Einer mit großem Beifall aufgenommenen Rede, die der Reich stagsabgeordnete Dr. Bam berger am 20. d. M. in einer Versammlung des Reichsvereins in Dresden ge⸗ halten hat, entnehmen wir folgende Stellen:
Es darf nicht verwundern, daß wir jetzt in einer schweren Zeit leben; denn nicht immer ist bles der Anfang schwer, oft ist noch schwerer das Echalten und weiter Vorwärtegehen. Nach den großen Erfolgen der letzten Jahre durfte es nicht beftemden, daß das Alte wieder emporzukommen suchte, und dies zeigte sich zunächft beim Kulturkampfe Seitens der kathotischen Priesterherrschaft. Und dech bemerken wir auch her schon eine Wendung zum Bessern. Ich er⸗ kenne sie erftens darin, daß zum ersten Male die Frage auftauchte: ob der Kampf zum Stillstande gekommen? Nun, auf dem Reichs—⸗ tage wenigstens sind wir diesmal mit religiösen Dieputationen ver. schort geblieben, und das war gut für das Reich wie für die Religion!
Ich erkenne die günstige Wendunz aber auch zweitens in dem Gerücht, daß der Kanzler an Frieden mit dem Centrum denke. Wer anders konnte dies verbreiten als die Ultramontanen, deren größte Furcht es ist, daß der niedere Klerus national werde. Derselbe muß eingeschüchtert werden durch die Gefahr, welche er liefe, wenn bei seinem voreiligen Uebergange der Staat dann später Frieden mit der Kirche mache. Und doch ist dieser Friede nicht möglich mit einer Macht, deren Gegenleistungen stets auszubleien pflegen. Der Staat muß sein Recht wabren, und der Kanzler ist der letzte, es aufzugeben.
Das dritte Srmpton finde sich darin, daß selbst bei der Fori⸗ schrürspartei der Grundsatz von der freien Kirche im freien Staat: nicht mehr viel Anhänger zählt, und das letze endlich in dem Zu sammensturz der carlistischen Macht in Spanien und in dem Um⸗ stande, daß auch in Frankreich die Ultramontanen bei den Wahlen geschlagen worden sind. Kurz der Ultramontanismus wächst nicht weiter, und was nicht weiter wächst, muß zurückgehen. .
In Sachsen mag man übrigens von dieser Partei nur wenig ge⸗ spärt haben, desto mehr aber von der entgegengesetzten. Wie Sachsen immer das Blachfeld für europäische Schlachten war, so haben es auch j etzt die Neuerungssüchtigen zu ihrem Tammelxlatz auserkoren und es hat gegen die Sozialen im gemein samen Interesse zu kämpfen, denn wir wihsen, daß vom Sozialismus zum Kommunismus nur Ein Schritt übrig bleibt. .
Und doch dürfen wir die Gefahr für nickt zu groß ansehen. Zu— nächst mässen wir bedenker, welche Schuld dem Ucbermuth indu—⸗ strieller Unternebmungen und dem zunehmenden Luxus dabei zufällt, und sodann müssen wir bedenken, daß die ganze Geschichte keinen Staat kenrt, wo diese Volksbeglücker dauernd geschafft hätten. Sie können rur negativ wirken. Nur eige Revelution in sozialem Sinne ist möglich, aber Sie kann — wie die Unruhen der Gracchen, die Bauernkriege, die große französische Revolution, die Pariser Kom ˖ mune ꝛ(. — nur eine raich vorübergehende Periode sein. Immerhin ift die Gefahr noch groß genug, sie liegt zunächst darin, daß das sozialdemokratische Treiben unser nationales Leben von der Gemüths— seste vergiftet, daß die Aufceizungz zum Haß unsere politische Lust mit bösartigen Stoffen erfüllt, und schon das ist cin nationales Unglöck.
Dazu kommt zweitens die Schädigunz unserer nationalen Arbeit. Die Aufstachelung der Arbeiter ist am meisten schuld an dem Rück— gange unseter Leistungen und unserer Produktion. Die im Kriege er— worbdene Kundsch ft ging durch die Mitielmäßigkeit und Liederlichkeit unserer Arkeit wieder verloren. Nicht weil uns Schutz ölle fehlten, die nur die eigene Liederlichkeit nech fördern würden, sondern wir verloren die Kundichait wieder, weil uns das Ausland übertraf. Leider trugen dazu auch die Auswächse der Gründungen bei. Die Aktienform ist nicht die natürliche Form für das Gewerbe, sie darf nur eintreten, wo die Kraft Einjelner nicht ausreicht. Nur die Verantwortung des einzelnen Kopfes, der geistige Zusammenhang des Chefs mit seinen Arbeitern schafft gediegene Arbeit; die Ein⸗ mischung von Leuten, die nach der Befriedigsng ihres Egoismus zurücktreten, und die Anstellung nichtinteressirter Beamten ist ihr Ted. Das alles kennt man bereits und darum werdendie jetzigen schlimmen Zeiten auch wieder zur Besserung führen.
Schicksal einer Nation entspringt dem eigenen Innern. Das könnte uns faft besorgt machen und zu der Fraze veranlassen, ob uns infolge langer fruͤherer Uneixzigkeit nicht Mangel an politi⸗ schem Talent und Geschick vorzuwerfen sei, das doch so nöthig, um zu Ter ersehnten staatilichen Entwickelung zu gelangen? Wo daher zartikulariftische Gefühle und Gesinnungen sich breit machen auf Kosten des Reiches, da mözen alle Nationalen zusammenstehen, da⸗ mit ein Nachwuchs für Bismarck nicht fehle. Unsere ganze Zukunft beruht darauf, daß wir alle national werden und treu stehen zu Kai—⸗ ser und Reich. in St. Petersburger Briefe vom 20. Februar in
em. Ztg.“ vom 25. sind nachstehende Notizen über
e Presse entnommen:
rufsische „St. Petersburger Zeitung“, war aus den Händen des Hrn. Koroch, ihres jahrelangen Heraus— gebers und Redacteurs, in die Hände des hiesigen Bankiers und Herausgebers der „Finanzrevue', Hrn. Baimakow, übergegangen, der den Franco⸗Russen, Grafen Salias, mit der Redaktion dieser alten akademischen Zeitung betraute, aber bald zu einer andern Wahl schreiten mußte, weil der genannte Graf den Erwartungen nicht entsprach. Alle späteren Versuche, eine stabile Redaktion zu schaffen, miß⸗ langen, bis es Hrn. Baimakow endlich gelang, in der Person des Herausgebers und Redacteurs der „Börse,“ des Hrn. P. Ussow, einen Redacteur zu gewinnen, der sowohl der Regie⸗ rung genehm war als auch genügende Beweise seiner redak—⸗ tionellen Tüchtigkeit bereits abgelegt hatte. .. . Der Heraus⸗ geber dieser Zeitung ist demnach gleichzeitig Herausgeber und Redacteur der Wochenschrift „Finanzrevue“n — der Redacteur ist gleichzeitig Serausgeber und Redacteur der politisch⸗kommer⸗ ziellen Zeitung Börse“, und der Leiter des politischen Theils der ersteren schreibt zugleich alle politischen Leimartikel der letz⸗ teren, obgleich die politische Tendenz beider Zeitungen wesentlich von einander abweicht.
Unter allen St. Petersburger Zeitungen ist der „Golos“ noch immer die bedeutendste, und es ist nicht zu leugnen, daß demselben gute Kräfte zur Verfügung stehen und daß er mit Geschick redigirt wird. Er scheint sich mit dem Drei⸗Faiser⸗
ũĩ 5 befreundet zu haben. In einzelnen Fällen zeigte sich
Golos“ sogar als entschiedener Freund Deutsch⸗ lands doch darf dies keineswegs zu sanguinischen Hoffnungen
Wir Deutschen verlangen ja von einer russischen Zei⸗ tung keineswegs, daß fie uns mehr begünstigt, als andere Na⸗ tionalitaten. Wir wünschen aber, daß man uns Wohlwollen zeigt, wie wir dasselbe den russischen Verhältnissen entgegen⸗ tragen, und daß man unsere Lage unparteiisch beurtheilt. Letz⸗ teres hat der Golos“ gethan und wir haben zunächst keine Ursache uns über denselben zu beklagen.
Auch die Moskauer Zeitung“ dokumentirt schon seit ge⸗ raumer Zeit eine gewisse Anerkennung der deutschen Politik nach innen und außen und gehört jetzt in ausgesprochener Weise zu unsern Freunden. Diese Wandlung ist wohl den Beziehungen zuzuschreiben, welche diese große Zeitung zu dem Grafen Tolstoi, dem Minister der Volksaufklärung unterhält. Sie steht mit offenem Visir auf der Seite des Drei⸗Kaiser⸗Bundes und ergreift jede sich ihr bietende Gelegenheit zur Stärkung desselben. Es ift erfreulich, daß gerade die beiden größten Zeitungen Ruß⸗ lands zu warmen Vertheidigern dieser politischen Konstellation
geworden sind, denn es ist nicht in Abrede zu stellen, daß der Einfluß dieser beiden Zeitungen auf Gestaltung der öffentlichen Meinung in Rußland von Bedeutung ist.
Kehren wir zu den übrigen St. Petersburger Zeitungen zurück, so müssen wir zunächst konstatiren, daß die hier erschei⸗ nenden russischen Blätter mehr oder weniger alle ziemlich deutsch⸗ feindlich gefärbt sind. Die deutsch⸗feindliche Tendenz der „Bör⸗ senzeitung“ dokumentirt sich wo sich nur Gelegenheit dazu bietet, ist aber auch mit die Veranlassung geworden, in Handelskreisen den Einfluß dieser Zeitung zu schwächen.
Die „Neue Zeit“, im vergangenen Jahr in die Hände des früheren Redacteurs und Herausgebers der „Börsenzeitung“, Hrn. Trubnikoff, übergegangen, verfolgt ebenfalls eine deutsch ˖ feindliche Richtung. Trubnikoff beabsichtigt, dem Vernehmen nach, die „Neue Zeit“ in ein Aktienunternehmen umzuwandeln.
Die „Russische Welt“ ist von größeren Zeitungen, so zu sagen, das einzige Parteiorgan Rußlands, indem hinter der - selben die großslavische Partei steht. Diese Partei ist im gegen⸗ wärtigen Augenblick wenig zahlreich und daher auch ohne maß⸗ gebenden Einfluß, ebenso das Organ, welches ihre Interessen vertritt. Die ausgesprochen deutsch⸗feindliche Richtung der „Russischen Welt“ erklärt sich aus dem eben Gesagten. Der Artikel, welchen sie unlängst über das Prozentverhältniß der Deutschen im russichen Staatsdienst brachte, hat in Deutschland viel Staub aufgewirbelt. Hier fand er weit geringere Beachtung.
Das Journal de St. Pétersbourg“ bewährt nach wie vor seine freundschaftliche Gesinnung gegenüber Deutschland, ohne deßhalb anderen Nationalitãten zu nahe zu treten. Wir haben schon der Geschicklichkeit und des politischen Taktes seiner Redaktion bei früheren Besprechungen Erwähnung gethan, und wenden uns jetzt der deutschen Presse in St. Petersburg zu.
Am 30. November des vergangenen Zahres erschien die ersie Nummer des „St. Petershurger Herold,“ eines in größe⸗ rem Styl angelegten internaticnalen Vermittelungsorgans mit weittragendem Programm. Seit dieser Zeit hat das Monopol aufgehört, dessen sich bisher die deutsche „St. Peters b. 3.“ erfreute.
Der „St. Petersburger Herold“ kann wohl mit Recht als ein internationales Vermittelungsorgan angesehen werden, und die entgegenkommende Aufnahme, die er sowohl in Rußland als im Ausland, man kann wohl sagen von allen Seiten, ge⸗ funden hat, kann wohl als ein Beweis gelten, daß sein Er⸗ scheinen zeitgemäß war. Die Redaktion hat es offen in ihrem Programm ausgesprochen, als ihre Hauptaufgabe zu betcachten, die Beziehungen zwischen Rußland und dessen deutsch-österreichi⸗ schen Nachbarländern zu befestigen und zu erweitern, und nach Kräften zu einer gegenseitigen Annäherung beider Gebiete beizu⸗ tragen. Das Interesse für Rußland und dessen Zustände ge⸗ winnt in den letzten Jahren sowohl in Deutschland als in Oesterreich immer mehr Boden, und die Aufgabe des „Herold“ besteht eben darin, diesem Interesse einerseits Rechnung zu tragen, andererseits aber auch seinen russischen Le⸗ sern das Verständniß für die politischen und sozialen Verhältnisse Deutschlands und Oesterreichs zu erleichtern. Der „Herold“ hat in den zwei Monaten seines Bestehens bereits den Beweis geliefert, daß er dieser Aufgabe vollkommen gewachsen ist. Für das Ausland bietet er durch seine täglich erscheinende Rubrik „Russische Presse“, in welcher alle hervorragenden Artikel dieser letzteren je nach ihrer Wichtigkeit vollständige oder auszugsweise Wiedergabe finden (und zwar schon am nächsten Tage nach dem Erscheinen dieser Artikel, sowie durch seine Erörterungen von Kultur⸗ und anderen ruffischen Tages⸗ fragen ein hervorragendes Interesse. Dem wirthschaft⸗ lichen Theil, dessen Aufgabe es ist, der Kulturentwicklung Ruß⸗ lands zu folgen, ist der genügende Raum geboten um seiner Aufgabe gerecht zu werden, und ist derselbe unter die spezielle Redaktion eines Fachmannes gestellt. Von Seiten der größeren russischen Zeitungen ist der „Herold“, was viel sagen will, mit Sympathie begrüßt worden. Alle, die sich für russische Zustände interessiren, werden in demselben einen zuverlässigen Führer finden. Die allgemeine Ansicht ist, daß, wenn der Herold“ so bleibt wie er bis jetzt war, er sich bald zu einem bedeutenden internationalen Organ von Einfluß emporschwingen werde.
Schließlich sei noch mit einigen Worten der Monatsschrift: „Russische Revue“ — Herausgeber und Redacteur K. Röttgen — gedacht, welche nach wie vor mit außerordentlichem Fleiße redigirt wird, und deren Inhalt reich ist an orientirenden, die wissenschaftliche Basis festhaltenden Artikeln über das gesammte Kulturleben Rußlands, seine Fortschritte und seinen wirthschaft⸗ lichen, sozialen und wissenschaftlichen Entwicklungsgang.
Die auf Grund des 5. 36 der Städteordnung eingesetzte gemischte Deputation der Kommunalbehörden zur Ausgleichung der Meinungs⸗ verschiedenheiten in Betreff der in der Stadtverordneten ⸗Versammlung beschlossenen Entnahme der Bauzinsen aus der neuen An⸗ leihe hat, wie die Nat. Z. mittbeilt, festgestellt, daß alle Anwesenden darüber einig seien, daß die bei den neuen Wasserwerken erwachsenden Bauzinsen nicht aus der Anleihe, sondern aus den Ueberschüssen der Wasserwerke entnommen werden sollen. In Bezug auf die Bauzinsen für die Karalisations bauten wurde ebenfalls eine Einigung erzielt, die dahin geht, daß diese Bauzinsen ebenfalls nicht au der Anleihe, sondern aus bereiten Fonds vorschußweise entnommen werden sollen, sobald der Magistrat nachweist, daß diese Fonds in ausreichendem Maße vorhanden sind. Die Rückerstattung an die Fonds weird, wie bei dem dritten, so auch bei den andern Radialsystemen in etwa acht Jahren erfolgen. Der Magistrat hat sich mit diesem Vorschlage der gemischten Deputation einverstanden erklärt.
In der Soanabendsitzung des Vereins für die Geschichte Berlins wurde ein Brief des bekannten Berliner Stückzießers Jacobi (rom 20. November 1714) verlesen, in dem er seine Dienste dem Czaren Peter dem Großen anbot. Hierauf gab Hr. Schulvorsteher Burczies als Kommentar zu einer Berliner Urkunde ein Bild von den Zuständen in der Mark nach dem Tode Walde mars und zog namentlich dabei in Betracht, welchen nach⸗ theiligen Einfluß die zwiespältige Kaiserwahl auf die hiesigen Ver⸗ bältnisse übte. An dritter Stelle sprach Hr. Geheimer Registrator Dr. Brecht über die Tempelhofer Fehde im Jahre 14135. Der Vortrag wird voraussichtlich im Druck erscheinen.
Zur Feier des 60. Geburtstages des Professors und derzeitigen Decans Geh. Justizraths Dr. Bruns veranstaltete die hiesige Stu⸗ dentenschaft am Freitag Abend in dem Saale der Urania einen all⸗ gemeinen Kommers.
Am Mittwoch, 1. März, Abends 8 Uhr, findet im großen Saale des Restaurants Karsch (Stadttheater) Lindenstraße 54d, eine Ver⸗ sam ml ung des nationallibera len Vereins für Berlin ftatt. Hr. Abg. Migutl wird über die letzte Reichstagssession Bericht erstatten.
Die heute vorliegenden Hochwasser⸗Nachrichten lauten:
114 27. Februar, Nachmittags. (W. T. B. Das Wasser er Warthe ist noch immer im stetigen Steigen begriffen und fteht egenwärtig 17 Zuß 2 Zoll hoch. Die Ueberschwemmung in der
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Stadt gewinnt an Ausdehnung; die Brücke ist nunmehr auch für
Fußgänger gesperrt. Ein Theil des Eises ist indessen während des heutigen Vormittags abgegangen und die Gefahr, wenn auch noch immer sehr groß, dadurch etwas gemindert.
— 27. Februar, Abends. (WV. T. B) Die über das Fließ bei Mil eslaw führende Brücke der Oels ˖ Gnesener Eisenbahn ist einge⸗ stürzt und in Folge dessen der Verkehr auf dieser Bahn zwischen Gnesen und Jrwocin eingestellt. — Die Chaussee nach Reustadt sowie die Brücke über die Warthe sind durch den Eisgang aaf der Wartbe in großer Gefahr.
Magdeburg, 26. Februar, Nachmittags. (W. T. B.) Die durch das Wasser in Schönbeck verursachte Noth ist außerordentlich groß. Von 700 Wohnhäusern standen 600 unter Wasser, viele Woh⸗ nungen waren bis zum Dach vom Wasser umfluthet, so daß die Bewehner durch die Dachfenster das nackte Leben retten mußten. 30 Häaäuser sind alsbald zusammengestürzt, viele andere total verwüstet und dem Einsturze nahe. Die Obdachlosen sind in den Schulen, in der Kirche und im Rathhause untergebracht. Aus Magdeburg sind 50 Mann Pioniere mit Pontons zur Hülfe angelangt, ebenso sind von dort und aus der Nachbarschaft Liebesgaben zur Linderung der Noth eingetroffen. Die Regierung und Privatvereine thun, was nur mög- lich, zur Hülfeleistung. Die Ueberschwemmung läßt jetzt allmählich nach, aber der angerichtete Schaden ist noch gar nicht zu übersehen. Die ‚Magdeb. Ztg. veröffentlich einen Aufruf zur Hülfe.
— 27. Februar, Abends. (W. T. B.) Der durch die Ueber⸗ schwemmung in Schönebeck an den Häusern angerichtete Schaden wird auf 360009 Thlr. abgeschätzt. Bei der eigenthümlichen Lage der Verhältnisse ist der völlige Ablauf des Wassers kaum vor vierzehn Tagen zu erwarten. Es werden immer noch Häuser geräumt, weil sie einzustürzen drohen. Lebensmittel fließen reichlich aus Magdeburg und der Nachbar⸗ schaft, aber Geld feblt. Das Hausgeräth der meisten Wohnungen ist total vernichtet Trotzdem das Wasser in den Straßen bereitz 24 Fuß gefallen ist, können die Bewohner doch nur in Kähaen mit einander verkebren. In den Schönebeck benachbarten Dörfern Pöm⸗ melte und Glinde ist das Unglück gleich groß. Von Barby und der Umgegend sind viele tausend Morgen Gärten und Aecker überfluthet. In Glinde ist nicht eine Hand breit Land sichtbar. Die Bewohner haben sich auf die Harsböden ge— flüchtet und das Vieh in die Stuben gebracht, wo es aber eben falls noch zum größten Theil im Wasser steht. Die Veranlassung der Ueberschwemmung wird dem neuen Umfluthkanal zugeschrieben und namentlich dem Umstande, daß trotz Anweisung die Herausnahme der Schütze des großen Wehre bei Pretzin zu spät erfolgt sein soll. Auch der Fiskus hat bedeutenden Schaden erlitten. In der Schöne⸗ becker Saline sind 40,000 Cir. Salz durch das Wasser vernichtet wor⸗ den. Der Betrieb der Werke ist eingestellt.
— 28. Februar. (W. T. B.) Nach hier eingegangenen Nach⸗ rich en aus Parey ist ein dortiges Schleusenthor trotz der zu dessen Befestigung ausgeführten Arbeiten durch das Hochwasser sehr ge⸗ faͤhrdet. Die von hier dorthin entsendeten Pioniere sind ununter— brochen bemüht, das Thor zu schützen; gelingt es nicht, dasselbe zu halten, so würde soga- Genthin der Gefahr einer Ueberschwemmung ausgesetzt sein. .
Von den beiden Dammbrüchen bei Glinde hat, wie die „Magdeburgische Zeitung“ meldet, der eine eine Länge von 8. Ruthen und ist bis zum Bauhorizont vertieft, senst aber bis jetzt nicht vergrößzert. Der zweite hat sich bis zu einer Länge von 1460 Ruthen und bis zum Grundbruch erweitert Das Pretziner Schleusenbauwerk ist berzits stark unterwaschen und droht bei wei— terer Fortdauer der Hochfluth einzustürzen. Die Schutzarbeiten wer⸗ den ununterbrochen fortgesetzt. . . .
Wien, 26. Februar, Abends. (W. T. B.) Seit gestern ist das Wasser beträchtlich gefallen, so daß eine Gefahr für Wien kaum noch vorhanden ist. .
Pe st, 26. Februar, Abends. (W. T. B.) Der Wasserstand betrug während des Tages 23 bis 24 Schuh, jedoch hat die Gefahr insofern abgenommen, als von der oberen Donau her wenig Eis mehr zu erwarten ist. Der Wasserabfluß ist schwächer, weil der Eisstoß unterhalb Pest theilweise feststeht. Auch siad die unteren Donau gegenden noch in großer Gefahr. Ofen und Altofen siad stark mit- genommen. In Ofen und Pest sind gegen 5009 Personen ihrer Wohnungen beraubt. .
— 26. Februar, Abends 9 Uhr. (W. T. B) Das Wasser der Donau ist im Fallen, dasselbe beträgt noch 23 Fuß 2 Zoll; der Eisstoß in Pacs ist abgegangen. Die Stadt Pest ist jetzt ziemlich außer Gefahr, die Lage der Umgegend ist aber noch bedenklich.
— 26. Februar, Abends 16 Uhr 30 Minuten. (W. T. B.) Die Neupester Straße bietet am meisten ein Bild der Verwüstung. Die Holzoorräthe und Bretterwaaren aus den dortigen Sägewerken liegen überall aufgeschwemmt. Bis jetzt ist indeß keine Fabrik ein gestürzt, auch die Friedenthalsche Spiritus⸗Raffinerie ist ganz intakt. Die bezügliche frühere Meldung ist unrichtig, auch der Verlust von Menschenleben hat sich nicht bewahrheitet.
Aufruf.
Die durch das plötzlich eingetretene Thauwetter erzeugten Wasser⸗ fluthen haben auch in unserm engeren Vaterlande große Verwästungen und schwere Unglücksfälle im Gefolge gehabt.
Am schwersten scheint die Stadt Schönebeck a. d. Elbe von den hereinbrechenden Wasserfluthen gelitten zu haben, indem von den 700 Wohnhäusern der inneren Stadt ungefähr 60) von dem Wasser so stark umfluthet sind, daß mehr als 30 Häuser bereits wahrend der ersten 43 Stunden eingestürzt sind und deren Bewohner, wie die von vielen anderen vom Wasser verwüsteten Gebäuden, deren Ein stürzen mit Sicherheit vorauszusehen ist, sich nur mit Aufgebung ihrer ganzen Habe retten konnten. Der allein an den Häusern an— gerichtete Schaden wird schon jetzt auf 0, C00 M geschätzt. Fast alle in der Stadt befindlichen großen Fabriken haben geschlossen werden müssen, so daß Taufende von Arbeitern auf Wochen hinaus ihren Broderwerb eingebüßt haben. Noch jetzt vermögen die Be— wohner in den Straßen nur mittelst Kähnen mit einander zu ver— kehren und ist bei den eigenthümlichen Terrainverhältnissen der völlige Ablauf des Wassers leider kaum vor 14 Tagen zu ecwarten. .
Unter diesen Umständen ist schleunige Hälfe dringend erforderlich und wende ich mich deshalb von Neuem an den all zeit bereiten und so oft glänzend bewährten Wohlthätigkeitssinn der Berliner Einwoh= ner mit der Bitte, um milde Beiträge an Geld für die hülfsbedürf⸗ tigen Bewohner von Schönebeck. ö .
Die etwaigen Beiträge können an mich direkt eingeiandt oder an den Vorsteher des Präͤsidial⸗Bureaus, Polizei⸗Rath Caspar, eingezahlt werden und wird über dieselben seiner Zeit öffentlich Quit⸗ tung geleistet werden.
Berlin, den 28. Februar 1876.
Der Polizei ⸗Präsident. von Madai.
Theater.
Die Sonntags- Auffährung der Operetle „Die Perle der Wäscherinnenꝰ im Wolters dorfftheater ging vor aus verkauf tem Hause von statten und fand wieder eine sehr beifällige Auf— nahme. Auch für die nächsten Tage wird die Operette das Reper⸗ toire dieser Bahne beherrschen, während bereits die Proben zu der Novität „Unsere Jungen“ stattfinden.
— Da die Aufführung des Moserschen Lustspiels „Ultimo“ im Stadttheater mit dem Director Lebrun und den Mitgliedern des Wallnertheaters als Gästen sich eines guten Erfolges er freut, hat sich Direktor Rosenthal entschlossen, dasselbe vorläufig auf dem Repertolr zu lassen und das bereits für Sonntag angesetzt ge⸗ wesene Sardou'sche Schauspiel „Serafine“ noch hinauszuschieben.
Redacteur: J. Preh m. Verlag der Erpedition (æessel). Drack W. El tzner.
Drei Beilagen leinschließlich Börsen · Beilage).
Berlin:
(21h
Erste Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
M 51. Aichtamtliches.
Dentsches Reich.
Preußen. Berlin, 28. Februar. Im weiteren Verlaufe der Sitzung des Hauses der Aogeordneten am 26. d. M. ergriff in der ersten Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie (S. Nr. 41J, 42 d. Bl), der Minister der geistlichen ꝛ. Angelegenheiten Dr. Falk das Wort:
Meine Herren! Die Reihe der Herren, die sich zum Wort ge⸗ meldet haben, ist zwar noch eine sehr große, und es wäre mir per sönlich angenehmer gewesen, wenn ich noch einige Pitglieder des hohen Hauses über die uns beschäftigende Frage haͤtte hören können, ehe ich das Wort ergriff; indeß, meine Herren, wir sind in der Zeit schon ein wenig vorgerückt, ich weiß nicht, wie lange Sie die gegen⸗ wärtige Generaldebatte auszudehnen gewillt sind, ich aber muß freien Raum haben, mich eingehend Ihnen gegenüber auszusprechen, und darum nehme ich im gegenwärtigen Augenblick! bereits das Wort. Denn, meine Herren, der Ernst, aus dem heraus der Hr. Abg. Dr. Virchew gesprochen hat, der erfüllt mich vollständig, und wenn ich in Bezug auf meine kommenden Ausführungen einen Wunsch habe, so ist es im Hinblick auf die eben gehörte g de der, daß es mir nicht blos am Anfang, sondern im ganzen Verlauf der Rede gelingen möge, für meinen Ernst immer den adäquaten Ausdruck zu finden.
Meine Herren! Es ist ganz natürlich, daß ich mich zunächst gegen den Herrn Abg. Virchow wende, wenn schon auch die weiteren Erörterungen mir Gelegenheit geben werden, auf das zurückzukümmen oder auf Einzelnes zurückzukommen, was er uns hier ausführte; denn der Herr Abgeordnete vertritt allerdings den⸗ jenigen Standpunkt, der dem der Staatsregierung am schärfsten ent— gegensteht. Ich meine dabei eigentlich nicht gerade, insofern ich mich auf eine Erwiderung einlassen will, dasjenige, was der Herr Abgeord⸗ nete Ihnen soeben über den Träger des landesherrlichen Kirchen regiments ausgeführt hat; ich, habe ja neulich Gelegenheit ßehabt, in dieser Richtung präzis und mit den Gründen, die mir zu Gebote standen, den Standpunkt der Staatsregierung zu be— zeichnen und zu unterstützen. Es ist meine Ausführung keinesweges ohne Zustimmung geblieben, draußen nicht, und ich freue mich auch. daß in diesem Hause die Zustimmung nicht gefehlt hat; denn in der That fand ich in den Ausführungen des Hr. Abg. Techow die Linien wieder, auf denen die Staatsregierung gehen zu müssen gemeint hat mit ihrer Auffassung der vorliegenden Frage. Der Hr. Abg. Hr. Virchow stellt an die Spitze seiner Ausführungen immer den Satz, die Ver fassungsurkunde habe das landesherrliche Kirchenregiment beseitigt, ein Satz, der freilich von ihm und seinen Freunden behauptet wurde, aber nie und nimmer angenommen worden ist von der Mehrheit derer, die zu entscheiden hatte; — ich habe neulich selbst in dieser Richtung an das Haus appelliren dürfen. Er hat eine abweichende Auffassung in diesem Punkte, aber er hat sie nicht zur Geltung bringen köanen. Es möchte mir scheinen, daß schon diese Erwägung den ferneren Fol⸗ gerungen des Hrn. Abgeordneten große Bedeutung nicht beilegen ließe. (Oh! links) Es ist ja nur meine Meinung! Aber, meine Herren, (nach links) noch ein zweites — und Sie werden pielleicht noch lauteren Unwillen zu erkennen geben, wenn ich das aus spreche — noch, ein zweites Moment scheint mir im Allgemeinen zu zeigen, auf, welchen schwachen Füßen diese Argumentation stand; ich meine die gänzlich unpassende Paral— lele mit dem Militärkabinet, ich meine die ,, des Russi⸗ zismus. Wer keine besseren Gründe hat für seine Sache, der scheint mir für eine schwache Sache zu kämpfen. Auch das ist nur meine Meinung! — Aber, meine Herren, was ich bei dem Abgeordneten zu
bekämpfen wesentlich die Pflicht habe, das ist der prinzipielle Stand⸗
punkt, auf dem er und seine Freunde stehen. Vielleicht ist derselbe nicht so scharf heute zum Ausdruck gekommen als an anderen Stellen, an welchen der Herr Abgeordnete Gelegenheit nahm, über diese Frage zu sprechen; aber immerhin, ausgesprochen ift es doch, nämlich; daß wir irgendwie staatlich anerkannte Synoden gar nicht brauchten, daß die evangelische Kirche auch so be— stehen könne. Ausgesprochen ist dies von ihm heute hier und von denen, die seinen mächtigen Worten folgen, in einer Petition, die an das hohe Haus gelangt ist, und deswegen auch in meine Hände kam und welche die Unterschrift trägt „der Oranienburgerthor Bezirks verein.“ = Da ist dies nämlich in der dritten Nummer der Petition ganz in derselben Schärfe, in der die früheren Reden des Herrn Abgeord⸗ neten außerhalb des Hauses gehalten sind, und die er sonst anzuwenden pflegt, zum Ausdruck gekommen. Ich habe des- halb immerhin das Recht, in diesem Satz auch seine Meinung zu erkennen, wenngleich sie heute, wie gesagt, in milderer Form hervorgetreten ist. Ich bin nun der Meinung mit dem Hrn. Abg. Dr. Techow, daß es in der That nicht möglich ist, den Vorschlägen zu folgen, die der Herr Abgeordnete gemacht hat. Es ist vielfach, aber sehr treffend — und darum wiederhole ich es auch nur — ausgesprochen oder darauf hingewiesen worden, was denn ein Prozediren auf dem von dem Hrn. Abg. Dr. Virchow empfoh⸗ lenen Wege für Folgen haben müßte. Man hat ganz richtig gesagt, die Folge könne nur eine doppelte sein, sie könne entweder darin be—⸗ stehen, daß die vereinzelten Gemeinden an ihrem religißsen Bewußt sein. Verlust leiden, daß ihr religiöses Bewußtsein sich ver— flüchtige, oder abet — und das würde das gerade Gegentheil von dem sein, was der Hr. Abg. Dr. Virchow will — in einer starren glauben. und gewissenbeschränkenden Sektirerei. Meine Herren! Das sind nicht etwa Abstraktionen, die ich hier vorbringe; das sind Fol. gerungen aus geschichtlichen Erfahrungen. Denn, meine Herren, wir haben vielfältig bereits solche Erfahrungen gemacht zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Landen, und sind etwa die Bedingungen für ein Wiedereintreten der Gefahr in unserer Zeit nicht vor— handen? Ich möchte den wohl sehen, der diese Frage dahin beantworten möchte: Nein, sie sind nicht vorhanden! wenn ich schon zugeben kann, 4 die Gefahr nach der einen Seite, der Verflüchtigung des religiösen Bewußtseins, größer sein mag als nach der anderen. — Nein, meine Herren, es ist meine volle Ueber⸗ zeugung; wenn wir dem deutschen Volke sein religiöses Bewußtsein in wirklich freier, fester Weise erhalten wollen, dann müssen wir die einzelnen Gemeinden zusammenfassen zu einem Organismus; dann muß es eben bei der Kirche bleiben. Meine Herren! Ich bin weiter mit dem Hrn. Dr. Techow überzeugt, daß in der Tat die große Majorität, ja in seiner Ganz- heit möchte ich beinahe sagen, das preußische evangelische Volk die selbe Auffassung hat, daß die Ansichten des Hrn. Abg. Hr. Virchow doch recht vereinzelt vertreten sind. Die Stimmen, die ihm zur Seite 37 die kommen, ich weiß nicht, ob allein, aber wahr wird es wohl sein, wenn ich sage, fast allein aus der Stadt Berlin, und in der Stadt Berlin ist auch schon bereits ein Umschwung ein—⸗ etreten; denn wenn schon die ersten Bezirksvereine, in denen die rage erörtert wurde, in dem Sinne ihre Zustimmung ausgesprochen haben, den die Resolution ausdrückt, in den letzten Versammlungen der Bezirksvereine war es anders. Ich möchte doch aber auch glau— ben, bel aller Anerkennung der Hestrebungen derartiger Bezirksvereine, daß es iar ist, einen gewissen Skeptizismus zu haben, ob die Berliner Bezirksvereine den Beruf haben oder auch nur haben können,
Berlin, Montag, den 28. Februar
das kirchliche Bewußtsein zu vertreten. Denken Sie nur an die Zu sammensetzung der Vereine, die nicht auf eine Konfession sich beschrän . ken; denken Sie überhaupt an die Weise, wie kirchliche Bestrebungen in weiten Kreisen Berlins behandelt werden, und Sie werden viel leicht meinen Skeptizismus gerechtfertigt finden, namentlich aber, wenn einer der Berichte, die mir vorliegen, die Wahrheit sagt, daß nach einem Vortrage eines im Hause befindlichen Herrn Abgeordneten in einem dieser Vereine sofort der Antrag gestellt wurde, nun dann wollen wir 2 en masse aus der Kirche austreten, ein An . trag, der freilich, Gott sei Dank! die Majorität nicht bekommen hat.
Meine Herren! Der Standpunkt, den die Staatsregierung der gegen⸗ wärtigen Sache gegenüber einnimmt, ist in gewisser und, wie mir scheint, allerdings wichtiger Richtung bereits von mir bezeichnet wor— den, als ich die Ehre hatte, dem Hin. Abg. Dr. Virchow auf seine Jnterpellation zu antworten. Ich habe unumwunden — davon nehme ich nicht das Geringste zurück — auegesprochen, daß nach Aufhebung des Art. 15 an und fuͤr sich die gesetzgebende Gewalt des Staats frei sei gegenüber einer derartigen Spnodalordnung; ich habe aber auch hinzugesetzt, daß diese abstratte Freiheit und die Frage, wie kon⸗ kret von der ges⸗zgebenden Gewalt Gebrauch zu machen sei, zweierlei Dinge wären; ich habe weiter hervorgehoben, die Staatsregierung würde zu einer Aenderung eines derart kirchlichen zu Stande gekommenen Ge— setzes nur dann ihre Zustimmung geben können, wenn in der That die Standesinteressen durch das Gesetz verletzt würden. Die Staats regierrng ist nun der Ueberzeugung — sie sprach es neulich durch meinen Mund bereits aus — daß dies hinsichtlich der Synodalord— nung in keiner Weise der Fall sei, und von diesem Standpunkt aus muß ich nun allerdings zum Ausdruck bringen, daß sie nicht die Hand dazu bieten wird, die General ⸗Synodalordnung als solche durch ein Siaatsgesetz zu ändern. Ich hoffe, daß dieser Standpunkt auch je länger je mehr in diesem hohen Hause zur Anerkennung kommen wird. Nicht blos Stimmen, die ich in den letzten Tagen hörte über die Berathungen, die in den Fraktionen dieses Hauses gepflogen wor- den sind, nein, auch die beiden ersten Reden, die ich heute hier ge— hört habe, drängen mir die Ueberzeugung auf, daß die Mehrheit des Hauses auch diesen grundsätzlichen Ausgangepunkt in der vorliegenden Angelegenheit haben wird.
Der Hr. Abg. Dr. Virchow hat gemeint, die Berechtigung des Landtages, an der General ⸗Synodalordnung zu ändern, noch in einer anderen Weise begründen zu können, als meinerseits geschehen, nämlich durch die Hinweisung auf die Beschlüsse Sr. Majestät des Königs, des Trägers des Kirchenregiments, gegenüber den Beschlüssen der außerordentlichen Synode. Der Herr Abgeordnete hat dabei auf eine Resolution der Generalsynode hingewiesen, mit der das spätere Ver⸗ halten des Trägers des Kirchenregiments in Widerspruch stehen foll. Der verehrte Herr Abgeordnete hat uns versichert, er habe den ganzen dicken Band, der die Synodalverhandlungen enthält, durchgelesen. Es versteht sich von selbst, daß ich nicht wagen darf, in dieser Beziehung Zweifel zu hegen; aber es muß dem Herrn Abgeordneten ein ganz eigenthümliches Mißgeschick in der Sache begegnet sein, sein Auge muß nur immer auf dem gehaftet haben, was ihin paßte, und leicht hinweggeschritten sein über das, was ihm nicht paßte, Hud jo ist es ihm denn auch gleich mit dieser Resolution gegangen. Die Sache war so, daß in der Synode eine Resolution empfohlen wurde des Inhalts: die Synode betrachtet die vorliegende Scknung dergestalt als ein untrennbares Ganzes, daß sie eine landespolizeiliche Anerkennung nur der Kreis ⸗ und Provinzial Synodalordnung ohne gleichzeitige landesgesetzliche Anerkennung der General.-Synodalordnung, so weit solche erforderlich, nicht als annehmbar erachtet. Mit Bezug auf diese Resolution habe ich in eingehender Weise entwickelt, daß und warum ich hier dahin streben werde, eine solche theilweise Sanktion, d. h. nur die Sanktion der Kreis ˖ und Provinzial⸗Synodalordnung zu bekämpfen und das Ganze, d. h. auch die General- Synodalordnung zur Anerkennung zu bringen. Diese Erklärung befriedigte die Synode, und darauf beschloß sie die Resolution. Die Unzertrennlichkeit bezieht sich auf nichts als auf diesen Punkt. Im Uebrigen ist die Synode 16 so klar bewußt gewesen, daß sie nur eine berathende Stimme besaß, daß eine größere Klarheit gar nicht bestehen kann. Dem Herrn Abgeerdneten ist aber auch ein zweites Malheur begegnet. Er hat angeführt: der 8. Za war ein außerordentlich wichtiger, weil eine Zweidrittel⸗Majorität der Generalsynode gefordert wurde, um die Zusammensetzung und das Recht der Gemeindeorgane und der Sy— noden zu ändern, dieser Paragraph ist aber weggestrichen. Ja, meine Herren, als §. Sa ist er allerdings weggestrichen, aber als Schluß— alinea des §. 32 steht er wörtlich da, denn da gehört er hin und nicht an die Stelle nach 5. 8. Vielleicht bin ich in der Lage, bei einem andern Punkt nech auf ähnliches Andere zurück zu kommen.
Die Stagtsregierung wird mit aller Bestimmtheit — und das muß ich mit Bezug auf die zuerst gehaltene Rede aussprechen und mit Bezug auf Bestrebungen, von denen ich weiß, daß sie in diesem hohen Hause vorhanden sind in vielleicht bedeutenderen Theilen — die Staatsregierung wird der Aenderung der Bestimmungen über die Komposition der Generalsynode, beziehungsweise über ihre Wahl aus den Provinzialsynoden widersprechen. Nun, meine Herren, sie muß das, denn sie weiß, daß ein Weiteres, als was in den viel bespro— chenen Schlußbestimmungen der General - Synodalordnung über Neu Komposition der Kreis., und Provinzialsynoden niedergelegt ist, bei, der Kirche und deren maßgebenden Fak— toren nicht zu erreichen ist und nicht zu erreichen war. Das gilt einmal von der Synode, das gilt dann von allen anderen Organen. Blicken Sie doch einmal zurück auf die Synode, erinnern Sie sich der Zweifel, die entstanden gegenüber der Frage, ob es be⸗ rechtigt sei, eh schon nach wenigen Jahren wiederum diese Kompo— sttion zu ändern, im Hinblick auf die Herstellung eines geeigneten Wahlkörpers zur Generalsynode. Erinnern Sie sich doch der vielen, wie ich allerdings meine, überwiegend theoretischen Bedenken, die er⸗ hoben worden sind gegen den Inhalt aller Aenderungen. E hat einer wieder holten und überzeugungsvollen Argumentation bedurft, um im Allge— meinen, bei der großen Mehrheit der Synode die Meinung zur Anerkennung zu bringen, daß es allerdings eine gerechte Forderung sei, so zu ändern, wie seine Schlußbest immungen geändert worden sind, d. h. nach der Richtung der Verstärkung des Laienelements, nach der Richtung einer gerechten Vertheilung dieser Verstärkung auf die stärkeren und bedeu⸗ tenderen Gemeinden, damit nicht abhängige Elemente, dem Laienstand angehörig, in zu starker Zahl in die Synode kommen, in der Rich- tung, die dahin geht, daß es nöthig sei, den Wahlkörper in der untersten Instanz auszudehnen vom Gemeindekirchenrath auch auf die Gemeinde vertretung. Diese Ueberzeugung hat sich allmählich durchgerungen und daher der Beschluß; , aber ein Weiteres von der Synode nicht ge⸗ fordert werden konnte und sie nicht zu geben in der Lage war, zeigt auch die Bestimmung, die vorhin in anderer Richtung in Frage war, die nämlich, daß eine z Majorität nöthig sei, um an diesen Bestim mungen später etwas zu ändern. Erinnern Sie sich dann — und es sind ja. unter Ihnen eine Reihe von Männern, die an der Synode werkthätig theilnahmen —, in welcher geringen Minorität die— jenigen Vorschläge geblieben sind, um welche es sich hier handelt. Ich erwarte von Ihnen den Einwand: ja, wenn die Synode anders zusammengesetzt wäre, dann würde sie auch anders beschlossen haben. — Dem gegenüber spreche aber ich die volle und, ich moͤchte sagen, durch den Ueberblick, den ich habe bekommen müs . begründete und mir aufgezwungene Ueberzeugung aus: Sie hätten ein Wahl⸗ gesetz machen mögen, welches Sie wollten, Sie würden niemals zu derartigen. Vorschlägen in der Synode die Majorität bekommen ha— ben. eine Herren, ich werde vielleicht auf diesen Punkt noch zu rücklommen.
1876.
Was würde nun die Folge sein, wenn hier durch ein Staategesetz diese Bestimmungen geändert, und andere an ihre Stelle gesetzt würden? Meine Herren, Sie möchten das mit den schönsten politischen Gründen rechtfertigen und begründen, innerhalb der Kirche würde keine andere Ueberzeugung sein, als die:; die Ansicht einer Minagrität, ja, keiner starken Minoritaͤt ist der Kirche im Großen und Ganzen aufgezwungen werden durch die weltlichen Faktoren, — und dazu kann die Staatsregierung ihre Hand nicht geben, und, ich bin überzeugt, Sie werden ste auch nicht geben. Wohl ist es Pflicht der Staatsregierung gewesen — und auch die meine, und ich habe sie endlich erfüllt — dahin zu wirken, daß alle Rich—⸗ tungen der Kirche zum Ausspruch kommen in den verschiedenen Kirchenorganen. Damit aber hat diese Wirksamkeit ein Ende. Will die Staatsrezierung eine Richtung zur dominirenden machen, nament- lich die, welche in der Minderheit ist, dann greist sie in ein Gebiet hinein, wo sie sich nichts holen kann als Niederlagen. Sie würden in der einen Richtung vielleicht beschließen, das andere Haus viel- leicht in der anderen. Wenn überhaupt dann ein Be⸗ schluß zu Stande kommt, wird das Gefühl vergewaltigt wor— den sein, mächtig sich erheben innerhalb der Kirche. Ich habe nicht die so häufig vorgebrachte Sorge des Massenaustritts aus der Kirche, ich glaube nicht, daß er so leicht kommt. Aber wenn er durch eine Ursache herbeigeführt werden kann, dann ist es durch eine Behand⸗ lung dieser Angelegenheit in der Richtung, die ich hier eben bekämpfe.
Meine Herren! Ich glaube es hier, wenn es auch vielleicht nicht ganz unrichtig wäre, doch ugterlassen zu können, diejenigen Momente anzudeuten, welche die Beschlüsse der Synode in Beziehung auf den Wahlkörper zur Generalsynode doch als recht gut begründet erscheinen lassen. Wichtig könnte es sein in der Richtung, da es sich ja um die Frage handelt, diesen Organen sämmtliche Befugnisse beizulegen, und darum wäre es vielleicht gut zu erweisen, daß diese Organe aus guten Grün⸗ den geschaffen wurden. Indeß ich meine, es wurde im gegenwärtigen Augenblick zu viel Zeit in Anspruch nehmen, es würde vielleicht auch von anderer Seite noch betont werden, und schließlich, wer für diese Angelegenheit noch ein Interefse besitzt, dem ist so viel Gelegenheit gegeben worden, diese Gründe in extenso und in nuce richt blos im . sondern auch in der leicht zugänglichen Presse des Tages zu finden.
Ich kann daher wohl übergehen zu denjenigen Gesichtspunkten, welche entgegengehalten worden sind einer derartigen Zusammensetzung der Wahlkörper. Es ist vor allen Dingen hervorgehoben worden, daß keine Garantien bestehen, daß auch die Minorität zum Wort komme. Meine Herren, ich bin der vollen Ueberzeugung, daß sich solche Garantien mit positiver Gewißheit niemals schaffen lassen, durch keinen Wahlmodus, ich habe auch sehr ernste, nicht blos leichte Zweifel darüber, ob ein solcher Wahlmodus, der vielfach verfochten wurde, die Minorität schützen würde; ich habe vielmehr die Ansicht des Abg. Miquel, die er auch in der Synode aussprach: wenn solche Wahlen alle sechs Jahr ad hoe berufen werden, dann sind es eben Wahlen ad hoc, den Kämpfen der Parteien ausgesetzt, und da fällt die Minorität immer tiefer und schwerer ab, als bei organisch geord⸗ neten Verhältnissen.
Diese Wahrnehmung ist es allerdings, die dahin drängt, keine Garantie zu finden in einer solchen Abänderung. Ist es denn nun aber auch so schlimm in der That bestellt mit den Schutz der Mi—⸗ norität? Ich habe die volle Ueberzeugung, daß, wenn die Minorität nur will, wenn sie ihre Hände rührt und gehörig arbeitet an der Kirche und es nicht dem Kirchenregiment oder jenen Personen, die das Kirchenregiment zu leiten haben, überläßt, die Wahlen so einzurichten, wie es ihr paßt, daß dann die Minorität zu ihrem vollen und ganzen Rechte kommen wird nach dem Wahl modus, der gewährt wird durch die Generalsynodalordnung. — Verzeihen Sie, wenn ich einen Punkt berühre, den die Debatte noch nicht ft hat; aber das Recht dazu erwächst mir aus der mir freundlichst mitgetheilten Rednerliste. Ich finde unter den Namen gegen die Vorlage zwei verehrte Herren Abgeordnete, die der Provinz Hannover angehören: Dr. Schläger und Köhler (Göttingen). Meine Herren, da dürfen wir wohl am Ende erwarten, daß gewisse Erfahrungen in der Provinz Hannover, wo auch eine Minorität nicht recht zum Wort gekommen sei, hier ins Feld geführt werden. Möchten doch die verehrten Herren die Ge⸗ wogenheit haben, sich an zweierlei zu erinnern, erstens an eine Schrift eines ihnen sehr nahe stehenden Mannes, eines Mitgliedes des Vor⸗ standes des nordwestdeutschen Proteftantenvereins, des Hrn. Lammers in Bremen, der mit Energie diesen Punkt bereits als nicht durchgreifend hervorgehoben hat, und zweitens an das, was in einer Petition steht, der die geehrten Herren gewiß nicht ganz fern sind, die an den Kultus Minister die dringende Bitte richten, der Provinz Hannover den Segen zu verschaffen, den die alten Pro vinzen haben durch ihre Kirchenverfassung und durch diese General⸗ Synodalordnung. ;
Meine Herren, es ist dann namentlich des Gebietes der Steuer frage Erwähnung geschehen, um die Besorgniß anzuregen und durch Vorschläge zu beseitigen, daß die einzelnen Gemeinden finanziell durch die Synoden bedrückt werden möchten; man findet zu wenig Garantien in einem Beschlusse des Staats⸗Ministeriums über die Zulässtgkeit der Bestätigung eines Steuergesetzes. Es ist ja recht schwer, detaillirt über diese Frage, die hier nur allgemein angeregt ist, zu reden, ehe wirklich ein detaillirter Vorschlag vorhanden ist. Es versteht sich fa ganz von selbst, daß alle solche Vorschläge die eingehendste Erwägung Seitens der Staatsregierung finden werden, — hat sie doch — und ich mache kein Hehl daraus — selbst sich gefragt, ob ein anderer Modus der Regelung ein richtigerer und besserer sein könne. Aber, meine Herren, sie ist doch dahin gekommen, daß sich schwerlich ein anderer finden läßt, und sie meint auch, ein solcher Beschluß des Stagts⸗Mi⸗- nisteriums gäbe genügende Sicherheit, zumal im Staats-Ministerium der Finanz⸗Minister vertreten ist, zumal in Bezug auf alle diese Fragen durch Ihr Wort bei dem Etat mancherlei Einfluß gegen ein Zuweitgehen gewonnen wird. Es besteht in dieser Beziehung — und wir haben es sogar aus dem Munde des Hrn. Abg. Dr. Techow ge⸗ hört — hier ein gewisses Mißtrauen gegen den Stand der Geistli⸗ chen; es wird immer gesagt, die Geistlichen seien dabei interessirt und sie würden die Gemeinden belasten und drucken und ihre reiche Stimmen⸗ zahl in dieser Richtung anwenden. Meine Herren, was heißt denn das, daß sie „interessirt' sind? Sie werden ihnen doch nicht als Stand den Vorwurf machen, daß sie sich durchweg durch die Interessen des eigenen Beutels leiten lassen. Ich habe die entgegengesetzte Erfahrung; ich kann hervorheben mit vollem Recht, daß überall die mitwirkenden Laienmitglieder ungleich freigebiger sind, auch in der Beförderung der eigenen Einnahmen der Geistlichen, als die Geistlichen selbst. Es ist mir das von einem Mitgliede dieses hohen Hauses sehr drastisch und richtig bezeichnet worden, indem er mir etwa folgende Aeußerung eines Geistlichen mittheilte: „mein Gott, wir haben kein Interesse, laßt uns schlimmsten Falls draußen; — wenn wir zwei Thaler fordern, dann geben uns die Laien drei. Außerdem liegen mir eine Reihe von Erfahrungen vor aus den Verhandlungen bei Vertheilung der Zulagen an die Geistlichen. Sie wissen: die Voraussetzung einer Staatunterstützung ist, daß die Gemeinde ihrerseits nicht fähig ist, etwas zu leisten, und darum ist an die Gemeinden vielfältig die An⸗ frage gestellt worden, ob sie nicht bereit seien, Zuschüfse zu gewähren; aber es ist mir von vielen Geistlichen die Nachricht gekommen: wenn das so sein soll mit dem Staatszuschuß, dann will ich lieber nichte denn wenn meine Gemeinde erst beiträgt, so komme ich in Ungelegen⸗ heiten, und da verzichte ich auf mein eigenes Interesse. Also die Interessenvertretung kann doch nur darin liegen, beg der Stand der Geistlichen als solcher an kirchlichen ingen