1876 / 131 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 06 Jun 1876 18:00:01 GMT) scan diff

Spanien. Madrid, 6. Juni. (W. T. B.) Der Senat hat die neue Verfassung und das Kriegsbudget be— rathen. Minister-⸗Präsident Canovas del Castillo erklärte dabei, daß die Regierung bei der dermaligen Stellung der verschiedenen politischen Parteien in Spanien der in der Verfassung vorgesehe⸗ nen Bestimmung über Suspendirung der verfassungsmaͤßigen Garantien nicht entrathen könne. Was das Kriegsbudget anbe⸗ lange, so hätten die Kommission und der Kriegs-Minister sich über eine Herabminderung der ursprünglichen Forderung um 31 Millionen geeinigt, die beiderseits für entsprechend erachtet worden fei. Aus der Genehmigung dieses Abkommens müsse er eine Kabinetsfrage machen. Die Verhandlungen zwischen der spanischen Regierung und der päp ftlich en Kurie lassen nach den aus Rom vorliegenden Nachrichten einen be—⸗ friedigenden Abschluß erwarten.

Italien. Rom, 3. Juni. (W. T. B.) Wie von gut unterrichteter Seite gemeldet wird, haben die Verhandlungen zwischen der itakienischen Regierung und dem Bank⸗ hause Rothschild zu einem definitiven Resultate geführt. Dasselbe ergiebt für die Regierung einen Vortheil von etwa 26 Millionen Fres. Das Haus Rothschild wird provisorisch die Exploitation der Bahn übernehmen. Die Deputirtenkammer wird noch vor Schluß der Session über diese Vereinbarungen Beschluß fassen.

Der Ausschuß, welcher die Feier des Jubiläums der Schlacht von Legnlano zu leiten hatte, hat dem Präsi⸗ denten des Deutschen Reichstages ein Telegramm geschickt, worin die Festtheilnehmer dem deutschen Volke ihre Liebe und Dank⸗ barkeit durch einen brüderlichen Gruß aussprechen.

Türkei. Konstantinopel, 4. Juni. Der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten hat laut Meldung des, W. T. B.“ an die Vertreter der türkischen Regierung im Auslande folgen⸗ des Telegramm gerichtet: Ein trauriges Ereigniß hat soeben unseren erhabenen Herrscher und seine Regierung schmerzlich be⸗ troffen. Abdul Aziz Khan, bei welchem schon seit einiger Zeit unzweifelhafte Anzeichen von Geistesstörung bemerkbar waren, hat sich heute Morgen in seinen Gemächern des Palais von Tcheragan eingeschlossen und sich den Tod gegeben, indem er die Adern an den Armen mit einer Scheere öffnete, die er bei sich verborgen hatte. Die Kaiserliche Regierung hat sich beeilt, alle gesetzlich erforderlichen Feststellungen vorzunehmen. Ein detaillirter ärztlicher Bericht ist aufgenommen worden und wird Ihnen unverzüglich zugestellt werden. Alle Minister und hohen militärischen und eivilen Würdenträger werden dem Leichen⸗ begängniß Sr. Majestät beiwohnen. Dasselbe wird mit allen Feierlichkeiten und allen Ehrenbezeugungen vor sich gehen, welche dem Verstorbenen zukommen. Die Leiche wird in dem Mauso⸗ leum des Sultans Mahmud beigesetzt werden.

5. Juni. (W. T. B.) Die Pforte hat die Thron⸗ besteigung des Sultan Murad den hiesigen Botschaftern offiziell notifizirt und die Anerkennung desselben erbeten. Der Marine⸗Minister Ahmed Kaisserli Pascha ist zur Würde eines Kapudanpascha erhoben worden. Mehrere Generale sind nach Salonichi gereist zur Theilnahme an dem Kriegs⸗ gericht, welches daselbst behufs Aburtheilung des dortigen Gouverneurs wegen dessen Betheiligung bei der Ermordung der Konsuln niedergesetzt worden ist. Der angekündigte ärzt⸗ liche Bericht über das Ableben des Sultans Abdul Aziz ist von 18 Aerzten unterzeichnet und konstatirt, daß der Tod als Resultat des Selbstmordes in Folge einer Verblutung eingetreten ist, die durch die Verletzung der Gefäße an den Armgelenken mitte st einer Scheere herbeigeführt war.

(W. T. B. Midhat Pascha ist zum Prä⸗ sidenten des Staatsrathes ernannt worden. Die hiesigen Journale konstatiren, daß Ab dul⸗A ziz seit seiner Thronentsetzung, namentlich aber am Abend des 3. c. durch Ausbrüche heftigsten Wahnsinns heimgesucht gewesen sei.

Ueber die Vorgänge, welche den Thronwechsel be⸗ gleiteten, entnehmen wir der „D. A. C.“ Folgendes: Die ohne Blutvergießen vollzogene Umwälzung ist das Werk der Ulemas und Softas, die, auf den fanatischen Pöbel gestützt, durch Männer der Alttürkenpartei und Jungtürken geleitet, seit etwa drei Wochen Herren von Konstantinopel sind. Seit der Sultan, durch Drängen der Softas gezwungen worden, seinen Großvezier Mahmud Pascha zu entlassen und den greisen Alttürken Ru sch di⸗Pascha an seine Stelle zu setzen und Midhat Pascha gleich⸗ falls ins Ministerium zu rufen, war sein Schicksal entschieden. Die beiden Würdenträger, der Alttürkenpartei angehörend, aus den Reihen der Softas hervorgegangen, brachten die gegen den Sultan angezettelte Bewegung zur Krisis. Nachdem sie sich durch reiche Geldspenden und durch den Sultan aus seinem Privatschatz abgezwungene Zahlung des rückständigen Soldes die Garnison Konstantinopels gesichert, traten sie kühner auf. Zuerst forderten sie vom Sultan die Zahlung von 5. Mill. türkischer Pfund aus seinem Privatschatz, Reduktion der Civilliste auf ein Viertel des bisherigen Betrages, Einführung einer Art Konstitution und vor Allem, daß sich der Sultan in Zukunft allen willkürlichen Eingreifens in den Staatsschatz enthalte. Allen diesen Forderungen setzte Abdul⸗Aziz einen hartnäckigen Widerstand entgegen. Als die Minister sahen,

daß von dem Sultan ganz und gar keine Konzessionen zu er⸗

warten waren, traten sie am 29. Mai Abends, dem Jahres⸗ tage, an welchem die Türken 1453 in Konstantinopel einzogen, zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher die Absetzung des Sultans beschlossen wurde. Nachdem in der Nacht die Kapitäne der am Goldenen Horn liegenden türkischen Schiffe gewechselt und die Residenz des Sultans, der Palast Dolma⸗ Baksche, mit Land⸗ und Seetruppen umzingelt worden war, ward der inzwischen aus seinem Gefängniß, einem Keller seiner Wohnung, hervorgeholte Murad Effendi auf dem Seraskeriate in Gegenwart aller Minister, des Scheik⸗Ul⸗Islam und der Mollahs zum Sultan ausgerufen. Hierauf ward Suleiman Pascha, umgeben von Offizieren und Soldaten der verschiedenen Regimenter der Garnison zu Abdul⸗Aziz gesandt, um ihm seine Absetzung mitzutheilen und ihn aufzufordern, den Palast seinem Nachfolger abzutreten. Da ihm die Haltung der Soldaten deutlich zeigte, daß er auf ihre Ergebenheit nicht zählen könne, fügte er sich ohne weiteres Sträuben, und wurde mit seiner Mutter und einem Theil seiner Frauen in Boote gesetzt und unter Eskorte nach dem lange verlassenen Palaste Topkhana im alten Serail gebracht, wohin sich auch bald darauf sein ältester Sohn Jusuf⸗Izedin begab. Hierauf zog Murad V. im Dolma⸗ Baksche Palast ein, begab sich nach der nahe gelegenen Moschee, ward dort mit dem Schwerte Osmans umgürtet, und empfing die Huldigung der höchsten Würdenträger des Staats.

Meldungen, welche der „Agence Havas“ zugehen, ver⸗ sichern ebenfalls, daß die serbische Regierung den Sultan Murad anerkannt habe. Weiter wird derselben aus Serbien gemeldet, daß die in letzter Zeit im Lande betriebenen militäri⸗ schen Vorbereitungen zwar noch nicht eingestellt seien, daß aber, allen Versicherungen nach, Serbien nicht zum Angriff gegen die Türkei schreiten werde.

Der „Politischen Korrespondenz“ wird dagegen aus Bel⸗ grad von amtlicher Seite gemeldet, daß etwa 500 Türken in der

Nacht vom 30. zum 31. Mai auf serbischem Gebiete die Karaula (Wachthaus) bei Stupska Tschesma am Javor⸗ Gebirge in dem Distrikte Uziea an der Grenze des Paschaliks von Novi⸗Bazar angegriffen haben. Der Kampf währte bis zum Morgen. Auf dem Rückzuge nahmen die Türken, welche, wie vermuthet wird, reguläre Truppen waren, einige Hundert Stück Hornvieh mit sich fort.

Nach einer türkischen Quellen entstammenden Meldung des „Telegraphen⸗Korrespondenz⸗Bureaus“ aus Mostar vom 4. d. M. haben drei Insurgentenhaufen in einer Gesammt⸗ stärke von 3000 Mann am Abend des 3. c. einen Angriff gegen Bileki gemacht, sind aber von der aus zwei türkischen Compagnien bestehenden Garnison und der Einwohnerschaft zurückgeschlagen worden.

Rumänien. Bukarest, 3. Juni. (W. T. B.) Der frühere Minister der Auswärtigen Angelegenheiten, Balaceanu, ist zum diplomatischen Agenten in Wien ernannt worden und ist bereits dahin abgereist.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 5. Juni. (W. T. B.) In wohlunterrichteten Kreisen wird als sicher an⸗ genommen, daß diesseits gegenüber der Türkei keinerlei isolirte Schritte geschehen werden, und daß vor Allem erst eine Verständigung mit den befreundeten Mächten stattfinden wird.

Amerika. (A. A. C.) In Lincoln, Nebraska, ist die Nachricht eingegangen, daß die Indianer 49 Personen, die auf der Reise nach den Schwarzen Hügeln begriffen waren, niedergemetzelt haben.

Uruguay. Pritchard, der Konsul der Republik Uruguay in London, hat aus Montezideo das folgende vom 31. Mai datirte Telegramm erhalten: „Die konsolidirte innere Schuld wurde heute mit deren Inhabern befriedigend arrangirt. Der Finanz⸗ Minister.“

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Die Königlich schwedische Gesellschaft der Wissen⸗ schaften in Upsala wählte in ihrer letzten Sitzung u A. Hrn. Professor K Weierstraß hierselbst zu ihrem auswärtigen Mitgliede. Die 400jährige Jubelfeier der Stiftung der Universität Upsala wird im nächsten Jahre im September begangen werden.

Die französische Roman ⸗Schriftstellerin Georges Sand (geb. 10. Juli 1798) ist schwer erkrankt.

Setwerbe und Sandel.

Cöln, 3. Juni. (W. T B.) Die heutige Generalversamm⸗ lung der Aktionäre des Schaaffhausenschen Bankvereins nahm einen sehr erregten Verlauf. Die Anträge der Opposttion wurden abgelehnt. ;

In der in St. Petersburg abgehaltenen ordentlichen General⸗ versammlung de. Großen Russischen Eisenbahngesellschaft wurde der Rechnungsabschluß pro 1875 vorgelegt und auf Grund desselben beschlossen, von den Einnahmen der Warschauer und Nishni⸗ Nowgoroder Bahn 48 Kop und von denjenigen der Nikolgibahn 67 Kop,, im Ganzen 1 Rbl. 15 Kop. pro Aktie unter Zurücklegung von 16988 Rbl. von den Einnshmen der Warschauer und Nishni— Vowzoroder Bahn zum Reservekapital als Dividende zu bezahlen. In den Conseil wählte die Versammlung die Herren Ed. Baring und W. Borski.

Verkehrs⸗Anstalten. NewYork, 5. Juni. (W. T. B.) Der Dampfer „Spain“ von der National⸗Damnfschiffs⸗ Compagnie (C. Mes⸗

singsche Linie) und der Dampfer „Reckar“ vom Norddeutschen Lloyd sind hier eingetroffen.

Berlin, den 6. Juni 1876.

Im Herbste dieses Jahres sind 25 Jahre verflossen, seitdem die Königliche Central-Turnanstalt in der Scharnhorststraße er⸗ öffnet ist. In der Civilabtheilung sind in den 25 Lebrkursen an 800 Eleven zu Turnlehrern ausgebildet worden. Es ist nunmehr be⸗ schlossen worden, dieses Jubiläum festlich zu begehen und für die Feier den 2. und 3. Oktober zu bestimmen. Eine Versammlung hie⸗ siger ehemaliger Civileleven der Central-Turnanstalt wählte bereits das Festeomité, welches u. A. aus den HH. Dr Angerstein, Professor Euler, Kluge besteht. Am ersten Festtage soll eine entsprechende Feierlichkeit in den Räumen der Central ⸗Turnanstalt stattfinden, wel⸗ cher am Nachmittag die Vorführung von Turnübungen folgen wird. Der zweite Tag wird durch einen Ausflug und durch ein Festessen ausgefüllt werden Hr. Professor Dr. Euler, erster Civillehrer der Anstalt, wird eine Festichrift veröffentlichen, zu welcher das statistische Material schon gesammelt wird.

In Dessau wurde am 4. d. M.,, Nachmittars 1 Uhr, in dem Konzertsaal des Herzoglichen Hoftheaters der 5. Delegirten tag des „Deutschen Kriegerbundes“ eröffnet. Der Bund, welcher gegenwärtig eirea 600 Kriegervereine zu seiner Körperschaft mit ungefähr 60,000 Mitgliedern zählt., war durch 70 Delegirte von 487 Vereinen vertreten. In dem festlich dekorirten Saal waren außer einer großen Zahl von Mitgliedern auch mehrere hö— here Stabtoffiziere der Dessauer Garnison erschienen. Nach- dem der Ehrenpräsident des Bundes, General Lieutenant Steckmarr, die Sitzung durch einige warme Worte eroͤffnet, schloß derselbe mit der Hinweisung auf die alten und bewährten Prin zipien, die den Bund in seiner bisherigen Thätigkeit geleitet: Mit Gott für Kaiser und Reich, treu dem alten deutschen Spruch: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in denen er in tiefster Ehrfurcht, unwandelbarer Treue und innigster Liebe zu Thron und Vaterland stehe mit einem Hoch! auf Se. Majestaͤt Kaiser Wilhelm, den Schirm Deutschlands im Frieden wie im Krieg. Begeistert stimmte die Versammlung in diesen Ruf drei Mal ein und beschleß sofort in einem Telegramm Sr. Majeftät von der Konstituirung der Versammlung Kenntniß zu geben und demsel en ihre unwandelbare Treue auszudrücken. Demnaͤchst wurde die Kon— stituiung des Bureaus vorgenommen und zum Präsidenten Hr. Blank (Zietenhusaren in Berlin) erwählt. Sodann erstattete Kam. Brößke (Spandau) Bericht über die Ge— schäßfisthätigkeit des Bundes während des verflossenen Jahres, welcher ergab, daß der Bund im xveiflossenen Jahre auf 70 Vereine mit 633389 Mitgliedern angewachsen ist und stets in ruhiger und sicherer Entwickelung fortschreitet. Außerdem haben sich die beiden großen Verbände: der Megclenburger Kriegerverband und der Schwäbische Gauverband demselben angeschlossen. Die Einnahmen beliefen sich auf 24,025 M 75 8, die Ausgaben auf 12,843 M0 8 3. Vom Ueberschuß sind 8100 * zinstragend angelegt. Bei der folgenden Berathung über die revidirten Satzungen des Bundes veranlaßten mehrere Bestimmungen, wie die, auch solche Per sonen, welche nicht Soldat gewesen, als Mitglieder aufzu—⸗ nehmen, eine längere Diskussion, sie wurde indeß angenommen. Um 5 Uhr wurden die Verhandlungen vertagt. Zuvor gelangte noch die Antwort auf das Telegramm an Se. Majestät zur Veilesung: Neues Palais,. 4. Juni 1876, 3 Uhr 30 Min. Nachmittags: Se. Majestät der Kaiser und König sagen Euer Excellenz und den ver jammelten Delegirten den keel irh Dank für den durch Euer Excellenz übersandten Gruß. Auf Befehl: v. Lin- dequist. Flügel ⸗Adjutant vom Dienst. Ferner beschloß die Versammlung, dem regierenden Herzog von Anhalt unter dem Ausdruck ihrer Theilnahme an dem die Herzogliche Fa— milie betroffenen Unglück (Erkrankung von fünf Herzoglichen Kindern)

in einem Schreiben ihren Dank auszusprechen für die dem Bunde gewährte Aufnahme in seinem Lande.

Am Abend vereinte ein frohes Festmahl die Festtheilnehmer und Kameraden, die sich aus dem Orte und den angrenzenden Städten ein—⸗ gefunden hatten.

Der ständige Ausschuß des deutschen Journalistentages trat am 4. d. Mts. Vormittags in Cassel zusammen, um Zeit, Ort und Tagesordnung der diesjährigen Generalversammlung des deutschen Journalistentages festzustellen. Es wurde beschlossen, die Versammlung in Wiesbaden (auf Einladung des dortigen Ge— meinderaths) am 19, 20. und 21. Auzust abzuhalten. Die Tages ordnung ist wie folgt festgestellt: Erster Tag (20. August): I) Be⸗ richterstattung des Vororts Bremen über Geschäftsführung, Rech⸗ nungslage und über einen Antrag auf Statutenänderung (Auf⸗ nahme von Journalistenveremnen als Mitglieder des Journalisten— tages; 2) Bericht des General-⸗Sekretärs über seine Thä⸗ tigkeit als Leiter des Archivs und dez Stellenvermitte— lungs⸗Bureaus; 3) Pensionskasse für Journalisten; der Zeitungepresse . Auguft):

In Erfurt tegte am 2. Pfingsttage die allgemeine

deutsche Lehrerversammlung, oder, wie es in dem diesmaligen Programme heißt, der Erste allgemeine deutsche Lehrertag unter Theilnahme von etwa 450 Schulmännern. Zum Vorsitzenden wurde Schulrath Heffmann aus Hamburg gewählt und auf die Tages ordnung der auf den 6. d. Mte. anberaumten ersten Hauptversamm⸗ lung als erster Gegenstand die Reorganisationsfrage, als zweiter die Schuldisziplinargewalt gesetzt. Die große deutsche Kunst-⸗ und Kunstgewerbe⸗Aus—⸗ stellung im Glaspalast zu München wird am Mittwoch, den 14. Juni in feierlicher Weise eröffnet werden. In derselben sind zum ersten Mal in künstlerisch geordaeier Verbindung Werke der Kunst und Kunstindustrie neuer deutscher Mister aufgestellt. Sie bringt ferner eine Vereinigung der größten Schätze des Alterthums dentschen Ur sprungs aus Staats, öffentlichen und Privatsammlungen von Deutsch⸗ land, Oesterreich, England und der Schweiz. Ausgestellt sind sodann: Entwürfe, Pläne und Werke der Mitglieder des allgemeinen deutschen Architektur und Ingenieurvereins, und gelangen die Unterrichtssysteme für das Kunsthandwerk durch die Leistungen der deutschen Kunstschulen zur Darstellung. Bezüglich der Eintrittzpreise warden folgende Be— stimmungen getroffen: Montag, Mittwoch, Freitag und Sonntag 1 6, Dienstag. Donnerstag und Sonnabend 2 6. Saisonkarten für die ganze Dauer der Ausstellung 290 , für die Dauer von 14 Tagen 10 M. Die Vorstände der Unterrichtsanstalten in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz vermitteln für ihre Schulen Saisonkarten um den halben Preis. Gleiche Rechte genießen Studirende der Uni versitäten, Akademien und polytechnischen Schulen auf Vorweis ihrer Legitimation. Die Saisonkarten jeder Kategorie, sowie jene der Aus—= steller, berechtigen zum Besuche für jeden Tag. Auf der Rückseite der Saisonkarten werden die photographischen Porträͤte der Eigenthümer derselben angebracht werden.

Dresden, 4. Juni. Gestern ist in dem östlich vom böhmi—⸗ schen Bahnhofe gelegenen, mit sächsischen, deutschen und Flaggen an—

derer Staaten dekorirten Augstellungsgebäude die internationale Hunde ⸗‚Ausstellung erössnet worden. Ungefähr 50) Hunde sind zur Schau gestellt.

Leipzig, 3. Juni. Das Jahresfest der evangelisch-luthe— rischen Mission findet wie gewöhnlich am Mittwoch nach Pfingsten, diesmal also am 7. Juni, statt. Im Anschluß an das Jahresfest der Mission wird Donnerstag, den 8. Juni, im großen Saale des Vereinshauses eine Pastoralkonferenz gehalten werden. Tagesordnung: Biblische Ansprache von Dr. Luthardt. Ueber die lutherische Lehre von den Gnadenmitteln in ihrer praktischen Bedeu« tung für die Seelsorge, Ref.: Past. Winter aus Deutschen bora. Ueber Pessimismus und Christenthum, Ref.: Prof. Dr. K. Richter aus Dresden. ;

Am 8. Juni wird auch eine Geieralversammlung sämmt— licher evangelisch- lutherischer Vereine für Mission unter Israel im Vereinshause zu Leipzig (Roßstraße Nr. 9) ab— gehalten werden.

Theater.

Frl. Hermine Meyerhoff, vom Carltheater in Wien, die schnell beliebt gewordene Gastin des Friedrich⸗Wilhelm⸗ städtischen Theaters, wird bereits am Donnerstag in einer ein⸗ aktigen Operetten -⸗Novpität auftreten, welche den Titel „Bagatelle“ führt und, von Jacques Offenbach komponirt ist. An demselben Abend wird Fil. Meyrrhoff die Partie des „Gaston“ in der Brandlschen Operette: ‚Des Löwen Erwachen“ und das Nand'l in der schon lange bei uns heimisch gewordenen Alpenscene: „Das Ver— sprechen hinterm Heerd“ spielen. Eine größere Operetten ⸗Novität mit Frl. Meyerhoff ist für die nächste Zeit in Aunsicht genommen. In Betreff der im Victoria-Theater am Sonntag stattgehabten ersten Aufführung ven „Berlin, oder: Kurfürst, König, Kaiser“ wollen wir heut, eine ausführlichere Besprechung uns vorbe— baltend, nur kurz mittheilen, daß dieselbe vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen und Hr. Direkter Hahn zu verschiedenen Malen und namentlich am Schluß der Vorstellung durch stürmisch wieder holte Hervorrufe geehrt worden ist.

Am Donnerstag, den 8. Juni, feiert Hr. Direktor Engel in den Räumen des Krollschen Etablissementzg sein Jubiläum als Besitzer und langjähriger bewährter Direktor desselben. Die Theil⸗ nehmer an den Festlichkeiten des Tages versammeln sich Morgens um 105 Uhr in den großartigen Lokalitäten, um ihre Glückwünsche dem verdienten Büähnenleiter darzubringen. Am Abend findet vor der Thegtervorstellung ein Feftspiel von Ad. Reich mit Musik von G. Michaelis statt. Bei glänzender Illumination wird dem Publikum ein großartiges Doppelkonzert geboten werden. Die Einnahme ist von Direktor Engel, welcher sich diesen Tag kontraktlich vorbe— halten hat, zu patriotischen und wohlthätigen Zwecken bestimmt.

Residenz⸗Theater. Frl. Marie Geistinger wurde am Sonntag von einem ernstlichen Unwohlsein befallen, das die Künft lerin zwingt, ihr Gastspiel für einige Tage zu unterbrechen. In Folge dessen sind die Vorstellungen von „Arria und Messalina“‘ mit Frau Claar Delia als Gast wieder aufgenommen worden.

Redaetenr: 5. Prebm. Verlag der Expedition (Kesseh.

Vier Beilagen (einschließlich Börsen · Beilage).

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Malmoe gestalten sich im laufenden Jahre wie folgt:

Die Fahrten finden vom 1. Mai bis Ende September in beiden Richtungen dreimal wöchentlich statt, und zwar aus Stralsund jeden Montag, Mittwoch und Freitag, aus Malmoe jeden Dienstag, Donnerstag und Sonnabend.

Abgang aus Stralsund: mit Tagesanbruch.

Ankunft in Malmoe: an den betreffenden Tagen Mittags zum Anschluß an den Schnellzug nach Stockholm.

Abgang aus Malm oe: 1 Uhr früh.

Ankunft in Stralsund: an den betreffenden Tagen Vormittags zum Anschluß an den 12 Uhr 45 Minuten nach Berlin abgehenden

Eisenhahnzug.

Berlin W., den 19. April 1876. Kaiserliches General⸗Postamt.

Staat und Kirche. VII.

(Vergl. Nr. 124 d. Bl.)

In Deutschland entwickeln die Utramontanen in Bayern fortdauernd eine lebhafte Thätigkeit. In der Abgeordneten⸗ kammer hat es ihre Partei durchgesetzt, daß bei der Prüfung der Wahlen des Wahlkreises München J. am 4. v. M. die Kassa⸗ tion dieser liberal ausgefallenen Wahlen mit 77 gegen 65 Stim⸗ men angenommen wurde. Dadurch war die ultramontane Majo⸗ rität um 5 Stimmen gewachsen. Indessen hat die am 18. v. M. stattgehabte Neuwahl von Wahlmännern für diesen Bezirk das von den Klerikalen erhoffte, günstige Resultat nicht ergeben. Es wurden 249 liberale und 35 ultramontane Wahlmänner gewählt. Durch dieselben werden 10,085 liberale und 5007 ultramontane Stimmen repräsentirt. Bei der vori⸗ gen am 4. v. M. kassirten Wahl waren nur 228 libe⸗ rale und 56 ultramontane Wahlmänner gewählt worden.

In gemäßigtem, versöhnlichem Tone war der Hirtenbrief vom

30. April gehal en, welchen der an diesem Tage konsekrirte und inthronisirte neue Fischof von Passau, Weckert, in deutscher Sprache an alle Angehörigen seiner Diözese erlassen hat. Es findet sich darin die Stelle: „wir wollen wie unsere Väter treue Söhne unseres Landes sein und an opferwilliger Liebe zu demselben uns ven Keinem übertreffen lassen. Die Tugenden unserer Ahnen, ihre Glaubensstärke, ihre Frömmigkeit, ihre treue Liebe zur Kirche und zum Vaterlande, ihre hingebende Anhänglichkeit an das angestammte hohe Herrscherhaus, sollen auch die unsern sein und bleiben.“ Zuglesch richtete der Bischof ein in lateini⸗ scher Sprache abgefaßtes Hirtenschreiben an seine Diözesangeist⸗ lichkeit. Er ermahnt dieselbe zur Geduld und Nachsicht; sie sollen in ihren Reden und Worten alles vermeiden, was die Gemüther erbittern und entfremden könnte und nach Kräften mit allen Menschen in Frieden leben. Hierauf heißt es weiter: „Zum Wohl der menschlichen Gesellschaft sind von Gott zwei Gewalten verordnet worden: nämlich die bürgerliche und die kirchliche, die einander stützen, unterstüßen und stärken müssen, damit sie aufrichtig unter sich verbunden mit vereinten Fräften, jede nach ihrem Theil, zufammenwirken und durch die also begründete Eintracht zwischen Staat und Kirche (imperium et sacerdotium) das öffentliche Wohl gewahrt und bewahrt werde. Unterstützen wir die, von welchen wir wünschen, daß sie uns unterstützen, und beten wir, daß die Gesetzgeber, durch die göttliche Weisheit erleuchtet, be⸗ schließen, was gerecht ist. Bemerkenswerih ist eine Mitthei⸗ lung der „Südd. Pr.“, nach welcher die Klerikalen Münchens für die dortigen Wahlen bereits einen Kompromiß mit der Sozialdemokratie zu schließen versucht hätten. In einer am 13. v. M. im Saale des katholischen Kasins abgehaltenen Versammlung sei von ultramontaner Seite einer Partei, welche nur in einzelnen Punkten von den Ultramontanen getrennt fein ein Wahlbündniß angeboten. Der Redacteur des sozial⸗

demokratischen Blattes „Zeitgeist“ habe erklärt, von seinen Partei⸗

genossen keine bezügliche Vollmacht zu haben. Um den Preis eines neuen Wahlgesetzes scheine ihm dieses Zusammengehen indeß nicht unmöglich. Die Ultramontanen seien auf die Be⸗ dingungen der Sozialdemokraten weder offiziell eingegangen, noch hätten sie dieselben förmlich abgelehnt. Auch drei klerikale Ab⸗ geordnete hatten in der Versammlung das Wort ergriffen.

Aus einem d. d. München, 1. Mai 1876, erlassenen Cirkularschreiben ist zu ersehen, so berichtet die „A. Abend⸗ zeitung“ unterm 13. v. Mis., daß am 10. August v. J. auf Schloß Köfering (Oberpfalz) eine Versammlung von Mitgliedern des bayerischen Adels stattgefunden hat, welche den Beschluß faßten, daß sie „in einem gemeinsamen Wirken des katholischen Adels in Bayern, zu dem Zwecke, die in den Statuten des Vereins katholischer Edelleute (zu Münster) gestellten Aufgaben auch in Bayern zur Ausführung zu bringen, ein zu erstrebendes Ziel“ zu erkennen und daß weitere Berathun⸗ gen in München stattfinden sollten, wenn mindestens 50 Stan⸗ desgenossen ihren Beitritt erklärt haben würden. Diese Anzahl ist nun erreicht, da 56 (in jenem Cirkular namentlich aufge⸗ führte) Mitglieder des bayerischen Adels ihren Beitritt erklart und andere denselben in Aussicht gestellt haben. Deshalb ladet das erwähnte Cirkularschreiben zu einer Versammlung ein, die auf den 21. Mai d. J. zu München anberaumt worden war, um über die Bildung einer felbständigen bayerischen Adelsgenossen⸗ schaft im Geiste des Münsterschen Vereins katholischer Edelleute zu beschließen.

In Baden wurde am 6. v. M. in der Zweiten Kammer der Gesetzentwurf über die obligatorische Einführung der kon⸗ fessionslosen Volksschule gegen die Stimmen der Ultra⸗ montanen angenommen. Das Gesetz nimmt den Grundsatz an: der Religionsunterricht soll ein obligatorischer Unterrichts gegenstand bleiben und nach Maßgabe der Lehrkräfte jerer Konfession für sich ertheilt werden; die Aufnahme des Religionsunterrichts in den Lehrplan kann der Schule keinen konfesstonellen Charakter verleihen. Die staatliche Schule soll ihrem Wesen und Zwecke nach, der Natur des Staates und der Gemeinde entsprechend, eine paritätische Anstalt sein. Unbeschadet der einheitlichen Lei- tung der Schule durch die Staatsbehörden soll die Ueberwachung

und Besoldung des Religionsunterrichts durch die Kirche für

ihre Angehörigen stattfinden.

Die Frage der Besetzung des erzbischöflichen Stuhles in Freiburg kam bei Gelegenheit der Budgetberathung des Ministeriums des Innern in der Ersten Kammer am 13. v. M. neuerdings zur Sprache. Bon klerikaler Seite wurde der Regierung vorgeworfen, daß sie die Besetzung absichtlich verhin⸗ dere. Hlerauf entgegnete Minister Jolly, daß die katholische Kirche ncht das zur Besetzung gethan habe, was Pflicht gewesen. Gewisse Erfahrungen hätten es der Regierung wünschenswerth gemacht, die Kandidaten vorher aufmerksam zu machen, daß der Eid ohne jeden Vorbehalt und der Gehorsam gegen die Gesetze rücksichtslos verlangt würde, da jede staatliche Ordnung dies un⸗ bedingt verlange. Ferner sei er, der Minister, in der Lage be⸗ weisen zu konnen, daß das Kirchenregiment zu Freiburg syftematisch gegen die Landesgesetze kämpfe, und daß bei demfelben die Umerthanentreue vermißt werde. Die Ab- setzung der erzbischöflichen Dotation wurde dann nach den Be⸗ schlüffen der Zweiten Kammer ausgesprochen und der staatliche Zuschuß zum altkatholischen Kultus genehmigt.

Der Altkatholizismus hat in neuerer Zeit in Baden be⸗ deutende Fortschritte gemacht. Am 30. April hat die altkatholische Gemeinschaft zu Karlsruhe zum ersten Male Gebrauch gemacht von der ihr zur Mitbenutzung eingeräumten evangelischen Kirche. Eine altkatholische Gemeinde hat sich jüngst in Zell i. W. ge— bildet und den Altkatholiken in Säckingen ist die dortige Frido⸗ linskirche eingeräumt worden.

Aus Hessen wird unterm 9. v. M. berichtet, daß sich auf Einladung des Fürsten zu Löwenstein an diesem Tag in Mainz eine Anzahl hervorragender Katholiken aus allen Theilen Deutsch⸗ lands verfammelt habe, um über die Gründung eines „Katho⸗ lischen Vereins für Deutschland“ zu berathen. Allgemein herrschte die Anficht, daß die Gründung eines solchen Vereins, nachdem der „Verein deutscher Katholiken“ in Folge der bekann ten Ereignisse aufgelöst worden, wünschenswerth sei. Nach kur⸗ zer Debatte wurde einstimmig die Gründung eines „Katho— lischen Vereins für Deutschland“ mit dem Sitze in Mainz be⸗ schlossen. Nachdem sodann der vorgelegte Statutenentwurf mit einigen Abänderungen angenommen worden, wurde ein Comité aus sieben Mitgliedern erwählt, mit dem Auftrage, möglichst bald die nöthigen Schritte zur Ausführung des Beschlusses zu thun. Ebenso wurde die Abhaltung einer großen Versammlung im Laufe des Sommers in Aussicht genommen.

Andererseits sind auch die Altkatholiken in Hessen nicht unthätig gewesen. Wie das „Frkf. J.“ unterm 11. v. M. mit⸗ theilt, werde in Mainz, dem Bischofssitze, in wenigen Wochen, der erste öffentliche altkatholische Gottesdienst eröffnet werden. Es sei den Altkatholiken eine frühere Klosterkapelle von der Gemeinde mit staatlicher Genehmigung zum gottesdienst⸗ lichen Gebrauch überlassen worden. Die feierliche Einweihung der Kirche, mit welcher zugleich der Anfang einer regelmäßigen altkatholischen Seelforge gemacht werden soll, sei auf den 11. Juni festgesetzt worden, an welchem Tage die längst in Aus⸗ sicht genommene größere Versammlung ber Altkatholiken der Rheingegend und der Pfalz in Mainz stattfinden soll. Zu der⸗ selben werden die hervorragendsten Namen und Träger der katholischen Reformbewegung erwartet.

In Preußen wurde in jüngster Zeit über zwei kirchliche Gesetzentwürfe von hervorragender Bedeutung durch endgültige Annahme im Abgeordnetenhause entschieden. Der Gesetzentwurf, betreffend die evangelische Kirchenverfassung. in den acht älteren Provinzen der Monarchie (Synodalgesetz) wurde in dritter Lesung mit 211 Stimmen genehmigt, und der Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Vermögensverwaltung der katho⸗ lischen Bisihümer (Diözesangesetz ) gelangte am 16. v. M. mit 230 gegen 92 Stimmen zur Annahme. Durch das erstere Gesetz wird die Verfassungsorganisation der evangelischen Lan⸗ des kirche nach der ebenfalls erfolgten Bestätigung durch das Herrenhaus zum Abschluß gebracht. Das zweite Gesetz fand eine heftige Opposition von Seiten der Centrumspartei, doch wurden bei der Debatte wieder nur die alten, oft wiederlegten, ungerechtfertigten Beschwerden vorgebracht. Ein Mitglied dieser Partei nahm Ge⸗ legenheit, die von gegnerischer Seite aufgestellte Behauptung, daß seme Partei im „Kulturkampf“ ermatte, entschieden fan n, weisen. „Was aber ist denn eigentlich erreicht worden?“ fragt der Redner, „es sind einige Altkatholiken, einige Staats katholiken und einige abgefallene Priester gewonnen worden, weiter nichts; man wagt nicht einmal, die Kreisordnung im Rheinland einzu⸗ führen, weil man die Ultramontanen scheut. Die Katholiken aber haben sich immer enger aneinander geschlossen und halten zum heiligen Vater mehr als je

Auf der zu Pfingsten in Aussicht genommenen altkatho⸗ lischen Synode zu Bonn sollte auch die Frage, ob das Cölibat aufzuheben sei, zur Erörterung und wahrscheinlich auch zur defini⸗ tiven Entscheidung kommen. Auf der letzten altkatholischen Synode wurde dahingehenden Anträgen nicht Folge gegeben, weil Professor von Schulte erklärte, daß er selbst den Antrag auf Aufhebung des Cölibatszwanges zur passenden Zeit stellen werde, da er überzeugt sei, daß dieser Schritt der altkatholischen Bewegung durchaus nicht schaden könne. Inzwischen ist nun die Schulte'sche Schrift erschienen, worin der Nachweis geführt wird, daß weder die Konzilien, noch die Päpste ein Recht zur Aufstellung des Cölibatsgesetzes gehabt, und daß durch dieses die Kirche wesentlich geschädigt worden sei.

Die Entthronung eines Sultans.

Der letzte Padischah vor Abdul Aziz, der die Herrschaft und auch das Leben durch eine Revolution verlor, war Mustapha IV. gewesen. Sein Vorgänger, Selim III., hatte den gewaltigen Gedanken einer Reform der Turkei gefaßt, aber er war zu schwach gewesen, seine Ideen durchzu- führen. Bie fanatischen Ulemas unter der Leitung ihres Mufti, des früheren Kadiasker ven Rumelien, die trotzigen Janitscharen unter 3 Paicha und ein Haufe zusammengelaufenen Volkes unter Kabakschl Oglu, einem albanesischen Artillerie Offizier, hatten ihn, obne daß er sich zu einem rühmlichen Widerstande aufraffte, vom Throne gestoßen und seinen Neffen Mustapha, den Sohn des Abdul Hamid, zum Sultan ausgerufen.

Selim zog sich mit der fatalistischen Ergebung eines frommen Muselmanns ins Privatleben zurück; er hielt sich, wie die, N. Ir. Pr. schreibt, von der EGifersucht und dem Argwohn seines Neffen strenge bewacht, in denselben Gemächern auf, die er vor

. 1854.

seiner Thronbesteigung bewohnt hatte, und machte Verse. Er, der vor wenigen Wochen noch in dem Gedanken geschwelgt, der Wiederhersteller der Macht und des *lanzes der osmanischen Herrschaft zu werden, fühlte sich jetzt zlüclich als Nachfelger von Imriolkai und Hafis und dichtete Lieder auf Liebe und Wein. Von Zeit zu Zeit besuchte ihn der jüngere Bruder Imriolkei Mustapha 's, Mahmud. Gegen diesen schüttete er in vertraulichen Stunden sein Herz aus und erzählte ihm von seinen großartigen Plänen. Und aufmerksam hörte der Prinz seinem ent— throͤnten Oheim zu; die Botschaft von der Nothwendigkeit der Re— form in der Türkei schlug tiefe Wurzeln in ihm, und es war, als riefe ihm eine innere Stimme zu: Bas, was dein unglücklicher Ohm nicht erreichen konnte, weil er zu weich, zu gut, zu vertrauensvell ge— wesen, das wirst du erzwingen durch eiserne Kraft und Energie!

Am 31. Mai 1807 hatte Mustapha den Thron bestiegen, ein junger Mann von 28 Jahren, von leichter, unselbständiger Gemüthe⸗ art, ganz und gar den Vergnügungen des Harems ergeken. Die Regierung überließ er den Mannern, die ihn erhoben hatten. Als man ihm am 11. Juli feierlich den Säbel umgürtete, schwur er, die alten Ordnungen wieder herzustellen, die Steuern zu ver— mindern und gegen die christlichen Unterthanen nur die Strenge walten zu lassen. Aber im Taumel feiner Unterhaltungen vergaß er sein Versprechen und ließ seine Umgebung machen, was sie wollte. Die Janitscharen wurden auf mehrfache Art gereirt, ins- besondere dadurch, daß ein österreichischer Flüchtling, der den WEmirban genommen hatte, Soliman Aga, den Auftrag erhielt, eine Miliz nach europäischem Muster zu errichten. Das Volk murrte über zahsreiche neue Steuern, und die Geistlichkeit war unzufrieden, weil der Einfluß der Gesandten. besonders des französischen, im Serail fort— dauerte. Man zitterte schon vor dem Gedanken einer Reform, und alle Männer, welche als Freunde einer solchen galten, wurden vom Mufti und seinem alttürkischen Anhang auf das wüthendfte verfolgt. Der Großvezier Tschelebi Mustapha Pascha mußte sich in Adrianopel aufhalten und wurde von der einflußreichen Camarilla gänzlich ignorirt. Der Kaimakam Musta Pascha, der frühere Mitverschworene des Mufti, wurde nach Smyrna ins Exil geschckt, sein Nachfolzer Tajar Pascha zur Flucht gezwungen und der im Befestigungswesen verdiente Ismael Pascha durch Gift aus dem Wege geräumt. Der Mufti, der Kabakschi Oglu und der Oberst— Stallmeister des Sultans, Muhamed Aga, wurden allmächtig.

Man denke sich nun aber das Entsétzen dieser Herren, als sie eifuhren, der Padischah habe zeitweise refermfreundliche Anwand⸗ lungen, und er selbst sei es gewesen, der dem Tajar Pascha zur Flucht verholfen. Die Folge davon war, daß man den „Herrn des Ecdkreises“, den „Schatten Goites“, noch vorsichtiger als bisher bewachte und Nie⸗ manden zu ihm ließ, der nur im Entferntesten die Maicht des Mufti ftören konnte. Durch dieses Abschließungssystem aber beschleunigten die Thoren ihren und ihres Herrn Untergang. . ö

Tejar Pascha war nach Rustschuk zum dortigen Pascha stapha Bairaktar geflohen, der ihn gastlich aufnahm. Beide, von Jugend auf befreundet, erörterten die Lage des Reiches, die Ursicherheit der Zustände unter dem ausschweifenden, charakterlosen und wankelmüthi— gen Sultan und seinem bösen Raihgeber, dem Mufti, und deschlossen endlich, urch einen kühnen Handstreich sich Konstantinepels zu be— mächtigen, den gefangenen Selim zu kefreien und ihn wieder auf den Thron zu setzen. Obwohl erst ein Jahr seit dessen Sturz vergangen, so war das Volk doch schon zur Erkenniniß gekommen, wie sebr es gefehlt hatte, gegen ihn aufzustehen. In allen Quartieren der Stadt, in allen Kasernen pries man den unglücklichen Selim auf Kosten sei res Neffen und Nachfolgers. Man bedauerte und beklagte sein Schicksal und ließ merken, daß man ihn doch noch immer als den rechtmäßigen Sultan und Kalifen ansehe. Darauf bauten Bairaktar und Tajar Pascha ihren Plan,

Bairakrar hatte einen geschickten und zu allen verwegenen Streichen brauchbaren Sekretär in seinen Diensten, Begdschi Efendi. Diesen sendete er zuerst nach Adcianopel zum Großvezier, der nach längeren Verhandlungen erklärte, er wolle sich gänzlich passiv verhalten. Das war vorläufig für die Verschworenen schon ein Erfolg. Hierauf ging Begdschi Efendi nach Stambul. Es gelang ihm, in einer Ver— kleidung bis zu Selim zu dringen, den er von der veabsichtisten Unternehmung in Kenntniß setzte. Noch einmal füllte sich die Seele des entthronten Sultans mit dem edelsten Ehrgeiz, sein Reich, sein Volk glücklich und groß zu machen. Die Güte seines Herzens aber offenbarte sich darin, daß er dem Unterhändler Namens seiner Auftraggeber den feierlichsten Eid abnahm, das Leben des Mus apha IV. unter allen Zmständen zu schonen.

Am 19. Juni 18038 erschien Bairaktar mit 4009 Mann vor Adria— nopel und wurde vom Großvezier freundlich empfangen. Noch war Bairaktar kein Rebell, jondern blos ein etwas übern üthiger Pascha, der einige geringfügige Regierungsänderungen vorschlug und den man mit Geld und Verheißungen zur Ruhe zu bringen hoffen durfte. In einem schleunigst abgehaltenen Divan beschleß man, auf die For— derungen einzugehen, und meinte so des lästigen Mannes loszuwerden. Aber es kam anders. ; ; !

Bairaktar hatte den Großvezier ganz für seine Anschauun gen gewonnen, und Beide marschirten am 12. Juli 1808 mit 30,009 Mann gegen Konstantinopel. Eine auserlesene Truppe von 120 albanesischen Reitern unter Kommando des entschlossenen Hadschi Ali wurde nach Fanaraki am Bosporus ge— schickt, um sich des Kabakschi zu bemächtigen. Sie tamen in der Nacht dort an, überfielen sein Haus, erbrachen den Harem, schleppten den Kabakschi auf die Straße und tödteten ihn. Sein Kopf wurde dem Bairaktar gebracht. K .

Als die Janitscharen und YJamaks (die irregulären Ar⸗ tilleristen) am Morgen des 14. Juli die Ermordung ihres Abgottes erfuhren, schäumten sie vor Wuth und überfielen Hadschi Ali, der sich in einigen Häusern verschanzt hatte. Die Gebäude wurden angezündet und die Vertheidiger von Daus zu Hans getrieben, bis sie endlich im festen Leuchtthurme Stand halten konn—⸗ ten. Drei Tage lang wiesen sie hartnäckig alle Angriffe zurück, wur⸗ den aver schließlich vom Mangel an Lebensmitteln gezwungen, ihre Stellung zu verlassen, hieben sich mit verzweifelter Tapferkeit durch die Janitscharen durch und vereinigten sich mit Bairaktar, der sich socben Konftantinopel näherte. ö.

Sultan Mustapha sah sich wehrlos den Gegnern preis= gegeben. Die Janitscharen und Jamaks waren demoralisirt und seit Kabatschi's Tod ohne jede wirksame Leitung, die Ulemas zeigten sich gleichgültig und raihlos, das Volk feindselig. Ein— geschlossen in seinen Palast, wartete er ah, was die Rebellen thun würden. Dieselben schickten den Reis Efendi Galib zu ihm mit einer sehr unterwürfigen Botschaft, worin sie nur die Arsetzung des Mufti und die Auflösung des Cerps der Namaks verlangten. Sofort ließ der Sultan den Mufti vor sich rusen. Derselbe sollte setzt die bitte ˖ ren Früchte seiner Intriguen verkosten. Aber noch dämmerte ein Reitungs

edanke in seinem verschlagenen Gehirn auf. Er warf sich vor dem geen da nieder: „Herr der Erde! Außer dir leben vom Stamme Osman, der Segen Gottes ruhe auf ihm, noch zwei männliche Mit- glieder. Lasse ste tödten, und du bist dann der Einzige. Und dann, o Herr, wird kein Rechtgläubiger die Hand gegen dich erbeben. Die Rebellen werden sofort zu deinen Füßen liegen, und Alles wird dir gehorchen. Denn Niemand wird den Fluch auf sich laden wollen, den geheiligten Stamm Osmans zu vernichten.“

Einen Augenblick zauderte Mustapha und war schon geneigt, das Todesurtheil über seinen Bruder Mahmud und seinen Oheim Selim zu sprechen. Denn in der That sobald er der alleinige Stamm