derselbe eine lange Besprechung mit dem Kriegs⸗Minister Weitzel.

General⸗Major van der Schrieck, welcher mit der Vertretung der Niederlande auf dem in Brüssel Ende dieses Monates stattfindenden internationalen Kongresse betraut worden, ist Kommandant der 1. Infanterie⸗Division.

Aus der Capstadt sind Berichte bis zum 16. Juni hergelangt. Aus den Golddistrikten lauteten die Meldungen an⸗ haltend günstig. Der Gold⸗Kommissär“ Hr. Mac Donald war im Auftrage des Gouvernements der Capcolonie nach Pre⸗ toria, der Hauptstadt des Transvaalschen Freistaates, abgereist, um mit dem Präsidenten dieser Republik Unterhandlungen über Angelegenheiten der Golddistrikte zu pflegen, namentlich über eine Regelung der Grenzfrage.

23. Juli. (W. T. B.) Die Ratifikationsurkunden des zwischen den Niederlanden und England über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern abgeschlossenen Vertrags find am 21. d. Mts. ausgewechselt worden.

Großbritannien und Irland. London, 22. Juli. Zu Ehren der Prinzesssin Amalie von Schleswig⸗ Holstein gaben gestern der Marquis und die Marquife von Salisburn ein Diner, bei welchem u. A. Graf Beust und der belgische Gesandte nebst Gemahlin zugegen waren.

Der Lordmayor eröffnete vorgestern einen neuen Volks⸗ park in West⸗Ham, unweit Stratford⸗le⸗Bow, im äußersten Ostende von London. Der Park ist etwa 5 Acres größer, als der St. James Park und hat 25,000 Lstr. gekostet, zu welcher Summe Hr. John Gurney und die Korporation der City von London je 10,0090 Lstr. beitrugen, während der Rest durch eine öffentliche Subskription aufgebracht wurde.

Im Jahre 1873 wurden in der englischen Münze 2,382,832 Sovereigns und 2.003, 464 halbe Sovereigns, 5, 965,740 Florinstũcke, 6486, 489 Schillingstücke, 4 395, 0090 Sechspencestücke, 4158 Vierpencestücke, 4 059, 5283 Dreipencestücke, 4752 Zwei⸗ pencestũücke, 7720 Silberpence, und von Kupfer 8,494 080 Pence, 3,585, 000 Halbpence und 3. 225,600 Farthings geprägt. Die ge⸗ prägten Silberstücke überstiegen demnach die Ziffer 40, 000, 000 und repräsentirten einen Werth von 4 500 000 Lstr. Dem Be⸗ gehr nach Geldstücken bei der Münze, der in den zwei vorher⸗

gehenden Jahren übermäßig gewesen war, wurde hinreichend ent⸗ sprochen und er hörte in 1873 auf. Der Begehr nach Silber dauerte ununterbrochen fort, und die Nachfrage nach Kupfer war stetig übermäßig groß. Im Laufe des Jahres empfing die Münze von der Bank von England leichtes Gold im Betrage von 950,075 Lstr. zur Umprägung, und ein großer Betrag ab⸗ genutztes Silber wurde dem Umlauf entzogen. Der Sydney⸗ Zweig der Münze prägte und gab 15478, 000 Sovereigns in 1873 aus, und der Melbourne⸗Zweig 752, 000 Sovereigns und 165,000 halbe Sovereigns.

23. Juli. (W. T. B.) Auf eine in der Sitzung des Unterhauses von Forsyth gestellte Anfrage an die Regie⸗ rung erwiderte der Kanzler der Schatzkammer, Sir Stafford Northeote, er müsse bedauern, daß in dem Handelsvertrage zwi⸗ schen Frankreich, England, den Niederlanden und Belgien vom Jahre 1864 das in Frankreich adoptirte System der Aus fuhr⸗ prämien für Zucker, welches den Interessen der ostindischen Pflanzer nachtheilig sei, nicht abgeschafft worden sei. Der Mi⸗ nister bezweifle, ob das System, die Raffinirung des Zuckers in den Entrepots vorzunehmen, als eine Abhülfe für diese Nachtheile angesehen werden könne, die Regierung halte es indessen nicht für angemessen, bei Frankreich noch weitere Versuche zu machen, ihre Ansichten in dieser Frage durchzusetzen.

Beide Häuser des Parlaments haben die beantragte jährliche Apanage von 15,000 Pfd. Sterl. für den Prinzen Leopold bewilligt.

Frankreich. Paris, 22. Juli. Der konstitutionelle Ausschuß diskutirte heute über den Senat und nahm nach einer längeren Diskussion folgende Artikel an: 1) Der Senat ist folgendermaßen zusammengesetzt: a. aus von den Departe⸗ ments gewählten Senatoren; b. aus Senatoren von Rechts wegen; c. aus durch Dekrete des Präsidenten der Republik er⸗ nannten Senatoren. 2) Niemand kann Senator werden, der nicht Franzose ist, das Alter von 40 Jahren erreicht hat und im Besitz seiner politischen und bürgerlichen Rechte ist. Die konstitutionelle Kommifsion hat den von Paris modifizirten Wahlgesetzentwurf angenommen, welcher die Wahlvolljäh⸗ rigkeit auf 21 Jahre festsetzt und die Freiheit der Liste aufrecht erhält. Die Frage betreffs der Zusammenberufung der Depu⸗ tirten und der Diätenlosigkeit wurde späterer Berathung vor⸗ behalten.

Der mit der Prüfung des Gefängnißwesens be⸗ traute parlamentarische Ausschuß faßte heute betreffs des Schicksals der jungen (minderjährigen) Sträflinge nach ihrer Freilassung folgende Beschlüsse: 1) Die der Verwaltung bis zu ihrer Majorität anvertrauten jungen Gefangenen bleiben unter der direkten Ueberwachung derselben, wenn ihr Betragen ihre In⸗ freiheitsetzung nicht gestattet. 2) Die Verwaltung behält gleich⸗ falls die Ueberwachung und Vormundschaft über diese jungen Gefangenen, wenn sie es für gut erachten sollte, dieselben in Freiheit zu setzen. 3) Wenn die jungen Gefangenen vor ihrer Mündigkeit endgültig in Freiheit gesetzt werden, so haben die Gerichte allein das Recht, im Fall der festgestellten Unwürdigkeit der Aeltern die Personen zu bezeichnen, denen die Ueberwachung und Vormundschaft anvertraut werden soll. Im Prinzip ist jedoch zugelassen, daß diese Ueberwachung und Vormundschaft so viel wie möglich der Gesellschaft „de patronage des jeunes détenus“ übergeben wird

23. Juli. (W. T. B.) Bei der gestrigen Bera⸗ thung des Budgets fur Algier wurde Seitens der Re⸗ gierung eine weitere Kreditforderung zur Herstellung eines 15 Kilometer breiten, 20—- 40 Meter tiefen Kanals vom Golf von Gabes nach dem Süden von Tunis und der Provinz Konstantine in Aussicht gestellt, woselbst ein Binnensee von etwa 350 Kilometer Länge und 60 Kilometer durchschnittlicher Breite in der Sandwüste geschaffen werden soll. Lesseps hat den hierfür erforderlichen Kostenaufwand auf 12 Millionen Fres. veranschlagt. Durch die Ausführung des Pro⸗ jektes würde dem Aufbluͤhen der Kolonie in hervorragender Weise Vorschub geleistet werden.

Gerüchtweise verlautet, Seitens des linken Centrums werde eine Interpellation vorbereitet, in welcher dem Mi⸗ nisterium gegenüber das Verlangen nach einem politischen Programm ausgesprochen werden soll.

24. Juli. (W. T. B.) Ueber die Gruppirung der verschiedenen Parteien bei den gestrigen Abstimmungen in der Nationalversammlung (s. unter Versailles) wird gemeldet, daß alle Gruppen der Linken, mit Ausnahme von Ledru Rollin, Louis Blanc, Peyrat und Quinet, welche sich der Abstimmung ent⸗ hielten, für den Antrag Perier stimmten. Die Ablehnung dieses An⸗ trages wird der Haltung von 33 Mitgliedern zugeschrieben, welche fast sämmtlich am 15. Zuni für die Dringlichkeit desselben gestimmt hatten; dieselben, welche ihrer Parteistellung nach auf der Grenze zwischen den beiden Centren stehen, haben es nicht mehr für nothwendig erachtet, auch jetzt noch für den Antrag Perier zu stimmen, wo die vom Bonapartismus her drohende Gefahr be⸗ seitigt erscheine.

Der Antrag des Deputirten Maleville auf Auf⸗ lösung der Nationalversammlung wurde von verschiedenen Grup⸗ pen der Linken und den Bonapartisten angenommen; nur einige Mitglieder des linken Centrums enthielten sich der Abstimmung, indem sie erklärten, sie würden nur für die Auflösung stimmen, wenn alle übrigen konstitutionellen Vorlagen abgelehnt würden.

In Deputirtenkreisen verlautet, es würde in der heutigen Sitzung der Nationalversammlung ein Antrag auf Vertagung der Diskussion über die übrigen konstitütionellen Vor⸗ lagen eingebracht werden.

Versailles, 23. Juli. (W. T. B.) Nationalver⸗ sammlung. Vie Tribünen sind fast überfüllt. In der Diplo⸗ matenloge sind die Botschafter des Deutschen Reichs, Rußlands, Englands und Oesterreichs, der päpstliche Nuntius und viele andere Mitglieder des diplomatischen Corps anwesend. Lambert St. Croix (rechtes Centrum) begründete den von ihm zu den konstitutionellen Gesetzvorlagen gestellten Antrag. Er will, daß die gegenwärtig bestehende Regierung organisirt werde, jedoch unter der Bedingung, daß die Regierung auch ferner einen durchaus konservativen Charakter trage. Hierauf nahm Casimir Perier (linkes Centrum) zur Begrundung seines Antrags das Wort. Er wies darauf hin, daß die prinzipielle Natur der Regierung auf einem bereits fest bestimmten und nicht mehr diskutirbaren Prinzipe beruhe, und führte aus, daß die An⸗ hänger der Monarchie mit Rücksicht darauf, daß die Wiederher⸗ stellung der Monarchie unmöglich sei, sich der allein möglichen Regierungsform in Resignation fügen müßten.

Der Herzog von Broglie hob darauf in einer längeren, von der Rechten sehr beifällig aufgenommenen Rede hervor, die Proklamirung der Republik sei unnütz und inopportun und werde vielseitigen Anstoß erregen. Bei der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit und der leicht widerruflichen Natur der repu⸗

blikanischen Institutionen würde die republikanische Regierungs⸗ form dem Lande die gewünschte Sicherheit nicht verschaffen, noch weniger gebe dieselbe irgend eine Gewähr gegen den Bonapar⸗ tismus. Der Fehler jeder republikanischen Regierungsform sei, daß sie das Staatsoberhaupt mit den Parteien in Beruͤhrung und Verwickelung bringe. Marschall Mae Mahon aber sei ein loyaler Sol⸗ dat, ein Staats streich von seiner Seite könne nicht befürchtet werden. Dufaure wendete sich gegen die Ausführungen des Herzogs von Broglie und trat für den Antrag Perier ein.

Der Vize⸗Präsident des Ministerkonseils und Kriegs⸗Minister de Eissey verlas darauf eine Erklärung, nach welcher die Regierung den Antrag Perier um deswillen zurückweist, weil er ganz unnützer Weise auf das 89 vom 20. November v. J. (Septennat) zurückgehe, welches außerhalb jeder Diskussion blei⸗ ben müsse. Der Artikel des Antrages, der von den zwei Kam⸗ mern handle, sei überflüssig, weil die Nationalversammlung die legislative Gewalt bereits unter zwei Kammern getheilt habe. Die Annahme des Perierschen Antrages würde nur so gedeutet werden können, daß damit noch ein anderes Ziel, als blos das⸗ jenige der definitiven Proklamirung der Republik erreicht wer⸗ den solle. Die Regierung könne sich nicht davon überzeugen, daß diese rein doktrinäre Proklamirung der Republik ein

angemessenes Mittel zur Beseitigung der im Lande herrschenden

Beunruhigungen sein würde, eine Partei würde wohl dadurch zufrieden gestellt, für die übrigen Parteien würde aber keine Be⸗ schwichtigung herbeigeführt werden. Das Land verlange eine Organisation der Gewaltbefugnisse des Marschalls Mac Mahon, das Ministerium erwarte von der Nationalversammlung ein Gesetz über Errichtung der Ersten Kammer und über das Recht zur Auflösung der Deputirtenversammlung, sowie das Wahl⸗ gesetz. Es gelte eine Organisation für die Dauer von 7 Jahren. Nach Ablauf dieser Zeit sei das Land wieder Herr der Ent⸗ schließung darüber, wie es seine Verhältnisse für die weitere Zu⸗ kunft gestalten wolle. Nach dieser Erklärung wurde die General⸗ diskussion geschlossen.

Der Deputirte Wallon brachte einen Unterantrag ein, die Regelung der Gewaltbefugnisse des Präsidenten der Republik betreffend. Dieser Antrag wurde mit 637 gegen 33 Stimmen abgelehnt. Die Versammlung schritt zur Abstim⸗ mung über den Antrag Perier, der mit 374 gegen 333 Stimmen abgelehnt wurde. Maleville brachte den von 300 Deputirten unterzeichneten Antrag auf Auflösung der Na⸗ tionalversammlung ein. Die Dringlichkeit des Antra⸗ ges wurde mit 369 gegen 340 Stimmen abgelehnt und die Sitzung sodann geschlossen.

Gutem Vernehmen nach wird die Nationalver⸗ sammlung sich nach beendigter Berathung des Budgets bis zum Dezember d. J. vertagen.

Spanien. Madrid, 23. Juli. (W. T. B) Dem „Imparcial“ zufolge hat der Finanz⸗Minister Camacho in der Sitzung des Ministerraths erklärt, daß er über die zur Aus— rüstung von 125,000 Mann der neu einberufenen Reserve erforderlichen finanziellen Mittel verfüge, und daß er die laufenden Staatsausgaben bis zum kommenden September zu bestreiten im Stande sei. Im Staatsschatze befänden sich augen⸗ blicklich 140 Millionen Realen, und 3 Millionen Realen würden demselben täglich zugeführt.

Italien. Die freie christliche Kirche der Waldenser in Tu rin hat folgende Adresse an den Kanzler des Deutschen Reichs Fürsten von Bismarck abgesandt:

„Die christlich freie Kirche von Turin, bewegt durch das ab⸗ scheuliche Attentat, das auf Ew. Durchlaucht von einem Feinde Christi begangen wurde, dankt mit Wärme Golt und unserem Vater, daß er die Kugel des Meuchelmörders, die Ihren Tagen ein Ende machen wollte, abgewendet, und bittet ihn, er möge noch für lange Jahre Ihr Dasein erhalten, das nicht blos uns, Ihren Brüdern, mit denen Sie den Glauben gemeinsam haben, theuer und kostb'r ist, sondern auch allen civilisirten Nationen. Gott der Vater segne Sie und stehe Ihnen bei in Ewigkeit.

Genehmigen Sie, Ew. Durchlaucht, von allen Mitgliedern dieser Kirche den aufrichtigen und brüderlichen Ausdruck ihrer Beglückwün⸗

schungen. ; Für die Kirche: (Gez.) B. Bracchetto, evangelischer Pfarrer.“

Rußland und Polen. St. Petersburg, 23. Juli. (W. T. B.) Erzherzog Albrecht ist von seinem Ausfluge nach Moskau hierher zurückgekehrt.

General⸗Lieutenant Graf Bobrinsky, Minister für Wege und Verkehrsanstalten, ist auf sein desfallsiges Gesuch die⸗ ser Stelle enthoben worden.

Es bestätigt fich, daß der Chef der Gensd'armerie, Graf Schuwalow, zum russischen Botschafter in London er⸗ nannt ist und in seiner bisherigen Stellung durch den General⸗ Gouverneur von Wilna, General⸗Lieutenant Potapow, ersetzt werden wird. Der ehemalige General⸗Gouverneur der baltischen Provinzen, General⸗Lieutenant Albedinsky, ist zum General⸗ Gouverneur von Wilna und Admiral Possiet zum Minister für Wege und Verkehrsanstalten ernannt.

Am Dienstag hat vor einer besonderen Sektion des Senates die Verhandlung des Prozesses begonnen, welcher gegen 10 junge Leute und 2 Frauen wegen Verabfassung und Verbreitung von Proklamationen, die zum Um⸗ sturz und zur Revolution auffordern, eingeleitet ist.

Schweden und Norwegen. Stockholm, 18. Juli. Prinz Alexander der Niederlande, welcher gestern von hier nach Christiania abgereist ist, begiebt sich nach einigen Tagen Aufenthalt in der norwegischen Hauptstadt durch das Guldbrands- thal nach Molde und von dort nach Bergen.

Dänemark. Kopenhagen, 21. Juli. Nach der ge⸗ troffenen Bestimmung erfolgt die Abreise des Königs heute Vormittag 10 Uhr 10 Minuten von Wiborg per Extrazug nach Fredrikshayn über Randers und Aalborg. In letzterer Stadt ist ein Aufenthalt von 11 Stunde in Aussicht genommen, weil der König eine Einladung der Stadt zum Frühstück angenommen hat. Nachmittags 615 Uhr geht die gesammte Königliche Familie auf dem Dampfschiffe ‚„Slesvig“ nach der auf der Rhede von Frederikshavn liegenden Fregatte „Iylland“ hinaus, worauf das Abschiedsdiner am Bord stattfindet. „Iylland“, mit dem Könige, dem Prinzen Waldemar und dem Gefolge gehen dann nach Island ab, und das Dampfschiff „Slesvig“ bringt die Königin, Prinzessin Thyra und die Kronprinzessin hierher zurück, so doch, daß nur die letztere hier bleibt, während die Königin und Prinzessin Thyra über Lübeck, Hamburg und Frank⸗ furt nach Rumpenheim weiterreisen.

Die Blätter enthalten abermals ausführliche Berichte und Telegramme von dem Aufenthalte des Königs im Lager zu Hald und den dortigen Uebungen der Truppen. Alle Be⸗ richte loben einstimmig die gute Disziplin, welche diesmal herrscht. Gelegentlich der Truppenübungen wird auch der

im Lager eine Brigade kommandirende Oberst Ankjär er⸗ wähnt, derselbe, dem, wie man wissen will, das Portefeuille des Kriegs-Ministers angetragen sein soll. Da der Conseils⸗ Präsident Fonnesbech und der Justiz⸗Minister Klein dort an— wesend waren, so haben ohne Zweifel Unterhandlungen mit ihm stattgefunden. Auch Oberst Tvermoes, Folkethingsmitglied und Verfasser des vorzüglichen durch den Generalstab herausgegebenen Werks über den Krieg von 1848 50, wurde als eventueller Kriegs⸗Minister genannt.

Zur Brüsseler internationalen Konferenz werden dem⸗ nächst der Direktor des auswärtigen Ministeriums, Geheimer Etats⸗Rath Vedel, und der Oberst in der Artillerie, A. Brun, von hier abgehen.

Mit der Corvette „Heimdal“ ist in Folge Königlicher Erlaubniß der russische Professor Demetrius Mahir als Korre⸗ spondent der geographischen Gesellschaft in St. Petersburg, sowie mehrerer dortiger Journale nach Reykjavig abgegangen.

Amerika. (A. A. C.) Per Kabel wird aus New⸗Zork, 21. Juli, gemeldet: Der Gouverneur von Mississippi hat um militärischen Schutz gegen Gewaltthätigkeiten, die im Hinblick 21 die bevorstehende Wahl in diesem Staate erwartet werden, ebeten. ö Das amerikanische Haus der Bischöfe hat gegen den Bischof Cummins, der neulich der Episkopalkirche der Ver⸗ einigten Staaten abtrünnig wurde und eine freie Kirche grün⸗ dete, die förmliche Absetzung ausgesprochen.

Afrika. Das britische Kriegs schiff „Basilisk“ hat auf sei⸗ ner Forschungsreise an der unbekannten Küste von Neu⸗ Guinea 32 neue kleine Inseln entdeckt und die Durch⸗ fahrt südlich von der D'Entrecasteaux⸗Inselgruppe, die früher für das Festland von Neu⸗Guinea gehalten wurde, erforscht. Dieser Kanal erweist sich als schiffbar für Fahrzeuge jeder Größe und wird die Route der Dampfer von Australien nach China, falls sie sich desselben bedienen, beträchtlich kürzen. Die Einge⸗ bornen der neuentdeckten Inseln sind wohlgebaut, aber von klei⸗ ner Statur und haben Aehnlichkeit mit denjenigen des ca. 100 Meilen nach Osten gelegenen Louisiade⸗Archipelagus. Eiserne Reifen, rothe Taschentücher, kleine Aexte und Fischhaken bilden das Geld oder Tauschmittel jener Regionen. Obwohl anschei⸗ nend freundlich, sind die Insulaner beim kleinsten Zeichen der Schwäche zur Plünderung und zu verrätherischen Handlungen geneigt.

Australien. Von den Sandwich⸗Inseln gingen in San Francisco bis zum 9. Juli folgende Nachrichten ein: Die legislative Versammlung votirte 50,000 Dollars zur Ermuthi⸗ gung des Ackerbaues und der Einführung von Arbeitern. Für einen Palast des Königs, wozu dieser 50,000 Dollars verlangt hatte, wurden 15,000 Dollars verwilligt. Der König rieth zu einem Reziprozitätsvertrage mit den Vereinigten Staaten, für welchen bei der Assembly Petitionen eingingen.

Landtags⸗Angelegenheiten.

Diez, 22. Juli. (Rhein. Kur) Bei der heutigen Ersatzwahl für das Abgeordnetenhaus wurde (an Stelle des Gutsbesitzers Born, welcher sein Mandat niedergelegt hat) für den 7. Wiesbadener Wahl- w der Gutsbesitzer Mohr mit 189 Stimmen gewählt.

Bei der Ersatzwahl für den 3. Aachener Wahlbezirk ,,, ist (an Stelle des Freiherrn v, Leykam, welcher sein

standat niedergelegt hat) der Freiherr v. Spieß⸗Büllesheim zu Gall bei Ratheim in das Haus der Abgeordneten gewählt worden.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Aus den Sitzungen der historischen und Alter thums-⸗Vereine im Monat Juni d. J. Verein für die Geschichte Berlins: Geheimer Hofrath Schneider uber das im Jahre 1818 zur Erinnerung an die Freiheitskriege auf dem Kreuzberg errichtete Denk— mal; Hauptmann Schnackenburg über die Befestigung von Berlin im Jahre 1813. Historische Gesellschaft zu Berlin: Dr. Fischer betr. den 1. Bd. von Opels Geschichte des niedersächsischen Krieges; Dr. Feldner über die Herzogsgewalt der Erzbischöfe von Cöln in Westfalen. Verein für die Geschichte Potsdams: Geheimer Hof— rath Schneider über die Wildbahnen und Wildparke der Kurfürsten von Brandenburg und der Könige von Preußen. Verein für Ge⸗ schichte und Alterthumskunde in Frankfurt 4. M.: Dr. Eulenburg über das neuerdings auf dem Pfarrhofe der Frauenburg aufgefundene Grabmal des Minnesängers Ulrich v. Lichtenstein (. 1275), aus dessen 1841 von Joseph Bergmann herausgegebenen Frauenbuch“ einige Proben mitgetheitt wurden; Dr. Stricker über Seipts Abhandlung uber die Kulturgeschichte von Frarkfurt a. M. in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, die in dem Programm der Mittelschule in Frank⸗ furt veröffentlicht ist, und insbesondere über den darin geliefer— ten Nachweis, daß die literarische Bedeutung der Frank⸗— furter Messen mit dem Jahre 1511 beginne Prof. Becker sprach uber den Gebrauch der Schellen im römischen Alterthum, sodann über die Ausbeute, welche die auf die Jahre 1273 und 1332 be⸗ züglichen Inschriften an der Kirche zu Gelnhausen für die von Dr. Lersch in Aachen angelegte Chronik der Erdbeben gewähren, wie über— haupt über die Wichtigkeit solcher naturgeschichtlichen Aufzeichnungen für die politische Geschichte; Professor Genthe über die vielbesprochenen, von Spanien bis Lund in Schweden und von Siebenbürgen bis Mecklenburg in ganz gleicher Weise gefundenen Kesselwagen, welche ein neuerdings in Cervetri gemachter Grabfund als Räuchergefäße nach⸗ gewiesen hat. Vogesenelub in Barr: Apotheker Hering über die keltischen Monumente auf dem Ottilienberg und in dessen Umgebung. Verein für Erhaltung der historischen Denkmäler im Elsaß zu Straßburg: Veroffentlichung von Notizen des verstorbenen Hrn. Fries

über die ehemalige, jetzt im Neubau begriffene Neue Kirche zu Straß— burg; Gyß über ein Grabmal zu Oberehnheim, sowie über den Fund von römischen Thränengläsern in der Umgegend von Brumath.— Darmstädter Geschichts verein: Lehrer Hils sprach über einige römische Münzen und andere Antiquitäten, die in der Gemarkung von Ober In- elheim gefunden waren, woran sich Mittheilungen anschlossen über den Nieder ⸗Ingelheimer Palast, die in Dr. Schäfers Aufsatz über die karolingische Profan⸗Baukunst und ihre Denkmale enthalten sind.

In diesen Tagen ist der Vorstand des Röm isch⸗Germa—⸗ nischen Musenms in Mainz durch eine Reihe von auswärtigen Mitgliedern erweitert worden. Es sind die nachfolgenden Herren: v. Cohausen, Oberst in Wiesbaden, Dr. Grotefend, Geh. Archiv- Rath in Hannover, Dr. Köchly, Professor in Heidelberg, Dr. Leop. v. Ledebur, Geheimer Regierungs⸗-Rath in Poksdam, Dr. Müller, Studienrath in Hannover, Paulus, Finanz— Rath in Stuttgart, v. Quast, Seh. Regierungs Rath in Berlin, Schaafhausen, Geh. Medizinal⸗Rath und Professer in Bonn, Dr. Walther, Geh. Rath in Darmstadt, Hofmann, Professor in Darm— stadt. In der am 18. d. zu Mainz in Gemeinschaft mit dem Lokal- vorstand abgehaltenen Sitzung wurde insbesondere über den Fortgang der Museumzsarbeiten und die zunächst vorliegenden weiteren Aufgaben des Museums Bericht erstattet und Beschluß gefaßt.

Der, wie bereits telegraphisch gemeldet, am 21. d. M. in Straß burg verstorbene Professor Johann Friedrich Bruch war am 13. September 1792 zu Pirmasens in der Pfalz geboren. Nachdem er im protestantischen Seminar zu Straßburg Theologie studirt, ward er 1814 Pfarrvikar zu Lohe im elsässischen Kanton Lützelstein, ging aber bald darauf nach Paris, um in der Familie Gros Courant als Hauslehrer zu fungiren. Nach Straßburg zurückgekehrt, ward er 1821 Professor am protestantischen Seminar und an der theologischen Fa⸗ kultät; von 18228 1852 leitete er auch das Gymnastum, 1831 über— nahm er dazu das Nicolai⸗Pfarramt; 1834 ward er Dekan seiner Fakultät. An der Neugründung der Universität 1871 betheiligte er sich angelegentlich und wurde deren erster Rektor. Im letzten Winter nöthigte ein schweres Leiden ihn, alle seine Aemter mederzulegen. Vor anderthalb Monaten mußte er sich ein Bein amputiren lassen; dies⸗ nothwendig gewordene Operation erschöpfte die Lebenskraft des 82jäh⸗ rigen Greises, dem der Tod als ein Erlöser erschien.

In Rom ist am 16. d. M. der Architekt Cipolla gestorben. Er hat sich durch seine Bauten in Rom, Florenz, Bologna, Imola und Malaga einen bedeutenden Namen erworben.

Landwirthschaft.

In Betreff des unter dem Wildstand im Grunewald ausgebrochenen Milzbrands veröffentlicht die Nat. Z.“ folgendes ihr zugegangenes Schreiben des Prof. Virchow: ;

Die Zeitungen haben über eine Untersuchung, welche ich am letzten Sonnabend auf Veranlassung der Königlichen Forstverwaltung in Bezug auf die Epizootie im Grunewald angestellt habe, Angaben von etwas zweifelhaftem Werthe gebracht. Bei dem großen Interesse, welches sich an diese Angelegenheit knüpft, erlaube ich mir Ihnen einige Mittheilungen darüber zu machen.

Die Untersuchung hat zunächst dargethan, daß es sich um wirk⸗ lichen Milzbrand und nicht etwa, wie neulich erzählt wurde, um Vergiftungen handelt. Sowohl die makroskopische, als die mikresko— pische Untersuchung hat bei den Damhirschen alle charakteristischen Merkmale des Milzbrandes gezeigt, namentlich in beträchtlichen Mengen jene feinen mikroskopischen Pflänzchen, die sogenannten Bakterien, im Blute, in der Milz und andern Theilen. Impfungen mit den in fekten Theilen bei gesunden Kaninchen (bei denen übrigens Hr. Prof. Liebreich nicht betheiligt war) haben in kürzester Zeit den Tod dieser Thiere herbeigeführt. Eine ganz geringe Menge von Lymphe tödtete ein Kaninchen in etwa 20 Stunden; ein Tropfen Blut dieses Kaninchens, in eine Wunde eines andern gesunden Kaninchens einge⸗ bracht, hatte denselben Effekt. Der Tod erfolgt unter krampfhaften Erstickungszufällen, wie bei der Cholera. .

Das Milzbrandgift erscheint hier also in seiner schrecklichsten Form. Uceberall ist es in einer gewissen Verbindung mit den er— wähnten Pflänzchen, welche daher als Krankheitsursache anzujehen sind. Dagegen scheint sich auch hier zu ergeben, daß nicht die Pflänz⸗

chen se bst die giftigen Körper sind, sondern daß sie vielmehr das Gift nur

erzeugen. Es ist daher wahrscheinlich auch nicht nöthig, daß sie selbst in das Blut übergehen; wenigstens sterben die Thiere schon, ehe noch nennenswerthe Mengen ven Bakterien im Blute selbst zugegen sind.

Glücklicherweise scheint die Epizootie im Grunewald selbst im Erlöschen zu sein. Soweit ich ermitteln konnte, waren in den letzten Tagen nur noch einzelne Hirschkälber gefallen; der auf etwa 200 Stück geschätzte Ueberrest der älteren Thiere hat seit Freitag keine Opfer mehr geboten. Da inzwischen Seitens der Königlichen Forstverwal⸗ tung alle Vorsichtsmaßregeln ergriffen sind, auch eine nachträgliche Desinfektion aller verdächtigen Stellen angeordnet ist, so steht wohl zu erwarten, daß die eigentliche Gefahr für die Bevölkerung beseitigt ist. Es kommt dabei namentlich in Betracht, daß nur Pflanzenfresser in höherem Maße empfindlich für das Milzbrandgift sind, der Mensch, wie der Hund, sich also einer größeren, wenngleich keineswegs einer absoluten Immunität erfreuen. Die an sich gerechtfertigte Besorgniß vor dem Stiche von Fliegen und Bremsen läßt sich leider noch nicht mit Genauigkeit präcisiren. Nach der Aussage der Förster, welche ich persönlich zu prüfen nicht in der Lage war, werden auch diese Thiere sehr bald matt und sterben nach kurzer Zeit.

Berlin, 22. Juli 1874.

R. Virchow.

Das 4 Heft des III. Bandes (1874) der Landwirth⸗ schaftlichen Jahrbücher“, Zeitschrift für wissenschaftliche Land—⸗ wirthschaft und Archiv des Königlich preußischen Landes ⸗Oekonomie⸗ Kolleziums; herausgegeben von Dr. H. von Nathusius, Geh. Ober Regierungs⸗Rath und Vorsitzender des Königlich preußischen Landes— DOekonomie⸗Kollegiums und Dr. H. Thiel, Landes⸗Oekonomie⸗Rath und General⸗Sekretär des Königlich preußischen Landes⸗Oekonomie⸗ Kollegiums. (Berlin. Verlag von Wiegandt, Hempel & Parey. 1874, hat folgenden Inhalt: Das Recht und die Pflichten des länd lichen Grundeigenthums. Von Dr. H. v. Scheel, Professor in Bern. Beiträge zur Lehre über die Athmung der Pflanzen. Von A. v. Wolkoff und Adolf Mayer. Ueber die Zusammensetzung des Woll⸗

fettes. Von Dr. Ernst Schulze, Profeffor in Zürich. Vergleichende Roggen und Gerstenkulturen im ökonomisch-botanischen Garten zu Poppelsdorf. Von Fr. Körnicke. Die preußische Fischerei und das neue preußische Fischereigesetz. Von Eduard Marcard, Geh. Ober⸗ Regierung? Rath. Vermischte Mittheilungen.

Die Ernte des Wintergetreides im Regierungsbezirk Wi esb aden verspricht reichen Ertrag. Dagegen ist der Raps im oberen Lahnthale und in den gebirgigen Gegenden mehr oder weniger erfroren, ebenso der Klee und ander? Futterkräuter. Auch der Heu⸗ ertrag ist durch den Frost beeinträchtigt. Die Nußbäume liefern gar keine Ernte, auch die Kirschen! und Apfelbäume haben durch Frost gelitten, nichtsdestoweniger wird die Obsternte befriedigend ausfallen. Der Weinstock hat sich im Allgemeinen schön entwickelt und nur in Thaleinsenkungen und in der Nähe von Wiesengründen durch Frost gelitten. Ausnahmsweise ist aber auch in den Berggegenden zwischen Dattenheim und Erbach der Weinstock durch Frost beschädigt worden. Die Markobrunner Lage hat ein Drittel ihrer Gescheine durch Frost verloren.

Im Regierungsbezirk Minden versprechen die Wintersaaten eine sehr gute Ernte. Die Sommersaaten haben sich erholt, so daß der Stand kein schlechter ist. Kartoffeln sind vielfach erfroren, haben sich jedoch nach eingetretenem warmen Regen wieder erholt. Die Garten früchte und die Obst baumblüthen haben erheblich durch Frost gelitten. Für die geringe Qualität der Heuernte entschädigt einigermaßen die gute Qualität; für den Nachschnitt sind die Aussichten sehr ungünstig. Die Kleeernte ist meistens befriedigend, dagegen ist der Buchweizen Mitte Juni überall gänzlich erfroren. j

Im Regierungsbezirk Cöln ist der Stand der Feldfrüchte im Allgemeinen befriedigend, wenngleich in einzelnen Gegenden der Roggen und Raps empfindlich durch Frost, in anderen durch Hagelschlag ge⸗ litten haben. Von dem Roggen und der Gerste wird im Ganzen eine Mittelernte, vom Weizen und Hafer eine gute Ernte erwartet. Der Ertrag der Kartoffeln ist noch zweifelhaft, da die Pflanzen durch Frost in ihrer Entwickelung aufgehalten sind. Bei den Kleefeldern und den Wiesen ist der erste Schnitt unter dem Mittel geblieben, der zweite Schnitt stellt aber bessere Resultate in Aussicht. Gemüse wind reich⸗ lich und in guter Qualität gewonnen. Dem Steinobst sind die Nacht⸗ fröste verderblich gewesen, dagegen ist Kernobst gut gerathen. Der Weinstock verspricht eine quantitative gute Ernte.

Aus Regensburg, 20. Juli, wird geschrieben: Das Korn und die frühe Gerste sind in hiesiger Gegend größtentheils geerntet; der Schnitt des Weizens hat bereits begonnen. Von sämmtlichen Fruchtgattungen wird ein reichlicher Ertrag erwartet.

Gewerbe und Handel.

Kiel, 23. Juli. (W. T. B.) Die den Gebr. Lange gehörige große Getreidemühle in Reumühlen ist total niedergebrannt. Der verursachte Schaden wird auf mehr als 3 Mill. Reichsmark ge— schätzt. Nach der Kieler Zeitung“ ist das Feuer in vergangener Mitternacht auf dem Beutelboden ausgebrochen und hat sofort gewal⸗ tige Dimensionen angenommen, so, daß alle Löschanstrengungen ver⸗ gebens waren. Die Gebäude sind total zerstört, das Feuer selbst noch nicht vollständig gelöscht. Zur Beihülfe ist auch die Marine⸗Dampf⸗ spritze reguirirt worden. Ein Arbeiter ist verbrannt, zwei werden ver—⸗ mißt. Die Entstehungsursache ist nicht bekannt.

Die Ausweise über den Handel und die Schiffahrt von Britisch⸗Indien für die am 31. März c. beendeten zwölf Monate zeigen, daß im Vergleich mit der Parallel Periode der Total⸗ werth der Einfuhr 325,936,088 Rupien gegen 312,605,614 Rupien, und der Gesammtwerth der Ausfuhr 549,607,780 Rupien gegen 552,274,950 Rupien betrug. Der Werth der Edelmetall ⸗Einfuhr be⸗ lief sich auf 57, 25,336 Rupien gegen 45,565,850 Rupien, und der der Edelmetall⸗Ausfuhr auf 19,140,791 Rupien gegen 12.980, 790 Ru⸗ pien. Der Gesammtbetrag der vereinnahmten Importzölle, einschließ ˖ lich der für Salz, betrug 41,617,157 Rupien gegen 41,771,021 Ru⸗ pien, und der Exportzölle 7, 256,418 Rupien gegen 8,009 993 Rupien. Die Zahl der Schiffe, die einliefen, betrug 3557 mit einem Gehalt von 1,647,617 Tonnen gegen 3509 mit einem Gehalt von 1,B7068, 339 Tonnen, und die der ausklarirten Schiffe 5600 mit einem Gehalt von . Tonnen gegen 5628 mit einem Gehalt von 2,217,763

onnen.

Verkehrs⸗Anstalten.

St. Petersburg, 19. Juli. Die Russ. Eisenbahn⸗Zeitung“ bringt ein Referat über die Beschlüsse der Konferenz, welche, wie wir seiner Zeit erwähnt haben, aus Vertretern deutscher und russischer Eisenbahnen bestehend, hier in St. Petersburg Mitte Juni tagte. Die Beschlüsse dieser Konferenz haben übrigens keinen definitiven Charakter, sondern sollen in einer allgemeinen Kon⸗ ferenz der deutsch⸗russischen Verbände für direkten Eisenbahnverkehr, welche im September dieses Jahres in Hamburg zufammentreten wird, einer nochmaligen Durchsicht unterzogen werden. Die meisten Be— schlüsse der Konferenz beziehen sich auf Details des direkten Güter⸗ verkehrs. Wir erwähnen daraus den Beschluß der Konferenz, die Stationen Kaluga, Tula, Jelez und Rjashsk auf der Rjashsk⸗Wjas—« maschen, Pogorjelzy und Gorodeja auf der Moskau⸗Brester, Nishni- Nowgorod auf der Nijshni⸗Nowgoroder, Dünaburg und Kreslawka auf der Dünaburg⸗Witebsker, Morschansk, Tambow, Ssaratow und Romny auf den gleichnamigen Eisenbabhnen, Inowraclaw auf der oberschlesischen und Thorn auf der preußischen Ostbahn als Verbandstationen des direkten deutsch⸗russischen Verkehrs aufzunehmen. Bezüglich der Per⸗ sonenbeförderung beschloß die Konferenz, einen direkten Passagierver⸗ kehr in den Waggons J. und II. Klasse zwischen Moskau und Berlin über Warschau, Minsk und Wilna herzustellen. Die Fahrpreise sollen auf den Passagierbillets und Bagagequittungen in deutscher Reiche⸗ währung angegeben werden, wobei drei Mark gleich einem Rubel an— zunehmen sind. Die Passagierbillets werden in Form von Coupons heften ausgegeben und haben eine Gültigkeitsdauer von 10 Tagen. Jeder Passagier kann 60 russische Pfund (20 Kilogramm) zahlungsfrei als Bagage mitnehmen und darf seine Reise in den Städten War⸗ schau, Brest, Minsk, Smolensk, Wilna, Wjasma und Königsberg unterbrechen.

Zur Reise⸗ und Badesaison.

Von Seiten der Königlichen Brunnen-Direktion von Bad Nenndorf ist uns folgendes Schreiben zur Veröffentlichung zugegangen: .

Um Irrungen und übertriebenen Gerüchten vorzubeugen, wird hierdurch bekannt gemacht, daß nur das große Logirhaus zu Bad Nenndorf am 20. d. M. abgebrannt ist, alle andern Häuser aber unversehrt blieben. Der Betrieb des Bades ist keinen Augenblick unterbrochen gewesen, und die ankommenden neuen Kurgäste finden geeignetes Unterkommen. ;

Bad Nenndorf, am 23. Juli 1874.

Königliche Brunnen-Direktion.

Heringsdorf, 22. Juli. (Ostseez) Die Frequenz in hiesigem Ostseebade hat sich in Folge starker Bauten und der besseren Bade⸗ einrichtungen von Seiten der Eigenthümer wesentlich vergrößert; die Zahl der Kurgäste beträgt heute 1809 gegen 1260 um dieselbe Zeit im vorigen Jahre. Das neue elegante Kurhaus, an der Strand- promenade an dem Nordostabhange des Zauberberges erbaut, ist vollendet; die 36 Logirzimmer sind bereits bewohnt und die schönen Gesellschafteräume den Kurgästen zur Benutzung übergeben. In dem durch die Terrainverhältnisse bedingten hohen Unterbau befinden sich 13 warme Badezellen mit geräumigem Vorraum, sowie auch die Bureaus der Badeverwaltung und der Polizei, ferner die große Küche nebst den nöthigen Wirthschaftsräumen. Im Erdgeschoß erstreckt sich in ganzer Länge des Gebäudes nach der See zu eine 35 M. lange und 10 M. tiefe Terrasse. Im unmittelbaren Anschluß an diese befindet sich der 300 Personen fassende Speisesaal, so wie das Lesezimmer

und ein Damen⸗ resp. Musikzimmer, auch reihen sich daran die

Spiel! und Billardzimmer, Garderoben u. s. w. In den beiden oberen Stockwerken befinden sich die Logirzimmer, welche theils mit großen, theils mit kleineren Balkons in Verbindung gesetzt und den heutigen Ansprüchen entsprechend möblirt sind. Das neue Logirhaus, ebenfalls an der Strandpromenade belegen, besitzt 45 Logirpiecen, und Hotel Lindemann, welches noch immer seinen guten Ruf bewährt und sich wiederum vergrößert hat, 72 Wohn⸗ zimmer. Außerdem finden Fremde noch gastliche Aufnahme im alten Gesellschaftshause, Schmidts Gasthaus und bei Rhenstus in Neu—⸗ krug. An Stelle des im Herbst 1872 durch die Sturmfluthen ver⸗ nichteten früheren Herren⸗Bades ist ein großer, in die See hinein- springender breiter Steig gebaut, welcher theils zum Anlegen der Böte bestimmt ist, und theils als willkommene Promenade, besonders des Abends, benutzt wird. Die Wasserleitung ist durch Anlage eines 16 M. hohen Wasserthurms auf der Heinrichshöhe, 40 M. über dem Ostseespiegel belegen und deshalb als. Aussichtspunkt. be⸗ liebt, bedeutend verbessert und versorgt nicht allein die meisten Villen an der Strandpromenade, sondern auch das Kurhaus, das Logirhaus und die Gartenanlagen mit Wasser; es ist Projektirt, sie auf den größten Theil von Heringsdorf auszudehnen. Die Strandpromenade ist wieder bedeutend verlängert und soll nech in diesem Jahre bis Aal beck fortgeführt werden. Seit vorigem Jahre sind in Heringsdorf und Neukrug wieder 18 größere Wohnhäuser und Villen gebaut. Leider ist der Bau der Chaussee nach Swinemünde ins Stocken gerathen.

Freiburg i. Br, 21. Juli. Der Fremdenverkehr in unserer Stadt und Umgegend ist in den letzten Wochen etwas lebhafter geworden, doch steht derselbe jenem früherer Jahre noch bedeutend nach, so daß

jLetzt, wo in früheren Jahren unsere größeren Gasthöfe jeden Abend von Fremden überfüllt waren, noch immer die Gasthofbesitzer über geringe Frequenz klagen. Auch in den nahen Schwarzwaldthälern, namentlich im Höllenthale, ist der Fremdenbesuch viel schwächer, als in andern Jahren. Man schreibt diese Erscheinung lediglich der Er⸗ öffnung der Kinzigthal⸗Bahn zu, wohin bekanntlich ein starker Zu⸗ drang von Fremden und einheimischen Touristen stattfindet. Sehr viele Fremde, namentlich aus Norddeutschland, die früher die Thäler des oberen Schwarzwaldes, das Höllenthal, Albthal und den Feldberg mit besonderer Vorliebe besuchten, ziehen es dieses Jahr vor, die großartige Kinzigthal⸗Bahn zu befahren und die höchst interessanten Punkte dieses Thales zu besuchen.

In Salzburg findet vom 31. Juli bis 2. August der T deutsche Turnlehrertag statt. Wie aus dem vorliegenden rogramm ersichtlich, werden, nach vorhergegangener Konstituirung, chulturnen der Klassen verschiedener Lehranstalten, Schauturnen und Uebungen der freiwilligen Salzburger Feuerwehr vorgenommen wer- den. Auf der Tagesordnung für die Verhandlungen des Turnlehrer- tages befinden sich u. A. ein Vortrag des Dr. Moritz Kloss, Direktors der Königlich sächsischen Turnlehrerbildungsanstalt zu Dresden, über einige Zeit⸗ und Streitfragen aus dem Gebiete des dentschen Schul turnens, ein solcher des Prof. Dr. Euler aus Berlin über die Bezie⸗ hungen des Schwimmunterrichts zur Schule und ein Vortrag des tech⸗ nischen Direktors der Leipziger Turnanstalten, Dr. J. C. Lion, philo⸗ sophische Betrachtungen über die Turnkunst.