1879 / 75 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 28 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

Se. Majestät der Kaiser und König haben der hiesigen , auf die Aller⸗ höchstbemselben zum Geburtstage überreichte Glückwunschadresse folgende Antwort zugehen lassen:

Es hat Mir zur Befriedigung gereicht, von den Stadtverordneten Meiner Haupt- und Residenzstadt Berlin an Meinem Geburtstage so beredte Wünsche zu empfangen, wie die Adresse zum 22. d. M. sie enthält. Gern balte Ich Mich davon überzeugt, daß, was Ihre Zu⸗ schrift Mir darbietet: frommes Gedenken und freundliches Mitgefühl für die Bedeutung des Tages, aus dem Geiste der Bürgerschaft Berlins geschöpft ist. Wenn die Stadtverordneten mit ihren Glück⸗ wünschen für Mein soeben begonnenes Lebensjahr im Hinblick auf die Zeitverhältnisse den muthigen Ausspruch verbinden, daß die Aus— dauer des deutschen Volkes in Fleiß und besonnener Arbeit stark genug sein werde, den weiteren wirthschaftlichen Rückgang aufzuhalten, so will Ich hoffen, daß dieses Vertrauen sich bewahrheiten wird. Meinerseits werde Ich kein Bemühen scheuen, zur Verwirklichung desselben beizutragen. Allein wie eifrig Meine Fürsorge nach dieser Richtung auch bleiben wird, so beruht die gedeihliche mitwirkende Unterstützung doch nicht allein in Meinem persönlichen Bestreben, sondern wesentlich in der gesetzlichen Ordnung der allgemeinen wirth⸗— schaftlichen Verhältnisse. Eine den Bedürfnissen entsprechende, um⸗ sichtige Entwickelung der Gesetzgebung wird die Besserung unserer Zustände fördern. Ich zweifle nicht, daß sie ihrer Aufgabe gerecht werden wird, wenn Regierung und Volksvertretung, zu selbstlosem Streben sich vereinigend, den Weg zu dem gemeinsamen Ziele an der Hand gründlicher Erfahrung verfolgen.

Berlin, 26. März 1879. Wilhelm.

Ueber den Verlauf der Krankheit, welcher Se. König⸗ li che ö der Prinz Waldemar, desen Tod das ganze Land in tiefe Betrübniß versetzt hat, so un⸗ erwartet schnell erlag, haben die Aerzte, von denen der heim— gegangene Prinz behandelt wurde, folgenden Bericht erstattet:

„Se. Königliche Hoheit Prinz Waldemar von Preußen erkrankte am Montag, den 24. d. M., früh, an einer Hals⸗ entzündung, welche sich durch Röthe und Schwellung der Mandeln und der weichen Gaumen, mit Auflagerung eines diphtheritischen Belags auf der rechten Mandel, zeigte.

Das noch geringe Fieber steigerte sich in den Abend⸗ stunden mit gleichzeitiger Zunahme der Schwellung im Halse.

Nach vierstündig anhaltendem Schlafe war am Morgen des 25. ein geringer Abfall des Fiebers bemerkbar; indessen hatten die örtlichen Beschwerden nicht abgenommen, und troz der energisch und dauernd angewendeten Mittel breitete sich der Belag mehr auf dem weichen Gaumen und zur linken Mandel aus. Im Laufe des 25. war bei beginnender Schwellung des Zell⸗ gewebes am Unterkiefer eine Zunahme der Schlingbeschwerden be— merkbar, so daß schon jetzt nur eine sehr geringe Menge flüssiger Nahrung geschluckt werden konnte. Die Steigerung des Fie⸗ bers am Abend war nicht erheblich. Die Anwendung der örtlichen und inneren Mittel erlitt keine Unterbrechung.

Nach einem Schlafe von beinahe fünf Stunden in der Nacht zum 26. war keine Abnahme der Schwellung am Halse und an den Mandeln zu bemerken, auch waren die Schling— beschwerden dem entsprechend groß.

Der noch dünne Belag der Mandeln, des Gaumensegels und des Zäpfchens verdickte sich im Laufe des Tages und zeigte nur am oberen Rande als Wirkung der Mittel zum Gurgeln eine beginnende Ablösung von der Schleimhaut.

Nahrung wurde verweigert, eine Steigerung des Fiebers am Abend war weniger stark als am vorhergehenden Tage. Der Raum zwischen den Mandeln gestattete hinreichenden Luftzutritt.

Gegen 12 Uhr Nachts fiel im Schlaf das unter Schnarchen mühsame Athmen auf, welches sich bei Ermunterung des Kranken zeitweise wieder beseitigte, im Schlafe aber wieder⸗ kehrte, so daß zwischen 1 und 2 Uhr die Vorkehrungen zur Tracheotomie getroffen wurden. Nach 2 Uhr jedoch gewann der Athem wieder mehr Freiheit (28 Inspirationen in der Minute) und man hörte an allen Stellen der Brust und des Rückens normales Athemgeräusch. Da auch die Stimme lauter geworden und nicht heiser war, so mußte auch eine diphiheritische Erkrankung des Kehlkopfes ausgeschlossen wer⸗ den, und die Anzeichen zu einer Operation bestanden nicht.

Um 2 Uhr des 27. Morgens fing der Kranke an zu de— liriren; bei gutem, ruhigem Athem und ziemlich kräftigem Pulse dauerte dieses fort, bis um 31 Uhr ganz plötzlich unter einigen Zuckungen und bei unregelmäßigem Athem der Tod durch Herzlähmung eintrat.“

Berlin, den 27. März 1879.

von Langenbeck, Dr. Wegner, Generalarzt. Generalarzt und Leibarzt.

Dr. Schrader, Stabs⸗ und Bataillonsarzt.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für Elsaß⸗Lothringen und für Rechnungswesen, sowie der Ausschuß desselben für Handel und Verkehr hielten heute Sitzungen.

Nach Berichten aus Damaskus und Beirut, welche bis zum 22. v. M. bezw. 4. d. M. reichen, war der Gesundheits⸗ zustand unter der Bevölkerung von Syrien befriedigend. Ebenso melden die nach Bulgarien und Rumelien ent⸗ sandten türkischen Aerzte, daß der Gesundheitszustand dort überall gut ist, und typhöse Erkrankungen nur sporadisch vorkommen.

In den Baracken bei Rustschuk befinden sich jener Mel⸗ dung zufolge noch 600 russische kranke Militärs, welche an Malaria cachexie, bezw. an Syphilis, ern, oder Typhus leiden. Die Typhusepidemie in Bossat bei Kerasonde“) fordert neuerdings täglich 7 bis 8 Opfer. Von 2800 Ein⸗ wohnern sind 271 gestorben und 23 noch krank.

Die im Vilajet von Konia (Bez. Denisli) herrschenden Krankheiten sind theils Blattern, theils Ileo-⸗Typhus.

Im weiteren Verlaufe der gestrigen (27.) Sitzung setzte der Reichstag die Berathung des Antrages des Abg. Schneegans und Gen. auf Errichtung einer selbst⸗ ständigen Regierung in Elsaß⸗Lothringen fort. Nach der Rede des Abg. Kabls wandte sich der Unter⸗Staats⸗ sekretär Herzog gegen die neulichen Ausführungen des Abg. Schneegans. Er müsse bestreiten, daß das Reichskanzler⸗Amt für Elsaß⸗Lothringen entgegen der ursprünglichen Absicht sich zwischen den Reichskanzler und den Ober-Präsidenten einge⸗ schoben habe. Was von einer Berliner und Straßburger „Doppelregierung“, die sich wechselseitig entgegenarbeite, ge⸗

sagt werde, sei nicht richtig. Der Ober⸗Präsident des Reichs⸗ landes habe die Ausführung der gel und Verordnungen zu überwachen, für eine regelrechte Verwaltung zu sorgen, und die Entscheidung bei entstandenen Meinungsverschieden⸗ heiten der ihm untergeordneten Behörden zu geben. So sei die Einheitlichkeit der Verwaltung genügend garantirt. Es seien dem Sber⸗Präsidenten Befugnisse beigelegt, welche in andern deutschen Staaten nur Minister hätten, und seine Machtvollkommenheiten gingen über den Kreis der Macht, die z. B. einem preußischen Ober⸗Präsidenten innewohne, weit hinaus. Derselbe habe die Verwaltung des Innern, einschlleßlich der Polizei, mit Ausnahme der Reichs-Eisenbahnen, zu führen; Handel, Gewerbe, Kultus und Unterricht (mit Ausnahme der dem Reichskanzler unterstellten Universität) ge⸗ hörten zu seinem Ressort, ebenso die Finanzverwaltung, die direkten Steuern und das Kassenwesen. Für den Reichskanz⸗ ler, also für die unmittelbare Berathung in der Ministerial⸗ Instanz bleibe mithin nur noch das Auswärtige, die Militär⸗ angelegenheiten, die Finanzverwaltung bezüglich der Reichs- und der indirekten Steuern. Das seien aber alles Angelegenheiten, die ihrer Natur nach einer Mitwirkung der obersten Instanzen bedürften. Ferner sei dem Reichs⸗ kanzler die Sorge für Forsten und Bergbau überlassen. Es liege demselben außerdem ob, Gesetzentwürfe vorzubereiten und zu vertreten. Er habe sodann das Recht, über Beschwer⸗ den in oberster Instanz zu entscheiden und an den Ober⸗-Prä⸗ sidenten allgemeine . zu erlassen. Aber von allen Eingängen des Reichskanzler-⸗Amts für Elsaß⸗Lothringen bil⸗ deten die einlaufenden Beschwerden kaum 3 Prozent. Auch von dem Recht, allgemeine Instruktionen zu erlassen, sei nur ein sparsamer Gebrauch gemacht worden. Aus allen diesen Verhältnissen ergebe sich klar, daß der Schwerpunkt und Mittelpunkt der Verwaltung nicht hier in Benin, son⸗ dern in Straßburg liege, und daß die gegentheilige Behauptung auf ungenügender Information beruhe. Seit acht Jahren kenne er die Menschen und die Verhältnisse der Reichslande, und halte er es darum für seine Pflicht, dies ausdrücklich zu erklären. Der Abg. Schneegans habe hinge⸗ wiesen auf das Nebeneinanderbestehen von deutschen und französischen Gesetzen, er habe das als einen „Wirrwarr“ be⸗ zeichnet. Aber die Regierung habe nach der Annexion doch unmöglich tabula rasa mit den französischen Gesetzen machen können, das wäre der größte Fehler gewesen. Aenderungen in dem bestehenden Recht seien nur da getroffen worden, wo sie unerläßlich gewesen, und überall sei die Rüͤcksichtnahme auf die besonderen Verhältnisse des Landes maßgebend geblieben. Aber belassen sei dem Lande das frühere bürger⸗ liche Recht, das alte Prozeßrecht, die frühere Steuer— esetzgebung. Gewiß habe die Unkenntniß der Ge⸗ 66 das oft nicht zweifellose Verhältniß zwischen dem früher und heut geltenden Recht einige Unbe⸗ quemlichkeit mit sich gebracht, aber die Zeit und eine wohl geordnete Rechtspflege würden auch über diese hinweg— helfen. Der Abg. Schneegans habe nur die Schattenseiten, und zwar mit großem Geschick und mit Vermeidung jedes Lichtblickes hervorgehoben. Mit Leichtigkeit vermöge er (Redner) ein entgegengesetzes Bild zu liefern. Er könne auf die Ent⸗ wickelung des Wohlstandes in den Reichslanden hinweisen, auf die gute Finanzlage des Landes, auf den dadurch mög⸗ lichen Steuererlaß, auf die Blüthe des Eisenbahnwesens, auf die politische Entwickelung des Landes, welche es ermöglichte, bereits im Jahre 1873 eine selbständige Kommunalverfassung, im Jahre 1874 einen Landesausschuß zu gewähren und 1877 demselben bereits eine Erweiterung seiner Kompetenzen zuzu⸗ gestehen, und sei auch jetzt die Reichsregierung bereit, größere Rechte dem Reichslande zuzugestehen. Er wolle auf andere Momente, welche die Ausführungen des Abg. Schneegans zu entkräften vermögten, nicht weiter eingehen. Für heut werde das Gesagte völlig genügen.

Der Abg. Lorette verlas als Vertreter Lothringens eine Erklärung, in welcher er der Hoffnung Ausdruck gab, daß die . von Elsaß und Lothringen niemals getrennt würde.

Der Abg. Bezanson verlas ebenfalls ein von den Mit⸗ gliedern der Protestpartei unterzeichnetes Schriftstück, welches in ähnlicher Weise gegen eine Trennung in der Verwaltung der Reichslande sich aussprach. Elsaß und Lothringen seien durch ein gemeinsames Loos verknüpft und wollten ihr Geschick auch ferner gemeinsam tragen.

Der Abg. von Puttkamer⸗Löwenberg erklärte, dem An⸗ trage Schneegans jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen zu wollen. Daß die politischen Zustände nicht normale und befriedigende seien, werde Niemand in Abrede stellen. Es sei daher auch nichts natürlicher, als daß von dem Augenblicke an, wo die Möglichkeit einer nor— malen Aeußerung geboten werde, diese Frage auch so⸗ fort auf das Tapet kommen würde. Es werde diese Frage auch nicht früher von der Tagesordnung verschwinden als bis sie eine befriedigende Lösung gefunden haben würde. Er persönlich hätte lieber einen Anschluß an Preußen ge⸗ wünscht; eine solche Maßregel würde das monarchische Element in den Reichs landen mächtig gestärkt haben, jetzt bleibe aber nichts weiter übrig, als auf der betretenen Bahn die Ent⸗ wickelung des Landes einer definitiven Lösung entgegenzu⸗ führen. Er und seine Partei seien bereit, die berechtigten Wünsche der Reichslande zu erfüllen, aber auch nicht weiter. Jeder Schritt auf dieser Bahn bedürfe der sorgfältigsten Prüfung, man müsse sich die Ziele und die Konsequenzen nach allen Seiten hin klar machen. Die Autonomistenpartei sei e ne sehr zarte Pflanze und die Möglichkeit sei nicht aus⸗ geschlossen, daß politische Stürme diese Blüthe knickten. Das bewiesen die Vorgänge bei den letzten Reichstags⸗ wahlen, bei denen diese Partei recht bescheidene Er⸗ folge erzielt habe. Gegenüber der wohlwollenden Sprache der Ver⸗ treter dieser Partei erklärte der Abg. Kablé, daß er wie in der Nationalversammlung zu Bordeaux noch heute gegen die Annexion protestire. (Redner verlas einige Stellen des Pro⸗ testes Trotzdem sei derselbe in Straßburg gewählt worden. Von 322 310 Wählern hätten damals 270 000 ihre Stimmen abgegeben. Hiervon erhielten die vereinigten Centrums⸗ und Protestkandidaten 134 000, die Autonomisten 48 000. Diese Zahlen bewiesen, welche Vorsicht bei allen Schritten nothwendig sei. Als selbstverständlich setze er deshalb voraus, daß die parlamentarische Kontrole dieses Hauses über Elsaß⸗ Lothringen in keiner Weise alterirt werde. Dieses Recht müsse aufrecht bleiben, es müsse, wenn eine Einigung über eine Gesetzgebung mit dem Landesausschusse nicht erreicht werde, die . Regelung durch den Reichstag herbeigeführt werden, auch für eine Trennung von Elsaß und Lothringen

diger Verwaltungskörper finanziell nicht bestehen könne. Auf die Ausführungen des Reichskanzlers eingehend, bemerkte Redner, daß er persönlich sich eine elsaß lothringische Landesregierung getrennt von der Person des Reichskanzlers gar nicht denken koͤnne. Die Autorität des Reichskanzlers sei für die Entwickelung des Landes unentbehrlich. Er habe dort erst den Zauber dieses Namens kennen gelernt. Unter keinen Umständen könne man zulassen, daß aus den Reichslanden ein neues Luxemburg entstehe. Elsaß⸗Lothringen sei deutsch und müsse deutsch bleiben, man erwarte von der Regierung, daß sie ihres deutschen Berufes stets eingedenk bleiben werde. Redner schloß mit dem Wunsche, daß Alles, was aus diesen Berathungen hervorgehen werde, zum Segen der Reichslande und des Deutschen Reiches ausschlagen möge. (Während dieser Rede war der Reichskanzler in das Haus getreten.) Der Abg. Schneegans bemerkte, er habe nur die Absicht, ein Mißverständniß aufzuklären, es liege ihm und seinen poli⸗ tischen Freunden nicht im Sinne, die Reichslande als poli⸗ tisch neutrales Land, als Kulturbrücke hinzustellen. Er stehe auf der Basis des Frankfurter Friedens, den er ausdrücklich als Gesetz für Elsaß⸗LLothringen anerkenne. Der Abg. Frhr. von Schorlemer⸗-Alst erklärte, ihm sei, das bemerke er vorweg, jeder Byzantinismus fremd. Abg. von Puttkamer bezeichne die Autonomistenpartei als einen Erfolg der guten Regierung der Reichslande. Er glaube, daß das Regierungssystem im Reichslande als ein mißlungenes zu bezeichnen sei. Es gebe Elsaß⸗Lothringer, welche die frühere Mili⸗ tärdiktatur der heutigen Herrschaft vorzögen. Auch nach der eben gehörten Erklärung des Abg. Schneegans sei er über die Stellung der Autonomisten nicht klar. Seine neu—⸗ lichen Worte habe er so verstanden wie der Abg. von Puttkamer, der Abg. Schneegans habe gemeint, daß die Reichslande gewissermaßen eine neutrale Zone zwischen Deutschland und Frankreich, die sich wie Mühlsteine aneinander rieben, bilden sollten. Dies sei aber unmöglich. Das Land müsse entweder französisch oder deutsch sein; er, als Deutscher, sage, es müsse deutsch sein! Der Abg. von Puttkamer habe einen Wahlaufruf des Abg. Kablé vorgelesen, und zwinge ihn dadurch, eine Rede des Abg. Schneegans zu dessen Charakteri⸗ sirung zu verlesen. (Der Redner verlas Bruchstücke aus einer Rede, die der Abg. Schneegans im Jahre 1872 in Lyon ge— halten habe und in der er noch die heftige Sprache des Fran⸗ zosen während und unmittelbar nach dem Kriege spreche.) Der ihm Anfangs unverständlicher Antrag des Abg. Schnee⸗ gans sei ihm erst durch das Frage⸗ und Antwortsverhältniß zwischen ihm und dem Reichskanzler etwas klarer geworden. Er wiese aber darauf hin, daß schon 1871 das Centrum durch den Abg. Reichensperger (Olpe) den Antrag gestellt habe, den Reichslanden eine selbständige konstitutionelle Regierung zu geben. Denn ob der Unter-Staatssekretär Herzog in Berlin oder Straßburg sei, das mache keinen wesentlichen Unterschied. Der Abg. Schneegans habe sich auf die früheren Ausführungen des Fürsten Bismarck berufen. Aber warum habe der Reichskanzler nicht früher eine Aende⸗ rung eintreten lassen, da er doch die Verwaltung stets in⸗ spirirt und vertreten habe? Habe er jemals den Unter⸗Staats— sekretär Herzog oder den Ober⸗Präsidenten von Möller des⸗ avouirt? Der Reichstag habe sich hier nicht mit den Maxi— malforderungen des Abg. Schneegans, dessen Rede vielfach den Eindruck einer Anklage gegen den Reichskanzler hinterlassen habe, sondern nur mit seinen Minimalforderungen zu beschäf⸗ tigen, auf welche auch Fürst Bismarck, zwar nur als Minister für Elsaß-Lothringen, aber, wie vermuthet werden dürfe, nach vorheriger Verständigung mit dem Reichskanzler eingegangen sei. Leider habe der Reichskanzler seine Rede vom 21. d. M. mit einem Angriff auf die geistlichen reichslän⸗ dischen Abgeordneten eingeleitet, obwohl es nicht Brauch dieses Hauses sei, aus der Stellung, welche ein Ab⸗— geordneter außerhalb des Hauses einnehme, zu dedu⸗ ziren und die Schärfe der Ausführungen eines Abgeordneten an der Disziplinarbefugniß des Präsidenten ihren Regulator finde. Der Reichskanzler scheine noch immer das Bedürfniß des Kulturkampfes zu haben. Redner erinnerte daran, daß, als nach dem Protest die übrigen Abgeordneten den Reichstag nicht mehr besuchten, diejenigen geistlichen Standes auf ihrem Platze verblieben. Man könne ihnen doch nicht zum Vorwurf machen, daß sie ihre Beschwerden vorbrächten. Die Reichs⸗ tagstribüne sei der einzige Platz, wo sie dies thun könnten, und es sei ihre Pflicht dies zu thun. Was man jetzt wolle, darüber könne er sich nur schwer ein klares Bild machen; wenn er die Frage zu beantworten hätte, wessen Elsaß-Lothringen bedürfe. so würde er sagen, es brauche eine wahrhaft deutsche Regierung, eine Gleichstel⸗ lung in den freiheitlichen Rechten mit den übrigen Bundes⸗ staaten, und diese Gleichstellung müsse durch eine Landes⸗ verfassung gesichert werden. Durch die Unterdrückung so vieler Freiheiten, durch die Unfreiheit werde man die Herzen der Elsaß⸗Lothringer nicht gewinnen. Redner verwies dar⸗ auf, daß man in Elsaß⸗Lothringen den religiösen Kampf her⸗ beigeführt habe durch die Unterdrückung der Katholiken, daß man der Presse den Mund verstopft habe und nur offiziösen Preßorganen den Eintritt in die Reichslande verstatte. Gebe das Haus dem Lande die Freiheit, stelle man es gleichberech⸗ tigt den anderen Staaten an die Seite, so werde man damit mehr erreichen als mit einem Wechsel in dem Namen der Regierung. Vor Allem ko]mme man der Bevölkerung mit Vertrauen entgegen, und lasse alles Mißtrauen bei Seite. Der Abg. Frhr. Schenk von Stauffenberg erwiderte, der Vorredner . Aeußerungen des Abg. Schneegans vom Jahre 1872 vorgelesen. Aber damals sei kurz vorher Elsaß⸗Lothrin⸗

gen von Frankreich losgerissen, wozu es über Menschengedenken gehört habe, damals sei noch eine gewisse Verbitterung durch

den Krieg zurückgeblieben. Man sollte also eine solche Aeuße⸗ rung nicht allzuschwer wiegen lassen. Namens seiner poli⸗ tischen Freunde könne er zu den neulich vom Reichskanzler , . Grundsätzen im Allgemeinen seine Zustimmung er⸗ klären. Was die Zustände in den Reichslanden angehe, so sei dort allerdings manches geschehen, was besser unterblieben wäre; in Bezug auf die politische Entwickelung des Landes könne er aber nicht finden, daß diese Entwickelung eine so be⸗ sonders langsame gewesen sei. Sie wäre noch schneller ge—⸗ gangen, wenn nicht Vorsicht geboten wäre, denn man könne nicht gut einen Schritt wieder zurückthun, den man einmal nach vorn gethan habe. Aber neben der Vor⸗ sicht müsse auch das Vertrauen zum Lande sein Recht finden und er glaube, Elsaß-Lothringen sei eins der deutschen Länder, das mit am leichtesten zu regieren sei. Aus den Wahlen schließe er nicht allzuviel in Bezug auf die bestehen⸗

) S. Reichs⸗An zeiger vom 21. d. M.

könne er sich nicht ausprechen, weil Lothringen als selbstän⸗

den Verhältnisse, hier kämen zu viel andere Gesichtspunkte in

Frage. Da möchte er nun dem Reichskanzler es recht nahe legen, daß er auch die einheimische Bevölkerung der . lande mit zu dem Beamtenstande heranziehen möchte, zunächst

jetzt bei Rekonstruirung der Regierung in Straßburg. Erst

wenn das möglich sei, dürfte man das Land als ganz ge— wonnen betrachten. Auch eine Besserung der Preßverhältnisse sei absolut nothwendig, denn man habe in Straßburg mit der offizibsen Presse gar zu schlechte Erfahrungen gemacht. Er möchte bitten, daß bei der Neuregelung der reichsländischen

Bevölkerung das Gesetzgebungsrecht des Reichstages über

Elsaß⸗Lothringen aufrecht erhalten bliebe. Im Ganzen, glaube er, könne man der Entwickelung des Reichslandes ohne Bangen, mit Vertrauen entgegen sehen.

Der Abg. Dr. Löwe (Bochum) theilte diese Hoffnung auch, glaubte aber, daß es, ehe man das Ziel n 14 ar. Harrens und vieler Geduld bedürfen werde. Die optimisti⸗ schen Hoffnungen der ersten Jahre nach 1870 hätten sich nicht erfüllt, und das sei auch eigentlich vorauszusehen gewesen. Hätte man die Entwickelung vorausgesehen, wie sie sich ge⸗ staltet habe, so würde es sich nicht empfohlen haben, Elsaß⸗ Lothringen zu einem Reichslande zu machen, dann hätte es sich mehr empfohlen, dasselbe dem größten deutschen Staate einzuverleiben. Was man dem Reichslande an politischen und wirthschaftlichen Wohlthaten gegeben habe, das sei hingenom⸗ men ohne Dank, aber jede Unbequemlichkeit, die doch einmal unabtrennbar sei vom Begriff jedes Ueberganges, sei ver— größert und aufgebauscht worden. Ein gesellschaftlicher Terro— rismus schließe die Beamten von den Salons aus, sie blieben auf ihre Bureaus angewiesen und hätten eine unbehagliche peinliche Stellang gegenüber ihrer Umgebung. Man werde so zu sagen den Stoffwechsel abwarten müssen, bis die, welche noch von den alten Erinnerungen zehrten, ins Grab gelegt seien und eine neue Generation herangewachsen sei, der es leichter werden würde, sich an das neue deutsche Vaterland anzuschließen.

Der Abg. Windthorst erklärte, nach dem Gehörten wisse

man gar nichts von den Plänen, welche der Herr Reichskanzler

habe. Bisher hätte man nur vage Erörterungen, Wünsche, unklare Absichten vernommen. Konsultative Stimmen für Elsaß-Lothringen dem. Bundesrathe beifügen wollen das sei ihm ganz unverständlich. Der Bundesrath vertrete das monarchische Prinzip in Deutschland, diese Hinzufügung von konsultativen Stimmen scheine ihm aber etwas sehr demokra⸗ tisches, und von den konsultativen bis zu den beschließenden Stimmen sei nur ein Schritt. Darauf wollte er für heut nur hinweisen. Er und seine Partei werde im Uebrigen für den Antrag Schneegans stimmen, ohne sich irgendwie zu engagiren. Vielmehr behalte er sich seine Entschließung vor, bis dem Hause bestimmt formulirte Vorschläge gemacht würden. Der Abg. Dr. Hänel erklärte, da er in der Hauptsache mit dem Abg. von Stauffenberg übereinstimme, so wolle er nur gegenüber den Zweifeln des Abg. Windthorst im Namen seiner Partei hervorheben, daß dieselbe den Vorbehalten der Abgg. von Stauffenberg und von Puttkamer ausdrücklich zu⸗ stimme. Das sei natürlich. Innerhalb der allgemeinen Rich— tung, welche der Antrag Schneegans andeute, gebe es sehr starke Gegensätze. Die Prätensionen des Landesausschusses und gewisser Parteien gingen einfach auf Errichtung eines selbst— ständigen Bundesstagts. Auch der Abg. Schneegans betrachte die ihm jetzt gemachten Zugeständnisse als Mittel zu diesem Zweck. Das widerspreche aber einfach der Natur der gesamm⸗ ten Sachlage. Die Souperänetät der Reichsgesetzgebung auch in elsaß⸗-lothringischen Fragen werde er und seine Partei keiner autonomen Entwickelung in Elsaß-Lothringen gegenüber aufgeben. Es sei für Elsaß-Lothringen eine Dezentralisation in der Gesetzgebung ja schon angebahnt; auch auf dem Ge— biete der Verwaltung sei diese Dezentralisation erforderlich. In der That würde es am besten sein, wenn mit elsaß— lothringischen Dingen sich nur der Kaiser und der Landes⸗ ausschuß zu befassen hätten. Wohl möglich, daß anfänglich bei den anderen verbuͤndeten Regierungen eine gewisse Eifer— sucht Platz gegriffen habe, doch diese müsse schließlich der besseren Einsicht weichen. Eine völlige Entlastung des Reichs⸗ kanzlers von der Verantwortlichkeit für die Verwaltung der Reichslande halte er allerdings nicht für möglich. Weil er süedner in einem Lande wohne, welches fremd— ländisché Bevölkerung in sich berge, und die Wir— kungen eines aufgedrungenen Regimentes auf dieselbe beobachten könne, habe er sich niemals Illusionen in Bezug auf das schnelle Anwachsen eines deutschen Patriotis— mus in den Reichslanden hingegeben. Die dortige Entwicke— lung sei im Gegentheil ganz natürlich. Deshalb dürfe man aus solchen Manifestationen, wie sie der Abg. von Schorlemer vom Abg. Schneegans verlesen habe, keine Konsequenzen ziehen. Wenn man nicht glaubte, solche Männer gewinnen zu können, die solche Reden . dann hätte man Elsaß-Lothringen überhaupt nicht annektiren dürfen. Dasselbe gelte von dem 5 Kablé, dessen Wahlmanifest der Abg. von Puttkamer verlesen habe. Noch auf eine, Generation hinaus werde die Majorität der reichsländischen Bevölkerung nach dem Gedankengang des Abg. Schneegans handeln, es sich in ihrem Lande so bequem als möglich zu machen unter Vorbehalt aller Schicksalsfügungen. Auf diese getheilte Liebe werde man sich gefaßt machen müssen. Wenn man erst die Interessen und auch die eigentlichen Gefühle der dortigen Be⸗ völkerung wieder enger mit ihren Angelegenheiten verquickt habe, dann erst würden manche noch heute stark betonte Vor— behalte immer matter klingen, bis sie endlich einmal in einer glücklicheren Zeit, die die jetzige Generation wohl nicht mehr erleben werde, ganz verklingen. Er und seine Partei behalte sich selbstverständlich vor, erst einer detaillirten Vorlage gegen— über eine feste Stellung zu nehmen. . . ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck ort:

Ich bin den Herren, die heut gesprochen haben, sehr dankbar, daß sie meine itte erfüllt haben, mir im Namen der verschiedenen Fraktionen mitzutheilen und öffentlich mitzutheilen, wie sie die ober— flächliche Skizze, die ich von den Absichten der Reichs regierung bei der ersten Verhandlung über diesen Gegenstand geben konnte, auf⸗ gefaßt haben. Der Zweck meiner Anwes nheit bei dieser Sitzung mußte ein wesentlich informatorischer sein, und den habe ich ja zu meiner großen Genugthuung erreicht und mich darüber gefreut, daß wir hier über eine Frage verhandeln, in Bezug auf welche die Mei⸗ nungen der verschiedenen hier vertretenen Richtungen sich weniger lampfbereit gegenüberstehen, als in Be ug auf manche andere. Ich babe eine sehr wesentliche Abweichung von der Skizze, die ich mir zu gehen erlaubte, eine so große Abweichung, daß ich heute schon erklären möchte, ich verzweifelte daran, die Kluft, die mich von ihr trennte, übersteigen zu

können, habe ich nicht wahrgenommen, wenn ich die von den Herren Abgg.

Windthorst und von Schorlemer vertretenen Anträge, sofort auf eine, den übrigen Bundesstaaten gleichbedeutende konstitutionelle Ver⸗

Bedeutung; wenn es bei uns nicht blos, sondern in der ganzen Welt

fassung einzugehen, wenn ich die nicht als dringliche Anträge an⸗ sebe. Im Uebrigen aber habe ich auch in der Fraktion, der diese keiden genannten Herren angehören, eine Bekämpfung dessen, was in

Arbeit ist, nicht aus ihren Reden entnommen und verzweifle nicht daran, daß wir zu einem Ergebniß werden kommen können, welches im Reichstage einer großen Majorität fich erfreuen wird. Ich kann mich darüber bestimmter erst aussprechen, wenn ich die Ansichten der verbündeten Regierungen in weiterem Umfange kenne, als es bisher der Fall war. Ich habe bisher nur Gelegenheit gehabt, in vertrau— lichen Besprechungen, zum Theil mit den Landesherren felbst, Aeuße— rungen darüber zu vernehmen, und noch keine, die nicht im Prinzip

justimmend gewesen wäre, aber die Majorität hat sich erst im Bundesrath sestzustellen; dort wird sich auch feststellen, inwieweit die Wünsche des Herrn Abg. Hänel erfüllbar sein werden, daß der Bundesrath zu einer Ver⸗ einfachung der Landesregierung die Hand biete, so daß die Landes⸗ regierung sich mehr als bie her zwischen dem Träger der landesherr⸗ lichen Rechte, Sr. Majestät dem Kaiser, und den Landesvertretungen von Elsaß⸗Lothringen abspinnt und daß die Mitwirkung des Bundes⸗ raths parallel mit der des Reichstags da eintrete, wo die Reich⸗ gesetzebung angerufen werden muß, was ja ebenfowohl von Seiten des Landes und seiner Vertreter wie von Seiten der Bundesregie⸗ rungen und des Reichskanzlers der Fall sein kann. Es liegt auch in meiner Ansicht nicht, daß diese höchste Tompetenz der Reicht gesetz⸗ gebung aufgegeben werde, sondern nur, daß das Reich aus der Ver⸗ waltung und den gewöhnlichen Regierungsgeschäflen, auch aus der laufenden Gesetzgebung sich mehr zurückziebe, daß aber die Reichs⸗ gesetzgebung in ihrem Zusammenwirken von Reichstaz und Bundes rath doch die Instanz bleibe, an die von beiden Seiten appellirt werden kann, sowohl vom Lande wie von der Regierung, wenn beide Theile unter sich sich nicht vereinbaren können.

Daß die Bevölkerung von Elsaß⸗Lothringen ihre Vertretung im Bundegrath finde, halte ich nicht für eine republikanifche Einrich— tung, sondern im Gegentheil für einen genauen Ausdruck des wirk— lich stattfindenden Verhältnisses, indem dort die Vertreter der Be— völkerung sich und es ist, glaube ich, der einzige direkte Berüh— rungspunkt mit dem wirklichen Souverän in seiner Gesammt— vertretung im Bunde, in unmittelbarer Berührung finden, nicht gleichberechtigt mit ihm, sondern, in Achtung des monarchischen Prin- zips an dieser Stelle, wo die Souveränetät in ihrer korporativen Vertretung ihr Wort zu sprechen hat, nur mit konsultativer Stimme während sie ihren, immer nicht republikanischen Ausdruck hier im Reichstag durch volles Votum findet. Ich glaube, daß die Ein⸗ richtung und der Verschlag die Charakterisirung eines republikani— ö nicht verdient hat und diese Andeutung sie nicht mit Recht rifft.

Ich lege hauptsächlich aus zwei Gründen Werth auf die Be— theil igung der Bevölkerung am Bundesrath. Einmal ist es, wie mir die Herren aus den Reichslanden wiederholt versichert haben, im ganzen Lande als eine, wie sie sich französisch ausdrücken, question 46 dignité empfunden, also als eine der Imponderabilien in der Politik, die oft viel mächtiger wirken, als die Fragen des materiellen und direkten Interesses, und die man nicht mißachten soll in ihrer

noch, ich glaube, eine Majorität von Staatsbürgern giebt, die nicht absolut abgestumpft sind gegen eine Ordensverleihung, so ist das doch ein imponderabile im höchsten Maße. Eine Empfindung, die dadurch befriedigt wird, und wenn sie eine äußere Auszeichnung kann man es nicht nennen, soendern die äußere Gleich stellung eines der hervorragendsten Volksstämme im Deutschen Reich mit den übri— gen wäre, so würde ich das schon für einen Fortschritt ansehen. Ich glaube aber nicht, daß blos die Form be— theiligt ist, ich halte es im Gegentheil nach der jetzigen Zusammensetzung des Bundesraths für einen Mangel, daß die Ver— tretung des Reichslandes in Bezug auf die allgemeine Reichsgesetz- gebung, ganz unabhängig von der Landetgesetzgebung von Elfaß— Lothringen, lediglich durch die centralen Reichsbehörden stattfinde, die doch das eigentliche Landesinteresse bis in seine lokale Verzweigung hinein nicht mit der Kennt. vertreten können, wie es in den übrig n Bundesländern durch deren Landes. Ministerien, die im Lande wohnen, der Fall ist. Ich erinnere blos an die uns bevorstehenden Verhand⸗— lungen über die Zolltarifgesetzgebung. Da wäre eL sehr erwünscht, auch eine Stimme des Elsässer Landes mit wenigen Ausnahmen des industriereichsten, das wir im Reiche haben schon im Stadium des Bundesrathes hören zu können, und nicht ausschließlich auf die Eindrücke der Reichs -Centralbeamten in dieser Beziehung beschränkt zu sein. Jedenfalls wird das Land dort ein sehr wichtiges Recht in seiner Betheiligung an der gesammten Reichsgesetzgebung, wie fie in Artikel 4 der Verfassung aufgezählt ist, zu üben berufen sein.

Ich unterschätze durchaus nicht die Bedeutung, die der Hr. Abg. Windthorst dem konsultativen Votum beilegte. Ich glaube, daß ohne wirkliches Abstimmungsrecht ein konsultatives Votum sich durch das Gewicht seiner Gründe, durch die Bedeutung und das Ansehen dessen, der es ausspricht, sehr wohl im Bundesrath Geltung zu ver— schaffen im Stande sein wird. Ich halte das nicht für einen Fehler, sondern für einen Gewinn, wenn es der Fall sein wird, und glaube nicht, daß deshalb, weil ein konsultatives Votum schon an sich Be— deutung hat, das Bedürfniß, das konsultative in ein dezisives zu ver— wandeln, so dringend sein wird, daß man ihm nicht widerstehen i . und wenn es noch so dringend wäre, wird man ihm wider⸗

ehen.

Ich habe in Bezug auf die im Laufe der Rede ausgesprochenen kritischen Bemerkungen nur noch eine kurze Erwiderung. J

Der Hr. Abg. Dr. Hänel motivirte die weitere volle Betheili⸗ gung des Reichskanzlers an den Angelegenheiten mit dem Bedürfniß, daß hier im Reichstage eine verantwortliche Persönlichkeit erscheine, welche die im Reichslande befolgte Politik vertrete. Ich weiß nicht, ob das gerade nothwendig der Reichskanzler sein muß. Der Weg von Straßburg hierher ist nicht so weit, daß der dortige leitende Minister oder ein verantwortlicher Vertreter des dortigen Ministers nicht während der Reichetagssitzung hier sein könnte und nicht wäh— rend der Bandesrathssitzungen hier sein könnte. Denn es wird doch immer die bisherige Vertretung der Reichslande im Bundesrath durch den Vorsitzenden des Reichskanzler⸗Amtes für Elsaß Lothringen nicht ausfallen können, und es wird einer der Minister in Straßburg gerade so gut die Reise nach Berlin machen müssen, wie die Herren Minister in Stuttgart und München, was ja zu wichtigen Ver— handlungen des Bundesraths nicht zu vermeiden und wird daher ein verantwortlicher Minister immer, auch wenn es nicht der Reichs kanzler ist, hier die Verwaltung zu vertreten haben. Die Stellung des Reichskanzlers zu dieser Sache als verantwortlicher Minister ist sehr schwierig: Ich habe bisher schon Eindrücke gehabt, daß meine Verantwortlichkeit weiter reicht, als mein Einfluß; beide decken sich nicht, und es würde das in noch höherem Maße der Fall sein, wenn ich den Dingen so weit fern träte, wie bisher beabsichtigt ist. Ich will mich noch einer Ansicht des letzten Herrn Redner an schließen, das ist in Bezug auf die Anwendung von Aeußerungen gereizter Stimmung aus der Vergangenheit auf die Gegenwart. Ich möchte anheimgeben, daß wir da nicht zu genau in den Archiven und den Bibliotheken nachsuchen, um irgend Jemand zu beweisen, daß er vielleicht vor 8 Jahren unter anderen Verhältnissen, unter anderen Hoffnungen und Aussichten eine Aeußerung gethan hätte, die er heute nicht wiederholen würde. Ich stelle mich zu solchen der Vergangen— heit angehörigen Erscheinungen bei einem Lande, das 200 Jahre und wohl darüber einer anderen Herrschaft angehört hat, nicht anders als gegenüber einem hannoverschen Offizier, der sich bei Langensalza

mich nur auf das zurück, was ich in der vorigen Sitzung über di sen Gegenstand gesagt habe, daß ich mich entschlossen hätte, abzuwarten, bis aus dem Lande Anregungen zu neuen Einrichtungen kommen, und daß ich der Ansicht gewesen wäre, es sei nicht ferner nützlich, dem Lande Woblthaten oktroyiren zu wollen, die vielleicht von Nie⸗ mandem im Lande als solche betrachtet würden. Dieses Moment ist eingetreten, es ist aus dem Lande eine Anregung gekommen, und darin ist. glaube ich, die Lage verändert, und in dem Maße ver= andert. daß ich die Zurückhaliung, in der ich mich seit mehreren Jahren Sie erinnern sich, daß ich vor länger als zwei Jahren um meinen Abschied gebeten habe, daß ich Jahr und Tag allen Ge⸗ schäften fremd geblieben bin, und ich kann hinzufügen, daß ich den elsaß lothringischen länger als diese beiden Jahre fremd geblieben bin es ist die Anregung aus dem Lande der Grund, warum ich aus dieser Zurückhaltung heraus der Sache näher getreten bin, weil ich das in meinem Gewissen geboten fand, gegenüber einer Anregung, die doch immerhin von einem Viertel der Gesammtvertretung beider Länder und fast der Hälfte der Volksvertretung, von Elsa allein gerechnet, ausgeht. .

Im Uebrigen werden die Herren es natürlich finden, daß ich, in Uebereinstimmung mit den Aeußerungen des Hrn. Abg. Windthorst am Anfang seiner Rede, auf das Detail erst dann eingehe, wenn uns ein Gesetzentwurf ausgearbeitet vorliegt. Ich kann mich über den Inhalt desselben hier nicht in verbindlicherer Weise aussprechen, als ich in der vorigen Sitzung es gethan habe. Ich habe da nach einer vulgären Redensart meinen Sack vollständig vor Ihnen ausgeschüttet von allem dem, was ich bisher darinnen hatte. Daß die Formuli⸗ rung dessen, was hier Alle im Prinzip übereinstimmend der mit mäßigen Modifikationen anerkennen, immer noch eine außerordentlich schwierige sein wird, daß die Schwierigkeiten des Weges, der vor uns liegt, erst dann sich vollständig fühlbar machen werden, wenn es darauf ankommt, eine in der Sprache der Gesetzgebung gültige und annehmbare Form für die Empfindungen und Willensregungen, die uns beseelen, zu finden, das brauche ich nicht zu sagen; ich hoffe aber, wenn ich Ihnen Rendezvous gebe zu der Zeit, wo die Vorlage, die wir schon in Arbeit haben, dem Bundesrath vorgelegt und von ihm medifizirt oder gebilligt sein wird, so daß wir Ihnen die amtliche Vorlage bringen können, und daß wir dann diesclbe fachliche, wohl— wollende und versöhnliche Stimmung bei allen Fraktionen widerfinden werden die ich in der heutigen Debatte mit Freuden erkannt habe.

Der Abg. Windthorst (Meppen) bemerkte, die Erklärung des Reichskanzlers erwecke die Hoffnung, daß eine Verständi⸗ gung zu erreichen sein werde; denn wenn auch Hr. von Schor— lemer das Ziel etwas weiter gesteckt habe, so würde seine Partei das Minus doch nicht ganz ausschlagen. Er wünsche den Reiche landen allerdings eine Vertretung im Bundesrathe, weil die Parität mit andern Ländern dies verlange. Sein Zweifel bestehe nur darin, ob die Grundlage, auf welcher der Bundesrath stehe, konsultative Stimmen, hervorgegangen aus der Wahl des Landesausschusses, zulasse. Vorläufig müsse er das verneinen. Der Kaiser müsse die Vertretung anordnen, vielleicht indem er aus dem Landesausschuß 2 bis 3 Mit— glieder ernenne. Um die Verschiebung des Stimmverhält— nisses zu beseitigen, wäre es zweckmäßig, den anderen Staaten ebensoviel Stimmen mehr zu geben, deren Vertheilung sich leicht machen ließe.

Damit schloß die Debatte. Das Haus nahm den Antrag Schneegans darauf mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität an, worauf sich dasselbe um 4 Uhr vertagte.

In der heutigen (s.) Sitzung des Reichstages, welcher der Präsibent des Reichskanzler Amts, Staats⸗Minister Hofmann, und mehrere andere Bevollmächtigte zum Bundes— rath sowie Kommissarien desselben beiwohnten, gelangte die Adresse zur Verlesung, welche der Gesammtvorstand des Reichstages an Se. Majestät den Kaiser zu Aller⸗ höchst dessen Geburtstagsfeste gerichtet hat.

Dieselbe lautet:

„»Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser und König, Allergnädigster Kaiser, König und Herr!

An dem heutigen Tage, welcher Glück und Segenswünsche ohne Zahl aus allen deutschen Gauen zu dem Throne des Kaisers bringt, erfreuen wir uns des hohen Glückes, Ew. Majestät den Ausdruck gleicher Empfindungen im Namen des Deutschen Reichstages in tief⸗ ster Ehrfurcht übermitteln zu wollen. Gottes allmächtige Hand möge auch ferner, wie sichtlich seither, in Gnaden über dem erhabenen theuren Haupte walten, dem die deutschen Herzen in Liebe und Ver— ehrung unwandelbar zugethan sind.

In tiefster Ehrfurcht

Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät alleranterthänigster und treugehorsamster . . Gesammtvorstand des Reichstages.“ Darauf haben Se. Majestät der Kaiser unter dem 23. März an den Gesammtvorstand des Reichstages folgendes Ant⸗ wortschreiben gerichtet: Die Mir im Namen des Reichstages an Meinem Geburtstage übermittelte Adresse habe Ich mit Befriedigung entgegengenommen. Ich danke dem Reichstage für die Meinem Herzen wohlthuenden Kundgebungen der Theilnahme und Anhänglichkeit, welche in den Mir dargebrachten Glückwünschen aufs Neue ihren Ausdruck ge— funden haben, und bedauere, daß Ich dieselben in diesem Jahre nicht, wie früher, persönlich habe entgegennehmen können. Berlin, den 23. März 1879. Wilhelm.

Ohne Debatte wurde sodann in dritter Berathung der Gesetzentwurf wegen Abänderung der Gesetze vom 23. Februar und vom 23. Mai 1873, betreffend die Verwaltung des Reichs⸗Invalidenfonds, angenommen.

Sodann trat das Haus in die dritte Berathung des Eta ts pro 1879180. In der Generaldiskussion ergriff zu⸗ nächst das Wort der Abg. Dr. Bamberger. Er warnte die maßgebenden Kreise davor, daß sie die Aufgaben, welche dem Reichstage nach den Ferien bevorstehen, allzu leicht nehmen. Die Finanzreform des Reiches sei allerdings geistig etwas vor— bereitet. Aber ein Gegenstand derselben, der Tabak allein, sei wichtig genug, um auf seine Besteuerungsfrage die zwei noch zu Gebote stehenden Monate der Session nach den Ferien zu verwenden. Statt dessen stehe dem Reichstage das ganz un⸗ bekannte sogenannte k Programm in Aussicht. Noch viel unvorbereiteter sei der Reichstag für die großen Zoll— fragen. Der Redner kritisirte sodann das eilige Verfahren der Tarifkommission und erklärte, kein Motiv dafür auf— finden zu können. Die Kalamität in den wirthschaftlichen Zuständen resultire aus allgemeinen Ursachen, die man nicht durch Zollmaßregeln beseitigen könne. Hierauf ergriff bei , des Blattes der Präsident des Reichskanzler⸗Amts das

ort.

tapfer geschlagen hat. Er hat dafür meine Achtung, aber ich bin weit entfernt, ihn daran zu erinnern, daß seine damalige Ansicht mit seiner jetzigen Stellung vielleicht nicht vereinbar wäre. Es ist nur zu wünschen, daß dergleichen Aeußerungen, die einer vorübergegangenen Periode der ersten Erregung angehören, sich nicht in zu später Periode und bei den jüngsten Wahlen noch wiederholten und darin stehen die angeführten Aeußerungen sich nicht vollkommen gleich.

Ich wollte dann noch den von einem Herrn Redner mir ge—

Nachdem der Einheitstarif für Packete bis 5 kg auch im internationalen Verkehr, und zwar im Ver— kehr Deutschlands mit Oesterreich⸗Ungarn, Dänemark, der Schweiz und Belgien eingeführt worden ist, haben neuerdings Verhandlungen wegen Ausdehnung dieses Tarifs auf die Niederlande stattgefunden. Wie wir hören, haben

machten Vorwurf beantworten, daß ich nicht früher, wenn ich Miß— stände erkannt hätte, zu ihrer Abhülfe nicht eing eschritten bin. Ich bezieh.

diese Verhandlungen zu einer Verständigung geführt. In Folge dessen wird vom 1. Mai ab für alle Packete nach den