1876 / 128 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 Jun 1876 18:00:01 GMT) scan diff

Nach Beendigung der Parade begaben Sich Se. Majestät der Kaiser und König mit der Suite nach dem Königlichen Stadtschlosse, von dessen Fenstern aus Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin⸗Mutter von Mecklenburg⸗Schwerin, Ihre Kaiserliche und. Königliche Toöheit die Kronprinzessin, Ihre Kaiserliche Hoheit die Großfürstin Wladimir und Ihre König⸗ liche Hoheiten die Prinzesfsinnen Friedrich Carl, Marie und Elisabeth der Parade zugesehen hatten.

Der Bundesrath hielt gestern die 16. Plenarsitzung. Den Vorsitz führte der Staats-Minister Dr. Delbrück.

Von einer Vorlage, betr. die Nachweisung der den Bundes⸗ stagten bis Ende März d. J. überwiesenen Beträge an Reichs⸗ münzen, wurde Kenntniß genommen. Eine Vorlage, betr. den am 27. April d. J. zu Bern unterzeichneten Niederlassungs⸗ vertrag mit der Schweiz, wurde dem betr. Ausschusse über⸗ wiesen. Hierauf wurden Mittheilungen gemacht über die Kün— digung des Handelsvertrages und der Schiffahrtskonvention mit Italien, sowie über die Zurückziehung des Antrags Bremens wegen Behandlung der Zweigniederlassungen fremder Aktien⸗ gesellschaftin in Deutschland. Ein Antrag, betr. die Be⸗ willigung eines Ruhegehalts an einen dienstunfähig ge⸗— wordenen Pof⸗Unterbeamten, wurde angenommen. Die Be⸗ schlußfassung über einen Ausschußantrag, betreffend die in Auslegung des §. 180 des Strafgesetzbuchs hervorgetretene Meinungsverschiedenheit wurde vertagt. Ausschußberichte wurden erstattet über a. eine Meinungsverschiedenheit mit Oldenburg wegen Besteuerung von Grundstücken der Marineverwaltung in Neuende; b. den Erlaß einer Verordnung, betreffend die Kautionen der Beamten der Militär- und der Marineverwaltung; (. einen An⸗ trag wegen Versetzung der Städte Ratzeburg und Mölln in Lauenburg in eine höhere Servisklasse; d. den Ab⸗ schluß eines Freundschafts-,, Handels- und Schiffahrts—⸗ vertrages mit der dominikanischen Republik; e. eine Petition wegen des Erlasses eines Gesetzes über das Wasserrecht; f. eine Meinungsverschiedenheit, betreffend den Verlust der Eigen⸗ schaft als Mitglied einer Tisziplinarkammer beim Aufrücken in ein höheres Richteramt; g. die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Landesverwaltung von Elsaß⸗Lothringen für 1874 ꝛ0.

Schließlich nahm der Staats-Minister Dr. Delbrück von der Versammlung Abschied, indem er Worte des Dankes an dieselbe richtete und den Minister Hofmann als seinen Amtsnachfolger vorstellte. Der Staatsrath Freiherr von Perglas gab hierauf der Betrübniß der Versammlung über das Ausscheiden des Herrn Delbrück und den Gefühlen der Dankbarkeit gegen den— selben Ausdruck, indem er zugleich den Herrn Minister Sofmann mit der Versicherung des Vertrauens der Versammlung bewill— kommnete.

Der Minister Hofmann empfahl sich dem Vertrauen der Versammlung.

Das unbefugte Eindringen in einen ausschließlich zur Beförderung von Personen dienenden Wagen (Postwagen, Eisenbahnwaggon ze. ist nach einem Beschluß des Ober⸗Tribu⸗ nals vom 27. April d. J. nicht als Hausfriedensbruch zu er— achten. Dagegen ist das unbefugte Eindringen in einen Wagen, welcher von den darin fahrenden Personen (z. B. von herum⸗ ziehenden Gauklern) als Wohnung benutzt wird, oder ein Wagen, der als Geschäftsraum (Verkaufslokal) oder als amtliches Bu⸗ reau (z. B. die in einen Eisenbahnzug eingeschlossenen Post⸗ wagen) benutzt wird, wohl als Hausfriedensbruch zu bestrafen.

Der Geheime Kabinets⸗Rath von Wilmomski ist mit kurzem Urlaub abgereist und wird demnächst Sr. Majestät dem Kaiser und König nach Ems folgen.

ö Königlich sächsische Gesandte und Bundesbevoll— mächtigte von Rostitz⸗Wallwitz hat zum Gebrauche einer Badekur Berlin auf 6 Wochen verlassen.

Der Roßarzt Hoppe zu Colberg ist zum kommissari⸗ schen Kreis⸗Thierarzt des Kreises Saatzig, unter Anweisung der Stadt Stargard als Amtswohnsitz, ernannt worden.

Bayern. München, 30. Mai. Die Abgeordneten⸗ Kam mer hat heute nach längerer Debatte den Antrag Faige auf Erlassung eines Gesetzes, betreffend einige Abänderungen Der Civilprozeßordnung, gemäß dem Kommissionsantrag ab— gelehnt. Nächste Sitzung Donnerstag.

Der Entwurf eines Gesetzes, einen Kredit für außer⸗ ordentliche Bedürfnisse des Heeres berreffend, fordert als Erweiterung der durch die Gesetze vom 21. Juli 1874 und 16. April 1875 bewilligten Kredite von 1012353710 Fl. und 3,827,800 Fl. einen ferneren Kredit von 17,775,342 M

Sachsen. Dresden, 31. Mai. Die Erste Kammer nahm in ihrer heutigen Sitzung den Gesetzentwurf, das Mobiliar? und Privat⸗Ffeuerversicherungswesen betreffend, nach den von den Beschlüssen der Zweiten Kammer in einigen Punkten ab⸗ weichenden Vorschlägen ihrer Deputation einstimmig an.

Die Zweite Kammer erklärte sich, unter Ablehnung des von der Ersten Kammer gefaßten Beschlusses, einen Theil der Verwaltungsüberschüsse der Finanzperiode 1872.73 zur Bestrei⸗ tung von gewissen einmaligen und außerordentlichen Ausgaben in das ordentliche Budget einzustellen, mit den von der Regie— rung bei der Aufstellung des Budgets befolgten Grundsätzen einverstanden und genehmigte hierauf den Ankauf der chsisch⸗ thüringischen Eisenbahn gegen 3 Stimmen. Eine Differenz bei Pos. 25 des EGinnahme⸗Buhgets wurde im Sinne der Ersten Tammer erledigt, iwogegen die Kämmer bei einer von der Ersten Fammer nicht genehmigten Streichung bei Pos. 14. des Aus— gabe⸗Budgets beharrt.

1. Zuni. W. T. B.) Die Zweite Kammer hat heute die von der Regierung beantragte 3 prozentige Renten anleihe bis zur Höhe von 101 Milllonen Mark ohne Debatte genehmigt.

Württemberg. Stuttgart, 30. Mai. ist der Graf Gregor Strogonoff, mit welchem die ver— Awigte Großfürstin Marie von Rußland in zweiter Ehe ver— mählt war, sammt Tochter zum Befuche der Königlichen Familie üer eingetroffen. ;

Gestern Mittag

treter zur Berathung erschienen. Zuerst wurde die Abänderung des 5. 2 der Statuten genehmigt und über Bildung der Kreis— ausschüsse für die Provinz Rheinhessen berichtet. Hinsichtlich der Abhaltung von Provinzialversammlungen einigte man sich dahin, daß im Juni eine solche in Lampertheim und in Gau— Böckelheim und im Juli eine Versammlung auf der Waldeck bei QOber⸗Ingelheim abgehalten werden soll. Für den Landkreis Mainz wird erst später eine Versammlung veranstaltet werden, und man hofft, daß Ludwig Bamberger daran Theil nehmen wird. Wahrscheinlich findet dieselbe in Finthen statt. Zum Schluß wurde zur Wahl eines definitiven Provinzialausschusses geschritten.

Mecklenburg⸗Schwerin. Schwerin, 29. Mai. Eine heute publizirte Großherzogliche Verordnung verfügt, im An⸗ schluß an die Berathung mit den Ständen über die Stol⸗ gebühren der enangelisch⸗lutherischen Landeskirche, wegen des Wegfalls von Stolgebühren bei den römisch-katholischen Amts— handlungen. Rücksichtlich der Gebühren und Opr'er, welche den katholischen Geistlichen und Küstern in Schwerin für die Taufen, Proklamationen und Trauungen bisher zugestanden haben, wird der bisherige Rechtszustand dahin abgeändert, daß die Genannten eine jährliche Abfindungssumme von 198 ½ aus Großherzog— licher Renterei erhalten, wogegen sie den Rechtsanspruch auf jene Gebühren und Opfer verlieren. Jedoch bleibt ihr Recht, bei Taufen und Trauungen außerhalb ihres Wohnortes eine Ver— gütung für Reisekosten oder Diäten zu fordern, unverändert.

Sach sen Weimar⸗Eisenach. Weimar, 31. Mai. Das „Regierungsblatt“ enthält eine Ministerial-Bekanntmachung, der zufolge die Wahlen zum 21. ordentlichen Landtag im Sep⸗ tember d. J. stattzufinden haben.

Braunschweig. Braunschweig, 30. Mai. Se. König⸗ liche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen hat sich heute Morgen von hier nach Goslar begeben, um die Jäger zu in— spiziren.

Anhalt. Dessau, 30. Mai. Die Krankheit des Prin⸗ zen Friedrich ist seit einigen Tagen weniger bedenklich. Die übrigen Mitglieder der Herzoglichen Familie, welche erkrankt waren, befinden sich in der Konvalescenz.

Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 31. Mai. (W. T. B.) Von der „Straßburger Zeitung“ wird die Nachricht, daß der Ober-Präsident v. Möller um seine Entlassung nachgesucht habe, als aus der Luft gegriffen bezeichnet.

Der „Schweizer Grenzpost“ wird unter Anderem aus dem Oberelsaß geschrieben: „Ein in seiner Bedeutung und Tragweite nicht zu unterschätzender Schritt in der verfassungsmäßigen Fort— entwickelung des Reichslandes“ auf konstitutioneller Basis ist durch das neulich nebst Motiven veröffentlichte Gesetz, betreffend die Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen ge⸗ schehen. Dieses Gesetz, wenngleich vorläufig noch Entwurf, darf schon wegen seiner den berechtigten Wünschen der Bevölkerung entgegen— kommenden und wohlwollenden Tendenz der Genehmhaltung Sei⸗ tens des Landesausschusses, wie des Deutschen Reichtages gewiß sein. Dasselbe bestimmt bekanntlich, daß Landesgesetze für Elsaß— Lothringen nach Zustimmung des Landesausschusses und des Bundesrathes und ohne Mitwirkung des Reichstages vom Kaiser erlassen werden kännen. Die etwas anomale, bisher einzig in ihrer Art bestehende Organisation hat zu langen Debatten und unnöthigen Weiterungen im Reichstage, besonders gelegentlich der Berathung des elsaß-⸗lothringischen Budgets geführt. Der Reichstag, der selbstverständlich mit den Spezialitäten im Ein⸗ zelnen nicht vertraut sein konnte, wie eine direkt dem Lande angehörige und aus seiner Mitte hervorgegangene Vertretung, wurde dadurch mehr belästigt, als beschäftigt. Diese Unzuträglichkeiten hat man nicht blos in Reichs— tags, sondern auch in Regierungskreisen eingesehen und zu würdigen gewußt. Es wird also von nun an bei allen elsaß lothringischen Spezialgesetzen die Einwilligung von Landes— ausschuß und Bundesrath genuͤgen. Die Mitwirkung des Reichs— tages ist nur noch dann erforderlich, wenn sich im Stadium der Berathung Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Ausschusse und der Regierung erheben. Mit Einem Worte die Stimme der Landesvertretung ist mit Ausnahme des letzten Falles aus einer blos begutachtenden und be— rathenden eine beschließende geworden, wie die der übrigen deutschen Partikularstaaten. Das ist der konsti⸗ tutionelle Fortschritt dieser Vorlage gegenüber der seitherigen Gestaltung. Es ist, wie gesagt, eine weitere und nicht unwich⸗ tige Etappe auf dem Gebiete des elsaß⸗lothringischen Verfassungs— rechts, ein erster Schritt in der inneren parlamentarischen Aus⸗ bildung der Provinzialvertretung des Landes, dem unzweifel⸗ haft, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch einige andere, ebenso dringliche und eben so oft von der öffentlichen Meinung ge⸗ wünschte und durch die Presse formulirte folgen werden.“

Desterreic⸗ Ungarn. Wien, 30. Mai. Der Kaiser wird, wie die „Deutsche Zeitung“ erfährt, am 3. Juni von Pest hier eintreffen. Die Kaiserin wird ihre Abreffe nach Ischl wahrscheinlich bis zu jenem Tage verschieben. Einer Lemberger Meldung der „N. Fr. Presse“ zufolge, sind die seiner Zeit wegen ihres Votums für die kirchenpolitischen Vorlagen im Reichsrathe vom Metropoliten Sembratowiez gemaßregelten ruthenischen Domherren Pawlilow, Swedzicki und Petrusiewicz, dann Dr. Krzyzanowski wieder rehabilitirt, beziehungsweife in ihre früheren Stellen eingesetzt worden. Karlsbad, 31. Mai. Der Minister⸗Präsident Fürst v. Auersperg hat sich heute nach beendeter Badekur nach Wien zurückbegeben.

Pest, 31. Mai. (W. T. B.) Die österreichische De⸗ legation lehnte in ihrer heutigen Sitzung den Antrag, den Fond für militärische Stellvertreter zur Bedeckung des Kriegsbudgets heranzuziehen, ab, und nahm den Ausschußantrag an. Im weiteren Verlaufe der Sitzung wurde die Berathung des Extraordinariums des Kriegsbudgets erledigt. Die

In der heutigen Sitzung der Abgeordnetenkammer wu rde der Antrag Elbens, Aufrechterhaltung des früheren Be⸗ schl . usses auf Herstellung der Eisenbahnlinie Wangen⸗ Kiß legg mit 40 gegen 36 Stimmen angenommen.

Baden. Karlsruhe, 31. Mai. Die Zweite Kammer genehn üigte in ihrer heutigen Sitzung einstimmig einen Gesetz⸗ entwurf über eine Eisenbahn-Anleihe von 35 Millionen Mark. Die Modalitäten sind dem Finanz⸗Minister überlassen.

é efsen. Mainz, 29. Mai. Gestern tagten hier die Delegirten der rheinhessischen Fortschrit tspartei. Aus

und wurden die weiteren Verhandlungen bis zur Veribalfungg“ rathssitzung am 15. Juni verschoben.

ungarische Delegation nahm das Budget für das Mi⸗— nisterium der auswärtigen Angelegenheiten an, indem sie zugleich dem Grafen Andrassih ein Vertrauens votum . 6 , , einen Theil des Heeresbudgets unter ehnung der beantragten weiteren Abstriche nach den Ausschußanträgen. ; 1 J

Schweiz. Bern, 31. Mai. (W. T. B.) In der heutigen

drei Auswege in Aussicht genommen: 1) Weglassung der nörd⸗ lichen und südlichen Abzweigung resp. nur der Bau der Stamm⸗ linie, 2) theilweise einspurige Herstellung, 3) Trajektschiffsverbin⸗ dung über den Vierwaldstädter⸗-See.

Die „N. Zürch. Ztg.“ schreibt: „Diverse Blätter bringen die Nachricht, der Bundesrath habe Hrn. v. Claparéde, ersten Sekretär der schweiz. Gesandtschaft in Berlin, zum dortigen Geschäftsträger ad interim ernannt. Eine solche spezielle Er— nennung war nicht nöthig und hat auch in letzter Zeit nicht stattgefunden, da in Abwesenheit eines Gesandten der erste Sekretär jeweilen eo ipso die Funktionen des Geschäftsträgers versieht.“

Grsßbritannien und Irland. London, 30. Mai. Der König der Belgier kam gestern an Bord des belgischen Packetbootes „Parlament Belge“ in Woolwich an, wo er von den Spitzen der Militärbehörden empfangen ivurde. Nach kur⸗ zem Aufenthalt begab er sich nach London, wo er etwa 10 Tage zu verweilen gedenkt. Se. Majestät stieg in Claridge's Dotel ab. Dem Vernehmen der „G. C.“ nach wird Prinz Louis Napoleon demnächst nach dem Kontinent abressen.

Im Oberhause wurden drei wichtige Gesetze, die soeben von dem Unterhause angelangt sind, nämlich das Han⸗ delsschiffahrtsgesetz, das Steuer⸗ und Zollgesetz und das Gesetz über die konsolidirten Fonds, in erster Lesung angenommen.

Im Anschluß an die Mittheilungon über die vermehrte Thätigkeit auf den Portsmouther Werften meldet die „S. C.“, daß auch zu Chatham der Bau und die Aus— rüstung von Panzerschiffen und anderen Kriegsfahrzeugen bätrieben wird. Vorzüglich handelt es sich hier um die Panzer⸗ schiffe „Alexandra“ und „Temeraire“, an deren Vollendung mit allen verfügbaren Kräften gearbeitet wird. Die „Alexandra“ ist schon vor einent Jahre von Stapel gelaufen, und die Haupt— arbeit ist daher schon geschehen; von den ungepanzerten Schiffen ist der „Euryalus“ dem Stapellauf am nächsten. Mit dem Bau des Panzerschiffes „Agamemnon“ wurde eben begonnen.

Dem „Standard“ zufolge ist beschlossen worden, während der gegenwärtigen Fischereisaison an der neufundkän— dischen Küste die Zahl der daselbst mit der Wahrnehmung der Interessen kritischer Unterthanen betrauten britischen Schiffe zu verßärken, damit sie in keiner Weise der Zahl der französischen Flottenmacht in den neufundländischen Gewãässern

nachstehe.

Frankreich. Paris, 30. Mai. Das „Journal offieiel“ veröffentlicht abermals die Ernennung von 18 Maires und 36 Adjunkten. Auf Donnerstag ist in der Deputirten—⸗ kammer die Berathung des Gesetzes, betreffs der Modi— fikation der Art. 13 und 14 im Gesetz vom 12. Juli 1876, wegen Uebertragung der akademischen Würden, an— gesetzt. Zwölf Redner sind his jetzt für die Debatte eingeschrieben, sieben dagegen, darunter Cassagnac, der Bonapartist und Castel⸗ lani, der Monarchist, und vier dafür, darunter Pascal Duprüt und Dechanel. Wie es heißt, soll auch Gambetta für den Waddingtonschen Entwurf sprechen wollen.

Der Staats rath hat die katholischen Vereine, die sich der Steuerpflicht als ‚Wohlthätigkeits⸗-Vereine“ entziehen woll⸗ ten, und ebenso die gleichartigen Vereine der Vendée wieder unter das gemeine Recht zurückkehren lassen. Diesen beiden Verord— nungen gegenüber hat das Central-Comits der katholischen Vereine Frankreichs das Bedürfniß gefühlt, sich zu verständigen und seine Mitglieder für die folgende Woche einberufen. Es gilt jetzt, die Statuten den jetzigen Verhältnisfen anzupassen und außerdem, den Genossenschaftern, so gut es eben gehen mag, hinreichend modernen Sinn einzuprägen, um in der heiligen Allianz viele Handwerker zurückzuhalten, die sehr stutzig gemacht scheinen, und die erlahmte Propaganda wieder aufzufrischen,

Die Untersuchungskommission über die Wahl de Mun's hat ihre Arbeiten beendigt. Sie beantragt Vernich⸗ tung der Wahl, und hat zwei Berichterstatter ernannt, Turquet, um die Thatsache, und Guichard, um die Rechtsfrage zu be— handeln. Guichard wird in seinem Berichte vom Standpunkte des öffentlichen französischen Rechtes sich über die Frage der Einmischung des Klerus in die Politik und besonders in die Wahlkämpfe zu äußern haben.

. 31. Mai. (W. T. B.) Der italienische Gesandte, Ritter Nigra, hataheute dem Marschall Mac Mahon sein Abberufungsschreiben überreicht und tritt am nächsten Montag seine Reise über Ems nach St. Petersburg an.

Spanien. Madrid, 23. Mai. Die Verhandlungen, zu welchen die finanziellen Enthüllungen und Projekte des Finanz⸗Ministers in den Cortes Anlaß gegeben haben, bieten ein wenig erfreuliches Schauspiel. Jede Partei wirft der andern vor, die Unordnung und Vergeudung verschuldet zu haben, und alle hierüber gehaltenen Reden gipfeln in persönlichen Angriffen und Verdächtigungen. Es ist daher auch von einer parlamentarischen Kommission die Rede ge⸗ wesen, welche die finanzielle Verwaltung seit einer Reihe von Jahren untersuchen sollte, und die beleidigte Unschuld aller Par⸗ teien, die jemals am Ruder gewesen sind, schien auf dieser Maß— regel bestehen zu wollen. Eingeweihte versichern aber, daß die Kommission niemals ernannt werden, geschweige denn etwas Verdächtiges finden oder gar öffentlich aufdecken wird, was auch zur Bereicherung der Staatskasse wenig beitragen würde.

Für den Augenblick ist viel von Ersparnissen in allen Zweigen der Verwaltung die Rede, und die Budgets der ein zelnen Ministerien scheinen einige Reduktionen erfahren zu sollen, die aber wahrscheinlich weniger die höheren Beamten, als die kleinen Gehälter treffen werden. Gleichzeitig scheint man außer den bereits bekannten Steuererhöhungen an eine Erhöhung des Briefportos und des Telegraphentarlfs zu denken, eine Maß⸗ regel, die nach den in anderen Ländern maßgebenden Ansichten schwerlich geeignet wäre, den Verkehr und die Einnahme aus demselben zu heben.

Mit den Vorschlägen des Finanz⸗Ministers zur Tilgung der Schulden hat sich eine ebenso heftige als allgemeine Unzufrieden⸗ heit im ganzen Lande kundgegeben. Ueberall sind Comites zu⸗ sammengetreten, welche diefe Vorschläge der schärfsten Kritik unterziehen, und der Finanz-Minister wird in den bevorstehenden Verhandlungen mit den Coupon-Inhabern keinen leichten Stand haben. Die Regierung scheint ihn aber nicht fallen lassen zu wollen und unter diesen Umständen wird die ministerielle Ma⸗ jorität auch ihm gegenüber durch Annahme seiner Gesetzentwürfe ihre Schuldigkeit wohl thun.

Die Frage, welche hierbei das Ausland vor Allem interessirt,

Sitzung des Ausschusses des Verwaltungsrathes der St. Gotthardbahn wurden keine definitiven Beschlüsse gefaßt,

3 . z = . * * * 2 I . ob Üünd in wie weit die auswärtigen Gläubiger auf irgend eine

Befriedigung hoffen dürfen, scheint noch keineswegs ihrer Lösung nahe zu sein.

Für den Fall, daß nicht das

den verschiedenen Orten unserer Provinz waren gegen 60 Ver

ganze Eisenhbahnnetz zur Ausführung kommt, wurden vorläufig

tigen Sitzung

Italien. Rom, 31. Mai. (W. T. B.) In der heu⸗

der Deputirten kammer theilte der Mi⸗

nister der Auswärtigen Angelegenheiten Melegari auf! eine bezügliche Anfrage des Deputirten Rasponi die kur⸗ zen Informationen mit, welche ihm über die jüngsten Sreignisse in Konstantinopel zugegangen waren und fügte hinzu, daß die bis jetzt vorliegenden Nachrichten noch unvollständig seien. Er könne den Eharakter der Be⸗— wegung und die Sinflüsse, welche sie bestimmten, noch nicht koönstatiren. Indeß könne er erklären, daß die Bevölkerung das Ereigniß mit Befriedigung aufnahm und daß sich keine Gegenströmung bemerkbar machte auch keine Unruhen stattfanden. Der Minister schloß seine Erklärung mit der Versicherung. daß die italienische Regierung den Befehlshabern der in den türkischen Gewässern befindlichen Kriegsschiffe den Befehl ertheilt habe, die italienischen Unterthanen und deren Interessen gegen jede Gefahr zu schützen. Türkei. Konstantinopel, 31. Mai. (W. T. B.) Großvezir hat so eben an die Vertreter der hohen im Auslande ein Cirkular-Telegramm ge⸗ richtet, welches unter Bezugnahme auf sein Telegramm vom gestrigen Tage uͤber die Thronbesteigung Murads , „durch die Gnade Gottes und den Willen des Volkes Kaisers der Türkei“, konstatirt, daß das Greigniß all— seitig im Lande enthusiastisch aufgenommen und allseitige Sym⸗ pathie dem neuen Monarchen bezeugt worden sei. In dem Telegramm wird die unmittelbare Aufstellung eines Reform⸗ programms angekündigt. 1. Juni. Sultan Murad hat den Handels-Minister Saadullah Vey zu seinem ersten Sekretär ernannt und mehrere Verbannte Frfückgerufen. Derselbe begiebt sich nächsten Freitag

Der Pforte

= =n die Moschee Ejub und wird demnächst eine Protlamation an die Bevölkerung erlassen. Die Angehörigen der hiesigen aus⸗ wärtigen Kolonien halten morgen eine Versammlung ab, worin wegen Ueberreichung einer Adresse an den neuen Sultan Die Abfahrt der Flotte von hier ist

beschlossen werden soll. aufgeschoben.

Ueber die Entthronung des Sultans wird der „Politischen Korrespondenz! aus Konstantinopel gemeldet, daß dieselbe weder durch eine Volkserhebung hervorgerufen sei, noch sich als eine eigentliche Palastrevolution charakterisire. Vielmehr habe man es gewissermaßen mit einer Ministerrevolution zu thun. Der Sultan habe sich mit seinen Ministern im Konflikt befunden wegen des Verlangens, den erschöpften Kriegskassen Geld aus seinem Privatschatze vorzustrecken. Der Scheich ul Islam, Hairulich Effendi, habe im Verfolg dieser Konflikte in Anwesenheit sämmt— licher Minister dem Sultan angekündigt, daß das Volk mit sei⸗ ner Regierung unzufrieden und er demnach entthront sei. Unmittelbar nach dieser Erklärung des Scheich ul Islam wurden der Sultan und die Sultanin Valide gewaltsam nach dem Schlosse Topkhana gebracht, wo er sich lebend in schwerem Ge⸗ wahrsam befindet.

Ueber die Person des Sultans Murad wird der „D. A. C.“ u. A. Folgendes mitgetheilt: Der Sultan Murad ist von mittlerer Größe. In seinem Aeußeren zeigt sich eine ge⸗ wisse Lebhaftigkeit und Energie, die von dem orientalischen Cha⸗ rakter im Allgemeinen abweicht. Sein Gesicht zeigt die orientalische Abstammung. Seine Neigung gehört vorzugsweise der militä— rischen Thätigkeit an. Er hat seine Erziehung in der Militär⸗ schule erhalten, und sich sehr eingehend mit militärischen Studien beschäftigt, aber er hat keine Gelegenheit gehabt, bisher dieselben praktisch anzuwenden, da der Argwohn seines Oheims ihn nicht dazu gelangen ließ.“ Der Sultan ist der älteste Sohn Abdul Medschids und am 21. September 1840 geboren. Seit dessen beabsichtigter Thronfolgeänderung beargwöhnten sich beide, bis 1874 durch Vermittlung des Scheik⸗ül-⸗Islam und des eng⸗ lischen Gesandten Elliot eine Versöhnung zu Stande kam, wobei der Sultan unter Ablegung eines Eides auf den Koran sich verpflichtete, an keinem einzigen Rechte des Thronfolgers zu rütteln, während dieser das Versprechen ablegte, seinem Vetter Jussuf Izzedin den Rang eines Seraskiers (Generalissimus) zu geben und ihn und seine Brüder mit Apanagen auszu⸗ statten. Vor 1—2 Monaten soll Murad, Arges befürch— tend und in der Absicht, die Fahne des Aufruhrs zu er⸗ heben, entflohen sein. Nach einiger Zeit kehrte er, aus welchem Grunde ist unbekannt, zurück, und es verlautete dann vor wenigen Tagen, Sultan Abdul Aziz halte ihn im Palaste in strenger Haft. Der Sultan hat sechs Brüder und sieben Schwestern, mit dem Titel Sultane, von denen vier verheirathet sind, darunter eine mit Mahmud Pascha.

Aus der Herzegowina schreibt man der „Pol. K.“ über Ragusa, 26. Mai (slavische Quelle)h: Ueber den Kampf bei Kobilja Glava (Stutenkopf) liegen nunmehr folgende Details vor: Schon am letzten Sonntag erhielten die Insurgen⸗ ten durch ihre Kundschafter die Mittheilung, daß Moukhtar Pascha einen Vorstoß von Gacko in der Richtung gegen Bilek im Schilde führe. Er organisirte zu diesem Zwecke ein kleines Corps in der Stärke von 5500 Mann, welchen er drei Bat— terien beigab, da türkischerseits in neuerer Zeit der Ver⸗ wendung einer zahlreicheren Artillerie größeres Augenmerk zuge⸗ wendet wird. Der Abmarsch dieses aus Elite⸗Truppen gebil⸗ deten Corps, welchem nur ein paar hundert Baschi⸗Bozuks als Eelaireurs beigegeben wurden, war für Dienstag, den 23. Mai bestimmt. Die Insurgenten zogen in Folge dessen schon Tags zuvor nach Kobilsa Glava, wo sie sich rasch in festen Stellungen einrichteten. In den Vormittagsstunden des Diens⸗ tages wurden die Insurgenten der Avantgarde der Türken an⸗ sichtig, welche sie ruhig vor ihren gedeckten Positionen passiren ließen. Erst als das türkische Gros im Anmarsche war, war⸗ fen sich die Insurgenten mit Ungestüm auf dasselbe. Die Türken hielten sich bis gegen 5 Uhr Nachmittags ganz wacker und vermochten ihre Reihen erst nach dieser Zeit erschüttert zu werden. Erst spät Abends traten sie den Rückzug an, der, an⸗ fänglich ziemlich geregelt, später in eine Panik ausartete. Der Wojwode Simonik ließ die Türken bis Cernicza verfolgen. Der Verlust war auf beiden Seiten ein sehr großer. Die Türken sollen an Todten und Verwundeten über 500 Mann, die Aufstän⸗ dischen aber erst, nachdem sie aus ihren gedeckten Stellungen hervor⸗ brachen und zur blanken Waffe griffen, über 100 Mann einge— büßt haben. Moukhtar Pascha wird demnächst den Versuch, nach Bilek zu gelangen, mit einem größeren Corps erneuern. Dieser Operation liegt der Zweck zu Grunde, die Flanken seiner Armee sicherzustellen, mit welcher er demnächst eine abermalige Expedition nach Niksie vor hat. Die Insurgenten verlangen be⸗ trächtliche Verstärkungen von allen Seiten. Ihre augenblickliche Gesammtstärke wird setzt auf 7000 Mann geschätzt.

Die Besika⸗Bai, welche zum Sammelpunkt des briti⸗ schen Geschwaders bestimmt ist, liegt an der kleinasiatischen Küste hinter der Insel Tenedos und unweit des ersten Darda⸗

und trägt ihren Namen von Besik-Tepe (Wiesenhügel), einem Hügel auf dem aus den Kämpfen um das alte Troja bekannten Sigeischen Vorgebirge, von welchem die Besika-Bai mit ein— geschlossen wird. Die Bai war Station der hritisch⸗französischen Flotte in den Jahren 1839 und 1840, sowie im Jahre 1853.

Rumänien. Der Tagesbefehl, welchen der Fürst Karl an dem zehnten Jahrestag seiner Thronbesteigung an die Armee erließ, lautet nach dem Amtsblatte folgendermaßen: „Soldaten! Seit dem Tage, an welchem Rumänien mir sein Geschick anvertraute, ist es mein lebhaftester Wunsch gewesen, die Armee zu organisiren, deren Traditionen zu dem größ⸗ ten Ruhm unserer Vergangenheit gehören. Durch die Armee hat Rumänien große geschichtliche Perioden über⸗ dauert, in welchen andere einsft mächtige Nationen untergingen. Unsere alten militärischen Einrichtungen sind heute wieder hergestellt, und ihre feste Organisation wird die Zukunft unseres theuren Vaterlandes sichern. Es sind zehn Jahre, seit ich mit lebhafter Genugthuung die wachsenden Fortschritte ver⸗ folge, welche mit eurer Hülfe gemacht wurden; beharret auf diesem Wege, denn nur so werdet ihr den Erwartungen des Landes ent⸗ sprechen, welches große Opfer gebracht hat, um in seiner Armee eine Bürgschaft seiner Nationalität und seiner Rechte zu besitzen. Soldaten! Vergesset niemals die Worte, welche auf euren Fahnen geschrieben stehen. Eure Disziplin ist die beste Bürgschaft, daß ihr die würdigen Söhne jener Helden sein werdet, denen wir ein Vaterland verdanken. Was mich betrifft, so werdet ihr mich stets da finden, wo das Interesse des Landes es erheischt. Ge⸗ geben zu Bukarest, 109. Mai (a. Stls.) 1876. Gez. Carol.“

HRußlarld und Polen. St. PetersUburg, 31. Mai.

Dem „W. T. B.“ wird gemeldet: „Wegen der von den drei Kaisermächten formulirten, von Frankreich und Italien unter⸗ stützten, der Türkei zu übergebenden Vorschläge zur Herbei⸗ führung eines Friedens mit ihren südslavischen Unterthanen wird in Folge der Konstantinopeler Katastrophe noch ein Gedanken⸗ austausch zwischen den bezüglichen Höfen stattzufinden haben. Die Katastrophe bekundet die seit langem eingerissene Unsicher⸗ heit in allen politischen Verhältnissen der Pforte, insonders die⸗ jenige persönlicher ungarantirter Reformzusicherungen.“ (W. T. B.) Das „Journal de St. Petersbourg“ bespricht in seiner heutigen Nummer den Thronwechsel in Konstan⸗ tinopel und hebt hierbei die Schwierigkeiten hervor, welche sich dem neuen Sultan Murad entgegenstellten und die durch die Art seiner Thronbesteigung nicht vermindert würden. Eins sei aber gewiß, daß die Fürsorge Europas ein Weitergreifen der Krisis im Orient zu verhüten unver— mindert bleibe. Das Einvernehmen der Mächte bleibe nach wie vor unerschütterlich in dem Wunsche, von der türkischen Regie⸗ rung, gleichviel welche es sei, die Ausführung der unentbehr— lichen Re formen zu erlangen. Der Artikel giebt schließlich der Hoffnung Ausdruck, daß der neue Souverän den Wünschen der Mächte entgegenkommen möge; hierdurch werde er seine Aufgabe erleichtern und zugleich den Mächten gegenüber den Beweis führen, daß er nicht das Werkzeug eines religiösen oder natio— nalen Fanatismus werden wolle.

Amerika. Ne w-Jorker Zeitungen melden, daß in Folge der von den Siouxz⸗Indianern verübten Metzeleien eine 2000 Mann starke, größtentheils aus Kapallerie bestehende Ex⸗ pediion mit einigen Gatling-⸗Kanonen und befehligt von den Generalen Terry und Chester ausgezogen ist.

Aus Panama wird dem Reuterschen Bureau unterm J. Mai berichtet: „Hiesigen Zeitungen zufolge ist es den Truppen von Guatemala gelungen, Salvador zu invadiren; das Gesuch des Präsidenten dieser Republik um einen Waffen⸗ stillstand wurde mit dem Verlangen um sofortige Kapitu⸗ lation beantwortet. General Miranda, der Oberbefehlshaber der Armee von Guatemala, erließ am 23. April in La Union ein Dekret, in welchem er sich zum provisorischen Präsidenten von Salvador proklamirte. Ein Theil der Legislatur acceptirte, die Autorität von Valle und Hoygzales ignorirend, seine Herrschaft.

In Peru war eine Meuterei unter den daselbst ein⸗ gewanderten Chinesen ausgebrochen, aber unterdrückt worden.

Brasilien. Rio de Janeiro, 19. April. Die bra silianische Presse entwickelt neuerdings wieder eine große Rüh⸗ rigkeit in Besprechung des Kolonisations- und Einwan— derungswesens. Man wird nicht müde in stets erneuter Aufzählung der „außerordentlichen Vortheile“, welche angeblich den Einwanderern geboten werden.

Welche Bewandniß es mit diesen „Vortheilen“ hat, sollte nachgerade in Europa bekannt sein. Nur über einen Punkt, welcher in den letzten Tagen wieder mit besonderem Nachdruck in hiesigen Blättern hervorgehoben worden ist, kann nicht oft genug Aufklärung gegeben werden, da er in denjenigen Bevölkerungskreisen Europas, auf welche die Werber ihr Hauptaugenmerk gerichtet haben, aus nahe liegenden Gründen als wirksamstes Verlockungsmittel angewendet zu werden pflegt. Es ist dies die angebliche Billigkeit des den Auswanderungslustigen verheißenen Erwerbes von ländlichem Grundbesitz. k

Allerdings verordnet das Landgesetz von 1850, daß die Staats⸗ ländereien, welche vorher gehörig vermessen und abgegrenzt sein sollen, entweder meistbietend zum Preise von s bis 2 Reis per Quadratbraße (8. i. 4 84 Quadratmeter) oder aus freier Hand

u einem dem Uebereinkommen überlassenen Preise zu verkau⸗ fen sind. .

Nach einem Reglement von 1867 welches in den An⸗ preisungen freilich häufig außer Betracht gelassen zu werden pflegt ist der Preis der Quadratbraße auf den Staatslände⸗ reien zu? bis 8 Reis, also zum 4fachen der Preise des Ge⸗— setzes von 1859 festgesetzt. Die Werbe - Agenten bieten in Europa den Auswandern Landloose zu. 2 bis 8 Reis per Braße an. In Wirklichkeit aber müssen die Ankömmlinge den Kolonie⸗Direktionen mindestens das Vierfache jenes Preises selbst für die abgelegenste Urwaldparzelle zahlen. Der Grund ist ein einfacher. Die Landloose werden wohl zum Minimalpreise ab⸗ gegeben, aber an brasilianische Spekulanten, welche die im Cen⸗ trum belegenen guten Grundstücke an sich bringen und nach An⸗ bau der Außenlaͤndereien zu hohem Preise verwerthen.

Dieser Mißbrauch ist in der Sitzung der Deputirtenkammer vom 4. August v. J. von dem Abg. Flores aus Porto Alegre folgendermaßen gekennzeichnet worden:

„Es besteht die schlechte Sitte, an Privatleute zum Wieder⸗ verkauf diejenigen Ländereien abzulassen, welche in der Nähe der Straßen und Kommunikationen liegen. Dies gereicht zum Schaden der Kolonisation. Denn jene Privatleute kulti⸗ viren die Grundstücke weder, noch verkaufen sie solche sofort an leistungsfähige Kolonisten. Sie warten vielmehr

nellenschlosses. Sie bietet einen guten und geschützten Ankerplatz

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auf den besten Preis. können die Kolonisten

nur unter den von mir geschilderten ungünstigen Bedingungen, das heißt entfernt von jedem Verkehr, sich etabliren.“

Das offizielle Blatt vom heutigen Tage veröffentlicht ein Regierungsdekret, welches die bisher bestehende offizielle Koloni sations agentur umgestaltet, indem es ihr vermehrte Funktionen, namentlich u. A. auch die Registrirung und Vermessung aller Ländereien überweist. Letzteres war bisher einer besonde⸗ ren Verwaltung (Reparticao das terras publicas) über— lassen, welche eine Abtheilung des Ackerbau-Ministeriums bildete, deren Erfolge aber, trotz bedeutender dafür verwendeter Summen sehr gering gewesen sind. Sie hat es im Laufe langer Jahre nicht vermocht, die unbeschreibliche Verwirrung in den agra⸗ rischen Verhältnissen zu lösen. Ein allgemeines Kataster ist nicht vorhanden und Vermessungen genauer Art sind selten vorge— nommen worden, dazu fehlte es an dem geeigneten Personal. Die offizielle Kolonisationsagentur ist, wie bekannt,

falls nicht im Stände gewesen, ihre Aufgabe, die Kolonisations⸗ frage zu lösen. Ihr früherer langjähriger Chef Ignacio da Cunha Galvao hatte es in seinen freimüthigen Jahresberichten sich angelegen sein lassen, die Schäden des jetzigen Kolonisations⸗ systems und die geeigneten Abhülfemittel dazulegen; aber seine Rathschläge blieben unbefolgt. Augenblicklich steht die Agentur noch unter der provisorischen Leitung des Rathes Nascentis de Azambuja, bekannt durch seine Inspektionsreise nach den Kolonien Muniz und Theodoro, wo er den inzwischen durch unwider— legliche Thatsachen erwiesenen Beschwerden der Kolonisten entgegen, alles in ‚schönster Ordnung“ fand.

Ob nun die unter dem Namen „General⸗Inspektorat binirte, (aus Sem Gentzral-⸗Inspektor, dessen Adjutanten, Sektions-⸗Chefs, vier ersten Beamten und dem nöthigen Unter—⸗ beamtenpersonal bestehende) neue Behörde besser im Stande sein wird, die ihr gestellte Hauptaufgabe zu lösen, nämlich den Strom der Auswanderung nach Brasilien zu leiten, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist es nicht, denn über eine System veränderung enthält das Dekret nichts.

Als spezielle Aufgabe der 2. Sektion des General-Inspek— torats ist die Anwerbung von Einwanderern für Rechnung von Privatleuten bezeichnet. Hiernach mu an dem Grundsatz fest⸗ gehalten werden, daß die brasilianische Regierung ungeachtet aller das Gegentheil besagenden Reverse, welche man den Aus— wanderern im Einschiffungshafen abverlangt für das, wenn auch an Private in Entreprise gegebene Schicksal der Ange⸗ worbenen verantwortlich bleibt.

Das Blatt „O'Globo“ hat in seinen Leitartikeln vom 17. und 18. d. M. dem jetzigen Kolonisationssystem mal wieder in sehr ernster Weise den Text gelesen. Wohl niemals haben die Beurtheilungen aus fremder Feder, über welche man sich hier gelegentlich so tief entrüstet zeigte, härter gelautet als jene beiden augenscheinlich aus brasilianischer Quelle hęrrührenden Artikel des „Globo“. Und wenn die darin enthaltenen Schilde⸗ rungen auch nur halb den Thatsachen ent:sprächen, so würden sie immerhin genügen um darzuthun, welchen Glauben die Glückseligkeits-Prospekte der Werber und Agenten verdienen.

Der erste Artikel beschäftigt sich namentlich mit den Mängeln der Verwaltung und der Rechtspflege, u. A. auch in Beziehung auf die Einwanderung. Ich theile Ihnen zwar den Artikel mit, aber ich bin überzeugt, daß man in Deutschland aus Rücksichten internationaler Konvenienz lieber? auf den Nutzen verzichten wird, den ein Bekanntwerden der⸗ artiger Schilderungen in den von den brasilianischen Auswande— rungsagenten umworbenen Bevölkerungstreisen stiften könnte, ehe man dergleichen dort abdruckt.

Der zweite Artikel beschäftigt sich mit dem Stand und dem voraussichtlichen weiteren Verlaufe der hiesigen Einwanderung im Allgemeinen und lautet wie folgt:

„In pompöser Weise wird verkündet, daß im laufender Jahre zahlreiche deutsche Einwanderung erwartet wird. Möglich, daß sich jene Hoffnung verwirklicht; es scheint uns aber nicht sehr wahrscheinlich, denn diese Einwanderung hat bekanntlich in den letzten Jahren ungewöhnlich abgenommen.“

„Im Hafen von Hamburg (von wo der größ für Braͤsilien bestimmten Einwanderer abgeht“), 1873, für unser Land bestimmt, 4284 Einwandere rend 1875 die Zahl jener, welche denselben Hafen Bestimmung verließen, kaum die unbedeutende Höhe vor erreichte.

„Worauf begründen sich Jene, welche an eine baldige Wieder⸗ belebung jener sterbenden Einwanderung glauben? Wir wissen es in der That nicht! Die Feindschaft dauert gegen uns in Deutschland unerbittlich fort, und die Verhältnisse deutscher Ein⸗ wanderer im hiesigen Lande bessern sich nicht.

Noch vor Kurzem kamen 50 dieser Kolonisten unter von der Regierung bezahlter Passage in dieser Hauptstadt an, welche den Ort ihrer Nieherlassung in der Provinz Bahia verlassen hatten.“

„Selbst in der Provinz Rio Grande do Sul, wo eine deutsche Bevölkerung von 60,000 Seelen sich be⸗ findet, wo die Provinzialregierung große Summen den Koloniedienst ausgiebt, wo ein Kontrakt zur Ein⸗ fuhr von 40000 geschlossen worden, selbst in dieser Provinz, wiederholen wir, geschieht die Einführung neuer Ginwanderer nur unter den größten Schwierigkeiten. Und dem ist in der That so, denn von 1859 bis zum Ende vorigen Jahres (16 Jahre) kamen in der genannten Provinz kaum 8412 deutsche Einwanderer an, jene mit eingeschlossen, welche von anderen Theilen Brastliens dorthin gingen, was einen Durchschnitt von etwas mehr denn 500 im Jahre ergicht. „Wenn die Prooinz Ri Grande mit einer Bevölkerung von 60 000 Seelen, einer Nationalität angehörig, die jährlich 50,000 bis 200,000 Jus wanderer von ihren Ufern absendet, nur 500 von solcher Zahl zu erhalten erreicht, obgleich sie zu solchem Zwecke große Summen aussetzt, ist denn dieses Faktum nicht an und für sich schon genügend, zu beweisen, daß die im Lande befindlichen Deutschen nicht gut situirt sind, und daß ohne gerechte Ursache die Nachricht verbrei= tet wird, es stehe in diesem Jahre die Ankanft einer großen Anzahl von Einwanderern dieser Nationalität bevor?“

„Die österreichische Einwanderung, welche kaum begonnen, droht in der Geburt zu ersterben. . werden an anderem Platze davon sprechen, was sich mit österreichischen Einwanderern in der Kolonie Rio Novo zugetragen hat. Die bezüglichen Thatsachen gehören dem Trimester an, um das es sich handelt, und sie zu berichten, ist nicht nöthig, diese Abschweifung zu verlängern. Wir begnügen uns, hier zu sagen, daß jene Vor⸗

Wir Wir

Anm d. Einsend.: Dies ist in dieser Allgemeinheit jetzt nicht mehr ganz zutreffend; allerdings wird die größte Mehrzahl wohl durch Hamburger Unternehmer und Agenten engagirt und mag auch wohl über Hamburg ihren Weg nehmen; aber in die eigentliche Ver⸗ schiffung nach Brastlien theilen sich Hamburg und Antwerpen, in

Folg⸗ namentlich der Thätigkeit der an beiden Orten domizilirten

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