auf den Gegenstand mrückkemme. Ich möchte Sie darauf aufmerk- sam machen, daß es für die Verwaltung nicht ganz leicht ist, in komplizirten Verhältniffen, wo man mit mehreren. Staaten zu thun hat, sich auf alle Fälle zu rüsten und sich in die Lage zu bringen, im gegebenen Augenblicke mit dem Abschluß des Vertrages vorzugehen. Hier bandelt es sich nun um einen Vertrag, wobei Prentßen mit * 12, Oldenburg mit 12, Bremen mit *i2 und für den Rest das Reich detheiligt ist. Ich weiß nicht, in welcher Lage einige der anderen Regierungen sind. Preußen und das Reich müssen jeden⸗ falls an ihre Landes vertretungen gehen, um sich in den Stand setzen zu lassen, diese Summen zahlen zu können, und ob nun das far alle Theile zur gelegenen Zeit möglich ist, das stebt dabin. Was das Reich betrifft, so wird die G⸗nebmigung schon nicht früher erfolgen können, als wenn der nächste Reichstag ver- sammelt ift, es sei denn, daß man dort dieselbe Vorsicht geübt bätte, wie wir hier, was ich nicht weiß, und ebenso kann es mit anderen Staaten gehen. Was ist nun aber die Gefahr, welche die Landes vertretung läuft, wenn sie, dem Wunsche der Regierung entsprechend, eine solche provisorische Bewilligung mackt? Die Gefahr ist doch in der That eine außerordentlich geringe. Der Herr Handels - Minister
hat Ihnen schon erklärt, — daß wir kein Bedenken ge⸗ babt haben würden, den Entwurf eines Vertrages vor— zulcgen, und daß also die sachliche Prüfung in der Budget.
komwmisfion erfolgen kann. Wenn sie dann erfolgt ist, dann ist es gleichsam eine Autorisation für die Regierung, den Vertrag in Zu⸗ kurft abzuschließen, und eine solche Autorisation zu ertheilen, würde auch vom konftitutionellen Standpunkte völlig unbedenklich sein. Im Nebrigen, meine Herren, wenn Sie uns in der dritten Lesung das Gesd wirklich geben, dann ist es für die Regierung in der That gleichgültig, ob Sie die Pesition heute provisorisch genthmigen, oder ob Sie dieselbe erft nachträglich genehmigen.
Der Abg. Dr. Wehrenpfennig beantragte die Verweisung des Titels an die Budgetkommission, da diese von dem Vertrage selbst Kennmiß nehmen und den muthmaßlichen Zeitpunkt seiner Fertigstellung erfahren könne. Das Haus beschloß demgemäß.
Den Tit. 44 [Zum Neubau der Dienstwohnung des Re⸗ gierungs⸗Präsidenten und zur Vergrößerung des Regierungs⸗ gebäudes in Danzig 1. Rate 75, 000 6 beantragte Abg. Lipke zu streichen. Der Regierungs⸗Kommissar, Ministerial⸗Direktor Mac⸗ Lean betonte das Bedürfniß, in Danzig eine Dien stwohnung für den Regierungs-Präsidenten zu bauen, im Interesse des öffent⸗ lichen Dienstes, worin ihm die Abgg. Wagner (Stargardt) und Windthorst (Meppen), sowie der Regierungs kommissar Geh. Ober⸗Finanz⸗Rath Hoffmann beistimmten. Die Pofition wurde hierauf mit 160 gegen 125 Stimmen abgelehnt. .
Bei Tit. 50 (unvorhergesehene Brückenbauten ꝛc.) wünschte Abg. Schröder (Königsberg) die Herstellung einer Dderbrücke zwischen Küstrin und Schwedt, und bei Tit. 53 (Polytechnikum in Hannover) konstatirte Abg. Lauenstein im Gegensatz zu dem Abg. Windthorst (Meppen) die Ansicht der Hannoveraner, daß das Welfenschloß Staatseigenthum sei. Bel Tit. 50 fanden einige Anfragen des Abg. Schmidt (Stettin) durch den Regie⸗ rungskommissar Geh. Ober. Regierungs⸗Rath Wendt ihre Er⸗ ledigung. Sämmtliche Titel wurden genehmigt und damit war der Etat der Verwaltung für Handel und Bauwesen erledigt.
Es folgte der Etat der allgemeinen Finanz⸗ verwaltung (s. unter Landtagsangelegenheiten) Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Dr. Hammacher zu Tit. 1 (67,000 Zinzeinnahme der Hauptdepofitenkasse zu Cassel und der Depo⸗ sitenkasse zu Cöln) wurde derselbe bewilligt. ; ö.
Zu Tit. 11 (Ueberschuß des vormaligen Kurfürftlich Hesst⸗ schen Hausschatzes zu Casseh war eine Petition der Agnaten der Philippsthaler Linie des Kurhauses Hessen, ihre Rechte am Fidei⸗ kommiß⸗Vermögen betreffend, eingegangen, welche, unter Dar⸗ legung des vor österreichischen Gerichten geführten und in letzter Instanz vom Wiener Hofgerichte zu Gunsten der Petenten ent⸗ schiedenen Prozesses, die Inbesitznahme der sogenannten Silber⸗ kammer des verftorbenen Kurfürsten durch den preußischen Staat, welcher sie dem Landgrafen Friedrich ausgeantwortet hat, zum Gegenstande einer Beschwerde macht. Der Referent der Budgetkommission Abg. Dr. Hammacher be⸗ antragte, über diese Petition zur Tagesordnung überzugehen. Derselbe erinnerte an den Verlauf des über diesen Theil des Nachlasses des Kurfürsten von Hessen in Wien geführten Pro⸗ zesses, der in erster Instanz zu Gunsten des Landgrafen Friedrich, in letzter Instanz zu dessen Ungunsten entschieden worden ist. Die Kommission sei der Ansicht, daß die preußische Regierung lediglich in Konsequenz ihrer Rechtsauffassung ihre Pflicht gethan und ihr Recht ausgeübt habe; die Krone Preußen habe ihre Rechte nun durch Vertrag vom 26. März 1873 an den Landgrafen Friedrich von Hesfen abgetreten und der preußische Staat habe die Pflicht, die Revenüen des Vermögens zu sichern. Es handele sich hier nicht um einen gewöhnlichen Civilstreit zwischen zwei Civilpersonen, sondern um politische Dinge, welchen die Kom⸗ mission durch Uebergang zur Tagesordnung nicht präjudiziren wolle, in die sich einzumischen aber für das Haus gar kein Grund vorliege.
Der Regierungskommissar Geh. Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Michelly fügte hinzu, daß die Staatsregierung den mit dem Landgrafen Friedrich von Hässen, Haupt der Rumpenheimer Linie, abgeschlossenen Vertrag für keine definitive Auseinander⸗ setzung mit den kurhessischen Agnaten ansehe, welche vielmehr durch Staatsgesetz werde erfolgen müssen.
Der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums Finanz⸗Mi⸗ nister Camphausen erklärte:
Meine Herren! Der geehrte Herr Vorredner, der sich so eingehend mit der uns vorliegenden Frage beschäftigt, begann seine Rede mit einer mit großem Pathos abgegebenen Erklärung, daß es völlig gleich⸗ gültig sei, ob die Silbeikammer den Werth von 1 Million Thalern oder von 90 000 Thalern oder von 10 Pfennigen gehabt habe. Ich möchte doch um die Erlaubniß bitten, anzunehmen, daß man für die 10 Pfennige sich nicht so lebhaft in Bewegung gesetzt hätte. Es hat sich also zwar nicht um ein so außerordentlich großes und bedeutungs polles Vermögesobjekt gehandelt, wie es der Hr. Abg. v. Schorlemer annahm, aber immerhin doch um ein recht ansehnliches Objekt. Wollen Sie nun der Staatsregierung einen Vorwurf darau3 machen, daß das Auswärtige Amt die Rechte preußischer Staatsangehöriger dem Auslande gegenüber zu schützen sucht; daß es die Reklamation erhebt: liefert die Silberkammer hierher aus, und daß es die Silber⸗ kammer annimmt, nachdem der Ausspruch eines österreichischen Gerichts die Rezierung in den Stand geletzt hat, diese Auslieferung eirtreten zu lassen? Ich möchte in der That glauben, daß all der Pathos, der darauf verwandt ist, um dieses Verfahren herabzudrücken, sein Ziel doch nicht erreicht hat.
Wenn damn der geehrte Herr Vorredner darauf hingewiesen hat,
aß neben den Petitionen, die der Herr Berichterstatter erwabnt habe, noch eine anonyme Petition in Betracht gezogen werden müsse, so habe ich geglaubt, daß das Haus anonyme etitionen überhaupt nicht zum Gegenstande jeiner Betrachtung machen darf, urd ich habe mir gedacht, der Grund, weshalb diese Petition anonym eingebracht ist, möchte wohl darin zu suchen sein, daß, wenn der Ver⸗ fasser genannt wäre, vielleicht der Staatsanwalt mit ihm Bekannt⸗ schaft machen wurde. Dann hat der Hr. Abg. Windthorst in einer Weise, die mit
habe die Sache gar nicht verstanden. Nun, meine Herren, Sie haben den Vortrag des Herrn Regierungskommissars zebört, Sie wissen, daß er an den langwierigen Verb an leren die über den Abschluß des Vertrages stattg-funden haben, betheiligt war. Ich muß daher Ihrem Urtheil überlassen, ob eine solche Anschuldigung berechtigt sei. Wenn endlich gefragt wird: wenn denn nun die Staatsregierung an⸗ erkenne, daß das hohe Haus dem schwebenden Rechtsstreit gegenuber nicht in der Lage ist, einen Rechts ausspruch zu thun; wenn ferner die Regierung, so fest sie auch davon überzeugt ift, daß sie sich überall in den Schranken des Gesetz. und in den Schranken des durch das Gesetz vom 23. September 1867 gezogenen Kreises bewegt hat, doch anerkennen muß, daß ja die ab= solnte Unmöglichkeit, daß die Agnaten in dem Rechtsstreit irgend etwas erkämpfen möchten, nicht zu behaupten ist und daher die defini= tive Regulirung erst erfolgen kann, wenn der Rechtsstreit entschieden ist; wenn gefragt wird, weshalb denn nun die Vorlage ge— macht ist: so erinnere ich den geebrten Herrn Vorredner daran, daß in der Verfassung eine Bestimmung ist, wonach alle Staatseinnahmen in den Staatshaushalt eingestellt werden müffen. Die Regierung ist nun der Meinung, daß ihr aus der Verwaltung dieser Vermögensobjekte — die, in Parenthese bemerkt, in diesem Augenblicke noch unter einer Separatverwaltung stehen —
daß ihr aus dieser Verwaltung Ueherschüsse zufließen werden; sie hat diese Meberschüsse normirt, und sie legt dem Landtage, wie es ihre verfassungsmäßige Verpflich⸗ tung ist, die desfallsizen Angaben vor. Ob der Landtag dabei
glaubt, daß der Vertrag mit dem Landgrafen Friedrich noch seiner Genehmigung bedürfe, oder ob, wie die Regierung annimmt, eine solche Genehmigung nicht erforderlich, sondern die Ermächtigung zu dessen Abschluß schon durch das Gesetz vom Jahre 1867 gegeben sei, das sind ja Fragen, die heute nicht zur Erörterung stehen, und ich gebe dem geehrten Herrn Vorredner zu, daß die Bewilligung der Etatzposition eine definitiv bindende Ecklärung in Bezug auf diese Frage nicht abgiebt. Ich acceptire überhaupt den Standpunkt, den der Herr Berichterstatter bei seinem ersten klaren, eingehenden und erschöpfenden Vortrage eingenommen hat, und ich bitte Sie, seinem Antrage zu entsprechen.
Nach einem kurzen Schlußworte des Berichterstatters wurde der Antrag der Budgetkommission angenommen, und die Position selbst gegen die Stimmen des Centrums und der Polen be⸗ willigt. ö. .
Die übrigen Titel wurden ohne Diskussion genehmigt, worauf sich das Haus um 4 Uhr vertagte.
— In der heutigen (18 Sitzung des Hauses ver Abgeordneten, welcher am Miniftertische der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums Finanz⸗Minister Camphausen und der Staats⸗Minister Dr. Falk mit mehreren Kommissarien beiwohnten, beantwortete der Staats⸗Minister Dr. Falk die von dem Abg. Schmidt (Sagan) gestellte und motivirte Interpellation welche lautet: w
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 1. Juni 1875 hat der Herr Kultus⸗Minifter erklärt, daß er die Frage des Pa—⸗ tronates für eine vorzugsweise zu erledigende halte, daß dieselbe sich in weiterer Bearbeltung befinde und er es für nöthig erachte, die vorhandenen Kräfte der 561 dieser Aufgahe zu widmen. — In dieser Sesston ist jedoch in Bezug auf die Einbringung eines Patronatsgesetzes und den Zeitpunkt, wann dieselbe in Aussicht ge⸗ nommen ist, noch nichts bekannt geworden. . —
Die Unterzeichneten erlauben sich daher die Anfrage an die Königliche Staatsregierung zu richten:
ob und wann die Finbringung einer solchen Gesetzes vorlage
en ,, beziehentlich: wie weit die Vorarbeiten ge⸗ iehen sofort dahin, daß die zu beantwortenden Fragen in dieser schwie⸗ rigen Materie solchen Aufwand von Mühe und Zeit erfordern, daß ein bestimmter Zeitpunkt für die Vorlegung des Gesetzes nicht angegeben werden könne.
Darauf motivirte der Abg. Schmidt (Sagan) seinen An⸗ trag, welcher lautet:
„Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die Staats- regierung aufzufordern, auf die Beseitigung der fiskalischen Brücken⸗ zölle baldmöglichst Bedacht zu nehmen.“ ; .
Der Abg. Wagner (Stargardt) sprach gegen die Beibe⸗ haltung der Brückenzölle. Nach einer kurzen Bemerkung des Regie⸗ tungskommissars wurde der Antrag der Budgetkommission über⸗ wiesen.
4 Haus beschloß auf den Antrag der Geschäftsordnungs⸗ kommission, Namens deren die Abgg. Fritze und Kletschke refe⸗ rirten, die Mandate des Abg. Rickert, welcher zum Landes⸗ direktor der Provinz Preußen, des Abg. Wisselinck, welcher zum Kreisgerichts-Rath, des Abg Bernhardt, welcher zum Forstmeister mit dem Range der Regierungs⸗Räthe ernannt ist, der Abgg. Kreisgerichtsdirektor Werner und Landrath Knebel, welche versetzt find und des Abg. Lehfeldt, welcher zum Stadtgerichts Rath er⸗ nannt ist, nicht für erloschen zu erklären. Darauf wurde bei Schluß des Blattes die zweite Berathung des Etats fortgesetzt.
— Berichte des Auswärtigen Amts bestätigen die tele⸗ graphische Nachricht, daß die Untersuchung des Handels⸗ amts zu London über den Zusammenstoß der Dampfer „Franconia“ und „Strathelyde“ erst dann ihren Anfang nehmen wird, wenn das gegen den Führer der „Franconia“ eingeleitete strafrichterliche Verfahren beendigt ist.
Dem Ersuchen, zu der handelsamtlichen Untersuchung einen Beamten des Kaiserlichen General⸗Konsulats zu London ab⸗ ordnen zu können, ist man englischer Seits bereits mit Bereit⸗ willigkeit entgegengekommen.
— In neuerer Zeit werden Gesuche um Verbesserung des Einkommens, sowie um Gewährung von Gehalts⸗ und Pensionszuschüssen und einmaligen Unterstützungen von Gei st⸗ lichen und Emeriten vielfältig unmittelbar an den Minister der geistlichen ꝛ. Angelegenheiten gerichtet. Da es in derartigen Fällen immer einer Erörterung und Feftstellung der thatsäch⸗ lichen Verhältnisse bedarf, so wird die Erledigung der Gesuche durch die Einreichung an den Minister verzögert und der Ge⸗ schäftsgang unnoöͤthigerweise erschwert. Die Konfsistorien sind deshalb veranlaßt worden, die Geistlichen und Emeriten hierauf aufmerksam zu machen und dieselben aufzufordern, in der Folge derartige Gesuche dem Konfistorium einzureichen.
— Die „Prov. ⸗Corresp.“ schreibt: „Das plötzlich eingetretene Thauwetter und der dadurch beschleunigte Eisgang haben in unserem Vaterlande ebenso, wie in benachbarten Ländern große Ueberschwemmungen und schwere Bedrängniß aller Art für die an großen Flüssen gelegenen Gebiete herbeigeführt. Die Weichsel und die Warthe, die Oder und die Elbe haben theilweise ihre Ufer überschritten und schwere Verwüstungen angerichtet. Am härtesten ist die Umgebung Magdeburgs, besonders die Stadt Schönebeck an der Elbe betroffen wor⸗ den, wo ven 700 Häusern 600 fast vollständig unter Wasser gesetzt worden find und von den Bewohnern unter Zurücklassung ihrer Habe verlassen werden mußten. In Folge der Schließung
jeinem liebenswürdigen Verfahren in anderen Fällen nicht völlis im Einklang fteht, veisichert, der Herr Regierungekommissar
aller Fabriken und 3 sind zugleich Tausende von Ar⸗ beitern brotlos. Aehnliche Bedrängniß tritt in einzelnen Gegen⸗
den von Ober⸗ und Niederschlefien, Posen und Westpreußen ervor. ; Die Königlichen Behörden sind bemäht, überall Beistand und Hülfe zu gewähren, soweit es möglich ist. Der Minister des Innern steht mit den betreffenden Ober⸗Präsidenten in fort⸗ gesetztem telegraphischen Verkehr, damit die erforderlichen Maß⸗ regekn überall schleunigst und mit Nachdruck ergriffen werden. Das Staats⸗Ministerium hat seinerseits die Schritte behufs wirksamer Hülfe aus Staatsfonds alsbald in Erwägung ge⸗ zogen, doch wird sich Bestimmteres in dieser Beziehung, nament⸗ lich behufs Anrufung der Mitwirkung des Landtages erst nach Eingang näherer Berichte über den vollen Umfang des Norh⸗ standes feststellen lassen. ; * Der öffentliche Wohlthätigkeitssinn aber, welcher allseitig aufgerufen ist, wird sich gewiß in allen von dem Unglück ver⸗ schonten Theilen der Monarchie auch bei dieser Gelegenheit durch schleunige Hülfsleistung bewähren.“
— Der Königliche Gerichtshof für kirchliche An⸗ gelegenheiten verhandelte heute in der Berufungssache des Superintendenten Meinhardt aus Cammin gegen das Er⸗ kenntniß des Evangelischen Ober⸗Kirchenraths vom 11. August 1875, welches den Provokanten auf dem Wege des Dis⸗ ziplinarverfahrens wegen. Unbotmäßigkeit seiner Ephoral⸗ rechte entkleidete. Der Gerichtshof war zusammengesetzt aus den Herren Ober⸗Tribunals⸗Vize⸗Präsident Wirklichen Geheimen Ober⸗ Justiz⸗Rath Heineccius (Voꝛsttzender), Ober⸗Tribunals⸗Rath Frhr. v. Diepenbrinck⸗Grüter, Ober⸗Tribunals⸗Vize⸗Präsident Dr. v. Schelling, Ober-Tribunals-Rath Hartmann, Ober Tribunals⸗ Rath Rappold, Präses der Rheinischen Provinzialsynode Pfarrer Dr. Nieden (Referent) und Apellationsgerichts Rath Ge⸗ heimer Ober⸗JZustiz⸗Rath Bürgers. — Die Berufung wurde von dem Gerichtshof zurückgewiesen. In der Motivirung des Spruches heißt es, daß der Provokant wegen Irrlehre nicht zur Untersuchung gezogen sei, eine Bestrafung dieserhalb auch nicht vorliege, 5. 63 ad 6 der Gemeinde⸗, Kirchen⸗ und Synodal⸗ Ordnung mithin nicht Platz greife. Den thatsächlichen Fest⸗ stellungen des Evangelischen Ober⸗Kirchenrxaths gegenüber habe der Gerschtshof die Ueberzeugung gewonnen, daß durch das angefochtene Verfahren nach keiner Richtung hin die Gesetze des Staats oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt seien.
— Kirchliche und religiöse Vereine und Ver⸗ sammlungen zum Zwecke einer gemeinsamen Religionsũbung find, nach einem Erkenntniß des Ober⸗Tribunals vom II. Januar 1876, grundsätzlich als solche zu betrachten, in wel⸗ chen öffentliche Angelegenheiten erörtert werden, und fallen dem⸗ gemäß unter die Bestimmungen des preußischen Vereins⸗ gesetzes vom Jahre 1850. Die Statuten und Mitglieder⸗Ver⸗ zeichnisse derartiger Vereine müssen, wenn sie keine Korporationg⸗ rechte haben, der Ortsbehörde zur vorschriftsmäßigen Kenntniß⸗ nahme vorgelegt werden, und die Versammlungen sind zur vorschriftsmäßigen Anzeige hei der erwähnten Behörde zu bringen.
— Hiesige Blätter berichteten in den letzten Tagen über einen miktelst gefälschter Postanweisungen hier ausge— führten Betrug, welcher durch Anwendung sogenannter sympa⸗ thetischer Tinte ermöglicht worden sein soll. Es sind allerdings im Monat Dezember einige gefälschte Postanweisungen in Berlin zur Auszahlung gelangt; allein die sogenannte sympa⸗ thetische Tinte spielte hierbei keinerlei Rolle, sondern es han— delte sich um einen plümpen Betrug, dessen Thäter sich bereits in den Händen der Sicherheitsbehörde befindet, während man den Mitschuldigen auf der Spur ist.
— Wir machen darauf aufmerksam, daß vom 1. März ab die Gebühr für Stadt⸗-Telegramme beträgt: 20 Pfennig Grundtaxe für jedes Telegramm und 2 Pfennig Worttaxe für jedes Wort. (Der allgemeine Tarif für Telegramme im ganzen Reich beträgt bekanntlich 20 Pfennig Grundtare und 5 Pfennig Worttaxe).
Ober⸗Zollrath Schmidtkonz ist nach München abgereist.
— Ver Kaiserlich russische Oberst und Flügel⸗Adjutant Sr. Majestãät des Kassers, Fürst Nicolaus Dolgoroucki, ist heute früh aus St. Petersburg hier eingetroffen.
Lauenburg. Ratzeburg, 29. Februar. Einer Bekannt⸗ machung des Landraths zufolge wird mit dem 1. März d. 3. die vollständige Einrichtung des Vermessungswesens für das Herzogthum Lauenburg ins Leben treten. Zu dem Zwecke ist das Land in drei Vermessungsbezirke, Steinhorst Mölln und Schwarzenbeck, eingetheilt.
Bayern. München, 28. Februar. Die „Allg. Ztg.“ meldet: Der wegen seiner Thätigkeit in klerikalen Blättern be⸗ kannte, mehrfach und zuletzt wegen Majestätsbeleidigung des Deutschen Kaisers vom oberbayerischen Schwurgerichte verurtheilte Frhr. v. Linden ist der Würde eines Kammerherrn Sr. Ma⸗ sestät unseres Königs nunmehr enthoben worden. — Stifts propst Pr. v. Dölling er erhielt heute zu seinem 77. Geburtstage von Sr. Majestät dem Könige die besten Glückwünsche in huld⸗ vollster Weise. — Nach telegraphischer Mittheilung aus Rom ist die Ernennung des bisherigen Gesandten Italiens in Stuttgart, Grafen Ratti⸗-Opizzoni, zum Gesandten am Königlich bayerischm Hofe nunmehr erfolgt, und wird derselbe gegen Mitte des näch⸗ sten Monats hier eintreffen. — Wie der „Allg. Ztg. von kompe⸗ tenter Seite mitgetheilt wird, find die von dem Südd. Corre⸗ spondenzbureau verbreiteten Telegramme über den neulichen Beschluß des Finanzausschusses der Kammer der Ab⸗ geordneten nicht genau, da gerade der wichtigste Theil des Be⸗ schlusses des Zinanzausschusses weggelassen ist. Es wurde allerdings die Regierungsvorlage bezüglich der weiteren Theuerungszulage von 210 (6 für jeden pragmatischen Beamten abgelehnt, dagegen aber die bisherige Theue⸗ rungszulage als pragmatischer Gehaltszuschlag erklärt, so daß der pragmatische Gehalt eines jeden Beamten sich nicht allein um die 5 Proz. der Umxechnung, sondern auch um
der Regierungsvorlage bezüglich der Umrechnung der Pensionen, Sustentationen, Bezuͤge der Lehrer 2c, sowie der Erhöhung der Theuerungszulage für das nicht stabile Personal wurden an⸗ genommen. = Am 23. starb in seinem Schlosse zu Tambach der Graf Franz Karl zu Ortenburg im Alter von 74 Jahren. Als Chef eines standesherrlichen Hauses war der Verstorbene erbliches Mitglied der bayerischen Reichsraths kammer, welcher er seit dem November 1831 angehörte.
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. Weimar, 1. März.
(Weim. Zig) Der Großherzog hat den Herzog Paul Friedrich von Mecklenburg⸗Schwerin, den Prinzen Heinrich JV. Reuß j. C.
— Der Bundesraths-Bevollmächtigte, Königlich bayerischer
die bisherige Theuerungszulage vergrößert. Die übrigen Theile
und den Prinzen Heinrich XIII. Reuß j. L. unter die Groß⸗ kreuze des Hausordens der Wachsamkeit oder vom weißen Fal⸗ ken aufgenommen.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 28. Februar. Das Reichsgesetzblatt veröffentlicht das Gesetz vom 26. Februar 1876 über die Kaiserlich Königliche Gensd armerie für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.
29. Februar. Im Abgeordnetenhause interpellirte der Abg. Pawlinovie und Genossen den Minister des Innern darüber, ob die österreichische Regierung sich mit der ungarischen bezüglich der Behandlung der Flüchtlinge aus Bosnien und der Herze⸗ gowina in Einvernehmen gesetzt habe, und wie die Regierung in dieser Hinsicht vorzugehen gedenke. Im weiteren Verlaufe der Sitzung wurde die Kotirungssteuer angenommen.
— 1. März. (W. T. B) Das ungarische Amtsblatt veröffentlicht die aus Gesundheitsrücksichten erfolgte Enthebung des bisherigen Ministers für Kroatien und Slavonien, Grafen Pejacsevich de Veröcze, von seinem Posten und die Er⸗ nennung Bedekovichs zum Minister für Kroatien und Slavonien. — Der Kaiser und die Kaiserin haben weitere 40 000 Fl. für die durch die Ueberschwem mung in Ungarn heimgesuchten Bewohner gespendet.
Niederlande. Haag, 23. Februar. Nach den letzten Mittheilungen aus Cannes nimmt die Besserung in dem Be⸗ finden der Königin fortwährend zu, obschon die Kräfte noch nicht vollstãndig wieder hergestellt sind. Die Königin wird das ganze Frühjahr in Cannes zubringen. — Die Zweite Kammer der Generalstaaten hat heute ihre Sitzungen wieder aufgenommen.
— 29. Februar. (W. T. B.) Der bisherige Gesandte in Stockholm, A. Mazel, ist zum Gesandten in Lissabon ernannt worden; an seine Stelle tritt in Stockholm van Karnebeek; der bisherige erste Sekretär
bei der Gesandtschaft in Paris, van Bylandt, wird durch Wittenaal de Stoetwegen, bisher Legationssekretär in St. Peters⸗ burg, ersetzt.
— Hier eingegangenen Nachrichten aus Atchin zufolge ist der Oher⸗Befehlshaber der dortigen niederländischen Truppen, General Peel, an der Cholera gestorben. An seiner Stelle hat Engel den Oberbefehl über die niederländischen Truppen über- nommen. Letztere rücken weiter vor; verschiedene Häuptlinge der Eingeborenen haben sich unterworfen. .
Großbritannien und Irland. London, 28. Februar. Der Herzog von Edinburgh ist am Sonnabend nach Ports⸗ mouth abgereist, um das Kommando auf dem Panzerschiff „Sultan“ zu übernehmen. — Der neuernannte Vize⸗König von Indien und der neue Oberbefehlshaber der in Indien stehenden Truppen werden auf dem gleichen Schiffe, dem Truppen⸗ transportschiffe „Orontes“, die Reise nach Indien antreten. Lord Lytton reist mit seiner Gemahlin am 1. März von hier ab, um sich über Paris nach Neapel zu begeben, wo er sich einschiffen wird. — Am Sonnabend empfing Lord Lytton noch eine Deputation von der Manchester Handelskammer, die mit ihm eine Be⸗ sprechung über die Aufhebung der Einfuhrzölle auf Baumwollwaaren in Indien hatte. Wie kürzlich der Marquis of Salisbury, so erklärte sich auch Lord Lytton im Prinzip für die Abschaffung der Zölle, gab aber der Deputation zu bedenken, daß die wenig elaflischen indischen Finanzen vorläufig einen solchen Ausfall nicht ertragen könnten. — Die elf meu⸗ terischen Seeleute, meist Griechen und Italiener, welche den Kapitän und die Offiziere des Schiffes „Lennie“ ermordeten, sind von den französischen Behörden an England ausgeliefert und hier vor dem Richter in Bon⸗Street vorläufig verhört worden. — Wie der Times“ aus Rangun telegraphirt wird, hat im Gefängniß zu Moulmein eine Emeute stattgefunden, wobei 11 Sträflinge erschossen und mehrere verwundet wurden. — In Worksop kam es in der vergangenen Woche anläßlich der letzten Parlamentswahlen zu ernstlichen Ruhe— Förungen. Um deren Wiederholung am Sonnabend vorzu⸗ beugen, wurden umfassende Polizeimaßregeln getroffen, und auch Militär aus dem nahen Sheffield abgeschickt. mie amtliche Kor⸗ respondenz des Auswärtigen Amtes mit Señor Gutierrez, e . von Honduras, ist dem Parlamente vorgelegt worden.
Frankreich. Paris, 27. Februar. In einem heute veröffentlichten Brief hält der Minister des Auswärtigen, Herzog Decazes, seine Kandidatur zur Deputirtenkammer in Paris aufrecht: er vertraue fest auf die bestehende Verfassung, in der Hoffnung, daß durch dieselbe Jedermann im Inlande, sowie im Auslande in der Ueberzeugung von der Mäßigung und Bestän⸗— digkeit der französischen Republik und der Stärke ihrer Regierung befestigt werde.
— 29. Februar. (W. T. B.) Don Carlos ist, von dem Grafen von Caserta begleitet, gestern Abend in Maulson ange⸗ kommen und nach Pau weitergereist. Der Präfekt von Pau hat Don Carlos eröffnet, er könne ihm auch nicht vorübergehend den Aufenthalt in dem Departement Pyrénées gestatten, doch werde 1. provisorisch seinen Aufenthalt im Norden Frankreichs nehmen önnen.
— 1. März. (W. T. B.) Don Carlos hat gestern Abend Pau verlassen, um sich nach England zu begeben; der Graf von Caserta ist von Pau nach Cannes abgereist.
Spanien. Madrid, 29. Februar. (W. T. B) Eine Anzahl Deputirter beabsichtigt, unverzüglich einen Antrag einzu⸗ bringen, in welchem die Regierung ersucht wird, das Gebiet von Biscaya und Ravarra mit den angrenzenden spanischen Pro⸗ vinzen zu verschmelzen.
Italien. Rom, 22. Februar. Die „Italie“ bespricht die Spaltungen in der klerikalen Partei Italiens und die Aussichten, die sich daran knüpfen, wie folgt:
Die klerikale Partei ist im Begriff sich zu spalten, man kann sogar sagen, daß dies schon vollendete Thatsache ist. Was noch vor einem Jahre ihre Stärke ausmachte, und worin zugleich für uns eine Gefahr lag, das war ihre Einigkeit im Handeln, eine Frucht ihrer Disziplin. Jetzt ist die Disziplin er⸗ schlafft, zum Theil erschüttert, und in Folge dessen hat auch die Einigkeit des Handelns aufgehört.
So lange die Klerikalen hoffen durften, daß die in Italien errichtete Ordnung der Dinge aus Mangel an Boden in sich selbst zerfallen oder durch eine fremde Invasion . werden könnte, blieben sie einig und warteten ab; als sie aber die Beobachtang machten, daß der so pomphaft angekündigte Dies irae nicht anbrach und keine Aussicht auf seinen Anbruch vorhanden war, da begannen die Einsichtigen unter den Kleri⸗ kalen, das heißt diejenigen, welche die wahren Interessen der Religion über die materiellen Interessen stellen, sich davon zu
unter allen Umständen zu schmollen, das schlechteste von allen war und daß man ein guter Katholik bleiben kann, auch wenn man einen gewissen Antheil an öffentlichen Angelegenheiten
nimmt.
Die Fanatiker lehnten sich gegen diese ehrenwerthen Bestrebungen auf und suchten den Grundsatz zur Gel⸗ tung zu bringen: „weder Wähler, noch Gewählte“, in⸗ dem sie ihn feierlich durch den Vatikan proklamiren zu lassen strebten. Als aber die Administrativwahlen kamen, nahmen die Einsichtigen unter den Klerikalen daran Theil und ließen die Fanatiker in der Wüste predigen.
Auf dem katholischen Kongreß in Florenz wurde die Spal⸗ tung noch deutlicher, trotz aller Sorgfalt, die man darauf ver⸗ wandte, sie zu verheimlichen. Man sah Katholiken sich auf das Parlament berufen, und man hörte Katholiken der Frage der politischen Wahlen dadurch nähertreten, daß sie die Nothwendig⸗ keit behaupteten, fich daran zu betheiligen. Man darf mit Recht sagen, daß seit diesem Tage die Einheit des Handelns und die Einheit der Disziplin für immer gebrochen waren, und daß seitdem die Partei in zwei Fraktionen, die der Intransigenten und die der nationalen Katholiken gespalten ist.
Viele Liberale erschraken über ein derartiges Ereigniß und wollten darin eine ernstliche Drohung für Italien erblicken; was uns betrifft, so haben wir es als außerordentlich günfstig für unsere Sache begrüßt. Uebrigens waren wir nicht die Ein⸗ zigen, die ein solches Urtheil fällten. In der That, die Spal⸗ tung der alten klerikalen Partei, die sie materiell weniger ge⸗ fährlich machte, begründete zu gleicher Zeit für uns eine Art Triumph; die nationalen Katholiken näherten sich uns um einen Schritt; sie erkannten, so zu sagen öffentlich, die gegenwärtige Ordnung der Dinge an. Das war eine langsame Bewegung zu einer unausbleiblichen Schwenkung. Auf der anderen Seite — und dies ist für uns ein neuer Vortheil — werden die von den gemäßigten Katholiken sich selbst überlassenen Fanatiker durch ihre Zügellosigkeiten unserer Sache nur dienen können.
Was gegenwärtig in Bologna vorgeht, ist die erste Wirkung dieser Spaltung; andere Ereignisse werden unser Urtheil bald bestätigen. Das liegt in der natürlichen Ordnung der Dinge. Anstatt in der Haltung der Bevölkerung von Bologna eine heil⸗ same Warnung zu sehen, werden die intranfigenten Klerikalen es noch schlimmer machen, und das zum großen Vortheil un— serer eigenen Sache. Ihr zügellos reaktionärer Geist hat Italien seine Einheit vollenden geholfen und ihm die Sympathien ganz Europas gesichert.
Lassen wir sie also gewähren, lassen wir sie arbeiten für unsere Rechnung, und wir, Liberale, handeln wir mit Klugheit, um die nationalen Katholiken zu ermuthigen, sich um einen zweiten Schritt uns zu nähern. Es wäre ein schwerer Irrthum, wenn wir sie von uns wiesen und sie zwängen, zu ihrer alten Partei zurückzukehren. Freilich haben wir keine Veranlassung, uns Illusionen zu machen und zu glauben, sie könnten von einem Tage zum andern vollständig ihre Vergangenheit ver⸗ gessen; nein, sie werden noch lange Zeit ernstlich mit sich selbst zu kämpfen haben; aber die Einsicht und der Patriotismus wer— den schließlich den Sieg davon tragen.
— Ueber den Eindruck, den die jüngsten Niederlagen der klerikalen Partei in Rom hervorgebracht haben, be— richtet man der „Nat. Ztg.“ von dort unterm 25. Februar:
Noch vor kurzer Zeit hatte man im Vatikan auf zwei mächtig gloriose Siege gehofft, und sah schon im Geiste Spanien und Frankreich in ultramontanen Händen. Aber Tag auf Tag bringt der Telegraph nichts als Hiobsposten aus ihrem Lager. Der Carlismus ist nun entschieden todt, die letzte Hoffnung, an die man sich anklammerte, ist von der Wirklichkeit grausam vernichtet. Der Carlismus hätte zu seiner Erhaltung vor Allem des Goldes bedurft; aber das kostbare Metall fing an gänzlich zu fehlen, seit der Herzog von Modena todt ist und die spanischen Bischöfe mit dem Ver⸗ luste des Glaubens an den Sieg die Lust verloren haben, für eine desperate Sache Geld auszugeben. Wenn die „Voce della Verita“ reden dürfte, wie sie wollte, würde sie diese geist⸗ lichen Geizhälse sammt und sonders mit dem Anathem belegen; aber da der heilige Vater auf Don Carlos übel zu sprechen ist, muß sie schweigen, ja sie darf sich nicht einmal nach Herzenslust über den gräßlichen Skandal äußern, daß die beiden Repräsentanten Sr. katholischen Majestät, welche im spanischen Palaste in. Rom als friedliche Hausgenossen zusammen— wohnen, ihre Soiréen gegenseitig besuchen, so daß der recht⸗ gläubige Botschafter beim heiligen Stuhle mit den ketzerischen italienischen Ministern und dem beim Könige akkreditirten diplo⸗ matischen Corps in eine für seine Rechtgläubigkeit höchst gefähr⸗ liche Berührung kommt. Von demselben Kontagium ist auch der französische Botschafter beim Vatikan bedroht, seit der Marquis de Noailles Gesandter beim Quirinal ist, und die beiden — übrigens gleich klerikalgesinnten — Diplomaten freund⸗ schaftlich mit einander verkehren.
Was aber die Klerikalen tiefer betrübt, als das moralische Verderben, welchem die vatikanische Diplomatie ausgesetzt ist, sind die französischen Parlamentswahlen, deren Ausfall die Flerikalen im Sinne des Wortes verblüfft hat. Wie eine jede von Illusion lebende Partei, hatten die hiesigen Kleri⸗ kalen auf einen vollständigen Sieg ihrer Gesinnungsgenossen in Frankreich gerechnet. Veuillot wurde nicht müde in die Welt hinaus zu schreien, daß ganz Frankreich zu den Füßen des heiligen Vaters liege, und Monsignore Dupanloup gab während seines neulichen Aufenthaltes in Rom dem Papste die bündigsten Zusicherungen von Seite des Marschalls und der Marschallin Mac Mahon, daß die Regierung Frankreich wieder katholisch machen werde. Kein Wunder also, wenn die Nieder⸗ lage schmerzlich empfunden wird. Die Wendung der Dinge in Feankreich vernichtet mit einem Schlage eine ganze Kette schöner Hoffnungen nicht nur in Frankreich selbst, sondern auch in Bezug auf Deutschland, Italien und Spanien. Pius X., in dessen Art es sonst nicht liegt, ernste Dinge ernst zu nehmen, soll das Resultat der französischen Wahlen für eine Art Gottesgericht erklärt 1 gegen welches es vergeblich wäre, sich zu sträuben, und er klerikalen Presse war durch einige Tage ihr Latein aus⸗ gegangen. Der Schlag ist ein so harter, daß kleine Unfälle, wie die belgischen Skandale, die Mißerfolge des Kardinals Manning und die vom Grafen Andrassy aus Rücksicht auf Deutschland und Rußland verfügte Unterbrechung der galizischen Triumph⸗ reise des Märtyrers Ledochowski, unter der Wucht dieses Schla⸗ ges kaum empfunden werden.
Werden auch nicht deshalb alle Hoffnungen auf Frankreich aufgegeben, so sehen die Klerikalen doch ein, daß vorläufig auf die Franzosen nicht zu zählen sei, und täusche ich mich nicht ganz und gar, so werden sie sich vor allem in Italien zu
revanchiren suchen. Möglicherweise kann die Niederlage in Frank⸗
überzeugen, daß das System, welches darin besteht, immer und reich der Anlaß werden, daß in Italien die Frage der Theil⸗
nahme der stlerikalen an den politischen Wahlen früher zur Lösung kommt, als man es sonst bei dem Starrsinn Pius IX. erwarten durfte. Nachdem von Oesterreich nichts Großes für die Kirche mehr zu erwarten ist und die Restauration der Bour⸗ bons in Neapel auch eben nicht in naher Aussicht steht, so könnte die heilige Penitenziaria unschwer ein jesuitisches Kunststücklein er⸗ finden, um das zarte Gewissen der Klerikalen zu beruhigen. Schon heute sagen die Klerikalen, daß sie den jetzigen Rechts zustand in Ita⸗ lien nicht anerkennen, sondern sich in denselben nur zwangsweise fügen, um ihn desto sicherer mit allen Rechtsmitteln bekämpfen zu können. Mit einigem scholastischen Scharfsinn ist diese Prinzipienerklärung so dehnbar wie Kautschuk zu machen. Warum sollte man nicht, mit Ausnahme der ehemals päpstlichen Provinzen, in denen die Klerikalen ohnehin keine Aussicht auf Erfolg haben, den klerikalen Wählern der übrigen Provinzen gestatten können, das Parlament mit gut klerikalen Deputirten zu bevölkern? Ein kleines scholastisches Kunststück der Penitenziaria kann ja da alle Skrupel beschwichtigen. Eine schõne klerikale Majoritãt im italienischen Parlament wäre ja doch wenig tens so viel werth als im französischen, vielleicht sogar mehr, denn sie wäre im eigentlichsten Sinne des Wortes „finis Italian und die unblutige Restauration der weltlichen Papstherrschaft, sobald sich ein klerikales Ministerium zur Ausführung eines solchen Beschlusses fände. Es wäre wahrlich der Mühe werth, ein solches Experiment zu machen, vorausgesetzt nämlich, daß der Vatikan überzeugt ist, daß die Mehrheit des Landes klerikal sei. Ich denke aber, daß der wirkliche Grund der Enthaltungapolitik des Vatikans eben nur die Ueberzeugung vom Gegentheil und die Furcht vor einer kapitalen Niederlage seiner Partei sei, und 6 Enthaltung nur deshalb zu einer Prinzipienfrage gemacht werde!).
Dänemark. Kopenhagen, 28. Februar. Das Lands—⸗ thing nahm in seiner Sitzung am Sonnabend den Gesetzentwurf, betreffend die Gehälter der Beamten der Volkskirche, in dritter Lesung und mit mehreren, vom Kultus⸗Minister gestellten Aenderungsanträgen mit allen gegen 1 Stimme an. Der Gesetzentwurf geht nunmehr an das Folkething. — Auf der Tagesordnung des Folkethinges stand am Sonnabend die dritte Lesung des Gesetzentwurfes, betreffend die Organisation der Seewehr. In namentlicher Abstim⸗ mung wurde der Gesetzentwurf mit 53 gegen 2 Stimmen an⸗ genommen; 45 Mitglieder waren abwesend. Die dritte Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend die Beobachtung der Sonn⸗ und Feiertage der Volkskirche, gab zu einer lebhaften Debatte Veranlassung. Der von DO. Christensen und Genossen gesiellte Aenderungsantrag, daß an Sonn⸗ und Feier⸗ tagen nur die Läden nach der Straße zu geschlossen zu halten und der Straßenhandel zu verbieten sei, wurde von dem Führer der Linken, J. A. Hansen, der sich den Ausführungen des Justiz⸗ Ministers anschloß, heftig bekämpft, und das in der zweiten Lesung angenommene unbedingte Verbot allen Handels beizu⸗ behalten empfohlen. Nach Zurückziehung dieses Amendements fand der Gesetzentwnrf mit 64 gegen 1 Stimme Annahme, und geht derselbe jetzt an das Landsthing.
Türkei. Belgrad, 29. Februar. (W. T. B.) Die Re⸗ gierung hat ein Verbot, betreffend die Ausfuhr von Gen treide, erlassen.
Vereinswesen.
Der Verein gegen Verarmung hielt am Montag Abend unter dem Vorsitze des Stadtverordneten Vorstehers Dr. Straßmann seine diesjährige Generalversammlung im Bürgersaale des Rath⸗ hauses ab. Die Anforderungen an den Verein sind nach dem von dem Vorsitzenden erstatteten Geschäftsbericht im vorigen Jahre in außergewöhnlicher Weise gestiegen, dabei haben die Darlehen gegen das Vorjahr um ca. 12000 S6 abgenommen, die Geschenke dagegen um ca. I0, 000 M zugenommen. Auch die Gesuche um Bewilligung von Nähmaschinen sind erheblich hinter dem Vorjahr zurückgeblieben. Gegenüber den erhöhten Anforderungen an den Verein sind die regel⸗ mäßigen Beträge nicht in demselben Maße gestiegen. — Was die
finansiellen Resultate anlangt, so stellen sich die Ein— nahmen des vorigen Jahres beim Vorstand und den Lokal⸗ Comités wie folgt: Bestand 73,189, S Beiträge, Ge
schenke 2c. 87,396, SJ, Legat des verstorbenen Musikdirektors Conradi 26, 325,7 „66, Rückzahlungen der Unterstützten 53, 932,21 (, Zinsen 2971,16 S6, Asservate 55,3 , Summa 243 780,85 M Aus- gegeben wurden dagegen: Darlehne, Geschenke 2c. 137,713,066 46, Ver⸗ waltungskoften 21,1847 S6, Summa 159 19.7533 (S6, Im Laufe des vorigen Jatres sind 305 Nähmaschinen ausgegeben 777 weniger als 1874), seit dem Bestehen des Vereins 1839 Ma⸗ schintt. Von den im vorigen Jahre bewilligten Näh⸗— maschinen mußten 41 zurückgenommen werden, weil die Empfänger die Abschlagszahlungen böswillig verweigerten, 22 wurden freiwillig zurückgegeben und 19 von den Empfängern widerrechtlich verkauft resp. versetzt. An Darlehen wurden verausgabt an 27 Personen 697842 606 in Posten von 30— 1200 ƽ , an Geld unterstützungen als Geschenke an 49 Personen 1161,00 „½ in Posten von 10— 95 4; laufende Unterstützungen an 6 Personen und an den Kinderschutznerein für 9 Pfleglinge 1041,70 46, an Almosenempfänger, für welche vom Prinzen Georg eine besondere Unterstützung ausgesetzt ist, 919, ss MS, und Rechtschutz wurde in 3 Fällen gewährt, wo es sich um Entschädigungen wegen Körperverletzung handelte. Nachdem die Rechnung des Vorstandes dechargirt, legte Pr. Straßmann wegen Ablaufs der Wahlperiode das Ant als Vorsitzender nieder, wurde indessen einstimmig wiedergewählt.
Gewerbe und Handel.
Die Berliner Immobilien ⸗Gesellschaft vertheilt nach dem Beschluß der gestrigen Generalversammlunz 63*½ Dividende. Aus dem Bericht des Aufsintsrathes entnehmen wir Folgendes: Die in der Generalversammlung vom 26. Januar v. J. beschlossene Zu sammenlegung von je zwei 50 igen Interimsscheinen in eine Voll⸗ aktie, ist von dem größten Theile der Aktionäre bereits vollzogen worden. Auf Grund der uns von der Generalversammlung vom 2. März 1875 ertheilten Ermächtigung wurden zum Zwecke der Amorti⸗ sation 1.201, 200 S 5Goege Interimsscheine — 600 600 A6 Voll⸗ aktien und 0, 400 06 Vollaktien, in Summa 6öl, 900 S6. Vollaktien angekauft, und dafür 560, 138 M S0 3 verausgabt, so daß gegen den Nominalwerth ein Gewinn von 96,861 6 20 M erzielt worden ist, der zu außergewöhnlichen Ausgaben theils verwendet, theils reser⸗ virt werden ist. Zur theilweisen Deckung der erforderlichen Beträge wurden auf die bisher schuldenfreien 6 Häuser (in der städtischen Feuerkasse mit 805, 050 6 stehend) vom Berliner Pfandbrief⸗Amte 450,300 AM 410½ige städtische Pfandbriefe aufgenommen, deren Begebung einen Cours⸗ und Zinsengewinn von 6023 S 45 3 brachte. Der Hypothekenstand per 1875 hat sich demnach nur um die städti⸗ schen Pfandbriefe erhöht, nämlich von 6810900 M auf 1,131,300 Die Miethseinnahmen erhöhten sich pro 1875 auf 258, 887 Sp 20 gegen 247,689 M in 1874. Für Renovationen und Reparaturen sind bis jetzt 64,141 M 25 verausgabt werden; für noch nicht fest— gestellte Rechnungsbeträge, sowie für künftige Renovationen und außer- gewöhnliche Aucgaben werden im Ganzen 20 000 „ reservirt. Im Debet des Gewinn- und Veclustkonto findet sich ein Posten von 1896 ½ für nachträglich bezahlte Gewerbestzuer. Von dem Gewinne
am Amortisationskaufe wurden an außergewöhnlichen Ausgaben be⸗