direkten Steuern nach dem Statsjahr, unverändert de⸗ finitiv angenommen. Ebenso wurde in dritter Lesung der Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Verwaltung der den Gemeinden und öffentlichen Anstalten gehörigen Holzungen in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen unverändert nach den Beschlüssen zweiter Lesung definitiv ge⸗ nehmigt, mit Ausnahme des 8. 11. Derselbe wurde auf Antrag des Abg. Mühlenbeck nach kurzer Debatte, an welcher sich der Minister Dr. Friedenthal und die Abgg. Mühlenbeck, v. Benda, Fr. Lasker und Perstus betheiligten, in folgender Fassung an⸗ genommen: „Gegen die auf Grund der 83 2 bis 7 und 5. 9. von dem Regierungg⸗Präsidenten erlassenen Verfügungen findet innerhalb einer Praäklufivfrist von 21 Tagen Beschwerde an den Ober PVräͤfidenten und gegen den Bescheid des Ober ⸗Präsidenten nach Maßzgabe des 5. 34 Absatz 3 des Gesetzes vom be⸗ sreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwal⸗ tungsgerichts behörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung rom 28. Juni 1875 (Gesetz⸗Samml. Seite .. ) die Klage beim Ober ⸗Verwaltungagericht statt.“ Das erste Alinea des einzigen Paragraphen des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Deckung der für die Weiterführung und Vollendung der Bebra-Friedländer Eisenbahn erforder⸗ lichen Geldmittel, wurde in dritter Lesung auf den Antrag des Abg. Dr. Hammacher in folgender Fassung: „Dié Regierung wird ermächtigt, zur Deckung der für die Weiterführung und Vollendung der Bebra Friedländer Eisenbahn erforderlichen Geldmittel die urch das Gesetz vom 14. Juni 1874 (Gesetz-Samml. S. 250) zur Vollendung der Eisenbahn von Arns⸗ dorf, nach Gafsen bewilligten 560, C50 46 in Höͤhe der hierbei er ielten Ersparniß ad 1550906 46 zu verwenden, und, soweit diefer Betrag nicht ausreicht, Schuldverschreibungen in dem Nomi⸗ nalbetrage auszugeben, wie er zur Beschaffung einer Summe von höchstens 2, lo0, 000 Ss nöthig sein wird.“ und darauf das Gesetz im Ganzen definitiv angenommen. In dritter Lesung passirte sodann ohne Debatte unverãndert der Ge⸗ setzentwurf, betreffend die Auflösung de. Tehns verbandes der in dem Herzogthum Schlesien, der Grafschaft Glatz und dem preußischen Markgrafthum Oberlausitz be⸗ legenen Lehne. Ebenso gab das Verzeichniß der von den be⸗ treffenden Kommissionen zur Erörterung im Plenum nicht für geeignet erachteten Petitionen keine Veranlassung zur Debatte. Es folgte . dritte Berathung der Stãdte⸗Ordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen. In der Generaldiskussion stellte der Abg. Graf Bethusy⸗Huc im Namen seiner politischen Freunde die eventuelle Ablehnung des gesammten Gesetzentwurfs in Aussicht, da die in zweiter Lefung gefaßten Beschlüsse nicht die Garantie einer guten Gesetzgebung gäben, woran wohl auch die Ueber⸗ bürdung des Haufes mit legislatorischen Arbeiten schuld sei. Der Minister des Innern Graf zu Eulenburg wies diesen Vor⸗ wurf zurück und bezeichnete sodann die Punkte, in denen eine Aenderung der Beschlüsse des Hauses eintreten müßte, wenn die Möglichkeit einer Verständigung mit dem Herrenhause und der Regierung offen bleiben solle. Rachdem noch der Abg. Dr. Lasker seine Stellung zu den von Minister des Innern hervorgehobenen Punkten im Einzel⸗ nen präzifirt hatte, wurde die Generaldiskussion geschlossen. In der Spezialdebatte wurde die Abstimmung über 5. 1 aus⸗ gesetzt, die 88. B bis 14 ohne Debatte unverändert nach den Beschlüssen der zweiten Lefung angenommen. Bei 5 8 ent⸗ a n ; — 2 were ven — Musse des Blattes
— Von der Justizkommission des Reichstages ist außer der Civilprozeßordnung nunmehr auch das Gerichts⸗ verfassungsgesetz bis auf den Titel „Rechtsanwaltschaft“ in zweiter Lesung durchberathen. Die Berathungen haben die nach den Beschlüssen erster Lesung zwischen der Kommission und dem Bundesrathe bestehenden Meinungsverschiedenheiten in meh⸗ reren wesentlichen Punkten auszugleichen vermocht. Die Kom⸗ mission ist namentlich insoweit den Beschlüssen des Bun⸗ desraths beigetreten, als die Großen Schöffengerichte fallen gelassen sind und die Berufung gegen die Urtheile der Strafkammern beseitigt und nur gegen die Urtheile der (kleinen) Schöffengerichte beibehalten ist. Auch hat die Kommission dem Bundesrathsbeschlusse entsprechend die in erster Lesung aufgenommenen Bestimmungen über die richterliche Stellung der Staatsanwälte beseitigt. In einer Reihe anderer wichtiger Punkte sind dagegen die Differenzen nicht zur Aus⸗ i nn gekommen. Im Wesentlichsten sind diese Differenzen
' —
1) die Strafkammern als Berufungsgerichte sollen na dem Beschlusse der Kommission mit ire, n, . 66 und es soll gegen die Urtheile derselben in der Berufungs⸗ instanz keine Revision stattfinden. Nach dem Beschlusse des Bundesraths soll dagegen die Berufungskammer nur mit drei Richtern besetzt werden und gegen die Entscheidung derselben die Revision an das Ober⸗Landesgericht statthaft sein;
2) das Universitätsstudium, welches der ersten Prüfung der Rechtskandidaten vorangehen muß soll nach dem Beschlusse der Kommission sich nur auf das Studium der Rechtswissen⸗ schaft erstreckn, während der Bundesrath auch das Studium der Staatswissenschaft für erforderlich erachtet hat;
3) die in erster Lesung eingefügten verfassungsmäßigen Grundsätze über die Stellung der Richter sollen nach dem Be⸗ schlusse der Kommission, entgegen der Meinung des Bundes— raths, Bestandtheile des Gesetzes werden. Beseitigt ist nur die Vorschrift über das Aufrücken der Richter in die höheren Ge⸗ haltsstufen;
4) Die Gemeindegerichte, die Forst⸗ und Feldrügegerichte und die Polizeirügegerichte, welche der Entwurf als besondere Gerichte für gewisse Sachen zugelassen hat, sollen entgegen dem Beschlusse des Bundesraths in Wegfall kommen;
5) Die in erster Lesung eingefügte Bestimmung, nach wel⸗ cher die Organisation und das Verfahren besonderer Behörden zur Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden durch die Landesgesetzgebung nach , , en, ,,,, neu geregelt
ist entgegen dem r iuf⸗
3 6. e . Beschlusse des Bundesraths auf die Zuständigkeit der Schöffengerichte, der Strafkammern
und der Schwurgerichte ist in ,, . Punkten abweichend von den Beschlüssen des Bundesraths geregelt. Insbesondere sind die leinen gegen das Eigenthum gerichteten Vergehen, de⸗ ren Objekt 25 M nicht übersteigt, den Strafkammern entzogen und den Schöffengerichten überwiesen. Ferner sind die Verbrechen von Personen unter 18 Jahren, die Verbrechen des schweren und rũckfälligen Diebstahls, der Hehlerei und des Betruges grundsätzlich den Schwurgerichten entzogen und den Strafkammern zugewiesen. Andererseits ist die im Entwuxrfe vorgesehene fakultatlve Ver⸗
sämmtliche Preßvergehen, mit Ausnahme solcher Beleidigungen, deren Verfolgung nur auf Antrag des Beleidigten oder der An⸗ gehörigen desselben geschieht, in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem Beschlusse erster Lesung den Schwurgerichten zu⸗ gewiesen;
Y nach dem Beschlusse der Kommission sollen von dem Schöffendienste die unmittelbaren besoldeten Reichs- und Staats⸗ beamten ausgeschlossen sein. — Die Schöffen sollen zu nicht mehr als 5 Sitzungstagen im Jahre herangezogen werden dürfen. — Der Amtsrichter soll, auch im Falle der Dringlichkeit nicht, wie im Entwurfe bestimmt, nach seiner Wahl diejenigen Erfatzschöffen berufen, welche am schnellsten zu erlangen find, sondern er soll dieselben stets ausloosen, beziehungsweise nach der Reihenfolge der Jahresliste vorladen;
8s) nach den Beschlüssen der Kommission soll die Geschäfts⸗ vertheilung und Zusammensetzung der Kammern und Senate bei den Kollegialgerichten durch eine besondere Kommission, be— stehend aus dem Präsidenten, den Direktoren und ein bis vier Mitgliedern des Gerichts, erfolgen, während nach der Meinung des Bundesraths diese Befugnisse der Justizverwaltung zu belassen find. Ferner sollen nach den Kommißsfionsbeschlüssen die von der Justizverwaltung den einzelnen Kammern oder Senaten zu⸗ getheilten Vorsitzenden nur mit ihrem Willen zu Vorsitzenden einer anderen Kammer oder eines andern Senats bestimmt wer⸗ den dürfen. Endlich soll die Ertheilung eines Kommissoriums an einen Beamten, welcher nicht angestellter Richter ist, zur Ver⸗ tretung oder Aushülfe bei dem Landgerichte stets eine dauernde sein, in der Weise, daß der betreffende Beamte während der Dauer derjenigen Umstände, durch welche die Anordnung noth⸗= wendig wurde, wider seinen Willen nicht abberufen werden darf. Von dem Bundesrathe war die Streichung dieser in erster Lesung hinzugefügten Bestimmungen beschlossen;
9) nach dem Beschlusse der Kommission soll die Spruch⸗ liste der Geschworenen lediglich durch Auslogsung von 30 Ge⸗ schworenen aus der vom Landgerichte erwählten Gesammtzahl der Geschworenen festgestellt werden, während nach dem Ent⸗ wurfe, dessen Aufrechterhaltung vom Bundesrathe beschlossen ist, zunächst 438 Geschworene auszuloosen sind und diese Zahl demnächst erst durch den Vorfttzenden des Schwurgerichts auf 30 Perfonen behufs Bildung der Spruchliste herabzusetzen ist;
10 der Sitz des Reichsgerichts soll nicht, wie nach dem Beschlusse des Bundesraths, duich Kaiserliche Verordnung, son⸗ dern durch Gesetz bestimmt werden;
1I) die Kommission hat die in erster Lesung eingeschaltete Vorschrift, daß die Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Ausführungen und Anträgen nach dem Schlusse der Beweis⸗ aufnahme an dienstliche Anweisungen ihrer Vorgesetzten nicht ge⸗ bunden sein sollen, entgegen dem Beschlusse des Bundesraths aufrecht erhalten;
12) die Bestimmung über die Mittheilung von Akten einer öffentlichen Behörde an die Gerichte eines anderen Bundes⸗ ftaats ist gleichfalls entgegen dem Beschlusse des Bundesraths aufrecht erhalten worden;
14) nach dem Beschlusse des Bundesraths soll auch die Verkündung der Urtheile in nicht öffentlicher Sitzung erfolgen dürfen, wenn die Oeffentlichkeit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit besorgen läßt. Nach dem Be⸗ schlusse der Kommission soll * . die Verkündung der Ur⸗ theile in allen Fällen öffentlich Erfolgen; —
14), die Dauer der Gerichtsferien ist von dem Bundesrath
auf die Zeit vom 15. Juli bis 31. August festgesetzt. Die Kom⸗ mission hat die Dauer der Jerien bis zum 15. September ver—⸗ längert. Die aus der „Deutschen Zeitung! in andere Blätter übergegangene Mittheilung, „daß das Reichs-Eisenbahn⸗ amt vom Bundesrathe beauftragt sei, Recherchen zu pflegen, ob eine Aufhebung der der deutschen Landwirthschaft schaͤd⸗ lichen Differential⸗-Tarife ohne Weiteres möglich wäre, daß das Reichs- Eisenbahnamt diese Frage nicht nur im günstigen Sinne erledigt, sondern sich auch ent—⸗ schieden für eine solche Initiative erklärt habe, und daß in Folge dessen die Aufhebung von etwa. 12 den Verkehr zwischen den Nordseeplätzen und den Binnen⸗ Handelsstationen beherrschenden Differential⸗Tarifen bevorstehe“, entbehrt der Begründung. Das Thatsächliche an der Sache ist, daß der Bundesrath anläßlich verschiedener Beschwerden über die dem ausländischen, insbesondere dem russischen Spiritus auf deutschen Bahnen gewährte Frachtbegünstigung am 12. Februar cr. beschlossen hat, die Frage, ob und in welcher Weise die nachtheilige Einwirkung, welche die Differential⸗Frachtsätze auf die Konkurrergfähigkeit der deutschen Spiritus⸗Erportplätze ausüben, zu beseitigen oder doch abzuändern sei, in weitere Erwägung zu ziehen, und daß das Reichs⸗Eisenbahnamt zur Ausführung dieses Beschlusses die be⸗ theiligten Bundesregierungen ersucht hat, in der angedeuteten Richtung Erhebungen anzuordnen, event. die dem ausländischen Spiritus gewährten Begünstigungen entweder aufzuheben oder sich darüber zu äußern, in welcher Weise deren schädigende Ein⸗ wirkung auf den deutschen Spiritus⸗Exporthandel abzumindern sein mochte.
— In Nr. 238 der Magdeburgischen Zeitung“ findet sich von „gut unterrichteter Seite“ die Mittheilung, daß die Regie⸗ rung beabsichtige, bei der Reorganisation der Justizbehörden das Gehalt der Landgerichtsräthe in seinem Höchft⸗ betrage auf 5400 16 festzusetzen, so daß bedauerlicher Weise nicht einmal derjenige höchste Gehaltssatz in Aussicht genommen sei, welchen die Mitglieder der Obergerichte in der Provinz Hannover (mit 6000 6) schon gegenwärtig beziehen. Dieser Mittheilung liegen, trotz der bestimmten Form, in welcher sie gegeben wird, keinerlei Thatfachen zu Grunde, da an maßgeben— der Stelle überhaupt noch keine Verhandlungen über die Be— e, , der künftigen Gehalte der Justizbeamten stattgefunden gaben.
— Der Königliche Gesandte in München. Wirkl. Geheime Rath Freiherr von Werthern, hat am 30. d. Mts. einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub nach Thüringen an⸗ getreten. Während seiner Abwesenheit fungirt der Legations⸗ 6 Graf von Dönhoff als interimistischer Geschäfts⸗
.
— Der General⸗Lieutenant von Wartenberg, Comman⸗ deur des Kadetten-Corps, hat sich zum Jubiläum des Kadetten⸗ hauses in Culm dorthin begeben.
— Der Kapitän zur See Frhr. von Schleinitz, bisher Kommandant S. M. S. „Gazelle“ ist zum Vorstand des Hiy⸗
drographischen Bureaus der Kaiserlichen Admira—⸗ lität ernannt worden.
weisung gewisser zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehöriger Verbrechen an die Strafkammer gänzlich r gl. ci h; 6
Lauenburg. Ratzeburg, 31. Mai. Auf der Tages⸗
2. und 3. Juni steht die Schlußberathung über den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Vereinigung des Herzogthums Lauen⸗ burg mit der preußischen Monarchie in zweimaliger Abstimmung.
Batzern. München, 28. Mai. Der „Allg. Ztg.“ wird geschrieben: „Gegenüber dem auf so vielen Landtagen in der Abgeordnetenkammer laut gewordenen Verlangen, daß die Zahl der Staatsbeamten vermindert werden möchte, erscheint es denn doch wohl als eine Inkonsequenz, wenn nach den bisher vom Ausschuß für den Jörg'schen Wahlgesetzentwurf gefaßten Beschlüssen eine Vermehrung der Zahl der Kam⸗ mermitglieder von 156 auf 162 eintreten soll, und zwar deshalb, um eine Wahlkreis⸗Eintheilung herzustellen, welche in der Kammer auf Annahme rechnen könnte. Wir wollen es dahin⸗ gestellt sein lassen, ob dieser Zweck nicht auch auf einem anderen Weg erzielt werden kann, glauben aber jedenfalls, daß das In⸗ teresse des Landes eine Vermehrung seiner Vertreter keineswegs erfordert. Die bayerische Volksvertretung ist nach der Verfassung berufen „um in öffentlichen Versammlungen die Weisheit der Berathung zu verstärken, ohne die Kraft der Regierung zu schwächen“, und dieser erhabene Zweck, überhaupt die Aufgabe, welche unsere bayerische Legislative in Zukunft noch zu lösen haben wird, kann sicherlich erreicht werden, ohne daß eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten erfolgt. Es wird deshalb wohl auch anzunehmen sein, daß bei der zweiten Lesung des Entwurfs im Ausschuß und dann jedenfalls bei den Berathungen in der Kammer die Frage: ob es zur Erzielung einer Verständigung über das Wahlgesetz absolut geboten erscheine, daß eine Vermeh⸗ rung der Zahl der Abgeordneten erfolge, näher ins Auge gefaßt wird, daß unsere banerischen Landtage auch in Zukunft noch eine große Bedeutung haben oder, richtiger gesagt, haben können, dürfte außer Zweifel stehen; allein da ein großer und wichtiger Theil der Gesetzgebung dem Reiche und der Reichsvertretung zusteht, ist die legislative Aufgabe der Landesvertretung eine wesentlich geringere als es bisher der Fall war, und auch schon deshalb scheint uns weit eher eine Verminderung als eine Vermehrung der Zahl der Mitglieder der Kammer gerechtfertigt zu sein.“
— Wie man in Abgeordnetenkreisen vernimmt, soll der für außerordentliche Bedürfnisse der Armee beanspruchte Kredit etwa 18 Millionen Mark betragen.
— Der bayerische Landesverein für die katho⸗ lische Reformbewegung (Altkatholiken) entsendet als Abgeordnete zur diessährigen Synode die Fẽrren Professoren Berchtold und Huber, Fabrikant Schaumberger und Dr. Zirngiebl. Zur. Cölibatsfrage haben die genannten Vertreter nach der ihnen ertheilten Instruktion sich dahin zu äußern: „I) Bei der gegenwärtigen religiösen Lage würde die gedeihliche Fort⸗ entwickelung der altkatholischen Bewegung, ja selbst der Bestand ihrer Gemeinschaft durch die Aufhebung des Cölibats im höchsten Grade gefährdet sein; 2) diese Frage und Fragen von ähnlicher Bedeutung können nicht wohl durch einseitiges Vorgehen der Synode der Altkatholiken des Deutschen Reiches, sondern sollen im Einverftändniß mit den konstituirten altkatholischen Kirchen anderer Länder gelöft werden; 3) Eine eventuelle Aufhebung des Cölibats von Seiten der Bonner Synode könnte die Ver⸗ nichtung der bisherigen staatsrechtlichen Stellung der bayerischen Altkatholiken zur Folge haben.“
— Die ziffernmäßig nachweisbaren außerordentlichen Aus⸗ gaben der Stadt München für das Schulwesen betrugen in diesem Jahre 319,220 Fl.
Sachsen. Dresden, 30. Mai. Die Erste Kammer trat heute dem von der Zweiten Kammer gefaßten Beschlusse, die Regulirung der Tagegelder und Reisekosten der Staatsdiener betreffend, bei und erledigte sodann die auf Straßen⸗ und Chaussee⸗ bau bezüglichen Petitionen. Weiter wurde die Regierung ermächtigt, das Abbaurecht des gesammten Braunkohlenfeldes im Timmlitz⸗ walde oder einzelner Theile desselben, unter bestmöglichen, nach vor⸗ gäntzigem öffentlichen Ausgebote festzustellenden Bedingungen, zu verkaufen., Hierauf nahm die Kammer die §5§. 30 - 33 des Gesetzentwurfs über die höhern Unterrichtsanstalten mit den von der Deputation vorgeschlagenen Abänderungen und sodann den Gesetzentwurf als Ganzes einstimmig an.
Die Zweite Kammer bewilligte 600 000 S zur plan⸗ mäßigen Fortsetzung der Elbstromkorrektionsbauten, nahm sodann den Bericht der Finanzdeputation über die bezüglich des Etats des Kultus⸗Ministeriums zwischen beiden Kammern bestehen⸗ den Differenzen entgegen und beschloß in den meisten Punkten, bei den früheren Beschlüssen stehen zu bleiben. Eine drei⸗ stündige Debatte veranlaßte der Bericht der Finanzdeputation über ein Nachpostulat von 480,090 6 für den Neubau des Polytechnikums in Dresden. Die Kammer beschloß dem Antrage der Majorität gemäß, nur 474000 6 zu bewilligen und die Staatsregierung zu ersuchen, die Remuneration für den Er— bauer des Polytechnikums auf 60006 zu beschränken. Schließ⸗ lich bewilligte die Kammer 45000 6, zu baulichen Herstel⸗ lungen innerhalb des Posthaltereigrundstücks in Leipzig. Nächste Sitzung morgen.
Baden. Karlsruhe, 29. Mai. Die Zweite Kammer hat eine Petition der Altkatholiken Durlachs um Mitbenutzung der dortigen Schloßkapelle an die Staatsregierung überwiesen mit dem Wunsche, die Bitte bei der Reichsverwaltung als Eigen⸗ thümerin thunlichst zu unterstützen. — Die Pfarr⸗Dotations⸗ Kommission der Zweiten Kammer hat ihren Bericht zum Druck gestellt. Der vom Ministerium verlangte Revers ist darin bezüglich der evangelischen Geistlichen beseitigt, während für die katholischen derselbe im Allgemeinen vom Bischof aus— gestellt werden soll. Da aber die erzbischöfliche Kurie in einer Zuschrift an das Staats⸗Ministerium formell jede Staatsunter⸗ stützung zurückgewiesen hat, so bleibt jene Forderung nur für die evangelischen Geistlichen praktisch.
Sessen. Darm stadt, 29. Mai. Der Entwurf unserer neuen Gesinde⸗ Ordnung ist in vielen Punkten der preußi⸗ schen Gesinde⸗Ordnung entsprechend. Das Prozeßverfahren ist in been n. Weise vereinfacht. Der Entwurf schreibt für Gesindesachen ein protokollarisches Verfahren vor und ist inner⸗ halb 24 Stunden nach Erhebung der Klage Termin zur Ver⸗ handlung anzuberaumen. Daneben soll den Parteien die Auf⸗ lage gemacht werden, alle Beweismittel in dem Termine zur Stelle zu bringen. Das Gericht soll unter Berücksichtigung des gesammten Inhaltes der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Ueberzeugung entscheiden, und ist an die gesetzlichen Beweisregeln nur insofern gebunden, als es sich um Beweis durch Eid oder Urkunden handelt. Soll die Zwangsvollstreckung eines in Gesindesachen erlassenen Urtheils ihren Zweck nicht verfehlen, dann muß sie der Regel nach sosort nach Erlaß zes Urtheils eintreten können. Um der unterliegen⸗ den Partei jedoch ein Schutz mittel gegen Nachtheile zu gewähren, die aus der vorläufigen Vollstreckung eines noch nicht rechts⸗
ordnung der Sitzung von Ritter⸗ und Landschaft am
kräftigen Erkenntnisses entstehen könnten, wird dem Richter die
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Befugniß gewährt, auf Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit von einer vorgängigen Sicherheilsleistung abhängig zu machen. Der letzte Abschnitt des Entwurfes enthält die auf das Ge⸗ sindewesen bezüglichen polizeilichen Vorschriften. Jeder Dien st⸗ bote wird, nach erfolgtem Diensteintritt, von der Orts polizei⸗ behörde in das Gesinderegister eingetragen und erhält ein Dlen abuch. Wer bereits im Besitz eines solchen ist, muß es zur Visirung vorlegen. Das Dienstbuch ist von dem Dienstbhoten bei Meidung einer Geldstrafe von 1 bis 3 66 der Herr⸗ schaft abzugeben und muß von letzterer der Tag des Dienst⸗ eintritts und Dienstaustritts eingetragen werden. Die Orts⸗ polizeibehörde ist jeder. Zeit befugt, Einsicht des Dienstbuches and Ausstellung von Zeugnissen zu verlangen, welche gleich den Strafurtheilen in das Dienstbuch eingetragen werden. Im An⸗ schluß an die preußische Verordnung vom 29. September 1846 sst endlich bestimmt, daß der Diensibote, welchem ein ungünsti⸗ ges Zeugniß ertheilt worden ist, auf Ausfertigung eines neuen Dienstbuches antragen kann, wenn er nachweist, daß er sich während 2 Jahren tadellos betragen hat. Die Ortspolizei⸗ behörde führt die Gesinderegister.
Braunschweig. Braunschweig, 29. Mai. Heute Morgen trafen von Hannover Se. Königliche Hoheit der Prinz Albrecht und der Divisions-General v. Voigts⸗-Rhetz hier ein. Se. Königliche Hoheit besichtigte, auf dem Egerzierplatze ange⸗ kommen, zuerst die Infanterle, dann die 3. und 4. Escadron des Husaren⸗Regiments; die übrigen Escadrons werden morgen besichtigt. Gegen 12 Uhr traf Se. Königliche Hoheit in „Schra⸗ ders Hotel“ ein, wo derselbe den Offizieren der Garnison, welche nicht durch Dienst behindert waren, ein Diner gh. — Für heute Abend war großer Zapfenstreich befohlen.
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Oesterreich⸗angarn. Wien, 29. Mai. Die Abhaltung des demokratischen Parteitages, welcher am 30. d. M. hier stattfinden sollte, wurde, wie die Pr.“ mittheilt, von der Polizeidirektion untersagt, weil derselbe nicht als Privatver⸗ sammlung, sondern als Volksversammlung zu betrachten sei. Gegen diese Verfügung der Behörde wird von den Einberufern der Versammlung der Rekurs ergriffen werden.
Prag, 29. Mai. Die Altezechen sind nun nach P a⸗ lacky's Tod sehr eifrig bemüht, es zu verhehlen, daß der Ver⸗ sust ihrer obersten Autorität eine Schwächung der altezechischen Partei zur Folge haben werde. Zu diesem Zwecke deuten die alt⸗ zechischen Blätter an, daß nun vielmehr erst die altezechische Oppo⸗ sition zu Mitteln greifen werde, von deren Gebrauch bisher Pa⸗ lacky felbst die Seinen abgehalten habe. So machte „Pokrok“ einen mysteriösen Hinweis auf den „Mann der That, für den die Bühne leer geworden! und heute ist in der Politik“ die Verheißung zu lesen: „Fortan werden Elemente in die politische Arena treten, welche Palacky's hochkonservativer Sinn zu mäßigen wußte, die jedoch stürmischer Thatendrang beherrscht, der sich den Todtengräbern des böhmifchen Volkes erst fühlbar machen wird.“
Pest, 30. Mai. (W. T. B.) Diz Reichs raths⸗-Dele⸗ gation erledigte in ihrer heutigen Sitzung das Ordinarium des Friegsbudgets. Titel 7 (Truppenkörper und allgemeine Auslagen für die Truppen) wurde nach dem Antrage Engerths mit der im Vorjahre bewilligten Ziffer von 22,082,729 Fl. an⸗ genommen. Ebenso Titel 22 (Naturalien, Verpflegung) auf Antrag Engerths unter Einstellung der vom Budgetausschusse gestrichenen 94 440 Fl. mit 16088901; ferner Titel 23 (Mann⸗ schaftskost) unter Ablehnung des Antrags Kellners, zur Auf⸗ besserung der Kost für die Mannschaften 1,600, 000 Fl. einzu⸗ Fellen. Alle übrigen Titel wurden ebenfalls angenommen.
(Presse Kerkapolyi hat den Handschuh, welchen ihm Lonyay zugeworfen, aufgenommen. Der Erstere erklärt in einer Zuschrift an die hiesigen Blätter, daß er in seiner Aeußerung vor der Schlußrechnungs-Kommission die hona fides Lonyay's nicht in Zweifel gezogen habe, daß er aber seine damaligen Angaben aufrecht erhalte und sie event. auch aus den Originalurkunden beweisen, d. h. daß er darthun werde, Lonyay habe es bei der Bewilligung und Sicherstellung des der Fiumaner Schiffswerfte bewilligten Darlehens an der nöthigen Vorsicht fehlen lassen, trage daher die Schuld an dem Verluste, welchen der Staatssäckel erlitten. Nach neue⸗ ren Erhebungen beträgt die Summe, bezüglich welcher die Schlußrechnungs⸗Kommission die Verweigerung des Absolu⸗ Horiums beantragt, sammt den Zinsen 148 009 Fl. Uebrigens besteht die allernächste Frage darin, ob das Abgeordnetenhaus den Kommifsions antrag annehmen wird. Erst in diesem Fall kann von einer gerichtlichen Untersuchung im Sinne des Gesxetz⸗ artikels 3 1848. das heißt von dem „Ministerprozeß“, die Rede sein.
Belgien. Der König hat sich am 29. Mai in Ostende nach England eingeschifft.
Grsßbritannien und Irland. London, 29. Mai. Ueber den Aufenthalt des deutschen Geschwaders in Ply- mouth meldet die E. C.“: „Die deutschen Schiffe feuerten nicht nur bei der Ankunft die üblichen Salutschüsse ab, sondern ließen ihre Geschütze auch in die Salven mit einftimmen, welche zur Geburtstagsfeier der Königin abgegeben wurden. Auch als Admiral Sir Thomas Symonds, Ober⸗Kommandant zu Ports⸗ mouth, am Sonnabend Nachmittag das deutsche Geschwader besuchte, wurden zwischen dem „Kaiser ! und dem englischen Flaggenschiffe Royal Adelaide“ wieder dröhnende Komplimente gewechselt.“
Aus Calcutta wird der Rücktritt des Finanz— Ministers, Sir W. Muir gemeldet, ein Ereigniß, das jeden⸗ falls mit den Schwierigkeiten der indischen Finanzverwaltung in Folge der Entwerthung des Silbers im Zusammenhange steht. Sir W. Muir erhält einen Sitz im indischen Rathe. — Ferner wird der Times“ aus Caleutta unterm 28. d. M. auf telegraphischem Wege gemeldet: Kapitãän Sandemans Khelat⸗ Mifflon hat Mastang erreicht. Die Eskorte kampirt auf einer fruchtbaren Ebene, die 5700 Fuß über der Meeresfläche gelegen ist, und wird wahrscheinlich dort den ganzen Sommer zubringen. Der Gesundheitszustand der Truppen ist ein guter. Es heißt, daß der Khan und die Drahati⸗Häupt⸗ linge ihre Streitigkeiten dem Kapitän Sandeman unter⸗ bereitet haben. Mit den Afridies haben keine weiteren Kämpfe stattgefunden, aber der Kohat⸗Paß ist noch immer nicht dem Verkehr eröffnet. Der Emir von Kabul hat erklärt, daß der Khyber⸗Paß nunmehr offen ist. . ö .
= Wie aus Rangun gemeldet wird, ist die Expedition unter Hin. Grosvenor am 21. d. in Bhamo eingetroffen und jetzt wohl schon in der Hauptstadt von Birma, in Manda⸗ lay, angelangt. Weder auf chinesischem, noch auf birmanischem
— 31. Mai. (W. T. B. Die hauptsächlichsten hiefigen Journale äußern fich über den Thronwechsel in Konstan⸗ tinopel im Ganzen zwar günstig, aber vorläufig doch noch mit einer gewissen Zurückhaltung und ohne irgendwelche übertriebene , an denselben zu knüpfen. Es wird von denselben ervorgehoben, daß die Softas die Bewegung mit Geschick und Klugheit ins Werk gesetzt hätten, indeß sei immer⸗ hin die Frage berechtigt, ob die Absichten der Softas wohl mit einem aufgestellten formellen Programm im Einklang ständen und öb sie das letztere würden durchführen können. Uebrigens sehen die hiesigen Blätter die Revolution in Konstantinopel als ein für eine friedliche Lösung der Orientfrage günstiges Ereigniß an und sprechen die Ansicht aus, daß die Machte den Anstren⸗ gungen der Türkei ihre Unterstützung leihen müßten.
— 30. Mai. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Unterhauses erklärte der Unter⸗Staatssekretäͤr des Auswär⸗ tigen, Bourke, auf eine Anfrage Mare's, er halte es nicht für opportun, die über die orientalische Frage geführte dip lo⸗ matische Korrespondenz zu veröffentlichen. Weiter bestä⸗ tigte derselbe, daß der Sultan Abdul⸗Aziz entihront und Murad zum Nachfolger proklamirt worden sei. Nähere Details über den Thronwechsel seien noch nicht eingetroffen. Bourke verlas am Schlusse seiner Erklärung ein aus Salonichi eingegangenes Telegramm, nach welchem die Nachricht von dem Thronwechsel dort günstig aufgenommen worden ist.
— Nach hier eingegangenen offiziellen Meldungen ist das englische Mittelmeer-Geschwader am 26. d. in der Be⸗ sika⸗Bay eingetroffen. Tas Kanalgeschwader, welches gegenwärtig kreuzt, wird am 6. Juni c. in Vigo erwartet. Frankreich. Paris, 29. Mai. Das „Journal officiel“ publizirt wiederum die Ernennung von i4 Maires und 17 Adjunkten. — Zehn Munizipalrathswahlen haben gestern in Paris stattgefunden. Zwei davon sind noch unent⸗ schieden geblieben, bei sieben anderen aber hat die radikale Partei, wie zu erwarten gewesen, gesiegt; sie hat neun Kandidaten auf—⸗ gestellt und sieben davon durchgebracht. Im Ganzen aber andern diefe Wahlen nicht viel an der Zusammensetzung des jLetzigen Munizipalraths.
— Der Minister des Innern legte heute der Depu— tir tenkammer einen Gesetzentwurf über die Gemeinde⸗ Organisat ion vor. Die Kammer beschloß Dringlichkeit des⸗ selben und überwies ihn an den bereits ernannten Ausschuß. In dem Entwurf, sagt das „Journal des Debats“ erkennen wir den Geist des Gesetzes, das Hr. Ricard mit Hülfe einer außerparlamentarischen aus den aufgeklärtesten und liberalstnn Männern zusammengesetzten Kommission vor⸗ bereitet hatte. Die charakteristische Bestimmung des Ent⸗ wurfes ift die, welche der Regierung das Recht verleiht, die Maires in den Hauptortem der Departements, Arrondisse⸗ ments und der Kantone zu ernennen. Ueberall sonst, d. h. in 33,123 Gemeinden, also in der großen Mehrzahl derselben, sollen die Maires direkt von den Munizipalräthen ernannt werden.
— Die Kommission in der Roupierschen Angele⸗ genheit ist fortwährend zusammen; in allen Gruppen zeigt man lebhaftes Verlangen, mit derselben zu Ende zu kommen.
entthronte Sultan Abdul Azis Khan, geboren am 9' Februar IS30, ist der Sohn des Sultan Mahmud lI., der zweiunddreißigste Souverän vom Stamn:e Osmans, der neunundzwanzigste seit der Eroberung Konstantinopels. Er succedirte am 23 Jun 1861 seinem älteren Bruder, dem Sultan Abdul, Medisd RFhan. Der gegenwärtig auf den Thron erhobene Maholn med Müärad Effendi ist der älteste Sohn des verstorbenen Abdul Medjid, nach dem osmanischen Reichs geseze, dem zufolge die Herr= schaft steis auf den ältesten Prinzen des Hauses, nicht auf den Sohn des regierenden Sultans übergeht, der rechtmäßige Rach⸗ folger Abdul Aziz. Er ist geboren am 21. September 1840, befindet sich also in dem Alter von beinahe 36 Jahren. Bekannt ist die Art der Beziehungen zwischen ihm und seinem Oheim, dem entthronten Sultan, die ihre Ursache darin hatte, daß Abdul Aziz die rechtmäßige Thronfolgeordnung zu Gunsten sei⸗ nes ältesten Sohnes Jussuf Izzeddin (geb. am 9. Oktober 1857) umzustoßen wünschte.
— Der „Kölnischen Zeitung“ wird aus Paris gemeldet, daß nach den aus Konstantinopel vorliegenden Nachrichten der Großvezier Mehemed Ruschdi Pascha mit Midhat Pascha an der Spitze der Bewegung sieht. — Der entthronte Sultan wird in seinem Palais bewacht. —er neue Sultan Murad soll folgende drei Punkte angenommen haben: Einsetzung einer per⸗ manenten Notabelnversammlung, Abschaffung des Serails und Reduzirung der Civilliste des Sultans auf 5 Millionen Piaster. = Dem Wiener „Telegraphen⸗Korrespondenz⸗Bureau“ wird aus Pest vom 31. Vormittags gemeldet:; Die Meldung mehrerer Wiener Blätter, wonach dem auswärtigen Amte die Nachricht zugekommen wäre, daß der entthronte Sultan Abdul⸗Aziz von den Softas erdrosselt sei, ist u nbegründet. Neueste Konstantinopeler Meldungen berichten vielmehr, daß Abdul⸗Aziz am Leben sei und daß die Patriarchate der christlichen Ge⸗ nossenschaften dem neuen Sultan bereits gehuldigt haben.
= Dem Vernehmen der „Ag. Havas / zufolge, würde ein neues Ministerium unter Midhat Pascha als Vezir gebildet werden und würden Khalil Scherif Pascha als Minister der auswärtigen Angelegenheiten, sowie Sadyk Pascha als Finanz⸗ Minister in dasselbe eintreten.
— Die Abresse, welche die bosnischen Insurgenten— führer an den bekannten Agenten Wesselitzky gerichtet haben, hat nach dem Brüsseler „Nord“ folgenden Wortlaut:
„Hr. Gabriel Bozidarova Wesselitzky! Wir Führer der Insur⸗ genten in Bosnien danken den Großmächten, daß fie uns ihre liebe dolle Aufmerksamkeit gewidmet haben. Einen Beweis hierfür er⸗ blicken wir in dem Reformplan des Grafen AnLdrassy, welchen die Großmächte acceptirten und bezüglich dessen sie die Pforte bewogen ibm zuzustimmen. Die herzegowinischen Wojwoden haben uns die Rath⸗ scheäge mitgetheilt, welche Sie ibnen imNamen des russischen Reichskanzlers überbrachten, und desgleichen die Worte, welche Baron Roditsch Namens der Fsterreichischen Regierung an sie gerichtet. Aus diesen Mittheilungen, welche auch uns berühren, haben wir die Bedeutung der erwähnten Reformen erfahren. Gleich unseren herzegowinischen Brüdern er= kenren wir, daß diese Reformen sich von allen früheren unterscheiden, weil sie auf der Initiative der Großmächte selbst beruhen, denen da⸗ her an deren Verwirklichung gelegen ist und deren Durchführung ste von der Pforte zu verlangen berechtigt sind. Wir hoffen, daß diese
— Gestern hatten sich sehr beunrubigende Gerüchte über das Befinden Casimir Périers verbreitet; das „Journal des Debats“ ist nun im Stande, nach seinen neuesten Erkundigungen zu versichern, daß der Zustand des Senators sich wesentlich ge⸗ bessert habe. .
— Die gestern erwähnte Vermahnung der Bischöfe an den Ministerpräsidenten erweckt die Verwunderung der liberalen Blätter, welche darauf aufmerksam machen, daß die jüngst in Paris gehaltene Zusammenkunft, der diese Vermahnung entstammt, die Regierung nicht um Erlaubniß gefragt hat und folg⸗ lich eine gesetzwidrige Versammlung war. Das „Sierle“ betont das Eingreifen der Bischöfe in die Staatsangelegenheiten, das die Ermahner als ihr gutes Recht in Anspruch nehmen; aber Frankreich wolle und werde nicht Lehnsmann des Ultramon⸗ tanismus werden.
— 30. Mal. (B. T. B) Die Nachricht von der Entthronung des Sultans wird, wie die „Agence Havas“ meldet, hier im Ganzen günstig aufgenommen.
Der türkische Botschafter Sadyk Pascha hatte heute
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früh eine lange Konferenz mit dem Herzog von Decazes.
Italien. Rom, 31. Mai. (W. T. B.) Die Initiative zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Baseler Ronvention ist, wie das Journal „Diritto“ meldet, von dem Hause Rothschild ausgegangen. Das gedachte Blatt fügt hinzu, die Regierung fei entschlossen, die Ba⸗ seler Konvention und den Vertrag aufrecht zu erhalten, wenn nur einige der durch die Konvention Italien auferlegten Lasten herabgemindert würden und glaubt annehmen zu dürfen, daß das Ministerium dem Parlamente eine Additional ⸗ Konvention werde vorlegen fönnen, welche die ursprünglichen Bedingungen günstiger gestalte. Das Programm des MinisteriLums bestehe in der Annahme der Baseler Konvention und des Wiener Vertrages mit solchen Abänderungen, welche die Beseitigung des Staatsbetriebes und die Reorganisation der Bahngesellschaften und des Transportbetriebes bezweckten; es sei zu hoffen, daß die Verhandlungen Correntis von einem günftigen Erfolg begleitet seien, damit das Ministerium alle Zweideutigkeit beseitigen und
berechtigte Interessen wahren und sichern könne.
Türkei. Kon stantinopel, 29. Mai. (W. T. B.) Von der Regierung werden folgende Nachrichten verbrei⸗ tet: Dank den energischen und kombinirten Maßregeln der Regierung ist die aufständische Bewegung in Bulgarien jetzt vollständig unterdrückt. Bie von allen Sei⸗ ien eingeschlossenen Insurgenten beeilen sich, ihre Unter- werfung in Masse. zu machen. Ihre. Führer wer⸗ den! vor Gericht gestellt werden. Man beschäftigt sich in diesem Augenblick damit, die Bewohner wieder in ihre Woh⸗ nungen zurückzuführen. Die aufgefundenen Papiere und Korre⸗ spondenzen der Infurgentenführer befinden sich in den Händen der Regierung, welche binnen Kurzem, nach der überall ein⸗ geleiteten Untersuchung, die Thatsachen festzustellen, die Schul⸗ digen zu bestrafen und die Anstifter dieser Unruhen öffentlich anzuklagen im Stande sein wird. . .
30. Mai. (W. T. B.) Sultan Murad. wurde als Kaiser von Gottes Gnaden und durch den Willen der Nation prokla⸗ mirt. Sein abgesetzter Vorgänger wurde mit seiner Familie nach dem alten Serail gebracht. Die Umwälzung vollzog sich in vollstaͤndiger Ruhe. Unter den Chriften und Muselmännern scheint über den Thronwechsel Befriedigung zu herrschen und fand heute Morgen eine Volkskundgebung statt. Heute Abend soll die Stadt festlich beleuchtet werden, auch sind dreitägige
Wiener
Gebiet, noch von den wilden Hügelstämmen wurden Hr. Gros⸗ venor und feine Begleiter in irgend welcher Weise belaͤstigt.
Reiormen sammt den Ergänzungen, welche wir weiter unten anführen, Unser geschriebenes Recht bilden und uns Leben, Ehre und Beßtz besser verbürgen, als die bloßen Verheißungen der Pforte: daß sie für Bosnien und die Herzegowina zu einer selbftändigen Regierung führen werden, welche die öffentliche Ord⸗ nung und das Wohl der Einwohner sichern und neue Umuhen verhindern wird. Wir sind bereit, an unsern häuslichen Herd zurückzukehren, erlauben uns aber zu bemerken, daß wir in der Fote des Grafen Andrassy bloß Prinzipien, aber keine Mittel zu deren Durchführung finden. Da wir nun wünschen, daß unser Kampf so bald ale möglich beendet werde, unterbreiten wir dem hochgeneigten Ermeffen der Großmächte diese Bedingungen einer raschen und sicheren Pazifikation: I Die Pforte möge ihr Militär aus unserem Land ab⸗ Ferufen und nur 5600 Mann daselbst belassen; Y die Pforte möge alles Material und alle Mittel zur Wiederherstellung der zer⸗ störten Häufer, Kirchen und Schulen beischaffen und den Ein⸗ wohnern den Lebensunterhalt so lange liefern, bis diese sich selbst durch eigene Arbeit erhalten können, und die Steuern auf 3 Jahre nach⸗ sehen; 3) bezüglich der Vertheilung dieses Materials und dieser Hüůülfs⸗ mittel soll die Ueberwachung einer von den Großmächten installirten Kommission anvertraut werden, welche von der Türkei vollkemmen unabhängig ist; 4 die Christen sollen das Recht haben, Waffen zu tragen, wie die Moslim, womit sie sich gegen Angriffe wehren können, und damit die bürgerliche Gleichberechtigung zur Wahrheit werde, welche unter allen Unterthanen des ozsmanischen Reiches herrschen soll. Wir ersuchen Sie, diese unsere Wünsche den Großmächten vorzulegen und geben Ihnen unsere Vollmacht für drei Monate.
— Das ferbifche Amtsblatt meldet die Ernennung des früheren russischen Generals Tschernajeff zum serbischen General.
Rumänien. Am 23. Mai wurden durch ein Fürstliches Dekret die Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer an⸗ geordnet, und zwar wählt das erste Wahlkollegium am 15. Juni, das zweite am 17., das dritte am 19. Juni. Das vierte (bäuer⸗ liche) Wahlkollegium, welches indirekte Wahlen hat, wählt am 10. Juni seine Wahlmänner, die am 21. Juni die bäuerlichen Abgeordneten wählen.
Rußland und Polen. St. Peters burg, 29. Mai. Bezüglich der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Turkestan erfährt der „Russki Mir“, daß dieselbe nur auf die in Turkestan lebende russische Bevölkerung ausgedehnt werden wird. Die Eingeborenen dieses Gebiets sollen in diefer Hin⸗ sicht, soweit sie keinen festen Nachweis haben, zunächst nicht in Betracht gezogen werden. — Die Abfahrt der beiden zur Ver⸗ stärkung des Mittelmeer ⸗Geschwaders bestimmten Fahr⸗ zeuge, der Panzerfregatten „Petropawlowsk und des Klippers „Kreuser“ verzögert sich um einige Tage da letzteres Schiff, welches in Reval überwinterte, wie der Köln. Ztg.“ geschrieben wird, einiger Reparaturen an seiner Maschine bedarf.
Afrika. Marocco. Aus Tanger eingetroffenen Nach⸗ richten zufolge hat der Sultan von Marocco Haz Moham⸗ med Elzebdy, einen der ersten Würdenträger am maroccanischen Hofe, zum außerordentlichen Botschafter ernannt, in welcher Eigenschaft er sich nach Paris, London und Rom be⸗ geben soll. Ein französisches Kriegsschiff wird ihn Ende dieses Monats nach Marseille bringen und er von einem ansehn⸗ sichen Gefolge begleitet sein. In Tanger wurde eine Anzahl Pferde erwartet, die für den Marschall Mae Mahon zum Ge⸗ schenk bestimmt sind. Dem König von Italien hat der Sultan ebenfalls Pferde zum Präsent gefchickt. Der Zweck der oben erwähnten Botschaft ist, der britischen, französischen und italieni⸗ schen Regierung für die Entsendung von Gesandten zu danken, die sich nach Fez begeben hatten, um den Sultan Mulai Hassan anläßlich seiner Thronbesteigung zu beglückwünschen.
Der Sultan von Mardbcco ist am 15. Mai mit einer Armee
Festlichkeiten in Aussicht genommen. Sultan Murad hat heute seine Residenz im Kaiserlichin Palais genommen. — Der
von 12.000 Mann vor Casablanca eingetroffen. Er schlug