1879 / 59 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 10 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Auf Grund §. 12 des Reichsgesetzes gegen die gemein⸗ gefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Okto⸗ ber 1878 wird hierdurch zur öffentlichen Kenntniß gebracht, daß die von Carl Hagström herausgegebene Druckschrist Ar⸗ beiter⸗Traktat Nr. ?“ von der unterzeichneten Landes⸗ polizeibehörde nach §. 11 des gedachten Gesetzes verboten ist.

Hamburg, den 8. März 1879.

Die Polizeibehörde. Senator Kunhardt.

Bekanntmachung für Seefahrer.

Am 1. April er. beginnt in Leer⸗Ostfriesland ein Kursus zur Vorbereitung zum Schiffer auf großer Fahrt.

Anmeldungen nimmt der Unterzeichnete entgegen.

Leer, den 8s. März 1879.

Der Königlich preußische Naxigationsschul⸗Direktor

für die Provinz Hannover. Der Königliche Navigations lehrer

Wend tlandst.

; X G.:

Aichtamtliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 10. März. Se. Majestät der Kaiser und König empfingen am gestrigen Sonntage den mit der Führung der Großherzoglich hessischen (25.) Division beauftragten Prinzen Heinrich von Hessen und bei Rhein, Großherzogliche Hoheit.

Heute Vormittag nahmen Allerhöchstdieselben die Meldung des zum Commandeur der 16. Division ernannten General⸗ Lieutenants von Wichmann, sowie die des hier eingetroffenen General Lieutenants à la suite der Armee Grafen von Kanitz entgegen.

Ihre Majestät die Kaiserin-Königin war vor⸗ gestern in dem Vortrage des Wissenschaftlichen Vereins an⸗ wesend.

Gestern wohnte Allerhöchstdieselbe dem Gottesdienste in der Kapelle des Augusta⸗Hospitals bei.

Heute war Ihre Majestät in der Kaiserin⸗Augusta⸗Stif⸗ tung in Charlottenburg anwesend und besuchte zur Gedächt⸗ nißfeier der Königin Luise das Mausoleum.

Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz ist am 5. d. M., Nachmittags gleich nach 5 Uhr, auf der Charingcross⸗Station in London angekommen. Zum Empfange waren Höchstdemselben der deutsche Botschafter Graf zu Münster mit dem Personal der deutschen Botschaft und im Auf⸗ trage Ihrer Majestät der Königin von Großbritannien der General⸗Lieutenant Hardinge, der bei Sr. Kaiserlichen Hoheit zum Ehrendienst befohlen ist, nach Dover entgegengereist. Auf dem Perron des Bahnhofes waren zum Empfange Ihre Königlichen Hoheiten die Herzöge von Edinburgh und Connaught, ferner der Herzog von Teck, die Hofdame Gräfin Münster, der Kammerherr Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Kronprinzessin Graf Seckendorff, der frühere Großbritannische Militärbevollmächtigte in Berlin, General Walker und an⸗ dere Personen von Rang anwesend. Beim Aussteigen aus dem Waggon begrüßte Se. Kaiserliche Hoheit zuerst die

ohen Verwandten, verabschiedete Sich hierauf von dem

irektor der South⸗Eastern⸗Railway, der den Zug bis Charingeross geführt hatte, und bestieg demnächst mit Sr. Königlichen Hoheit dem Herzog von Edinburgh den Wagen, um Sich nach Buckingham⸗Palace zu begeben, wohin Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Kron⸗ prinzessin seit dem 4 d. M. von Windsor übersiedelt ist, um mit Sr. Kaiserlichen Hoheit bis zum 11. d. M. in London zu residiren. Vor dem Bahnhof hatte sich ein zahlreiches Publikum angesammelt, darunter die Mehrzahl Deutsche, welche den Hohen Gast Ihrer Majestät der Königin mit lauten Hochrufen empfingen.

Der Bundesrath, die vereinigten Ausschüsse des—⸗ selben für Eisenbahnen, Post und Telegraphen und für Justizwesen, sowie die vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute Sitzungen.

Der russische Regierungs⸗Anzeiger konstatirt in seiner Nummer vom 6. d. M., daß neuerdings in Welikije⸗Luke (Gouv. Pekow) und in Kologriw (Gouv. Kostroma) Gerüchte über angeblich vorgekommene Erkrankungen an der Pest verbreitet gewesen und in Saposhok (Gouv. Rjäsan) Befürchtungen für Einschleppung der Pest durch einen an⸗ gereisten Fischhändler hervorgetreten sind. Die in Folge dessen angestellten Untersuchungen hätten jedoch erwiesen, daß in den beiden ersten Fällen die Gerüchte auf andere Krankheits⸗ formen zurückzuführen, in letzterem die Befürchtungen durch⸗ aus grundlos waren.

Innerhalb des Amtsbezirks des deutschen Konsulats in Moskau ist auch in letzter Zeit über verdächtige Krank⸗ heitsfälle nichts bekannt geworden.

Die „Wiener Zeitung“ vom 8. d. Mts. veröffentlicht mit der Ueberschrift „Verdächtiger Todesfall“ folgende der „Politischen Korrespondenz“ entnommene Meldung:

„Laut einer telegraphischen Anzeige des Statthalterei⸗ Präsidiums in Lemberg ist der 60 Jahre alte Israelite Mate Walzer, Pferdehändler aus Rußland, in dem Orte Mielnica, Bezirk Borszezow in Galizien, am 1. d. unter be⸗ denklichen Symptomen erkrankt und am 5. d. Mts. daselbst gestorben. Die Krankheit wurde von dem behandelnden Arzte als Carbuncul erklärt. Dessenungeachtet wurde die strengste Isolirung der Leiche, dann der Personen und Effekten, die mit dem Verstorbenen in Berührung kamen, angeordnet und wurden aus Lemberg drei Aerzte, darunter der Prosector des allgemeinen Krankenhauses, Dr. Feigel, behufs Vornahme der Leichensektion und genauen Konslatirung der Krankheit nach Mielnica entsendet.“

Amtlicher Mittheilung zufolge hat die norwegische Regierung für die aus Finland und den russischen Ostsee⸗Provinzen in Norwegen eintreffenden Schiffe eine Quarantäne angeordnet.

Der Gesundheitszustand in Macedonien ist, amt⸗ licher Mittheilung zufolge, im Allgemeinen befriedigend. Die Typhusepidemie in Semikowa ist im Abnehmen begriffen, auch die Sterblichkeit hat sich dort bedeutend vermindert. In Serres sind Fälle von Typhus und Blattern vorgekommen, ohne daß jedoch diese Krankheitserscheinungen einen beunruhi⸗ gend epidemischen Charakter angenommen hätten.

Der Gesundheitszustand in Pa lästina ist, wie aus Jerusalem gemeldet wird, ein durchaus normaler. Man scheint übrigens dort mit Rücksicht auf den in diesem Jahre in erhöhtem Maße zu erwartenden Besuch des heiligen Landes durch russische Pilger besondere Vorsichtsmaßregeln in Aus⸗ sicht nehmen zu wollen.

Der internationale Gesundheitsrath in Tanger hat die von ihm s. Z. getroffenen Maßregeln“), wonach allen Provenienzen vom Schwarzen und Asowschen Meere sowie vom Griechischen Archipel, und zwar selbst den mit reinem Gesundheitspatent versehenen, die freie Praktik in den marok⸗ kanischen Häfen versagt ist, falls sie nicht vorher in einem vorschriftsmäßigen Lazareth einer Quarantäne unterzogen worden sind, neuerdings auf die Provenienzen aus sämmt⸗ lichen Häfen der Türkei, aus Montenegro, Griechenland und Egypten ausgedehnt.

Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (I7.) Sitzung setzte der Reichstag die zweite Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Feststellung des Reichshaushalts⸗ Etats für das Etats jahr 1879/89 fort. Zu Kapitel 2 (fort⸗ dauernde Ausgaben des Reichskanzler⸗Amtes) Tit. 10 (Ausgaben für Maßregeln gegen die Rinderpest) bemerkte der Abg. von Bethmann⸗Hollweg (Ober⸗Barnim), daß die schnelle Wiederkehr der Rinderpest 1877 und 1878 die Frage rechtfertige, ob die bestehen⸗ den Instruktivbestimmungen ausreichten. Die revidirte Instruk⸗ tion von 1873 verlange mit Recht energisches Handeln; er (Redner) möchte hinzufügen: rasches energisches Handeln. Die Fürsorge des preußischenLandwirthschafts⸗Ministeriums für das Veterinärwesen lasse zwar die Ausbildung tüchtiger Thierärzte hoffen; doch hange deren sachgemäße Verwendung davon ab, daß auch die Seuchenorte resp. die bedrohten Orte frühzeitiger erkannt würden. Die im 5. 4 des Gesetzes von 1869 stipulirte Anzeigepflicht sollte sich deshalb nicht auf 2 beschränken, sondern schon die Berührung von Vieh mit pestkrankem oder verdächtigem müßte angezeigt werden. Jeder Viehhändler müßte ferner sofort nach Bekanntwerden eines Seuchenheerdes seinen gesammten Bestand und Transport anzeigen. Das Ein⸗ sammeln solcher Anzeigen durch den Bundeskommissar in Hamburg habe im Jahre 1877 die rasche Tilgung der Seuche ermöglicht. Der 5. 17 der erwähnten Instruktion enthalte dagegen einen überflüssigen schweren Druck. Die hier vor— geschriebene Bildung von Seuchenbezirken von drei Meilen Durchmesser bewirke eine sehr lästige und kostspielige Beschrän⸗ kung des Verkehrs, namentlich auf dem platten Lande, ohne daß den davon betroffenen Landestheilen eine Entschädigung gewährt werde. Zur Verhütung der Verschleppung auf der Eisenbahn sei ein solcher Bezirk zu eng, mit Bezug auf ander⸗ weitige Verschleppung aber zu weit gegriffen; denn durch Vieh könne sie nicht erfolgen, sofern dessen Ausfuhr aus dem Orte inhibirt werde; durch Menschenverkehr aber sei sie bisher höchstens auf 2B bis 3 Kilometer erfolgt. Der sonst innerhalb des Seuchenheerdes gestattete Transport solle zwar auf be—⸗ sondere Erlaubniß freistehen, sie werde aber immer nur für den Export von Rindvieh aus Seuchenbezirken nach einem ganz bestimmten Ort hin, z. B. für die nördlichen Gegenden nach dem Berliner Viehhof gegeben. Dadurch sei der Preis des Viehes auf dem Viehhg' so gedrückt, daß ohne Schaden neues nicht hingebracht werden nne. Andeterseits könne auch dieses Ausfuhryerbot dadurch ganz illusorisch gemacht werden, daß man Vieh nach der nächsten Eisenbahn schaffe und in alle Welt versende. Die Maßregel habe aber bei der jetzigen Rinder⸗ pestinvasion in Folge der Verbreitung dieser kleinen Be— zirke über einen sehr großen Theil des Landes, über den Um— fang von Regierungsbezirken, ja einer Provinz hinaus den Verkehr für ein volles Vierteljahr lahmgelegt und so der Landwirthschaft schweren Schaden zugefügt. Der §. 25 des Gesetzes erlaube ferner der Behörde, zur Einschränkung der Rinderpest auch gesundes Vieh zu tödten. Das sei gewiß sehr gut. Aber die im 5§. 38 der Instruktion vorgeschriebene Desinfektion von Ställen, in welchen gesundes Vieh gestanden, koste etwa ebenso viel wie die Tödtung und sei überflüssig, da solche Ställe nicht infizirt gewesen seien. Es bedürfe also theils einer Verschärfung der Maßregeln, theils einer Erleich— terung. Er bitte die Regierung, seine Andeutungen wohl⸗ wollend zu erwägen, sei es behufs Revision der Instruktion von 1873, sei es zu einer Novelle zum 5. 4 des Gesetzes.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Ich bin dem Herrn Vorredner für seine sachliche Kritik der Ge⸗ setzgebung, wie sie heute liegt, sehr dankbar und werde anordnen, daß die Rede, die wir so eben gehört haben, bei der Neubearbeitung des Seuchengesetzes und bei der damit zu verbindenden Revision der jetzt gültigen Bestimmungen benutzt werde und dazu Anlaß biete, bevor der herzustellende Gesetzent vurf in die öffentliche Diskussion im Bundesrathe und im Reichstage gelangen wird, sachkundige Vertreter der Landwirthschaft, namentlich aus solchen Bezirken, in welchen Seuchenfälle vorgekommen sind und die daher aus eigner Erfahrung beurtheilen können, wo dieser noch wenig probirte Schuh drückt oder nicht, daß die hinzugezogen werden mit ihrem gutachtlichen Urtheile. Ich glaube, daß aus der Darlegung des Herrn Vorredners aber doch hervorgeht, daß es für die Be⸗ bandlung der Seuchen, wenn sie einmal unsere Grenze überschritten haben, an Sorgfalt nicht fehlt, im Gegentheil die Sorgfalt vielleicht eine zu weit getriebene ist und daher eine Minderung stattzufinden hat. Auf der anderen Seite kann ich mich dem Eindruck nicht ent⸗ ziehen, daß unsere Grenzen gegen die Einschleppung der Seuchen bis her nicht hinreichend geschützt sind; ich möchte aber bitten, dafür das Reich nicht als verantwortlich anzusehen und die Mängel, die dabei hervortreten, nicht einem Mangel an Sorgfalt von Selten des Reichs zur Last zu legen. Das Reich hat keine Exekutivmittel und keine eigenen Beamten, um den Grenzschutz zu üben und zu fördern. Ja, scñ̃ die Zollbeamten, die bisber, sei es aus Mangel an Interesse, sei es aus anderen Gründen, nicht dem Einschleppen des Viehs auf den verbotenen Streden dieselbe Sorgfalt widmen, die sie sonst dem Schmuggel angedeihen lassen, selbst die Zollbeamten unterliegen in dieser Beziehung nicht der Instruktion des Reiches, sondern der einzelnen Staaten. Es hat mir einen Eindruck gemacht, der mir manchen Zweifel angeregt hat, wenn ich gesehen habe und aus den Untersuchungen über die einzelnen Einschleppungsfälle entnommen habe, daß mit großer Wahrscheinlichkeit Jahr und Tag, ja mehrere Jahre hindurch äuf denselben bestimmten Waldpfaden und Furthen die verbotene Einfuhr des Viehes stattgefunden hat, und es scheint mir doch fast unmöglich, daß die patrouillirenden Geng—⸗ d'armen, die patrouillirenden Grenzbeamten und der in seinem Kreise umherfahrende Landrath gar nicht auf den Verdacht kommen sollten, daß dort eine Umgehung der Verbots⸗ gesetze, eine Uebertretung der Strafgesetze stattfinden sollte. Ist nun vielleicht die Abneigung gegen irgend eine Art von Denunziation 86 als die Furcht vor der Gefahr der Verseuchung des eigenen

andes, ich weiß nicht, woran es liegt, es scheint mir aber absolut unmöglich, daß unser Verkehr, wie ich dies angedeutet habe, sich so lange Zeit, wie es der Fall gewesen zu sein scheint, der Kenntniß

) S. „Reichs ⸗Anz.“ vom 25. v. M]

der zur Beobachtung der Gesetzesüberschreitung angestellten Beamten habe entziehen können. Die neuesten Untersachungen in Ostpreußen haben ja zur Genüge dargethan, daß Bearite auch selbst von nicht ganz niedrigster Stellung mit falschen Attesten bei diesen Einschlex⸗ pungen, die uns so gefäbrlich gewesen sind, die unsern ganzen Vieh- handel nach England zerstört haben ror der Hand daß sie dabei mit Ausstellung von falschen Attesten thätig gewesen sind. Welches wird nun die Bestrafung sein dieser Uebertretungen, man kann wohl sagen Angesichts der Kalamität, die dadurch über unser Land herbeigezogen ist, dieser Verbrechen, daß Jemand leicht⸗ sinnig, um einen Gewinn zu suchen, das ganze Land der Gefahr der Seuche aussetzt? Nun, meine Herren, ich erlaube mir daran zu er⸗ innern, wie das Gesetz wegen Bestrafung fahrlässiger oder verbreche⸗ rischer Einschleppung von Seuchen vorgebracht wurde, wie außer⸗ ordentlich von der Seite, die für ihre Aufgabe hält, mehr für den Verbrecher wie für den ehrlichen Mann bei Stellung der Strafsätze sich zu interessiren Partei nehmen will ich nicht sagen aber die mehr Angst haben, daß dem Verbrecher zu viel geschehe, als da—⸗ vor, daß die Gesellschaft unzulänglich beschützt sei, es sind die Strafsãtze ganz außerordentlich gemildert worden, so daß sie in ihren Konsequenzen kaum noch den nöthigen abschreckenden Charatter haben, und ich glaube, wir werden durch die Erfahrung dazu gezwungen ich thue es ja sehr ungern, einen gefaßten Beschluß des Reiche— tags nochmals vorzubringen ihn zu ändern, und ich weiß, einen wie schwierigen Stand ich damit habea würde, aber ich mache darauf aufmerksam, daß die Strafgesetzgebung gegen das verbrecherische Ein schleppen verdächtigen Viehes eine ju milde ist und daß wir da späterhin, ich will nicht wünschen, daß wir sehr schwere Erfahrun—⸗ gen machen. Aber wenn sich dies häufiger wiederholt, so glaube ich, wird die Mehrheit unter Ihnen sich doch der Pflicht, den Geschädig⸗ ten zu helfen, nicht entziehen können, und wir werden dann vielleicht ein geneigteres Ohr finden. Einstweilen aber möchte ich rur bitten, das Reich nicht als verantwortlich anzusehen für diese Einschleppun⸗ gen, fär die Mißbräuche, die an der Grenze jedenfalls stattfinden müssen, um dergleichen zu ermöglichen, sondern lieber in den einzel⸗ nen Staaten durch die Landtage der Grenzstaaten und ihre verantwort⸗ liche Verwaltung darüber zu interpelliren, wie dergleichen möglich ist. Wir im Reich haben nicht die Mittel, da wir nicht einmal über die Zollbeamten ein Verfügungsrecht haben.

Der Abg. Dr. Lasker erklärte, er wisse wirklich nicht, welchen Anlaß der Reichskanzler gehabt habe, sich bei dieser an sich so sachlichen Debatte einer persönlichen Gereizt⸗ heit zu bedienen. Dies hänge zusammen mit den Dingen, die neulich im Reichstage verhandelt seien. Wenn der Reichskanzler von Mitgliedern des Reichstages spreche, die sich mehr des Verbrechens als der öffentlichen Wohlfahrt an— nähmen, und diese Worte offenbar an eine bestimmte Adresse richte, so sei charakterisirt, von welcher Seite die Anregung zu aufregenden Debatten ohne den geringsten Anlaß gegeben werde. Es sei sehr gut, daß der Reichskanzler einmal auf frischer That erfahre, wie ein solches Verfahren wirke. Die vorgetragenen Thatsachen seien nicht richtig. Ueber das Maximum der Strafe für solche Vergehen, wie der Reichs— kanzler sie geschildert habe, nämlich Zuchthaus bis zu 10 Jahren,

habe von vornherein das vollste Einverständniß bestanden; es

habe sich vielmehr um die Frage gehandelt, wie hoch das Minimum festgesetzt werden sollte. Dabei sei ausdrücklich exemplifizirt, es handele sich dabei nicht um Personen, die in gewinn— süchtiger Absicht, sondern aus Fahrlässigkeit sich an derartigen Dingen betheiligten. Meine denn der Reichskanzler, daß recht hohe Strafen schon eine gute Gesetzgebung ausmachten? Wer aus juristischem Sinn neben dem Interesse des Verkehrs auch die Natur des Vergehens zu berücksichtigen wünsche, der höre aus dem Munde des ersten Beamten des Reiches, er be— günstige mehr das Verbrechen als das Wohl des Landes. Nachdem das Haus habe auseinandersetzen hören, daß es sich um das Maximum der Strafe nicht gehandelt habe, das richterliche Urtheil also vollkommen frei sei, die höchste Strafe so zu erkennen, wie die Regierung sie vorgeschlagen, werde das Haus selbst ein Urtheil fällen können, ob die Worte an⸗ gebracht gewesen seien, welche der Reichskanzler bei dieser Gelegenheit auszusprechen für gut befunden habe.

Der Reichskanzler Fürst von Bismarck erwiderte:

Ich rufe den Reichstag und alle Zuhörer zu Richtern an, wer ruhiger und sachlicher gesprochen hat, ich oder der Hr. Abg. Lasker. Ich habe mich vollständig innerhalb der sachlichen Debatte bewegt, ich habe auch Niemand persönlich genannt, ich habe namentlich den Hrn. Abg. Lasker nicht genannt, ich glaube nicht, daß ich einen Namen genannt habe. Wenn der Hr. Abg. Lasker sich zu der Be⸗ zeichnung derer meldet, die den Schutz des Verbrechers gegen Unge⸗ rechtigkeiten schärfer accentuiren als den Schutz des ehrlichen Mannes gegen die Verbrecher, so kann ich doch nicht dafür. Außerdem muß ich sagen, das die Art, wie der Herr Abgeordnete mir einen beleh⸗ renden Verweis giebt, wie ich das schon öfter von ihm erfahren habe, himmelweit verschieden ist von der sachlichen Kritik, die ich hier ge⸗ übt habe an der Hand unserer Sesetzgebung und im Interesse der Sicherheit unserer Viehzüchter, und i möchse den Vorwurf dem Hrn. Abg. Lasker geradezu zurückgeben, daß ich ihn hier auf frischer That ertappe, wie er eine ganz allgemein sachliche Bemerkung, sofern er den leisesten Stachel der Kritik für etwas, was er einmal im Leben gethan hat, darin findet, sofort zu einer zornigen Strafrede persoͤnlicher Natur mir gegenüber benutzt, um mir zu beweisen, daß ich irgend Jemand allgemein oder besonders verdächtigt bätte. Ich habe an den Abg. Lasker in dem Augenblick, wo ich sprach, gar nicht gedacht, und es wird mir jetzt erst vollständig gegenwärtig, daß er einer der Redner war, der, wenn ich nicht irre, den Begriff hineinbrachte., es solle dem⸗ jenigen, der Vieh schmuggelt, die gewinnsüchtige Absicht erst nach⸗ gewiesen werden. (Widersprach des Abg. Dr. Lasker.) Ich glaube, es steht drin, ich will es nicht fest behaupten, aber es schwebt mir so vor. Ich bin auf diese Spezialien nicht vorbereitet, da ich an den bedauerlichen Vorgang einer persöalichen Disfussion mit dem Hrn. Abg. Lasker beute nicht im entferntesten gedacht hatte. Er hat ge⸗ sagt, er habe nur das Minimum heruntergesetzt. Das ist aber für unsere Richter überhaupt ein regelmäßiges Heruntersetzen des Durch⸗ schnitts der Strafe. Wann wird ein Richter je zum Maximum greifen, ehe die Spannung nicht so hoch getrieben ist in dem öffent⸗ lichen Gefühl, wie vielleicht durch die schweren Verbrechen des vorigen Jahres sie getrieben worden war. Aber in den gewöhnlichen Eigen⸗ thums⸗ und eigennützigen Verbrechen ist es mir noch nie vorgekommen, daß der Richter sofort zum Maximum greift. Das Minimum her⸗ unkersetzen heißt also die Strafe beruntersetzen. Ich glaube auch nicht, daß in einer solchen Gesetzgebun, die recht sehr praktischer Natur ist zum Schutz unserer materiellen Interessen, die Herren Juristen das Hauptwort mitreden sollten, sondern die Interessenten.

Der Abg. Dr. Lasker bemerkte, der Reichskanzler hätte viel ruhiger sprechen können, denn der Abg. von Bethmann⸗ Hollweg habe weder ihn, noch sonst Jemand im Hause pro⸗ vozirt. Dagegen seien alle Mitglieder des Reichstages (nicht er allein, sondern die Mehrheit des Hauses), welche im vorigen Jahre bemüht gewesen seien, das Minimum herunterzusetzen, durch die Worte des Reichskanzlers provozirt worden, indem derselbe über einen Beschluß des Reichstages gesagt habe, daß es Mitglieder gebe, welche das Verbrechen mehr schützten als die Wohlfahrt des Landes. Ein solches Verfahren scheine ihm nicht mehr übereinzustimmen mit dem psychologisch rich— tigen Urtheil, welches er sonst vom Reichskanzler gewohnt sei. Er (Redner) habe immer wahrgenommen, daß der Reichs⸗ kanzler, der große Meister der Rede, genau jedes Wort ab⸗

zumessen wisse, damit es an die richtige Adresse komme, und stets sehr wohl wisse, wie das Wort spsychologisch wirke. Der Reichskanzler habe ferner gesagt, er hätte nicht gewußt, daß er (Redner) sich dieser Sache an⸗ nehmen würde. Er wisse nicht, ob der Reichskanzler die „Post“ oder „Norddeutsche Allgemeine . lese; in diesen Blättern sei es jahrelang Mode gewesen, ihn als solchen Mann zu charakterisiren, wie es der Reichskanzler heute ge⸗ than habe. Vielleicht kämen ihm diese Blätter nicht zu Gesicht und er habe von derartigen Artikeln keine Kenntniß. Uebrigens sei er nicht allein getroffen, sondern das ganze Haus sei dabei betheiligt. (Rufe rechts: Nein!) Sachlich liege die Angelegen— heit so, daß sein Antrag gar nicht angenommen sei, sondern der, welchen die Regierung mit dem übrigen Theil des Hauses vereinbart habe. Die Gesetze nachträglich in dieser Weise kri⸗ tisiren, die Zustimmung der Regierung als eine solche darstellen, die nur wegen eines Nothstandes erfolgt sei, später dem Reichstag allein die Verantwortlichkeit zuzuwälzen, das sei eine Politik, die niemals zum Guten führen könne, das sei eine mächtige Agitation gegen den Reichstag im Lande. Wenn im Hause Jemand dies Urtheil gegen die Richter gefällt hätte, würde eine große Entrüstung sich kundgegeben haben. Wenn man ferner be⸗ haupte, daß das Minimum herabsetzen so viel bedeute als die Strase auf das Minimum herabsetzen, dann möchte er den Künstler sehen, der noch im Stande wäre, ein Strafgesetz zu machen. Das Minimum sei durchaus nicht niedrig gegriffen; wenn das Minimum hoch gegriffen sei und in schweren Fällen bis zum Zuchthause gezogen werden könne, dann werde ein Richter sich gekränkt fühlen, wenn man sage, ein derartiges Strafgesetz habe für ihn die Bedeutung, als ob das Minimum der Strafe die anzuwendende Strafe wäre. Es hätte nach alledem der Objektivität weit mehr gedient, wenn die Dis⸗ kussion sich innerhalb der Grenzen gehalten hätte, welche der Abg. von Bethmann⸗Hollweg ihr gegeben habe, und nicht auf Rekriminationen übergegangen wäre, von denen er wiederholt sagen müsse, daß sie ohne Zwang vom Reichskanzler hier geübt worden seien.

Hierauf erklärte der Reichskanzler Fürst von Bismarck:

Ich glaube, die Di⸗kussion wird überall den Eindruck gemacht haben, daß die Grenze, die der Herr Abgeordnete zuletzt fixicte, nicht verlaffen worden wäre, wenn der Herr Abgeordnete nicht das Wort ergriffen hätte; erst von dem Augenblicke hat sie meines Erachtens die Grenze, die der Herr Abgeordnete selbst bezeichnete, verlassen. Ich habe mich vollständig in sachlichen Grenzen bewegt. Der Herr Abgeordnete hängt sich an den einen Ausdruck mit dem ich Diejenigen bezeichnet habe, die stets für die mildesten Strafbestimmungen, für die Herabsetzung der Strafbestimmungen sind, daran hängt er sich, um mich zu kennzeichnen, wie Jemand, der ganzen Kategorien unüberlegte Vorwürfe macht. Ich halte das nicht für unüberlegt, sondern halte es für nothwendig, die Ausdrücke so scharf und prägnant zu brauchen, daß sie auch im Publikum einen Eindruck machen, um klar zu stellen, daß das Maß von Schutz, auf welches alle ehrlichen Leute Anspruch machen, bei der jetzigen Lage der Gesetzgebung uns nicht überall gewährt wird, daß unsere Gesetzgebung in ihren Straf⸗ bestimmungen zum großen Theil zu milde ist. Ich bin außerdem vollständig berechtigt, wenn ich daron spreche, Versuche der Gesetzgebung zu erneuern, daß ich mich ohne Nennung irgend eines Namens an diejenige Richtung wende, die meines Erachtens die früher vorgelegten Gesetze in ihrer Wirkung zu sehr abgestumpft hat, damit die Herren ihrerseits sich der Folgen dessen, was sie ge⸗ than haben, durch diese ibre Abminderung recht klar bewußt werden. Ich weiß nicht, nach der Schärfe, mit der der Herr Abgeordnete mich angegriffen hat, muß ich allerdings glauben, daß ich das ihm gegen⸗ über nicht erreicht habe, aber mir genügt es, wenn ich im Lande und wenn ich in der großen Mehrheit der Abgeordneten dies erreiche. Ich habe Niemand persönlich genannt, Niemand persönlich gekränkt, der Herr Abgeordnete hat sehr unerwartet plötzlich mit Schärfe und Heftigkeit des Angriffs mir vorgeworfen, meine Politik wäre nicht die richtige, um zum Ziele zu kommen. Meine Herren, darüber lassen Sie mich selbst urtheilen. Ich weiß sehr gat, wohin ich strebe, und was ich mit diesem Angriff gegen die zu milden Straf— bestimmungen bezwecke, ist mir vollständig klar und wird auch seine Wirkung thun.

Der Abg. Dr. Lasker bemerkte, er habe also die Absicht des Herrn Reichskanzlers richtig beurtheilt und es deswegen für nothwendig gehalten, sofort nachzuweisen, daß die Dar⸗ stellung nicht richtig sei, um den Vorwurf nachzuweisen, als seien die Bestimmungen in dem Gesetz gegen Einschleppung der Rinderpest zu milde getroffen.

Der Abg. Dr. mn führte aus, er habe auch zu denen gehört, die seiner Zeit für milde Strafen gestimmt hätten, aber er habe sich dabei nur von der Erwägung leiten lassen, daß damit dem Wohle des Landes am Besten gedient werde. Die Aeußerung des Reichskanzlers, daß man für die mangel— haften Maßnahmen zur Abwehr der Seuchen, nicht das Reich verantwortlich machen könne, fondern die Initiative den Ein⸗ zelstaaten überlassen müsse, veranlasse ihn mit Rücksicht darauf, daß hier vor Allem Preußen in Betracht komme, zu der Bitte an den Reichskanzler, daß er den preußischen Minister⸗Präsi⸗ denten auf diesen Uebelstand aufmerksam machen möge.

Hierauf erwiderte der Reichskanzler Fürst von Bismarck:

Im Namen des preußischen Minister⸗Präsidenten kann ich dem Herrn Vorredner sagen, daß diese Versuche bereits von mir gemacht worden sind, ich hoffe, mit Erfolg. Ich bitte ihn aber, zu erwägen, daß Peeußen von verschiedenen Ministerien regiert wird, von denen jedes für sein Ressort verantwortlich ist, und daß der Minister⸗Prä⸗ dent von Preußen keine verfügende Befugniß gegen irgend eines dieser Ressorts hat. Aber dasjenige, was von Seiten des Minister⸗ Präsidenten in Preußen geschehen kann, ist geschehen, und ich hoffe auch, daß es zum Erfolg führen wird. Ich babe nur die Verant— wortlichkeit des Reiches für das, was bisher geschehen ist, salviren wollen; die Verantwortlichkeit des preußischen Minister ⸗Präsidenten bitte ich dafür doch nicht unmittelbar in Anspruch zu nehmen, nament- lich da ich jetzt mit vollem Recht seit Jahren dort stellvertreten bin und die Identität in dem Grade, wie der Herr Abgeordnete das mit einer ironischen Wendung vorauszusetzen scheint, nicht mehr zwischen dem Kanzler und dem Minister⸗Präsidenten von Preußen stattfindet.

Der Abg. von Behr⸗Schmoldow ersuchte die Reichsregie⸗ rung, dem Hause demnächst eine Nachweisung zugehen zu lassen über die richterlichen Urtheile bei Uebertretungen be— treffs der Seuchen⸗Einschleppung. Es wäre interessant zu er— fahren, auf wie hohe Strafen erkannt sei. Im Uebrigen möchte er empfehlen, den Lokalbehörden an der Grenze An⸗ zeigeprämien zur Verfügung zu stellen; denn wenn ein Schmuggler in einer Nacht 30 Thaler verdienen könne, so werde viel geholfen sein, wenn ein Anderer wisse, durch dessen Anzeige könne er 265 Thaler verdienen.

Der Abg. Saro hielt die Meinung des Abg. Lasker, daß trotz eines niedrigen Minimums die Richter doch nicht auf ein zu mildes Strafmaß erkennten, nach seinen langjährigen Erfahrungen als Richter und Staats—⸗ anwalt nicht für richtig. Seine Erfahrung habe ihn gelehrt, daß in den meisten Fällen die Richter nur auf das Minimum erkennten und nur in den seltensten Fällen darüber hinaus-

gingen. Er selbst habe als Richter dieser Richtung gehuldigt. Es könnten ja Fälle vorkommen, wo eine humanere Beurthei⸗ lung angezeigt sei, aber in diesen Fallen werde die Königliche Gnade immer das Korrektin gegen die Härten des Gesetzes sein. In seiner Heimath, in Dstpreußen, seien die Strafen gegen die Viehschmuggler nicht im Einklang mit dem Rechts⸗ bewußtsein der Majorität der Bevölkerung. Die rus⸗ sischen Behörden, welche doch dem Reichskanzler zu so vielem Danke verpflichte wären, gewährten den Deutschen nicht die nöthige Rechtshülfe zur Feststellung des Thatbestandes, wie der demnächst in Stallupönen zum Aus⸗ trag kommende große Prozeß beweisen werde. Rußland habe ein zu großes Interesse an dem Viehimport nach Preußen. Hierbei müßte selbst bei geringen Kontraventionen eine ab⸗ solut abschreckende Strafe als Minimum festgestellt sein, wegen der unheilvollen Konsequenzen, welche hieraus für das Reich und Europa folgen könnten. Die Gnade der Krone werde als Korrektiv genügen. Er könne dem Abg. Lasker nicht bei⸗ pflichten in dem Nimbus, mit dem er das objektive Urtheil des richterlichen Gewissens umgebe. In dem Johannisburger Kreise seien wegen einer Fensterscheibe im Werthe von 20 Pfennigen, die dem Geistlichen oder dem Apotheker einge⸗ worfen seien, 6 Monate Gefängniß erkannt, während Sach⸗ beschädigungen von erheblich höherem Werthe, die anderen Personen zugefügt seien, mit kaum 8 Tagen Strafe geahndet worden seien.

Der Abg. Richter (Hagen) hielt es für äußerst bedenklich Richtersprüche hier im Hause so zu kritisiren, wie das in letz⸗ ter Zeit unter dem Vortritt des Reichskanzlers geschehen sei. Es sei allerdings ein Vorwurf gegen die Richter, wenn man sage, sie urtheilten allzu human. Namentlich sei es bedenklich, hier einzelne Fälle zum Gegenstand der Kritik zu machen, wie es der 1 gethan habe, die man hier nicht auf ihre Richtigkeit prüfen konne. Wenn der Reichskanzler sich wieder einmal beklage über die gesunkene Achtung der niederen Volks⸗ klassen vor der Autorität der Gesetze und der Behörden, dann möge er sich erinnern, daß seine Art, die Richter zu kritisiren, nicht dazu beitrage, die Achtung vor ihnen zu erhöhen.

Der Abg. Dr. Lasker erklärte, eine Kritik, wie sie der Abg. Saro hier an Richtersprüchen geübt habe, namentlich wenn sie nicht mit der Politik zusammenhingen, sei ihm noch in keinem Parlamente vorgekommen. Der Abg. Saro habe von sich selbst gesagt, er habe als Richter einer krankhaften Richtung bei der Abmessung der Strafe gehuldigt. Für eine krankhafte Richtung in der Rechtsprechung könne man aber keine Gesetze machen. Eine absolute Abschreckung, wie sie der Abg. Saro wünsche, sei nur die Todesstrafe. Damit aber das Land erfahre, welche Strafen auf diejenigen Verbrechen gesetzt seien, auf welche der Reichskanzler exemplifizirt habe, führe er dieselben an. (Redner las den betreffenden Paragraph vor, in welchem das Minimum der Strafe auf sechs Monate, das Maximum auf zehn Jahre Zuchthaus festgestellt ist; Bei Berathung dieses Gesetzes sei hervorgehoben und von den Interessenten bestätigt, daß mit Strafen allein gegen den Viehschmuggel nichts gemacht werden könne, es müßten andere Schutzmaßregeln ergriffen werden. Der Reichskanzler selbst habe gesagt, daß die deutsche Grenze nicht genügend bewacht sei. Es wäre deshalb besser gewesen, dahin die Aufmerksam— keit zu richten, anstatt die Richter mit einer Kritik zu behaften, die sie nicht verdienten. ;

Der Abg. Saro bemerkte, er sei weit entfernt davon ge⸗ wesen, dem Richterstande, den er sehr hoch schätze, zu nahe zu treten. Er wisse, daß auch von jener Seite Richtersprüche kritisirt worden seien, namentlich des preußischen Ober⸗-Tri⸗ bunals und zwar in einer Weise, die das Ansehen dieses höchsten Gerichtshofes sehr geschädigt habe. Der Richter sei ein Mensch wie jeder andere, und wenn der Abg. Lasker auf einem idealeren Standpunkte stehe als die meisten Richter, dann beweise das, daß seine praktische Auffassung der Ver— hältnisse, wie sie wirklich lägen, weit entfernt sei von der an⸗ derer Menschen. .

Die Position wurde bewilligt.

Zu Kap. 3, Tit. 1 und 2 (Ueberwachung des Auswan— derungswesens) bemerkte Abg. Lingens, daß ihm die Aus— gaben durchaus nicht den Leistungen entsprechend erschienen, wie auch aus dem vom Reichskommissar erstatteten Berichte her— vorgehe. In dieser Denkschrift stehe u. A., es hätten fast keine Schiffe zu Ausstellungen Anlaß gegeben; er möchte doch wünschen, daß diese Schiffe, welche nicht vorschriftsmäßig be⸗ funden seien, dem Hause mitgetheilt würden. Im Uebrigen wies Redner überhaupt auf die Auswanderung hin, welche er als eine Wunde Deutschlands bezeichnete, da nicht nur überschüssige Kräfte fortgingen. Die an der Spitze stehenden Staatsmänner sollten den Ursachen der starken Auswanderung nachforschen, um diese Krankheitserscheinungen verschwinden zu machen, welche allen ohne Unterschied des Parteistandpunkts zu gleicher Betrübniß gereichten. Er wünsche einen voll⸗ ständigen Bericht von der Reichsregierung über die Gründe der zunehmenden Auswanderung aus Deutschland und stati⸗ stische Erhebungen darüber, welche Provinzen das hauptsäch⸗ lichste Kontingent zu der Zahl der Auswanderer stellten. Schließlich richtete Redner die Frage an die Reichsregierung, ob sie diefer Materie gesetzgeberisch nahe zu treten gedenke.

Hierauf erwiderte der Reichskanzler Fürst von Bismarck:

Ber Herr Abgeordnete hat den Wunsch ausgesprochen über das Herkommen der Auswanderung je nach den Provinzen, aus denen sie hervorgehe, nähere statistische Auskunft zu erhalten. Ich halte diesen Wunsch für einen vollkommen berechtigten, und werde für seine Ex- füllung meinerseits veranlassen, was nothwendig ist. Ich lege um so mehr Werth darauf, als sich aus dieser Stetistik zugleich die Frage des Herrn Abgeordneten nach den Gründen, die einen Deutschen ver⸗ anlassen könnten, sein Vaterland zu verlassen, bis zu einem gewissen Grade beantworten wird. Es wird nämlich aus der Statistik, so weit sie mir bekannt ist, und zwar auch wenn man Jabre in der⸗ selben zurückgreift, der merkwürdige Umstand sich ergeben, daß die meisten Auswanderer aus den am wenigsten bevölkerten Gegenden kommen, und daß diejenigen fast übervölkerten Länder, die vermöge der Entwickelung ihrer Industrie 100990 und mehr Menschen auf der Quadratmeile nähren, ein sehr dürftiges Kontingent bilden. Ich glaube, der Herr Vorredner wird aus seiner ir. und in⸗ dustriereichen Heimath nicht den Eindruck mitbringen, daz dort sehr viele Anwesen von Auswanderern zum Berkauf kamen und die Auswanderer sehr zahlreich waren. Wenn er hingegen in den hauptsächlich auf den Betrieb der Landwirthschaft angewiesenen Pro⸗ vinzen wohnte, so würde diese Wahrnehmung häufiger vorkommen. Bei weitem die meisten der Auswanderer in den letzten Jahren sind aus Mecklenburg, Pow‚mern, Westpreußen, Posen, kurz und gut aus Gegenden, die in vielen Fällen die Zahl von 2000 Menschen auf die Quadratmeile nicht erheblich übersteigen, ja, in den mir bekannten Tandstrichen meiner Varziner Heimath kaum 1200 übersteigen, und da gerade war die Auswanderung außerordentlich zahlreich. Was ist nun die Ursache davon? Die Ursachen werden uns vielleicht ein⸗ gehender beschäftigen in einigen Monaten, wenn wir die Tarifftagen

prüfen, wenn wir die Vertheilung der Lasten prüfen zwischen der Landwirthschaft und zwischen den übrigen Theilen der Bevölkerung, zwischen der Bevölkerung, die von der Landwirtbschaft lebt, und zwischen der, die nicht davon lebt. Ich will auf die Details jetzt nicht väher eingehen, ich will den Hercen und auch dem . Vorredner in Bezug auf seine Anfragen Rende vous geben ei den Verbandlungen über die wirtbschaftlichen Fragen, da werde ich ibm angeben, warum die Bevölkerung der rein landwirth⸗ schaftlichen Provinzen bei uns in höherem Maße auswandere, als die der übervölkerten Fabrikgegenden. Ich werde daraus zu dem Schluß kommen, daß einerseits das landwirthschaftliche Gewerbe bei uns durch unser Abgaben⸗ und Steuerwesen und verschiedene andere Einrichtungen ungleich beschwert ist. Ich werde ferner zu dem Schluß kommen, daß es für die rein landwirthschaftlichen Gegenden ein Segen sein würde, wenn sie in ibrem Umfange eine entwickeltere Industrie fänden welche sich weiter bilden könnte, so daß beide sich gegenseitig unterstützen. In den vorwiegend industriellen Gegenden tit dem Arbeiter die Carrière nicht verschlossen, die Carrière zu den höchsten Vorbildern, die seine Phantasie ibm stellen kann. Der Marschallstab, den angeblich der französische Soldat in seinem Tor⸗ nister trägt, befindet sich dort in der That in der Hütte des Arbei⸗ ters, wenn ich Leute wie Krupp, wie Diergart, wie Borsig, ich könnte viele Andere nennen, Marschäͤlle der Industrie nennen darf. Die Car⸗ rière ist dort nicht verschlossen, der Arbeiter in der Industrie hat die Mg⸗ lichkeit, aufzusteigen, er steigt zuerst auf zu dem höheren Tazgelohn als besserer Arbeiter, zu dem höheren Wochenlohn, er bekemmt eine

bessere Anstellung als Contremaitre, als Werkfübrer, und die Bei⸗ spiele sind nicht so sehr selten, das sie nicht die Hoffnung 2

eines Jeden schmeicheln sollten, daß Einer unter ihnen sich zum leitenden Beamten, zum Associs, ja zum Herrn einer großen Industeie, eines großen Vermögens aufgeschwungen hat. Die Hoffnung, deren der Mensch bedarf, daß in dem gewöhnlichen Einerlei des Arbeiterlebens, wenn nicht für ihn, doch für seine Kinder etwas besser werden könne, die verläßt den industriellen Arbeiter nicht. Anders ist es in der Landwirthschaft: Der ländliche Arbeiter, wenn er in dem Alter ist, daß er heirathet und nachdenkt über seine Zukunft, so findet er in rein landwirthschaftlichen Gegen en, daß die Kluft jwischen ihm und der nächsten Stufe, zu der er aufsteigen könnte, für eine Generation eine unübersteigliche ist, daß es eine arbeitsame, glückliche, insofern, als er durch Krankbeiten nicht zurückgebracht und gestört wird, eine in ihrem Erwerb glückliche Generation erfordert, um den Arbeiter eine Stufe vorwärts zu bringen und ibm zu einem kleinen Eigen—⸗ thum eines Anwesens mit einer Dachtraufe, oder was ihm selbst gehört, zu einem kleinen Stück eigenen Landes zu verhelfen. Er sieht vor sich, daß sein Nachbar, der 60 Jahre lang das Gewerbe eines ländlichen Arbeiters getrieben hat, eben in diesem Verhältniß geblieben ist. Eine große Schädigung der Entwickelung der länd⸗ lichen Verhältnisse hat in dieser Hinsicht die gesetzliche Aufhebung der Erbpacht gebracht, die ein Mittel war, Jemandem leicht zu Land zu verhelfen und zu einem unantastbaren Grundbesitz und ein viel leichteres Mittel, als die Theilung von Domainen, die man vor genommen hat, und wo man die Theilstelle viel zu hoch gegriffen hat, nach dem Urtheil eines Jeden, der die länd⸗ lichen Verhältnisse kennt. Wenn man in unseren ausschließ⸗ lich landwirthschaftlichen Provinzen den Erwerb von Grund⸗ eigenthum durch das System der Erbpacht, das keine Kapital⸗ anlage erforderte, erleichterte, wenn es unserer Gesetzgebung später gelingt, Indastrie, die nicht eine Konkurrentin de: Landwirthschaft ist, in jenen Gegenden zu fördern, so daß Produzenten und Abneh⸗ mer für verschiedene Artikel dicht neben einander wohnen, dann, glaube ich, wird der Herr Vorredner nicht mehr über die hohen Ziffern der Auswanderung klagen. Sie sind ja in den letzten Jah— ren sehr viel vermindert; das hat aber meines Erachtens keine dauernden Gründe, sie würden unter gewissen Verhältnissen, die ein⸗ seitig auch in Amirika eintreten könnten, ebenso gut wieder einen Aufschwung nehmen. Ich erlaube mir also dem Herrn Vorredner zu versprechen, daß die statistischen Nachrichten, die ihm fehlen, nach⸗ geliefert werden sollen, und die Absicht auszusprechen, auf diese Sta⸗ tistik und die Wirkung unserer bisherigen Gesetzgebung auf die Auswanderung jurückzukommen, wenn wir die wirthfschaftlichen Fra— gen hier behandeln werden.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, die Auswanderung sei zweitweise auch aus industriellen Gegenden sehr stark ge⸗ wesen. Die Auswanderung aus ländlichen Bezirken habe aller— dings vielfach ihren Grund in den Schwierigkeiten für den ländlichen Arbeiter, mehr als Arbeiter zu werden und eigenen Besitz zu erwerben. Darin stimme er mit dem Reichskanzler überein. Aber ob die Wiedereinführung der Erbpacht mit der

damit verknüpften Gebundenheit ein geignetes Mittel sei, be—

zweifle er. Näher liege es, der zunehmenden Bildung großer Fideikommißgüter, wie sie beispielsweise in Pommern statt— finde und welche durch die geltende Gesetzgebung beträchtlich erleichtert werde, in der Gesetzgebung ent⸗ gegenzutreten. Dadurch würden immer mehr Grund— stücke dauernd der Verkäuflichkeit entzogen und die Bil— dung von Latifundien begünstigt. Die Auswanderung in den östlichen Provinzen, besonders Ostpreußens, habe sich vor einigen Jahren vielfach in die industriellen Bezirke im Westen gelenkt. Die große und rasche Ausdehnung der industriellen Anlagen habe dies verursacht. Ehe noch die Männer ihre Familien nachkommen lassen könnten, hätten sich die Verhalt⸗ nisse geändert; die Familien seien vielfach der Armenpflege der Gemeinden im Osten anheimgefallen. Ohne die zahl⸗ reichen Schutzzölle, namentlich den damals noch bestehenden Eisenzoll, wurde jene krankhafte Entwickelung der Industrie damals nicht erfolgt sein; die stärkere Konkurrenz des Aus⸗ landes hätte dagegen reagirt. Es sei dies eine Warnung, nicht durch Ausbildung des Schutzzollsystems ähnliche Nach⸗ theile für die Landwirthschaft wieder herbeizuführen. Die neue Wirthschaftspolitit der Regierung werde aller⸗ dings noch weitere Nachtheile mit sich bringen. Die Bevölkerung in Deutschland vermehre sich jährlich um 100 000 Köpfe. Die Aecker vermehrten sich nicht in demselben Umfange. Es müsse daher immer mehr Getreide eingeführt werden, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren Was jetzt in Deutschland eingeführt werde, reiche nur hin, die Be⸗ völkerungszunahme der letzten 12 Jahre zu ernähren. Lege die Reichsregierung nun auf das Getreide einen Zoll und vertheuere die Lebensmittel, so erschwere sie die Existenz, ver⸗ hindere die natürliche Entwickelung der Industrie und einer intensiven Landwirthschaft. Die neue Zollpolitik der Regierung müsse grade zu einer vermehrten Auswanderung führen. Ver⸗ theuere man im Lande das Brod, hindere die Einfuhr, so gingen die Menschen selbst dorthin, wo die Nahrungsmittel billiger wären und man unter günstigeren Verhältnissen leben könne.

Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. Lingens, der dem Reichskanzler für die in Aussicht gestellte Berücksichtigung seiner Anregungen dankte, wurde die Diskussion über Kap. 2

keineswegs eine niveaus herbeigeführt werden,