Berlin, den 19. Junl 1876.
Die am 17. d. Mts. in Bredow bei Stettin von Stapel gelau⸗ fene gedeckte Korvette „Sedan“ gehört ebenso, wie die im vorigen Jahre auf derselben Werft vollendete Korvette „Leipzig“, einer ganz neuen Schiffsklasse in der deutschen Marine an.
Die Pläne und Bauspezifikationen derselben sind in der Kaiser⸗ lichen Admiralität entworfen und wurde der Bau nach dem Stapel⸗ lauf der Panzerfregatte „Preußen“, der Maschinenhau ⸗ Aktiengesell⸗ schaft Vulkan“ im Dezember 1873 übertragen. Das Charakteristische an der Sedan. ist die große Geschwindigkeit unter Volldampf, welche sie befähigt 15 Knoten in der Stunde zu durchlaufen. Bei dieser großen Geschwindigkeit bot die in dem bisherigen Bausystem übliche Ausführung des Schiffskörpers von Holz nicht mehr genügende Festigkeit, und mußte das Eisen an dessen Stelle treten. Da aher außerdem die möglichste Reinheit des Bodens gesichert bleiben mußte, wenn diese Geschwindigkeit auch für eine lange Indienststellung erhalten werden sollte, und nur ein Kupfer ⸗ beschlag des Bodens diesen Bedingungen entspricht, so wurde der Schiffskörper behufs Erzielung genügender Festigkeit zwar ganz aus Eisen hergestellt, aber der Anbringung des andererseits nothwen digen Kupferbeschlages wegen, um der galvanischen Aktion entgegen zuwirken, mit einer doppelten Holzlage bedeckt. Auf diese Holzlage konnte erst der Kupferbeschlag gelegt werden. In Folge der großen Maschinenkraft und des zur Entwicklung derselben erforderlichen Koh⸗ lenvorrathes, mußten auch die Hauptdimenstonen der Schiffe, den verlangten großen Geschwindigkeiten gemäß, sowie mit Rücksicht auf das an Bord zu nehmende Heidmaterial bedeutende werden.
Die Länge der Korvette beträgt 86 Meter, die Breite 14 Meter, der größte Tiefgang 6.6 Meter. Das Deplacement 4090 Tonnen. Die Maschine soll 4800 Pferdekräfte indiziren, das Kaliber der Geschütze ist bedeutend schwerer, als das der bisher auf den gedeckten Korvetten plaeirten, und besteht die Ausruͤstung aus 10 der neu konstruirten 17⸗Centimetergeschütze in der Batterie und 2 langen 17. Centimeter-Kanonen im Vorder- resp. Hintertheil, welche letzteren, auf dem Oberdeck stehend, von Bug und Heck, direkt voraus oder rückwärts zu feuern ver— mögen. Qurch die beiden vordersten und hintersten Ge— schütze im Batteriedeck kann das direkte Bug. und Heckfeuer ver⸗ stärkt werden. Diese Geschütze stehen indeß nicht permanent in den Bug⸗ oder Heckpforten, werden vielmehr im Bedarft— fall von ihren Breitseitpforten dorthin gebracht. Um dein Schiff die Fähigkeit zu verleihen ohne Benutzung der Dampfkraft nur unter Segel zu kreuzen und längere Reisen zurücklegen zu können, hat dasselbe eine große Vollschiffstakel-ge. Die Untermasten sind aus Eisen, der Bugspriet ist zum Einlaufen eingerichtet. Die Takelage, Armirung und Ausrüstung sowie die Kupferung des Bodens erhält die Korvette auf der Kaiserlichen Werft zu Kiel.
Ueber die Haupt-Residenzschlösser der türkischen Sultane und einige der bedeutendsten öffentlichen Gebäude in Kon— stantinopel entnehmen wir dem Buche: „Orient, Grèce et FTurquie d'Europe“ von Emile Isambert folgende Mittheilungen:
Der Serail oder Sera (das Wort kedeutet Palast) nimmt die östlichste Spitze von Konstantinopel, oder Spitze der Gärten, von den Alten auch Chrysokeras genannt, ein. Hier lag das alte Byzanz und die Akropolis; später hefanden sich an dieser Stelle der Palast der Kaiserin Placidia, die Wohnhäuser der mächtigsten Persönlichkei⸗ ten detz Kaiserreiches und nach Osten hin, auf dem Ufer der Propon— tis, die Bäder des Atkadius, ein gewaltiges öffentliches Gebäude, die Kirche des heiligen Demetrius und die der Mutter Gottes Hodegetrig (a0½τνέ, Führerin, nämlich der Blinden). Der große Kaiserliche Paiast lag ein wenig mehr nach Süden zu und nahm nur einen Theil, der Gärten des Sera ein. Die Ge— bäude des heutigen Serails wurden von Mahomet II. errichtet. Jedenfalls bewohnte der Eroberer Anfangs den alten Serail, Gski⸗ Serai, welcher an der Stelle lag, den heute das Seraskierat (Kkiegs— Ministerium) einnimmt. So lange die Sultane den Serci Fer Gärten bewohnten, war der Eski⸗Serai zum Wohnsitze der Frauen des ver storbenen Sultans bestimmt. Als Sultan Abdul Medjid, der Bruder des jüngst verstorbenen Sultans, seine Residenz nach dem neuen Palaste von Dolma Baghtche verlegt hatte, beltgte man den Serail der Gärten mit dem Namen Eski⸗ Sera und dieser Palast wurde nun der Wohnsitz der früheren Sultaninnen, bis zu dem großen Brande, welcher ihn im Jahre 1865 zerstörte. Der größte Theil des Palastes ist verbrannt, doch sind die Säle, welche ein histerisches Interesse bieten, verschont geblieben. Der Serail ist von allen Seiten mit einer köenelirten, von viereckigen Thürmen flankirten Mauer umgeben. Nach der Seeseite hin bildet diese Mauer zugleich die Stadtmauer, längs deren sich ein steiles, steiniges Ufer erstreckt. An die Mauer lehnen sich mehrere geschmack⸗ volle Kioske und verschiedene Bauten. Nach der Landseite zu läuft eine krenelirte Mauer hin, welche die Spitze des Serai von dem übrigen Theile der Stadt trennt. Dieser weite Raum umfaßt große, hauptsächlich mn Cypressen und hochwachsenden Pflanzen be⸗ standene Gärten, in denen sich ganz unregelmäßig verschledene Ge⸗ bäude oder Kioske erheben, welche im Allgemeinen eine geschmackoolle, aber einfache Bauart zeigen. Die hervorragendsten Bauten nehmen den Gipfel des Hügels sellst ein; neben denen, welche der Brand verschont hat, stehen noch die Ruinen derjenigen, welche er zerstörte. Man unterscheidet von draußen einen ziemlich hohen viereckigen Thurm und eine größere Anzahl von kleinen Kuppeln.
Die Geeignisse, welche dem Regierungsantritte Mabmuds II voran- gingen, bestimmten ihn, den Serail zu verlassen. Er bewohnte den Palast des Bosporus, Bechik-Tach (d. h. der Stein des Lauben. ganges), den er zu seiner Lieblingsrestdenz machte. Der Palast liegt in der Vorstadt gleichen Namens, dem alten Petra Thermastis, welche jetzt eine Bevölkerung von ungefähr 25.060 Einwohner und eine Dampfboot⸗ und Pferdebahnverbindung mit Konstantinopel hat. Von der Landseite sieht man von dem im Jahre 1679 erbauten Palast nur hohe Mauern, über welche sich die Gipfel schöner Bäume erheben, die seine, wie man sagt, sehr schönen Gärten beschatten. Unmittelbar in der Nähe von Bechik-⸗Tach liegt der Palast von Dolma⸗Baghtche, welchen Sultan Abdul Medjid, der Vorgänger des letzten Sultans, erbaut und zu seiner definitiven Residenz gemacht hatte. Der Palast zeigt in seinem Aeußeren eine Vermischung aller Style und einen Reichthum an Ornament, über dessen künstlerischen Weith sich streiten läßt, dessen allgemeiner Eindruck aber inmitten der reichen Natur des Bosporus keinen unangenehmen Eindruck macht. Das Innere ist nach modernem Geschmack von dem Fran 9 853 dekorirt und enthält schöne Wohnräume und ein Theater für den Hof.
Von bedeutenden öffentlichen Gebäuden in Konstantinopel sind u. A. zu nennen: Die Hohe Pforte ö oder Pforte des Pascha (Pascha⸗Kapoussih, das Hotel des roßveziers und des Ministers des Aeußern. Dasselbe liegt in dem Thale, welches den ersten von dem zweiten Hügel von Stambul trennt, unter den Mauern des Seral, nach der Stadt hin. Vom . Horn aus gesehen macht dieses Palais einen recht impo⸗ anten Totaleindruck. Der Haupteingang ist bei dem östlichen Winkel der Gärten des Serai. Das Thor ist mit Pfeilern aus Marmor, welche von ionischen Kapitälern gekrönt werden, geschmückt und trägt an der Spitze eine türkische Inschrift und militärische Embleme. Ein vorspringendes Dach giebt ihm einen vrientalischen Charakter; auf beiden Seiten befindet sich eine Fontaine. Der Hof ist von großer Ausdehnung und die Gebäude, welche in Folge von Bränden mehrere Male wieder aufgebaut wurden, sind im n, Style ausgeführt. Von der Treppe, die zum Eingange fühht, genießt man eines schönen Blickes auf die Mauern und den Garten des Seraß, auf das goldene Horn, den Bosporus, Pera und Galata. Auf der anderen Seite des Hofes geht man durch ein Thor, welcheg viel einfacher wie das erste ist. Die Alte Hohe Pforte, jetzt Handelz-Ministerium, ist hinter der eben genannten, ein wenig höher nach der Hagia Sophia hin, gelegen. Sie bietet außer ihrem äußeren Thore, welches noch
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reicher als das der jetziaen Hohen Pforte verziert und von einem gefaͤlligen, nach chinesischer Manier aufgestülpten Dache gekrönt ist, nichts Bemerkenswerthegz. Das innere Gebäude ist alt, dunkelroth gestrichen und von sehr unfreundlichem Aussehen. ⸗
Daz Seraskierat, Kriegs ⸗‚Ministerium, liegt auf dem dritten Hügel von Stambul, auf dem 3 des Eski⸗Seral, des alten Serail, der, wie schon bemerkt, nach der Eroberung von Kon. stantinepel anfangs von Sultan Mahomet II. bewohnt wurde. Das Seraskierat nimmt einen weiten Raum ein, in welchen man durch zwei Thore gelangt. Das eine auf der Nordseite oͤffnet sich auf eine Straße, welche auf die Moschee NMeni⸗Djami und die Brücke der Valideh führt, das andere geht auf den Platz Bajazet und die Moschee gleichen Namens. Seitwärts von diesem Thore ist eine durch Gitterwerk abgeschlossene Loge angebracht, in welcher der Sultan während der den Khamazan beschließenden Feste Platz nimmt. Diese beiden Thore führen auf einen weiten Hof, wo sich ohne regelmäßige An— ordnung die Gebäude des Kriegs, Minifteriumz, neue Gebäude ohne Kunstwerth, erheben. Gegen die Mitte hin ragt der hohe Thurm des Seraskieratz empor, dessen Spitze der höckste Punkt Konstantinopels ist. Hier sind beständig Wachen aufgestellt, um etwa ausbrechende Feuersbrünste zu signalistren. Man findet auf der Spitze des Thurmes, zu der 179 Stufen hinaufführen, eine kreisrunde Glasgallerie, von der sich dem Auge ein großartiges Panorgma bietet. Es ist dies der günstigste Standpunkt, um eine richtige Vor⸗ stellung von der allgemeinen Topographie von Konstantinopel zu be⸗ kommen. Der Blic erstreckt sich weithin auf das Marmarameer, mit den schneebedeckten Gipfeln des Olympus im Hintergrunde, auf das goldene Horn und das Thal der Süßen Wasser von Europa, auf die Ebenen Roumeliens in der Richtung auf Adrianopel, auf den Bosporus, Scutari u. s. w.
Die Vertheilung des Früh jahrs-Meetings in Hoppegarten auf die vier Sonntage des Monat Mai und den Pfingstmontag hat nur eine ganz kurze Spanne Zeit zwischen den Frühjahrs, und den Sommerrennen gelassen. Noch in Kinem Jahre waren so viel An— meldungen Seitens österreich'ungarischer Rennstallbesitzer für die Bahn erfoltzt als in diesem und noch in keinem Jahre waren so viel von diesen Pferden in den Boxen zu Dahlwitz und Hoppegarten einge— troffen, als gegenwärtig dort eingestellt sind. Unter den angemeldeten Pferden hefand sich auch der berühmte ungarische Hengst „Küisbér“, der Sieger in dem diesjährigen englischen Derbyrennen Und in Long— champs, wo er den Hunderttausend Frankenpreis davontrug, der aller— dings nicht eingetroffen war. „Good Hope“ hat gestern auf dem Hoppegartener Turf den Sportsmen von Fach eine Leistung vorgelegt, welche über alles Lob erhaben ist. Das beste Pferd auf unseren deutschen Bahnen war seither „Templer“ aus dem Graditzer Gestüt. Noch gestern vor dem Rennen galt bei den Meisten „Templer“ als der unbestrittene Sieger der „Union“ und selbst der „Sporn“ prognostizirte noch am Sonnabend dem Graditzer mit ziemlicher Bestimmtheit den Sieg. Von den 52 Unterschriften, welche die „Union“ aufzuweisen und von den 41 Pferden, welche das Rennen angenommen hatten — und darunter österreichische und ungarische Pferde, die speziell zu diesem Rennen hier eingetroffen waren — ist auch nicht ein einziges außer diesen beiden Rivalen am Start er— schienen. „Good Hope“ sollte ein Duell mit „Templer“ aus kämpfen und Niemand wollte ihm dadurch behülflich sein, daß er ihm half, die Pace zu machen. Schnell entschlossen nahm deshalb Gr. v. Op penheim als „Pacemaker“ den „Kater“ zur Hülfe, allein dieser war der langen Distanz und der scharfen Pace, welche er dem Graditzer vorlegte, für die Dauer nicht gewachsen, und so mußte denn „Good Hope“ auf der halben Bahn das Rennen selbst in die Hand nehmen: er leitete es in einer Weise, welche seinen Ruhm als das beste Pferd glänzend dargethan.
Von den anderen Rennen des gestrigen Tages ist weniger zu melden. In dem „Vrsuchsrennen der Stuten“ schlug eine ungarische Gastin, Graf Sztaray's zweijäbrige br. St. „Csalogany“ des Grafen Henckel sen. dreijährige br. St. „Miß Buccaneer“. In dem „silber nen Pferde“ vermochte „Golos“, der Sieger vom vorigea Jahre, den Besitz des Ehrenpreises nicht mehr zu behaupten, mußte ihn
an Graf Henckels „Baswelt“ abtreten und wurde sogar auf den vierten Platz gelegt. In dein „Seahorse Rennen“ hrachte „Miechowitz“ seinem gegenwärtigen Besitzer vor dem voraussichtlich heut erfolgenden Verkauf noch einen letzten Tribut dar. Der Staatspreis II. Klasse von 4500 AM konnte leider nur in einem Kompromißren⸗ nen zwischen ‚„Ehrenbogen“ und „Germania,“ bei dem letztere für das zweite Geld mit über die Bahn ging, erledigt werden, und in dem Kaufpreis. Jagd ⸗Rennen, bei dem zum ersten Male die neue Einrich—⸗ tung zur Anwendung kam, daß Herren mit Jockeys gemeinschaftlich ritten, (Hr. Oelschläger hrach zuerst die bisherigen Schranken) zeigte Trainer Kelly auf „Demokrat“ sein Talent als Steeple⸗Chase⸗Reiter. Die Rennen selbst verliefen pünktlich und ohne Unfall.
Am 16. August des nächsten Jahres feiert das Germanische Museum in Nürnberg sein 25jähriges Stiftungsfest, und es macht sich schon jetzt der Gedanke geltend, Vorbereitungen zur wür ⸗ digen Begehung dieser Feier zu treffen. Bis dahin sollen auch die in Angriff genommenen Bauten vollendet sein. Die Gaben für das Museum fließen fortwährend in erfreulicher Weise. So hat neuer— dings der Fabrikbesitzer Or. Richter in Nürnberg den Betrag von 6 . für ein gemaltes Glasfenster im Neubau des Museumgzz ge⸗ pendet.
Die „Straßburger Ztg.“ vom 18. Jun veröffentlicht folgenden Artikel: Für die Ueberschwemmten.“ Ein unbeschreibliches Unglück hat die Bewohner der Rheinorte heimgesucht. Völlig un— erwartet kam den Uferbewohnern das Anschwellen des Stromes und nirgends hate man Vorkehrungen getroffen zur Abwehr der Gefahr. Durch das Brechen der Dämme wurde plötzlich ein großer Theil der fruchtbaren Rheinebene unter Wasser gesetzt; die Bewohaer wurden nicht uur mit einem Male der Frucht ihrer Mühe und Arbeit be⸗ raubt, ihre Hoffnungen auf einen ausreichenden Ernteertrag wurden vernichtet; sie müssen sogar die nothwendigsten täglichen Bedürfnisse, Nahrungsmittel und Kleidungsstücke entbehren. Ohne Alles ergriffen ste die Flucht vor dem reißenden Strome.
Vielen hat das hereinstürzende Wasser segar die Wohnungen zer— stört; in Gerstheim stürzten dreizehn Häuser in die Fluthen!
Nur guf die Kraft ihrer Arme angewiesen, steht ein großer Theil der Bewohner von Diebolsheim, ie senheim Rheinau, Boofz heim, Gerstheim, Schönau, Artzenheim, Neudorf, Plobsheim, Musau und anderen Dörfern ihren verwaisten Wohnungen gegenüber.
Es ist keine Aussicht vorhanden, daß die Gefahr in den nächsten Tagen verschwindet, vielmehr muß man sich nach allen Nachrichten auf ein langes Stehenbleiben des Wassers gefaßt machen.
Man kann daher voraussehen, daß das Elend wächst, daß es dem Menschen immer schwerer wird, es in seiner ganzen Ausdehnung zu bekämpfen, den Schmerz der vielen Tausenze zu lindern.
Für die Linderung dieser Noth sind die Mitel eines Landes, das waß die öffentlichen und privaten Kassen zu bieten vermögen, zu klein. Ohnmächtig steht der Mensch der ungeheuren Wucht der all— gemeinen Noth gegenüber.
Wir wenden uns darum an die öffentliche Medthätigkeit nicht nur unserer elsässischen Landsleute, ohne Unterschied, ob ste durch die Geburt dem Lande angehören oder ob sie erst dessen Burger gewor⸗ den sind, sondern auch an das gesammte deutsche Vaterland, an den Opfermuth und die Mildthätigkeit des gesammten deutschen Volks. An unsere Landsleute diesseits und jenseits des Rheins richten wir die Bitte, indem wir auf die weiter unten hefindliche Erklärung unserer Expedition verweisen, den nothleidenden Bewohnern der üher⸗ schwemmten Ortschaften die Hand zu reichen und Hülfe zu leisten in der allgemeinen Bedrängniß!
Die heute voꝛliegenden Hoch wass ern achrichten lauten:
Friedrichshafen, 17. Juni. (W. T. B.) Auf dem Boden⸗ see herrschte gestern großer Sturm, der Regen dauert fort, daz Waffer des Sees steigt noch höher und steht bereits 3, s Meter über dem Nullpunkte des . Langenargen ist ftark überfluthet, einzelne Bewohner der gefährdeten Häuser mußten mittelst Kähnen gerettet werden. Die Bahnlinie Lindau⸗Bregenz ist gleichfalls übeifluthet und der Verkehr eingestellt.
Bern. Von dem an der Emme, unweit Burgdorf liegenden Lützelflüh schreibt man: An mehreren Orten rutschten die Straßen; der Schloßbergerwald klafft geradezu an einzelnen Stellen auseinander, so daß Tannen fielen, aus ihrer Lage gerückt, entwurzelt, und Jucharten großes Bodenterrain wie zu Thal fuhr, an einer Stelle quer über die Straße sich lagernd.
Thurgau. (Korr. der N. Zürch. Ztg. vom 17. Juni.) Der Re⸗ gierungsrath beruft den Großen Rath außerordentlicher Weise auf den 21.8. M. zusammen und wird ihm den Antrgg stellen, ein Anleihen von 15 Millionen Franken zu erheben, damit der Kanton den Anforderungen, welche wegen der Ueberschwemmungen an ihn gestellt werden, ent⸗ sprechen kaun. — Gestern und diese Nacht hatten wir wieder hef⸗ tigen Regen, der besonders auf die vielen Rutschungen ungünstig ein wirken wird. Die stärkften Schlipfe zeigten sich bis jetzt in Herdern; dann am südlichen Abhang des Immenberges, so in Weingarten, Stetfurt, Weziten. Das ganze Ueberschwemmungsgebiet ist an den Abhängen von Rutschungen heimgesucht und wenn die regnerische , . noch länger andauert, sind gefährliche Katastrophen zu be⸗ ürchten.
Aus Ermatingen schreibt man der „Thurtzauer Zeitung“: Am Abend des 8. Juni, gerade bei Einbruch der Nacht, zogen sich schwere Gewitterwolken zujammen und entluden sich zwischen 8 und 9. Uhr auf so fürchterliche Weise, wie man es in unserer Gegend noch selten erlebt. In Strömen ergoß sich der Regen, der Blitz erleuchtete fortwährend das grause Dunkel und endlich stürzte der Hagel in unerhörten Massen auf die Felder . und vernichtete namentlich in den Weinbergen die schönen Hoffnungen des Landmanns, Dutch Gräben, Wege und Straßen floß das Wasser in Strömen, wühlte den Grund auf und trug Schlamm und Steine in die Gäcten, Felder, ja selbst in die Häuser hinein. Der Dorfbach schwoll zu bedeutender Höhe an und beschädigte an pielen Orten seine User. Nachdem arn 9. und 10. Juni das Wasser sich größtentheils verl ufen hatte und man angefangen, die zerstörten Straßen wieder herzustellen, stürten am Abend und in der Nacht des 19. Juni neue heftige Regengüsse hernieder und bald erreichte der Bach eine Höhe und Gewalt, deren fich die ältesten Leute nicht zu erinnern vermögen. Er riß seine schon unterwühlten Ufer aufs Neue an, Bäume und ganze Strecken Landes stürzten in denselben und wurden fortgerissen und bald standen auch mehrere Häuser in Gefahr. Außer den Verheerungen, welche unmittelbar durch das Wasser herbeigeführt worden, ist der durch Erdschlipfe ent⸗ standene Schaden sehr beträchtlich. Ueberall, an allen Bergeshalden, ist das Erdreich heruntergerutscht, hier in kleinern, dort in größern Massen. Beim Schlosse Hard z. B. ist ein bedeutendes Stück des schön bewaldeten Abhangs mit den darauf stehenden Tannen in die Tiefe gefahren. Am furchtbarsten aber sind die Verheerungen, welche in dieser Hinsicht die prächtigen Anlagen des Schlosses Arenaberg be⸗ troffen haben. Dort ist buchstäblich der ganze nördliche Bergabhang. auf eine Länge von wohl 600 und eine Breite von 200 in der Be⸗— wegung thalabwärts begriffen. Ueberall zeigt der Boden Risse und Sprünge; die herrlichen Bäume liegen theils am Boden, theils hängen sie schief nach allen Seiten durcheinander. Hier sind die An⸗ . ganz in einander geschoben, dort liegt ein großes Stück Land ahl da.
Theater. .
Der Ober⸗Regisseur des Herzoglich Sach sen⸗Meininzen⸗ schen Hoftheaters, Hr. Chronegk, begiebt sich von hier aus nach London, um mit einem namhaften Theater daselbst wegen eines Gesammtgastspiels des Meininger Hoftheaters für künftiges Frühjahr persönlich zu unterhandeln.
— An gestrigen Sonntage war Krolls Etablissement, wo das schwedische Instrumental⸗ Septett und daneben die gewandte Ballerine Fräul. Etelka Boor große Anziehungskraft üben, so zahl⸗ reich besucht, wie selten.
— Morgen Dienstag gelangt im Wolters dorfftheater nen einstudirt das bewährte Repertairstück dieser Bühne: Das Milchmädchen von Schöneberg“ mit Frl. Schatz in der Titelrolle zur Alfführnng. Hr. Schindler spielt den Reporter Brennecke, und die übrigen Hauptrollen sind durch die Herren Schmitz, Junker und Max besetzt.
— Im Nationaltheater gelangt in nächster Woche das äustspiel „Flattersucht“ von Victorien Sardou zur ersten Aufführung.
— Im Thaliathe ater sind die Eintritte preise jetzt so ermäßigt worden, daß das 1I. Parquet, der Balkon und ein Stehplatz schon für das Stadtpark Entrée zugänglich sind. Diese Preisherabsetzung wir auf den Besuch dieses Theaters, in welchem die ansprechendsten Lustspiele und Operetten durch die besten Kräfte der Wallaer⸗ und der Woltersdorffbühne aufgeführt werden, jedenfalls günstig einwirken. Die melodische Offenbachsche Operette „Dorotheg“, welche gegenwärtig auf dem Repertoir steht, enthält für Hrn. Adolfi und Frl. Preuß sehr dankbare Partien. In dem unterhaltenden Lustspiel „Die Sünderin“, von G. v. Moser und in dem Schwank „Ein Knopf“, von Julius Rosen, tritt be⸗ sonders Hr. Blencke hervor, neben welchem in dem ersteren Stück auch Hr. , die Damen Fr. Schüler ⸗Formes und Berg, im letzteren Frl. Bredow lobend zu nennen sind.
Im Stadtpark hat am Sonnabend das letzte Straußsche Monstre Konzert stattgefunden. Der nicht besonders günstigen Wit⸗ terung ungeachtet hatte sich im Garten ein sehr zahlreiches Publikum versammelt, welches Hrn. Fohann Strauß bei jedem von ihm dirigirten Stück den lebhaftesten Beifall spendete. Zur Einleitung des dritten Theil? des Konzerts legte Hr. Strauß den Fledermaus⸗ walzer ein, nach dessen Beendigung ihm unter dreimaligem Tusch des Orchesters und andauerndem Applaus des Publikums ein peachtvolles Bouquet überreicht wurde.
Bäder ⸗Statistik.
Cudowa bis 9. Juni..
Elmen bis 14. Juni...
Elster bis 12. Juni.
Ems bis 15. Juni...
Flinsberg bis 12. Juni..
Franzensbad bis 14. Juni.
Johannisbad bis 12. Juni
Ischl bis 12. Juni..
Kissingen bis 13. Juni.
Langenau his 165. Juni N.,.
Reiboldsgrün (bei Auerbach) bis 15. Juni.
Hern erz is 15. nt
Rohitsch⸗Sauerbrunn bis 11. Juni.
Salzbrunn bis 15. Juni :
ihänben biö l n, Warmbad (bei Wolkenstein) bis 15. Juni.. . 135 Wiesbaden bis 17. Juni , 26414
Redacteur: F. Preh m. Verlag der Expedition (Kessels. Druck: W. El sn er. Bier Beilagen leinschließlich Börsen · Beilage). (612)
Berlin:
zum Deutschen Reichs⸗-Anzeiger und Königlich
L142.
Aichtamtliches.
Preußen. Berlin, 19. Juni. Die Antwort, welche in
der Sitzung des Herrenhauses am 17. d. Mts. der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Falk auf die Inter⸗ pellation der Herren v. Kleist⸗Ketzow und Graf Udo zu Stol⸗ berg Wernigerode gegeben, hatte folgenden Wortlaut: .
Sie wollen mir einige kurze Bemerkungen gestatten, ehe ich mich zu einer möglichst bestimmten Beantwortung der der Kultus verwal ; tung vorgelegten Fragen wende. Ich glaube im Sinne und im In- teresse des hohen Hauses zu handeln, wenn ich auf eine Reihe von Punkten, die der Herr Vorredner berührt hat, hier gar nicht eingehe, weil ich überzeugt bin, daß ein wirkliches Eingehen auf dieselhen fast bei jedem einzelnen Punkt, wenn die Verhandlungen einigermaßen gründlich sein sollen, eine ganze Sitzung in Anspruch nehmen würde. Es gilt das beispieisweise von demsenigen, was andeutungsweise er wähnt wurde, hinsichtlich der von mir im Oktober 1872 erlassenen so⸗ genannten allgemeinen Bestimmungen. Es gilt das in Bezug auf die Anstellung der Schulinspektoren und die Uebertragung der staatlichen Aufsicht der Schulen einer anderen Konfessioön an den betreffenden Schmiinspektor. Ich kann mich in letzterer Beziehung um so mehr einer Darlegung enthalten, als noch nicht lange vorübergegangene Verhandlungen des anderen Hauses mir Gelegenheit gegeben haben, den Standpunkt, den in dieser Frage die Staatsregierung eingenom ⸗ men, darzulegen und zu motiviren. Ich sehe auch davon ab, zu be— gründen und zu zeigen, daß es in konfesstoneller Beziehung absolut und schädlich wirkt und weiter wirken wird, wenn eine Ressorteinthei⸗ lung in der Art gemacht wird, daß in höherer Instanz gewisse Be⸗ zirke ohne Scheidung der darin, befindlichen Schulen nach ihrer Konfession einem Manne übertragen werden. Ich kann allenfalls speziell Bezug nehmen darauf, daß es doch wohl ein Irrthum ist, jenes vorhin erwähnte herrliche Lied dem verehrten Paul Gerhard zuzurechnen; es scheint mir, als ob der geehrte Herr Vor redner nicht eingedent gewesen sei der Thatsache, daß dies Lied we⸗ sentlich eine Nachbildung ist dez von dem Katholiken Bernhard von Clairvaux gedichteten Liedes; Salve caput crnentatum,. Ich kann mich aber nicht enthalten, stillschweigend darüber hinwegzugehen, daß von einer unerlaubten Einwirkung Seitens der Regierungsorgane auf die evangelischen Pastoren die Rede sein dürfe. Wenn eine Re— gierung, und das ist die zu Düsseldorf, die ihr untergebenen staat= lichen Organe, Lokal- und Kreisschulinspektoren, die gleichzeitig evangelische Geistliche sind, gemahnt hat, ihr Schulaufsichtsamt nicht zu mißbrauchen zu Ägitationen, nicht zu mißbrauchen sogar so weit, daß ste ihre Gewalt über die Lehrer benutzen, um diese zu Erklä— rungen zu veranlassen, die eventuell einen Widerstand gegen gesetzliche Anordnungen der vorgesetzten Behörden ankündigen, wenn sie das ge— than hat, so hat sie einfach ihre Pflicht als Staatsbehoͤrde erfüllt und ist nicht uber die Grenzen hinausgegangen, die ihr gesetzt sind. Daß das nicht geschehen ist, ist in der weiteren Erörterung so klar gelegt, daß das von mir in keiner Weise angeregte Konsiftorium der Rheinprovinz in diesen Tagen mir eine Verfugung an die Geistlichen in der Provinz mitgetheilt hat, worin sie denselben das auf das Be stimmteste zu erkenhen giebt; der Herr Vorredner könnte die Abschrift ein sehen.
ehen wende mich den gestellten Fragen gegenüber nunmehr zu einer Richtigstellung des Sachverhaltes, denn nur von dem aus ist es konkreten Angriffen gegenüber möglich, gründlich und erschöpfend zu antworten. Ebenso, wie der Herr Vorredner keinen Blick auf die zukünftige Unterrichtsgesetzgebung in dieser Beziehung geworfen hat, ebenso enthalte ich mich dessen. Sie alle inn ja, daß in Bezug auf den Entwurf eines Unterrichtsgesetzes die Sache so weit nicht ge— diehen ist, daß man sagen könnte, welche Vorschläge über die hier in Jede stehenden Fragen die Staatsregierung der Landesver⸗ tretung machen werde. Die Frage bleibt in dieser Richtung lediglich den künftigen Verhandlungen überlassen. Ich kann mich daher nur an datzenige halten, was auf Grund der gegenwär—- tigen Gesetzgebung meinerseits gethan worden ist, und da ist es nun, — und die in den öffentlichen Hinder namentlich auch in den amt- lichen Organen der Unterrichtsperwaltung abgedruckten Verfügungen erweisen das in vollem Maße, — niemals von meiner Seite ausge⸗ sprochen, daß prinzipiell auch solche Simultanschulen, die übrigens die Bezeichnung religions oder konfessionslose in keiner Richtung ver- dienen und am besten paritätische zu nennen wären, — ich sage also, es ist nirgend von meiner Seite angeordnet worden, es solle prinzipiell auf . solcher Schulen hingewirkt werden. (Hört, hört)
iemals!
Es ist nur zweierlei meinerseits geschehen; es ist den Regie ⸗ rungen gesagt worden, datz da, wo die Trennung der Schule in ein⸗ zelne konfessionelle Schulen die Erreichung der Ziele der Schule wesent. lich erschwere, und wo diese Erschwerniß so sei, daß der Schulzweck nur erreicht werden kann durch Vereinigung der getrennten Schulen zu einer Schule, daß dann allerdings von ihr die Anregung dazu ge geben werden solle, und es ist — und dies beschränkt sich auf sehr wenige Fälle, wenn die Erörterungen mit den Betheiligten in dieser Richtung zu keiner Verstaͤndigung führten — Dann allerdings im Falle absoluter Nothwendigkeit, der Nothwendigkeit nämlich, die Schulziele sonst nicht erreichen zu können, eine zwangsweise Vereini⸗ gung eingetreten. Dies die eine Seite. — Nun die andere. Kommt von denen, die zur Unterhaltung der Schule verpflichtet sind, die An⸗ regung zu einer derartigen Vereinigung, so ist der Gesichtapunkt, unter welchem einer solchen Folge zu geben, zunächst der, daß, wo es sich um sogenannte Schulgemeinden handelt, eine Einigung dieser Schul⸗ gemeinden vorhanden sein muß, und wo es sich um Kommunalschulen handelt, der Antrag der Organe der zu deren Unterhaltung verpflichteren Gemeinden vorliegen muß Es muß aber noch einem Weiteren ge— nügt werden; es muß, durch, die Vereinigung in der That das Schul. wesen gebessert werden. Dies sind die n ,. unter denen zur Schaffung einer paritätischen Schule oder Verbindung mehrerer konfesstoneller Schulen zu einer paritätischen geschritten werden kann — Es muß aber dann bei der Ausführung noch zweierlei beobachtet werden: eisteng, daß in vollem Maße Sorge getragen wird für den konfesstonellen Religlonsunterricht, und zweitens, daß das Lehrer · kollegium zusammengesetzt wird auJ Lehrern verschiedener Konfesston. Dies, meine Herren, sind die Linien, in denen sich die Unter— richtsverwaltung bisher bewegt hat, und wenn von Seiten des Herrn Vorredners behauptet worden ist, daß die untergebenen Behörden in dieser Beziehung weiter gehen, so möchte ich doch sehr die Darlegung in dem einzelnen Fall erwarten. Diejenigen Fälle, die zu meiner Kenntniß gekommen sind, und über die ich bisher be— funden habe in höherer Instanz, bewegten sich überall auf dieser Linie mit Ausnahme etwa eines einzigen Falles, der weder die Rhein provinz, noch die Provinz Posen tanglit, in welchem ich Veranlassun gefunden habe, die Regierung darauf aufmerksam zu machen, u sie die Verfügung, die meinerseits erlassen sei, zu weit auslege. — Es ist auch eine solche Verfügung in dem Centralblatt des Jahres 1875 abgedruckt worden. ; ö
Wenn ich Ihnen nun also gezeigt habe, was wirklich geschehen ist, wende ich mich zur Beantwortung der beiden vorgelegten Fragen: J. „Worauf stützt die Schulverwaltung die Berechtigung, bestehende evangelische und katholische, ja sogar christliche und jüdische Elementar- schulen zu sogenannten Simultanschulen zu verbinden?“! Die Ant⸗ wort darauf ist eine ganz kurze: auf ihr gesetzliches Recht. Ich habe egenuüber angeregten Zweifeln diesen Satz naturlich zu begründen. . von Kleist weist mich, wie das hier auch von Petenten in dieser
Erste Beilage
Berlin, Montag, den 19. Juni
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Angelegenheit reichlich geschehen ist, auf den ersten Absatz des Art. 24 der Verfassungsurkunde hin. Deirselbe lautet:
Bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind die kon- fessionellen Verbälinisse möglichst zu berücksichtigen. ; Ich muß allerdings für mich in Anspruch nehmen — zunächst
formell, wenn ich, die weitere Ausführung wird es zeigen, materiell vielleicht einen Schritt entgegenkommen kann, — daß dieser Artikel in der That kein geltendes Recht ift. Mit klaren und dürren Worten spricht eg der Artikel 112 der Verfassungsurkunde, in Ver⸗ bindung mit Artikel 26, aus. Ich habe keinen Grund, diese Artikel vorzulesen. Bei den Debatten ähnlicher Art ist ihre Ver. lesung in diesem hohen Hause in gusgiebiger Art eingetreten. Aber es heißt auch in diefem Artikel, es sollen möglichst die konfesstonellen Ver⸗ hältnisse berücksichtigt werden, und der Herr Vorredner wird sich er⸗ innern, daß er mit feinem Amendement, diesem Artikel den Gehalt zu geben, die konfesstonellen Verhälinisse sind grundsätzlich zu berücksich⸗ tigen, bei der damaligen Zweiten Kammer nicht durchgedrungen ist, daß dieser Antrag verworfen wurde, und das „möglichst“ stehen hlieb. Run, meine Herren, man ist sich bei Erlaß der Verfassungzurkunde — und das spricht wohl für meine Berechtigung, den Art. 1I2 hier ganz besonders in Anspruch zu nehmen — völlig bewußt gewesen, daß dieses „möglichst!' durch das Unterrichtsgesetz erst ordentlich definirt weiden sollte, um zu wissen, was sein wahrer und voller Inhalt sei. Es ist der damalige Minister der geistlichen Angelegenheiten Herr von Ladenberg, wie er ausgeführt hat, ja ein Anhänger des Gedankens ge— wesen, daß in diesem künftigen Unterrichtsgesetz vom Standpunkte der Konfessionalität der Schulen ausgegangen werden solle; er ist aber auch prinzipaliter der Meinung gewesen, daß eben wegen der Unbe⸗ stimmtheit jenes Ausdrucks es an sich besser sei, diesen Satz nicht in die Verfassung aufzunehmen, sondern ihm die nothwendige Gestaltung im Spezialgesetz zu geben, und er hat eben nur um deswillen, weil in diesem hohen Hause oder der damaligen Eisten Kammer ein solcher Antrag angenommen war, das in der Zweiten Kammer befürwortet. Wie sich aber Herr von Ladenberg über die Be⸗ deutung des „möglichst“ ausgelassen hat, das, meine Herren, wollen Sie aus folgendem kurzen Satz sich in Erinnerung bringen lassen. In der 53. Sitzung der Ersten Kammer vom Jahre 1849 äußerte er:
Das „möglichst“ enthält zwei Beschräaͤnkungen, nämlich die eine: ‚soweit es die Rechte des Staates und die Ansprüche gestat⸗ ten, welche er an die Konfessionsschule zu machen hat, wenn sie an
die Stelle der öffentlichen treten soll', und die andere: „soweit es nach den Zahlenverhälznissen ausführbar ist“, .
Er drückt alse damit aus; andere wichtige Interessen müssen erst versorgt sein, ehe eine solche Einrichtung der kenfessionellen Schulen durchgeführt werden kann, und zweitens müssen die that— saͤchlichen Verhältnisse berücksichtigt werden, und ich möchte in letzterer Beziehung doch der Meinung sein, daß noch manche andere thatsãch· lichen Verhältnisse als gerade die Zahl der Schüler einen zwingenden Einfluß auf die Entscheidung dieser Frage äußern dürften, was aber das Andere betrifft, so bin ich grundsaͤtzlich mit ihm durchaus einver- standen: es müfsen die Interessen des Staates vor Allem sicher gestellt sein in ihrer aligemeinen Beziehung und in der Rich— tung, die sich geltend macht in der Unterrichtsverwaltung mit ihren Forderungen an das Schulwesen. Und nun, meine Herren, werden Sie mir doch zugeben, daß über diese beiden Punkte die mannigfachsten Anschauungen hestehen können, ohne daß man sagen kann — wenn ein Satz nur so allgemein gefaßt ist —, daß die eine oder andere falsch oder absolut richtig wäre. Um zu wissen, wie weit die Anforderungen des Staates vom allgemeinen und vom pädagogischen Standpunkte gehen könnten, bedarf es spezieller Gefetze, sonst entscheidet bei aller Festhaltung des Prinzips — und das ist der Punkt des Art. 24 wo ich entgegenkommen kann — immer nur das gewissenhafte Ermessen des jeweiligen Kultus-Ministers, und, meine Herren, daß nach den in den letzten 25 bis 30 Jahren gemachten Erfahrungen der jetzige Kultus ⸗Minister etwas andere Anschauungen über die sicherzustellenden Interessen des Staates in dieser Frage hat, ja haben muß, als Herr von Ladenberg, das, meine Herren, denke ich, ist doch klar, wir müßten sonst die Erfahrungen der letzten 5 Jahre beispielsweise einfach von unseren Augen wezweisen.
Das Gesetz, daß vor der Verfassungsurkunde bestand, und das im Art. 112 der Verfassungsurkunde gewahrt ist, das ist dasjenige, welches darüber entscheidet, ob die Ünterrichtsverwaltung das Recht
at, in der von mir bezeichneten Auslegung des Gedankens des rt. 24 — wenn ich nämlich zugebe, daß man darauf Rücksicht nimmt, — derartige Verbindungen der Schule eintreten zu lassen, und wenn Sie die Gesetze prüfen, so werden Sie nirgend sinden, daß eine solche Verbindung der Schule verboten sei, im Gegen theil, Sie werden Andeutungen finden bestimmtester Art, die dahin gehen,. daß solche Verbindung statthaben, ein solches paritätisches Schulwesen existiren kann. Fast schien mir das zugegeben worden zu sein in Bezug auf die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechis; aber es ist doch vielleicht nützlich, die beiden Paragra— phen, die sich über diesen Punkt verhalten, vollständig vorzulesen. Der XII. Titel 2. Theil des Allgemeinen Landeechts sagt:
§ 29. „Wo keine Stiftungen für die gemeinen Schulen vor ⸗ handen sind, liegt die Unterhaltung der Lehrer den sämmtlichen Hausvätern jedes Orts, ohne Unterschied, ob ste Kinder haben oder nicht, und ohne Unterschied des Glauhensbekenntnisses ob.“
30. Sind jedoch für die Einwohner verschiedener Glaubenzbekenntnisse an Einem Orte mehrere gemeine Schulen errichtet, so ist jeder Einwohner nur zur Unterhaltung des Schul- lehrers von seinr Rlligionspartei beizutragen verbunden.“
Die Gesetzgebung am Rhein spricht lediglich den kommunalen Charakter der Schulen aus und befaßt sich mit diesem unkt Har nicht. — Es ist in der Schulordnung für Preußen vom Jahre 1845 keine Andeutung enthalten, die darauf ausgelegt werden könnte, daß eine solche Verbindung unzulässig sei, und doch wäre ein sehr hervorragender Grund vorhanden gewesen, gerade in dieser Schulordnung, wenn man eben solches gewollt hätte, darüber zu sprechen, denn die Stände der Provinz Preußen hatten sich im Jahre 1858 an dez Königs Ma⸗ jeftät gewendet mit der Bitte, die Anordnungen der Unterrichtsver ⸗ waltung gegen die Simultanschulen aufzuheben. Auf diesen Lande tagsatschied komme ich in einer anderen Richtung noch zuruck Es ist das Schalreglement von Schlesien — ich meine das vom 18. Mai 1801 für die niederen katholischen Schulen — auch in Betracht zu nehmen, und dort heißt es in Nr. :
„In solchen gemischten Doͤrfern ertheilt der Schullehrer allen Kin dern . Unterschied der Religion, den Unterricht im Lesen, Schreiben, und allen solchen Kenntnissen, die nicht zur Religion gehören. Zu Lesebüchern sollen solche gewählt werden, die nichts von den Unter scheidungs lehren einer oder der anderen Religion enthalten. Des gleichen muͤssen sich alle Kinder zu dem gemeinschaftlichen Gebete oder Gesange bei dem Anfange oder Ende der Schule vereinigen, wie solches hergebracht ist, doch muß dieses Gebet oder Gesang nichts Einseitiges einer Religionspartei enthalten. In der Religion ertheilt der Schullehrer, aber nur den Kindern seines Glaubens, Unterricht.“ .
Die Gesetzgebung der im Jahre 1866 mit Preußen vereinigten Landestheile laffe ich außer Spiel, die Frage hat dort entweder eine vollstaͤndige gesetzliche Erledigung gefunden oder — soweit ich 26. erinnere — noch keinerlei praͤktische Bedeutung, ich habe also au getroffene Entscheidungen hier nicht zu vertreten. Nun, meine Herren, ist auch der Juden gedacht worden. Es wäre unrecht von mir wenn ich Ihnen eine Reihe Paragraphen des Gesetzes vom 23. Jull 1847 Über die Rechtsverhältnifse der Juden vorlesen wollte, ich be⸗
g Preußischen Staats⸗Anzeiger.
ö 18268.
zeichne ste aber als die Paragraphen von 60 =69 und stelle die Be⸗ hauptung auf, daß dort die Errichtung einer jüdischen Gemeindeschule als eine reine Ausnahme hingestellt wird, die nur unter ganz beson⸗ deren Verhältnissen eintreten soll; die Regel aber ist, daß alle Schüler miteinander vereinigt sein sollen. ö 1
Ich möchte nicht, wie aus einer solchen Gesetzgebung sich irgend wie eiue Linie für das Verhalten der Unterrichtsverwaltusg herleiten ließe, die eben die Vereinigung der Schulen, welche die Frage J. be— zeichnet, gesetzlich unstatthaft erscheinen ließe. Es ist vielmehr aus drücklich in der Regierungsinstruktion von 1817, den Regierungen unter den weiten Rechten, die ihr in Bezug auf das Elementarschul⸗
wesen vorbehalten worden, ausdrücklich die Befugniß gewährt worden,
„Schulsozietäten einzurichten und zu vertheilen, wo die Ortschaften es wünschen oder lokale Umstände es nothwendig machen“, eine Anwendung dieses Satzes ist in Bezug auf die Einziehung bestehender jüdischer Schulen der Provinz Posen in jenem von mir vorhin erwähnten Gesetz im 8. 69 ausdrücklich gemacht worden und die Berathungen über das sogenannte Kompetenzgesetz werden es ebenfalls nicht zweifelhaft erscheinen lafsen, daß diese gesetzliche Be⸗ stimmung noch in voller Wirksamkeit ist.
Man hat aber noch auf gewisse, in früheren Zeiten der Unter richtsverwaltung gegebene Normen hingewiesen, nicht heute, indessen die Frage ist ja eine vielfach ventilirte, und hat, wie ich allerdings meine, auf der Basis einer sehr ungerechtfertigten Agitation in einer unserer Provinzen ein k Aufsehen erregt und darum muß ich auch an ier nicht erwähnte Argumente anknüpfen, welche für die Auffassung des Herrn Vorredners und gleichzeitig gegen ein solches Vorgehen der Regierung geltend gemacht werden. Das sind Allerhöchste Aussprüche aus den Jahren 1822, 1829 und 1838, die sich aus meinen Akten in ähn— lichem Sinne noch vermehren lassen würden; es wird aber genügen, an diejenigen anzuknüpfen, welche in weitester Art zur öffentlichen Kenntniß gekommen sind. Da ist dann zunächst ein Reskript des da⸗ maligen Ministers von Altenstein vom Jahre 1822, welches der Allerhöchsten Ordre vom 4. Oktober 1821 erwähnt, die allerdings ausspricht, daß der Regel nach Konfesstonsschulen sein sollten, und nur sagt: „Ausnahmen finden statt, wenn die offenbare Noth dazu drängt, oder wenn die Vereinigung das Werk freier Entschließung der von ihren Seelsorgern berathenen Gemeinden ist und von der höheren weltlichen und geistlichen Behörde genehmigt wird“; in der Aller⸗ höchsten Kabinetsordre vom 253. März 1829 ferner ist gesagt, — es kann aber kein Bedenken finden, die Vereinigung zu befördern, wenn der Mangel an hinreichenden Fonds die zweckmäßige Einrichtung von Konfessionsschulen hindert, und die Gemeindeglieder beider Konfesstonen uber die Organisation einer Simultanschule einverstanden sind ; und in dem vorhin erwähnten Landtagsabschiede vom 28. Oktober 1838 heißt es: „— sowie denn auch die Bildung neuer Simultanschulen und die Vereinigung vorhandener Konfessions⸗ schulen da gestattet werden soll, wo die Einrichtung von Simultanschulen entweder durch Mangel an zureichenden Mitteln für abtzesonderte Konfessionsschulen geboten, oder das Werk freier Ent⸗ schließung der von ihren Seelsorgern berathenen Gemeinden ist und der Genehmigung sonst kein Bedenken entgegensteht.
Es ift nicht uncharakteristisch, daß der Inhalt diejer Allerhöchsten Erliasse in Bezug auf die zu geftattenden Ausnahmen kein gleichmäßt= ger ist, sondern daß eben die khatsächliche Entwickelung der Dinge und ein näheres Betrachten der thatsächlichen Verhältnisse zu verschiedenen Gesichtẽpunkten geführt hat. Während nämlich in der Ordre vom Jahre I821 eine Ausnahme nur dann vorhanden sein sollte, wenn die offen⸗ bare Noth dazu dränge, heißt es in der Ocdre von 1829 schon, wenn der Mangel an hinreichenden Fonds die zweckmäßige Einrichtung hindert“, und während die letzte Ordre von 1829 ausdrückt, daß da— neben die Gemeindemitalieder beider Konfesstonen über die Organi⸗ sation einer Simultanschule und deren Nothwendigkeit einverstanden sein sollten, so wird dieses Einverständniß nur als eine der Alternativen hingestellt, bei deren Zutreffen die Einführung von Simultanschulen zulässig sein soll im Landtagsabschiede vom Jahre 1838, und als die andere Alternative auch ohne Einverständniß der Gemeinden ganz einfach der Mangel an zureichenden Mitteln für gesonderte Konfessionsschulen für ausreichend erachtet, um derartige paritätische Anstalten zu gründen. Sie sehen aus dieser Verschiedenheit, daß in der vorliegenden Frage den konkreten Verhältnissen nach zwei Richtungen hin Rechnung getragen werden soh, nämlich wenn für eine zweckmäßige Schuleinrichtung über die heute noch die Unterrichtsverwaltung zu entscheiden hat, an höchster Stelle, die Mäütel nicht vorhanden sind und zweitens, wenn die betheiligten Schul⸗ gemeinden mit einander einverstanden sind. Und genau so verfährt jetzt die Unterrichts verwaltung da, wo es sogenannte Schulgemeinden giebt. Alle e. Erlasse und Ordres beziehen sich aber in ihrer Entscheidung auf die Fälle der Kommunalschulen gar nicht. Wehl aber können Sie sagen, wenn diese Ordren die Regel der Konfessionsschule begründen nament- lich auf den Satz, daß aus Simultanschulen Schaden erwachse, so darf eine analoge Anwendung auch gemacht werden für die Fälle der Kommunalschulen. Das bestreitet N⸗iemand. So gut aber, wie nach der einen Seite eine analoge Anwendung zu machen ist, so muß sie auch nach der anderen Seite gemacht werden, und das ist die: wenn die Pflichtigen es wollen und wenn sonst keine Bedenken ent⸗ gegenstehen, darf ihnen in . Beziehung keine Schwierigkeiten gemacht werden; in jenem Falle sind die Schulgemeinden die Pflichtigen, in diesem Falle sind es die Kommunen, vertreten durch ihre Organe. Ebenso ist ausgesprochen, daß eine entschiedene Rück= sicht genommen werden soll auf die finanziellen Verhältnisse; es ist darum keine unbillige Etwägung, daß, wenn die Kommunen hei ihren Vorschlägen, die ihren gewiß nicht allzu leicht belasteten Finanzen dienen und gleichzeitig den Interessen der Unterrichts verwaltung ent- sprechen, wenn ste bei solchen Vorschlägen nicht einen Widerstand finden, sondern eine Genehmigung Seitens der Staatsregierung.
Damit glaube ich die erste Frage zur Genüge beantwortet zu haben. Die Antwort auf die zweite Frage darf und wird wohl etwas . sein. Allerdings kann ich nicht leugnen, daß ich, als ich diese
rage: ; ‚Entgehen der Schulverwaltung die schwerwiegenden Bedenken,
welche ein solches Verfahren selbst in väͤdagogischer, didaktischer
und politischer Rücksicht hat“ . . zuerst las, eigentlich — verzeihen Sie — sie etwas wunderlich fand. Denn, meine Herren, die vorliegende Angelegenheit ist ja eine solche, die nicht blogs unter Fachverständigen, sondern in allen Kreisen, die überhaupt nur etwas Interesse und Wür—⸗ digung für unser öffentliches Leben überhaupt haben, eine seit alter Zeit ventilirte ist. Herr von Ladenberg bezeichnet ie in seinen Aeußerungen bei Berathung der Verfassungsurkunde als eine seit langen Fahren aufgeworfene, über welche die Techniker ver⸗= schieden dächten. Seitdem f sie , viel fach wieder 3 genommen worden und in neuester Zeit vergehen nicht gerade viele Tage, wo mir nicht eine diese . betreffende Petition vorgelegt wird. Und nun denken Sie sich des Weiteren hinzu, 4. berathen wird der Minister, der eine solche Anordnung trifft; von seinen sach- verständigen und technischen Räthen, und daß es sich um eine Frage haudelt, in welcher er einen Weg verläßt, den sein Amtgvorgäͤnger mit Konsequenz gegangen ist und er sollte keine Notiz von den in dieser Beziehung vorgebrachten Bedenken genommen haben! In af Sinne wäre die Frage wohl in der That mindesteng eine wunderliche zu nennen. . glaube aber doch, daß das Eigentliche in der Frage das Wort schwerwiegend“ ist, und wenn ich dies Wort
nun mit selbständiger Videutung versehe, so finde ich in der Frage