Die Drardende auf die dein Jahre 1872 angehörenden Prämien wird im Jahre 1857 um zwei Prozent steigen und 170,9 betragen, wäh⸗ rend der Sicherheit fonds um 22.628 M erhöht ist und 101,804
bettãgt.
— Die Aktiengesellschaft für Glasfabrikation, Alberttknenhätte hatte am 31. Dezember 1875 eine Unterbilan von 598, 701 6 Das i , e, beträgt 1,ů185, 000 , an Prio⸗ ritätsobligationen sind ausgegtben 760, 8 (, Hypotheken hat die Gesellfckait Ss 00 6, außerdem eine schwebende Schuld von Bös 3 6. Der Reservefond enthält 6778 46, außerdem sind 15 353 6 Abschreibungen vorgenommen. Die Außenstände beliefen sich auf 46 530 6, Kafsa und Wechsel 1146, Effekten 4006, Feuerung 10975, Fabrikate 22 540, Grundftückskorto 553 807, Gehäude 175,210, Glasb*ewckenkonto zo56z, Materialien 1330, Mobilien 1764, Maschinen 962. Ofen 360 5905, Fuhiwerk 14, 1535, Schmiede 10000, Uten silien 54,312 M1.
— Die Bilanz des Warsteiner Gruben ⸗ und Hütten⸗
vereins schließt ohne Gewinn ab. Die Beträge für die statutarischen Abschre bungen mußten aus dem Exta-Reservefonds unter Zuhũůlfe⸗
nahme von A4. 829 M aus dem Resczvefonds beschafft werden. Die]
Gene. aloersammlung ertheilte Decharge. — Die Generalversamanlung der Aktionäre der Hessischen
Ludwigsbahn ertheilte Decharge und beschloß die Vertheilung einer Dividende von 6 oo, det Dotirung des Erneuerungsfonds der älteren Linien mit 550 G6 1, des Reservefonds mit 31,000 6 und des Penstonsfonds mit 40, 000 S6. Auf neue Rechnung werden 95 000 Æ vorgetragen. Weiter genehmigte die Versammlung einstimmig die ö des 5. 23 der Statuten behufs Einsetzung einer Spezial irektion.
Wien, 29. April. (W. T. B) In der nunmehr vorliegenden Bilanz der Ang lobank werden unter den Aktiven aufgeführt: An Cassa 2,800, 06 Fl., an Wechselportefeuille 4900, 000 Fl. (gegen das Vorjahr So, 000 Fl. weniger). an Effekten 500,000 Fl., an Vor⸗ schüssen auf Effeklen 2300, 0090 Fl., von Besitz an Koblenwerken 1,606, 000 Fl, an Realitäten 1.500, 900 Fl., an Debitoren 25, 00 000 Rl. (gegen des Vorjahr 10 500 00 Fl. weniger). Unter den Passiven figurlren: Das Aktienkapital mit 24 000000 Fl, die Accepte mit ICG obo Fl, die Kreditoren mit 4800 000 FI, der Saldoverlust mit
2600.00 Fl. Unter den Effekten befinden sich 2709 00031. Anlehen⸗ werthe; Hauptposten derselben bilden;: Kommunalloose mit 142 144 Fl., Prioritäten der Kronprinz Rudolf-⸗Bahn zum Course von 817 mit L600, 497 Fl., ferner 1300090. Fl. Aktien, worunter 5683 Stück Hotelaktien à Ss und 2833 Aktien der Leipziger Dis kontobank im Betrage von 331,076 Fl. Unter den Debitoren figuriren die Konsor⸗ fialgeschäfte mit 4506 000 Fl. und die Acceptationskredite gegen Unterlage von Wechseln, Staats- und Industriepapieren mit 4 500 069 Fl.
— (W. Die Direktion der öͤst erreich isch en Südbahn hat die ordentliche Generalversammlung euf den 30. Mai anberaumt. Auf der Tagesordnung stehen der Jahresbericht, das Absolutorium und die Verwaltungsrathswahlen,
dagegen ist die Baseler Konvention nicht erwähnt.
— 30 April. (W. T. B) Bankier Aub von Fran k⸗ furt a. M., welcher an der hiestgen Börse den österreichischen Staats- kredit öffentlich geschmäht hatte, ist aus den o sterreichis ch en Staaten dieffeits der Leitha polizeilich ausgewiesen worden. Aub hat gegen diese Maßregel Rekurs erhoben.
T. B.)
Berlin, den 1. Mai 1876. Weltansstellung in Philadelphia 1876.
Außer den zwölf Deutschland zugetheilten Preisrichter stellen sind demselben nachträglich noch zwei weitere Sitze in der Jury, und zwar für Textilindustrie und zugehörige Maschinen und für Instrumente und Apparate zu Heilzwecken überwiesen worden. Für diese Stellen sind der Professor an der Gewerbe⸗Akademie in Aachen Dr. Herrmann und der Generalarzt des Königlich sächsischen Armee⸗Corps Dr. Roth in Dresden gewonnen worden.
Staat und Kirche. I. Vergl. Nr. 93 d. Bl.)
Unter den auf dem kirchlichen Gebiete in letzter Zeit erschienenen Schriften nehmen Dr. Carl Bernhard Hundes⸗ hagens ausgewählte kleinere Schriften und Abhand⸗ lungen eine hervorragende Stelle ein. Dieselben sind im Verlage von F. A. Perthes in Gotha nach handschriftlichen BVerbesserungen und Ergänzungen von dem Dr. theol, et phil. Theodor Christlieb, Professor in Bonn, in zwei Abtheilungen neu herausgegeben worden. Es ist dies um so schätzenswerther, als die kleineren Schriften und Abhandlungen Hundeshagens nicht blos wifsenschaftlichen, sondern vor Allem einen praktischen Werth haben. Der gelehrte Theologe verstand es in seltener Weise, die Lehren der Geschichte zur Beleuchtung der Gegenwart, und namentlich der augenblicklich mannigfach fich kreuzenden Zeit⸗ strömungen, wie kirchlichen und kirchlich politischen Aufgaben zu ver⸗ werthen. Von bisher noch nicht Veröffentlichtem in aus Hundes⸗ hagens Nachlaß ein Manustript aufgenommen worden, eine Ausführung über den „Staatscharakter des Romanismus“ und „Skizzen zur geschichtlichen Entwickelung“ des Romanismus und Protestankismus in ihrem Verhältniß zum Staate, das trotz feines fragmentarischen Charakters der unmittelbarsten Be— ziehung halber, in welcher es zu dem großen Entscheidungs⸗ lampfe zwischen Staatsgewalt und Papstthum steht, lebhaftes Interesse beanspruchen darf. Von den beiden Bänden, deren jeder in vieler Beziehung ein Ganzes bildet und auch besonders zu beziehen ist, nennt fich der erste „Zur christlichen Kultur und innerendeutschen Zeitgeschichte. Seinen Grundstock bilden eine Anzahl anfangs der fünfziger Jahre ver⸗ faßte Abhandlungen, welche im Gegensatz zu dem modernen vom Christenthum losgelösten und darum verkehrten Humanitäts⸗ ideal, die unermeßliche Bedeutung des pofitiven Christenthums und dadurch namentlich auch die der Kirche für das gesammte Volkeleben und besonders für das höhere Kulturleben der Nation feiern und zum Bewußtsein bringen. Wir erwähnen die akademische Festrede „Ueber die Natur und die geschicht⸗ liche Entwicklung der Humanitatsidee in ihrem Verhältniß zu Kirche und Staat“, den Vorirag „Die innere Mission auf der Universität“ und die Abhandlungen „Meditationen über die reli⸗ giöse Signatur der Gegenwart“ und „Ein Zuruf an die deutsche Partei.“ Alle diese Arbeiten haben, obschon die national⸗poli⸗ tischen Verhältnisse des deutschen Volkes inzwischen eine Umge⸗ staltung zum Besseren erfahren, auch heut noch einen sehr hohen, ja vielleicht einen um so höheren Werth, als sich der Gegensatz der sog. modernen Weltanschauung zu der chrifilichen verschärfte.
Tie zweite Abtheilung, welche den Titel „Zur Geschichte, Ordnung und Politik der Kirche“ führt, ist wesentlich als Fort⸗ setzung des Werkes „Beiträge zur Kirchenverfassungs⸗Geschichte und Rirchenpolitik“ zu betrachten. Sie behandelt eine Reihe von Problemen, die mit jener der evangelischen Kirche gestellten Auf⸗ gabe, aus einem bloßen Kirchenthum eine dem Wesen ihrer Idee entsprechende, sich selbst regierende Kirchensocietät zu werden, zu⸗ sammenhängen. Abschnitte, wie „Der humanitarische Ratio⸗ nalismus“, „Das Prinzip der freien Schriftforschung in seinem Verhälmiß zur Kirche und den Symbolen“ und „Die Bedeutung der Bekennmnißschriften in der evangelischen Kirche“ erörtern die Grundlage und die Egxistenzbedingungen einer evangelischen Kirche. Dagegen weist die Ansprache „Ueber die Erneuerung des Aeltesten⸗ und Diakonenamts“ und die Abhandlung „Rück⸗ blick auf die Aufgabe einer Verfassungsgestaltung der evangelischen Kirche in Deutschland unter besonderer Berückfichti⸗ gung der Mitarbeit der Wissenschaft auf den Weg, welcher zu der ihre selbständige soziale Stellung ermöglichenden Ausgestal⸗ tung der Verfassung führt. Es folgen einige akademische Reden, gewissermaßen das Ergebniß der historischen und prinzipiellen Forschungen Hundeshagens über das Verhältniß von Staat und Kirche. Das innere Wesen des Katholizismus und sein Verhältniß sowohl zum evangelischen e n, . als zum modernen Staat beleuchten die Abhandlungen Das Kathalische im Katholiziemus“, „Das Gefährliche im Katho⸗ lizis mus“ und „Das Römische im Katholizismus und der Staats⸗ charakter des Romanismus“; letztere ist hier zum ersten Male aus dem handschriftlichen Nachlaß veröffentlicht worden. Bietet die proteßantische Theologie in dem ampfe zwischen dem Staate und Papstihum in dieser Weise den Ver⸗ tretern des ersteren eine nicht zu verachtende Mithülfe dar, so dürfte um so mehr zu wünschen sein, daß diese Artikel von allen zur Mitarbeit Verufenen gelesen und beachtet werden. Nur ein der harmonischen Verbindung echter Firchen und Staatsgesinnung enispringendes tiefes Eingehen auf das Wesen sowohl der Kirche als des Staates ermöglicht eine glückliche Lõösung der großen Aufgabe. Von dem Herausgeber war es zu erwarten, daß er mit Sorgfalt und Treue den Text der früher veröffentlichten Stücke mit den aus den Hande gem pla⸗ ten Hundes hagens entnommenen Zusätzen und Verbesserungen in Einklang zu setzen wußte; seine Arbeit ist eine dankenswerthe Bereicherung der christlichen Kultur⸗ und kirchlich ⸗politischen Ge⸗
schichte
In China beabfichtigt man den Bau einer Sisenbahn von Shanghai nach Woosung und hat bereits eine eng- lische Gesellschaft den erforderlichen Grund und Boden kãuflich erworben. Auch das Betriebskapital ist nach dem Prospekt der Gesellschaft gesichert. Der mit dem Bau betraute englische In genieur war bereits im Januar cr. eingetroffen; ebenso waren die erforderlichen Schienen, Wagen, eine Lokomotive nebst ander⸗ weitigem Material dorthin gelangt. Man hofft, die Bahn im Laufe des Sommers eröffnen zu können. .
Das Unternehmen wird zwar mit Rücksicht auf die fast parallel laufende Wasserstraße nicht allseitig als eine gewinnreiche Kapitalanlage angesehen, doch verdient und findet dasselbe als erster Versuch und als Syniptom fortschrittlicher Entwickelung Chinas die allgemeine Beachtung und Sympathie in den Kreisen des Handelsstandes. Ob nicht im letzten Augenblick noch von Seiten der Gegner solcher Neuerungen, namentlich wenn sie von Fremden ins Leben gerufen werden, der Widerspruch der chinesischen Behörden das Unternehmen lahm legen wird, bleibt freilich vor der Hand noch abzuwarten.
S. M. Korvette. Gazelle“ ist am 28. d. M. nach Fast 2 jähriger Abwesenheit in den Hafen von Kiel zurückgekehrt. Mit freudigem Stolz blickt nicht nur die deutsche Kriegsmarine, sondern auch die Wissenschaft und der Handel auf die hervorragenden Lei stungen, welche das Schiff in dieser Zeit auf den genannten Berufs⸗ gebieten nach den verschiedensten Richtungen hin bethätigt hat.
Die der „Gazelle“ geftellten Aufzaben waren vielseitiger Art. Zuerft hatte dieselbe die zur Beobachtung des Venus durchganges durch die Sonne nach Kerguelens Land entsendeten Gelehrten dorthin zu führen und auch ihrerseits die Beobachtung des astronomischen Phä⸗ nomens zu unterstützen. Die Wahl der im Indischen Ocean unfern des Südpoles gelegenen Inselgruppe als Beobachtungsstation, zu welcher zu gelangen es von der Caystadt aus nach einer fast wöchentlichen gefahrvollen und befchwerlichen Reise bedurfte, war mit Rücsicht dar= auf geschehen. daß die geometrischen Bedingungen für die Lösung des Problems sich voraussichtlich dort am vortheilhaftesten gestalteten. Man konnte auch, da laut Eifahrung der Dezember der klgrste Mo⸗ nat in jenen Naturregionen ist, mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Eintreten günstigen Wetters während der Beobachtungszeit rechnen.
Am 21. Juni 1874 von Kiel abgelaufen, nahm die „Gazelle“ den größten Theil der ihr nothwendigen wissenschaftlichen Apparate und Justrumente in Plymouth an Bord, und trat dann über Ma⸗ deira und Ascension die Reise an. An der Congemündung“) wurde zur Exploration des genannten Küfstenflusses ein mehrtägiger Aufent⸗ halt vom J. bis 6. September 1874 genommen und am 7. Septem- ber die Fahrt nach der Capstadt (Tafel ⸗Bay) fortgesetzt, woselbst man am 26. September eintraf. — —
Die am . Oktober von hiers angetretene Reise nach den Ker guelen ging zuerst glücklich und verhältnißmäßig schnell von Statten.
Am 253. Oktober trat indeß ein Unwetter ein, welches das Schiff wie eine leichte Schaale auf den empörten Wellen umher warf, als sollte dasselbe noch im letzten Augenblick und fast angesichts des er. strebten Landzieles, für die Kübnheit und Ausdauer, mit welcher es seine Fährer geleitet, in die Tiefe hinabgezogen werden.
Am 26. Oktober ging „Gazelle? in einer kleinen geschützten Bucht der Westküste vor Anker. Der Aufenthalt auf dem nur mit einem dürftigen Naturleren ausgestatteten Eiland währte fast vier Monate, da es nach der am 9. Dezember 1874 stattgefundenen astronomischen Beobachtung noch fast zweier Monate bedurfte, um tbeils die begonnenen hydrographischen Arbeiten und die Aufnahmen und Vermessungen zum Abschluß zu bringen, theils die Prüfungen und Vergleiche der Brobachtungsresultate zu Ende zu führen.
Am 5. Februar 1875 lichtete die ‚ Gazelle“ die Auker und führte die auf ihr eingschifften Mitglieder der gelebrten Expedition von Kerguelens Land nach der Insel Mauritius (26. Februar), von wo aut dieselben am 5. März die Reise nach Europa antraten.
Der am 15. Mär 1575 beginnende zweite Theil der Reise ent hielt die Aufgabe, einzelne Punkte der Westküste von Australien in naturwissenschaftlicher und hydrographischer Beziehung näher zu rekognosziren und demnächst zur Erforschung der Melanesischen Insel⸗ gruppen und von Aukland zu schreiten. In beschwerlicher und gefahr⸗ voller, 33 Tage dauernder Fahrt durchschiffte die „Gazelle“ nach der Abfahrt von Mauritius den Indischen Ozean und traf am 23. April in Dirk Haitogs Island in Australien ein. Hier sowohl, wie bei dem Besuch der zunächst liegenden Landes- und Meerestheile richtete sich die Beobachtung vornehmlich auf ein aufmerksames und ein ⸗ gehendes Studium der Grenzscheide, welche die Thier und Pflanzen welt Australieng von derjenigen Asiens trennt, sowie auf eine Unter⸗ suchung der australischen Westküste in Bezug auf ihre Zugänglichkeit für große Schiffe. .
Am 1. Mai 1875 wurde Auftralien verlassen und die Reise nach den Sundainseln, Amboinen, und durch die JInselwelt Polynesiens im Norden und Osten des australischen Kontinents weiter fortgesetzt Auf viele tausend Meilen von jedem wohl ausgestatteten Hafen, von jeder befahrenen Wasserstraße entfernt, und der Hülfsmittel entbehrend, welche der modernen Schiffahrt auf den Stationen des internationalen Weltverkehrs zu Gerote stehen, durchschiffte die Gazelle in einer fast 4 Monat dauernden Fahrt jene wunderbar gestaltete Welt von Eilanden, welche die Erdkunde unter dem Namen der Melanesischen In seln zusammen faßt, dadurch der geographischen und hydrographischen Kenmniß viele neue Gebiete erschließend, theils durch Aufklärung der nur unbestimmten Angaben über die Lage und Konfignration der größeren Inselkontin ente,
theils durch Auffindung neuer Wasserstraßen und Häfen, theils durch Begründung richtigerer Vorstellungen über die ethnographischen und kommerziellen Verbältnisse der dortigen Bevölkerungen. Außer ihrer wissenschaftlich exvplorativen Thätigteit war der Krieg Korvette auch die Aufgabe gestellt worden, die Bewohner einzelner Inseln, welche sich vor einiger Zeit Ausschreitungen gegen deutsche Handelsfaktoreien erlaubt hatten, zur Rechenschaft zu ziehen und das Interesse deutscher Reichs angehöriger zu schützen.
Von Aukland, dem im Oktober v. J. errichteten letzten Stations punkte in den australischen Gewässern, hatte die „Gazelle“ nach den ihr ertheilten Weisungen den Rückweg nach Europa durch die Südsee zu nehmen und dabei die drei in handels-⸗ politijcher Beziehung nicht ohne Bedeutung gebliebenen Inselgruppen der Fidji, Samoa⸗ und Tenga Inseln anzulaufen, auf denen die dorlbin getragenen Keime europäischen Kulturlebens in neuerer Zeit zu lebensfähigerer Entfaltung gediehen sind. Von den Südseeinseln aus
wurde der Weg um die Südspitze von Amerika durch die Magelhan— straße nach Montevideo genommen, der letzten außereurpäischen
Anf der Westtafte von Afrika.
Station. Am 19. Februar von dort ablaufend, erreichte die Korvette nach zweimonatlicher Ueberfahrt über den atlantischen Ozem am 19. April den Hafen von Plymouth, von wo sie am 20. d. M. die Reise nach Kiel fortsetzte. ;
Die gestern am 25. früh 95 Uhr erfolgte Einfahrt wurde von den gegenwärtig im Kieler Hafen stationirten Kriegsschiffen der Kaiser⸗ lichen Marine mit den Kundgebungen herzlichster Theilnahme an der glücklichen Rückkehr des von so ehrenveller Mission wieder in der Heimath eingetroffenen Schiffes begrüßt.
Das am Donnerstag, 27. d. M. in Portsmouth vom Stapel gelaufene britische Pa nzerschiff „In flexible“ nennt die . E. C.“ das gewaltigste der britischen Flotte und aller anderen Flotten der Welt, und giebt von demselben folgende Beschreibung:
Der Koloß, dessen Bau am 24 Februar 1874 begonnen wurde, ist 320 lang, an der Wasserlinie 75 reit, und hat einen mittleren Tiefgang von 24. 5.. Mit voller Ausrüstung beträgt das Gewicht desfelben II. 407 Tonnen, sein Panzer allein wiegt 2269 und das Deck eingerechnet 3155 Tonnen. Die zwei Thürme des „Inflexible⸗ werden mit den neuen 81 Tonnen schweren Geschützen, je zwei, armirt werden; seine Rüstung ift nicht an allen Stellen gleich stark, sondern wechselt über dem Wasser von 20 — 4“ und unter dem Wasser ist der Panzer, der bis zu einer Tiefe von 7 5“ unter der Gefechtslinie reicht, 16“ stark in zwei Lagen von beziehnngsweise 12 und 4“. Zur größeren Sicherheit ist der Schifftraum in 155 wasser⸗ dichte Abtheilungen getheilt, und wo Wasser eindringen sollte, wird er durch gewaltige Pumpen wieder hinausbefördert werden; u. A. erhält das Schiff zwei Dampfpumpen, von denen jede 300 Tonnen Wasser in der Stunde ausleeren kann. — Auf den Werften von Spezzia und Castellamare lieg'n indessen zwei italie⸗ nische Schiffe, der „Dandolo“ und der „Duilio“, für welche in England I06 Tonnen schwere Kanonen und noch stärkere Panzerplatten gefertigt werden, als die sind, mit denen der „Inflexible“ gewappnet fst. Denn während seine Rüstung aus zwei Lagen besteht, von denen jede eine größte Stärke von 12. hat, werden für die beiden italie⸗ nischen Schiffe zu Sheffield 22“ starke Platten gewalzt.
Ueber ein Schiffsunglück auf dem Rhein liegen folgende Telegramme vor: .
Bingen, Sonntag, 30. April, Abends. Heute Nachmittag platzte der Kessel des zwischen hier und Rüdesheim fahrenden Trajekt⸗ booles; die Zahl der durch diesen Unglückzfall ums Leben gekommenen Personen wird auf einige Dreißig angegeben.
Rüdesheim, Sonntag, 30. April, Abends. Der Dampf kessel dez an der hiesigen Landungsbrücke liegenden Trajektbootes Louise / ist heute Nachmittag geplatzt. Bis jetzt sind 4 Leichen aufgefischt, es werden 2 Frauen von hier vermißt.
Theater.
Im Königlichen Opernhaus fand gestern eine Matinse zum Besten der Pensionsanstalt der Genossenschaft deut⸗ scher Bühnenangehsriger statt. Zu diesem Zweck war, wie im vorigen Jahr, wieder ein Zaubermärchen von Raimund gewählt: Der Bauer als Millionär“. Die älteren Theaterbesucher dürften bei dieser Vorstellung eigenthümlich ergriffen worden sein, denn es ver— setzte sie in die Zeit, wo dieses Märchen so beliebt, wo seine Lieder „Brüderlein sein Brüderlein fein! und das Lied des „Afchenmannes“ in aller Munde waren, auf allen Drehorgeln ertönten und wo Spitzeder zum Theil dieselben da Capo-Verse sang, welche gestern gebracht würden. Aber auch auf den, der sich jener Zeit nicht mehr entsinnt, und auf die heutige Generation wirkte dies gemüthvolle Stück mit seiner Moral und dem Zauberapparat von Feen und Geistern, wunderbar ein; es laß in diesem Allen etwas die meisten neueren ähnlichen Werke so weit Ueberragendes, zeigte sich das Walten der keuschen Muse der Polkepoesie, die ietzt allen Zaubermärchen, Possen, Lebensbildern u. . w. abhanden gekommen. Darum auch fand „der Bauer als Millionär“ Fei seinem Wiederauf⸗ seben (auf der Königlichen Bühne zum ersten Male gegeben) eine so überaus warme Aufnahme. Die Darstellung war eine vorzügliche, da die besten Kräfte der Bühne in dem Stücke mitwirkten. und vom Dircklor Hein geschmackvoll in Scene gesetzt ist. Die Haupt= rolle, der Bauer Wurzel, wurde von Hrn. Vollmer so frisch und drollig, so komisch in seiner Aufgeblasenheit und jo ergreifend in seinem spãteren Elend gegeben, daß ihm reicher Beifall und vielfacker Hervorruf zu Theil warde. Hr. Krolop gab den jetzigen Kammerdiener, früheren Kuhhirten, mit glücklicher Mischung beider Charaktere, und sang sein erstes Lied „vom Grüberl im Kinn sehr ansprechend. Das Pflege— töchterchen, Frl. Hofmeister, entwickelte viel natürliche Anmuth und wurde einfach und wahr gezeichnet; Frl. Meyer, die Fee, Hr. Krause, der Magier, Hr. Berndal, der Haß und sein Kammerdiener Hr. Hiltl, bildeten mit den Uebrigen ein recht heiteres Geisterreich, aus dem nur noch zwei Gestalten hervorzuheben sind: Frl. Lehmann, die an⸗= muthige Repräsentantin der Jugend, die ihrem Abschiedsgesang, eben dem „Biüderlein fein“, zarte Innigkeit und Wehmuth bei aller Jugendlust verlieh, so daß der allgemeinste Beifall folgte, und Hr. Döring, der „das hobe Alter“ mit seiner gewohnten Meisterschaft und unter dem ihm dafür mit Recht zukommenden Applaus gab. Der Glanzpunkt der Aufführung war das Konzert in Wurzels Hause, in welchem zuerst Hr. Betz ein Lied von Truhn, und bein da Capo noch eines von Schumann wunderbar ergreifend sang; dann Frl. Lammers; Lieder von Brahms und Lassen unter vielem Beifall, und 6 Hr. Ernst: ein franzoͤsisches, das trotz seiner Länge in seiner Mannigfuͤltigkeit recht gefiel.
— Die Direktion des Friedrich ⸗ Wilhelms städtischen Theaterz hat aus London den Antrag erhalten, auf einer der ersten dertigen Bühnen mit dem hiesicen Personal ein Gesammt · Gastspiel zu veranstalten. Hr. Ober Regisseur Tetzlaff ist in Folge desffen in vorläufige Unterhan lungen mit dem Londoner Unternehmer
etreten. 6 Am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater werden in nächster Zeit der Operettenor Hr. C. Küftner vom Carltheater in Wien und He. Glesinger von Magdeburg in den Operetten „Girofls Girofla“, ‚Mamsell Angöt“ und Die Fledermaus“ auf Engagement gastiren. ĩ
— Am Sonntag fand im Krollschen Theater die letzte Vor— tellung mit vorausgebendem Garktenkonzert unter Leitung des Hrn. Direftor Engel staͤtt. Mit einigen herzlichen Worten, welche Hr. Eduard Weiß, als das älteste Mitglied sprgch, nahmen sämmtliche Bühnenmitglieder von ihrem Chef dankbaren Abschied.
Redactenr: F. Prehm.
erlag der Crpedition (K es sel). Druck; W. Elsner. Vier Beilagen
seinschließlich Boͤrsen · Beilage).
Berlin
(465)
Erste Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Aichtamtliches. Deutsche s Reich.
Preußen. Berlin, 1. Mai. Die Rede, welche der Mi⸗ nister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten Dr. Frieden⸗ thal in der Sitzung des Haujes der Abgeordneten am 29. v. M. in der zweiten Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Uebertragung der Eigenthums⸗- und
sonstigen Rechte des Staats an Eisenbahnen auf das Deutsche Reich hielt, hatte folgenden Wortlaut:
Wenn ich, meine Herren, beim Eingang der zweiten Lesung das Wort ergreife, so geschiebt das nicht in der Absicht, den geehrten Herren Rednern der ersten Lesung in der alle wirthschaftlichen und politischen Seiten der vorliegenden Frage umfassenden Art der Erör⸗ terung zu folgen, sondern um mich auf die Besprechung einiger Ge⸗ sichtßpunkte zu beschränken, welche das Gebiet der Landwirth⸗ schaft mittelbar oder unmittelbar berühren, das Gebiet der Landwirthschaft, deren Interessen, soweit sie mit den Anforde⸗ rungen des Gemeinwohls in Einklang zu bringen sind, zu pflegen, meines Amtes Pflicht erheischt. Bekannt ist es, daß aus den Kreisen der Landwirthe allgemeine und dringliche Klagen über den Zustand unseres Eisenbahnwesens laut werden. Wer wollte läugnen, daß diese Klagen viel Uebertriebenes, viel Phantasti⸗ sches enthalten, daß sie umgeben sind von agzitatorischem Beiwerk? Ich am wenigsten, meine Herren, der ich durch meine Stellung in der Lage bin, mich häufig in dem ersten Ansturm solcher Beschwerden zu befinden. Je mehr aber dies zutrifft, desto dringender erwächst ung Allen die Pflicht, den wahren Kein aus der Umhüllunz des Un— richtigen, Uebertriebenen herauszuschälen, und den erhobenen Klagen, soweit sie Begründetes enthalten, unsere ernsteste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Staatsregierung wenigstens erkennt diese Pflicht an und glaubt, in dem vor Ihnen liegenden Entwurf Zeugniß dafür abgelegt zu haben.
Die Beschwerden, meine Herren, welche die Landwirthschaft gel tend macht, und in denen sie vielfach mit den anderen erwerbenden Klassen unseres Landes übereinstimmt, richten sich zunächst gegen das Chaos unserer Eisenbahntarife. Ich gebrauche mit Absicht diesen Ausdruck, weil ich keinen besseren dafür zu finden weiß. Die etwa 90 in Deutschland bestehenden jelbständigen Eisenbahnunterneh— mungen, welche von einigen 60 Direktionen verwaltet werden, haben 1533 Tarife. Damit nicht genug, meine Herren, zu diesen Haupt tarifen kommt eine große, Anzahl von Nachträgen; bei 11 Ver— bänden sind mir allein bekannt 475 solcher Nachträge, von einem einzigen Verbande 65 geprüfte, 372 sogenannte Dienst— befehle, welche sich ebenfalls mit abweichenden Tarifirungen befassen. Ich halte hier in meiner Hand von einem deutschen Eisenbahnver— bande den 95. Nachtrag zu einem der 15383 Haupttarife. Nun, meine Herren, das sind Zustände, von denen es in der That kaum begreiflich ist, wie sie überhaupt zu ertragen sind, und wenn der Hr. Abg. Berger in der ersten Lesung hervorgehoben hat, daß ein Professor nicht im Stande gewesen sei, zu enträthseln, welche Fracht er bei einem Umzuge für seine Mobilien zu zahlen halte, so kann ich dem Herrn Abgeordneten versichen, daß dies in der That in keiner Weise auffallend ist, und daß auch solche Per— sonen, welche sich mit gewerblichen Dingen unmittelbar beschäftigen und durch gelehrte Geschäfte davon nicht abgezogen wer— den, sich nicht in der Lage befinden, jenes Chaos von Tarifen zu durchdringen, ja ich meine, man müsse, wenn man diesen Zustand bei⸗ behalten wollte, dazu schreiten, an unseren Universitäten Professuren der Tarifkunde, in unseren Volksschulen Lektionen hierüber ein zurichten, für die landwirthschaftlichen Vereine Wanderlehrer an— zustellen, welche über das Tarifwesen Unterricht ertheilen. Dann würde es vielleicht erreichbar werden, den Einzelnen gegen er— hebliche Verluste zu schützen, denn daß solche Verluste eintreten, meine Herren, kann wohl keinem Zweifel unterliegen; und Daß die selben namentlich eintreten bei den Landwirthen, läßt sich leicht be⸗ greifen. Denn es ist ein unerfüllbares Verlgngen, daß der Landwirth, der isolirt in seinem Berufs kreise lebt, im Stande sei, sich vor irgend einer Benutzung der Eisenbahn zu Frachtzwecken mit irzend welcher Zuverlässigkeit davon zu unterrichten, welche Frachtsummen er zu zahlen hat. Angewiesen meistens auf eine kleine Station, wo sehr häufig der Stattongvorsteher selbst die Kenntniß der schwer zu bewältigenden Materie nicht besitzt, erfährt er auch darüber auf Anfragen bei der betreffenden Eisenbahnverwaltung Zuverlässiges nicht, ist also völlig dem Zufall und der Willkür preisgegeben. Das aber, meine Herren, — trifft den Landwirth sehr schwer, denn es kann unter Umständen — und mir sind viele Falle dieser Art bekannt ge— worden — ein Unternehmen, von dem er sich einen kleinen Vortheil verspricht, einen Portheil, der bei der mäßigen Rente des Grund. bestzes sehr wohl abgewogen sein will, ein solches Unternehmen gerade in das Gegentheil umschlagen, wenn es nicht möglich ist, vorher mit Sicherheit die einschlagenden Tarife übersehen zu können. Wenn in der ersten Lesung gesagt worden ist, Abhülfe von einer systematischen Veränderung unserer Eisenbahnen zu erwarten, sei phantastisch, so mag dies in anderer Beziehung zutreffen, für das vor— liegende Desiderat aber gewiß nicht; denn wir haben die Erfahrung in verschiedenen anderen Ländern, welche uns benachbart sind, daß es sehr wohl möglich ist, ein einheitliches und durchsichtiges Tarifsystem zur Geltung zu bringen, und es wird Niemand der phantastischen und übertriebenen Hoffnung geziehen werden können, welche von einer Systemveränderung eine Reform in diesem Punkte erwartet, durch Herstellung eines einfachen und durchsichtigen Tarifsystems eine Re— form, die vielmehr nach meinem Dafürhalten jeder Gewerbetreibende zu erwarten durchaus berechtigt ist. Die zweite Hauptbeschwerde, welche in den Kreisen der Landwirthschaft auftritt, richtet sich gegen die materielle Willkürlichkeit und Systemlosigkeit un serer Tarife.
Ich will hier nicht näher eingehen auf die Vorzüge der verschie⸗ e , des natürlichen Systems, des Klassifikationssystems, e J führen, — aber ich behaupte, daß die Landwirthe Recht haben, wenn sie hervorheben, daß das herrschende System Überhaupt kein System. Ki, das auf wirthschaftlichen Prinzipien beruhe, sondern ein System sei, das auf Zufall, Willkür und vor allem zu weit getriebenen Erwerbsgeist der einzelnen Verwaltungen gegründet sei. Nach meinem Dafürhalten hat die Denkschrift der Handels kammer eines nichtpreußischen Staates, einer Handelskammer in Sachsen, der Handelt kammer in Dresden vollkommen Recht, wenn sie sagt, es schiene ihr, das Bestimmende in der Genesis unserer Tarife sei das gewesen, daß man jeden Artikel so hoch belaste, als er dies vertragen könne. Nun, meine Herren, was heißt das? Das heißt mit anderen Worten: die Eisenbahnen haben — und wer möchte ihnen das verdenken, wenn sie als reine Privat— unternehmungen zu gelten haben — jede für sich hoch iarifirt, was der betreffenden Bahn nicht entgehen kann, und niedrig dasjenlge, worin site mit anderen Bahnen kon kurriren. Wohin aber, meine Herren, muß das nothwendig führen für den Landwirth, der meist nicht in der Lage ist, konkurrirende Bahnen zur Auswahl zu haben; wohin für die landwirthschaftliche Produktion, die über das ganze Land verbreitet, nicht in industriellen oder kommer—
ziellen Zentren verfrachten kann und deshalb von der Konkurrenz der
isenbahnen nur in seltenen Fällen Vortheil zu ziehen in die Lage kommt? Nothwendigerweise dahin, daß gerade diejenigen Artikel, die
chten Systems u. s. w., das würde zu weit in die Details
Berlin, Montag, den J. Mai
für die Landwirthschaft in Frage kommen, unter den hohen Tarifen leiden, und daß nicht diejenige Kompensation eintritt, welche der ge⸗ werbtreibenden Bevölkerung durch die niedrigen Tarife andererseits zu Gute kommt. Verdient der Wunsch einer dahin zielenden Reform als phantastisch charaktexisirt zu werden, oder liegt nicht vielmehr zu Tage, daß die landwirthschaftliche Bevölkerung wohl berechtigt ist, eine Veränderung zu verlangen, welche dahin führt, daß nicht der Zufall, nicht lediglich einseitige Gesichtspunkte des Vortheils der ein⸗ zelnen Bahn, sondern ein wirthschaftliches System binsichtlich des Tarifwesens zur Geltung komme?
Der dritte Punkt, welchen die Landwirthe hauptsächlich urgiren, ist der, daß bei Betriebs und Frachteinrichtungen mit völliger Rücksichtslosigkeit gegen die eigenartigen Be— dürfnisse der Landwirthschaft verfahren werde, gegen eine Eigenart, welche die Landwirthe nicht im Stande sind zu ändein. Ich bemerke Letzteres mit Vorbedacht, weil man vielfach der An schauung begegnet, als sei es gewissermaßen eine Art Bosheit der Landwirthe, daß sie für ihre Angelegenheiten, welche anders beschaffen seien, als die gewerblichen Angelegenheiten, besandere Bedürfnisse gel⸗ tend machen, während doch in der That die oberflächlichste Betrach- tung zeigt, daß die Dinge hier und dort verschiedenartig liegen. Daß jener Vorwurf nicht unbegründet ist, dafür könnte ich Ihnen zahllose Details anführen; denn es vergeht keine Woche, wo nicht bestitimt Beschwerden an mich gelangen. Ich will indessen nur ein paar Belege geben, um darzuthun, daß es sich hierbei nicht um allgemeine Redens⸗ arten handelt. Wenn die Eisenbahren fast darchweg nur sehr kurze Ausladefristen von wenigen Stunden gewähren, so mag das für das Bedürfniß in den Städten genügen; denn bei der raschen Beförderung des Ankunftzavises in die Hände des Empfängers, vermag der letztere dieser Ansage zu genügen und die Güter zur rechten Zeit, ohne daß dadurch besondere Kesten erwachsen, von dem Bahnhofe abzuholen. Wie ist das auf dem Lande? Die Ansage kommt nach der Natur der Briefbeförderung an die Adressaten dann, wenn die Frist längst abgelaufen ist und erhebliche Kosten durch die Lagergebühren erwachsen sind. Lassen Sie mich erinnern an die Art der Beförderung des lebenden Viehs auf den Bahnen. Ich kann Sie versichern, es giebt kaum ein wirthschaftlich fortgeschrittenes Land, in welchem die Einrichtkngen zur Beförderung des lebenden Viehs, dieses für die Landwirthschaft, nicht blos für diese, sondern für die gesammten wirthschaftlichen Ver⸗ hältnisse höchst bedeutsamen Artikels, so zurückgeblieben und mit solchen Schäden verknüpft sind, wie bei uns. Selbst wo Privateisenbahn⸗Systeme durchgeführt sind, wie in England, ist man im Stande gewesen, durch einschneidende Normatipbestimmungen Lie Eisenbahnen zu einer Rücksichtnahme auf die Besonderheit dieses Verfrachtungszweigs, der nicht blos für die Produzenten, sondern auch für die Gesammtbevöl⸗ kerung der Konsumenten von der höchsten Wichtigkeit ist, zu zwingen. Wir in Deutschland haben bisher kaum den erften Schritt in dieser Richtung gethan.
Ich will mich nicht weiter in Beispielen ergehen. Nur Eines lassen Sie mich abschweifend von der Landwitthschaft noch erwähnen, das, wenn auch nicht von der großen Schwere der landwirthschaftlichen Desiderate, immerhin gewisse Bedeutung für die Volkewirthschaft besitzt. Ich appellire dabei namentlich an die Herren auz Ostfriesland, die hier in meiner Nähe sttzen und welche mir als Zeugen dienen werden. Wir sind in Deutsch⸗ land noch nicht dazu gelangt, von den Eisenbahnen für den Traneport lebender Fische solche Bedingungen und Einrichtungen zu erreschen, daß die kontinentale Bevölkerung im großen Maßstabe an diesem billigen und guten Genuß ⸗ und Nahiungsmittel theilzunehmen im Stande ist. Noch vor wenigen Wochen mußten Fischer an unseren Küsten eine große Menge von Fischen als Dünger verwerthen, weil es ihnen nicht möglich war, gerade die weniger werthvolle Ausbeute der Fischerei der im Binnen. lande lebenden Bevölkerung zuzuführen. Das was in England längst mit dem größten Vortheil durchgeführt ist, das will bei uns nicht gelingen. Ja, meine Herren, es fuhrt dies so weit, daß unsere eigenen Fischer, die Fahrzeuge der deutschen Fischereigesellschaften in Friesland es häufig vorziehen, ihren Fang an guten Fischen nach England zu bringen, weil sie nicht im Stande sind, sie in Deutschland zu ver—⸗ werthen und mit angemessenen Kosten zur rechten Zeit und in der ersten Art den Märkten des Inlandes zuzuführen. Meine Herren! Das sind Uebel, das sind einzelne Symptome eines kranken Zustandes der gesammten Einrichtungen unseres Eisenbahnwesens. Dit ermangelnde Rücksichtsnahme auf besondere Verhältnisse und Be—⸗ dürfnisse ist es, welche, wie gesagt, bei unseren Landwirthen beklagt wird. Sollte dies eine Beschwerde sein, die man als übertrieben, als eine solche bezeichnen kann, für die nicht gerechter und ausführ⸗ barer Weise Abhülfe zu schaffen wäre? Nein, meine Herren, das meine ich nicht!
Endlich viertens — und das ist es, was den lebhaftesten Gegen⸗ stand der Klage bildet — die Differentialtarife. Unter Differential⸗ tarifen im weiteren Sinne des Wortes versteht man jede Abweichung von der Norm, nach welcher ein bestimmter Artikel zu einem be— stimmten Satze auf eine bestimmte Normativentfernung, die Meile, den Kilometer befördert wird. Unter dieser allgemeinen Beschreibung sind eine Anzabl Varieläten enthalten, auf welche ich an einer späteren Stelle noch zurückkommen werde. Gemeinsam ist aber den Differentialtarifen das, daß sie das Konsum— tionsgebiet erweitern, und mit dieser Erweiterung naturgemäß die Voraussetzungen der Konkurrenz der ver- schiedenen Produktionsgebiete wesentlich verschieben. Die Folce davon ist die, daß gerade diejenigen landwirthschaftlichen Thätigkeiten, welche unter jener Verschiebung der Produktionsgebiete leiden, nicht ohne Leidenschaft gegen die Differentialtarife und ihre Wirkungen polemisiren. Ich werde darzuthun versuchen, daß, soweit ihr Bestreben dahin zielt, die Differentialtarife abzuschaffen, nach meinem Dafürhalten dieses Bestreben ein verfehltes und sich gegen die eigene Sache und gegen die eigenen Interessen richtendes ist. Ich bemerke aber schon jetzt, daß in der That das System der Diffe⸗ rentialtarife in der Willkür und Planlosigkeit, wie es gegenwärtig be— steht, außerordentliche Schäden nicht blos für die Landwirthschaft, sondern für eine Anzahl anderer Produktionszweige und Gebiete un— seres Landes mit sich führt.
Vor Allem aber frage ich: wenn solche Uebelstände, wie ich ste kennzeichnete, vorhanden sind, liegt es an der gegenwärtigen Leitung des Eisenbahnwesens in den einzelnen Staaten, liegt eg an den Personen, liegt es an dem mangelnden Entgegenkommen und gutem Willen? Ich muß darauf antworten: nein, nicht im allergeringsten, nicht die Personen, deren Befähigung oder Absichten tragen die Schuld. Ich kann versichern, daß bei allen Denjenigen, bei denen Abhülfe für derartige Beschwerde h finden sein müßte, stets das lebhafteste Entgegenkommen war, die
bhülfe zu verschaffen, und auch die Erkenntniß des Richtigen. In den Verhältnissen, meine Herren, liegt der Grund des Uebels; die ganze Art und Weise, wie unser gegenwärtiges Eisenbahn⸗ system zu Stande gekommen ist und wie es gegenwärtig besteht, bringt es mit sich, daß solchen Beschwerden, so gerecht sie auch sein mögen, nachdrückliche Abhülfe nicht gewährt werden kann. Deshalb behaupte ich, meine Herren, daß Abhuͤlfe auf keinem andern Wege zu finden ist, als auf dem des Ueberganges — oder lassen Sie mich lieber sagen — in der Rückkehr zu einem System, welches bei uns die Eisenbahnen als eine Verkehrseinrichtung be— handelt, welche im öffentlichen Dienste steht. Sie werden
nun sagen, meine Herren, und Sie haben das bereits in der ersten Lesung auf der Gegenseite mit Beredtsamkeit auseinandergesetzt: dieser
Gesichtspunkt des öffentlichen Dienftes, wonach bei den Eisenbahnen das Gemeinnützige überwiegen soll, ließe sich verwirklichen durch die Staaftzaufsicht, durch eine strengere Anspannung der Kontrole, durch ein Eingreifen in die Befugnisse der bisher selbständigen Eisen⸗ bahnverwaltungen. Meine Herren, ganz zatteffend, und es bedarf dafür keiner weiteren Anführungen, haben soewohl mein Kollege Dr. Achenbach, als die Hrrn. Abgg. Dr. Lasker und Dr. Hammacher diesem Einwand gegenüber nachgewiesen, daß die Abhülfe auf dem Wege der Aufsicht viel tiefer einschneiden muß in die Privateigenthumsverhältnisse, als die Vorschläge in der⸗ jenigen Richtung, welche die Staatsregierung verfolgt; denn es handelt sich ja bei dieser Äbhülfe nicht blos um das formelle Ver⸗ fahren, um Mängel in der Ausführung gewisser Vorschriften, es handelt sich um Verringerung der materiellen Nutzungen, also um eine Beschraͤnkung des Eigenthums selbst. Deshalb führt diese Erwä⸗ gung und muß dazu führen, auf einem anderen Wege die Remedur zu suchen und zwar auf dem Wege, der Ihnen hier vorge⸗ schlagen ist, welcher dahin zielt, daß der öffentlichen Ge— walt die Leitung an der Spitze des Betriebes und der Nutzung des Eisenbahnwesens dadurch eingeräumt wird, daß sie eine thatsächlich dominirende Stellung vermöge der Konsolida⸗ tion des Eisenbahnnetzes in ihren Händen erlangt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf die Differentialtarife zurückgreifen, um gerade an denselben zu zeigen, daß nur auf diesem Wege reformirt werden kann, ohne doch über das Ziel hinaus zu schießen. Die Differentialtarife sind entweder Abweichungen von der von mir vorher angegebenen Norm in dem Sinne, daß man auf ge— wisse weite Entfernungen gewisse Ermäßigungen der Fracht gewährt; oder sie gewähren abweichend von der Norm Ermäßigungen für be⸗ stimmte Routen, oder für letztere dergestalt, daß die weite Entfernung eine billigere Fracht zahlt, als die nähere, in der ersteren enthalten, so daß der Theil einen absolut höheren Satz trägt als das Ganze. Oder endlich sie haben die Gestalt von Abonne⸗ ments oder Refaktien, welche darin bestehen, daß man einzeinen besonders bedeutenden Verfrachtern einen Vorzug vor den minder bedeutenten gewährt. Nun, meine Herren, liegt hierin vom Stand⸗ punkte des Privatunternehmens aus etwas Unzulässiges? Würden Sie dem Frachtfuhrmann — und man stellt ja mehrfach, wenn auch nicht hier im . doch außerhalb, die Eisenbahnen dem gewöhnlichen Frachtfuhrmann gleich, — würden Sie es dem Frachtfuhrmann verdenken, wenn er solche Differentialtarife für seine Geschäfte einführte? Im Gegentheil, Sie würden es ganz natürlich finden, daß er sein Geschäft nach seinen Konvenienzen ein richtet, und sich für durchaus unbefugt halten, ihn hierin zu be⸗ schränken. Wollen Sie in jener Beziehung eingreifen, so können Sie das nicht im Wege der Aussicht, sondern nur dadurch, daß Sie selbst auf eigenen Bahnen dat Gegengewicht gegen eine Differentialtarifi⸗ rung schaffen, welche und soweit sie dem Lande zum Nachtheil ge⸗ reicht. Dem Lande zum Nachtheil gereicht aber dann eine solche Tarifirung, wenn sie unnatürliche Verhältnisse hervorruft, wenn sie künstliche Industrien schafft und natürlich gewachsene Indu⸗ strien und Produktionen tödtet, wenn sie nur um des Verfrachters willen, also wegen des Mittels zum Zweck, einem Zwecke dient, der an sich durch die Natur der Dinge nicht gerechtfertigt ift. Ferner was viel fach bei den Differentialtarifen vorkommt, wenn die Eisenbabnen der Konkurrenz, namentlich mit dem Auslande halber, gewissen Ver⸗ frachtungen so niedrige Tarife gewähren, daß dadurch nicht einmal die Selbstkosten gedeckt werden, und wenn sie sich dafür an anderen, namentlich inländiscken Verfrachtungen durch unverhältnißmäßige Stei⸗ gerung der Tarife erholen. Nach meinem Dafürhalten können die Differentialtarife nur beurtheilt und behandelt werden aus der Ge— sammtheit der wirthschaftlichen Interessen heraus, ihr Werth oder Unwerth kann nur richtig abzewogen werden von Demjenigen, der das Ganze und den Zusammenhang der wirthschaftlichen Verhältnisse auch hinsichtlich der Konkurrenz mit dem Auslande übersteht, wie dies der Hr. Abg. Hammacher eingehend und zutreffend ausgeführt hat. Nach meinem Ermessen kann ein im gesammtwirihschaftlichen Interesse richtig angelegtes und von den Mißbraͤuchen gereinigtes System von Differentialtar fen im Inlande einen Zustand fördern, den ich in wirthschaftlicher Be— ziehung für sehr wohlthätig halte und auf den ich mit einigen Worten eingehen muß. Meine Herren, nach meinem Dafürhalten ist
ein Gebiet, in dem' lediglich für sich ohne Mischung mit irgend
welcher Industrie nur die Ägrikultur herrscht, in einer wirthschaftlich nicht normalen Verfassung. Ebensowenig erachte ich aber als glücklich den Zustand derjenigen Gebiete, in welchen die Industrie sich hypertrophisch entwickelt und zusammengedrängt hat, wo alles Andere weicht, wo nur die Industrie die Verhältnisse beherrscht. Nach meinem Dafürhalten ist das Richtige, das Heilsame in allen Beziehungen des wirthschaft⸗ lichen und auch des Kulturfortschrittes eine Mischung zwischen Industrie und Landwirthschaft, und namentlich ist für solche Landes⸗ theile, die gegenwärtig an einem Mangel an Industrie kranken, die Verbindung mit derjenigen Industrie, die man vorzugsweise als land⸗ wirthschaftliche zu bezeichnen pflegt, oder die auch nur in mittelbarem Zusammenhange mit der Landwirthschaft steht, ein höchst erstrebens werthes Ziel, ein eistrebenswerthes Ziel nach der finanziellen Seite, aber, wse gesagt, auch nach der Seite der Kulturentwickelung. Ich meinerseits habe die Erfahrung gemacht, daß Sozialismus, ver kehrte Anschauungen, Rohheit, Bildungslosigkeit und Brutalität am meisten da Platz greifen, wo beide Exkreme herrschen, daß aber, wo die richtige Mischung der verschiedenen menschlichen Erwerbsthätig⸗ keiten stattfindet, sich ein gesunder Zustand entwickelt, namentlich auch für die Arbeiterbevölkerung: ein Zustand, in welchem sämmtliche Mit- glieder der Familien das ganze Jahr hindurch Beschäftigung finden, in welchem die Einzelnen allmählich fortschreiten in ihren Erwerbs⸗ verhältnissen, fortschreiten in ihrer Vermögenslage, fortschreit en in der Begiehung, daß ihr Gesichtskreis sich erweitert, in ˖ dem neue Geblete der menschlichen Thätigkeit sich ihnen eröffnen. Für diese Frage, meine Herren, ist nach meinem Dafürhalten die Gestaltung des Eisenbahnwesens und gerade der Bifferentialtarife von entscheidender Bedeutung. Sehen Sie darin keine Paradore, wenn ich behaupte, daß eine von staatlichen Gesichts- punktea geleilete energische Eisenbahnpolitik unendlich viel in dieser Richtung wirken kann. Wie aber, meine Herren, soll dies möglich sein durch die bloße ÄAussicht, wie soll das möglich sein anders, als durch ein System, welches in die Hand der öffentlichen Gewalt die erforderliche dominirende Stellung legt? Ja, ich berufe mich in dieser Beziehung auf einen klassischen Zeugen, den Hrn. Abg. Richter. Wenn der Hr. Abg. Richter in seiner Rede in der erften Lesung es ausspricht: „bei den Eisenbahntarifen handele es sich darum, den wandelbaren, verschiedengrtigen mit ein⸗ ander konkurrirenden Bedürfnissen in den verschiedenen Theilen Deutsch⸗ landz in organischer Weise gerecht zu werden,“ so acceptire ich das allermaßen. Aber wer soll in solcher organischen Weise anders diesen konkurrirenden Bedürfnissen gerecht werden, als eine Gewalt, die als höheres Dritte über den Konkurrenten stebt? Glauben Sie, daß die Konkurrenten sich selbst in organischer Weise vereinigen? Nun und nimmermehr! Das sind Obliegenheiten, die nur durch die Staats gewalt und durch sie am besten erfüllt werden. Handelt es sich aber, wie der Hr. Abg. Richter ebenfalls zutreffend hervorhebt, um wandelbare Verhältnisse, um Verhältnisse, die im beständigen Flusse begriffen sind, so kann dann Regelung eben nicht durch Gesetz geschehen, sondern nur durch die Verwaltung, welche in dem rechten Geiste geführt wird, und welche die nothwendige Machtstellung besitzt.
Dies führt mich, meine Herren, dazu, an den Zusam menhang zu erinnern, der die Eisenbahnverhältnisse naturgemäß mit der Han—