1879 / 55 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Der Ausschuß des Bundesraths für Zoll⸗ und Steuerwesen strat heute zu einer Sitzung zusammen.

Im weiteren Verlaufe der gestrigen (14) Sitzung

setzte der Reichstag die erste Berathung des Gesetzentwurfs,

betreffend die Strafgewalt des Reichstages über seine Mitglieder fort. Der Abg. von Helldorff (Bedra) betonte zunächst die Verbindung der Vorlage mit dem Sozialistengesetz. Wenn auch der jetzt zur Debatte gestellte Entwurf weder im Tenor noch im Text der Motive die Sozialdemokratie mit einem Worte erwähne, so wisse doch Jedermann, daß das Vor⸗ —— der sozialdemokratischen Abgeordneten den Anstoß ge⸗ geben habe, den Entwurf vorzulegen. Es solle den sozial⸗ demokratischen Agitatoren die Gelegenheit nicht mehr geboten werden, ihre agitatorischen Reden hier im Hause für ein außerhalb desselben befindliches Pu⸗ blikum zu halten. Das sei der thatsächliche Zu⸗ stand, und wenn nun heute derartigen Tendenzen, wie sie der

verfassungswidrig, so seien das Redensarten, die mehr oder minder auf schwachen Füßen ständen. An das Haus trete eine nothwendige Frage heran und man könne sich ihrer sorg⸗ fältigen Prüfung nicht entziehen. sachlich verschiedene, sorgfältig zu scheidende Materien: einmal die Unverantwortlichkeit des Abgeordneten für seine Reden,

verhandlungen beigelegt sei. Die Unverantwortlichkeit der Ab⸗ geordneten sei ein nothwendiger Ausfluß ihres Berufes, und jede Aeußerung, die im Berufe gethan worden, sei schon an sich straflos. Aber trotzdem müsse diese ausdrücklich zugesichert werden, um die der Meinungsäußerung sicher zu stellen eigenen Schwäche und Zaghaftigkeit, und um den Mantel der Liebe über die Exzesse zu decken, die bei der Berufs— äußerung unterlaufen könnten. Es handele sich aber auch um die Möglichkeit wirklich strafbarer Handlungen, die mit dem Worte an dieser Stelle geübt würden: Aufforderung zum Aufruhr, zu Haß und Verachtung zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft, Untergrabung der

solche Dinge könne und dürfe Straflosigkeit nicht statuirt werden. Nun sei er weit entfernt, zu glauben, daß das Haus

die Befugnisse, das Strafrecht über diese Dinge zu üben, aus

der Hand geben dürfe; die Rüge, die Sühne, die in solchen Fällen gegen einen Abgeordneten eintreten müsse

bleiben. Es komme darauf an, zu prüfen, ob die gegen⸗ wärtige Geschäftsordnung des Hauses den Anforderungen in diser Beziehung genüge, und das müsse man ver—⸗ neinen. Dem dolosen Mißbrauch des Berufs gegenüber ge⸗

nüge der Ordnungsruf des Präsidenten und die Entziehung

des Wortes nicht, einer zeit⸗

weisen Ausschließung

da sollte man bis zu eines solchen Abgeordneten

Nation als berechtigt an, über Gang und Inhalt der Reichs— tagsverhandlungen auf dem Laufenden erhalten zu werden, aber die Oeffentlichkeit müsse ihrer Natur nach auch be⸗ stimmte Grenzen haben. Schon jetzt entziehe sich ein Theil der Arbeiten des Reichstages der Oeffentlichkeit. Was die Plenarverhandlungen angehe, so babe das Publi⸗ kum wohl ein Anrecht auf die Mittheilung der Reden,

aber nicht auf die darin enthaltenen Erzesse und strafbaren Und Prüf man die Zeitungsberichterstattung, schließe das Parlament Mitglieder aus wegen Vergehen, bie . . ö icht n T sie außerhalb des Hauses begingen; das Parlament wende Die größten Blätter gaͤben die Reden ihrer Partei r Lauf ging 14

Aeußerungen. so gebe sie ja auch die Reden heute nicht in stenographischer Treue. freunde Blätter

stenographisch, das Andere auszüglich, kleinere

gäben im Hause bekannt sein.

tribüne aus viel vernichtender, als von anderer Stelle aus.

Es sei dagegen geltend gemacht worden, daß in der Oeffent⸗ Eine Korrektur für der⸗

lichkeit selbst eine Korrektur liege. artige Dinge sei hier im Hause möglich; man empfinde hier den Unwillen des Hauses, ein Exzeß falle auf die Partei zurück, welche ihn dulde. Aber der Mann, der draußen die Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten lese, lese nicht mit derselben Andacht die Widerlegung, die in dem anderen Blatte stehe. Der oft gehörte Satz: „Der Unsinn ist un⸗ schädlich, wenn er von den Dächern gepredigt wird“ sei reine Theorie. Das Wachsthum der Sozialdemokratie wäre nicht möglich, wenn sich der Unsinn von selbst widerlegte.

Er glaube, daß das Bedürfniß der Abänderung auch in Das Haus solle also feine Bedeutung von der Situation unter der es gesßrochen werde

. 1 me guss tine der Wenn man heute für den Deutschen Reichstag neue Strafen Regierung stamme, a limine abweisen, sondern man dürfe sich

weitesten Volkekreisen getheilt werde. die Vorlage nicht darum, weil sie aus der Initiative der

ihrer eingehenden Prüfung nicht entziehen, die nur in einer Kommission möglich sein werde.

Schlusse müsse er noch den vom Abg. von Heereman ange⸗

regten Gedanken bekämpfen, als ob der Entwurf dazu führen könnte, daß jemals im Reichstage Partei⸗ oder Majoritäts- Terrorismus über die Minoritäts-Partei eine Tyrannei aus- üben könnte. Ja, wäre das Rechts- und Pflichtgefühl im

Deutschen Reichstage so weit heruntergekommen, dann freilich

des Reichstages sei, einem Zustande ein Ende zu machen, der eine Verletzung des Rechtsbewußtseins im Volke involvire und theile die Auffassung der Regierung, kommissarische Durcharbeitung die Vorlage praktisch brauchbar machen werde.

Der Abg. Dr. Lasker erklärte

Gesetz sprechen, aber einem demselben gemachten Vorwurf müsse er entgegentreten. Wenn ein Redner bemerkt habe, daß jeßt eine Besserung des Geschäftsganges des Hauses schwerer durchzusetzen sein würde, als wenn die Vorlage nicht erfolgt wäre, so weise er diese Befürchtung zurück. Auch bei der Vorlage

dieses Entwurfs seien in ihm viele politische Empfindlichkeiten

aufgestiegen, gerade so wie in einem großen Theile des Volks, von dem ein nicht sehr anständiger Name für das Gesetz erfunden sei; aber er dränge diese Empfindlichkeiten zurück, gerade weil es sich um Rechte dieses Hauses handele. Sonst, wenn dem Hause eine Vorlage zugegangen 9 sei dem⸗ selben in den Motiven mit größter Ausführlichkeit das Be⸗ dürfniß nachgewiesen. fast nichts vorgeführt, um zu zeigen, daß irgendwie diese Vor⸗ lage Nothwendigkeit sei.

gefunden habe. d * . lein des Bundesraths weit für sein Verhalten im Reichstage und andererseits das ob⸗ jektive Privileg, welches den Berichten über die Reichstags⸗

hier der al wenn sie im ( Wann sei es denn je vorgekonimen, daß man einen Richter . wegen Injurien, Majestätsbeleidigung, . . hätte? a mne, Der glied Autorität im Staate und Ehrverletzung gegen Einzelne. Für

Ol Gesetz dem Bundesrathe n ? der seinen Beruf mißbraucht habe, müsse ein Internum des Hauses

Damals) Die . ö . in gehen. Seine Partei erkenne im vollsten Umfange den Anspruch der

1 2 te Mitglieder an. ichkeit : ; x äben alle Reden auszüglich, und was ein zum unerläßlichen Korrelat die straffreie Publikation derselben. Auszug aus einer Rede machen könne das würde ja Allen Gerade aber eine Ehrverletzung, ein

Skandal finde sicher Verbreitung, und diese sei von der Neichstags⸗

ssie Er halte das Verbot, das der Präsident über Reichstagsreden aussprechen solle, zwar für schwierig, aber nicht für praktisch undurchführbar. Zum

Bei diesem Gesetz habe die Regierung . . d Vor⸗ Hause gesetzlich auf. Bei Konstituirung des Norddeutschen Bundes habe Niemand daran gedacht, die Redefreiheit des Reichs⸗⸗

tags zu tangiren. Was sei denn nun geschehen? Seit ein Deut⸗ scher Reichstag existire, so lange er im Hause sei, habe er keinen einzigen Fall erlebt, in welchem sich die Anwendung einer solchen Vorlage als nothwendig erwiesen hätte. Also, seit 12 Jahren sei kein solcher Fall vorgekommen, und nun wolle man ohne Grund die Verfassung ändern! Man sage, die Außenstehenden sollten gegen Beleidi⸗ gungen geschüßt werden; doch nicht im entferntesten liege ein Grund dazu vor! Heute werde das So⸗ zialistengesetz als Grund angeführt. Aber gerade die De⸗ batten des Hauses bei Berathung des Sozialistengesetzes hätten aufs deutlichste bewiesen, daß dieser Grund nicht anzuführen sei und besonders Abg. Dr. Gneist habe unter dem Beifall der Regierung und des ganzen Hauses freie Diskussion ge⸗ fordert, um die Meinungen zu klären. Aber außerdem seien

während der vorigen Neichstagssession die schlimmsten Aeuße⸗

rungen gerade von nicht sozialistischer Seite gefallen. (Der

J wie sie der Reichskanzler Fürst von Bismarck trat in das Haus.) Es Entwurf bezwecke, mit dem Einwande begegnet werde, sie seien . 8

sei dann auf eine Stelle hingewiesen worden in einer Sozia⸗ listenrede, welche an Hochverrath gestreift haben solle. Nun diese Stelle habe sofort ihre Rüge im Hause gefunden, er habe

ab dem die Rede des Abg. Hasselmann zu Hause gelesen Das Gesetz behandele zwei net sn g. Haff zu. Hause gelef

und müsse sagen, daß er sie in keiner Weise hochver rätherisch Er sei der Meinung, daß vom Tische schlimmere Ausdrücke wieder⸗ holt gefallen seien, als die, die heut als unleidlich bezeichnet würden, und selbst der Reichskanzler habe einmal den Ausdruck „Lüge“ gebraucht. Freilich habe er diesen Ausdruck nachher

modifizirt. Er (Redner) verstehe nun nicht, wie die Regierung von an dem Hause sonach einen solchen Verfassungs⸗Aenderungsantrag Straffreiheit Unbefangenheit gegenüber der

vorschlagen könne, ein Mitglied aus dem Hause auszuschließen. Er komme jetzt zu der Frage der wahrheitsgetreuen Berichte, die allerdings ein Gesetz erfordern würde. Allein es gelte allgemeine Satz, daß gewisse Ausführungen, Beruf geschähen, privilegirt würden.

welche er in den Motiven des Erkennt⸗

entwickelt habe, zur Verantwortung gezogen Nun, man müsse doch wenigstens jedem Mit⸗ zutrauen, daß es seine Aeußerungen in Ver— tretung berechtigter Interessen thue. Sonderbar sei es, daß man als Motiv für die Vorlage einen Fall, nicht aus dem Reichstage, sondern aus dem Abgeordnetenhause angeführt habe und zwar einen, der erst vorgefallen sei, als das bereits zur Berathung vorlag. Niemals dürfe die Redefreiheit der Abgeordneten angetastet werden. Man habe auch niemals geglaubt, daß ein Ver—⸗ brechen durch den Gebrauch der Redefreiheit möglich sei.

nisses

Selbst der Reichskanzler habe bei Berathung der Norddeutschen WVerfassunng bei Art. 22 Abs. 2 nur an die Möglichkeit einer

Privat⸗Injurienklage gedacht, und auch im Jahre 1870 dem Strafgesetzbuch unverändert zugestimmt. (Der Reichskanzler: Verhandlungen im Deutschen Reichs⸗ tage seien mit solcher Ruhe und Objektivität geführt, daß andere Länder das Haus deshalb bewunderten und Engländer ihm (dem Redner) gegenüber den Deutschen Reichstag für eine „Versammlung von Senatoren“ erklärt hätten. Exemplifika⸗ tionen aus den parlamentarischen Geschäftsordnungen anderer Länder und Nationen vermöchten ihn nicht zu imponiren. Denn

nichts sei so schwer, als ber Geschichte und Zustände anderer

Völker ohne eingehende Kenntniß zu diskutiren. Betreffs Frankreich und Nordamerika sei er dazu außer Stande, sehr wohl aber in Bezug auf England. Nach der englischen Praxis

lediglich die Bestimmungen des gemeinen Rechts auch auf seine Die Oeffentlichkeit der Verhandlungen habe

Die Autonomie des Reichstags bezüglich der Geschäftsordnung sei unentbehrlich für die Führung der parlamentarischen Geschäfte. Ein starres Gesetz sei hier praktisch unanwendbar. Er wolle bei den Injurien bleiben, deren Publikation verhin⸗ dert werden solle, der Reichskanzler habe einmal gesagt, für 15 6 könne man den höchsten Beamten des Reichs- beleidigen. Sei etwa die Zahlung von 15 6 eine höhere Genugthunng als die Rüge des Präsidenten? Bei einer Korporation, bei der Alles auf Personen ankomme, könnten gar nicht so viele Be⸗ stimmungen schriftlich abgefaßt werden, daß sie dem jedes— maligen Bedürfnisse des Augenblickes genügten, die Disziplin müsse deshalꝰ der diskretionären Gewalt des Präsidenten anheim gegeben bleiben. Redner besprach sodann den in den Motiven citirten Fall mit dem englischen Abgeordneten Plim⸗ oll, der gewisse Schiffsinteressenten Schurken genannt habe, und bemerkte, jedes Wort erhalte, wie in dem Fall Plimsoll,

in die Disziplin aufnehmen wolle, würde nur die politische oder die rhetorische Heuchelei damit prämiirt. Die Form des von der Kommission wörtlich vorgeschriebenen Widerrufs würde nur dazu beitragen, die größere Virtuosität derjenigen Redeweise auszubilden, die äußerlich den Anstand wahre, aber die Sache innerlich beim Alten lasse. Wie wolle man es nur dem Präsidenten zumuthen, sein Amt weiter zu führen, wenn die Kommission einmal anders entschieden habe, als er. Jede solche Divergenz raub! dem Hause den Präsidenten. Ein fehr wichtiges Recht habe der Praͤsident heute schon, die Sitzung

,,,, , zu vertagen, wenn sie nicht mehr weiter mit Anstand geführt

werden könne. Der Entwurf aber, weit entfernt, die Macht

des Präsidenten zu erweitern, führe ihn nur in eine Reihe

tre der peinlichsten Situationen. daß eine

pei Der Entwurf enthalte zum Theil sogar veraltete, selbst aufgehobene Gesetze, als Material

ür das neue Gesetz, zum Theil felbst manches solche deutsche . Partikularstaatsrecht, das notorisch niemals zur Anwendung er werde nicht für das

Auch die den Motiven beigegebenen Gutachten

gelangt sei. Das Bedürsfniß

verschiedener Juristen seien bedenklicher Art. zu einem solchen Gesetzentwurf habe nicht vorgelegen, deshalb finde er es auch vollständig unnütz, densel— ben an eine Kommission zu verweisen. Er wolle die Frage nicht gerade zu einer empfindlichen stempeln; der Neichskanzleramts⸗Präsident behaupte, der Gesetzentwurf finde vielleicht Empfindlichkeit im Hause, weil diese Vorschläge von oben herunter gekommen seien. Er meine aber, Regierungs⸗ vorlagen kämen nicht von oben herunter, sondern ein be⸗ rechtigter Faktor lege sie dem andern vor; eine Empfindlichkeit sei also nicht möglich. Aber wenn etwas Aehnliches ange⸗ nommen werde, wie diese Paragraphen, so hebe man selbst die Gleichheit zwischen den Bundesrathsmitgliedern und dem Ein Bundesrathsmitglied dürfe dann einen Ausdruck gebrauchen, den ein Abgeordneter zurücknehmen müsse. Ob die Mitglieder des Bundesraths der Geschäfts⸗

ordnung dieses Hauses unterständen, sei ja zweifelhaft, aber eine Parität der Verhandlungen sei nicht möglich, wenn die Straf⸗ bestimmungen des vorliegenden Gesetzes gegen die Bundesraths⸗ mitglieder nicht zur Anwendung kämen. Neulich habe ein Mitglied⸗ des Bundesraths einem Abgeordneten Vorwürfe gemacht, die man so auffassen könnte, als lasse jener Abgeordnete sich landes⸗ verrätherische Handlungen zu Schulden kommen. Dieser Ab⸗ geordnete habe sich vertheidigt, und wenn derselbe nun in dieser Vertheidigung in der Erregung weit über das Maß ge⸗ gangen sei, so könne darin eine Ungebühr liegen, und das Haus werde in Zweifel sein, ob es ihn so behandeln solle, wie wenn es ein gleiches Judizium für beide Theile gäbe, oder die Verantwortung für seine Aeußerungen tragen olle. Sollte die Geschäftsordnung sich als unzureichend erweisen in den Waffen, die sie dem Präsidenten zur Ueberwachung der Verhandlungen biete, so würde er und viele seiner Freunde gewiß zu einer Revision bereit sein. Aber ein Bedürfniß zur Abänderung der Verfassung finde er nicht, sondern halte die autonomistische Negelung des Geschäftsganges durch den Reichstag nicht blos für eine äußere, sondern für eine innere Nothwendigkeit, die eine Beschränkung nicht erdulden könne.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Ich habe keinen Anlaß, so tief und eingehend, wie der Herr Vorredner, mich aaf die Vorlage selbst einzulassen, da ich es wefent.« lich als eine innere Angelegenheit des Reichstages betrachte, sich von den Mitteln, welche die Regierungen ihm darbieten, um seine eigene Würde, seine Jurisdiktion, seine Macht zu stärken, dasjenige anzu⸗ eignen, was ihm gefällt. Und was Sie ablehnen, das wird eben nicht Gesetz; Sie sind ja voll berechtigt, davon anzunehmen, was Sie wollen, und ich kann dazu nur sagen: benefieia non obtraduntur. Es wird die Zeit vielleicht kommen, wo Sie diese Vorlage in einem milderen Lichte betrachten und die Regierungen zu einer Erneuerung auffordern. Die Zeit, glaube ich, wird zu Gunsten der Freunde dieser Vorlage laufen.

Ich muß aber doch dem Herrn Vorredner, ohne tiefer auf die Sache einzugehen, auf einige Sätze erwidern, und namentlich in Bezug auf den letzten Accent, mit dem er die Tribüne verließ, näm⸗ lich daß durch eine Annahme dieser Vorlage an die ich ja nicht glaube, ich habe auch kaum gehofft, daß Sie die erste Vorlage, wie sie vom Bundesrath amendirt wurde, in ihrer Totalität annehmen würden; es ist auch hier nur das Bedürfniß der Regierungen, dili- gentiam zu prästiren und ihre Verantwortlichkeit frei zu stellen, das Uebrige ist Ihre Sache; aber daß der Herr Vorredner damit schloß, durch die Annahme einer ähnlichen Vorlage würde die Gleichheit zwischen den beiden Körperschaften geftört, meine Herren, diese Gleichheit existirt aber gar nicht; wir gehören ja gar uicht zu der privilegirten Klasse, zu den oberen Vierhunder t, wir ge—⸗ hören zur misara plebs, die unter dem gemeinen Rechte steht. Jeder⸗ mann kann gegen uns klagen, wir sind durch kein Privilegium ge—⸗ schützt, und ich wundere mich, daß ein solcher Verfassungs kenner wie der Hr. Abg. Lasker, diese Thatsache zu ignoriren scheint. Der Buch⸗ drucker, der Preßagent, der unsere Reden hier abdrucken läßt, ist durch den Art. 22 der Verfassung geschützt, wir nicht, wir sind durch Art. 36 nicht geschützt, Art. 30 bezieht sich ausdrücklich nur auf Reichstags⸗ abgeordnete Ich habe im Anfang diesem populären Irrthum mich auch wohl früher hingegeben, seit ich aber vor den praktischen Ge⸗ schäften Muße bekommen habe, den Sachen theoretisch etwas näher zu treten, habe ich gefunden, daß wir vom Bundesrathe nicht ge—⸗ schützt sind gegen jede Klage auf Grund des gemeinen Rechts, und seitdem bin ich sehr viel vorsichtiger in meinen Aeußerungen geworden.

Wenn also hier verschiedene Beispiele, namentlich auf meine Kosten, angeführt werden, daß ich irrthümlich, in der Meinung, es sei ein Fremder, im englischen Sinne, und nicht ein Abgeordneter,

eine Behauptung als eine Lüge qualifizirt hätte und sie sofort zurück-

genommen habe —; sowie ich merkte, daß es cin Abgeordneter war, babe ich angenommen, daß ein Abgeordneter sich durch ein gewisses Maß von Ehrgefühl gezwungen finden wird, aus Ritterlichkeit die⸗ jenige Gegenseitigkeit zu gewähren, die gesetzlich fehlt; da ich ihn nicht verklagen kann, wird er es vielleicht seinerseits auch nicht an⸗ gemessen finden, obgleich das sich wobl darchgehends nicht bewähren wird. Wenn die Herren auf diese Blöße in unserem Harnisch erst aufmerksam werden —, ich glaube, sie haben es gar nicht gewußt, daß sie gegen uns klagen können, sonst würde es wohl schon ge⸗ schehen sein. Wir stehen also keineswegs auf dem Fuße der Gleich⸗ heit, und diese Vorlage ist gerade in dem Sinne des Hrn. Abg. Pr. Lasker bestimmt, die Gleichheit einigermaßen, wenn nicht herzu⸗ stellen, doch sich ihr anzunähern. Ich habe damals den Vorwurf der Lage gemeint gegen Jemanden draußen, außerhalb des Hauses zu richten, und ihm habe ich ja Rede zu stehen vor dem Richter, wenn er mich verklagt; insofern, glaube ich, hat der Hr. Abg. Las⸗ ker auch nicht Recht, sich über den Ausdruck, den mein Herr Kollege ,, zu haben scheint, daß Gesetzvorlagen von oben kämen, zu eschweren. Ich erkenne bescheiden an, sie kommen von unten.

Dann hat der Herr Abgeordnete in der Zeit als ich kam ich bin durch die Länge der intcressanten Rede schließlich nicht in der Möglichkeit gewesen, dem letzten Theil mit derselben Aufmerksamkeit zu folgen, wie als ich noch frisch bineinkam sich hauptsächlich des⸗ balb gegen das Gesetz gewendet, als solle es Schutz gewähren gegen die Wirkung in diesem Hause, und als hegten wir Befürchtun— gen von Aufforderungen zum Aufruhr, die innerhalb dieser Mauern wirksam sein könnten. Meine Herren! Das berührt uns gar nicht, und so ängstlich sind wir noch nie gewesen, daß wir glaubten, die ehrenwerthen Herren Abgeordneten würden uns in eine körperlich ge⸗ fährliche Position bringen; das steht auch nicht zu befürchten, sondern der Zweck, den die Vorlage hat, ist ein dreifacher; die Würde des Reichstages, den Sutz gegen Beleidigungen und die Abschneidung von Agitationen, die auf dem Privilegium des Art. 22 der unan⸗ fechtbaren Veröffentlichung beruht.

Was die Würde des Reichstags betrifft, so halten wir uns gar nicht für die Richter darüber, sondern wir haben Ihnen eben zur Auswahl gestellt aus dem Arsenal der Gesetzgebung, was Sie davon haben wollen, um damit die Stellung des Herrn Präsidenten und den Rückhalt, die Reserve, die er an der gesammten Körperschaft des Reichstags hat, zu stärken. Wenn ich an der Vorlage oder in Bezug auf die Vorlage vom ersten Anfang an eine Meinungsverschiedenheit hegte, die ich aber besseren Sachkundigen gegenüber nicht durchzufetzen gesucht habe, so war es die Einsetzung einer Kommission. Mir hätte es besser gefallen, wenn jederzeit das Plenum des Reichstags die erkennende Behörde wäre; indessen dergleichen läßt sich ja, wenn nicht bei dieser Vorlage, die Sie ja wohl ablehnen, aber doch viel- leicht später durch Amendements sehr leicht einflechten, wenn Sie selbst sich überzeugt haben werden, daß Sie die Ziele, welche Sie erstreben und uber die, wie ich überzeugt bin, die Mehrheit unter Ihnen einig ist, um deswillen nicht werden erreichen können, weil über den Weg, auf dem sie zu erreichen wäre, die Mehrheit unter Ihnen sich nicht einigen wird. Sie wird dazu der Hülfe der Gesetz⸗ gebung meines Erachtens bedürfen.

Die Würde des Reichstags also, darüber enthalte ich mich jeder Ausführung und berichte nur in Bezug auf die Verlage, daß ich es lieber gesehen hätte, wenn der gesammte Reichstag und nicht eine ge⸗ wissermaßen bevormundende Kommission spricht.

Das Zweite aber ist doch schon etwas, worüber die Regierungen auch eine Ansicht haben mögen, nämlich der Schutz der Mitbürger gegen einen Mißbrauch des Privilegiums. Der Ordnungsruf des Prästdenten ist ja eine sehr er freuliche Genugthuung für Denjenigen, zu dessen Gunsten er eingelegt wird, und jedenfalls erfreulicher, als ein Erkenntniß eines Gerichtshofes auf 15 M Strafe für schwere öffentliche Beleidigung eines Ministers. Aber ist der Herr Präsi⸗ dent in der Lage, sich s0 in die Seele jedes Gekränkten hinein zu versetzen, daß er hei der schweren Aufgabe, die ihm obliegt, mit ge⸗ spannter Aufmerksamkeit die Sitzung zu begleiten, nun auch das

genaue richterliche Gefübl und die Vorlenntniß, die Information über den Fall haben kann, der gerade die Beleidigung konstituirt. Ich glaube, daß das von dem Präͤsidenten gar nicht ju erwarten und zu verlangen ist. Die Beantragung des Beleidigten, einen Ord- nungsruf zu ertheilen, ist aber nicht üblich, und ich weiß nicht, ob die Beschäftsordnung 2s für zulässig bält, keinesfalls für ein ge krãnktes * außerhalb dieser Versammlung. Die Re- gierungen sind also der Meinung, daß sie gegen solche Exzesse, die durch Mißbrauch des Privilegiums auf Kosten einzelner Privatleute vorkommen, ganz abgesehen von der Mäöglich= keit einer Majestätsbeleidigung, daß sie da dem Beleidigten Schutz schuldig sind, einen Schutz, den sie aber nicht gewähren können ohne Zustimmung des Reichstages. Der gute Wille im Reichstag, in dieser Beziehung Abhülfe zu schaffen, ist vielleicht bei der Mehrheit vorhanden; aber durch die Rede des Hrn. Abg. Lasker bin ich auch daran zweifelhaft geworden. Es müßte eine Mehrheit seia, zu der der Herr Abgeordnete nicht gehört, da er die jetzige Geschäfts⸗ ordnung für genügend hält und kein Bedürfniß einer Verschärfung hat. Es ist mir das auch sehr erklärlich, da ich kaum glaube, daß er in den letzten 20 Jahren seines Lebens einen Augenblick gehabt hat, wo er nicht auf Seite des Besserberechtigten gestanden hätte, d. b. Mitalied einer parlamentarischen Versammlung gewesen wäre. Dabei verliert er, glaube ich, etwas, das ihm bei seiner sonstigen wohlwollenden Gesinnung eigenthümliche Mitgefühl mit dem, der nicht zu der privilegirten Klisse gehört. ö.

Ein weiterer Grund, der uns jur Vorlage bestimmt hat, ist die Verhinderung derjenigen Agitationen, die durch den straffreien Ab⸗ druck von Reden, welche ausdrücklich zu diesem Behuf, um straffrei gedruckt und verbreitet zu werden, gehalten sind, im Lande hervor- gerufen werden können. In dieser Beziehung glaube ich nicht, daß der gegenwärtige Zustand ausreicht. Der Herr Abgeordnete sprach bald, nachdem ich hereinkam, ron einem Falle. wo der Hr. Abg. Hasselmann durch einen Ordnungsruf des Herrn Präsidenten ganz ge⸗ nügend zur Befriedigung des Hauses zur Ruhe gebracht worden sei. Ich will die Rede des Hrn. Abg. Hasselmann nicht wiederholen, welche der Präsident mit dem milden Ausdruck charakterisirte, daß sie grenzte an direkte Provokation zum Aufruhr. Ich glaube, sie war es schon vollständig, und es ist richtig, daß der Hr. Abg. Hassel⸗ mann darüber zur Ordnung gerufen wurde. Welches war nun der Eindruck, den das auf den Abg. Hasselmaen machte? Er nahm noch einmal das Wort: . . i

Nicht ich bin es, der provozirt, ich hahe genügend erklärt, daß ich den Weg des Friedens vorziehe, ich ziehe ihn vor, ich bin aber auch bereit, mein Leben zu lassen. Noch einmal sage ich das, und Fürst Bismarck möge einmal an den 18. März 1848 denken!

Ist das nicht eine Fortsetzung derselben Tendenz, die der Herr Präsident milde als eine an den Aufruf zum Aufruhr streifende be⸗ jeichnet hat? Nun, hier in diesen Mauern wird zwar kein Aufruhr entstꝛhen, aber die Sozialdemokratie ist geschickt genug, um das Maß dazu zu finden, in welchem der Bericht als volständig“ gilt, sie schent auch die Kosten nicht, um ihn in dieser Voll ständigkeit mit starkem und fettem Druck der Theile, die den Aufruf zum Aufruhr enthalten, in weiteren Kreisen zu verbreiten. Meine Herren, gegen diese Gefahr, gegen die Straflosiagkeit der Verbreitung von Reden, die ausdrücklich zu Agitationen hier gehalten werden, hatten wir von diesem oder einem ähnlichen von Ihnen zu amendirenden Gesetze einige Abhülfe gehofft. Irgend etwas davon mag immer hier öffent⸗ lich gehört und mündlich weitergetragen werden, es ist doch immer noch etwas ganz Anderes, als wean es in hunderttausend Exemplaren in die Analphabeten-Kreise getragen wird, das, was hier von privi⸗ legirter Seite ausgesprochen wird. = Das ist die Gefahr, die ich fürchte, und der gegenüber ich Abhülfe gehofft habe. Freilich die Temperatur, die ich hier fär die sozialdemokratische Frage jetzt vor⸗ gefunden habe, ist, wenn wir zurückdenken an die Zeit der schweren Attentate, immerhin eine wesentlich abgekühlte, gewifß nur äußerlich. Das Maß von Entschiedenheit, mit welchem wir von Seiten der Regierung auf den Beistand des Parlaments im Herbste glaubten rechnen zu können in dem Kampfe gegen die Sozialdemokratie, der ja mit dem Gefetze von zwei Jahren Geltung nicht abgethan ist, liegt nicht vor, ich gestehe, und ich habe das aus den jüngsten Ab— stimmungen schon ersehen, darin hat eine Täuschung bei den ver⸗ bündeten Regierungen stattgefunden. Wir hatten auf energischeren und entschiedeneren Beistand gerechnet, wir sind nicht der Meinung, daß dieser Kampf erledigt sei. Ich brauche blos auf die Wahl in Breslau hinzublicken und auf andere Wahlen. Die Organisation ist dieselbe geblieben. Bei der äußerst milden Ausführung des 8. 28 des Sozialistengesetzes von Seiten dir Regierungen sind die Verbindungen der Führer mit, den Massen nirgends durch⸗ schnitten, außer versuchsweise in Berlin. Daß die üblichen Führer der lokalen Agitation außer Verbindung mit den von ihnen geleiteten Massen gesetzt werden könnten, war eine der Zwecke des Gesetzes. Es war das erreicht in Bezug auf Berlin. Wir konnten es ja obne die Zustimmung des Reichstages nicht aufrecht erhalten. Nach dem Votum des Reichstages aber ist die Wiederherstellung dieser Verbin—⸗ dungen eine Nothwendigkeit geworden. Nach der milden Praxis, die das Gesetz bei den Regierungen gefunden hat, hat sich die Einfüh— rung des sogenannten kleinen Belagerungszustandes auf Berlin be- schraͤnkt. Ich war gar nicht in Zweifel gewesen, daß, sobald das Gesetz publizirt wurde, auch überall da, wo die Sozialdemokraten die Mehrheit bilden und wo also deshalb, wenn wir überhaupt das HGesetz nicht ganz unnöthig gemacht haben das ist ja eine andere Frage —, und wenn das Gesetz nicht überhaupt eine voreilige und übertriebene Aengstlichkeit von uns war, eine Gefahr vorhanden war, da wäre meines Erachtens die Berechtigung der Regierungen vorhan⸗ den gewesen, unter möglichster Schonung der persönlichen Verhältnisse die Fäden, welche die Leiter der Bewegung mit den geleiteten Massen verbinden, zu durchschneiden. Der erste Anfang, der in dieser Be ziehung, schüchtern muß ich sagen, gemacht ist, ist von Ihnen miß⸗ billigt worden, und meine Hoffnungen, die ich an die weitere Durch⸗ führung des Sozialistengesetzes geknüpft habe, haben dadurch aller⸗ dings einen schweren Stoß erlitten; ich bin ziemlich entmuthigt, eine Sache fortzuführen, die ich ohne Beistand der parla— mentarischen Majorität ja nicht durchsetzen kann. Wie weit Sie die Vorlage ablehnen wollen, ist ja ganz Ihre Sache, ich kann aber keinen wirksamen Erfolg des Gesetzes ,, . wenn die Mehrheit des Reichstags nicht die Hand dazu bietet, auch in unsern übrigen Institutionen die Konsequenzen des Sozialistengesetzes zu ziehen. Zu den Konsequenzen dieses Gesetzes rechne ich die Vorlage, die uns heufe beschäftigt, insoweit, als sie die Möglichkeit geben soll, der richterlich unantastbaren Agitation durch ad hoc gehaltene Parlaments- reden, welche in einer Unzahl von Exemplaren im Druck verbreitet werden, ein Ziel zu 3 Das, meine Herren, können Sie gesetzlich nicht herstellen ohne Mitwirkung der verbündeten Regierungen und des Bundesraths. Wir haben Ihnen die Hand dazu geboten, und wenn Sie diese Vorlage vollständig von der Hand weisen, so muß ich konstatiren, daß die von den Regierungen gebotene Hand nicht angenommen worden ist. Können Sie aus eigener Machtvoll kommen⸗ heit etwas schaffen, was besser ist wie die Gegenwart, was den Wünschen entspricht, die, wie ich glaube, in der Bevölkerung vor—⸗

errschen, das ist, Ruhe vor sozialistischen Agitationen und Schutz gegen Mißbrauch des Privileg] zu Kränkung Ein⸗ zelner, können Sie dem in befriedigender Weise entgegen⸗ kommen, so werde ich mit dankbarem Beifall Ihren Be⸗ mühungen zuschauen, Ihnen behülflich sein, wo ich Ihnen behülflich sein kann, aber ich habe wesentliche Zweifel an dem Erfolge, auch dann, wenn die Herren in voller Majorität auch Über die Wege einig wären, die zu betreten sind. Ich glaube, daß Sie auch dann immer gegenüber den vielen Schranken, die in der Verfassung auf⸗ gebaut sind, hier und da auf ein Bedürfniß stoßen werden, daß die Gesetzgebung Ihnen helfen foll, und dann können Sie darauf rechnen, daß der Korb, den wir heute von Ihnen bekommen werden, uns in keiner Weise hindern soll, Ihnen bereitwillig Beistand zu leisten und die Hand zu bieten; nur möchte ich einmal den ersten Anfang eines Antrages in der Richtung erleben. Wir hätten gedacht, wir

könnten uns die Initiative unsererseits ersparen, wenn beispielsweise, nach den für den Herrn Präsidenten, ich glaube, für die große Ma— jorität höchst veinlichen Erscheinungen, die im Herbste vorigen Jahres und vorher vorgekommen sind, aus der Mitte des Hauses von irgend einer Seite ein Versuch zur Abhülfe gekommen wäre. 6 in ja eine unpopuläre Aufgabe, und deshalb, meine ich, liegt es der Re⸗ gierung ob, sie zu erfüllen, denn die Regierung ist dazu da, um un—⸗ populäre Beurtheilungen unter Umständen zu ertragen, während es für die Abgeordneten nicht immer annehmbar ist

Der Hr. Abg. Lasker hat noch Einiges in Bezug auf mich ge— sagt, was ich hier gleich absolvire, weil ich nachher zu einer persoͤn⸗ lichen Bemerkung doch nicht zum Wort kommen würde, auch dann, wenn ich noch hier wäre; nämlich ich hätte 1570 dem Srafgesetze zu⸗ gestimmt. Ja, meine Herren, damals habe ich in dem Bedärfaiß, die junge und zarte Pflanze der deutschen Einheit nach allen Seiten und mit allen Mitteln zu pflegen, Manchem zugestimmt, was weit entfernt von meiner politischen Ueberzeugung lag. Meine Aufgabe war es damals ebenso wenig wie jetzt, über wirthschaftliche Dinge nachzudenken, über dergleichen im Verzleich zur Konsolidirung des Deutschen Reiches kleinliche Fragen ängstlich za sein. Jetzt können wir in Ruhe darüber diskutiren; hätten wir damals das Deutsche Reich nicht befestigt, da hülfe jetzt kin Diskutiren. Ich babe diese Frage im Verhältniß zu der großeren Aufgabe, die mir oblag, als Kleinigkeiten behandelt und noch andere Konzessionen gema mt im Strafrecht und in anderen Dingen, die mir, wie Sie mir wohl glauben können, nach meiner ganzen sonstigen Ueberzeugung sehr gegen den Strich gingen, aber in meiner Lage ist Eigensinn unter Um— ständen ein Verbrechen in einer Lage, wo keine Verantwortlichkeit ist, kann man sich den Luxus erlauben.

Der Herr Vorredner hat dann gesagt, gerade in England gebe es kein Mittel, die Oeffentlichkeit und die Veröffentlichung auszu— schließen. Nun gerade in dem Fall, den er angeführt hat, ist die Oeffentlichkeit vollständig ausgeschlossen worden durch die einfache Bemerkung des Mr. King ⸗Harman: Herr Sprecher, ich möchte be⸗ merken, daß ich Fremde erblicke. Ich sehe bier auch sehr viele Fremde, es würde mir aber nichts helfen, wenn ich darauf aufmerk- sam machte; in England hat es aber den Effekt gehabt, daß alle Zu⸗ hörer sich entfernt haben, und die Verschwiegenheit der englischen Abgeordneten gegenüber der Pr sse ist so groß, daß wir über die drei Stunden, welche hernach ohne Zuhörer debattirt wurde, nichts er—⸗ fahren haben und trotz amtlicher Rücksprache auch nichts Zuverläs⸗ siges wenigstens erfahren konnten.

In England scheint eben die Verbindung zwischen einzelnen Ab— geordneten und der Presse minder lebhaft zu sein, wie auf dem Kon⸗ tinent ich will von dem hier gegenwärtigen Parlament gar nicht sprechen, aber in Frankreich würde vielleicht eine solche Ausschlie⸗ ßung blos der Zuhörer auf den Tribünen und reines Vertrauen auf die Verschwiegenheit der Mitglieder des Parlamentes schon nicht zum Ziele führen; in Bezug auf unsere Verhältnisse in der Bezie⸗ hung enthalte ich mich jeder Aeußerung. Also dieses Ausschließen der Fremden ist in England zugleich ein wirksames Mittel zur Ver—⸗ hinderung der Veröffentlichung solcher Reden, denen man, ich will nicht sagen einen brandstiften den, aber einen zündenden Charakter außerhalb des Parlaments, eine Schädigung der vaterländischen Institutionen und ihrer Solidität etwa zuschreibt. Dieses einfache Mittel ist wirksam, bei der Zuverlässigkeit, mit welcher die engli⸗ schen Abgeordneten im Interesse des Staates und des Vaterlandes über das schweigen, was ohne Zeugen vorgekommen ist.

Der Herr Abgeordnete hat ferner mir gegenüber die Autonomie des Reichstages vertreten, und darüber habe ich schon am Anfange gesagt, ich glaube, sie wird erweitert und nicht verdrängt durch diese unsere Vorlage. Er hat dann den Fall des Abgeordneten Plimsoll angeführt, um nachzuweisen, daß in der Vorlage die englischen Zu stände zu Unrecht zitirt worden jeien. Auch da kann ich ihm nicht ganz Recht gebeu. Herr Plimsoll ist ven dem Sprecher angewiesen worden, „öffentlich Abbitte zu leisten, und zwar eine Abbitte, die in ihrer Form unseren Sitten und Gewohnheiten ziemlich widersprechen würde, und wenn er diese Abbitte nicht geleistet hätte, so wäre es eben bei seiner Ausweisung geblieben. Der englische Sprecher sagte ihm: Wie das die Praxis des Hauses ist, wird das ehrenwerthe Mitglied von seinem Platze gehört werden und wird sich dann entfernen. Darauf hat Plimsoll, der erregt gewesen ist, sich beruhigt, und 8 Tage nachher ist er gekommen und hat erklärt: „er nehme die von ihm gebrauchten unparlamentarischen Ausdrücke zurück und bitte frei und offen den Sprecher und das Haus um Vergebung“; so ist es Ihnen hier in der Vorlage noch gar nicht geboten worden „übrigens halte er es durchaus vereinbar mit der Achtung, welche er vor dem Hause habe, wenn er hinzufüge, daß er bezüglich der von ihm angeführten Thatsachen nichts zurück— zunehmen habe. ö

Die Thatsachen waren auch gewiß ganz richtig. Es war nur eine äufregende und verletzende Form, in der er sie vorbrachte, wofür er Verzeihung erbat.

Auch in Bezug auf Frankreich und Amerika, wo die Sachen viel klarer liegen, wie in Bezug auf das englische Recht, welches aus einem Wust widersprechender Kompendien herauszuziehen ist, da hat der Hr. Abg. Lasker sich hinter seine angebliche Unwissenbeit zurück— gezogen. Ich muß gestehen, ich halte ihn für viel unterrichteter, als er hier erscheinen will. Ich glaube, er weiß das ganz genau, hat es aber für seine Argumentation hier nicht passend gefunden, und er ist ja nicht verpflichtet, Alles einzugestehen, was er weiß. Er sagt uns ja schon so dankenswerth Vieles von dem, was er weiß.

Aber da ist in Amerika die Sache mit einer sehr kurzen Ver⸗ fassungsbestimmung abgemacht:

„Each house may determine the rules of its proceedings, punish its members for disorderly behaviour, and, with the concurrence of two-thirds expel a member..

Also zwei Drittel können jedes Mitglied ausschließen, und das Haus obne Zweidrittel mehrheit kann strafen nach seinem Ermessen. Zu diesen Strafen gehört, wie die amerikanischen Rechts lehrer weiter ausführen, auch namentlich das Inhaftnehmen, was ja auch in Eng⸗ land zulässig ist. . ö

Die Bestimmungen in Frankreich sind nicht so weitgehend, aber sehr scharf einschneidend und gehen auch bis zur Exklusion; schon Derjenige, der sich in einer Sitzung zwei Ordnungsrufe zuzieht, der sich in dreißig Tagen drei Ordnungsrufe zuzieht, ist gewissermaßen ein verlorener Mann in seiner parlamentarischen Stellung. Es kommen über ihn Uebel, denen er sich nicht leicht aussetzt, wenn er überhaupt sonst eine soziale Stelle hat. e ,.

Ich möchte Sie nur bitten, meine Herren, daß Sie diese unsere Vorlage nicht als eine autschließlich parlamentarische ansehen, gegen Unordnungen gerichtet, die im Allgemeinen in unserem und in jedem Parlament vorkommen oder bei uns allgemein eingerissen wären. Da bin ich mit dem Herrn Vorredner einverstanden, das, was im Großen und Ganzen geschieht, können wir aushalten, wenn auch einige Redner anderer Parteien mitunter sehr unangenehme Worte sagen, so halte ich die doch in keiner Weise in ihrer Wiedergabe für emeingefährlich; aber die sozialistische Agitation ist ganz etwas An—⸗ eres, eine Agitation, die sich an die urtheilslofen Massen wendet, deren Begehrlichkeit durch den Nothstand und ünnerfüllbare Ver⸗ sprechungen angeregt ist. Dazu das Mittel, das gesetzlich unanfecht⸗ bare Mittel des Abdrucs jeder Rede abzuschneiden, war Hauptzweck dieses Gesetzes, und der Gedanke ist uns deshalb auch nicht früher, sondern erst nach der Offenbarung der Macht und der Ziele des So⸗ zialismus, wie wir sie in diesem vergangenen Jahre noch stärker als im vorvergangenen gehabt haben, als eine Nothwehr der Gesellschaft gegen die Gefahr, die uns von da droht, ist uns der Gedanke der Vorlage gekommen, und unsere Frage an Sie ist: wollen Sie uns in dem auf die kurje Zeit von zwei Jahren noch beschränkten Kampfe gegen die gefährlichen Tendenzen, nicht gegen die ungefährlichen, sondern gegen die gefährlichen Tendenzen des Sozialismus ferner mit der Energie beistehen, auf die wir Hoffnung hatten zu den Zeiten der Wahlen und zu den Zeiten der Attentate, oder ist die Gefahr durch das augenblickliche wohlüb rlegte Schweigen und Wohlverhalten der

Soialisten Bnen anscheinend schon so ferne gerückt, daß Sie glauben, die Regierung mit ihrer Bitte um Beistand nach dieser Richtung hin im Stiche lassen zu können. Danach muß die Regie⸗ rung ja das Maß von Erfolg, auf welches sie überhaupt im Kampfe gegen den Sozialismus rechnen kann, ihrerseits bemessen, und wir können ohne den Beistand des Reichstages nichts machen. Verlangen Sie nur nicht von uns, daß, wenn wir im Amte bleiben sollen, die Frage mit dieser einzelagen Ablehnung für uns erledigt sei. Wir müssen auf diesem Wege weiterjzukommen suchen. Wir sind berech⸗ tigt, als Mitg ieder der Regierung darüber unsere eigene Ueberzeu⸗ gung zu haben, so gut wie irgend ein Abgeordneter, und wir wären schlechte Patrioten, wenn wir anders, als nach pflichtmäßiger Ueber⸗ zeugung handeln wollten.

Der Abg. von Kleist⸗Retzow bemerkte, es sei unnatürlich, die Abgeordneten des Volkes von dem gemeinen Rechte des Volkes auszuschließen. Der Abg. Fürst zu Hohenlohe habe ge⸗ sagt, das Hausrecht sei das heiligste Recht, daran wolle man tasten; dieser Satz habe auch dem Abg. Lasker besonders ge⸗ fallen; aber wer denke denn daran, das Hausrecht des Reichs⸗ tags anzufassen? Im Gegentheil, stärken wolle man die Macht und das Hausrecht des hohen Hauses. Daß im Norddeutschen und Deutschen Reichstage die Redefreiheit unbeschränkt gelassen sei, sei deshalb geschehen, weil man unter dem Eindruck der hoch gehenden nationalen Bewegung nicht daran gedacht habee, daß eine Zeit wie die heutige kommen würde, wo es eine Sozial⸗ demokratie gebe, die zum Hochverrath treibe. Wolle man diese fürchterliche sozialistische Gefahr energisch bekämpfen, dann sei es eben nur die Konsequenz des Sozialistengesetzes, daß das Haus die heutige Vorlage annehme. Gegenwärtig bestehe aber die ganze Disziplin darin, daß der Präsident eine Be⸗ merkung mache oder einen Redner zur Ordnung rufe; das mache aber gar nichts aus. Wenn der Reichstag das Privi⸗ legium des Artikels 30 unter Zustimmung der verbündeten Regierungen erhalten habe, so sei man damals von der Hoff⸗ nung ausgegangen, daß sich die Verhandlungen in fruchtbrin⸗ gender Weise entwickeln würden; dies sei aber durch die Ent⸗ wickelung der Sozialdemokratie nicht geschehen. Und wenn einzelne Mitglieder sich der Huldigung, die das Haus dem Kaiser dargebracht habe, nicht angeschlossen hätten, so sei das eine dreiste Erklärung gegen die bestehende Rechtsordnung, und dagegen sei nichts geschehen; eine solche muthwillige Un⸗ gebühr duͤrfe sich das Haus ohne den Versuch der Strafe nicht gefallen lassen. Er halte es überhaupt für ein Uebel, daß der Abgeordnete absolut straffrei sein solle für Alles, was er innerhalb seines Berufes thue, auch wenn dies für jeden an—⸗ dern strafbar sei und bestraft werde. In England, darin habe der Abg. Lasker ganz Recht, seien die Verhältnisse anders, als bei uns, aber die Parlamentsmitglieder blieben doch dem bürgerlichen Gesetze unterworfen, könnten zur Abbitte ver⸗ urtheilt und aus dem Parlament entfernt werden. Aber leider habe Deutschland seine Verfassungen nicht von England, sondern aus Frankreich importirt, dem Lande der Revolutio⸗ nen und des Parlamentarismus. Kein Abgeordneter bedürfe des Schutzes für die Freiheit der Verleumdungen, der Belei⸗ digungen, des Aufruhrs u. s. w. Wenn im Hause keine Genugthuung gegeben werde, dann dringe eben die Gewalt durch, und außerhalb des Hauses suche man sich selbst Recht zu verschaffen. Er begreife nicht, wie man davon reden könne, daß an Privilegien des Hauses gerührt werde, man wolle doch nur das Haus als Richter über sich selbst belassen und nur seine Jurisdiktion stärken. Nach den Fällen, die hier im Hause und anderswo wiederholt vorgekommen seien, sei es nicht zweifelhaft, daß eine solche Verstärkung der Straf— mittel des Hauses nothwendig sei, und es stehe in keiner Verfassung, daß die Regierung dazu nicht die Initiative er— greifen dürfe. Redner bat, den Entwurf einer kommissari— schen Berathung zu unterwerfen.

Hierauf wurde die Debatte vertagt.

Persönlich bemerkte der Abg. Dr. Lasker, daß er seine Behauptungen über den Fall Plimsoll dem Reichskanzler gegenüber durchaus aufrecht erhalten müsse. Der Reichs⸗ kanzler habe einfach das Hinausgehen aus dem Parlaments—⸗ hause mit der Entfernung aus dem Parlament verwechselt. Was die Bemerkung des Reichskanzlers anlange, daß er (Redner) über die parlamentarischen Verhältnisse Frankreichs und Nordamerikas wahrscheinlich gut unterrichtet sei, dies aber nicht zugeben wolle, so falle diese Aeußerung vielleicht schon in den Rahmen des vorliegenden Gesetzes. Dem Hause gegenüber wiederhole er aber, daß er in der That über die genannten Länder nicht informirt sei. Soviel wie in den Motiven stehe, wisse er allerdings, das halte er aber nicht für unterrichtet sein.

Der Abg. Fürst zu Hohenlohe⸗Langenburg erklärte dem Abg. Lasker, daß er nicht gesagt habe, der Abgeordnete solle für die Veröffentlichung seiner Reden verantwortlich sein, sondern derjenige, welcher Reden, die hier im Hause gehalten worden seien, veröffentlicht. (Schluß 41“ Uhr.)

In der heutigen um 11, Uhr eröffneten (15.) Sitzung des Reichstages, welcher der Präsident des Reichskanzler⸗ Amts Staats-Minister Hofmann und mehrere andere Bevoll⸗ mächtigte zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten, setzte das Haus die gestern abgebrochene erste Berathung des Gesetzentwurfs, hetreffend die Strafgewalt des Reichstages über seine Mitglieder, fort. Der Abg. Dr. Hänel, welcher beim Schlusse des Blattes noch das Wort hatte, suchte auszuführen, daß die sozialistische Gefahr nicht als Motiv für diese Vorlage angeführt werden könne, weil man bei der Auf⸗ nahme der Verfassungsbestimmung über die parlamentarische Redefreiheit schon vorausgesehen habe, das extreme Parteien im Parlamente auftreten würden und daß man gerade auch für diese ein solches Privileg habe schaffen wollen.

Das NReichsbank-Direktorium hat den Lombard⸗ Zinsfuß für Waaren wie Effekten auf 41½ Prozent er⸗ mäßigt.

Es ist beschlossen worden, die bisher in den Spezial⸗ etats für die Verwaltung des Innern ausgebrachten Beträge zur Unterstützung für hülfsbedürftige ehemalige Krieger aus den Jahren 1806 auf den Generaletat für die gedachte Verwaltung zu übernehmen und in Konsequenz

iervon die bezüglichen Beträge der ersterwähnten Etats in bgang zu stellen. Der Finanz⸗Minister und der Minister des Innern haben demgemäß durch Cirkularerlaß vom 23. Ja⸗ nuar d. J. die Regierungen beauftragt, die im Rechnungs⸗ jahre 1. April 1879,80 und ferner zu zahlenden Unterstützun⸗ gen der qu. Art unter dem bezeichneten Etatstitel als Mehr⸗ aus gabe verrechnen zu lassen. . ,

Dabei ist bestimmt worden, daß bei der Bewilligung dieser Unterstützungen ganz nach den bisher gültigen Vorschriften zu verfahren sei. Die fraglichen Unterstützungen dürfen daher ins⸗