1875 / 276 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Nov 1875 18:00:01 GMT) scan diff

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Berlin, 23. November.

Die Ausstellung des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen Leipzigerstraße 136. J.

Wenn wir noch einmal auf einen Gegenstand zurückkommen, welcher bereits in Nr. 250 unseres Blattes Berücksichtigung ge⸗ funden hat, so geschieht es, weil diese Leistungen talentvoller und strebsamer Frauen nicht überall in der Presse so unbe⸗ fangen und sachlich gewürdigt worden sind, als sie es unserer Ueberzeugung nach verdienen, und weil in dem nachstehenden, von guter Hand uns zugesandten Artikel, der in der Beurthei⸗ lung der ausgestellten Gemälde mit dem bereits von uns ge⸗ brachten Referat im Wesentlichen völlig übereinstimmt, insbefon⸗ dere auch die Zeichenschule des Vereins eingehende Beurtheilung

gefunden hat.

Da die Räume der Akademie der Künste, welche dem Ver⸗ ein für seine früheren Ausstellungen gewährt wurden, gegen⸗ wärtig ausschließlich für Unterrichts zwecke reservirt sind und da ein öffentliches Ausstellungsgebäude hier noch nicht vorhanden ist, hat der Verein für seine diesjährige Ausstellung das oben

bezeichnete Lokal miethsweise erwerben müssen.

Die Ausstellung zerfällt in zwei große Abtheilungen: 1) Werke der Künstlerinnen; 2) die Resultate der Unterrichts⸗ anstalt des Vereins. Unter den ersteren befindet sich befremd— licher Weise kein einziges plastisches Kunstwerk, obgleich sich manche Dame mit Bildwerken erfolgreich beschäftigt. Eine Jury, aus den bedeutendsten Berliner Künstlern zusammengesetzt, ist berufen gewesen, ungeeignete Kunstwerke von der Ausstellung zurückzu⸗

weisen und sollen über 30 ausgeschlossen worden sein. Daß

trotzdem unbedeutende und selbst schwache Leistungen Platz ge⸗ funden haben, zeigt diese wie jede Ausstellung; aber im Allge⸗

meinen ist der Eindruck derselben ein durchaus würdiger. Dem Zusammenhalten durch den Verein und den Ausstellungen ist es zu verdanken, daß die künstlerische Thätigkeit der Damen sehr erfreuliche Fortschritte gemacht hat. Als ein mit besonderer Treue gepflegtes Feld zeigt sich auch hier wieder das der Blumenmalerei, besonders in Aquarell⸗ und Guache⸗ aber auch in Oelfarben, jedoch befinden sich auch unter den Landschaften und Genre⸗ und Portraitbildern ausgezeichnete Leistungen. Von allem Ausgestellten gestatten wir uns nur die Spitzen zu er⸗ wähnen, da es zu weit führen würde, alle Werke der Be⸗ sprechung zu unterziehen.

Antonie Biel (Nr. 5) hat einen Ostseestrand und einen

Strand mit einer Gänseheerde (Nr. 171) geliefert. Mit dem ersteren hat die bereits bewährte und oft anerkannte Künstlerin sich selbst übertroffen. Sie beherrscht die Darstellung des weiten Raumes in klarster Wirkung. Wasser, Luft und Strand und eine in Farbe und Zeichnung flott, voll lebendigen Gewühles hervortretende Staffage, alles ist in dem abendlichen Dämmer⸗ licht geistvoll gehalten. Daß diefes Bild an Andreas Achenbach erinnert, wird Niemand der Künstlerin zum Vorwurf machen. Das kleinere Bild ist gleichfalls ein glücklicher Wurf zu nennen. Es stellt die einfache Scenerie natürlich und ohne unnütze oder störende Rebensachen dar, so daß es wie ein Blick in die Wirklichkeit erscheint. Von Agathe Röstel in München ist (Nr. 107) der Morgen“. Ein verwundeter Forstmann liegt auf seinem Schmerzenslager, die treue Pflegerin sieht nach schlafloser Nacht durch das Fenster dem anbrechenden Tage ent— gegen. So groß ihre Sorge augenscheinlich ist. die Nacht ist doch vorüber wollte der neue Tag Besserung bringen! Ein mit tiefer Empfindung erfundenes und mit kräftigfter Farbe bis ins Detail ausgeführtes Bild, welches von der hohen Be⸗ gabung der Künstlerin Zeugniß ablegt. Ein Bettschirm vor dem Fußende des Bettes stört den sonst so anziehenden Ein⸗ druck, aber die Aufmerksamkeit des Beschauers wird der jungen Frau zugewendet, deren Stimmung in einer Weise zum Aug⸗ druck gekommen ist, daß man sie nur mit Theilnahme und Rührung betrachten kann.

Auguste Ludwig in Düsseldorf malte „zwei Wittwen“, und Mutter und Kind?. (Nr. 74 und 75.) Eine junge Wittwe von Stande, die der Krieg ihres Gatten beraubt haben mag, kommt, um sich ein Kind aus dem Hause einer mit Kindern ge⸗ segneten, aber armen Wittwe abzuholen. Die Seenerie ist sehr verständlich. Das erwählte kleine Mädchen denkt beim Abschiede von der alten Heimath nur an die Puppe, welche ihr mitgebracht wird, während das zurückbleibende Schwesterchen um die Tren⸗ nung weint. Die Anordnung des Raumes und der Personen darin ist verftändig und klar, und wenngleich eine größere Aus⸗ führlichkeit in Zeichnung und Farbe erzielt werden konnte, so be— sitzt das Bild doch sehr große Verdienste.

Antonie Volkmar ist eine unserer besten Künstlerinnen; sie verdankt ihren Ruf besonders einem früheren Bilde: „die neue Gou⸗ vernante“. In dem gegenwärtigen, am Hochzeitsmorgen“ (Nr 136), welches einen zur Darstellung sehr geeigneten und anziehenden Bor⸗ wurf hat, bewundert man die Nebensachen mehr als die beiden jungen Mädchengestalten. Der comfortable Raum mit Teppichen und Möbeln, die Stoffe, die Gewänder ꝛc. sind meisterhaft aus⸗ geführt. Aber wenn auch in dem Ausdruck der Braut alle die Gefühle sichtbar sind, welche an einem ihr so wichtigen Tage natürlich, so ist doch der Kopf nicht in dem Maße glücklich n, wie damals alle Personen auf dem oben genannten Bilde.

Frau Maxie Wiegmann in Düsseldorf, die bewährte Meisterin, stellt ein vorzüglich gemaltes männliches Porträt aus, dessen große Vorzüge schon andernorts ihre wohlverdiente Aner⸗ kennung gefunden haben.

Elarg Oemicke in Berlin stellt vier Portraits aus. (Nr. 81 bis 84) Die als Portraitmalerin schon lange und oft als vor⸗ trefflich anerkannte Künstlerin bewährt sich auch hier, insbeson⸗ dere mit den Bildnissen des Admirals von Stosch und des Prinzen von Hohenlohe⸗Ingelfingen. Beide tüchtig gemalt und ähnlich. Freilich mit so viel Liebe sind diese Bilder nicht durch⸗ geführt, wie einst das der Mutter der Künstlerin, aber sie hät es hier verstanden, den Köpfen einen angenehmen Ausdruck und eine drastische Wirkung zu verleihen.

Rosa Petzel und Blanka von Hagen hielten sich zu weiterer Ausbildung in München auf. Beide haben Portraits und Studien köpfe hergesandt, welche ihre Tüchtigkeit und hohe Begabung von neuem bestätigen. Der Einfluß der Münchener Schule hat nicht verfehlt, einen sehr günstigen Einfluß auf ihre sichtbaren Fortschritte auszuüben, denn die Zeichnung in ihren Leistungen ist noch sicherer und die Farbe kräftiger und leuchtender ge⸗ worden.

Helene Richter in Rom . unter Nr. 106 ein Mädchen von Capri außerordentlich lieblich und in anspruchsloser Weise dargestellt.

Von Clara Heinke in Berlin (37 43) ist „Das Modell

den (4) Bild eines Knaben in guter Zeichnung und Farbe.

sehr gelungen. in einem italienischen Städtchen. in Linien und Farbe und die

anziehende heit des Motives machen

im Vordergrunde. Vortreffliche Arbeit.

bietet.

Helene Rousset (108— 110) und Johanna Budezies, geborene Krausnick (11 13) haben die Stoffe zu ihren gelungenen Bildern aus Schweden geholt. Clara Stöck— hardt in Weimar (126 128) hat in Pompeji und im Schwarz⸗ walde ihre erfolgreichen Studien gemacht; gelungen ist auch Goethe's Gartenhaus im Park zu Weiniar. Helene Jungk 51 —52, die nach Beginn der Ausstellung verstorbene, hoffnungs⸗ volle Künstlerin stellte zwei Bilder: „An der Ostsee“ und „Landschaft aus Tyrol“, Mathilde Wurl zwei Landschaften vom Gardasee und Marie Zierold zwei Landschaften und zwei figürliche Bilder aus, Helene von Amstetter in Breslau (1 und ?) zwei hübsche Landschaften. An einer Rückwand des Saals ist eine Anzahl von Kopieen nach alten Bildern angebracht; in der Vertiefung des Raumes befinden sich Verloosungsgegenstände.

Au f ruf. Zur Förderung der Ausstellung älterer und neuerer deutscher Kunst⸗ und kunstgewerblicher Gegenstände, welche zur Feier des 25jährigen Bestehens des Kunstgewerbe⸗Vereins zu München dort unter dem Protektorate Sr. Majestät des Königs Ludwig 1I. in den Räumen des Glaspalastes vom 16. Juni bis 16. Oktober näcksten Jahres stattfinden wird, und für welche Se. Majestät der Kaiser ein lebhaftes Interesse kundzugeben geruht haben, sind die Unterzeichneten im Einvernehmen mit dem Direktorium der Jabi⸗ läumsfeier zu München hier zu einem Central-Comits für den preußi. schen Staat zusammengetreten. Sie gestatten sich, die Besitzer älterer Kunst- und kunst⸗ gewerblicher Gegenstände Behörden und Korporationen, wie Einzelne aufzufordern, durch leihweise Ueberlassung interessanter und jchöner Gegenstände das bedeutende Unternehmen, foweit dasselve den Zweck verfolgt, zu zeigen, eine wie hohe Stufe der Vollendung Kunst und Kunstgewerbe in Deutschland in früheren Zeiten erreicht haben, kräftigst zu fördern. An die Kunstgewerbtreibenden richten wir die nicht minder dringende Bitte, an der Ausstellung sich zu betheiligen. Programme mit den von dem Direktorium der Ausstellung zu München neuerdings genehmigten Abänderungen, sowie An— melde Formulare sind von dem Central⸗Comité und von den Lokalanmeldestellen zu Königsberg für Ost «Preußen, zu Danzig für West Preußen und die Provinz Posen, zu Breslau für Schlesien, zu Frankfurt a. M. für Hessen⸗Naffau, zu Cöln für die Rheinprovinz und Westfalen und zu Vannover von der Direktion des dortigen Gewerbevereins für die gleichnamige Provinz zu beziehen. In den Provinzen Brandenburg, Sachsen, Pommern und Schleswig-Holstein wollen alle Aussteller sich nur an das Central— Comité, und aus dem Regierungsbezirk Sigmaringen an das Direktorium zu München wenden, Die Anmeldungsfrist läuft für ältere Kunst⸗ und kunst— gewerbliche Gegenstände bis zum 1. Februar 1876, für neuere Ar- beiten bis zum 7 Januar 1876. Die Ablieferung der zur Ausstellung zugelassenen Gegenstände muß bis zum 1. April 1876 in München erfolgen. Aus dem Programm ist ersichtlich, daß den Ausstellern gerin gere Kosten als bei anderen Ausstellungen erwachsen, vor allem können die Kosten der Dekoration erspart werden. Die Besitzer älterer Werke haben in der Regel nur für die Verpackung bei der Absen= dung zu sorgen. Der Vorsitzende des Central-⸗Comité's ist täglich, mit Ausnahme des Dienstags und Mittwochs, in der Mittagsstunde im Königlichen Handels Ministerium (Wilhelmsstraße 79) anzutreffen. Die Redaktionen derjenigen öffentlichen Blätter, denen dieser Aufruf nicht besonders zugehen kann, werden um dessen gefällige Ver⸗ breitung gebeten. el. 5 Berlin, den 20 November 1875. Das Central-Comité für die Kunst⸗ und kunstgewerbliche Ausstellung zur Jubiläumsfeier des Kunstgewerbe⸗-Vereins zu München. Der Vorsitzende: K Lüders, Geheimer Regierungs⸗Rath. Der stellvertretende Vorsitzende: Grunow, erster Direktor des Deutschen Gewerbe⸗Museums. C. Becker, Professor, Mitglied des Senatg der Königlichen Akademie der Künstẽ. Busse, Direktor der Staats⸗ druckerei. Dr. Doh me, Bibliothekar Sr. Masestät des Kaisers. S. Elst er, Fabrikant. E. Ewald, Historienmaler, Direkfor der Unterrichtsanstalten des deutschen Gewerbemuseums. Friedel, Stadtrath. Grapius, Professor, Direktor der Kunstschule. J. G. Halske, Fabrikant. A. Heyden, Königlicher Baumeister. G. Hilt!, Hofschauspieler, Konservator der Sammlungen Sr. König. lichen Hoheit des Prinzen Carl von Preußen. Hitzig, Geheimer Regierungs⸗Rath, Präsident des Senats der Köaiglichen Akademie der Künste. Hobrecht, Ober-Bürgermeister. Dr. Jordan, Di⸗ rektor dec Nationalgallerie. Kayser, Architekt. Dr. J. Leffing, Dircktor der Sammlungen des deutschen Gewerbemuseums. B. Lie ber- mann, Geheimer Kommerzien-⸗Rath, Fabrikbesitzer. E. Mondel, Professor, Mitglied des Senats der Königlichen Akademie der Künste March, Kommerzien Rath, Fabrikant (Charlottenburg). Albert Ph. Meyer, Kaufmann. Möller, Geheimer Regierungs⸗Rath, Di⸗ rektor der Königlichen Porzellan⸗Manufaktur. von Kormann, König⸗ licher Kammerherr. Freiherr Pergler von Perg las, Königlich bayeri—= scher Staatsraih und Gesandter, Bevollmächtigter zum Bundesrath. Ravens, Geheimer Commerzien. Rath. Reuleaux, Geheimer Regierungs⸗Rath, Direktor der Königlichen Gewerbe Akademie. Dr. Schöne, Geheimer Regierungs-Rath. Steffeck, Professor in der Königlichen Akademie der Künste. G. Stobwasser, Com- merzien⸗ Rath. Dr. St ort, Stadtrath. Dr. Straßmann, Start⸗ verordneten · Vorsteher. Sußmann⸗Helborn, Bildhauer. Graf Dr. von Usedom, General⸗Direktor der Königlichen Museen. Franz Vollgold, Commerzien. Rath, Fabrikant. Dr. Weigert, Fabrikant. A. von Werner, Direktor der Königlichen Akademie der Künste. v. Winterfeld d, Oberst.

In der am Sonnabend Abend abgehaltenen Sitzung der Anthro' pologischen Gesellschaft gab Hr. Stadtrath Friedel einige Mittheilungen über die Urgeschichte der Töpferei in Berlin. Wenn sich im Ganzen und Großen auch nur wenige Ueverreste alter Thon. gefäße hier vorgefunden haben, so können an ihnen doch sehr wohl drei Perioden der Entwickelung unterschieden werden. Die Gefäße der ältesten heidnischen Zeit zeichneten sich durch ihre Schwere und Stärke aus; sie waren nicht glasirt und nur sehr schwach gebrannt. Der

in der Fremde“ und viele sehr tüchtige Kopien aus der

Dresdener Gallerie; von Eleanor Bell in Plauen bei Dres—⸗

Antonie Eichler in Berlin (14 16) gab Studienköpfe und Landschaften, das Portrait Fontane's, sehr ähnlich; Eli⸗ sabeth Pochhammer in Berlin (86 - 91), Portraits und Studien köpfe, unter denen das Bild des Schauspielers Döring Helene Sietze in Berlin (122), Hof Die richtige Perspektive Beschaffen⸗ dies Bild zu einem sehr tüchtigen und ansprechenden; Lina von Perbandt in Düssei⸗ dorf (S5) eine Landschaft; großes Bild mit Wald und Kühen

Marie von Keudell (53 ——55) und Paula Bonte (6 bis 8) haben je drei Landschaften ausgestellt. Die Motive zu diesen Bildern sind aus der Schweiz und Italien genommen; nicht von großem Umfange und nicht anspruchsvoll, gehören sie jedoch zu dem Besten was die Ausstellung in diesem Fache

kleinen Steinen vermischt. Die zweite Periode beginnt zu der Zeit, wo unsere Vorfahren mit den Römern in Verbindung traten, shre Sitten und Gebräuche kennen lernten. Bekanntlich gelangten die Deuischen durch die Römer auch zur Kenntniß der Drehscheibe, und so finden wir denn, daß die Gefäße jener zweiten Periode eine wesentlich gleichmäßigere, gefälligere Zzorm haben, doch zeigen sie eine gewisse Gleichmäßigkeit, die noch auf einen ersten Standpunkt in der Eutwicklung schließen läßt. Die meisten von ihnen sind kesselförmig. Die Masse, aus denen sie gefertigt sind, ist ungleich dünner und reiner, als sie kei den Gefäßen der ersten Periode war, sie sind besser, also härter gebrannt und geben bereits einen ziem- lich reinen Ton beim Anschlagen, während die der ersten Periode noch vollständig dumpf klangen. Gegen das 14. Jahrhun⸗ dert trat endlich auf dein Gebiete der Töpferei ein völliger Umschwung ein. Von diesem Zeitpunkt an wurde nämlich die Anwendung der Glasur gebräuchlich. Die Form, welche die Gefäte nun annahmen,. war eine mannigfaltigere; am gebräuchlichsten waren die sogenannten „Krausen“ oder, wie man sie später im Volke neunte, Krusen. detz⸗ terer Name hat sich im Volke vis auf die Jetztzeit an Stelle des Wortes Krug im Allgemeinen zu erhalten gewußt, während die da— malige Form der Gefäße längst außer Brauch gekommen ist.

Theater.

Im Residenz-⸗Theater gelangte Sonnabend, Sonntag und Montag gelegentlich des Gastspieles der Kaiserlich König⸗ lichen Hofschauspielerin Frl. Friederike Bognär vom Hof⸗— hurg⸗Theater in Wien das Sardou'sche Sittengemälde „Eine Familie nach der Mode“ (La famslle Benoiton-) zur Auf— führung. Das Stück hat vor mehr als zehn Jahren als Spiegelbild der Pariser Zustände bedeutenden Erfolg gehabt, aber felbst heut noch vermag, trotzdem diese Zustände und Verhältnisse inzwischen in allen nur möglichen Formen auf der Bühne wie in Roman ge⸗ schildert worden, die Kraft und Wahrheit der derb realistischen Där— stellung'weise Sardou's selbst Naturen zu interesstren, die sonst jenem Genre wenig Geschmack abgewinnen. Die Clotilde d' Cory des Frl. Bognar ist eine immerhin hervorragende und namentlich bis ins Kleinste wohldurchdachte Leistung, obschon das Talent des Gastes mehr für pathetisch angelegte Rollen geschaffen ist. Der leichte etwas ins Humoristische streifende Konversationston, den ste anschlug und mit Glück anschlug, ließ gleichwohl Anklänge jener Art herauztönen. Auch eine mitunter selbst störende Effekthascherei ent— springt derselben Quelle. Uebrigens glaubt dieser Clotilde Niemand, daß ihre Philippica gegen einen Kleiderluxus ernst gemeint sei, in dem sie selbst so Außerordentliches leistet. Von den übrisen Rollen ist namentlich das Spiel der mitwirkenden Herren anzuerken⸗ nen, wie der einfache, charakteristische ‚Beneiton“ des Hrn. Pander, der ‚rudent“ des Hrn. Keppler. Den weiblichen Mügliedern der Familie Benoiton kam die Pracht ihrer Toiletten zu Statten, am besten war die kecke ‚Theodule“ des Frl. Krössing.

Heute findet im Nationaltheater eine Hamlet-Auf⸗ führung zu halben Preisen statt. Morgen wird Nathan der Weise“ mit Hrn. Ernst Posfart wiederholt und Donnerstag folgt die erste Aufführung von „Ein Fallissement“, einem Schauspiel des norwegischen Dichters Björn son.

Trotzdem „Bajazzo und seine Familie“ am Sonntag im Stadttheater vor ausverkauftem Hause eines außerordent⸗ lichen Erfolges sich erfreute, bereitet die thätige Direktion doch schon wieder für Mittwoch ein anderes Stück vor und hat dazu eines der vorzüglichsten älteren Lustspiele von Benedix „Der Steckbrief gewählt.

Zu der am 16, nächsten Monats in London stattfindenden feierlichen Grundsteinlegung zu dem neuen Opernhaufe am Themse-Quai, welche an Stelle des abwesenden Prinzen von Wales durch den Herzeg von Edinburgh vollzogen werden wird, sind viele englische und auswärtige Komponisten, darunter Richard Wagner, Gounod, Verdi und Ambroise Thomas eingeladen worden.

Eingegangene literarische Neuigkeiten. Die Operationen der II. Armee an der Loire. Dar- gestellt nach den Operationsakten des Ober⸗Kommandos der II. Armee von Frhr. v. d. Goltz, Hauptmann im Großen Generalstabe. Berlin, 1875 E. S. Mittler L Sohn. „SGeschichte der Belagerung von Belfort im Jahre 1870571 von Paul Wolff, Hauptmann im Ingenieur⸗-Corps. Auf Befehl der Königlichen General⸗Inspektion des Ingenieur -Corps und der Festungen unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet. Mit 3 Plänen, 5 Blatt Zeichnungen und 13 Anlagen. Berlin, 1875. F. Schneider C Co. Preis 18 40 Das Verfestungsbuch der Stadt Stralsund. Von Otto Francke. Mit einer Einleitung von Ferdinand Frens« dorff. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses. 1875. Urkundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode bel egenen Klosters Ilsenburg. Erste Hälfte. Die Urkunden v. J. 1065 bis 1460, bearbeitet im Auftrage Sr. Erlaucht des regierenden Gra—⸗ fen Otto zu Stolberg-Wernigerode von Dr. Ed. Jacobs, Grãäfl. Archivar und Bibliothekar. Mit fünf in Lichtsteindruck facsimilirten Ur⸗ kundengnlageu. Halstsest'tk Buchhandlung des Waisenhaus. s. 1875. Neue Beiträge zur Geschichte August Hermann Fran cke's herausgegeben von Dr. G. Kraemer, Direktor der Frankeschen Stiftungen. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses. 1875. Historisch ⸗kritische Berichte über die Lehr⸗ und Lernmittel Ausstellung des Deutschen Lehrervereins, Bezirksverband Berlin im Jahre 1874. Redigirt und herausgegeben von dem Auestellungs« Comité. Berlin, 1875. Kommissions Verlag von Hugo Kastner. Reisestu dien von Karl Braun⸗Wiesbaden. Stutt⸗ gart, August Auerbach. 1875. Der Raub von Straßburg. Histor. Roman von Heeri⸗ bert Ra u. 2. Aufl. Volksausgabe. 2 Theile in einem Bande, Berlin, Otto Janke, ö Balladen vom Elsaß. Von Gustav von Meyern, Stuttgart, J. G. Cotta 1876. Das Buch der Prologe. Gedichte von Heinrich Hel— mers. Bremen 1876. J. Kühlmanns Buchhandlung. Römische Geschichte in kürzerer Fassung von Carl Peter, Dr. theol. et phil., Konsistorial⸗Raih und Rekto« der Landesschule Pforta a. D. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses, 1875. Populäre Erörterungen von Eisenbahn-⸗Zeitfragen. JI. Norm al—⸗ spur und Schmal spur. Von M. M. Freiherrn von Weber. Wien, Pest, Leipzig, A. Hartlebens Verlag. 1876. Preis 1 M Zustand und Fortschritte der deutschen Lebensver sicherungsanstalten im Jahre 1874. Goth a, Friedr. Andr. Perthes. 1875. Brockhgus Konversations-Lexikon. Zwölfte umgear⸗ beitete, verbesserte und vermehrte Auflage. Vollständig in 15 Bänden. 29. und 30. Heft. Bogen 22 32 des 1II. Bandes. Bevölkerung bis Blaye. Leipzig, Berlin und Wien, F. A. Brockhaus 1875. Preis des Heftes 4 S. Ausgewählte Werke aus dem Verlage der Weid— mannschen Buchhandlung. Jurisprudenz. J. Römisches Recht, dessen Quellen und Kommentare, II. Deutsche Rechtsquellen und Alterthümer, III. Privatrecht, IV. Gerichtsverfassung und Civilprozeß, V. Strafrecht Strafprozeß, VI. Konsularwe en, VII. Fmanzwifsen;

schaft Steuerwesen, VIII. Sammelschriften und Zeitschriften 1875.

Berlin:

Redacteur: F. Prehm.

Verlag der Expedition (Kesselh. Druck W. Els ner. Drei Beilagen

Thon, aus dem sie gefertigt waren, war äußerst unrein und mit

leinschließlich Börsen⸗Beilage).

sein können.

M 2 6.

Neichstags⸗Angelegenheiten.

Berlin 23. November. In der gestrigen Sitzung des Deutschen Reichstag es ergriff in der ersten Berathung über den Gesetzentwurf, betreffend die Erhöhung der Brausteuer, zunächst der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort: .

Wenn ich erst beute, meine Herren, zum ersten Male in Ihrer Mitte zu erscheinen und das Wort zu nehmen vermag, so rechne ich auf Ihre Nachsicht, wenn ich damit beginne, hierüber mein Bedauern und meine Entschuldignng auszudrücken, daß ich bei der Eröffnung des Reichstages und bei den bisherigen Arbeiten nicht habe zugegen Ich kann Sie versichern, daß nur körperliches Unwohlsein mich davon abgehalten hat, indem ich erst in den letzten Wochen, wo. die, Witterung kälter und trockener wurde, einigermaßen die Erholung gefunden, habe, die ich erwartete und sie gern noch weiter gesucht hätte, wenn nicht mein eigenes Pflichtgefühl mich in Ihre Mitte geführt hätte, und andererseits auch die mehrfach nicht mißzuverstehenden Appellationen an dieses Pflichtgefühl von Seiten eines geehrten Mitgliedes dieser Versammlung, des Hrn. Abt. Richter. Gerade von einer Seite finde ich es eigentlich nicht ganz billig, so streng zu urtheilen, und er wird sich selbst nicht im Unklaren sein, daß gerade er we— sentlich dazu beitiägt, das an und für sich mühsame und angrei— fende Geschäft einer ministeriellen Existenz noch zu erschweren; und wenn in Folge dessen einer krank wird, so sollte er gegen den selben etwas nachsichtiger sein. Ich kann ich will nicht sagen einen Trost, aber eine Genugthuung finden in der Hoffnung, daß, wenn er einmal, wie ich von seinen Anlagen überzeugt bin, in einer ähnlichen ministeriellen Existenz sich befindet, er auch seinen Richter finden wird. Möge auch er denselben dann in derselben Weise, wie ich, ohne Bitterkeit und mit Anerkennung des sachlich Werthvollen und Verdienstvollen, in einer sachlichen Opposition beurtheilen, und möge auch ihm dann der Rückblick auf eine fast viertelhundertjährige an⸗ gestrengte, pflichttreue und zum Theil nicht erfolglose Thätigkeit darüber hinweghelfen, daß man es nicht allerzeit Jedem recht machen kann und nicht immer genügende Kräfte dazu hat. Ich bin wirklich in einer schwierigen Stellung. Wenn ich erkläre, daß meine Kräfte nicht mehr den Arbeiten genügen und ich gesunderen Kräften Platz machen muß, so wird das von mehr als einer Seite als eine Art von Felonie betrachtet, und namentlich die Presse appellirt an mein Pflicht= gefühl, au meine Vaterlandsliebe, an mein Ehrgefühl, während mir der Appell an einen Arzt, der mir helfen könnte, erwünschter wäre. Die Presse geht ja darin so weit, daß sie mir jetzt auch in dürren Worten vorgeworfen hat, ich verzehrte meinen Gehalt in Varzin. Das ist ein faktischer Irrthum: meinen Gehalt habe ich hier in Berlin verzehrt, ehe ich Berlin im Sommer verlassen.

Nach diesen Ihrer Nachsicht empfohlenen Worten pro domo trete ich der Sache näher, indem ich mich zuvörderst an die Aeußerungen meines Kollegen im Bundesrath, des Hrn. Camphausen, ich ziehe es vor, absichtlich ihn nicht als preußischen Finanz. Minister in diesem Kreise zu bezeichnen, sondern alz Mitglied des Bundesraths in- dem ich mich dessen Aeußerungen vollständig dahin anschließe, daß auf keinem Gebiete des Staatslebens die Entscheidung des Reichstags in unanfechtbarerer Instanz zweifelloser ist, als auf dem der steuerlichen Fragen, auf dem der Entscheidung über die Art, wie wir die Mittel aufbringen wollen, die wir für unser Staateswesen im Reiche und auch in den einzelnen Staaten mutatis mutandis gebrauchen. Also Sie sind in der Lage, vollständig mit der Nachsicht des Maͤchtigen, möchte ich sagen, zu verfahren und sine ira et studio die Sache zu behandeln, lediglich aus dem Gesichtspunkte: ist es zweckmäßiger, daß die Mittel, die wir brauchen, zum Theil in der Ihnen vorgeschlagenen Form aufgebracht werden oder nicht? Wenn eine Regierung nicht einmal in Finanz— fragen die Rechte der Landesvertretung unbedingt und auch bis in die Formen hinein achten wollte, so wäre eben der Konstitutionalismus in ihr doch noch nicht zu den ersten Anfängen gelangt. Seien Sie in der Beziehung unbesorgt und seien Sie entgegenkommend in dem Gefühl Ihrer Stärke, die auf diesem Gebiete unantastbar ist. Sie selbst werden doch aher wünschen, daß die Mittel, deren das Reich bedarf, so aufgebracht werden, wie es den Steuerzahlenden am bequemsten und am loichtesten ist, und wie es für die Befestigung, für die Konsolidirung des Reichs am nützlichsten ist, und deshalb liegt die Frage allein so: entsprechen diese kleinen, vielleicht gerade durch ihre geringe Tragweite sündigen⸗ den Vorlagen entsprechen die diesem Zwecke oder nicht? Ich er— wähne ausdrüdlich den geringen Umfang, die geringe Tragweite; denn von allen Gründen, die dagegen meines Wissens eingewendet sind, ist der meiner Empfindungsweise am nächsten verwandt, daß Sie sich eine weitergreifende Steuerreform wünschen. Aber es ist das immer noch kein Grund, eine partielle, eine Abschlagszahlung auf die Re— form von der Hand zu weisen. Der fundamentalen Neform haben in der Erfahrung meines politischen Lebens immer nicht nur Die⸗ jenigen angehangen, die sie wirklich wollten, sondern auch Die⸗ jenigen, die die Sache überhaupt nicht wollten, aber sie nicht be—= streiten mochten und deshalb ihren Widerspruch darin kleideten, daß sie etwas Besseres, für den Augenblick aber nicht Erreichbares wollten und deshalb das für den Augenblick Erreichbare angebrachtermaßen ablehnten. Ich erinnere an die langjährigen Strömungen, die wir in Beziehung deutscher Reformen erlebt haben. Beherzigen wir dabei doch wohl das gute alte Sprüchwort: Das Beste ist des Guten Feind!

Eine totale Steuerreform inklusive der Zollreferm wer wünschte sie nicht! Aber sie ist eine Herkulegarbeit, die man ver— suchsweise angefaßt haben muß in der Eigenschaft eines verhältniß⸗ mäßigen Laien, wie ich es bin, um ihre Schwierigkeiten vollständtg zu überseben. Mit einem Zuge an diesem Netze, unter dem wir jetzt in steuerlicher Beziehung gefangen sind, da klirren alle Maschen bis in die kleinsten Staaten hinein; jeder hat seine besonderen Wünsche. Eine vollstaͤndige Reform kann nicht zu Stande kommen ohne eine bereitwillige, thätige, in die Hände arbeitende Mitwirkung jeder einzelnen partikularen. Regierung mit dem Reich. Denn ich kann es nicht als eine Reform ansehen, wenn lediglich neus Reichs- steuern aufgelegt werden, ohne daß alte erlassen werden, Ich will über die Frage des Bedürfnisses mit Ihnen gar nicht streiten, ob es richtig ist, daß man sich noch ein oder zwei Jahre ohne Steuern be— helfen kann, ob in dem Falle, daß man es kann, es ist richtig, daß man es thut. Diese Frage zu vertreten, will ich sachkundigeren Per= sonen überlassen; ich seltst will mich nur über meine prinzipielle Stellung zu dieser Reformfrage aussprechen.

Die einzelnen Bundegregierungen müssen bei einer Reform ihrer seitö so viel Steuern aufheben, wie sie an Matrikularbeiträgen er—= sparen; das zu erreichen, sind aber nicht dem Reichstage, sondern sind den einzelnen Landtagen die Mittel n Aber erst dann, wenn wir ihnen die Matrikularumlagen erleichtern ist es Aufgabe der ein. zelnen Landtage, Breschebatterien gegen ihre Ministerien aufzuführen, daß diese entsprechend der Erleichterung nun auch die drückendsten Steuern in dem einzelnen Lande erleichtern. Das gie e tig . wissermaßen Zug um Zug zu machen ich sehe die Form nicht, in der das Jeschehen lönnte, ich würde mich sonst sehr gern dazu erbieten. . .

Ich weiß nicht, ob die Gedanken, die ich über Steuerreform habe, im allgemeinen Aaklang finden; es würde mich, wenn sie den nicht . auch das nicht abhalten, sie nach meiner Ueberzeugung zu befolgen und abzuwarten, in weicher Weise es gelingt, sie bei den bewilligenden Körperschaften durchzubringen. Wenn ich zuerst

. Erste Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗-AUnzeiger.

vom Standpunkt lediglich des Reichs spreche, so habe ich das Bedürfniß einer möglichsten Verminderung, wenn nicht. voll— ständigen Beseitigung der matrikularen Umlagen. Es ist das wohl kaum bestritten, daß die Form der Matrikularumlage eine solche ist, die den kontribuablen Staat nicht gerecht nach dem Verhältniß seiner Leistungsfähigkeit trifft. Ich möchte sagen, es ist eine rohe Form, die zur Aushülfe dienen kann, so lange man in dem ersten Jugendalter des Reichs demselben eigene Einnahmen zu ver— schaffen nicht vollständig in der Lage war, Ist es aber anerkannt, daß es eine Steuer ist, die nicht gerecht trifft, so gehört sie von meinem politischen Standpunkt als Reichskanzler nicht zu den Mitteln, die das Reich konsolidiren. Das Gefühl, zu ungerechten Leistungen m nn werden, . 3 . einer solchen Un⸗ exrechtigkeit sich zu entziehen, und vrrstimmt, .

; aft aus ö. Gestchtspunkt der Befestigung des Reichs das Reich ist jung im Vergleich zu den einzelnen Staaten ich möchte sagen, bei allen den Knochenbrüchen, denen Deutschland im Laufe der Jahrhunderte ausgesetzt worden ist, und deren Heilung jetzt versucht ist, da ist der callus noch nicht wieder so fest verwachsen, daß nicht Verstimmungen oder ein starker Druck parlamen⸗ tarischer Machtprobe und dergleichen das Reich empfindlicher treffen sollten, als den Partikularstaat. Denn dem uns eingeborenen Stammessondergefühl entsprechend ist ja bei uns die Existenz des Partikularstaats bisher viel mehr in succum et sangui-= nem gedrungen, viel naturwüchsiger, ich möchte sagen, noch heutzu⸗· tage lebenskräftiger zum Ueberdguern von Stürmen als das neue Reich. Je mehr gemeinsame Reichseinrichtungen wir schaffen, je mehr gemeinsames Reichsvermögen, desto mehr befestigen wir das Reich. Wenn das Reich zu Grunde geht, was Gott verhüte und verhüten wird, se würde ja die Sache sich nicht in nichts auflösen, wie bei anderen Staaten, sondern es würde der status quo ants eintreten. Der preußische Partikularismus, der mächtigste und bei weitem gefährlichste, mit dem wir zu thun hahen, würde aufschnellen in einer ungemein lebenskräftigen Weise. Also das Unglück, das Reich zu zerstören, ist für unsere deutsche patrio— tische Empfindung ein außerordentlich schweres; aber materiell ist eine Wiederherstellung einer dem alten Bundesverhältniß ähnlichen Einrichtung vielleicht für Jeden auszuhalten, der nicht etwa selbst Bundestagsgesandter gewesen ist. ö w

Ich sage dies nur, um Sie zu bitten, das Reich in seinen In⸗ stitutlonen nach Möglichkeit, auch in den kleinen Dingen, zu schonen und zu pflegen und denen, die sich überbürdet fühlen und, wie ich glaube, mit Recht überbürdet fühlen, etwas mehr Liebe und Scho⸗ nung und nicht die rein theoretische Härte entgegenzutragen.t

Ich kam über meine Gemüthsbewegung gegen partikularistische Bestrebungen von der Frage der Reform ab, um Ihnen zu sagen, wie ich sie verstehe. Ich glaube, daß ich die Pflicht habe, meine Meinung darüber darzulegen, und daß ich vielleicht Manches Ueber zeugung anstoße wenn ich mich von Hause aus wesentlich für Auf— bringung aller Mittel nach Möglichkeit durch indirekte Steuern er— kläre und die direkten Steuern für einen harten und plumpen Noth- behelf, nach Aehnlichkeit der Matrikularbeiträge, halte, mit alleiniger Ausnahme, ich möchte sagen, einer Anstandssteuer, die ich von den direkten immer aufrecht erhalten würde, das ist die Einkommensteuer der reichen Leute, aber wohlverstanden nur der wirklich reichen Leute. .

Die heutige Einkommensteuer, wie fie bis zum Vermögen von 1000 Thalern geht, trifft nicht blos reiche Leute, Es giebt Lagen des Lebens, in denen man mit 1000 Thalern wohlhabend ist, das ist richtig; es giebt aber auch Lagen, in denen man mit 1099 Thalern sehr gedrückt und genirt lebt, wo man nur mit Mühe die Kindererziehung, die äußere Erscheinung, die Existenz, die Wohnung hestreitet. Sie werden sagen, es sind das Ideale die ich vortrage, Ich glaube aber, Sie haben ein Recht, die Ideale Ihres verantwortlichen Beamten zu kennen. ;

Ich zlaube, man sollte von den direkten Steuern als eine Anstandesteuer die Einkommensteuer beibehalten, aber nicht als Finanzsteuer, mehr als Ehrensteuer. Dieselbe kann so ungeheuer viel nicht bringen, wenn sie nur von den wirk⸗· lich Reichen gezahlt wird. Wenn Sie die Steuerlisten ansehen und streichen die Einkommensteuer von 100) Thalern und bis zu 2000 Thalern und ziehen nur Diejenigen zur Einkommensteuer heran, die uster allen Umständen als woöhlhabend zu betrachten sind, dann halte ich die Steuer für eine richtige, aher nicht einträgliche. Im Uebrigen aber ist das Ideal, nach dem ich strebe, möglichst ausschließlich durch indirekte Steuern den Stagtsbedarf aufzubringen.

Ich weiß nicht, ob Sie eine französische Stimme vor kurzem in den Zeitungen gelesen haben, die sich darüber wunderte, daß wir Deutsche, im Vergleich mit Frankreich, unsere Steuerlasten so unge⸗ duldig trügen; Frankreich zahle doppelt so viel, hätte viel mehr Ur⸗ sache zur Ünzufriedenheit, und in Frankreich würde über Steuerdruck in keiner Wäse gemurrt, während in Deutschland alle Blätter und alle parlamentarischen Aeußerungen darüber voll wären. Ich will Über die Richtigkeit dieses Urtheils nicht streiten; die deutsche Geduld ist ja sonst sprichwörtlich, aber vielleicht nicht der eigenen Regierung gegenüber; ich glauhe aber, daß es wesentlich darin liegt, daß in Frankreich wie in England die überwiegende Masse der Stagts⸗ bedürfnisse durch indirekte Steuern aufgebracht wird. Die indirekten was auch theoretisch darüber gesagt werden mag, faktisch ist, daß man sie weniger fühlt. Es ist schwer zu berechnen, wie viel der Ein⸗ zelne bezahlt, wie viel auf andere Mitbürger abgebürdet wird. Von der Klassensteuer weiß er ganz genau, was auf ihn kommt, ung es ist so wunderbar, wenn man bei indirekten Steuern mit einem Mitleid was ich mir früher einmal als heuchlerisch zu bezeichnen erlaubte ich will den Ausdruck heute nicht wiederholen, um nicht denselben Unwillen zu erregen von der Pfeife des armen Mannes, von dem Licht des armen Mannes spricht, und demselben armen Manne seine Lebensluft, seinen Athem besteuert, denn die direkte Steuer muß er zahlen, so lange er athmet; wenn er stirbt ist er frei Bei direkter Stener wird nicht darnach gefragt: kannst du deinen Trunk Bier unter Umständen entbehren? kannst du weniger rauchen7 kannst du die Beleuchtung des Abends einschränken? son⸗ dern sie muß er zahlen, er mag Geld haben oder nicht, er mag ver⸗ schuldet sein oder nicht, und was das schlimmste ist, es folgt die Exe⸗ kution, und nichts wirkt auf die Gemüther mehr als das Exequiren von Steuern wegen weniger Groschen, die für den, , augenblick · ssch unerschwinglich sind; der Groschen ist gleich einer Millien für den, der ihn nicht hat und ihn nicht im Augenblick der Fähigkeit erschwingen kann, und der sich sagt, so und so viel kriegt dieser Beamte Gehalt, so und so viel gehr auf unnöthig scheinende Ausgaben, und ich werde hier uin mein bischen Geld exequirt. Solches Elend kommt von direkten Steuern. Laßt mir die direkten Steuern den städtischen Verwaltun gen, möchte ich als Landbewohner sagen, dann wird der starke Zuzug nach den Städten einigermaßen mit der Zeit aufhören. Für den Staat aber ist es meiner Ueberzeugung nach die Aufgabe, nach Analogie von England, von Frankreich nach indirekten Steuern zu streben. In Frankreich kenne ich wohl die Grundsteuer: diese hat aher in shrer dauernden Wirkung nicht mehr die Natur einer Steuer, sie hat bei der Auflegung nur die einmalige Wirkung einer Konfis kation eines bestimmten mäßigen oder unmäßigen Vermögensantheils; aber im übrigen hat sie nicht die Wirkung einer Steuer, sondern die einer Reallast, die der nächste Käufer oder Erbe übernimmt. Man he. sich daran gewöhnt und hat von Grund und Boden nicht mehr gesagt.

Ich bekenne mich unbedingt zu dem System der indlrekten

Steuern; ich glaube auch, daß die indirekten Steuern sich viel mehr

in das Niveau, das Gleichgewicht setzen in Beziebung auf die .

wer sie denn eigentlich trägt, als man gewöhnlich aunimmt. enn ich, um mich von der Sache nicht zu entfernen, der Neigung, von der Schlachtsteuer zu sprechen, widerstehe und mich an die Bierfteuer halte, so bin ich der Meinung, daß auch der Nichtbiertrinker an dieser Biersteuer seinen erheblichen Antheil tragen wird, Er braucht Dienstleistungen in großer Menge; nicht blos die direkten Dienst⸗ leistungen eines Domestiken im Hause, der doch auch an das Bier gewöhnt ist und dasselbe mit in seinen Lohn verlangt, sondern Dienst= leistungen, die sich die Handwerker untereinander leisten. Ich werde in dem Pzar Stiefel das Bier, das der Schuhmacher zu t. inken pflegt und das zu seinen täglichen Bedürf⸗ nissen und Gewohnheiten gehört, vergüten müssen pro rata parte. Und so könnte man die Beispiele bis ins Unendliche vervielfältigen; durch versteuertes Brod, durch verstenertes Bier und durch versteuertes Fleisch wird eben jede der Dienstleistungen, die wir von einander verlangen, um so viel versteuert als nöthig ist, um den Dienstleister resp. Verfertiger des gebrauchten Objektes in die Lage zu versetzen, daß er seinen Bedürfnissen nach existiren kann. Ich glaube, daß auf diese Weise die indirekten Steuern sich von selbst vollständig ins Gleichgewicht bringen. . . Mein Bestreben wäre also Verminderung der Matriknlarbeiträge, so weit es sein kann. Zur gänzlichen Abschaffung ist es noch sehr weit hin, und da möchte ich auch dem Motive der Beibehaltung ent- gegentreten, welches daraus entnommen wird, daß das Bewilligunggz⸗ recht eines Satzes der Matrikularbeiträge eine parlamentarische Machtfrage wird. Die Macht des Reichstags beruht auf Recht, Gesetz und Verfassung. Eine nicht bewilligte Ausgabe wird ganz sicher nicht geleistet, und mit einer Regierung, die unbewilligte Ausgaben zu leisten gesonnen ist, mit der wird auf die Dauer kein verfassungsmäßiges Auskommen sein. Ihre Macht ist mei⸗ nes Erachtens vollständig gewährleistet; aber selbst, wenn Sie mehr bedürfen, so sollten Sie lieber suchen, diese Macht auf dem Gebiete der Territorialverfassungen zu üben; Sie stehen fester, und Als Reichskanzler habe ich nicht dafuͤr zu sorgen, wenn Sie von Ihrer Opposition bedrängt werden. Das Reich ist wirklich, ich wiederhole es, noch nicht in sich verwachsen genug, um der Boden zu sein, auf dem Kraftproben angestellt werden können. Indessen wir kemmen diesem Punkte noch lange nicht nahe; so viel ich mich an die Ziffern erinnere, handelt es sich hier um 13 oder 14 Millienen Mark für die beiden Steuern gegenüber den 87 Millionen Mark Matrikular⸗ beiträgen. Es fragt sich bles, ob Sie uns helfen wollen, einen Schritt in der Richtung einer Reform zu thun, wenn wir die ganze Reform nicht leisten können die letztere wird in erster Linie immer im Reiche anfangen müssen, die Partikularstaaten können erst nach und nach folgen, auch die Zölle stehen dem Reiche ö. daß wir in unseren Zöllen, ganz unabhängig von der Frage, wie hoch jedes Einzelze besteuert werden soll, uns doch frei machen von dieser zu großen Masse von zollpflichtigen Gegenständen, daß wir uns auf das Gebiet eines reinen einfachen Finanzzollsystems zurückziehen und alle diejenigen Artikel, die nicht wirklich Finanz⸗ artikel sind, d. h. nicht hinreichenden Ertrag geben, über Bord werfen, die zehn oder fünfzehn Artikel, die die größte Einnahme gewähren, so viel abgeben . wie wir überhaupt aus den Zollguellen für unsere Finanzen nehmen wollen. Als solche Gegenstände der Verzollung und zu⸗ gleich einer entsprechenden Besteuerung im Inlande sehe ich im Ganzen an diejenigen Verzehrungsgegenstände, deren man sich, ohne das Leben zu schädigen, in gewissem J. wenigstens zu enthalten vermag, wo man in gewissem Maße den Regulater seiner eigenen . zum öffentlichen Steuersäckel in so weit in der Hand hat, daß man weiß: wenn ich zwei Seidel trinke, so zahle ich zwei Pfennige, so viel mag darauf kommen, ich weiß es nicht, und wenn ich zehn Seidel brauche, so zahle ich zehn Pfennige. Dasselbe ist der Fall mit dem Kaffee und vor allen Dingen mit dem Tabak; ich kann die Zeit kaum erwarten, daß der Tabak höhere Summen steure, so sehr ich jedem Raucher das Vergnügen gönne. Analog steht es auch mit dem Bier, dem Branntwein, dem Zucker, dem Petroleum und allen diesen großen Verzehrungsgegen⸗ ständen, gewissermaßen den Luxusgegenständen der großen Masse. Die Luxusgegenstände der Reichen würde ich sehr hoch zu besteuern geneigt sein; sie bringen aber nicht viel: Trüffeln und Equipagen, was können sie bringen? Da kommen wir in eine Menge kleinlicher Gegenstände, ausländische Toilertengegenstände und dergleichen; ich würde sie mit dem Zolle unter Umständen sehr hoch fassen, sie sind ja eigentlich noch würdiger wie der Tabak, recht schwer belastet zu werden. Indessen ich will darüber keine Rathschläge geben, sondern nur im Allgemeinen das System entwickeln, nach dem ich streben würde, wenn sich dieses Bestreben se leicht realistren ließe, wie die Gedanken, die eben im Kopfe, bei einander wohnen, aber im Raume stoßen sich fünfund zwanzig Regierungen. Sie darüber einig zu machen und die verschiede⸗ nen Interessenten und die Parlamente, ja selbst schon die Ministerien in sich und die eigenen Mitarbeiter, wie wir hier bei einander sitzen, sehr einig unter uns, würden, vollständig ausgeschüttet, eine Menge einander bekämpfender Gedanken zum Vorschein bringen, die man um des Friedens willen sich verschweigt, und da ist die Herstellung einer Einigung über große durchgreifende Reformen eine a . für die eine ganze Compagnie von Heraklessen wenn der Plural erlaubt ist nicht ausreichend wäre; und wie aufreibend heutzutage eine ministerielle Existenz ist ich spreche gar nicht von der meinigen das sehen die Herren vor sich, die im Landtgg, im Reichstag, im Bundesrath fortwährend beschäftigt sind. Wo soll denn die Zeit herkommen, in der irgend Jemand, geschweige die große Menge, die daran mitzuarbeiten hat, in voller Muße und mit dersenigen Besonnenheit, die ein diskusstonsstichhaltiges Werk e. langt, dergleichen auszuarbeiten im Stande wäre? Die Arbeit kann auch dadurch nicht gefördert werden, wenn, wig der fe Abg. Richter empfahl, anstatt der jetzigen reich kanzlerischen Verfa Jung dem Reiche ein kollegialisches Minifterium gegeben würde. Ein Jeder, der eine Zeit lang Minister gewesen ist, weiß, wie viel langwieriger, schaie tiger, aufreibender und angreifender für jeden einzelnen Be⸗ theillgten ein Kollegial⸗Ministerium arbeitet. Außerdem eu 1a die Verantwortlichkeit, auf die der Hr. Abg. Richter immerhin doch auch einen konstitutionellen Werth legt, vollständig weg, sobald ein Kollegium entscheidet. Es ist eine reine Fiktion, daß dem kolle⸗ gialisch abstimmenden Ministerium die Verantwortlichkeit lusallt ir das, was geschehen ist; Fanz abgesehen davon, daß man in der Mi⸗ norität fein kann, nicht blos bei positiven Vorschlägen, sondern daß man dasjenige, was man gewollt hat, um zur rechten Zeit üblen ar ständen - vorzubeugen, vielleicht der Majorität gegenüber nicht ha burchfetzen können, daß man gar nicht über den ersten Anfang hing us kam. un man den passiven Widerstand, wie er sich in den ere abhängigen übrigen Ministerien auszubilden pflegt , n- regungen, die nicht auf seinem Boden gewachsen sind, ö en kann, dazu gehören doch technische Hülfskräfte in te sn enge. Run“ denke man sich den preußsschen Minister - Präͤsidenten angewiefen auf die Ünterstüätzung von den beiden Ihnen a dem Budget bekannten Räthen, dem Herrn, Unterstaats sektetar . den wei? Hülfsräthen. Wenn die also ein Finanzprojekt ausarbeiten siften zu dem das Finanz. Minifterium an sich nicht geneigt wäre, so befinden sie sich in vollständiger Hülflosigkeit und müssen acceptiren, was geboten wird. Deshalb, sage ich, ist die Verantwortlichkeit des Minister . Prãsidenten für das, was in der Regierung geschieht, eine sehr be schränkte, Er braucht sich gar nicht darauf zu berufen, er sei irgendwo

der Minoritãt; er hat einfach nichts zu befehlen und nichts zu sagen er hat n gie 3 Il 62 sind 8 in ihrem Ressort unabhängig;