Nichtamtliches.
Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 2. Dezember. Se. . der Kaiser und König sind, laut Meldung des , am Sonnabend Nachmittag um 4 Uhr von Wiesbaden nach Karlsruhe abgereist. Allerhöchstdieselben wurden auf dem ganzen Wege, vom Schlosse bis zum Bahnhofe, von der Be⸗ völkerung mit den freudigsten Hochrufen begrüßt. Auf dem Bahnhofe verabschiedeten sich von Sr. Majestät die in Wies⸗ baden anwesenden fürstlichen Personen, sowie die Spitzen der
Behörden und das Offiziercorps. 3 Nachmittags um 5 Uhr 10 Minuten trafen Se. Majestät
in Frankfurt a. M. ein und wurden auf dem Bahnhofe da⸗ selbst von dem Polizei⸗Präsidenten, dem Ober⸗Bürgermeister und der Generalität empfangen. Nach einem Aufenthalte von 10 Minuten setzten Se. Majestät die Reise nach Karls— ruhe fort.
— Ihre Majestät die Kaiserin⸗Königin reiste vorgestern von Coblenz nach Stuttgart, wo Allerhöchstdieselbe von Sr. Majestät dem Könige von Württemberg, den Mit— gliedern der Königlichen Familie und den Militär⸗, Staats— und Hofbehörden empfangen wurde. Ihre Majestät die Kai⸗ serin⸗Königin stattete Ihrer Majestät der Königin Olga Ihren dern ab und besuchte dann die Mitglieder der Königlichen
amilie.
Nach dem Diner im Königlichen Residenzschlosse verab⸗ schiedete Sich Ihre Majestät die Kaiserin⸗Königin und wurde von Sr. Majestät dem Könige nach dem Bahnhofe geleitet.
Abends traf Ihre Majestät mit Sr. Majestät dem Kaiser und König bei der Ankunft in Karlsruhe zusam⸗ men, wo Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin von Baden die Kaiserlichen Eltern empfingen.
estern Vormittag fand, dem Programm gemäß, in der Schloßkirche zu Karlsruhe, nach erfolgter Prüfung und abge— legtem Glaubensbekenntniß, die feierliche Einsegnung Ihrer Großherzoglichen Hoheit der Prinzessin Victoria von Baden statt. Der Prälat Doll verrichtete die heilige Handlung in An— wesenheit der Kaiserlichen Majestäten, der Großherzoglichen ö sämmtlicher Behörden und einer großen Versamm⸗ ung.
Heute findet in der Schloßkirche die Feier des heiligen Abendmahls statt.
— Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Kronprinzessin empfing am Sonnabend Nachmittag die Ober⸗Hofmeisterin Gräfin von Perponcher, sowie die Gemahlinen des Ministers des Innern Grafen zu Eulenburg, des Handels— Ministers Maybach und des Finanz-Ministers Hobrecht.
Abends besuchten Ihre Kaiferlichen und König— lichen Hoheiten die Kronprinzlichen Herrschaften die Aufführung der Hochschule für Musik im Saale der Sing—⸗ Akademie.
Se. Kaiserliche Hoheit der Kronprinz empfing am Sonntag Mittag den bayerischen General-⸗Major von Fries, sowie den bayerischen Militärbevollmächtigten und Bevollmäch⸗ tigten zum Bundesrath, Obersten Ritter von Tylander, und nahm hierauf den Vortrag des Staats⸗Ministers Grafen zu Eulenburg entgegen. ;
Abends nach 6 Uhr besichtigten die Höchsten Herrschaften den neuen Saal und die neuen Einrichtungen im Haupt⸗ Telegraphen⸗Amte, sowie demnächst im Haupt⸗Postamte in der Königstraße die durch elektrisches Licht erleuchtete Packet— annahme Halle und zuletzt die Geldannahme⸗Halle.
Heute Vormittag nahm Se. Kaiserliche Hoheit der Kron—
rinz militärische Meldungen und den Vortrag des Civil⸗ abinets entgegen.
— Am Sonntag nach der Rückkehr Sr. Majestät des Kaisers und Königs wird ein allgemeiner feierlicher Dankgottesdienst in sämmtlichen Kirchen des Aufsichts— kreises des evangelischen Ober⸗Kirchenraths abgehalten werden.
— In der heutigen ( Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher am Ministertische der Vice Präsident des Staatsministeriums, Graf zu Stollberg, der Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten Dr. Friedenthal, der Finanz- Minister Hobrecht, der Minister für Handel 2c. Maybach und mehrere Regierungs⸗-Kommissarien k trat das Haus nach der Mittheilung des Präsidenten, daß ein Gesetzentwurf, betr. den Ankauf der Homburger Eisenbahn eingegangen sei, in die erste Berakhung des Gesetz— entwurfs, betr.; die Bildung von Wasser⸗
enossenschaften. Der Abg. Biesenbach erklärte sich hen jg gegen das Prinzip des Gesetzes, welches für die Genossenschaften die unbedingte Solidarhaft konstituire. Dieses Prinzip sei überhaupt * alle Genossenschaften ver⸗ derblich, deren Betrieb nicht unter unbedingter Staatskontrolle stehe. Der Genossenschafter übernehme die Solidarhaft für die Geschäftsführung einer Verwaltung, auf welche er fast gar keinen Einfluß Üben könne. Wenn dieses Prinzip nicht aus dem Gesetze entfernt werde, müsse er und seine Partei gegen das Gesetz stimmen. Der Abg. Dr. Schellwitz bemerkte, er begrüße die Vorlage als einen weiteren Schritt in der Entwickelung unseres Wasser— rechts mit Freuden, glaube aber doch, daß eine kommissarische Berathung erhebliche . in den Spezialbestim⸗ mungen des Entwurf herbeiführen werde. Der Abg. Wisselinck trat hauptsächlich den Ausführungen des Abg. Biesenbach entgegen, daß die Solidarhaft den freien Genossenschaften zum Verderben ereichen müsse, während der Abg. Frhr. von Schorlemer⸗Alst den
tandpunkt des Abg. Biesenbach theilte und außerdem noch mancherlei Aenderungen in den Einzelbestimmungen des Ge— setzes dem Erwägen der Kommission anheimgab. Sowie die übrigen Redner begrüße auch er diese Abschlagszahlung auf die Kodifikation des gesammten Wasserrechts mit Freuden, ob— leich er die Ueberhäufung des Hauses auch in dieser
ession mit den wichtigsten Vorlagen beklage. Der Abg. Parrisius sprach die Meinung aus, baß der Abg. Biesenbach seine absprechenden Urtheile über die Genossenschaften nur mit seinen Erfahrungen in Düssel⸗ dorf begründe. Diese seien aber doch nicht maßgebend. Die fallirte dortige Genossenschaft habe den von allen anderen Ge— nossenschaften aufgestellten Grundsätzen entgegen gehandelt und K 6 alle Warnungen unbeachtet gelassen. Die von dem Abg. Biesenbach aus diesen Thatsachen gezogenen Schlüsse seien also in ihrer Allgemeinheit nicht richtig.
Der Minister für die landwirthschaftlichen Ange—⸗ legenheiten Dr. Friedenthal wies darauf hin, daß
er mit dieser Vorlage einem bei Berathung des Wald⸗ e e ere. gegebenen Versprechen nachkomme, freien Genossen⸗ aften in gewissem Maße das Recht der juristischen Persön⸗ lichkeit zu verleihen. Qb davon praktisch werde Ge⸗ brauch gemacht werden, könne er jetzt nicht entscheiden, obwohl er zugeben müsse, daß unsere Hyyothekengesetz ebung große Schwierigkeiten in dieser Hinsicht biete. ie Regierung sei gern bereit, wenn man außer der Solidarhaft genügende Garantien für die juristische . finden könne, auf dieselbe zu verzichten. Um jeden chaden für den Kredit der Genossenschafter abzuwehren, sei der Gesetzentwurf, betr. die Landeskultur⸗Rentenbanken he⸗ stimmt. Er hätte gewünscht, daß die Regelung dieser Materie nicht von der des allgemeinen Ha ere, getrennt erfolge, aber die hervorgetretenen Schwierigkeiten schon bei den allge⸗ meinen Prinzipien hätten dies erforderlich gemacht. Die große Frage, wem das Wasser gehöre, müsse im Zusammenhang mit unserer ganzen Cipilgesetzgebung und dürfe nicht bei Gelegen⸗ heit eines Polizeigesetzes zur Entscheidung gebracht werden. Der Abg. Dr. Miquel erkannte die , dieser Vorlage, dem kleinen und mittleren Grundbesitz, namentlich in den westlichen Pro⸗ vinzen, durch die Bildung von Genossenschaften zu Hülfe zu kommen, als eine heilsame an. Dagegen glaubte er, daß hier die Solidarhaft nicht erforderlich sei und die Bildung dieser Genossenschaften sehr hindern werde. Man könne vielleicht eine Bestimmung treffen, daß der Gläubiger nicht blos angewiesen sein solle auf das Vermögen der Genossenschaft, welches oft z. B. bei Entwässerungsanlagen - werthlos sei, sondern er solle befugt sein, bis zur Deckung der Schuld nach Maßgabe der Beitrags⸗ pflicht Umlagen auf die Genossenschafter ausschreiben zu lassen. Diesen Ausführungen gegenüber wies der Staats-Minister Dr. Friedenthal 2 hin, daß der Staat, wenn er künstlich juristische Persbnlichkeiten schaffe, auch die nöthi⸗ gen Garantien gewähren müsse, damit mit dieser Organisation kein Mißbrauch geschehe. Nach einigen Bemer— kungen des Abg. Biesenbach wurde die Vorlage an eine Kom⸗ mission von 21 Mitgliedern verwiesen.
Darauf trat das Haus in die erste Berathung des Ge⸗ setzentwurfs, betreffend die Errichtung von Landes⸗ kultur-Rentenban ken. Der Abg. Wisselinck beantragte, die Vorlage an dieselbe Kommission, welcher die eben berathene Vorlage überwiesen worden ist, zu überweisen. Beim Schlusse des Blattes hatte der Abg. von Ludwig das Wort.
— Wir haben in unserer Nr. 146 vom 24. Juni er. ein Verzeichniß derjenigen 45 deutschen Eisenbahnen veröffentlicht, welche den „Reichs-⸗Anzeiger“ als Publikation sorgan für Tarifveränderung en benutzen, wobei wir den Wunsch aussprachen, daß auch die übrigen Bahnverwaltungen — um dem Uebelstande der Zersplitterung in der Publikation der Tarifveränderungen abzuhelfen — sich dazu entschließen möchten, die sie betreffenden Tarifveränderungen im ie Anzeiger zu publiziren. Indem wir uns freuen, konstatiren zu können, daß zu den damals aufgeführten Bahnen in neuerer Zeit die Mecklenburgischen n . Franz⸗Eisenbahnen und die Sächsisch⸗Thüringishe Ostwestbahn (3wickau⸗Weida) i i , sind, machen vir wiederholt darauf aufmerk⸗ sam, daß für die Insertion F siiverä nderungen im „Reicht⸗ Anzeiger“ ein Rabatt von 3]! bewilligt wird; ebenso er⸗ folgt die Veröffentlichung der qu. Bekanntmachungen nach wie vor in der Handelsregisterbeilage, welche auch ohne den „Reichs—⸗ Anzeiger“ zu dem billigen Abonnementspreise von 1,50 M vierteljährlich (Central⸗Handelsregister für das Deutsche Reich) durch die Post bezogen werden kann.
Der Kaiserliche Vizekonsul Rosset in Chartum (Egyp— ten) ist gestorben.
Baden. Baden-Baden, 1. Dezember. (W. T. B.) Der Fürst Gortschakoff hat heute nach einem dreimonat— lichen Aufenthalte Baden⸗Bnden wieder verlassen. Derselbe reiste nach Stuttgart, um sich von da aus nach einem etwa dreitägigen Aufenthalte nach Berlin zu begeben.
Württemberg. Stustgart, 30. November. (W. T. B.) Ihre Majestät die Kaiserin ist heute Nachmittag von Coblenz hier eingetroffen. Ihre Majestät wurde auf dem Bahnhofe von dem Könige . und fuhr sodann, von der Be— völkerung auf das Herzliche begrüßt, nach dem Schlosse. Heute Abend begiebt Sich Ihre Majestät iach Karlsruhe.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 1. Dezember. (W. T. B.) Die „Montagsrevue“ erfährt, die österreichischen Dele— girten für die Berliner Verhindlungen über den deutsch— sterreichischen Hanvelssertrag würden folgende Forderung en stellen: Ausechterhaltung des Rohleinen⸗ verkehrs für Märkte und Bleichreien, namentliche Bezeichnung der Märkte und Aufrechterhaltzng des Zollkartels. Dagegen würden die österreichischen Verteter hinsichtlich des Appretur⸗ verkehrs Zugeständnisse mache
Pest, 30. November. G. T. B.) In der heutigen Sitzung des Finanzauschusses der Reichsraths⸗ delegation hielt Graf Andassy eine längere Rede, in welcher er nach einer Erörterung der ganz exzeptionellen Lage des österreichisch-ungarischen sinisters der auswärtigen An— gelegenheiten in Betreff der Arstellung seiner Politik zunächst konstatirte, daß die Vorwürfe welche der Regierung vor und nach dem Kongresse gemacht prden seien, von verschiedener Natur seien. Während vor dem Kongresse die Regierung beschuldigt worden sei, den Itpunkt für die Wahrung des Ansehens und der Interessei der Mongrchie zu versäumen, heiß⸗ es jetzt, Hesterreich hse seinen Einfluß in verkehrter
ichtung ausgeübt. Die Antige gegen die Regierung kon⸗ zentrire sich in der Hauptsche auf die Annahme des Okku⸗ pationsmandats. Hierbei sei as politische Moment und die Geldfrage zu erwägen. Jedemnparteiische müsse konstatiren, daß die Monarchie, ohne an inem opferreichen Kriege Theit zu nehmen, an An ehen geonnen habe, und daß sie zur theilweisen Entfaltung ihrer Behrkraft nur nach dem Kriege und nur behufs einer klar imschriebenen Aufgabe, nämlich der Okkupation Bosniens us der Herzegowina, ezwungen gewesen sei. Er, Graf Andsssy, wolle die . daß 6 einem Kriege, welcher . zu Ungunsten Oe terreich⸗Ungarns zu verschien gedroht habe, neue Proyinzen in den immediaten Machtber der Monarchie gezogen worden seien, nicht als Beweis fü die Richtigkeit der Politik der Regierung anführen. Die Konarchie bedürfe keiner terri⸗ torialen Vergrößerung, sie besrfe einer intensiven Entwicklung, nicht einer 5 Ausdelung. Weil dies ihre Aufgabe sei, sei ihr Bestand und ihrräftigung als europäische Noth⸗
e,, . anerkannt worden und i. die Ausführung ihrer natürlichen Missson den europäischen Mächten nicht Niß⸗ trauen, sondern Vertrauen ein. Er könne dem Urtheile der Delegationen entgegensehen mit dem ruhigen Bewußtsein Alles vermieden zu haben, was zu vermeiden gewesen sei, und
ein begründetes Urtheil über die Politik der Regierung zu fällen, sei es ö klar zu stellen, ob die Annahme richtig sei, daß die Offupation das Ziel der
wesen sei, ob es möglich zuweichen, ohne die vitalen ben und ob, wenn die Okkupation unabweitslich gewesen sei sie nicht unter günstigeren Verhältnissen früher oder späte hätte erfolgen können. daß die Regierung die Okkupation habe unvermeidlich machen wollen, erörtert Graf Andrassy die Stellung, welche die Re⸗ gierung in den Hauptphasen des orientalischen Konflikts ein— genommen habe. Gelegentlich der Kollision zwischen Monte— negro und der Türkei bei Kolaschin und Podgoritza habe die Regierung mit Erfolg auf eine Versöhnung hingearbeitet. Als später die Bewegung in der Herzegowina ausgebrochen sei, habe die Regierung jede Einmischung zu vermeiden e⸗ sucht. Als dies nicht mehr möglich . sei und die 3 gierung auch ihren Einfluß geltend machen mußte, sei sie bestrebt gewesen, einen europäischen Konflikt wegen der Lostrennung Bosniens und der Herzegowina von der Türkei
ewesen sei, der Okkupation aug—
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welche als der einzige mögliche Versuch habe gelten können diese Provinzen der Pforte zu erhalten. Die Regierung habe eine Reformnote vorgeschlagen, Europa habe dieselbe der Pforte vorgelegt, welche sie im Prinzip angenommen habe. Die Regierung habe alles Mögliche gethan, um die Insur⸗ genten zur Annahme der Bedingungen der Pforte zu bewegen, habe sie aber nicht dazu zwingen können. Die Haltung der Regierung gegenüber der Mission des General Sumarakoff sei bekannt. Rußland habe Oesterreich⸗Ungarn vorgeschlagen, behufs Garantie für die Durchführung der Reformen Bosnien zu besetzen, ahbe Rußland Bulgarien besetzen würde. Tro der freundschaftlichen Beziehungen zu dem Nachbarreiche sei Tieser Vorschlag abgelehnt worden. Bezüglich der Stellung Oesterreich⸗Ungarns gegenüber der Konstantinopeler Konferenz verwies Graf Andrassy auf das vorjährige Rothbuch und fügte hinzu, er habe nie ein Geheimniß daraus gemacht, daß er bie Anträge der Konferenz immer als zu weitgehend erachtet habe. Die i er eichischen Bevollmächtigten hätten sich den gefaßten Beschlüssen nur deshalb anzuschließen gehabt, um nicht die Pforte zum Widerstande zu ermuthigen. Hieraus sei das Londoner Protokoll gefolgt. Nachdem auch die Einstimmigkeit der Mächte kein Resultat ergeben habe, habe Oesterreich⸗ Ungarn mit Erfolg die Ansicht vertreten, daß man von der Pforte blos die Aus— führung jener Punkte des Programms der Konferenz verlange, die sie selbst zugesagt habe. Als dann die Pforte im Ve griff gewesen sei, das Protokoll ihrerseits abzulehnen, und die russische Kriegserklärung auf dem Wege gewesen, sei die öster⸗ reichischungarische Regierung die letzte gewesen, welche noch einen Versuch zur Erhaltung des Friedens unternommen habe. Graf Andrassy zitirte darauf aus dem Rothbuche die Depesche vom 6. April 187, an Baron Herbert in Konstantinopel und dessen Antwort vom 10. April. Daß der Rath Oesterreichs wohlgemeint und zweckmäßig gewesen, beweise der Ausspruch Midhat Paschas, welcher die Nichtbefolgung dieses Rathes alt den größten Fehler der türkischen Politik bezeichnet habe. Dies sei die Haltung Oesterreich⸗Ungarns vor dem Ausbruche des Krieges gewesen. Oesterreich-Ungarn habe den Krieg ver—⸗ meiden und die Reformen auf das reduziren wollen, was die Türkei hätte friedlich annehmen können. Sie habe die Aus⸗ führung der Reformen der Türkei selbst ohne einen festge⸗ setzten Termin überlassen wollen. Die Regierung konnte so— mit mit ehrlichem Gewissen sagen, daß ihre Politik das Streben nach Landerwerb ausschließe. Der Standpunkt der Regierung war der: so lange Aussicht war, daß die Türkei als legitime Besitzerin der betreffenden Provinzen ihre Auto⸗ rität daselbst in irgend einer Form halten könnte, Alles zu vermeiden, was zu einer nothgedrungenen Okkupation führen könnte, sobald sich aber herausstellen sollte, daß die Türkei nicht mehr in der Lage sei, diese Provinzen zu behaupten; sobald diese Länder auf dem Sprunge standen, ihren Herrn zu wechseln, mußte die Regierung es als Pflicht gegen sich selbst betrachten, die Lösung durch die Okkupation ins Auge zu fassen. Dies erkläre die scheinbaren Widersprüche in den Aeußerungen und dem Vorgehen der Regierung. Be⸗ züglich der zweiten Frage, ob es möglich war, der Okkupation auszuweichen, ohne die vitalen Interessen der Monarchie preis⸗ zugeben, erörterte Graf Andrassy die Lage der Türkei nach dem Frieden von San Stefano und wies nach, daß der Ver—⸗ such, Bosnien und der Herzegowina eine autonome Stellung unter türkischer Herrschaft zu geben, aussichtslos gewesen wäre, daß sich auf dem Kongresse keine Stimme für die Lebensfähig⸗ keit solcher Autonomie erhoben hätte, und daß schließlich der Verlust Dalmatiens nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Eine Macht aber, die eine Seeküste gehabt und verloren hätte, hörte auf eine Macht zu sein. Eine solche Gefahr hätte nur Durch unverhältnißmäßige Opfer beseitigt werden können. Graf Andrassy wies auf den dominirenden Einfluß Monte— gros auf die Bevölkerung der Nachbarprovinzen hin, während von Bosnien und der Herzegowina aus Oesterreich dominire. Ohne Desterreich⸗Ungarns heutige Stellung wäre bie Ruhe seiner Grenzprovinzen von dem Willen kleiner Nachbarstaaten abhängig, und Alles, was es zu Stande gebracht, wäre im Moment einer Kollision dem Machtbereiche dieser Länder verfallen gewesen. Daß sich übrigens das türkische Regime in Bosnien und der Herzegowina nicht auf die Dauer hätte J können, beweise der Zustand, in dem Oesterreich das and gefunden habe. Die , . Folge wäre die For⸗ mirung einer südslavischen Konföderation an der österreichisch⸗ unggrischen Grenze gewesen. Dem gegenüber konnte 9 die Kö nicht auf eine negative Politik beschränken. Jede Politik, die sich gegenüber der Macht der Thatsachen auf eine bloße Negation beschränke, die, statt die Strömungen zu leiten, sie zurückbämmen wolle, ohne ihnen mit einem positiven Pro⸗ ramme zuverzukommen, sei von vornherein verloren. Graf ndrassy beleuchtete eingehend die Folgen, welche die Nicht= annahme des Mandats 5 haben würde. Zunächst hätte die Pöbelherrschaft in Bosnien und Herzegowina die macht— losen Behörden der Pforte verjagt. Die Fanatiker hätten die Christen kerrgrisirt. Mentenegto, und Serbien hätten noth= kö einschreiten, Oesterreich⸗ Ungarn aber einen Theil er Truppen, die jetzt in Vosnien ständen, in den Grenz—
a en gebrauchen müssen. Aber selbst wenn dies nicht geschehen wäre, fo wäre bei der evidenten Unfähigkeit der
Alles erreicht zu haben, was zu erreichen gewesen sei. Um
Regierung ge.
nteressen der Monarchie aufzuge ⸗·
Um die Behauptung zu entkräften,
zu verhindern und mit Hülfe Eurgpas eine Lösung zu finden.
forte, den Berliner Frieden, gegenüber Montenegro und erbien auszuführen, anläßlich irgend eines Ereignisses, wie jenes von Diakowa, die orientalische Krisis in ihrer anzen Ausdehnung wieder ausgebrochen. Oesterreich⸗ ngarn hätte dann, nachdem sich alle ihm feindlichen Elemente in Bosnien 1nd der Herzegowina festgesetzt, ohne Mandat, ohne Herxstellung des Friedens, vielleicht bei Beginn eines europäischen Krieges, das Land denjenigen ent⸗ reißen müssen, die sich dort festgesetzt hätten. Für die zehn⸗ fachen Opfer, die das gekostet hätte, wäre der Minister ver⸗ antwortlich gewesen, der den Muth gehabt hätte, das Mandat auszuschlagen. Die Bewegung wäre dort entstanden, wo sie vor Jahren entstanden, in Bosnien und der Herzegowina. Es wäre einem Minister nicht zu verzeihen gewesen, wenn er die Gefahr von einer Seite nicht vorausgesehen hätte, von wo sie schon einmal eingetreten sei. Graf Andrassy glaubt seine Popularität den Interessen des Staates, nicht aber die Interessen des Staates seiner Popularität geopfert zu haben. Bezüglich der dritten Frage, ob es nicht möglich gewesen wäre, die Okkupation unter politisch günstigeren Modalitäten früher oder später durchzuführen, betonte Graf Andrassy die Ein⸗ stimmigkeit des europäi schen Mandats, welche weder auf Kosten der Aktionsfreiheit Oesterreich Ungarns, noch durch Aufgeben anderer eurowpäischer Interessen erreicht worden sei. Die Haltung Serbiens 1nd Montenegros wäre eine durchaus loyale und korrekte gewesen. Es sei das Verdienst der Politik der Regierung, daß diese Länder in einem freundschaftlichen, Verhältniß zu Oesterreich-Ungarn ihr wahres Interesse er kennen. Die Insurrektion sei in erster Linie nicht gegen Oesterreich Ungarn, sondern gegen die Pforte und überhaupt gegen die Ordnung gerichtet gewesen. Die Okkupation hätte nicht früher ausgeführt werden können, weil sie ohne europäisches Man dat Oesterreich Komplikationen hätte zuziehen können urmd weil die Okkupation dann aus einem Akte, welcher bestirnmt war, bie Türkei innerhalb neuer Grenzen lebensfähig zu machen, das gerade Gegentheil ge⸗ worden wäre, nämlich das Signal zur Zerstörung der Türkei. Die Okkupation hätte nicht später ausgeführt werden können. weil der Widerstand Zeit gewonnen hätte, zu einem wohl⸗ organisirten Kriege anzuwachsen. Auf die finanzielle Frage übergehend, betonte Graf Andrgssn, daß die Regierung ihr Möglichstes geihan habe, um die Lasten nicht allzusehr an⸗ wachsen zu lassen. Graf Andrassy wies auf die Opfer hin, welche selbst kleinere Staaten, wie Serbien, Rumänien und Griechenland gebracht hätten, um bei der Lösung der orienta⸗ lischen Frage mitzuredem. Die Oesterreich⸗ Ungarn treffenden Lasten betrugen nicht die Hälfte der Summe, welche die ein⸗ ache Mobilisirung der Armee gekostet hätte. Wenn die Frage i in die Alternative zu spitze, daß Oesterreich entweder zwei Dinge verlieren mußte, nämlich, den Besitz Dalmatiens und sein Ansehen im Orient, oder eins zu gewinnen hatte, näm⸗ lich eine neue Position im Orient, dann könnten die ge— brachten Opfer zwar noch immer groß erscheinen, aber keines— falls vom Standpunkte des Jahresbudgets beurteilt werden, Graf Andrassy wies, um eine Beurtheilung seiner ganzen amtlichen Wirksamkeit nach dem Ergebniß des Berliner Kongresses zu ermöglichen, auf die isolirte Lage der Monarchie bei seiner Uebernahme der Geschäfte hin und, auf die heutige Stellung derselben, wie sie der Berliner Ver⸗ trag veran schaulicht. Graf Andrassy konstatirte, daß in der Stellung der Monarchie, wie sie auf dem Berliner Kongresse zu Tage getreten sei, das hauptsächlichste Resultat seines Wirkens zu erblicken wäre. Sei dies Resultat schlecht, dann lohne es nicht der Mühe, sich gegen Vorwürfe über irgend ein Detail zu vertheidigem. Graf Andrassy erörterte hierauf eingehend die Aufgaben und Resultate des Berliner Kongresses. Derselbe habe bis jetzt dem europäischen Frieden erhalten und der Türkei die Möglichkeit des Bestandes geboten. Der Kon⸗ greß hahe den österreichischen Interessen volle Rechnung ge⸗— tragen, indem er die Bergrößerung Serbiens und Monte⸗ negros reduzirte, die Zone zwischen beiden beträchtlich erwei⸗ terte, das gewonnene Terrain der Türkei restituirte, Oester⸗ reich Ungarn aber zur Sicherung seiner Kommunikation das Recht einräumte, in diesem Distrikt Straßen anzulegen und Garnisonen zu halten. Sodann zählte Graf Andrassy die weiteren, Oesterreich⸗Ungarn betreffenden Bestimmungen des Kongresses auf und konstatirte, daß sich auf dem Kongresse die größte Einmüthigkeit bei allen Fragen gezeigt habe, welche , In teressen berührten. Durch das Okku⸗ pationsmandat hätten die Mächte nicht allein die Legitimität der österreichischungarischen Interessen im Orient anerkannt, sondern auch durch ihre Beschlüsse klar ausgesprochen, daß ein großes starkes Oesterreich eine europäische Nothwendigkeit sei, und daß diese Monarchie, weil sie nicht aggressive oder expan⸗ sive Politik machen könne und wolle, in der Erfüllung ihrer natürlichen Mission auf die Unterstützung Europas rechnen könne. Eine Grundbeding ung der Ausführung des Vertrages aber sei die Okkupation Boßniens und der Herzegowina ge— wesen, sie sei unausweichlich gewesen für die Erhaltung der Türkei und ebenso nothwen dig, wenn diese Erhaltung aus Grün⸗ den der inneren Schwäche nicht gelingen sollte. Denn in die⸗ sem Falle seien Bosnien und die Herzegowina der defensive unk, dessen Oesterreich bedürfe, um seine politischen und materiellen Interessen zu schützen, ohne sich auf eine Politik der Abenteuer werfen zu miüssen. Die Politik der Regierung sei auch eine gut österreichische, sei die Tradition Eugens von Savoyen, die Tradition der Hunyagey's, nur mit dem Unter⸗ schiede, daß der Weg zur Wahrung der österreichisch ungarischen Interessen auch der einzige sei, welcher der Türkei ermögliche, sich in ihrem jetzigen Bestande zu erhalten. Daß seine (An⸗ drassy's) Politik nicht anders lauten könne, als „Burchführun
des Berliner Vertrages durch Oesterreich- Ungarn und . die anderen Staaten“, sei selbstverständlich. Graf Andraffy zweifelt nicht, daß die Delegation thun werde, was die Wohl⸗ fahrt und die n, . und die Zukunft der Monarchie er⸗ heischen. — Nach einer Pause interpellirte der Deputirte
Giskra den Grafen Andrasfy darüber, wie lange die Okku⸗ pation dauern werde, ob die Annexion beabsichtigt werde und welche Stellung beide Län der zur Monarchie erhalten sollen. Nuß stellte die Frage, warum eine Verständigung mit der
Türkei unterblieben fei. Kuranda interpellirte über die Kon— dention in Betreff Novibazars. — Graf Andrassy wird diese Fragen morgen beantworten.
— Die ungarischen Staatseinnahmen im 3. Quartal 1858 betrugen 59 191141 Fl., die Ausgaben Ü 693 632 Fl.; im Vorjahre stellten sich während desse ben Quartals die Einnahmen uf 56 434 000 Fl, die Ausgaben auf 71 41 900 Fi. .
1. Dezember. (W. T. B;) In der heutigen Sitzung des Budget ausfchusse 8 der Reichsraths⸗-Deiegakion
beantwortete Graf Andrassy die in der gestrigen Sitzung
von dem Deputirten Giskra an ihn gerichtete Inter⸗
pellation bezüglich der Dauer der Okkupation, sowie die Interpellation des Abg. Kuranda, bezüglich der Kon⸗ vention betreffs Novibgzars. Auf die erstere Inter⸗ pellation erklärte Andrassy, die Okkupation werde so lange dauern, bis die von Europa anerkannten Zwecke derselben erreicht, die Gefahren abgewendet und die der Türkei gebrachten Opfer ersetzt seien und bis die Türkei eine Gewähr dafür biete, daß der durch die Okkupation geschaffene Zustand sich unter ihrer Herrschaft nicht verschlechtere. Sollte es zu der Frage wegen der Annexion kommen, so würden die gesetzgebenden Körper in Gemeinschaft mit der Krone über dieselbe entscheiden; diese Frage sei aber nicht an der Tagesordnung. — Die Inter⸗ pellation Kuranda's beantwortete Graf Andrassy dahin, der Abschluß der Konvention sei früher unterblieben, weil die Pforte anfangs mit dem Berliner Vertrage nicht harmonirende Bedingungen stellte. Die heutigen Anschauungen der Pforte seien von den früheren bedeutend verschieden. (Der Minister verliest hierauf die Depeschen, in welchen die Pforte erklärt, sie habe alle erforderlichen Anordnungen getroffen und die Truppen würden als Freunde empfangen werden.) Für die Autonomie Bosniens hätte die Monarchie die Garantie über⸗ nehmen und öfter militärisch einschreiten müssen. Das Okkupationsmandat Oesterreichs sei eine Bestimmung des Ber⸗ liner Vertrages und könnte nur durch einstimmigen Beschluß aller Theile, welche jenen Vertrag geschlossen, verändert werden. Nachdem der Minister schließlich noch auf die handelspolitische Abmachung mit Serbien hingewiesen hatte, ging der Ausschuß auf die Spezialberathung des Budgets des Ministeriums des Auswärtigen ein. Die einzelnen Posten wurden nach den Anträgen der Referenten angenommen. Nur bei den Nach— tragskrediten, insbesondere bezüglich der für die bosnischen Flüchtlinge, entspann sich eine längere Debatte, doch wurde die geforderte Summe in den Etat eingestellt und die Regie⸗ rung zur Vorlage einer Spezialnachweisung aufgefordert.
Großbritannien und Irland. London, 30. No⸗ vember (W. T. B.) Das Auswärtige Amt hat den aus 167 einzelnen Schriftstücken und zwei Anlagen be—⸗ stehenden russisch-englischen Schriftwechsel über Mittelasien veröffentlicht. Derselbe umfaßt alle Schrift⸗ stücke vom 20. Dezember 1873 an bis zum 30. Septem⸗ ber d. J. und beginnt mit der Nachricht über den zwischen Rußland und Chiwa abgeschlossenen Friedensvertrag, an welchen sich ein Bericht des Botschafters Loftus über eine be⸗ zügliche mit dem Reichskanzler Fürsten Gortschakoff gehabte Unterredung anschließt.
Der die russischen Eroberungen in Mittelasien betreffende Theil des Schriftwechsels beginnt 1873, geht bis Ende 1875 und enthält fast durchweg bereits bekannte Schriftstücke. Ein Memorandum Lord Derby's vom 25. August 1875 an den eng⸗ lischen Geschäftsträger in St. Petersburg resumirt den Schrist⸗ wechsel über die Abgrenzung einer neutralen Zone in Mittelasien, und erklärt, die Schaffung einer neutralen Zone mit genauer Absteckung der Grenzen sei die einzige praktische Kombination. Jede der beiden Mächte müsse sich verpflichten, die Oxuslinie nicht zu überschreiten und die Unabhängigkeit von Afghanistan und Bokhara aufrecht zu erhalten; ersteres solle unter briti⸗ schem, letzteres unter russischem Einflusse stehen. Der Adjunkt des russischen Reichskanzlers, Geh. Rath Giers, antwortete unterm 15. Februar 1876, Rußland stimme dem vereinbarten Arrangement in Betreff der Grenze Afghanistans vollständig zu, Afghanistan würde außerhalb der Aktionssphäre Rußlands bleiben. Eine Depesche der indischen Regierung aus dem Monat Oktober 1876 meldet, daß ein russischer Abgesandter mit einem Briefe des Generals Kaufmänn am 4. Sep⸗ tember 1875 in Kabul angekommen sei. Der Brief Kauf— manns bestätige den Empfang zweier Briefe von Seiten des Emirs, in welchem dieser die Ernennung Abdullah Khans zum Thronfolger angezeigt habe, sei sehr freundlich und er⸗ kläre, die Freundschast zwischen Rußland und Afghanistan werde durch die zwischen England und Rußland bestehende Freundschaft bestärkt. Die sehr herzliche Antwort des Emirs vom 19. September 1875 besagt, er werde nichts gegen die zwischen Afghanistan und Rußland bestehende Freundschaft unternehmen. Ein weiterer Brief des Generals Kaufmann vom 27. Oktober 1875 benachrichtigt den Emir aus Freund⸗ schaft von den Eroberungen Rußlands in Khokand. Der eng⸗ lische Agent in Kabul meldet darauf die am 9. Juni 1876 erfolgte Ankunft eines weiteren Abgesandten des Generals Kaufmann mit einem Briefe, in welchem der Hergang der Ereignisse in Khokand dargestellt und ausgesprochen wird, die Annexion Khokands sei nicht im Interesse Rußlands erfolgt, sondern auf die Bitte der Bevölkerung von Khokand und um derselben die Ruhe wiederzugeben. Die indische Regierung empfahl in einem Telegramm vom 16. September 1876 wegen des fortgesetzten Briefwechsels zwischen dem General Kauf⸗ mann und dem Emir, der durch russische Agenten erfolge, von welchen zwei sich in Kabul aufhielten, Rußland Vor— stellungen zu machen. Die indische Regierung bemerkt dabei, der gedachte Schriftwechsel errege in Kabul großes Aufsehen und sei die Veranlassung zu vielen Intriguen, durch welche den guten Beziehungen zwischen der indischen Regierung und dem Emir Eintrag geschehe. Unterm 2. Oktober 1876 beauf⸗ tragte hierauf Lord Derby den Botschafter Loftus, in St. Peters⸗ burg Vorstellungen zu machen, der russischen Regierung . Verpflichtung zur Nichteinmischung in die Verhälknisse Afgha⸗ nistans ins Gedächtniß zurückzurufen und ein Desaveu des Generals Kaufmann zu fordern. Eine Depesche Lord Derby's vom 24. Oktober 1876 besagt, der Botschafter Graf Schuwa⸗ loff habe ihm eine Depesche der russischen Regierung mitge⸗ theilt, in welcher die dem General Kaufmann zugeschriebenen Schritte in Kabul kategorisch dementirt würden. Der Bot⸗ schafter Loftus meldet unterm 19. Oktober 1876, der Ver⸗ treter des Reichskanzlers, Geheimer Rath Giers, erkläre, er wisse nichts davon, daß General Kaufmann einen Agenten nach Kabul gesendet, und daß derselbe einen Brief an den Emir gerichtet habe, er werde vom General Kaufmann In⸗ formationen verlangen. Ein Brief des Generals Kaufmann an den Emir vom 56. Juli 1876 meldet, daß er nach 6monat⸗ licher Abwesenheit in St. Petersburg uh e. nach Taschkent zurückgekehrt sei, und enthält neue Freundschaftsversicherungen. Der Botschafter Loftus berichtete am 17. November i876, der Geheime Rath Giers habe ihm erklärt, daß General Kaufmann nicht die Aufgabe gehabt habe, dem Emir . Mittheilungen zu machen, und daß die Briefe des Generals Kaufmann nur den Charakter eines Höflichkeitsaustausches trügen. Eine Depesche des Generals Kaufmann selbst vom 9. November 1876 legt energische Verwahrung dagegen ein,
daß er einen politischen Schriftwechsel mit dem Emir gehabt habe, die Briefe seien nur höfliche Kommunikationen gewesen und von Seiten des Emirs ihm nach 34 gesandt wor⸗ den. Lord Derby zeigte dem Botschafter Loftus unterm 7. Fe⸗ bruar 1877 den 1 der russischen Erklärungen an, fügte indeß hinzu, er könne Rußlands Ansicht, daß die Briefe des Generals Kaufmann nur ein SHöflichkeitsaustausch gewesen seien, nicht acceptiren, die Abgesandten des Generals Kauf⸗ mann seien in Kabul als Agenten Rußlands empfangen worden. Geheimer Rath Giers erneuerte in einer Depesche vom 5. März 1877 die bisherigen allgemeinen Versicherungen. Unterm 13. Juni 1877 forderte Lord Derby den Botschafter Loftus auf, wegen des Vorrückens russischer Truppen gegen Merw der russischen Regierung Bemerkungen zu machen; England könne dadurch gezwungen werden, seinerseits einen Vormarsch zu unternehmen, Geheimer Rach Giers erklärte in seiner Antwort vom 18. Juli 1877, die Bewegung der russischen Truppen sei nur zum Zweck der Bestrafung der Turkomannen unternommen. Der Botschafter Loftus meldete am 12. Sey⸗ tember 1877, General Kaufmann habe die Instruktion, den Bedingungen eines guten Einvernehmens zwischen England und Rußland strikte zu entsprechen. Am 3. Juli 1878 zeigte der Botschafter Loftus an, er habe den Geheimen Rath Giers ge⸗ fragt, ob von der Regierung oder vom General Kaufmann ein Vertreter Rußlands beauftragt worden sei, nach Kabul zu gehen; Giers habe darauf erwidert, daß weder die Regierung noch General Kaufmann eine Mission nach Kabul gesendet oder zu senden beabsich igt habe. Am 14. August 1873 be⸗ richtete der englische Geschäftsträger in St. Petersburg, Geheimer Rath Giers habe ihm erklärt, es sei kein russischer Gesandter mit einem Briefe des Kaisers nach Kabul gegangen, es sei aber möglich, daß General Kaufmann einen Brief dahin ge⸗ sendet habe. Zugleich habe Giers die formelle Versicherung abgegeben, daß alle militärischen und politischen Vorsichts⸗ maßregeln, die man gegen England ergriffen, als die Be⸗ ziehungen Englands und Rußlands gespannte waren, einge⸗ stellt worden seien.
Am 19. Juli 1878 zeigte Lord Salisbury der russischen Regierung an, der Vizekbnig von Indien, Lord Lytton, habe die Nachricht erhalten, daß in der Nähe der Nordgrenze Afghanistans russische Truppen angekommen seien, und daß der Emir von Afghanistan eine russische Mission unter General Abramoff in Kabul empfangen habe. Gleichzeitig verlangte Lord Salisbury, daß die russische Mission, falls eine solche gesendet worden sei, sofort zurückgezogen werde. Der englische Geschäftsträger in St. Petersburg berichtete am 10. September 1878 an Lord Salisbury, er habe eine Unterredung mit General Melnikow gehabt. Letzterer habe erklärt, das Ministerium des Auswärtigen habe von der Entsendung einer Mission nach Kabul keine Kenntniß gehabt, General Kauf— mann habe dieselbe auf eigene Verantwortlichkeit abgeschickt, das Ministerium . auch gar nicht gewußt, wo die Mission sich befunden habe, und hätte dies erst durch das Kriegs⸗ ministerium erfahren. Er (der Geschäftsträger) habe darauf erwidert, er könne eine solche Erklärung nicht acceptiren, denn selbst wenn General Kaufmann in eigener Verant— wortlichkeit gehandelt habe, sei das Ministerium des Aus⸗ wärtigen dennoch verantwortlich und hätte längst die Mission abberufen können. Eine vom 9. September 1878 aus Livadia datirse Depesche des Geheimen Raths Giers besagt: Die Dis⸗ position der russischen Regierung in der mittelafiatischen Frage hätten nothwendigerweise einen Rückschlag von den politischen Huständen erhalten müssen, in welche Rußland durch England in der jüngsten Krise im Orient versetzt worden sei; aber unter den gegenwärtigen Umständen seien jene Dis⸗ positionen dieselben wie früher und nicht geeignet, England irgend welches Mißtrauen einzuflößen. Die dem General Abramoff mit Unrecht zugeschrie dene Mission habe einen pro⸗ visorischen Charakter, sei ein reiner Höflichkeitsakt und könne die vom Geschäftsträger citirten friedlichen Versicherungen nicht beeinträchtigen. Eine Depesche des englischen auswärti⸗ gen Amts vom 20. September 1878 sagt, Lord Salisbury schließe aus der Note des Geheimen Raths Giers, daß letzterer anerkenne, daß alle früheren Versicherungen der russischen Regierung in Betreff Afghanistans jetzt ihre Gültigkeit wieder erlangt hätten. Der veröffentlichte Schristwechsel schließt mit einer Depesche Lord Salisbury's vom 30. September d. J, worin Lord Salisbury erklärt, daß der russische Geschäfts— träger in London dieselben Erklärungen, wie der Geheime Rath Giers abgegeben, daß derselbe auf eine Anfrage wegen des angeblich vom Kaiser von Rußland an den Emir gerichteten Briefes eine Anfrage an die St. Petersburger Regierung ge⸗ richtet, und daß er später sich zu der Versicherung ermächtigt erklärt habe, es sei nie die Rede davon gewesen, einen solchen Brief an den Emir zu senden.
— 30. November. (W. T. B.) Gladstone hielt in Greenwich eine längere Rede, in welcher er zunächst die persönliche Regierung angriff. Er betonte, daß zwischen der Königin und den Ministern ein Unterschied zu machen sei: die — sei ein Beispiel für ihre Unterthanen, ihre Treue für die Konstitution verdiene höchste Anerkennung. Dagegen warf er den Ministern vor, dem Parlamente nichts über die schon seit mehreren Jahren mit Afghanistan schwebende Frage und über die Misfion nach Kabul übermittelt zu haben. Der Krieg sei erklärt worden, die Invasion habe begonnen, ohne daß vorher das Parlament zusammenberufen worden, das in früherer Zeit stets als der Rathgeber der Nation galt, während es jetzt dem französischen Parlamente vor dem Jahre 1789 gleiche. Gegen das Argument, daß die Regierung von der Majorität des Parlaments unterstützt werde, wende er ein, daß das Par⸗ lament nicht das Recht habe, seinen parlamentarischen Frei⸗ heiten zu entsagen. Er gebe hiermit feierlich kund, daß das englische Volk diese Prinzipien der Freiheit, die es bisher so glücklich gemacht, nicht aufgegeben habe. Bezüglich der orien⸗ talischen Frage suchte Gladstone nachzuweisen, daß die Konservativen in gewissem Sinne die e gentlichen Freunde Rußlands seien. Durch ihre Politik hätten sie die Donau an Rußland wiedergegeben und ihm Kars verschafft. Was den Krieg mit Afghanistan beträfe, so erklärte Gladstone, daß das hierfür ausgegebene Geld eine . zur Unehre Englands sei. Er wies auf die große Verantwortlichkeit . die England durch diesen Krieg auf sich lade, und wandte ich darauf gegen die Behauptung in dem Memorandum Cranhrooke's, daß die liberale Regierung des Jahres 1873 den Abschluß des Vertrages habe vertagen wollen. Gladstone unterzog die über die afghanische Frage veröffentlichten Akten⸗ stücke einer genauen Prüfung und schloß mit der Erklärung, daß der Krieg mit Afghanistan ein ungerechter sei, welcher neue Ungerechtigkeiten nach sich ziehen und den Zusammen⸗ sturz des indischen Reichs zur Folge haben könnte.