1876 / 31 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 04 Feb 1876 18:00:01 GMT) scan diff

besetzt, die Carlisten besinden sich noch in Vera. Die Ver⸗ bindung zwischen beiden Ufern der Bidassoa mittelst der über diesen Fluß führenden Brücken ist durch die Carlisten auf⸗ gehoben.

Italien. Rom, 1. Februar. Der König traf am 29. Januar hier ein. Se. Heiligkeit der Pap st hielt am 28. Vormittags ein geheimes Konsistorium. Vor der Promotion der Bischöfe schloß Se. Heiligkeit dem Kardinal Ruggero Antici⸗Mattei, welcher im Konfistorium des 27. Sep⸗ tember 1875 publizirt ward, den Mund; nach der Publikation der neuen Bischsfe erfolgte die Oeffnung des Mundes und die Investitur des Kardinals mit dem Ringe so wie die Ver⸗ leihung des Presbyterialtitels von S. Lorenzo in Panisperna.

56 mten Wmischöfe di . 5. ö 9 fl f Von den 22 einannten Bischöfen nennt die Kö(rn. Ztg. den rung des Wehrpflichtgesetzes.

Bischof von Passau, Monsignor Josep) Franz Weckert, Diözesan⸗ priester zu Augsburg, Domherr in der dortigen Kathedrale, Sekretär bei der bischöflichen Kurie, mit 8000 Gulden jährlichem Gehalt, und den Bischof von Azotus in part. (Palästina) Mon⸗ signor Franz Bernert, deputirten apostolischen Vikar von Sachsen.

4. Februar. (W. T. B.) Die Budgetkommission hat den Gesetzentwurf über die Tiber-Regulirung ange—⸗ nommen.

Rumänien. Bukare st, 4. Februar. (W. T. B.) In der Sitzung der Deputirtenkammer erklärte der Minister⸗ Präsident in Erwiderung einer Interpellation: Die Re⸗ gierung werde entsprechend den ihr durch den Pariser Frieden auferlegten Verpflichtungen die strengste Neutraliät be⸗ wahren. Der vom Kriegs⸗Minister geforderte Kredit bezwecke nur, die Regierung allen Eventualitäten gegenüber in Bereit⸗ schaft zu setzen, ohne daß dieselbe jedoch irgend welche aggrefsive Absichten verfolge.

Türkei. Konstantinopel. 3. Februar. (W. T. B.) Der Ministerrath hat, wie die hiesige, Agence Havas-Reuter“

drasfy berathen. Dieselben umfassen 5 Hauptforderungen, nämlich: Religionsfreiheit, Reform des Zehentsystems, Erleich— terungen für den Ackerbau, Verwendung eines Theils der Ein⸗ künfte der aufständischen Provinzen zu lokalen Meliorationen und Einsetzung einer aus Muhamedanern und Christen zu⸗ sammengesetzten gemischten Kommission zur Ueberwachung der Durchführung der Reformen. Die Antwort der Pforte soll unverweilt erfolgen; es heißt, daß die Pforte die Andrassyschen Vorschläge im Prinzip acceptiren werde.

Schweden und Norwegen. Stockholm, 1. Februar. Durch eine Königliche Verordnung vom gestrigen Tage ist eine

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interimistische Regierung eingesetzt worden, welche während der Anwesenheit des Königs in Norwegen die laufenden Ge⸗ schäfte nach einer für dieselbe erlassenen Instruktion führen wird. Zum Vorsitzenden dieser Regierung ist der Staats⸗Minister für die auswärtigen Angelegenheiten, Björnstjerna, und zu Mit⸗ gliedern derselben die Staatsräthe Lagerstrale und Loven und der Chef des Marinedepartements Freiherr v. Otter ernannt. 2 Christiania, 3. Februar. (W. T. B.) Der König hat heute das Storthing in Person eröffnet. Die Thron rede gedenkt zunächst des guten Verhältnisses des schwedisch⸗ norwegischen Reiches zum Auslande und kündigt sodann meh⸗ rere Vorlagen an, namentlich eine über die Erhöhung der Ge⸗ halte der Beamten, über Zollreformen und über eine Abände⸗

Dänemark. Kopenhagen, 1. Februar. (S. N.) Für den verstorbenen Prinzen Ludwig Casimir Wilhelm Heinrich Clemens von Bentheim-Steinfurt ist eine mit Freitag, den 28. Januar d. J, beginnende zehntägige Hoftrauer an⸗ geordnet worden. Die Leiche des Prinzen ist vorläufig in der hiesigen St. Petri⸗-Kirche beigesetzt worden, soll aber, dem Ver⸗ nehmen nach, zur Bestattung auf einem der Güter der Fürst⸗ lichen Familie nach Deutschland geführt werden.

3. Februar. In der gestrigen Sitzung des Folkel⸗ things rief die erste Lesung dis Gesetzentwurfes, betreffend die Versorgung des Heeres mit Pferden und Wagen

im Kriegsfalle, eine lange Debatte hervor, an welcher der

Kriegs-Minister mehrfach sich betheiligte und die Nothwendigkeit des Gesetzes hervorhob. Der Gesetzentwurf wurde dem großen Armee⸗Ausschusse überwiesen.

Amerika. (W. T. B. Wie der „Times“ aus Phila⸗ delphia vom 3. Februar gemeldet wird, hat die Repräsen⸗

tantenkammer des Kongresses eine Resolution angenom- meldet, heute die Reformvorschläge des Grafen An-

men, durch welche das Comité der auswärtigen Angelegenheiten beauftragt wird, in Erwägung zu ziehen, ob es nicht zweckmäßig wäre, den Präsidenten zu ersuchen, einen Handelsvertrag zwischen Frankreich und Amerika abzuschließen, durch welchen die beiden Länder zu einander in das Verhältniß der meist be⸗ günstigten Nationen gestellt werden.

Afrika. (A. A. C.) Einer Anzeige des liberischen General⸗ Konsuls in London zufolge wurde am 3. Januar der achtbare James S. Payne als Präsident der Republik Liberia installirt.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Der bekannte Gelehrte Gion Capponi ist, laut telegra⸗= phischer Meldung des W. T. B.“ vom heutigen Tage, in Florenz gestorben.

Die Verwalter der Berensteynschen Stiftung in Harlem, oder wenigstens einige derselben, beabsichtigen, wie man der „Allg. Ztg.“ schreibt, die prachtvolle Reihe Bilder von Frans Hals, welche durch die verdienstvollen Radirungen des Prof. Unger in weiteren Kreisen bekannt wurden, zu veräußern.

Von dem Werke Geld und Kredit“, von Carl Knies, Professor der Staats wissenschaften zu Heidelberg, ist die erste Hälfte der zweiten Abtheilung (Berlin, Weidmannsjche Buchhandlung, 1876) erschienen. In der ersten Hälfte des Werks ist das eigen thümliche Wesen des Geldes für das thatsächliche, staatlich geordnete Gemeinschaftsleben der Menschen dargelegt worden. In dem zweiten Theil wird der Kredit erörtert, der thatsächliche Gebrauch und die verwirklichten Ergebnisse des Kredits werden besprochen, wie diese dem wirthbschaftlichen Leben mit seinem Rückhalt urd seinen Sckranken an der Rechtserdnung des Staats zu entnehmen sind. Die vorliegende erste Hälfte der zweiten Abtheilung handelt von den Bezgriffsbestim - mungen, von den verschiedenen Arten des Kredits, den Bedingungen, Ursachen, Hindernissen und Förderungsmitteln des Kredits, von den Wirkungen des Kredits (Pfandrecht, Wechselrecht, Werthpapiere, Schuldklagen, Preise 2c. und von den Zinsen. Das Werk ist eine um so schätzbarere Bereicherung der volkewirthschaftlichen Literatur, als dasselbe überall die neuesten thatsächlichen Verhältnisse des Deut⸗ schen Reichs berücksichtigt.

Auf der an der Westküste von Norwegen belegenen Insel Stordö, den umliegenden Insela und dem Festlande wurde am 18. v. M., Nachmittags 5 Uhr, ein nicht unbedentendes, in der Richtung von Süden nach Norden gehendes Erdbeben beobachtet.

Sertserbe und Fsandel.

In der gestrigen Generalversammlurg der Aktienesellschaft Norddeutsche Fabrik für Eisenbahn⸗Betriebs Material wurde der Antrag auf Reduktien des Betriebskapitals mit 525 gegen 166 Stimmen abgelehnt; es fehlten mithin nur 2 Stimmen zu der nothwendigen * Majorität.

Leipzig, 4. Februar, Mittags. (W. T. B.) Die Sächsische Bank hat den Wechseldiskont auf 4, den Lombardzins auf 5oso herab- esetzt.

46. 91 Dem „Fr. J.“ wird aus Kronach, 2. Februar, geschrieben: Der Grubenärbeiter⸗Strike auf den Swaine'schen Werken dauert fort. In Folge von Exzessen und Mißhandlung einzelner Be⸗ diensteter wurde Militär requirirt. Ein Aufruf an die Arbeiter sagt „Widerftand mit Gut und Blut leisten. Führer werden sich finden.“

Der „B. Börs. Ztg.“ liegt ein Telegramm der Banque Ottomane zu Paris vor, welche die be immte Nachricht enthält, daß alle in der festgesetzten Zeit bei ihr eingereichten fälligen Coupons der türkischen Rente regelmäßig bezahlt worden sind.

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Ferlin, den 4. Februar 1876.

In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten versam m⸗ ung kam die Erwiderung des Magistrats auf den Beschluß der

csammlung vom 238. Dezember v J, das Fortbesteen der

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Königlichen Leihämter ketreffend, zur Verlesung. Wie seiner

lurg noch während des Jahres 1876 im Betriebe gelassen werden möchten, entsprechend zu begründen. Der Magistrat, betrachte seinerseits diese Verhandlungen als definitid beendet. Der Stadtverordnete Dr. Pflug bezeichnete die Antwort des Magistrats als ganz unverbindlich für die Verammlung. Der Schwerpunkt der magiftratualischen Er⸗ klärung liege in dem Ausspruche, daß die Leihämter noch fortbestehen; aber wie verbalte sich dieser Auëspruch zu den thatsächlichen Verhält— nissen? Auf Grund einer direkten Anfrage bei dem Dirck— torinm der Leihämter könne er mitiheilen, daß, obwohl die Leihämter am 1. Januar aufhören sollten, doch keine be⸗ zügliche Verfügung bei dem Direktorium eingegangen, aber auch keine entgegengesetzte Weisung erlassen sei. Der Direktor habe bei seiner vorgesesten Behörde angefragt, ob die Draͤcksachen 2c. fort— geführt werden sollen, und darauf sei die Antwort eingegangen, vor⸗ läufig bis zum 1. April. Die Frage kefinde sich darnach allerdings noch in der Schwebe; vermutblich würden die Leihämter geschlassen werden, wenn keine Aussicht mehr vorhanden sei, daß der Maagistrat in weitere Verhandlungen eintrete. Frage man we ter, wie sich die bisherigen Verhandlungen wegen Uebernahme der Leihämter ab— gewickelt haben, so müsse man gestchen, daß dabei ganz eigene Um⸗ stärde obwalten. Zuerst war der Magistrat ganz geneigt zur Ueber- nahme, dann tauchten finanzielle Bedenken auf, und endlich stellte der Mazxistrat das Verlangen, über die Vermögensver⸗ hältnisse der Entleiher statistische Nachrichten von mehreren Jahren zu sammeln. Dazu feble aber der Direktion der Leihämter die noth— . e

= trotzdem habe sie aber den Nachweis pro 15733 74 aufgestell', und daraus gehe hervor, daß die Zahl der ver⸗ setzten Silbersachen, Pretiesen 2c. 44 ½ beträgt, daß die Zahl der Pfänder sich auf 2760,00, die Summe der Darlehen auf 14 Mil- lionen Thaler stellte. Redner widerlegte sodann die Behauptung, daß die Leihämter überflüssig seien, daß sie der Liederlichkeit und dem Leichtsinn Vorschub leisten; 38 9 der sogenannten kleinen Leute seien mit ihrem Kredit aussckließlich auf die Leihämter angewiesen. und der Hauxtverkehr falle nicht mit den Festen, sondern mit den Quar—⸗ tals schlüssen, mit den Miethszahlunges zusammen. Auch die Behaup⸗ tung, daß in den letzten Jahren in keiner Stadt Anträge auf Errich—⸗ tung öffentlicher Leihämter oder Reform derselben gestellt seien, könne nicht auf Richtigkeit Anspruch machen; derartige Anträge liegen vor aus Danzig, Thorn, Tilsit, Frankfurt a. M. ꝛc., und städtische, resp. staatliche Leihämter bestehen in Breslau,. Königsberg, Stettin, Cöln, Posen, Cassel, Erfurt, Wien, Halle, Riga, Paris 2c. Ganz falsch sei die Behauptung, daß die Zahl der nicht eingelöften Pfänder he= denklich groß sei, denn die Zahl betrug nur 160 Prozent, 1870

wendige Arbeitskraft;

11586 o90w 9, 1871 1,3 o, 1872 2.73 Redner bestritt ferner die Un⸗ remabilität der Kögialichen Leihamter und betonte, daß 1875 der Ueberschuß der Leibämter 45, 60M betrug und für 1876 auf 183 000 Thaler veranschlagt sei. Er sei der Änsicht, daß es sich empfehle, wenn der Magistrat mit der Stadtrerordnetenversammlung in ge— wäschter Deputatien vorläufig über die Möglichkeit der Erhöhung des Zins satzes und über die Vorschriften des Leihamts⸗Reglements berathe; sei dies der Fall, dann würden die Leihämter sogar als ein ganz rentables Geschäft für die Stadt bezeichnet werden können.

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( 7 Aber mit Räüciicht auf die in den letzten Tagen bekannt gewordenen 5 nge ( as strats gegenüber den auf Selbsthülfe hinaus chen der Bürgerschaft habe er mit seinen Freunden age auf Niedersetzung einer gemischten Deputatien Abstand genommen und empfehle deshalb folgende Reso⸗ lution zur Annahme:

Die Versammlung verzichtet vorläufig auf eine weitere Verfol⸗ gung der Leihhausfrage, weil aus der Bürgerschaft heraus die Ein- richtung öffentlicher Leihhäuser auf Grundlage der Selbsthülfe an⸗ geregt werden ist und das Ergebniß der hierauf bezüglichen Bestre⸗ bungen zunächst abgewartet warden muß. Die Versammlung behält sich jedech vor, erferderlichenfalls durch besendere Anträge diese Frage erneut wieder aufjuneh men.

Nach längerer Diekussion wurde dicse Resolution mit 63 gegen 35 Stimmen abgelehnt.

Es folgte die Wahl eines Stadtschulraths für das höhere Schulwesen an Stelle des aus geichiedenen Prof. Dr. Hofmann. Es wurden g5 Stimmzettel abgegeben, von denen 65 für den Direktor des städtischen Gomnasiumz in Danzig, Dr. Cauer, 32 für den Direktor Dr. Kern hierselbst lauteten. Sr. Dr. Cauer ist demnach auf die Dauer der nächsten zwölf Jahte zum Stadtschulrath gewählt.

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Der Schultzsche Antrag, den Magistrat um regelmäßige ckemische und mikroskopische Untersuchungen des Wassers der städtischen Wasserwerke 2c. zu ersuchen, wurde mit der Maßgabe angenommen, daß der Magistrat aufgefordert werden soll, hierüber nur eine Vorlage zu machen.

Aus der am 11. v. M. abgehaltenen Sitzung der Archäg— logijschen Gesellschaft in Berlin heben wir hervor, daß Prof. Dr. Curtius über den „Stand der Ausgrabungen in Olympia“ sprach, worauf Prof. Dr. Adler das schon vor längerer Zeit erschienene, aber wenig bekannt gewordene Werk des Architekten

Bouchet: Compositiens antiques vorlegte und nach Erläu—

terung des in künftlerischer Beziehung bedeutsamen Inhalts zur Er⸗ ganzung für archäologische Apparate an Universitäten und Gymnasien warm empfahl. Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten be— sprach De. Trendelenburg das Prachtwerk von K. Woermann: die antiken Odysseelandschaften vom esquilinischen

Hügel in Rom, in welchem zum ersten Male diese in den Jahren

1818 50 aufgedeckten und sowohl durch ihre Darstellungen, sowie durch die Schönheit des landschaftlichen Hintergrundes ausgezeich— neten Wandgemälde in farbigen Nachbildungen veröffentlicht werden. Die chlomo⸗lithographischen Tafeln, hervorgegangen aus der litho— graphischen Anstalt von Loeillot, reihen sid würdig den Publikatio— nen der Arundel Societ5“ und den „Hildebrandschen Aquarellen“ an. Ueber den engen Kreis der Fachgenossen hinaus werden diese schön⸗ sten Landschaftsbilder, die das Alterthum hinterlassen hat, lebhaftes Interesse erregen, da sie zum ersten Male einen Einblick in das künst⸗ lerische Vermögen der Alten auf diesem scheinbar so ganz modernen Kunstgebiete gewähren. In dem beigegebenen Texte hat Woermann die Daistellungen der Bilder und ihre kunftgeschichtliche Bedeutung eingehend erläutert. Er setzt die Zeit ihrer Entstehung in die ersten Jahre des Kaiserreichs oder in die letzten der Republik. Die Vorläufer die⸗ ser Komposition sind, wie Woermann in dem mit den Odysseelandschaften gleichzeitig erschienenen umfangreichen Werke „Die Landschaft in der Kunst der Alten“ (München, Ackermann, 1876) ausführlich nachweist, in der hellenistischen Epoche der griechischen Kunst entstanden; denn erst seit Alexander dem Großen haben die Griechen eine selbständige Landsckafts malerei gehabt und ausgebildet. Zwar sind ihre Leistungen hierin nie so vollkommen gewesen, wie auf andern Gebieten der bil⸗ denden Kunst; denn der Mangel einer wissenschaftlichen Perspektive, die geringere Innigkeit des antiken Naiurzefühls, die Belebung der ganzen Natur durch anthropomorphische, ideale und mythische Ge⸗ stalten und andere Ursachen haben ihrer Landschaftsmalerei bestimmte k auch in den Odysseebildern wahrnehmbare Mängel stets anhaften assen.

Die 7. Kriminal⸗Deputation des Stadtgerichts publizirte gestern Nachmittag 2 Uhr das Urtheil in dem Prozesse gegen den Redactenr der „Deutschen Eisenbahn⸗Zeitung“ Joachim Gehlsen. Der Angeklagte hat zugestanden, die inkriminirten Artikel mit dem vollen Bewußsein von ihrem Inhalte veröffentlicht zu haben; der Gerichtshof hat daher angensmmen, er müsse deshalb schon nach allgemeinen strafrechtlicen Grundsätzen als der Thäter haften. Die erste Serie von neun Artikeln, welche gegen die Mitglieder des Auf sichtsrathes der rumänischen Eisenbahngesellschaft gerichtet seien, enthalten nach der Behauptung der Staatsanwaltschaft Be⸗ leidigungen im Sinne des 5. 185 und 5§. 186 des St. G. B., außerdem sei in zwei Artikeln eine Beleidizung des Fürsten Bismarck zu finden. Was die erste Serie be⸗ treffe, so enthalten zweifelles sämmtliche Artikel Beleidigungen im Sinne des 5. 185; das Kollegium ist aber der Ansicht gewesen, daß in sämmtlichen Artikeln eine Uebertretung des §. 186 gefunden wer— den müsse. Es werden dem Aufsichtsrath darin vorgeworfen: 1) Preß— bestechungen; ?) fträflicher Leichtsint, durch den die Aktionäre um viele Millionen geschädigt seien; 3) daß die Gesellschaft durch den Aufsichtsrath kreditlos gemacht sei; 4) eine Ucberschreitung seiner Voll⸗ machten; 5) Täuschungsmanipulationen durch sogenannte „Stroh⸗ männer“ und endlich 6) eine Verdunkelung der Vermögenslage der Gesellschaft durch Aufstellung einer falschen Bilanz. Diese That—⸗ sachen seien geeignet, die Angegriffenen in der öffentlichen Achtung herabzusetzen, und diese Thatsachen seien alle falsch. Die Staatsan⸗ waltschaft habe, wie vom Kollegium anerkannt sei, mit Glück und Erfelg versucht, die Unwahrheiten der Behauptungen nachzu⸗ Keisen. Die von dem Angeklagten in seiner Exzeptionsschrift vorge⸗

krachten neuen Vorwürfe habe der Gerichtshof nicht gewürdigt, weil

dieselben nicht zur Anklage stehen, auch nicht gehörig begründet sind. Was die beiden anderen unter Anklage gestellten Artikel betreffe, so enthalten beide nach Ansicht des Kollegiums Beleidigungen des Fürsten Bismarck Bei der Strafabmessung sei bezüglich der ersten Serie von Artikeln als Milderungsgrund die freilich unvermeidliche Doppel

stellung in Betracht gezogen, welche die Diskontogesellschaft, und

das Haus Bleichröder bei den Operationen eingenommen und daß in der That objektiv eine Schädigung der Aktionäre hinterher staltgefunden haben könne. Diese Deppelstellung hätte allerdings bei den Aktionären allerlei Bedenken und falschen Verdacht erwecken können. Diese strafmildernden Momente werden aber durch viele strafschärfende aufgewoßen. Dazu gehöre einerseits die Stellung des Fürsten Bismarck, als des höchsten Beamten im Reich, anderer seits die hohe und achtbare Stellung eines großen Theils der an⸗ gegriffenen Personen, denen der Angeklagte selbst nichts weiter vorzu⸗ werfen wisse, als etwa, daß sie besser hätten Acht geben sollen; ferner die Hartnäckigkeit der Injurien, die Beständigkeit in den Angriffen des Angeklagten, der, anstatt nach der stattgehabten Beweisführung die Unwahrheit seiner Behauptungen zuzugestehen, noch auf der Anklagebank immer neue Beschuldigungen vorgebracht habe, und endlich die Schwere der Beleidigungen. Einen Gradmesser dieser Schwere habe der Angeklagte selbst gegeben, der es mit Ent— rüstung zurückgewiesen, als der Staatsanwalt nur leise andeutete, daß derselbe aus Eigennutz gehandelt haben könne, der aber seinerseits sich nicht scheute, die Mitglieder des Aufsichtsraths nicht nur des einfachen Eigennutzes, sondern des Eigennutzes und Schädigung fremder Interessen und des gemeinsten Ver⸗ gehens, des Betruges, zu bezichtigen. Aus diesen Gründen habe das Kollegium eine Geldstrafe durchaus nicht für angemessen erachtet, sondern wegen der Beleidigung auf 4 Wochen, wegen des ersten Ru⸗ mänier-Artikels, der die Beleidigten vornehmlich scharf angreirt, eben⸗ falls auf 4 Wochen, wegen jedes der übrigen 8 Artikel auf 14 Tage Gefängniß erkannt und diese einzelnen Strafen auf Grund des Ge— setzes in eine Gesammtstrafe ven 4 Monaten Gefängniß zusammen⸗ gefaßt. Außerdem ist auf Unbrauchbarmachung sämmtlicher inkriminirten Artikel erkannt und sind die Beleidigten autorisirt worden, den Urtels⸗ tenor an hervorragender Stelle der „Deutschen Eisenbahnzeitung' zu veröffentlichen.

Aus Stuttgart, 1. Februar, meldet man der Allg. 3ig.“: Zur Berichtigung einer durch verschiedene Blätter laufenden Notiz uber eine Erkrankung Ferdinand Freiligraths sind wir in der Lage, aus guter Quelle mittheilen zu können, daß der zur Zeit in unserer Nachbarstadt Cansiatt domizilirende Dichter sich allerdings, zunächst in Folge eines ihm vor fast einem Jahre auf der Pferde⸗ bahn zugestoßenen Unfalls, in leidender Gesundheit befindet, daß sein Zustand jedoch zu keinerlei ernstlichen Besorgnissen Anlaß giebt, und daß er mit dem kehrenden Frühjahr auf vollständige Genesung hofft. Unterdessen hat er sich freilich äußerst zu schonen und muß sich na—⸗ mentlich alles Schreibens möglichst enthalten.

Theater.

Trotz der ungeschwächten Zugkraft, welche die Posse Luft- schlösser' im Woltersdorff Theater nech fortwährend aus— übt, müssen die Aufführungen doch in der nächsten Zeit unterbrechen werden, da die Vafseursche Operette „Die Perle der sche⸗ rinnen“ laut kontraktlicher Abmachung noch in diesem Monat gegeben werden muß. Die erste Aufführung des letztgenannten, vollständig neu ausgestatteten Werkes findet nun definitiv am 19. Februar statt und wird die Operettensängerin Fräulein Alma Krause die Titelpartie übernehmen. Die plattdeutschen Vorstellungen werden inzwischen ausgesetzt, um Luftschlösser“ ununterbrochen bis zum 19. d. M. auf dem Repertoire zu erhalten, und wird diese Posse dem⸗ nach übermorgen zum vorletzten Male an einem Sonntag zur Aufführung gelangen.

Im Stadttheater findet das Gesammtgastspiel des Hrn. Direktor Lebrun und der Künstler seines Theaters täglich größeren Anklang und das Haus füllt sich allabendlich mehr; wie es heißt, macht Hr. Direktor Lebrun hiermit einen Versuch, in diesem Stadt⸗ theil festen Fuß zu fassen, um sich hier ganz niederzulassen, sobald die Leitung des Wallner ⸗Theaters, nach Bendigung seiner Pachtzeit, in die Hände des Hrn. Franz Wallner jun. übergeht, wie es das Testament des jetzt verstorbenen Direktors, Geheimen Kommisstons⸗ Rath Wallner, aundrücklich verlangt.

Zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Hof⸗— raths Franz v. Dingelstedt hat sich, der N. A. 3.“ zufolge, der Direktor des Königlichen Schauspiels, Hr. 2 nach Wien begeben, um demselben im Auf trage des General-Inlendanten Herrn v. Hülsen eine Glückwunschadresse der vereinigten fünf preußi⸗ schen Hoftheater zu überbringen.

Redacteur: rehm. Verlag der Expedition (Kessel). Druck W. Elsner. Vier Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

Berlin:

Aichtamtliches.

Deutsches Ne mich.

Preußen. Berlin, 4 Februar. In der an,

(44) Sitzung des Deutschen Reichstages, welcher am Tische des Bundesraths die Bundesbevollmächtigten Präsi⸗ dent des Reichskanzler⸗Amts, Staats-Miniser Br. Delbrück, die Staats- Minister Dr. Achenbach und v. Kameke, der General⸗Major v. Voigts-Rhetz, der General⸗Major v. Fries, mit mehreren Kommissarien beiwohnten, trat das Haus in die zweite Berathung des Gesetzentwürfs, betreffend die weitere Anordnung über Verwendung der durch das Gesetz vom 2. Juli 1873 zum Retablissement des Heeres be⸗ stimmten 106,846, 89 Thlr. und die zu diesem Zwecke ferner erforderlichen Geldmittel, auf Grund des mündlichen Berichtes der Budget-Kommission. Nach einigen Bemerkungen des Refe— renten Abg. Richter (Hagen) wurde das Gesetz ohne Debatte genehmigt.

Es folgte die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, be—

treffend die Verwendung aus der französischen Kriegs kosten⸗

Entschädigung, auf Grund des mündlichen Berichtes der Budget⸗Kommission, welchen ebenfalls der Abg. Richter (Hagen) erstattete. Nach einigen erläuternden Ausführungen des Bundes⸗ kommissars, Geh. Ober⸗Regierungs-Rath Br. Michaelis, wurde die Vorlage ohne Debatte in zweiter Lefung genehmit.

Hierauf folgte die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die zur Erwerbung und Herrichtung eines Schieß⸗ platzes für die Artillerie⸗Prüfungs⸗Kommission, zur Erweite— rung des Dienstgebäudes des Generalstabes der Armee zu Ber— lin und zu Kasernenbauten in Leipzig und Bautzen ferner er— forderlichen, aus der französischen Kriegskostenentfchädigung zu deckenden Geldmittel, auf Grund des mündlichen Berichtes der Budget⸗Kommission.

Auch dieses Gesetz passirte nach dem Vortrage des Refe— renten Abg. Richter (Hagen) ohne Debatte die zweite Lesung.

Die beantragte Resolution wurde in folgender Fassung ge⸗

nehmigt:

„Der Reichstag spricht die Erwartung aus, daß künftig ein bei Nachsuchung von Geldbewilligungen zum Grunde gelegtes Baupro— gramm einseitig nicht geändert werde, auch über erhebliche Mehrkosten, welche sich bei Ausführung eines unveränderten Bauprogramms gegen den der ersten Geldbewilligung zum Grunde gelegten Kostenanscklag ergeben, dem Reichstage bei der nächsten Berathung des Reichshaus— haltsetats Mittheilung gemacht werde.“

Hierauf trat das Haus in die zweite Berathung des Ge— setzentwurfes über die gegenseitigen Hülfskassen. Namens der Kommission referirte Abg. Dr. Oppenheim.

§. L. lautet in der Fassung der Kommissionsbeschlüsse:

Kassen, welche die gegenseitige Unterstützung ihrer Mitglieder für den Fall der Krankheit bezwecken, erhalten die Rechte einer ein— geschriebenen Hülfskasse auf Gegenseitigkeit unter den nach— stehend angegebenen Bedingungen.“

Hierzu beantragte Abg. Rickert: anstatt der Worte „ein— geschriebenen Hülfskassen auf. Gegenseitigkeit! die Fassung der Regierungs vorlage „gegenseitigen Hülfskassen“ wieder herzustellen. Gegen den Antrag erklärten sich, nachdem der Antragsteller den— selben motivirt hatte, die Abgg. Dr. Bamberger und Grumbrecht. Auf Antrag des Referenten drachte der Präsident das Amen— dement Rickert getheilt zur Abstimmung, wobei von der Fassung der Kommission die Worte „auf Gegensestigkeit“ gestrichen wurden. Mit dieser Aenderung wurde §. J angenommen; ebenso §. 2, welcher lautet:

„„Die Kasse hat einen Namen anzunehmen, welcher von dem aller anderen, an demselben Orte oder in derselken Gemeinde befind— lichen Hülfskassen verschieden ist und die zusätzliche Bezeichnung: ingeschriebene Hülfskasse auf Gegenseitigkeit“ enthält.“ .

§. 3 lautet in der Fassung der Kommission:

»Das Statut der Kasse muß Bestimmung treffen:

L-über Namen, Sitz und Zweck der Kasse;

2) über den Beitritt und Austritt der Mitglieder;

; . über die Höhe . ö e. von den Mitgliedern zu entrichten sind, und, falls die Aibeitgeber zu Zuschüssen gesetzlich ver⸗ pflichtet sind, über deren Höhe; . 6 . A) über die Voraussetzungen, die Art und den Umfang der Unter stützungen;

I) über die Bildung des Vorstandes, die Vertretung der zu Zu— schüssen gesetzlich verpflichteten Arbeitgeber in demselben, sowie uber die Legitimation seiner Mitglieder und den Umfang seiner Befugnisse;

6) über die Zusammensetzung und Berufung der Generalversamm— lung, über die Art ihrer Beschlußfaffung und über die Stimm— berechtigung der zu Zuschüssen gesetzlich verpflichteten Arbeitzeber;

7) Über die Abänderung des Statuts;

S8) über die Verwendung des Kassenvermögens im Falle der Auf—⸗ lösung oder Schließung der Kasse;

über die Aufstellung und Prüfung der Jahresrechnung. Das Statut darf keine den Vorschriften dieses Gesetzes zuwider⸗ laufende Bestimmung enthalten.“

Hierzu beantragte Abg. Grumbrecht: dem letzten Absatze des Paragraphen folgende Fassung zu geben:

„Das Statut darf keine Bestimmung enthalten, welche mit dem Zwecke der Kasse nicht in Verbindung steht eder den Vorschriften dieses Gesetzes zuwiderläuft.“

und Abg. Bebel: in Nr. 5 und 6 die Worte „die Vertretung der zu Zuschüssen gesetzlich verpflichteten Arbeitgeber in denselben? zu streichen.

Die Antragsteller motivirten ihre Anträge, worauf der Abg. Sonnemann das Amendement Bebel zur Annahme empfahl. Der Negierungskommissar, Geheimer Regierungs-Rath Nieberding, führte aus, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes die Betheili— gung der Arbeitgeber am Borstande nicht obligatorisch sei. Abg. Bebel gab dies zwar zu, glaubte jedoch, daß die faktischen Ver—⸗ hal mmisse die Lage der Sache anders und zwar zum Nachtheil der Arbeiter gestalten würden. Dieselbe Auffassung, wie der Regierungskomimissar, vertrat der Abg. v. Heereman und nach dem Schluß der Debatte auch der Referent Abg. Dr. Oppen⸗ hein. Das Amendement Bebel wurde abgelehnt, das Amende— ment Grumbrecht dagegen und mit dieser Aenderung §. 3 an⸗ genommen.

§. 4 lautet:

3 -Das Statut ist der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk die Kasse ihren Sitz nimmt, in doppelter Ausfertigung einzu- 2 Die höhere Verwaͤltungsbehörde hat über die Zulafsung der 2 entscheiden. Der Bescheid ist innerhalb sechs Wochen zu

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Erste Beilage

Berlin, Freitag, den 4. Februar

Anforderungen dieses Gesetzes nicht genügt. Wird die Zulassung ver sagt, so sind die Gründe mitzutheilen. Gegen die Verfagung' steht

Zulassung ausgesprochen, so ist eine Ausferfigung des Statuts, verfehen mit dem Vermerke der erfolgten Zalassung, zurückzugeben.

Abänderungen dis Statuts unterliegen den gleichen Vorschriften.

Eine Hülfskasse, welche behufs Echebung der Beiträge und Zah- lung der Unterstützungen örtliche Verwaltungsstellen einrichtet, hat ihre Zulassung bei derjenigen Verwaltungsbehörde zu erwerben, in deren Bezirk die Hauptkasse ihrea Sitz hat.

Die höhere Verwaltungs bel oörde hat den Namen der zugelassenen Hülfskassen in ein Register einzutragen.“ ;

S. 5 lautet:

Die Kasse kann unter ihrem Namen Rechte erwerben und Ver bindlichkeiten einzehen, Eigenthum und andere dingliche Rechte an Grůndstũcken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden.

Für alle Verbindlichkeiten der Kasse haftet den Kassengläubigern nur das Vermögen der Kasse.

. Der ordentliche Gerichtsstand ist bei dem Gerichte, in dessen Be—⸗ zirk die Kasse ihren Sitz hat.“ . .

Beide Paragraphen wurden ohne Debatte genehmigt.

S. 6 lautet:

. Zum Beitritt der Mitglieder ist eine schriftliche Erklärung oder eine Erklärung vor dem Vorstande erforderlich.

Den Mitgliedern darf die Verpflichtung zu Handlungen oder Unterlaffungen, welche mit dem Kassenzweck in kesner Verbind ung stehen, nicht auferlegt werden.“

Zugleich wurde mit zur Diskussion gestellt 8. 15, welcher lautet:

„Der Ausschluß von Mitgliedern aus der Kasse kann nur unter den durch das Statut bestimmten Formen und aus den darin kezeich— neten Gründen erfolgen. Er ist nur zulässig bei dem Wegfall einer die Aufnahme bedingenden Voraussetzung, für den Fall einer Zah— lungssäumnitz oder einer solchen strafbaren Handlung, welche eine Verletzung der Bestimmungen des Statuts in sich schließt. Jedoch können wegen des Austrittes oder Ausschlusses aus einer Gesellschaft oder einem Vereine Mitglieder, welche einer Kasse drei Jahre ange— hört haben, nicht mehr aus dieser Kafse ausgeschlossen werden.“

Hiezu beantragten: 1) Abg. Heyl:

„Zu 5§. 6 der Kommissionsbeschluͤsse als 3. Alinea hinzuzufügen: Ingleichen darf ihnen die Betheiligung an solchen Gesellschaften oder Vereinen, welche politische Zwecke verfolgen, nicht zur Bedingung ge— stellt werden.“

2) Abg. Grumbrecht:

S. 15 in dem letzten Satze die Worte: „welche einer Kasse drei Jabre angehört haben“ und das Wort: „mehr“ zu streichen.“

Nachdem der Abg. Heyl seinen Antrag zu Gunsten des Grumbrechtschen Amendements zu §. 15 zurückgezogen hatte, führte der Bundes kommissar Geheime Regierungs⸗Rath Nieber— ding aus, die Regierungen beabsichtigten keineswegs mit Hülfe

schaftlichen Zwecke entgegenzutreten, sondern im Gegentheil diefe Interessen zu fördern. Der Abg. Dr. Schultze⸗-Delitzsch erklärte, daß für ihn die Ablehnung der Kommissionsfassung gleich— bedeutend sei mit dem Verbot der freien Kassen im Ganzen. Die Remedur gegen einen solchen Schlag würde der preußische Landtag zu schaffen haben, während der Reichstag die partikuͤ— laren Gesetzgebungen in richtige Bahnen lenken sollte.

Der Abg. Jacobi wendete sich gegen die Ausführungen des Bundeskommissars. Der Anschluß an den Verein sei der allein richtige Boden für das Hülfskassenwesen, da die bestehenden Hülfskassen eben dem Vereinsleben ihren Aufschwung verdanken. Sollte die Erfahrung lehren, daß man mit dem Vorschlag der Kommission wirklich auf eine gefährliche Brücke getreten sei, so würde in der nächsten Session immer noch Zeit zu einer Ab— änderung des Gesetzes sein. Der Abg. Westermayer war ebenfalls gegen die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Der Abg. Thiel betämpfte vorzüglich das Amendement Grumbrecht, welches die Disziplin der freien Vereine, damit aber diese Bildungen selbst unterbinden und den sozialen Konflikt nur verschärfen müsse. Der Abg. Duncker empfahl sein Amendement, welches sich von dem Bebelschen nur durch die bessere redaktionelle Fassung unterscheide, auf dem Boden der Kommissionsvorschläge stehe und diese nur in zweckmäßiger Weise ergänze, während das der Regierungsvorlage am nächsten stehende Amendement Grumbrecht bei allen Arbeitern die Em— pfindung schneidenden Unrechts und ungleicher Behandlung gegenüber den Arbeitgebern hervorrufen müsse. Eventuell sei immer noch dem Amendement Moufang der Vorzug zu geben, sofern sich eine Fassung dafür finden lasse, welche dem Richter einen bestimmten Anhalt bezüglich der Höhe des von dem Aus— geschlossenen zu beanspruchenden Schadenersatzes giebt. Die F§5§. 3, 6 und 15 der Regierungsvorlage würden im Zusammen— hange den Staatsanwälten die beste Handhabe gegen das Vereinswesen geben, gleichzeitig aber den Vereinen die Mittel entziehen, eine gesunde Organisation der Arbeiterklasse herbeizu⸗ führen, welche es ihnen endlich ermöglicht, statt agitatorischer Zwecke, wirklich die Verbesserung ihres Looses zu erstreben.

Der Bundesbevollmächtige Staats⸗-Minister Dr. Achenbach meinte, in der heutigen bewegten Zeit werde man, auch wenn man von jedem Parteistandpunkte absieht, nicht bestreiten, daß das heutige Vereinswesen Auswüchse aufweist, die die unbe— dingteste Verurtheilung verdienen, und welche durch die Kom— missionsbeschlüsse in die Lage kommen würden, die Privilegien des Gesetzes auszubeuten. Es wäre eine klägliche Rolle, wenn der Staat einer solchen Eventualität waffenlos gegenüberstehen sollte. (S. unter Reichstagsangelegenheiten. Der Abg. Dr. Hänel sprach die Ansicht aus, daß in dem Augenblick, wo es zulässig sei, gegen den Willen eines Vereins bestimmte Mitglieder seiner Kasse zuzuführen, in der That der alte Zusammenhang zwischen Verein und Kasse und alle die segens⸗ reichen daraus hervorgegangenen Wirkungen zerstört werden würden.

Abg. Bebel wies auf den Widerspruch hin, der darin liege, daß man durch die Regierungsvorlage die Arbeiter vor dem Terrorismus der sozialdemokratischen Vereine schützen wolle, während die Petitionen aller Arbeiter ohne Unterschied der Partei⸗ stellung gegen einen solchen Schutz protestiren. Im vorliegenden Falle beschränke sich die Regierung, ohne Thatsachen anzuführen, in den Motiven auf die allgemeine Bemerkung, daß die Be⸗ theiligung an Arbeitseinstellungen c. erpreßt werden „könnte“. Der Bundesbevollmächtigte Handels⸗Minister Dr. Achen⸗ bach wies darauf hin, daß es der Regierung un—

Die Zulassung darf nur versagt werden, wenn das Statut den

der Rekurs zu; wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der S8. 20 und 21 der Gewerbeordnung. Wird die

dieser Paragraphen jeder Assoziation der Arbeiter für ihre wirth—

zum Deutschen Reichs⸗-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

1876. a bel ent mee lage anzuführen, da es sich de lege ferenda handele. (S unter Reichstags angelegenheiten.) Nach einer Schlußbemerkung des Neferenten Abg. Dr. Op⸗ Penheim wurde bei der Abstimmung hierauf der F§. 6 in der Fassung der Kommissionsbeschlüsse, und sodann nach Ablehnung des Amendements Moufang (dafür das Centrum und die So⸗ zialisten) und des Amendements Duncker (dafür die Fortschritts⸗ partei das Centrum und die Sozialisten) der 5. J5 mit dem Amendement Grumbrecht angenommen. Die Annahme des Amendements Grambrecht erfolgte bei Zählung mit 121 gegen 120 Stimmen, und das Amendement Bebel war zu Gunsten des Amendements Duncker zurückgezogen.

Die Berathung wendete sich hierauf dem 8. 7 zu, welcher von dem Beginn des Rechtes auf Unterstützung und vom Aus- schluß der Unterstützung handelt.

Nach den die Kommissionsbeschlüsse befürwortenden Bemer— kungen des Referenten vertagte jedoch das Haus um 41 Uyr die

weitere Debatte bis Abends 73 Ühr.

Neichstags⸗Angelegenheiten.

. Berlin 4. Februar. In der gestrigen Sitzung des Deuischen Reichstags nahm in der Diskuͤssion über 35. 6 und 15 des Gesetzentwurfs über die gegenseitigen Hülfskassen der Bundesbevollmächtigte Staats-Minsster Dr. Achenbach nach dem Abg. Thiel das Wort:

. Meine Herren! Die eingehenden Debatten, welche über die SS. 6 und 15 sowohl in der Kommission wie im Plenum statt- gefunden haben, liefern wohl den Beweis, daß es sich hier um einen Kernpunkt des ganzen Gesetzes handelt. Ich darf meinestheils Namenz der verbündeten Regierungen die Versicherung abgeben, daß sie selbst mit ganz derselben Ruhe in die Erwägung der hier vor— liegenden Frage eingetreten sind, wie dies Seitens des Reichstags ge— schehen ist und heute geschieht. Ich bin für mein Theil hoch erfreut, daß diese wichtige Angelegenheit eine so ruhige und vielseitige Er= wagung, wie es denn auch nicht anders erwartet werden konnte, in diesem hohen Hause fand. Dem gegenüber geziemt es sich aber auch, daß rüchaltslos Seitens der verbündeten Regierungen nochmals diejenigen Gründe kurz erwähnt werden, welche Fur sie bestimmend gewesen sind.

Meine Herren! Die verbündeten Regierungen wollen, wie die Herren Vortedner, das Wohl der Arbeiter auch auf diesem Gebiete fördern; sie theilen ganz und gar diejenigen Wünsche, welche Sie socben gehört haben. Auf der anderen Seite haben sie sich aber nicht der Ueberzeugung verschließen können, daß es sich nicht lediglich,

wie einer der Herren Vorredner sagte, um die Frage der allgemeinen Gleichßeit und Freiheit der Bewegung

handle, sondern daß durch dieses Gesetz einmal bestimmte Privilegien an gewisse Kassen verliehen werden sollen, und daß daher naturgemäß der Gesetzgeber, wenn er diese Privilegien verleiht, sich die Frage stellen muß: an wen verleihe ich solche Reckte? Sodann kommt ein zweiter, noch viel wichtigerer Gesichtspunkt hinzu, daß dieselben Ge— setze, die Sie berathen haben, dem Arbeiter unter Umständen einen Zwang auferlegen, diesen Instituten beizutreten. Die Frage, wie die Kasse beschaffen sei, welcher einmal jenes Privilegium beigelegt wird und zu der der Arbeiter beizutreten nach diesem Gesetze gezwungen wird, ist also jedenfalls eine ganz hervorragende.

Nun ist von allen denjenigen Herren, welche den 5. 6 bekämpfen, hier, wie in der Kommission darauf hingewiesen, daß das Kassenwesen gewissermaßen die eigentliche Blüthe des Vereinswesens sei; das Vereinswesen in der vorgeschlagenen Art von den Kassen zu trennen, heiße daher in der That von vornherein die Pulsadern den neuen Justitu⸗ ten unterbinden. Man weist auf die Vergangenheit hin; man erwähnt, wie im Mittelalter das Kassenwesen in engster Weise mit den korpo⸗ rativen Genossenschaften verwachsen gewesen sei. Gewiß ist dies nicht zu bestreiten, wenn wir beispielsweise im Mittelalter die Zünfte, religiöse Brüderschaften und ähnliche Vereinigungen in Betracht ziehen. Aber, meine Herren, bei allen diesen Vereinen, bei denen das Kassenwesen ein Mitzweck, ein Theil ihrer Aufgaben war, handelt es sich doch um solche Verbände, welche nach dem damaligen Recht gewissermaßen in den allgemeinen Verband des Gemeinde- und kirchlichen Wesens eingefügt waren.

Die Zünfte, um bei diesem Beispiel zu bleiben, bildeten öffentlich anerkannte, in die Verfassunz der Gemeinde, der Stadt eingefügte Korporationen. Es hatte also kein Bedenken, bei diesen einzelnen, öffentlich anerkannten Verbänden auch das Kassenwesen so zuzulassen, wie es sich in der Vergangenheit entwickelt hat.

Jetzt aber stehen wir vor einer ganz anderen Frage. Wollte man dem eben angegebenen Gesichtépunkte Rechnung tragen, so würde meiner Ansicht nach kein anderer Weg einschlagbar sein, als derjenige, den der Hr. Abg. Schulze (Delitzsch) vor einigen Jahren betreten hat, d. h. nämlich, daß ein Vereinsgesetz eingebracht und daß als Zweck der betreffenden Vereine auch unter anderm das Kassenwesen ange⸗ führt werde. Liegt der Entwurf eines solchen Vereinsgesetzes vor, so maß naturgemäß, wie das auch Seitens der damaligen Kom⸗ mission geschehen ist, der hohe Reichstag in die Prüfung der Frage eintreten, welchen Vereinen das Privilegium der korpsrativen Eigen schaft und jene andern Vorrechte zu zewähren seien, und welchen nicht. Sie haben bereits vorhin aus dem Munde des Herrm. Regierungs-Kommissars gehört, ich darf nur daran erinnern, daß die damalige Kommission zu dem Resultate gelangte, daß in der heutigen Zeit politischen Vereinen, religiösen Vereinen, gewissen Streitvereinen die Qaalität der Korporation nach Ma5gabe des entworfenen Gesetzes nicht beigelegt werden könne. Bei einem solchen Vorgehen würde der Reichstag in der Lage sein, eir e Schei⸗ dung zwischen den einzelnen Vereinen vorzunehmen, und zu vestimmen, welchen jene korporative Eigenschaft beizulegen, und welchen dieselbe zu versagen sei. ;

Gegenwärtig aber wird ein anderer Weg beschwitten! Wir er lassen ein Kassengesetz, und es wird von denjenigen Herren, welche die Regierungsvorlage bekämpfen. die Anforde rung gestellt, daß es unbedingt zulässig sein müsse, den Müaliedern der Kassen vorzuschreiben, daß sie gleichzeitig Mitglieder von Vereinen seien.

Meine Herren! Was erreichen wir * erdurch 5 Der ende me den nach dem Entwurfe die Rechte der err, et oer , mwer=

ö t echte juristischen Person beigelegt. Es wird nun aber Niemand in dies⸗ m hohen Hause sein, der estrei ten könnte, daß die Beilegung di ser Ei enschaft an * 3 . ae. wesentlicher Rückwirkung auf 1e Cräfti 6

J ; w ie Kräftigung und Dauerhaftigkeit des en 1 Hinter der Kaffe steht. Ich kann geradezu e n, . . lurist chen Per senlichteit ah die Kasse enthält stehenden Veen, . er e, . Persönlichkeit an den hinter ihr . 1 , ann mit Hülfe dieser Eigenschaft der Kasse md * , itãt auch zu anderen Zwecken ausbeuten. Wir nd elo augenblicklich im Begriffe, ohne jede Prüfung der Eigen- . der einzelnen Vereine ihnen die juristische Qualität belzu⸗

11. Ich komme aber hier zu meinen Eingangsworten zurũck. Der

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angedeutete Effekt, ist noch keineswegä: der gefaͤhrlichste. Wir erlassen nämlich gleichzeitig . . durch welche wir die Arbeiter zwingen, diefen Kassen beizu

möglich sei, bestimmte Thatsachen zur Motivirung ihrer Vor.

treten. Es hat dies also den Erfolg, daß fogar Vereine, welche

.