Sannover, 27. September. Der achte Hannoversche Provinzial⸗Landtag ist heute Mittag 2 Ühr durch den Königlichen Kommissarius, Ober⸗Präsidenten Grafen zu Eulen⸗ burg, mit folgender Rede eröffnet worden:
Hochgeehrte Herren! Namens der Königlichen Staatsregierung begrüße ich Sie bei Ihrem erneuerten Zusammentritte in der Zuver⸗ sicht, da 32 Arbeiten unter der bewährten Leitung des Herrn Landtags -Marschalls und seines Herrn Stellvertreters auch diesmal von so günstigem Erfolge begleitet sein werden, wie bisher.
Die im vorigen Jahre von dem Provinzial⸗Landtage berathenen Gesetzentwürfe, betreffend die Abänderung deg F. 125 der bürgerlichen Prozeßordnung und die den geistlichen und Schul⸗Instituten, sowie den frommen und milden Stiftungen zustehenden Realberechtigungen, haben Gesetzeskraft erlangt, ebenfo das aus der Initiative des Provinzial⸗Landtages hervorgegangene Gesetz über das Höͤferecht in der Provinz Hannover.
Zwei neue Gesetzentwürfe werden Ihnen zur Begutachtung vorge⸗ legt werden; der eine betrifft das einer anderweitigen Regelung drin⸗ gend bedürftige eheliche Güterrecht im Landdrosteibezirke Osnabrück, der andere bezweckt die Einführung der in der Stadt Goslar geltenden Gesetze und Verordnungen in den nach dem Staatsvertrage über die Theilung des Kommuniongebiets am Unterharze mit Preußen vereinig⸗ ten Gebieten. ;
Die Abänderungen der Verfassungen der Hoya⸗Diepholzschen und der Bremen⸗Verdenschen Landschaft, mit welchen der letzte Prov inzial⸗ Landtag sich einverstanden erklärt hat, haben die Königliche Genehmi⸗ gung erhalten.
Die damals angeregte Reorganisation der Osnabrückschen Land⸗ schaft ist soweit gefördert, daß Ihnen ein Verfassungsstatut für die⸗ selbe, sowie ein Statut, betreffend Abänderungen der Verfassung der Osnabrückschen Ritterschaft, wie solche von den betheiligten Korpora⸗ tionen beschlossen sind, werden vorgelegt werden. Die Reform der Osnabrückschen Brandkasse ist gleichfalls in Angriff genommen, aber noch nicht soweit vorbereitet, daß Ihnen eine y bezügliche Vor⸗ lage gemacht werden könnte.
Auch diesmal werden Sie zwei Abgeordnete und deren Stellver⸗ treter behufs Mitwirkung und Kontrole bei den Geschäften der Direk- tion der Rentenbank für die Provinzen Sachsen und Hannover zu wählen haben. .
Im Uebrigen wird die Erledigung der laufenden Geschäfte Ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen, namentlich f dem Gebiete der pro⸗ vinzialständischen Verwaltung, deren Ergebnisse auch im verflossenen Jahre Ihnen zur Befriedigung gereichen werden. .
Im Allerhschsten Auftrage Sr. Majestät des Kaisers und . erkläre ich den achten Hannoverschen Provinzial ⸗Landtag für eröffnet.
Nach dem Schlusse dieser Ansprache brachte der Landtags⸗ Marschall, Graf zu Münster⸗Derneburg, ein dreimaliges Hoch auf Se. Majestät den Kaiser und König aus, in welches die zahlreich versammelten Mitglieder lebhaft einstimmten.
Bayern. München, 25. September. Im Volzuge des 40 der Schulordnung vom 20. August l. Is. hat das König⸗ liche Staats⸗Ministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten die allgemeine Disziplinarordnung für die Studien⸗ anstalten des Königreichs erlassen. Diese Disziplinar⸗
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satzungen sind sofort mit dem Beginne des neuen Schuljahres
von den Studienrektoraten den Schülern in feierlicher Weise be⸗ kannt zu geben. Sollten außer dieser allgemeinen Disziplinar⸗ ordnung mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse für einzelne Studienanstalten noch besondere Schulsatzungen als nothwendig sich erweisen, so sind sie möglichst bald im Entwurfe herzu⸗ stellen und dem genannten Staats⸗Ministerium zur Genehmi⸗ gung vorzulegen. Die Disziplinarsatzungen enthalten 57 Para⸗ graphen und umfassen in vier Abtheilungen die allgemeinen Pflichten der Schüler, das Verhalten derselben in der Schule und beim Unterricht, sowie außerhalb der Schule und die Dis⸗ ziplinarstrafen. Nach den Schlußbemerkungen soll jeder Schüler ein gedrucktes Exemplar derselben erhalten und eine Bescheini⸗ gung darüber beibringen, daß er dasselbe seinen Eltern oder deren Stellvertretern zur Einsicht vorgelegt hat. Eltern und deren Stellvertreter sind verpflichtet, das Rektorat in der Hand⸗ habung der Disziplin zu unterstützen und demselben auf Ver⸗ langen auchn, über den häuslichen Fleiß und die Lebens⸗ ordnung ihrer Söhne und Pfleglinge zu geben.
— Der Kaiser von Oesterreich kommt, wie der „Korr. v. u. f. D.“ meldet, zwischen dem 3. und 4. Oktober nach Possenhofen, um mit der zu dieser Zeit bei ihrer Mutter dort weilenden Kaiserin zusammenzutreffen. (S. jedoch Wien).
Sachsen. Dresden, 26. September. Morgen Nach⸗ mittag findet bei den Königlichen Majestäten in Pillnitz größere Tafel statt, zu welcher die sämmtlichen Mitglieder der gegenwärtig hier tagenden Konferenz der europäischen Grad⸗ messung, sowie die Staats⸗Minister, der Minister des Königlichen Hauses und der Abtheilungs⸗Direktor im Königlichen Finanz⸗ Ministerium, Geheimer Rath Freiersleben, Einladungen erhalten haben. Die Geladenen werden Nachmittags durch ein vom Ober⸗Hofmarschall bereit gestelltes Extradampfschiff von Dresden nach Pillnitz befördert werden. — Am Montag werden der Kö⸗ nig und die Königin sich von Pillnitz zu einem mehrtägigen Auf⸗ enthalte nach Rehefeld begeben und sodann in der Königlichen Villa zu Strehlen Aufenthalt nehmen. Die Königin Mut⸗ ter gedenkt bis gegen Ende des Monats Oktober in Pillnitz zu verbleiben.
— Das „Dr. J.“ schreibt:
Die Bemühungen der Staateregierung, über die Einführung der neuen organischen Verwaltungsgesetze in den Schön⸗— burgschen Rezeßherrschaften zu einer Vereinbarung mit dem Hause Schönburg zu gelangen, sind in Folge von prinzipiellen Mei⸗ nungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern des Hauses Schönburg über ihre Stellung zu dieser Angelegenheit erfolglos geblieben. Da— mit nun die erwähnten Gesetze nicht auf unbestimmte Zeit hinaus in den Rezeßherrschaften ungusgeführt bleiben, ist an die Regierung die Nothwendigkeit herangetreten, ihrerseits provisorisch die erforder— lichen Einrichtungen zu treffen, damit die neue Verwaltungsorganisa⸗ tion und Gemeindegesetzzebung mit dem 15. Oktober dieses Jahres auch im Gebiete der Rezeßherrschaften ins Leben treten kann. Das Nähere hierüber bestimmt eine im Gesetz! und Verordnungsblatt eben erschienene, auf Grund 5. 88 der Verfassungsurkunde erlassene aller⸗ höchste Verordnung. Danach tritt zu dem erwähnten Zeitpunkte in den Schönburgschen Rezeßherrschaften bis auf Weiteres eine kommis⸗— sarische Stagtsbehörde in Wirksamkeit, welche zur Besorgung der zur gesetzlichen Kompetenz der Amtshauptmannschaften gehörigen Geschäfte berufen ist. Ausgenommen, von dieser Kompetenz bleiben nur die Kirchen- und kirchlichen Stiftungssachen, welche zunächst noch ferner den Schönburgschen Gerichtsämtecn verbleiben — eine Einrichtung, die mit Rücksicht auf die rezeßmäßige Stellung des auch künftig fortbe⸗ stehenden Schönburgschen Unker⸗⸗Konsistoriums in Glauchau geboten erscheint, und die übrigens in ähnlicher Weise auch anderwärts, wo die Trennung der Justiz und der Verwaltung in der Unterinstanz längst durchgeführt ist, z. B. im Großherzogthum Weimar, sich vor⸗ findet. Die Vorbereitungen für die kommissarischen Behörde, die ihren Sitz in Glauchau erhält, sind bereits im Gange.
Württemberg. Stuttgart, 27. September. (W. T. B.)
Die Landesversammlung der deutschen Partei ist . hier zusammengetreten und hat eine Revision ihres rogramm es vorgenommen. Bezüglich der Reichsangelegen⸗
heiten sprach sich die Versammlung einstimmig für um⸗ fassende Durchfuhrung der Reichsgesetzgebung über das Civil⸗ recht und das Gerichtsverfahren, über das Bank⸗ und Eisenbahnwesen und über den Schutz des geistigen Eigen⸗ thums aus, ferner für eine freisinnige Regelung des Ver⸗ sammlungs⸗ und Vereinsrechts, für Aufrechterhaltung der Reichs ⸗ und Staatshoheit über Kirche und Schule, für die obligatorische Civilehe, für bürgerliche Standes⸗ buchführung, für Geschworenengerichte, für ungeschmälerte Erhaltung und Ausbildung der Reichswehrkraft, für Wah⸗ rung des Budgetrechts des Reichstags bezuglich des Militär⸗ aufwandes, für Einsetzung eines obersten Reichsgerichtshofs und für die Kreirung verantwortlicher Reichs⸗Ministerien. In Betreff der Landesangelegenheiten soll die Erweiterung des Selbstver⸗ waltungsrechts der Gemeinden und Bezirke angestrebt werden, ferner die Einsetzung unabhängiger selbständiger Gerichte für Streitigkeiten des öffentlichen Kechts und zu deren Schutz die gesetzliche Regelung der Verantwortlichkeit der Minister, die Ver⸗ einfachung des ganzen Staatsorganismus, die Aufhebung des Geheimen Rathes und der Gesandtschaften und die Einführung des Einkammersystems.
Baven. ar 18ruhe, 25. September. Der Prinz von Wa sa hat am 22. d. früh Schloß Mainau verlassen und ist nach Lausanne abgereist. — Der Großherzog begab sich am gleichen Tage mit dem um 7 Uhr von Constanz abgehenden Zug nach Donaueschingen und fuhr von dort über Hüfingen und Löffingen nach Neustadt. Die Gemeinde Neustadt hatte Se. Königliche Hoheit eingeladen, dem dort stattfindenden landwirth⸗ schaftlichen Gaufeste anzuwohnen. Der Großherzog, welcher von dem Erbgroßherzog begleitet war, unterzog die Aus⸗ stellungen von Produkten und Geräthen, besonders aber die zahlreich vorhandenen Thiere einer eingehenden Besichtigung. — Die Großherzogin erhielt Nachmittags auf Schloß Mainau den Besuch des Fürsten und der Fürstin von Ru mä⸗ nien, welche auf der Reise von England nach Schloß Wein⸗ burg zu den Fürstlich Hohenzollernschen Herrschaften begriffen waren. Die rumänischen Herrschaften verweilten bis zum Abend bei Ihrer Königlichen Hoheit und begaben sich mit einem Extra⸗Dampfboot, welches Ihren Hoheiten zur Verfügung gestellt ward, nach Rorschach.
— Zum Kriegerfeste sind bis zum 25. Abends 162 Ver⸗ eine mit 5508 Mitgliedern angemeldet.
Baden, 25. September. (Bad. Bl.) Ihre Majestät die Königin Marie von Sachsen hat heute Vormittag 9 Uhr 50 Minuten Baden wieder verlassen. Ihre Majestät die Kai⸗ serin Au gu sta, Ihre Großherzogliche Hoheit die Herzogin von Hamilton und Ihre Durchlauchten die Erbprinzessin von Mo⸗ naco und die Prinzessin von Fürstenberg waren am Bahnhofe Allerhöchst zugegen, um sich von Ihrer Majestät zu verabschieden.
— 28. September. (W. T. B.) Das erste badische Kriegerfest, welches gestern hier stattgefunden hat, nahm den glänzendsten Verlauf. Es waren etwa 6000 Theilnehmer zugegen. Nach Begrüßung der Anwesenden durch den Qber⸗Bürgermeister Lauter traten die Delegirten des badischen Militärvereinsverbandes zu einer Sitzung zusammen, in welcher eine Resolution angenommen wurde, wonach die übergroße Cen⸗ tralisitrung des deutschen Kriegervereinswesens vermieden werden soll. — Ein Festzug bewegte sich durch die mit Fahnen und Kränzen reich geschmückten Straßen der Stadt. Bei dem Fest⸗ banket brachte der Staats⸗Minister Jolly einen Toast auf das deutsche Heer aus.
HGessen. Darm stadt, 25. September. Der besondere Ausschuß der Zweiten Kammer für die Kirchengesetze hat in einer gestern stattgehabten Sitzung, welcher auch die Vertreter der Großherzoglichen Regierung beiwohnten, die Berichte über die kirchengesetzlichen Vorlagen festgestellt. Wie die Darmst. Ztg. hört, weichen die von dem Ausschusse gestellten Anträge nur in wenigen Punkten von der Regierungsvorlage ab und sind diese Abweichungen von der Art, daß die Regie⸗ rung sich damit im Wesentlichen einverstanden erklären konnte, so daß der Hauptsache nach vollständiges Einverständniß zwischen Regierung und Ausschuß besteht.
— (Fr. J) Die Zweite Kammer ist nunmehr, wie ver⸗ muthet, auf den 1. Oktober einberufen. Auf der Tagesordnung stehen die Wahlprüfungen bezüglich der Abgeordneten Küchler, ö kammer⸗Präsident Weber von Darmstadt, Advokat Weber von Offenbach, die Wahl eines Sekretärs an Stelle des aus der Kammer ausgeschiedenen Abgeordneten Greim und das Pensions—⸗ gesetz. Die Berichte des Kirchengesetz⸗Ausschusses dürften morgen im Druck vollendet sein.
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. Weimar, 27. Sep⸗ tember. (W. T. B.) Die erste Landessynode des Groß⸗ herzogthums ist heute von dem Geheimen Staatsrath Stichling, im Auftrage des Großherzogs, in der hiesigen Stadtkirche eröffnet worden, nachdem vorher in derselben ein feierlicher Gottesdienst stattgefunden hatte. Die Er⸗ öffnungsschrift führt als Gegenstände der Berathung u. A. die Reform des Konfirmanden⸗Unterrichts, die Aufbesserung der Pfarrerbesoldungen und die Ablösung der grundherrlichen Be⸗ rechtigungen auf.
Braunschweig. Braunschweig, 27. September. Die Gesetz⸗ und Verordnungs⸗ Sammlung veröffentlicht ein Gesetz, die Beiträge der Beamten vom Wohnungsgeldzuschusse zur Beamten⸗Wittwen⸗ und Waisen⸗Versorgungsanstalt betreffend, d. d. Braunschweig, den 18. September 1874.
Sachsen⸗Meiningen⸗Hildburghausen. Meiningen, 26. September. Der in Oberm aß feld unweit Meiningen am 24. d., Vormittags 11 Uhr, ausgebrochene Brand, von welchem in Nr. 225 des „Deutschen Reichs⸗Anzeigers und Kö⸗ niglich Preußischen Staats⸗Anzeigers“ berichtet worden ist, hat, nach amtlicher Mittheilung, 4 Wohnhäuser, 6 Scheunen und 8 Nebengebäude vernichtet. Gegen 4 Uhr Nachmittags war die Gefahr beseitigt. Se. Hoheit der Herzog war alsbald auf dem Brandplatz eingetroffen.
— Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Albrecht von Preußen hat, der „NR. Hann. Ztg.“ zufolge, dem Comité für die Abgebrannten in Meiningen die Summe von 1000 Mark zustellen lassen.
Sachsen⸗Altenburg. Altenburg, 26. September. Der Herzog hat den Staats- und Haus⸗Minister Wirklichen Geheimen Rath von Gerstenberg⸗Zech bis auf Weiteres zum Vorstand der nach 5§. 23 des Gesetzes vom 29. April 1874, die definitive Regulirung der Rechtsverhältnisse am Domänenvermögen betreffend, zu bestellenden „Verwaltung des Domänen⸗ Fideikommisses des Herzoglichen Hauses Sachsen⸗
zu verwalten hat, mittelst Höchsten Erlasses vom 17. Juni 1 ernannt.
Neuß. Greiz 25. September. Der Fürst und die Fürstin sind gestern Abend nach Bückeburg zum Besuche dez dortigen Fürstlichen Hofes abgereist.
Elsaß⸗Lothringen. Metz, 22. September. für Lothringen“ schreibt:
Schon vor einigen Wochen konnten wir berichten, daß der Ge⸗ danke, auch in unserer Stadt einen Kriegerverein zu gründen, viel. fach lebhaften Anklang gefunden hat und daß die Bildung dieseg Vereines als gesichert betrachtet werden könne. Gestern hat nun be⸗ reits die erste Generalversammlung stattgefunden, zu welcher etwa hundert frühere Soldaten, meist schon eingezeichnete Mitglieder, er. schienen waren. Es war ein erfreulicher und zugleich erhebender An. blick, Männer gus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft so echt kameradschaftlich vereint zu sehen, Alle durchdrungen von der Cr. innerung an die frühere Waffengenossenschaft, an die gemeinsam durch⸗ lebten Kämpfe und Strapazen und von dem schönen Zwecke, welchen der neu gegründete Verein anstrebt. Der Vorsitzende der in der ersten
Versammlung gewählten Kommission eröffnete die Generalversammlung mit einer erhebenden Ansprache.
Nach Verlesung und Genehmigung einer parlamentarischen Ge— schäftsordnung wurde zur Berathung der ven der Kommisston ent, worfenen Statuten geschritten und dieselben mit einigen Aenderungen angenommen. Die wesentlichste Aenderung, welche vorgenommen wurde, betrifft den 8 2, worin nach dem Entwurfe gesagt war, 89 jeder Deutsche, welcher in einem Theile der deutschen Armee seiner Militär pflicht genügt hat, dem Vereine beitreten könne, vorausgesetzt, daß Kicht erlittene entehrende Strafen oder sonstige gewichtige Gründe dem entgegenstehen. Es machte nun dem jungen Vereine alle Ehre, daß ez nur des Hinweises bedurfte, daß auch Elsaß Lothringer, welche früher in der französischen Armee gedient, jetzt aber Deutsche sind und deutsch fühlen, dem Vereine beitreten wollen, um die Versammlung zu be— stimmen, daz Recht des Beitritts auf alle Deutsche auszudehnen, welche ihrer Militärpflicht genügt haben, so daß auch unseren neuen Landsleuten, wenn sie dem Kriegervereine beitreten wollen, dies unbenommen ist. Wir wünschen, daß recht Viele der— selben von diesem Rechte Gebrauch machen möchten. Ein festeret Band der innigen Vereinigung zwischen der älteren und neueren Be— völkerung des Reichslandes könnte in der That nicht gefunden werden. Der Zweck des Vereins kann und wird nicht verfehlen, demselben viele Freunde und Gönner zu erwerben. Fern von allen politischen und religiösen Bestrebungen und Erörterungen, will der Kriegerverein durch das Band waffenbrüderlicher Vereinigung patriotischen Geist fördern, Liebe zu Kaiser und Reich pflanzen und bethätigen, einen kamerad— schaftlichen Verkehr unter den Mitgliedern herstellen, Mitglieder, welche ohne ihr Verschulden in drückende Lage gekommen sind, so weit die Mittel des Vereins reichen, unterstützen und den verftorbenen Ver— einsmitgliedern das letzte Ehrengeleit geben. Wir wünschen dem Ver— eine, welcher diese so schönen und humanen Zwecke verfolgt, das kräf— tigste Gedeihen.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 26. September. Der Kaiser hat vor der Abreise von Arad noch mehrfache Beweise seiner Zufriedenheit über den ihm bereiteten, ebenso herzlichen als glänzenden Empfang ertheilt. — Se. Majestät wird bis zum 5. oder 6. Oktober in Pest verweilen und sich dann nach Wien zum Empfang der Kaiserin begeben, welche wenige Tage nach ihrer Ankunft von Schönbrunn nach Gödöllö abreisen wird.
— Der Minister⸗Präsident Fürst Adolf Auersperg und die in Wien anwesenden Minister haben heute die Führer der zurückgekehrten Nordpol⸗Expedition, den Linienschiffs⸗ Lieutenant Weyprecht und den Ober⸗Lieutenant Payer, besucht und denselben ihre Anerkennung für die der Wissenschaft ge⸗ leisteten Dienste ausgesprochen. Die feierliche Sitzung der Geogra—⸗ phischen Gesellschaft, in welcher Payer und Weyprecht Bericht über die Nordpol Expedition erstatten werden, ist auf nächsten Dienstag vertagt.
— Fürst Milan von Serbien ist hier angekommen.
Prag, 25. September. Der Gesetzentwurf, womit der Prager Stadtgemeinde die Aufnahme eines Anlehens von 5 Millionen Gulden bewilligt wird, wurde heut vom böhmi—⸗ schen Landtag in dritter Lesung angenommen. Der Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Rechtsverhältnisse der Volksschullehrer, wurde der Schulkommission zugewiesen.
Lemberg, 25. September. Polanowski beantragte heut im galizischen Landtage, der Landtag möge die Regierung um Subventionirung des Baues der Vicinalbahn Przemysl— Rawa angehen. Der Regierungsvertreter beantwortete die Inter⸗ pellation Kaminskis, weshalb die Bezirkshauptmannschaft den Beschluß des Stanislauer Gemeinderathes betreffs Absendung einer Petition an den Landtag um Vermehrung der Stadtwahl⸗ bezirke sistirt habe, dahin, daß den Gemeindevertretungen nach 39 K des Gemeindegesetzes das Petitionsrecht nicht zustehe.
Zara, 26. September. In der heutigen Sitzung des Land⸗ tages wurde der Landesausschuß beauftragt, den Mitgliedern der Nordpol⸗Expedition Namens der dal matinischen Lan des⸗ vertretung die herzlichsten Glückwünsche auszudrücken. Ab⸗ geordneter Monti interpellirte den Regierungsvertreter über die Regulirungsarbeiten an der Kerka und dem Cicola⸗Flusse. Die Regierungsvorlage zum Schutze der für die Bodenkultur nütz⸗ lichen Vögel, der Gesetzentwurf des Landesausschusses, betreffend die Disziplinargewalt desselben über gewesene Gemeinde⸗Vor⸗ standsmitglieder mit Hinblick auf deren Verpflichtung zur Amts⸗ übergabe und Rechnungslegung, so wie der Gesetzentwurf über die Aufhebung des Alinea d. des §. 11 der Gemeindewahl⸗ ordnung wurden angenommen. Der Gesetzentwurf zur Vervoll⸗ st ndigung des Gesetzes über die Schulaufsicht bezüglich der Ortsschulräthe wurde einem Comité überwiesen.
Agram, 26. September. Der kroatisch-slavonische Landtag nahm gestern fast einstimmig ohne erhebliche Debatte die Gesetzentwürfe über das Dienstverhältniß der Staatsanwalt⸗ schaftsbeamten, die Regulirung der Gehalte der Lehrer an den Mittelschulen und die Aufhebung der Kettenstrafe an.
— In der heutigen Landtagssitzung wurden die gestern verhandelten Gesetzentwurfe.
Niederlande. Haag, 26. September. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Zweiten Kammer legte der Finanz⸗Minister van der Heim das Budget pro 1875 vor. Nach demselben beziffert sich der Gesammtbetrag der Ausgaben auf 110 Millionen, also 10 Millionen mehr, als im Jahre 1874, und wird diese Ausgabenerhöhung hauptfächlich durch die Titel für Unterhaltung der auswärtigen Gesandtschaften, für Aus⸗ führung größerer Arbeiten in den Seehäfen, für Erweiterung des Staats⸗Eisenbahnnetzes, für das Lootfenwesen und für Zwecke der Landesvertheidigung herbeigeführt. Der Voran— schlag für die Einnahmen beträgt cirea i03 Millionen, es stellt sich mithin ein Defizit von circa 7 Millionen heraus. Die Deckung des letzteren wird — nach den in den letzten Jahren ge⸗ machten Erfahrungen — ohne Steuererhöhung theils aus den
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Altenburg,“ welche dieses Fideikommiß gerichtlich und außer⸗
Ueberschüssen er möglicht werden können, die die Finanzverwal⸗
gerichtlich zu vertreten und das zu demselben gehörige . 1
tung Niederländisch⸗Indiens ergiebt, theils aus dem den Vor⸗ anschlag regelmäßig übersteigenden Mehrertrage der ordentlichen Steuern. Der Finanz Minister erklärte in selner Rede noch be⸗ sonders, daß er mit den gegenwärtigen Steuern glaube aus⸗ kommen zu können, und wies auf die günstigen Resultate bei der indischen Finanzverwaltung und bei dem heimischen Steuer⸗ erträgniß hin, in welchem zugleich ein Zeichen des wachsenden Wohlstandes gefunden werden müsse. Alle Bedürfniffe und selbst die Eventualität der Fortsetzung des Krieges mit Atchin würden außerordentliche Mittel nicht erfordern.
Großbritannien und Irland. London, 25. Sep⸗ tember. Die Kaiserin von Sesterreich hat gestern in Be⸗ gleitung ihres Gefolges London verlassen und sich nach Ventnor zurückbegeben. Der Herzog von Cambridge ist von Deutschland nach London zurückgekehrt, nachdem er einige Tage in Paris geweilt hatte.
— Von der Staatswerft in Davenport lief gestern eine neue Schraubenkorvette für die englische Marine von Stapel. Das Schiff wird eine Armatur von vierzehn 68pfün⸗ digen Kanonen und eine Besatzung von 220 Mann erhalten und wurde auf den Namen „The Sapphire“ getauft.
Frankreich. Paris, 28. September. (W. T. B.) Bei der gestrigen Ersatzwahl zur RNationalversamm⸗ lung im Departement Maine⸗-et⸗Loire haben, soweit bis jetzt bekannt, der republikanische Kandidat Maills 32,521, der septennatistische Kandidat Bruas 33,366 Stimmen erhalten. Das Endergebniß der Wahl ist noch nicht festgestellt.
— Das Journal „Republique frangaise“ veröffentlicht einen Brief Gambetta's, in welchem darauf hinge⸗ wiesen wird, daß die auf den 4. Oktober d. J. anbe⸗ raumte Wahl neuer Generalräthe nothwendiger Weise ein Akt von großer politischer Bedeutung sein werde — ein abermaliger Protest gegen das Verhalten der Nationalver⸗ sammlung und gegen die Versuche zur Herbeiführung einer monarchistischen und bonapartistischen Restauration. Frankreich werde bei dieser Gelegenheit seinen Willen kund thun und die Republik konstituiren. Die neuen Generalräthe hätten die Auf⸗ gabe, die Geburt einer neuen sozialen Ordnung vorzubereiten., die Demokratie in die Führung der Geschäfte einzuweihen und mit wahrhaft freien, öffentlichen Institutionen vertraut zu machen. Die Wahl der Generalräthe werde der vorbereitende Schritt zu den nahe bevorstehenden allgemeinen Wahlen sein, die die Ohn⸗ macht der Nationalversammlung nothwendig mache. Die dadurch herbeigeführte Agitation sei eine Sache der Nothwendigkeit, es sei die höchste Zeit für Frankreich, sich eine definitive Regierung u geben. ; .
j ö Graf d' Arju son, ehemaliger Abgeordneter und Kam⸗ merherr Napoleon III., ist am 24. zu Paris im Alter von 74 Jahren gestorben. .
Angers, 28. September. (W. T. B.) Der republika⸗ nische Kandidat Maillé hat 49,444 Stimmen, der septenna⸗ tistische Kandidat Bruas nur 45,595 erhalten. Der Erstere ist somit als gewählt zu betrach en, da durch die aus 15 Gemein⸗ den noch fehlenden Wahlergebnisse das Endresultat nicht ver⸗ ändert werden kann.
Spanien. Madrid, 26. September. (W. T. B) Mar⸗ schall Serrano wird wahrscheinlich den Oberbefehl über die sog. Armee des Centrums übernehmen, General Pavia soll durch Jovellar ersetzt werden. Es steht zunächst ein Angriff der Truppen gegen la Guardia bevor. .
— Bazalne will während des bevorstehenden Winters hier seinen Aufenthalt nehmen, die Gemahlin desselben ist bereits hier angekommen.
Italien. Rom, 21. September. (It. N.) Die Stadt Rom feierte gestern den Jahrestag ihrer Befreiung durch die italienischen Truppen am 20. September 1870. Vor der Porta Pia, an der Stelle, wo Bresche geschossen worden war, wurde Nachmittags eine Inschrift enthüllt, welche die römische National⸗ garde den im Kampf mit den päpstlichen Truppen gefallenen Offizieren und Soldaten der italienischen Armee hat setzen lassen. Die in Rom gegenwärtigen Minister und die Spitzen der Civil⸗ und Militärverwaltung und eine unabsehbare Menge aus allen Ständen wohnte der Feierlichkeit bei. Die Stadt hatte Festschmuck angelegt und war Abends brillant beleuchtet, namentlich Trastevere, dessen Hauptstraßen in einem Lichtmeer von über die Straßen gezogenen Guirlanden von dreifarbigen Lampions funkelten. Ein Transparent, welches den Einzug der italienischen Truppen in Rom darstellte, die Brustbilder des Königs Vietor Emanuel, Cavours und Garihaldi's und der feenhaft beleuchtete Brunnen vor der Marienkirche waren der Gegenstand allgemeiner Bewunderung.
— Der Bischof von Mantua, Mon signore Rota, ist vergangenen Sonnabend ins Gefängniß abgeführt worden, um die sechs Tage abzusitzen, die ihm das Assisengericht für seine Predigt am Tage der heiligen drei Könige nach 8 265 des Strafgesetzbuchs wegen Aufreizung gegen die Gesetze und Staats⸗ einrichtungen zuerkannt hat. .
Malland, 27. September. (W. T. B.) Der König Victor Em an uel ist heute Vormittag hier eingetroffen und empfing nach einem Besuche der historischen Ausstellung den spanischen Gesandten. Bei dem Empfange waren der Kronprinz Hum⸗ bert, die Minister Minghetti, Visconti Venosta, Finali sowie mehrere Hofchargen anwesend. Später wurden die Mitglieder der Muntzipalvertretung vom Könige empfangen.
Nußland und Polen. St. Petersburg, 24. Sep⸗ tember. Das Uebungsgeschwader ist am 22. d. M. von Transund nach Kronstadt zurückgekehrt. K
— Der Moskauische Metropolit Innokentij hat, wie der „Petersb. Listok“ meldet, in der vergangenen Woche beim Synod feine Versetzung in den Ruhestand nachgesucht und dies Gesuch durch Hinfaͤlligkeit des Alters und zerrüttete Gesundheit motivirt.
— Die russ. „St. P. 3. wird ersucht, dem Gerücht, als seien die Hafenbauten in Poti eingestellt worden, entgegen⸗ zutreten. —
— Wie die russische „St. P. 3. hört, sind Privatpersonen zuständigen Orts um die Erlaubniß eingekommen, am Ufer des Baltischen Meeres in Kurland Bernsteingräbereien ein⸗ richten zu dürfen. Das Berg⸗Departement hat diese Frage ge⸗ prüft und die für solche Industrie nöthigen Bestimmungen ent⸗ worfen, die gegenwärtig höheren Orts zur Genehmigung unter⸗ breitet sind.
Schweden und Norwegen. Stockholm, 23. Sep⸗ ,. Eine kombinir e schwedisch⸗norwegische Kom⸗ mission ist hier zusammengetreten, um einen vom technischen Seevertheidigungs⸗Departement ausgearbeiteten Vorschlag zur Seetaktik und zum Signalbuch zu prüfen. Unter den schwe⸗ dischen Mitgliedern der Kommission befinden sich die Commandeur⸗
Kapitäne Virgin, Amden und v. Otter, unter den norwegischen: die Commandeur⸗Kapitäne Frits und Wedel⸗Jarlsberg.
— Das in Jönköping erscheinende „Dagbladet“ schreibt: „Bekanntlich soll die östliche Stammbahn in den ersten Tagen des Monats November in feierlicher Weise eingeweiht und vom Könige eröffnet werden. In dieser Veranlassung gedenkt die Stadtgemeinde in Jönköping an dem näher zu bestimmenden Tage ein Fest zu veranstalten, zu welchem der König und die Königin eingeladen werden sollen.“
Danemark. Kopenhagen, 24. September. Der Hof mit den fremden Hohen Herrschaften wird heute bei dem Prinzen und der Prinzefsin von Wales auf deren Dampfyacht „Osborne“ diniren und dann, wie es heißt, mit diesem Schiffe nach Helsingör zum Besuche der Prinzessin Auguste von Hessen, verwittwete Baronin Blixen⸗Finecke, segeln.
Amerika. New⸗FYork, 27. September. (W. T. B.) Schatz⸗Sekretär Bristow hat für den Oktober den Verkauf von 21 Millionen Gold angeordnet. — Die Stadt Antigua in Guatemala ist durch ein Erdbeben zerstört worden. .
— Aus Euba trafen per Kabel im Laufe der Woche folgende Nachrichten ein: Havang. 8. September. Der Ge⸗ neral⸗Kapitän hat die Todesurtheile der Rebellenführer Be⸗ tancourt, Iminez und Rojas umgewandelt. Lieutenant Ariza telegraphirt das Folgende aus Vequita; So eben angekommen. Der 800 Mann zählende Feind ist bei Harugabo vollständig geschlagen worden mit einem Verlust von 36 Getödteten. Unter ihren Todten befinden sich zwei Offiziere. Der Angriff er⸗ folgte plötzlich und energisch. Unser Rückzug vollzog sich in der größten Ordnung. Kein Mann ist verwundet worden. Unsere Tete, aus blos zehn Mann bestehend, drang bis in die Mitte des feindlichen Lagers.“ Lieute⸗ nant Ariza ist zum Kapitän avancirt. Unter den Ge⸗ fangenen befindet sich Calixto Garcia, einer der Hauptanführer der Insurgentenarmee. — Gemäß eines Erlasses des General⸗ Kapitäns haben 5 Prozent der Militärpflichtigen der Insel so— fort in den aktiven Dienst, der bis zum 1. April 1875 währt, einzutreten. Das Ergebniß dieser Maßregel wird 3500 Mann betragen. Freikauf ist nicht gestattet; die Gezogenen haben Ersatz⸗ männer zu stellen oder selbst zu dienen. Die Regierung der Insel hat die Banken um ein Darlehn von 500,000 Dollars Gold und eine Million Dollars Papier angegangen, welches in Kürze zurückgezahlt werden soll.
Asien. Aus Calcutta wird der „Times“ unterm 24. d. gemeldet: Heftiger Regen fährt fort zu fallen. In den zweifelhaftesten bengalischen Bezirken wird nicht länger weder eine zweite Hungersnoth, noch ein ernstlicher Nothstand besorgt. Der Regenfall in den ersten 14 Tagen des September stellte sich dem gewöhnlicher Jahre gleich. Die Regierung sieht der Zukunft
aus Burdwan, daß das Fieber weiter nachgelassen hat, daß aber eine Möglichkeit seines Wiederauftauchens während des Herbstes vorhanden ist und, daß seine Folgen traurig offen⸗ kundig sind. — Sadun Khan, einer der Führer des Angriffs auf die Resideney in Indore während des Sepoy⸗Aufstandes, der den Tod von 39 Europäern, darunter Frauen und Kinder, zur Folge hatte, ist verurtheilt worden und wird in Kurzem ge⸗ henkt werden. Seine thätige Theilnahme an dem Gemetzel wurde klar erwiesen. Dies ist etwa der sechste leitende Insur⸗ gent, der während Lord Northbrooks Regierung eingefangen wurde. Zwei derselben verübten Selbstmord.
Zur Begründung des Entwurfs der Civilprozeß— Ordnung.
Dem Entwurf einer Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, welche dem Reichstag vorgelegt, ist eine 490 Druckseiten umfassende Begründung beigegeben. Wir entnehmen derselben die folgenden Abschnitte, in welchen die Nothwendigkeit der Re⸗ form des Civilprozesses nachgewiesen ist und die Prinzipien, auf denen der Gesetzentwurf ö dargelegt sind.
§. 1. Mit den Bestrebungen nach einer politischen Eini⸗ gung Deutschlunds hat fich auch das Bedürfniß, eine Einheit
des Rechts zu erreichen, verbunden. Auf dem Gebiete des ma⸗ teriellen Rechts sind bereits bedeutendere Erfolge errungen worden. Im Rechtsverfahren dagegen besteht eine sehr erhebliche Vielgestaltigkeit fort; diese hat sogar durch die Prozeßordnungen, welche in neuester Zeit in mehreren deuischen Staaten erlassen worden sind, an Umfang gewonnen. Mit Recht hat man dem Streben nach einer Einheit im Rechtsverfahren tiefere Bedeutung beigelegt. Dasselbe ist ein Zweig des öffentlichen Lebens; die Eigenartigkeit eines Volles findet darin ebenso ihre Ausprägung, wie in der Ge⸗ staltung der Formen für seine polit sche Existenz. Das Be— dürfniß des Verkehrs drängt zur Einheitlichkeit des Rechts⸗ verfahrens. Der Verkehr bequemt sich nur mit Widerstreben einer vielgestaltigen Rechtsordnung an; diese wird für ihn ein Hemmniß, welches er durch Einschlagen anderer Bahnen mög⸗ lichst meidet. . .
Mit richtiger Erkenntniß der Sachlage hat die Verfassung des Deutschen Reichs im Artikel 4 das gerichtliche Verfahren zum Gegenstande gemeinsamer Gesetzgebung gemacht. .
Auch in dem deutschen Juristenstande ist die Nothwendig⸗
keit, zu einer Einheit des Rechtsverfahrens zu gelangen, vielfach anerkannt worden. Man darf sich indessen darüber nicht täuschen, daß gerade unter den Zuristen auch zahlreiche und entschiedene Gegner vorhanden sind. Das zähe Festhalten an dem Bestehen⸗ den scheint eine Eigenheit des juristischen Sinns zu sein welcher gewohnt ist, ein Verhaͤltniß, weil es längere Zeit bestanden hat, als wohlbewährt anzusehen und seine Mängel, welche die täg⸗ liche Anwendung oft ausgleicht, weniger zu bemerken. Dazu kommt, daß Dasjenige, was durch lange Uebung bekannt und bequem geworden, leicht eine gewisse Eingenommenheit erzeugt, welche durch die Besorgniß, sich mit Neuem und Ungewohntem ein⸗ richten zu müssen, befestigt wird. Auch ist es naturlich, daß man Einrichtungen nicht leicht und gern aufgiebt, mit welchen viel⸗ ache geistige Bestrebungen, Muͤhe und Arbeit sich verbunden aben. Die deutsche Rechtsgeschichte liefert den Beweis, daß die in der Eigenthümlichkeit des deutschen Volks hervortretende Rich⸗ tung, alle Verhältnisse des sozialen und politischen Lebens zu parnkularistren, sich auch in der Rechtsentwickelung geltend gemacht hat und in Folge dessen zu einer Eigenkeit des Juristenstandes geworden ist. . .
Nicht blos von Juristen, sondern auch von anderer Seite wird dem Streben nach Einheit des Rechts verfahrens in Deutschland das Beispiel Preußens entgegengehalten, in welchem der gemeine, der rhei⸗
nisch französische und der Gerichtsordnungs⸗Prozeß beinahe ohne Ver⸗
mit gänzlicher Zuversicht entgegen. Sir Richard Temple berichtet
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mittelung eine Reihe von Jahren neben einander bestanden haben, ohne die Staatseinheit zu gefährden. Allein daß der preußische Staat diese von einander so abweichenden Systeme bisher ohne erheblich wahrnehmbaren Schaden ertragen hat, ist noch kein Beweis da⸗ für, daß die Nachtheile nicht vielfach im Volke selbst empfunden worden sind, daß sie nicht oft Unzuträglichkeiten in der Rechts⸗ verfolgung verursacht haben, und kein Grund dagegen, nach besseren Zuständen zu streben. Die Besonderheit der Prozeß⸗ Ordnungen hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Staats⸗ einheit nicht zur vollen Entwickelung kommen lassen. Auch der Verkehr hat darunter gelitten. Es darf nur an die Schwierig⸗ keiten erinnert werden, welche die Verschiedenheit des Konkurs⸗ Verfahrens, die Vollstreckung ö in dem Gebiete einer anderen Prozeßordnung hervorriefen. ᷣ . aus ö. bestehenden Prozeßrechte selbst ist das Reformbedürfniß nachzuweisen. Daß der gemeine deutsche Pro⸗ zeß in seiner durch die Schriftlichkeit und die Ausartung der Verhandlungs⸗Maxime bedingten Langsamkeit und Schwerfãllig⸗ keit, in seiner Unsicherheit in Folge der zahlreichen Streitfragen und des Mangels der Kodifikation, in seiner Fremdartigkeit und Unverständlichkeit zu dem Volks⸗ und Verkehrsleben seit länger als einem Jahrhundert im Mißverhältniß steht, beweisen die seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts innerhalb Deutschlands hervorgetretenen Prozeßordnungen, welche den Zweck hatten, diesem Mißstande abzuhelfen, unwiderleglich. Die preußische Gerichtsordnung, welche sich in den wichtig⸗ sten Prinzipien von dem gemeinen deutschen Prozesse entfernte, ja sich in einem direkten Gegensatz gegen denselben stellte, indem sie an die Stelle der Verhandlungs- und Eventualmaxime ein Instruktions verfahren einführte, welches dem Prozeßrichter die amtliche Fürsorge dafür auferlegte, durch jedes zulässige Mittel das materielle zwischen den Parteien bestehende Recht zu erfor⸗ schen, ist ein großartiger Versuch, sich aus den engen Grenzen des gemeinrechtlichen Formalismus zu befreien. Aber das Ziel sollte durch Mittel erreicht werden, welche sich in der Praxis als verfehlt und unausführbar erwiesen. Es trat daher 6h! bald das Bedürfniß nach Aenderungen hervor. Die Reformen, welche die Allgemeine Gerichtsordnung in Preußen durch die Gesetzgebung der Jahre 1833 und 1846 erfahren hat, suchten — von vielen einzelnen durch andere Gesetze eingeführten Aenderungen abgesehen — eine prinzipielle Besserung einerseits durch eine Annäherung an die Grundsätze der Mündlichkeit des Verfahrens, andererseits durch eine Rückkehr zu den beiden Grundsätzen der Verhandlungs- und Eventual⸗Maxime zu er⸗ reichen. Aber der novellenartige Charakter dieser Gesetze gestattete nicht den gänzlichen Bruch mit dem System der Gerichtsord⸗ nung. Das Letztere blieb daneben gültig.
Die Vereinigung so verschiedener, ja einander entgegen⸗ gesetzter Prozeßgrundfätze, ihre Verarbeitung zu dem Ganzen des Rechtsganges blieb der Praxis überlassen. Diese hat auch hier Bedeutendes geleistet, war jedoch außer Stande, die schroffen Unebenheiten auszugleichen, die zu einander entgegengesetzten Resultaten führen müssen, je nachdem das eine oder das andere Prinzip vorwaltet. . ; .
Auch die Gesetzgebung würde die Aufgabe unerfüllt lassen müssen, aus diesen heterogenen Elementen des preußischen Pro⸗ zesses, unter Festhaltung an seinen bewährten Grundlagen, ein nur einigermaßen in sich übereinstimmendes Ganzes zu gestalten. Eine solche Aufgabe wird von Seiten preußischer Juristen viel⸗ fach der Gesetzgebung gestellt, ohne daß man erwägt, daß das Mißlingen derselben schon in der Natur der Sache liegt, daß man nicht aus so verschiedenartigen Bestandtheilen eine Einheit herstellen, sie nicht auf einer Grundlage mit einander verbinden kann. Aber auch hiervon abgesehen, sind die Prozeßnovellen vom 1. Juni 1833 und 21. Juli 1846 weder nach Form noch Inhalt geeignet, als Ziel und Resultat des Ringens nach Einheit des Rechtsverfahrens in Deutschland angesehen zu werden. Gegen den Gerichtsordnungs⸗Prozeß gehalten, ver⸗ körpern sie allerdings den oben dargestellten bedeutenden Fortschritt im preußischen Rechts verfahren, namentlich durch die den Schrift⸗ sätzen angehängte mündliche Verhandlung. Eine eingehendere Kritik kann aber unmöglich das Halbfertige, die Uebergangs⸗ und Novellennatur in diesen Verordnungen verkennen.
Sieht man von dem in neuerer Zeit erheblich verbesserten Konkurs- und Vollstreckungsverfahren ab, so ist der preußische Prozeß seit den Reformen von 1833 und 1846 im Ganzeu unverändert geblieben, trotz der gänzlichen Umgestaltung des Staats- und öffentlichen Lebens und der Bearbeitung und Ver⸗ handlung fast aller anderen Angelegenheiten, trotz des gewal⸗ ligen Umschwungs der Verkehrs- und Kommunikationsverhält⸗ nisse, von denen man meinen sollte, daß sie eine entsprechende Umgestaltung des Rechtsverfahrens längst hätten nach sich ziehen müssen.
Daß eine solche auch im preußischen Volke dringend ge⸗ wünscht wird, hat sich sowohl in den Verhandlungen des Land⸗ tags, als in den Zeitschriften vielfach lundgegeben. Wenn solche Aeußerungen vielleicht mehr in der Nation, besonders in den vom Leben und Verkehr berührten Kreisen derselben, als in dem in den geltenden Normen eingewohnten Juristenstande hervor⸗ getreten sind, so . . den Mangel eines Reform⸗ bedürfnisses nicht geschlossen werden.
ö. e h e fh, Prozeß beruht auf der Vertheilung von Recht und Faktum unter Richter und Parteien. Das Fal⸗ tum gehört den Parteien an. Dem entsprechend, erörtern diese das Faktum, vorläufig unabhängig von der Einwirkung des Richters, untereinander in Schriftsätzen. Der Richter empfängt das Faktum von den Parteien, um, nach Feststellung des streinig Gebliebenen, durch Beweis Recht zu finden. Seine Thatigkeit ist die richterliche Funktion in ihrer Reinheit, eine urtheilende. Die Fortbewegung des Prozesses geht von den Parteien aus. Diese füllen mit ihrer Thätigkeit den Raum zwischen den Ver⸗ handlungen vor dem Gerichte. Es findet Freiheit der Bewegung statt, ohne welche, wie der gemeine deutsche Prozeß in seiner über das Maß getriebenen Verhandlungsmaxime gezeigt hat, das materielle Recht im K, zu leicht einem formalistischen Scheingebilde aufgeopfert wird. .
ö 66 . J im Geltungsgebiete dieses Pro⸗ zesses ist nicht allein die Uebereinstimmung der Juristen über die Vorzüge ihres Verfahrens, sondern auch, daß die Bevölkerung sich durch dasselbe im Ganzen und Großen befriedigt fühlt und Reformwünsche in Betreff der Grundlagen nicht hervorgetreten sind. Es kommt ferner die bestechende Logik in Betracht, welche aus der Vertheilung des Faktums und Rechts zwischen Parteien und Richter hervorzutreten scheint, und die Zurückführung des Richteramts auf das Urtheilen. Endlich darf die gluͤckliche Lage nicht übersehen werden, in welcher sich der theinische Richter, von dem lästigen Beiwerke richterlicher Thätigkeit nicht behelligt, seinen altpreußischen Berufsgenossen gegenüber befindet, während der Advokat, bei bestehendem Anwaltszwange und der
ihm überlassenen Sorge für die Erörterung des Faktums, als
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