1879 / 58 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 08 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Medisance in den Salons gewonnen habe, wenn die offiziöse Presse die schlimmsten Angriffe, die abscheulichsten Verleum⸗ dungen ungestraft ausstoße, müsse man sich da nicht wundern, daß nun die Herren von der Partei derselben hier vor das aus hinträten und eine Empfindlichkeit zeigten, die an jene Leute erinnere, die sich vor jeder möglichen Erkältung durch zwanzig Paletots schützen wollten? Werde im Palamente ausgeschritten, so sei das nur ein Reflex der ganzen Tonart in der Gesellschast. Wolle man die beklagten Ausschreitungen nicht, so thue man, Jeder an seiner Stelle das Mögliche, in der ganzen Gesellschaft einen richtigeren Ton anzuschlagen. Aehnlich würde die Presse wirken können und zwar die Presse aller Parteien; denn auch die dort vorkommenden Ausschrei⸗ tungen seien wiederum nur die Manifestation des in der Gesellschaft eingerissenen weniger guten Tones. Endlich wäre es sehr zweckmäßig, um die Diskussion im Parlament in eine würdige Form zu bringen, wenn alle Mitglieder sich gewöh⸗ nen könnten, die ihnen gegenüberstehenden Anschauungen und Parteien richtig anzusehen und zu behandeln. Es wolle ihm scheinen, daß man zwei Gedankenreihen von einander getrennt habe. Eine Gedankenreihe beziehe sich auf die Frage, ob im Allgemeinen ein Bedürfniß vorliege, die Redefreiheit im Reichstage zu beschränken und die zweite Gedankenreihe sei die, ob mit Rück⸗ sicht auf die sozialistische Bewegung für die Abgeordneten dieser Partei besondere Beschränkungen einzutreten hätten. Was den ersten Gedankengang 33 so sei nach seinem Dafürhalten es weder der Regierung, noch den einzelnen Red⸗ nern gelungen, irgend etwas anzuführen, was die Nothwendig⸗ keit der Beschränkung der Redefreiheit darthun könnte. Die Korrektur durch den Präsidenten in Form eines Ordnungsrufs sei für ihn schwerwiegender, als irgend eine der Strafen, die hier vorgeschlagen seien. Es sei darauf hingewiesen worden, daß außerhalb dieses Hauses stehende Personen vor Angriffen einen nicht genügenden Schutz fänden. Diese Ansicht theile er nicht. Es sei unmöglich, aus den parlamentarischen Ver⸗ handlungen eine Besprechung der Thatsachen auszuscheiden, die außerhalb des Hauses vorkämen und eine Kritik zu üben über außerhalb des Parlaments stehende Personen. Ueberall, wo der Einzelne in die Oeffentlichkeit trete, müsse er sich auch der Kritik in diesem Hause unterziehen. Der Ab⸗ geordnete müsse aus freier Brust heraussprechen können; eine Korrektur der Ausschreitungen werde man stets in der öffent⸗ lichen Meinung finden. Er komme nun zur zweiten Gedanken⸗ reihe, ob die sozialistischen Bestrebungen eine solche Ausnahme nothwendig machten. Er sei seinestheils nicht blind gegen die Gefahren der Sozialdemokratie. Er sei überzeugt, daß die Lehren derselben falsch, verderblich, gefährlich seien. Er habe die Sache immer für sehr ernst gehalten, aber er habe ost genug daran erinnert, daß man die gerechten Forderungen der Arbeiter befriedigte. In der Bekämpfung der Sozialdemo⸗ lratie werde die Regierung alle Parteien im Hause geschlossen finden, aber es komme darauf an, mit welchen Mitteln dies geschehen solle. Die Mittel, welche von der Regierung in An— wendung gebracht würden, halte er für vollkommen wirkungs— los. Er glaube wohl, daß es möglich sei, die Zahl der Sozialdemokraten durch Repressivmaßregeln zu vermindern, dafür würde aber die Sozialdemokratie unter dem Druck um so intensiver werden und er wünsche Allen und sich nicht, daß man die Wirkung dieser Kompression bei der demm hstigen Explosion erlebe. Wenn der Abg. von Treitschke vorhin! auf die Gefahren der sozialistischen Bewegung im Hinblick auf die französischen Zustände hingewiesen, so theile er diese Besorgniß; die Reichs⸗ regierung in ihrem Kampfe gegen die Sozialdemokraten zu unterstützen, sei er auch vollständig bereit. Aber die Regie— rung wähle nicht die richtigen Mittel. Mit der physischen Repression werde nur geschadet. Ideen ließen sich nicht mit Keulen niederkämpfen; es sei ein tragisches Verhängniß, daß die Macht, welche mit der einen Hand die Sozialdemokratie niederhalte, mit der anderen Hand zugleich die Kirche knebele, welche letztere allein die Mittel besitze, die Irrlehren der Sozialdemokratie zu bekämpsen. Redner erläuterte dann den Antrag des Abg. von Schwarze, dessen zweiten Theil er nach keiner Richtung hin billige; darin liege eine versteckte Aende⸗ rung der Verfassung. Noch mehr mißbillige er die Anträge der deutsch⸗konservativen Fraktion. Er schloß mit der Bitte, auf allen Seiten des Hauses dem Präsidenten die Schwie⸗ rigkeiten seines Amtes zu erleichtern.

Der Abg. Graf von Frankenberg erklärte, von den Aus— führungen, die der Abg. Windthorst soeben gemacht habe, namentlich auch am Schluß seiner Rede, könne er sehr Vieles durchweg unterschreiben. Auch er wünsche, daß durchweg ein guter Ton in der Presse herrschen möge, er wünsche vor Allem, daß er auch auf dem Platz eingeführt werde, um den sich unsere ganze Debatte drehe auf der Tribüne des Reichstags. Darin stimme er mit dem Abg. Windthorst überein, hätte aber gehofft, derselbe hätte auch die Mittel dazu nicht versagen wollen. Er habe gesagt, man solle gegen per⸗ sönliche Angriffe doch unempfindlich sein; die beste Waffe sei die Oeffentlichkeit. Er habe es als einen Vorzug der Eng— länder gepriesen, daß dort Keiner danach frage, was in der Presse oder in Gesprächen gesagt werde über Jemanden, der in der Oeffentlichkeit stehe. Er halte das nicht für wünschens⸗ werth, er bedauere es, wenn ein Land dahin gekommen sei, daß es die öffentliche Meinung für nichts mehr achte. Jeder, der der Oeffentlichkeit angehöre, solle sich ein feines Gefühl dafür bewahren. Nun sage der Abg. Windthorst: Nehme man doch aus den Mitgliedern des Hauses einen Anwalt für die vorfallenden Beleidigungen. Was anders wolle denn dieses ganze Gesetz? Die Kommission solle ja eben dieser Anwalt sein. Von dem Abg. Windthorst und von anderen Rednern, die gegen das Gesetz gesprochen hätten, sei

as Bedürfniß derselben bestritten worden. Der Abg. von Goßler habe die Beweise aber vorhin beigebracht aus der Presse, daß etwas nach der allgemeinen Meinung in dieser Nichtung geschehen müsse. Der Abg. von Treitschke habe darin sogar eine Lebensfrage des Parlamentarismus gesehen. Abg. r. Lasker habe bei der ersten Lesung gesagt, er habe die Verhandlungen des Hauses genau nachgesehen, und da habe er keinen einzigen Fall gefunden, für den die Rüge des Prä⸗ sidenten, der Ordnungsruf nicht ausreichend gewesen wäre. Er habe die Verhandlungen indeß gleichfalls durchgesehen und eine Reihe von Beispielen geben zu müssen. Der Redner citirte Stellen aus Reden von Sozialdemokraten, in denen die Pariser Kommune vertheidigt wird, u. A. den Passus: „Ehe einige Jahrzehnte vergehen, wird der Schlachtruf des Tariser Proletariats: „Krieg den Palästen und Friede den

ütten, Tod der Noth und dem Müßiggange“ der Schlacht— f des gesammten europäischen Proletariats werden“, und hr dann fort, es sei ausgerufen worden; „Die Geschichte d auch 1 diesen Reichstag

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dem 3

zur Tagesordnung Unbotmäßigkeit und Renitenz gegen den Präsidenten.

übergehen, der nichts ist, als das Feigenblatt des nackten Ab⸗ solutismus?“ Welches Parlament hätte sich eine solche Aeuße⸗ rung ins Gesicht schleudern lassen und sich mit dem Ordnungs⸗ ruf des Präsidenten begnügt? Der Reichstag sei ferner ein⸗ mal als „Jasagemaschine des Fürsten Bismarck“ bezeichnet worden. Als im Jahre 1867 die Verfassung des Norddeutschen Bundes in namentlicher Abstimmung genehmigt worden sei und der Präsident in feierlicher Erregung seiner Freude über das glänzende Resultat der Verfassungsberathungen Ausdruck gegeben, da habe ein Mitglied von der Tribüne erklärt, es protestire gegen diesen Gewaltakt, und habe sein Mandat nieder⸗ gelegt. Dadurch sei dieses Mitglied sogar dem Ordnungsrufe ent⸗ gangen. In der Session von 1878 sei in einer Debatte, wo von dem Sozialistengesetz noch keine Rede war, gesagt worden: In den Nachbarländern ist Blut geflossen, in er, e. zuerst in jener Junischlacht, als das betrogene Proletariat zu den Waffen griff, und dann in dem Kommunekampfe, wo meine Freunde und Parteigenossen gefochten haben gegen die Versailler Aus⸗ beuter, gegen jene Ordnungsbanditen, welche noch nach 3 Jahren Hinrichtungen vollziehen und im Blute schwelgen. Und der Rampf, welcher aus dem unver— söhnlichen Gegensatz von Arbeit und Kapital, von Mangel und Genuß hervorgeht, er ist auch in Deutschland da.“ Aus alledem gehe hervor, daß im Reichstage der Ordnungsruf nicht genüge, daß man ein Mittel ausfindig machen müsse, um ähnliche Vorkommnisse nicht aufkommen zu lassen. Die Regierung habe lange genug gewartet, bis sie in dieser heiklen Sache einen Anstoß gegeben habe, der aus dem Hause nun einmal nicht habe kommen wollen. Es habe eben Nie⸗ mand das odium eines Antrages auf Verschärfung der Ge⸗ schäftsordnung auf sich nehmen wollen, nun habe es die Re⸗ gierung übernommen, und er könne darin wahrhaftig nicht etwas so Schreckliches finden, als hier behauptet worden sei. Dieses Gesetz beruhe auf inneren Vorgängen im Reichstage und sei nothwendig. Er bitte, weitere Verhandlungen im Innern des Hauses nicht zurückzuweisen, sie würden sonst nur auf schmerzhafte Weise wiederkehren.

Ein Schlußantrag wurde abgelehnt. Der Abg. Dr. Gneist erklärte, er wolle in dieser überaus komplizirten Rechtsfrage keinen bestimmten Parteistandpunkt vertreten, wohl aber sei er der Meinung, daß in der Kommission sich wichtige Bei—⸗ träge würden liefern lassen zur Lösung dieser Frage, die jedenfalls im Gange bleiben werde. In der Zeit des Absolutismus seien diese Privilegien verloren gegangen und später nur theilweise wieder erobert worden. Wenn in den Verfassungen der Klein⸗ staaten jene Privilegien nur zum Theil vorhanden seien, so liege das in der Kleinheit der Verhältnisse. In den größeren Staaten, in Preußen und Bayern, habe man die Sache in ihrer ganzen Bedeutung erfaßt und zum Ausdruck gebracht. Es sei un⸗ denkbar, daß eine große gesetzgebende Versammlung jemals zu Ausschreitungen gelangen werde, welche eine thatsächliche Ge⸗ fahr enthielten. Aus diesem Grunde schon allein widerspreche er dem 5. 1 der Vorlage. Redner führte sodann die Bestim⸗ mungen der englischen Verfassung an und berührte dabei auch das amerikanische Recht. Was die Berichte über die englischen Parlamentsverhandlungen anlange, so ständen dieselben genau zintzr demselben Schutz, wie die Be—⸗ richte .. die Gerlich Terhandlungen, und man verlange von

itungs Verichtersta ter, daß er ganz in derselben Weise über dieselben berichte, wie über Gerichts⸗ verhandlungen. Das sei die Voraussetzung; die Beur— theilung werde dem gesunden Menschenverstande des Richters überlassen. Ergebe sich aus der Form der Rede die Absicht, zu beleidigen, dann habe sich der Berichterstatter die Frage vorzulegen, ob er diese Beleidigung, Gotteslästerung ꝛc. weiter verbreiten wolle. Die Mittheilung des Wortlautes der Aeuße— rung schütze vor Strafe nicht. Bei diesem Verfahren stehe sich die anständige englische Presse sehr gut. Redner ging so— dann auf die preußischen Verhältnisse ein und besprach na⸗ mentlich die Mißbräuche, die aus den stenographischen Be⸗ richten entstehen könnten. Der gegenwärtig bestehende Zustand sei geradezu unhaltbar. Der Berichterstatter müsse hier frei— gesprochen werden, selbst wenn sich ergebe, daß er mit seinem Bericht nur Skandal beabsichligt habe, wenn der Bericht nur wahrheitsgetreu sei.

(Der Reichskanzler Fürst von Bismarck trat in das Haus.)

Auf diesem Gebiete verlangte Redner Abhülfe und zwar unter Ausschluß jedes Mißtrauens gegen die Richter, gegen die Gerichtspraxis und das Ober⸗Tribunal. Gegen die gegen⸗ wärtige Verbreitung von Parlamentsverhandlungen müsse ein⸗ geschritten werden können. Trotz aller Mängel der Vorlage habe sie in diesem Punkte Recht, und habe die Regierung nur ihre Pflicht gethan, daß sie diese Frage dem Reichstage zur Entscheidung unterbreitet habe. Es müsse die Presse in Bezug auf die Parlamentsberichte dem gemeinen Recht unter⸗ worfen werden. Er wolle diesen Antrag heute nicht stellen, aber er halte es für seine Pflicht, den Reichstag auf diesen Punkt hinzuweisen.

Hierauf wurde die Diskussion geschlossen, und wurden zu— nächst die Anträge von Helldorff, demnächst die §§. 1—4 der Vorlage abgelehnt; in Folge dessen waren auch die übrigen Paragraphen (5— 10) der Vorlage, welche auf der nach §. 2 zu wählenden Kommission basiren, eo ipso gefallen.

Das Haus ging darauf zur Berathung der oben mitge— theilten Resolution des Abg. Dr. von Schwarze und des An⸗ trages des Abg. Frhrn. Schenk von Stauffenberg über.

Der Abg. Dr. von Schwarze erklärte, die Gründe, welche ihn bestimmt hätten, diese Resolution einzubringen, seien im Laufe der Diskussion bereits wiederholt zur Sprache gekommen. Jetzt sei der richtige Augenblick, eine Aenderung der Geschäfts⸗ ordnung vorzunehmen; denn der erkannte Mißstand müsse be⸗ seitigt werden. Die Macht des Präsidenten müsse gestärkt werden. Es sei nicht genug, ihm Vertrauen zu schenken, son— dern, je mehr man seiner Unparteilichkeit und Energie ver⸗ traue, desto mehr müsse man ihn mit Machtmitteln ausstatten, um seine Autorität aufrecht erhalten zu können. Um die an⸗ gegriffene Ehre Auswärtiger zu schützen und das Sozialisten⸗ gesetz in Bezug auf Preßerzeugnisse nicht illusorisch zu machen, müsse die Geschäftsordnung geändert werden. Seine Resolution gebe nur diese Fingerzeige, ohne daß der Reichstag durch ihre Annahme gebunden werde.

Der Abg. Dr. Beseler bemerkte, das Haus habe keine Ver⸗ anlassung, seine Autonomie dauernd der Gesetzgebung zu unter⸗ werfen. Die Autonomie sei überhaupt ein Gut nicht blos der parlamentarischen Körperschaften, sondern der germanischen Genossenschaften im Allgemeinen. Eine Disziplinarkommission wäre unbedingt unannehmbar gewesen. Aber eine Anzah) triftiger Gründe für eine Abänderung der Geschäftsordnung liege vor; vor Allem müsse eine strengere Strafe eintreten für Eine

Ausschließung anstößiger Stellen vom stenographischen Bericht würde übrigens ganz unwirksam sein. Die Geschäftsordnungs⸗ Kommission hätte auch die Frage zu erwägen, ob es nicht nöthig wäre, causae cognitio eintreten zu lassen, bevor man die nachgesuchte Ermächtigung zur Eröffnung des Unter⸗ suchungsverfahrens gegen Abgeordnete versage.

Der Abg. Frhr. Schenk von Stauffenberg begründete seinen Antrag. Nachdem die Abstimmung das Schicksal der Vorlage schon besiegelt habe, sei es doch schon formell unmög—⸗ lich, die Resolution des Abg. von Schwarze sub II. anzu⸗ nehmen, denn sie enthalte Aehnliches, wie die abgelehnten Be⸗ stimmungen, nur mit anderen Worten. Der Antrag sub J. bezeichne die Frage, ob eine Aenderung nöthig sei, als schon entschieden, und greife damit der Entscheidung der Kommission vor. Dem gegenüber befürwortete Redner die Annahme seines Antrages, welcher die Frage noch gi. lasse. Was Belei⸗ digungen gegen außer dem Hause Stehende angehe, so kenne Redner fünf Fälle, wo der Präsident fremde Personen in Schutz genommen habe. Da sei es doch mindestens eine rheto⸗ rische Uebertreibung, wenn Abg. Dr. Gneist sage, der einzige Schutz gegen die Verleumdungen von der Reichstagstribüne sei die Vergeßlichkeit des Publikums. Die Gneist'sche Rede werde tendenziös so ausgebeutet werden, als ob sich der Reichstag berufsmäßig im Schmutze der Verleumdungen wälze. Mit Recht habe des Abg. Graf Frankenberg einen Hauptaccent auf den guten Ton im Hause gelegt, aber das lasse sich nicht mit Geschäftsordnungs⸗Paragraphen erzwingen und außerdem sei es in früheren Jahren damit weit schlimmer bestellt gewesen als jetzt, wie die vom Abg. Grafen Frankenberg mitgetheilt Liste beweise. Es sei richtig, daß der Gesetzentwurf eine fast beispiellose Agitation entfesselt habe, aber schon Hr. von Blankenburg habe im Zollparlament ausgesprochen, die öffent⸗ liche Meinung werde künstlich gemacht. Das habe auch hier seine Richtigkeit gehabt, und die offiziöse Presse sei allen andern Blättern im Tone gegen seine Partei voran gewesen. Nach drei Jahren kehren die Abgeordneten wieder in das Volk zurück in letzter Zeit seien die Perioden auch bisweilen etwas kürzer geworden —, dann würden sie ja Alles zu büßen haben, was etwa von ihnen gesündigt worden sei.

Der Abg. Dr. Hänel erklärte, auch er könne darauf ver⸗ zichten, auf die Sache selbst näher einzugehen, nachdem die vorangegangene Diskussion das Resultat ergeben habe, daß wie der Vorredner richtig hervorgehoben irgend ein Bedürfniß für eine Abänderung der bestehenden Geschäftsord⸗ nung in keiner Weise nachgewiesen sei. Wenn irgend etwas in dieser Richtung überzeugend sein könnte, so sei es gerade die Blumenlese, welche der Graf von Frankenberg dem Hause vor⸗ geführt habe; denn wenn man aus einer zwölfsährigen Vergan⸗ genheit, aus Debatten, die häufig genug die menschlichen Leidenschaften erregen müßten, bei einer Zusammensetzung des Parlaments, welche auch den extremsten Parteien eine Ver⸗ tretung sichere, dem Hause nicht mehr vorführen könnte als ein Paar geschmacklose und übertriebene unzulässige Tiraden und ein Paar Ausdrücke, die dem gebildeten Geschmack nicht gerade gefallen, dann sei der glänzende Beweis gegeben, daß ein inneres Bedürfniß zur Beschränkung der Redefreiheit in diesem Hause nicht gegeben sei. Die vorliegenden Anträge seien allerdings überaus verschieden. Der Antrag Schwarze habe immer noch einen materiellen Inhalt in seiner Nr. JJ. Er bröckele ein Steinchen aus der Verfassung los oder kratze es wenigstens an und dazu seien die jetzigen Zeiten am aller⸗ wenigsten angethan. Wer so bröckele, wisse nicht, wieviel aus dem Gemäuer nachfolge. Der Versicherung des Abg. von Treitschke, daß man nicht in einer Zeit wie nach 1850 lebe, schenke er nicht vollen Glauben; weder er noch die Regierung böten ihm dagegen genügenden Schutz. Auch damals habe sich die Reaktion unter der Maske der Freiheit verborgen und schließlich habe sie mit konstitutionellen Formen den Konstitutionalismus selbst getödtet. An jene Zeit, die man dem Hause als nicht wiederkehrend schildern wolle, erinnere auch jene Art und Weise, wie man jetzt die materiellen Interessen benutze, um dahinter diejenigen Interessen, welche sich an die ver⸗ fassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung knüpften, zu⸗ rücktreten zu lassen. Gerade eine solche Richtung der Zeit halte er für eine der gefährlichsten in Bezug auf eine gesunde und liberale Entwicklung des Volkslebens und für schlechter⸗ dings Ungeeignet, um hier noch lange über die Grenzen der Redefreiheit zu diskutiren, wie sie in der Verfassung festgestellt sei und wie sie die Geschäftsordnung des Reichstages bisher gehandhabt habe. Was er jetzt in diesen Strömungen er— halten könne, das wolle er erhalten. Er gestehe zu, daß der Antrag des Abg. von Stauffenberg nicht präjudizire, daß er seinem Inhalte nach nichts verspreche oder in Aussicht stelle, er könne das ja nicht, denn er sei in der Hauptsache inhalt— los. Aber er verschiebe aufs Neue die Diskussion und fordere zu neuen Diskussionen über diesen Punkt heraus. Redner stimme daher gegen beide Anträge.

Der Abg. Windthorst (Meppen) bemerkte, für den Antrag von Stauffenberg wegen der ihm beigegebenen Begründung stimmen zu wollen.

Der Abg. Dr. Baumgarten erklärte sich gegen die Reso⸗ lution des Abg. von Schwarze, die eine gewisse Einseitigkeit enthalte. Diese liege darin, daß sie nur sozialdemokratische Tendenzen treffe, während andere, gleichfalls den Staat in wesentlichen Bedingungen seiner Existenz negirende Tendenzen davon nicht mithetroffen werden könnten.

Die Diskussion wurde geschlossen. Persönlich verwahrte sich der Abg. Dr. Gneist gegen die vom Abg. Freiherrn von Stauffenberg beliebte Interpretation seiner Rede, die dieser aufrecht hielt.

Der Abg. Graf Frankenberg bemerkte, wenn für die letzten Jahre sein Material spärlicher gewesen sei, so liege das an seiner Rücksicht auf das hohe Haus. Er habe nicht mit Weiterlesen ermüden wollen. Material liege genug vor.

In der Abstimmung wurde zunächst der Antrag von Schwarze sub J. abgelehnt, ebenso der Antrag sub II. Der Antrag von Stauffenberg wurde dagegen angenommen, worauf sich das Haus um 4 Uhr vertagte.

In der heutigen (17) Sitzung des Reichstages, welcher der Reichskanzler Fürst von Bismarck, der Präsident des Reichskanzler⸗Amts Staats⸗Minister Hofmann und mehrere andere Bevollmächtigte zum Bundesrath, sowie Kommissarien des⸗ selben 3 ; ttheilte der Präsident mit, daß an Vorlagen Gesetzentwürfé, betreffend Maßregeln zur Abwehr. der Reblaus und betreffend den Schutz nützlicher Vogelarten, eingegangen seien.

arauf trat das Haus in die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Feststellung des

eiche mr ger gt für das Etatsjahr 1879/80, ein. Das Gehalt des Reichskanzlers sowie die fortdauernden Ausgaben für die Reichskanzlei wurden ohne Debatte be⸗ willigt. Beim Etat des Reichskanzler⸗Amts (Fortdauernde Ausgaben Kap. 1a. Tit. I) wünschte der Abg. Dr. Hänel eine genauere Motivirung für die Mehrforderung eines vortragenden Rathes, auch sei es wünschenswerth, daß die Ver—⸗ bindung des Präsidiums des Reichskanzler⸗Amts mit dem preußi⸗ schen Handels⸗-Ministerium in der Reichsinstanz diskutirt werde. Der Präsident des Reichskanzler⸗Amts erklärte, daß die Mehrforde⸗ rung mit der Verbindung des preußischen Handels⸗-Ministeriums mit dem Präsidium des Reichskanzler⸗Amts in keinem Zu⸗ sammenhange stehe, sondern in der Geschäftsvermehrung des Reichskanzler⸗Amts seinen Grund habe. .

Zu Kap. 2 Tit. 10 (Ausgaben für Maßregeln gegen die Rinderpest 50 9000 υ .) gab der Abg. Richter (Meißen) seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck, daß zur Verhütung der Rinder⸗ pest eine Vermehrung der Nepressionsmaßregeln gegen den Viehschmuggel auf der deutsch⸗russischen Grenze und zu diesem Zwecke eine Vermehrung des Grenzaufsichtspersonals nöthi sei.

Auf eine Anfrage desselben Abgeordneten erklärte der Prä⸗ sident des Reichskanzler⸗Amts, daß der Entwurf eines deutschen Viehseuchengesetzes ausgearbeitet sei und hoffentlich noch in dieser Session an den Reichstag gelangen werde. (Schluß des Blattes.)

Der Gerichtshof für Kompetenz -Konflikte trat heute zu einer Sitzung zusammen.

Da die Heilung von Geisteskrankheiten erfahrungs⸗ mäßig in den meisten Fällen davon abhängt, daß die Kranken möglichst bald einer Irrenheilanstalt überwiesen werden, so hat der Minister des Innern durch Cirkularerlaß vom 2. v. M. die Regierungen veranlaßt, für die Folge, in Gemãßheit der Reskriple vom 26. Oktober 1858 und 8. März 1866, in Fällen, wo Strafgefangene von Geisteskrankheit befallen werden und ihre alsbaldige Ablieferung in eine Irrenheil⸗ anstalt nach dem Gutachten des Anstaltsarztes nothwendig erscheint, wegen der Aufnahme in eine solche Anstalt un ver⸗ züglich das Erforderliche zu veranlassen.

In den deutschen Münzstätten sind bis zum 1. März 1879 geprägt worden, an Goldmünzen: 12652 954 080 S6, Doppelkronen, 405 121 439 6 Kronen, 27 969 145 S Halbe Kronen, hiervon auf Privatrechnung 366 726 450 υ Vorher waren geprägt: 1262 018109 6 Doppelkronen, 405 169 860 Kronen, 27 969 ga5 S6 Halbe Kronen, hiervon auf Privatrechnung 365 544120 (66 Summa 1 686 044 655

Die in der heutigen Börsen⸗-Veilage abgedrugte tabellarisfche Uebersicht der Wochenausweise deutscher Zettelbanken vom 28. Februar schließt mit folgenden summarischen Daten ab: Es betrug der ge⸗ sammte Kassenbestand 681 478 000 S oder] 348 909 4 mehr als in der Vorwoche, während der Wechselbestand mit h20 111 000 g eine Verminderung um 8693 009 66 zeigt, die Lombardforderungen aber mit 81 932 0900 6 eine Zu⸗ nahme um 45874 000 Se aufweisen; es betrug ferner der Notenumlauf 741 283 000 υς oder 18 042 000 ι mehr als in der Vorwoche, während die sonstigen täglich fälligen Ver⸗ bindlichkeiten in Höhe von 259 327 000 66 eine Abnahme um 2972 600 M und die an eine Kündigungsfrist gebundenen Verbindlichkeiten mit 52 198 000 S eine solche um 226 000 erkennen lassen.

Wird durch eine Polizeiverordnung bestimmt, daß an Sonn- und Festtagen die Zeit des Gottesdienstes durch eine stille Feier (Unterlassung alles Kaufens und Ver⸗ kaufens in den Läden der Kaufleute 26 geheiligt werde, so findet diese Verordnung, nach einem Erkenntniß des Ober⸗ Tribunals vom 5. Februar 1879, auch in dem Falle An— wendung, wenn in dem betreffenden Kirchenspiele aus beson⸗ deren Gründen der kirchliche Gottesdienst zeitweise hinwegfällt. Maßgebend ist dann für die stille Sonntagsfeier die Zeit, in welcher sonst regelmäßig der Gottesdienst stattfindet.

Anhalt. Dessau, 5. März. (Leipz. Ztg.) Der Landtag hat den Gesetzentwurf, betreffend die Srganisa⸗ tion des Ober-Landesgerichts, einstimmig und ohne Debatte angenommen. Demzufolge wird nach einem im Oktober abgeschlossenen Staatsvertrage das Königlich preußische Ober⸗Lñandesgericht zu Naum burg .S. zum Oher⸗ Landesgericht für Anhalt bestellt und führt in seiner Wirk⸗ samkeit als solches die Bezeichnung: „Königlich preußisches Ober⸗Landesgericht für das Herzogthum Anhalt“. Die Entscheidungen in den aus Anhalt erwachsenden Sachen ergehen unter der Formel: „In Gemäßheit des zwi⸗ schen Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser, Könige von Preußen und Sr. Hoheit dem Herzoge von Anhalt geschlosse⸗ nen Staatsvertrages vom... Das Recht der Besetzung von zwei Richterstellen wird Sr. Hoheit dem Herzoge vorbehalten. Die Aufsicht über die entsprechenden Land- und Amtsgerichte geht an das Ober⸗Landesgericht über; doch sind dem anhaltischen Staats-Ministerium alle sonst in Frage kommenden Verwal⸗ tungs- und AÄufsichtsbefugnisse ausdrücklich gewahrt. Bei der dienstlichen Aufsicht über anhaltische Justizbehörden und Justizbeamte ist das anhaltische Recht maßgebend. Hinsicht⸗ lich des Ober⸗Staatsanwalts steht das Recht der Aufsicht und Leitung in anhaltischen Sachen dem anhaltischen Staats⸗ Ministerium zu.

Großbritannien und Irland. London, 7. März. (W. T. B.) Im Unterhau fe machte heute der Parlaments⸗ Unter⸗-Staatssekretär im Departement für Indien. Stan⸗ hope, die Mittheilung, daß der 1. von Indien im Hinblick auf die jüngsten Unruhen in Birmah die Besatzung von Britisch-Birmah durch 2 Regimenter Eingeborener und durch 1 englisches Regiment verstärkt habe,

8. März. (W. T. B.) Wie der „Times“ aus Ko n⸗ stantinopel gemeldet wird, hätte die Pforte in Melenik, Gevrekop und Gumurdjina drei Brigaden zusammengezogen, um Macedonien gegen einen Einfall der Bulgaren zu sichern. Das hiesige Polytechnikum ist niedergebrannt.

Frankreich. Paris, 6. März. (Fr. C) Das Partei⸗ wesen in der Deputirten kammer befindet sich gegen⸗ wärtig in einer Krisis, welche für jetzt nur das eine beweist, daß die Majorität vor lauter Siegen und Triumphen das klare Bewußtsein ihrer Aufgaben und Ziele verloren hat und erst mühsam wieder zu finden sucht. Diese Majorität zählt

.

bisher bekanntlich vier Gruppen: linkes Centrum, republi⸗ kanische Linke, republikanische Union und äußerste Linke. Viele Abgeordnete gehören zwei dieser Fraktionen zugleich an, was auch, so lange der Bund der Linken in den Hauptfragen unauflöslich und für die Offensive nothwendig war, nicht viel auf sich hatte. Jetzt aber, seitdem Gambetta den neutralen Präsidentenstuhl eingenommen hat, besteht dieser Bund der Linken nur noch dem Namen nach; die jüngsten Er⸗ folge, namentlich der Sturz des Herrn de Marcere, wurden allein von der äußersten Linken und ihrem jetzt anerkannten Führer, dem Dr. med. Clémenceau, davongetragen; die zwei nächstgelegenen Fraktionen mußten dazu gute Miene machen, und das linke r hatte den Schaden zu tragen. Die natürliche Folge davon war eine Art von Wanderung, ver⸗ möge deren keine Gruppe mehr genau weiß, auf wen sie zu zählen hat. In der republikanischen Linken sind nun gestern die Deputirten Margaine und Bernard Lavergne mit dem Antrage hervorgetreten, die Kollegen, welche der republi⸗ kanischen Union angehörten, von der Gruppe auszu⸗ schließen. Der Vorschlag wurde von den Deputirten Albert Joly, Deschanel und Bamberger sehr entschieden bekämpft und die Beschlußfassung darüber auf morgen, Freitag, wertagt. Mit großem Eifer ermahnen die „République francaise“ und die France“ zur Beibehaltung und neuen Festigung des alten Bundes der Linken; aber es liegt auf der Hand, daß dieses ideale Verhältniß den praktischen Anforderungen des täglichen parlamentarischen Lebens gegenüber nicht mehr Stand halten kann. Entweder wird eine der Fraktionen, also etwa die republikanische Union, alle anderen absorbiren müssen, was die Bildung eines neuen Ministeriums zur nothwendigen Folge hätte, oder jede Gruppe wird ihre Autonomie wieder gewin⸗ nen, von Fall zu Fall mit den anderen Gruppen verhandeln und nöthigenfalls auch vor einem gelegentlichen Bündnisse mit der Rechten oder einer ihrer Fraktionen nicht zurück— schrecken.

Die gestrige Sitzung des En quete-Ausschusses für die Untersuchung der Akte der Regierung vom 16. Mai 1877 hat ebenfalls noch zu keiner Entscheidung geführt. Auf den von dem Minister des Innern vor⸗ getragenen Wunsch der Regierung hat der Ausschuß nur im Widerspruch mit einem früher bon ihm gefaßten Be⸗ schlusse darein gewilligt, dem Ministerium den Bericht des Deputirten Brisson zur Kenntnißnahme mitzutheilen. Dann folgte noch einmal eine Diskussion, in der sich Floquet und Laisant sür, Jozon und Bethmont gegen den Ministerprozeß aussprachen. Eine weitere Sitzung wurde auf morgen, Freitag, anberaumt. ;

Versailles, 7. März. (W. T. B.. Die Kommis⸗— sion für die Untersuchung der Akte der Regierung vom 16. Mai 1877 berieth heute unter Zuziehung der Minister des Innern und der Justiz, Lepere und Leroyer. Letz⸗ tere erklärten, das Kabinet habe von dem Berichte der Kom⸗ mission Kenntniß genommen, müsse aber an seinem Ent⸗ schlusse festhalten, eine Versetzung der Minister vom 16. Mai in den Anklagestand zurückzuweisen. Die Kommission trat, nachdem die Minister die Sitzung verlassen hatten, alsbald in die nochmalige Berathung der Angelegenheit ein und beschloß mit 21 gegen 7 Stimmen, die Versetzung der Minister vom 16. Mai in den Anklage stand zu beantragen ö

Die Kommission für Prüfung der Vorlage, betreffend die Zurückverlegung des Sitzes der Kammern nach Paris, hatte den Conseil⸗Präsidenten Waddington zu ihrer heutigen Sitzung eingeladen. Der Minister erklärte, er werde der Vorlage nicht entgegen sein, wenn eine Ermächti⸗ gung durch den Kongreß erfolgen sollte; gleichwohl müsse er beantragen, daß die Frage bis dahin vertagt werde, wo die Frage wegen des Prozesses gegen die Minister vom 16. Mai eine Lösung erfahren habe. Das linke Centrum hat be— schlossen, die Zurückverlegung der Kammern nach Paris nicht zu unterstützen, weil es diese Frage als inopportun betrachte. Ferner beschloß das linke Centrum, daß sich keines seiner Mit⸗ glieder als Mitglied in einer anderen parlamentarischen Gruppe einschreiben lassen dürfe.

Spanien. Madrid, L.. März. (W. T. 8 Konstituirung des neuen Ministeriums ist nunmehr erfolgt und amtlich bekannt gemacht. Dasselbe betet aus: Martinez Campos: Präsident und Kriegs⸗-Minister, solins ] Auswärtiges, Silvela; Inneres (“), Ayala: Kolonien, Pavia: Marine, Toreno: öffentliche Arbeiten, Orovio; Finanzen, Auriolles: Justiz. Die neuen Minister werden heute Abend vereidigt.

. 8. März. (W. T. B.) Silvel a soll an Stelle des zum Minister des Auswärtigen ernannten Molins als Ge⸗ fandter nach Paris gehen. Das Ministerium der Ko⸗ konien wird' interinistisch noch von Orovio verwaltet werden.

Italien. Neapel, 7. März. (W. T. B) Die VerFßandlungen in dem Prozeß Passavante wurden heute fortgesetzt. Der Vertheidiger des Angeklagten bean⸗ tragte, diefelben in Abwesenheit des Angeklagten zu führen, weil derselbe von den gestrigen Verhandlungen noch sehr auf⸗ eregt und körperlich ganz erschöpft sei. Der Gerichtshof be⸗ . indeß, den Angeklagten zum Erscheinen aufzufordern. Paffavante erschien darauf und wohnte der weiteren Verhand⸗ lung meist weinend bei. Nachdem der bereits bekannte Be— rich? der Sachverständigen über Passavante's geistigen Zustand verlesen worden war, nahm der Stagats-Prokurator das Wort, bestritt die geistige Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten, wies auf die Möglichkeit hin, daß Passavante Mitschuldige habe, erklärte das Attentat für die Folge einer Verschwörung und beantragte von den Geschworenen ein verurtheilendes Verdikt. Der Vertheidiger Tarantini machte darauf aufmerk⸗ sam, daß ihm die Vertheidigung des Angeklagten durch seine Pflicht auserlegt sei, und ging dann auf eine Prüfung des Vorlebens des Angeklagten, ; . von demselben herrührenden Schriften ein. Ferner wies der Vertheidiger auf die Zeitumstände hin, unter welchen das Attentat begangen worden, acceptirte die von den Sachver⸗ ständigen ausgesprochenen gutachtlichen Ansichten und bat ne die n , daß sie Milderungsgründe zu lassen möchten. ach einer einstündigen Unzerbrechung der Sitzung folgte eine kurze Replik des Stagts⸗Prokurgzors und eine gleichfalls uur Erwiderung des Vertheidigers. Nach dem hierauf folgenden Resums des Präsidenten zogen sich die Ge⸗ schworenen zur Berathung zurück. Das 16 Minuten später bei der Rückkehr der Geschworenen in den Sitzungssaal verkündete Verdikt lautete auf: Schu goig ohne Zulassung von

Milverungsgründen, und wurde Passavante in Folge dieses yWahrspruchs vom Gerichtshof zum Tode verurtheilt.

sowie auf eine Erbrterung der

Türkei. Konstantinopel, 6. März. (W. T. B.) Der Rückmarsck der russischen Truppen dauert fort; je nachdem dieselben die von ihnen innegehabten Ortschaften verlassen, werden diese von den türkischen Truppen in Besitz genonimen. Letztere sind an Zahl stark genug, um in allen Gebieten etwaige Kundgebungen Seitens der Bevölkerung, welche die Ordnung und öffentliche Ruhe stören könnten, zu verhindern, und im Nothfall wirksam gegen jeden Versuch in dieser Rich⸗ tung aufzutreten.

J. März. Die hiesige „Agence Havas“ meldet, da die Pforte ihren Kommissaren zur Feststellung der griechi⸗ schen Grenze keine neuen Instruklionen geschickt hätte, so hätte die griechische Regierung auf eine sofortige Entsendung derselben bei der Pforte gedrungen und erklärt, daß sie an⸗ deren Falles ihre Kommissare abberufen werde. Zugleich hätte Griechenland die Vermittelung der Mächte angerufen.

Das Irade betreffend die griechisch-türkische Abgrenzung soll heute erlassen worden sein. Den türki⸗ schen Kommissaren in Prevesa sind die erforderlichen In⸗ struktionen übermittelt worden. Wie es heißt, würde die Pforte den Distrikt Jinina und fast den ganzen Golf von Arta behalten wollen; man glaubt indessen, daß diese Ab⸗— grenzung der griechischen Regierung nicht genügen würde.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 8. März. (W. T. B.) Man ist gegenwärtig an höchster Stelle damit beschäftigt, für Ihre Majestät die Kaiserin, deren Jesund— heit einen solchen Aufenthalt wünschenswerth macht, Reise— pläne nach der Krim festzustellen. Die Kaiserin dürfte in etwa vier Wochen, Ende März a. St., abreisen. Se. Majestät der Kaiser will seine Gemahlin begleiten, um nach 6 bis 8 Wochen wieder zurückzukehren. In diesen wahrscheinlichen Reisedispositionen sieht man einen Beleg für die ruhige Auf— fassung der höchsten Kreise gegenüber den alarmirenden Gerüchten.

Es ist vollkommen unbegründet, wenn behauptet wird, der hier anwesende Professor Lewin habe in dem Falle Prokoffjeff Pest oder sog. astrachanische Krankheit konstatirt. Professor Lewin hat lediglich die Syphilis be— stritten und den Fall für eine lymphatische Drüsenanschwel— lung erklärt, ohne sich dem Urtheile Professor Botkin's anzu—

schließen.

Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau.

Bern, Sonnabend, 8. März, Vormittags. Die Anklage— kammer des Bundesgerichts hat den französischen Unterthan Brousse wegen der durch die Presse begangenen völkerrechts⸗ widrigen Handlungen vor die Assisen des ersten eidgenössischen Geschworenenbezirks verwiesen. Die Botschaft des Bundes— raths an die Bundesversammlung anläßlich der Wieder— zulassung der Todesstrafe beantragt, nicht in die Berathung einzutreten.

St. Petersburg, Sonnabend, 8. März, Vormittags. Der „Regierungsbote“ veröffentlicht drei Telegramme des russischen Prof. Eichwald. Das erste datirt aus Wiasowka vom 3. d. 1 meldet; é Der n rh nnz ist in der

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Cen . 936 lehten Monaten kein Thyh lis ch in s⸗ gekommen, die Pocken sind zwar vorhanden, treten jedoch nur schwach auf; zwei in Kamennijar vorgekom⸗ mene Todesfälle waren nicht durch die Pest bedingt. Prof. Eichwald hat deshalb in Uebereinstimmung mit dem deutschen Delegirten, Prof. Hirsch, vorgeschlagen, die Absper⸗ rung Kamennijars sofort außuheben. Das zweite Telegramm aus Tschornijar vom 5. d. besagt: Die Professoren Eichwald und Hirsch haben die Ueberzeugung gewonnen, daß im De⸗ zember des verflossenen Jahres die levantinische Pestepidemie in Starizkoje in der That geherrscht hat, auch sind daselbst Todesfälle an „Pestis siderans- vorgekommen; dagegen war von indischer Pest keine Rede. Das dritte Telegramm aus Nikols⸗ kose vom 6. d. konstatirt einen vereinzelten Fall levantinischer Pest daselbst, der aber mit der in Wetljanka aufgetretenen Seuche in keinem Zusammenhange gestanden habe. Zufolge der hinsichtlich Nikolskoje und Starizkoje ergriffenen Vorsichts⸗ maßregeln ist jetzt jede Besorgniß anläßlich dieser Orte ge⸗ schwunden. Die Untersuchung der Seuche in Prischibinskoje hat Dr. Snigireff übernommen. Die Professoren Hirsch und Eichwald reisen direkt nach Wetljanka, wo sich bereits einige deutsche und österreichische Aerzte befinden. General Loris⸗ Mellkoff fügt den vorstehenden Meldungen der Telegramme des Profesfor Eichwald noch hinzu: In den tschernojarski⸗ schen und jenotajewschen Bezirken des astrachanischen Gouvernements, welche 118 0090 Einwohner zählen, starben seit dem Auftauchen der Epidemie im Oktober v. J. bis zum 7. Februar d. J, wo sich der letzte Todesfall an dersel hen zu⸗ trug, nicht über 500 Personen. Unzweifelhaft raffen Cholera, Diphtheritis, Pocken und Typhus gewöhnlich viel mehr Opfer hin. Augenblicklich könne man sagen, daß die Epidemie über⸗ wältigt sei. Da bewiesen sei, daß die Absonderung der Er⸗ krankten gegen die weitere Verbreitung der Seuche, gänzlich schütze, so könne sich die Gesellschaft vollständig beruhigen und alle Geschäfte wieder aufnehmen. . .

Kopenhagen, Sonnabend, 8. März, Vormittags. Dem. Journal „Dagens Nyheter“ zufolge ist Seitens der Universitä⸗. beschlossen worden, das bevorstehende vierhundertjährige Juroi⸗ läum ver Universität ohne spezielle Festlichkeit zu begehen. Nördlich von Kopenhagen ist die See wieder offen, süd!“ch der Stadt ist zwar noch Eis vorhanden, doch können Dan pfschiffe passiren. Der Binnenhafen ist durch Dampsschiff paffirbar gemacht worden.

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Nr. 10 des „Central - Blatts för das Deutsche Reich“, herausgegeben im Reichskanzler. . mt, hat folgenden In⸗ halt: Allgemeine Verwaltungẽsachen: B (kanntmachung, betreffend Erlöschen der Rinderpest; Verbot einer ausländischen Druckschrift; Ausweisung von. Ausländern aus „em Reichsgebiet. Münz— und Bankwesen; Ucbersicht über die Ausprägung von Reichs⸗Gold— münzen; Goldankäufe der Reichs ank. Finanwesen: Wekannt- machung, betreffend die Ausgabe van Schatzanwesfungen im Betrage von 260 600 000 Sο Zoll. und Steuerwesen: Bundegrathsbeschluß, betreffend probeweise Verwiegung von Jucker beim Ausgange mit Anfpruch auf Steuervergüttunz:; Abberufung eines Stations- Fontroleurs; Befagnié, eines Nebenzollamts, Marine und Schiffahrt: Abäuder ng des Tarifs für die Schiffahrtsabgaben an der Sulinamünd- mg; = Beginn einer Seeschiffer⸗Prüfung; Er⸗ theilung eines, Flaggenattested. Konsulatwesen: Exequatur· Er

theil ung; . . d Nr. 10 des „Ju stiz⸗Ministerial⸗Blattt enlbõ i:

Das in Preußen geltende eheliche Güterrecht,