Aichtamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 12. Februar. Se. Majestät der Kaiser und König begaben Sich heute Vormittag 111 Uhr mittelst Extrazuges nach Potsdam, besichtigten daselbst auf dem Kasernenhofe der Gewehrfabrik die von Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm ausgebildeten Rekruten der Leib⸗ Compagnie 1. Garde⸗Regiments z. F. und kehrten um 15, Uhr Nachmittags wieder nach Berlin zurück.
Ihre Majestät die Kaiserin und Königin wohnte gestern der liturgischen Andacht im Dome, zum Be⸗ ginne der österlichen Zeit, bei.
Heute war Ihre Majestät in der Vorstandssitzung des
rauen⸗Lazareth⸗Vereins anwesend und besuchte Se. König⸗ liche Hoheit den Prinzen Georg, um Denselben zu Seinem Geburtstage zu beglückwünschen.
— Die Schlußberichte über die gestrige Sitzung des Herrenhauses und des Hauses der Abgord⸗ neten befinden sich in der Ersten Beilage.
— In der heutigen (60.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, . der Finanz⸗Minister Bitter, der Minister der geistlichen 2ꝛc. Angelegenheiten von Puttkamer und mehrere Regierungskommissarien beiwohnten, theilte der Präsident das erfolgte Hinscheiden des Abg. Bosselmann (Anger⸗ münde) mit. Das Haus ehrte das Andenken des Verstorbenen in der üblichen Weise. — In dritter Berathung genehmigte das Haus ohne Debatte und unverändert den Gesetzentwurf, betr. den Ankauf der im Großherzoglich hessischen Gebiet belegenen Strecke der Main⸗Weser⸗Bahn und den Bau einer Eisenbahn von Cölbe nach Laasphe. Darauf wurde die zweite . des Staatshaushalts-Etats pro 1880/81 mit der Diskussion des Etats des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten fortgesetzt. Bei Kap. 122 (Kunst und Wissenschaft) Tit. 1—11 (Museen und Nationalgallerie in Berlin) sprach der Abg. Dr. Reichensperger (Cöln) die An⸗ erkennung für den Erwerb der Pergamenischen Alterthümer aus. Er beklagte jedoch die Stilmengerei, welche sich in der Anordnung der Kunstwerke im alten Museum zeige, sowie die Vermischung profaner Kunstgegenstände mit solchen aus der heiligen Geschichte. Redner ging dann zur Kritik einzelner Gemälde der Nationalgallerie über und beklagte die Anstößigkeit einzelner Kunstwerke, namentlich des für 25 000 Thaler angekauften „Prometheus“. Das sei keine Pflege deutschen Geistes und deutscher Kunst. Die alte Mytho⸗ logie müsse aus der bildenden verbannt werden wie aus der Dichtkunst. Der Regierungskommissar Geh. Ober⸗Regierungs⸗ Rath Dr. Schöne bemerkte dagegen, daß die Regierung der Kunst keine Bahnen vorschreiben, sondern nur die vorhan⸗ denen Talente fördern könne. Die Regierung könne es nicht ändern, daß an der Spitze der modernen Plastik Thor⸗ waldsen stehe. Die Antike sei mit der nationalen Bildung so eng verwachsen, daß man sie nicht als etwas ö, empfinde. Die Mängel der Anordnung zu heben, ei das Streben aller Beamten der betreffenden Institutionen. Der Abg. Dr. von Sybel glaubte, die deutschen Künstler, namentlich Boecklin, gegen den Vorwurf des Abg. Reichen⸗ sperger in Schutz nehmen zu müssen, daß sich in ihren Werken nicht die keusche Nudität der Antike, sondern eine Lüsternheit der Darstellung zeige. Er sprach den Wunsch aus, die perga⸗ menischen Skulpturen bald in einem entsprechenden Gebäude aufgestellt zu sehen. Der Abg. Dr. Petri wies darauf hin, daß Berlin in der Gewerbeausstellung gezeigt habe, wie viel die öffentliche Ausstellung von Kunstwerken dem Kunstgewerbe nütze. Der Abg.. Reichensperger vergesse, daß es in Kunst und Wissenschaft ein internationales Gebiet gebe, er habe sich einseitig in die Gothik verbissen. Der Reglerungskommissar erklärte, daß die Regierung bis jetzt noch keine bestimmte Stellung zu der Frage der Aufstellung der pergamenischen Alterthümer genommen habe, das werde erst im nächstjährigen Etat geschehen. Nach einigen Ausführungen des Referenten der Budgetkommission, Abg. Dr. Virchow, wur⸗ den die diskutirten Titel bewilligt. Bei Tit. 12— 16 (König— liche Bibliothek in Berlin) bemerkte auf eine Anregung des Abg. Knörcke der Regierungskommissar. Geheime Ober— Regierungs⸗Rath Dr. Göppert, daß die drei vakanten Custoden⸗ er, demnächst besetzt werden sollen. Einige Assistenten⸗ tellen seien dadurch schon pensionsberechtigt geworden, daß man ldie Custodenstellen vermehrt habe. Der Abg. Rickert machte darauf aufmerksam, daß man den Assistenten nicht vor ihrer Vereidigung, wie das vielfach geschehe, wichtige und werthvolle Manuskripte anvertrauen dürfe. Die Positionen wurden bewilligt. Bei der Position „Geo— dätisches Institut“ sprach der Abg. Schmidt (Stettin) sein Bedauern darüber aus, daß General Baeyer erklärt habe, er werde den festgestellten Normalhöhepunkt für seine Arbeiten nicht anerkennen. Der Regierungskommissar bemerkte dagegen, daß durch diesen Standpunkt praktische Unzuträglichkeiten nicht entständen. Bei Titel 24 (Konservator der Alterthümer: 4200 16) lag folgender Antrag des Abg. von Quast vor: Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:
Die Königliche Staatsregierung aufzufordern, für die baldige Wiederbesetzung der Stelle eines Konservators der Kunstdenkmäler Sorge zu tragen und außerdem die erforderlichen Maßregeln zu treffen, um den historischen und Kunstdenkmälern einen wirksamen Schutz angedeihen zu lassen.
Der Antragsteller begründete seinen Antrag folgender⸗ maßen; Die Stelle eines Konservators der Kunstdenkmäler, für welche im Etat des Kultus⸗Ministeriums 4200 MY aus—⸗ geworfen sind, sei seit nahezu 3 Jahren unbesetzt. Die be⸗ treffenden Arbeiten würden seitdem im besonderen Auftrage des Ministers durch sachverständige Archäologen und Bau⸗ techniker erledigt. Diese Aushülfemaßregel, durch welche eine einheitliche Leikung nicht erreicht und das persönliche Interesse eines Einzelbeamten für das gesammte Arbeitsfeld nicht ersetzt werden könne, müsse schädigend auf die Er⸗ haltung unserer Kunstdenkniäler wirken. Die Wiederbesetzung der Stelle sei daher als ein dringendes Bedürfniß anzusehen. Außerdem müsse aber auch darauf hingewiesen werden, daß im Laufe des letzten e nt. die Gefährdung der Bau⸗ denkmäler erheblich gesteigert worden sei. Es sei dies einmal dadurch veranlaßt, daß die Kommunen bei der Verschlechterung ihrer pekuniären Lage der ihnen obliegenden Unterhaltungs⸗ pflicht in den meisten Fällen nicht ausreichend genügten, und ferner dadurch, daß im Interesse der zunehmenden Bauthätig⸗
teit häufiger ältere Bauwerke von historischem Werthe befugter
die geographische Erweiterung des Arbeitsgebietes gegen früher durch die Vergrößerung der Monarchie. Es erscheine hiernach kaum möglich, eine Persönlichkeit für die Stelle des Konser⸗ vators zu finden, welche im Stande wäre, die gesammten Ar⸗ beiten in zweckentsprechender Weise zu erledigen und sich überall die erforderlichen Detailkenntnisse zu verschaffen. Darum werde es nothwendig sein, dem Konservator eine Organisation zur Seite zu stellen, durch welche ihm seine Thätigkeit erleich⸗ tert werde. Es würde sich u. a. wohl empfehlen, ein Kollegium von sachverständigen Beiräthen in der Hauptstadt zu bilden und außerdem eine Anzahl von Provinzialkonser⸗ vatoren zu ernennen. Dieselben würden im Ehrenamt zu fungiren haben und dem Konservator durch Bearbeitung ein⸗ zelner Fälle, Zusendung von Nachrichten, Ausführung von Lokalbesichtigungen u. s. w. wesentliche Hülfe leisten. In fast allen größeren europäischen Staaten beständen ähnliche Einrichtungen, welche sich bewährt hätten und als Muster dienen könnten.
Der Regierungskommissar Geheime Ober⸗Regierungs⸗ Rath von Wussow bemerkte, daß die Regierung nach Kräften für die Konservirung der . gewirkt habe. Die Bemühungen, den Posten des verstorbenen Herrn von Quast wieder zu besetzen, seien bisher nicht von Erfolg gekrönt ge⸗ wesen. Auch das geringe Gehalt sei ein Hinderniß, eine geeignete Persönlichkeit hierfür zu gewinnen. Der Kommissar gab sodann eine Uebersicht der von der Regierung für Konservirung der Alterthümer verwendeten Summen und versprach, daß die Regierung auf diesem Wege nach Kräften fortfahren werde. Nachdem noch der Abg. Br. Reichensperger (Cöln) für den Antrag von Quast eingetreten war, wurde derselbe und die Titel bis inkl. 31 angenommen, worauf sich das Haus um 11, Uhr vertagte.
.— Alle in Bosnien und in der Herzegowina reisenden nicht-österreichisch- ungarifchen Staats⸗ angehörigen müssen mit Auslandspässen versehen sein.
— Hinsichtlich der Rekrutirung der Armee für 1880/81 ist das Nachstehende bestimmt worden:
J. Entlassung der Reservisten. ö Die Entlassung der zur Reserve zu beurlaubenden Mannschaften hat bei den⸗ jenigen Truppen, welche an den Herbstübungen Theil nehmen, am 1. oder 2. Tage nach Beendigung derselben, bezw. nach dem Wiedereintreffen in den Garnisonen stattzufinden. 2) Für das Pommersche Fuß⸗Artillerie⸗Regiment Nr. 2 und das Schleswigsche Fuß⸗Artillerie⸗Bataillon Nr. 9 ist der 31. August, für alle übrigen Truppentbeile der 30. September der späteste Entlassungstag der Reservisten. Das ö be⸗ stimmen die betreffenden General⸗Kommandos, für Die Fuß⸗Artillerie die General⸗Inspektion der Artillerie. 3) Die zu halbjähriger aktiver Dienstzeit eingestellten Trainsoldaten sind am 30. Oktober d. Is. bezw. 30. April k. Is. zu ent⸗ lassen, die Oekonomiehandwerker am 30. September d. Is. 4) Beurlaubungen von Mannschaften zur Disposition der Truppentheile haben an den Entlassungsterminen insoweit zu erfolgen, daß Rekruten nach Maßgabe der unter II. bezeich⸗ neten Quoten zur Einstellung gelangen können.
II. Einstellung der Rekruten. 1) Zum Dienst mit der Waffe sind einzustellen: bei den Bataillonen der älteren Garde⸗Insanterie⸗Regimenter, denen des 1. Rheinischen In⸗ fanterie⸗Regiments Nr. 25, des 3. Rheinischen Infanterie⸗ Regiments Nr. 29, des 5. ö Infanterie⸗Regiments Nr. 42, des 8. Ostpreußischen Infanterie⸗Regiments Nr. 46, des 2. Niederschlesischen Infanterie⸗Regiments Nr. 47, des . Braz idenburgischen Infanterie⸗ Regiments Nr. 66, je 225 Rekruten, bei den übrigen Bataillonen der In⸗ fanterie, Jäger und Schützen je 190 Rekruten, bei jedem Kavallerie⸗Regiment mindestens 150 Rekruten, bei den reitenden Batterien mindestens je 25 Rekruten, bei den übrigen Feld⸗Batterien mindestens je 30 Rekruten, bei den Bataillonen des Rheinischen Fuß⸗A1Artillerie⸗Regiments Nr. 8 und des Fuß⸗Artillerie⸗Regiments Nr. 15 je 200 Re⸗ kruten, bei den übrigen Fuß⸗Artillerie und den Pionier⸗Ba⸗ taillonen je 160 Rekruten, bei den Bataillonen des Eisenbahn— Regiments mindestens je 136 Rekruten, bei jeder Train⸗Com—⸗ pagnie: zu 3jähriger aktiver Dienstzeit mindestens 15 Rekruten, zu halbjähriger aktiver Dienstzeit im Herbst dieses Jahres und im Frühjahr künftigen Jahres je 44 Rekruten. 2) An Oekonomie⸗Handwerkern haben sämmliche Truppen⸗ theile mindestens ein Drittel der etatsmäßigen Zahl einzu— stellen. 3) Für den Fall, daß bei einzelnen Truppentheilen eine Aenderung der vorstehenden Zahlen nothwendig erscheinen sollte, ist das Kriegs-Ministerium zu bezüglichen Anordnungen ermächtigt. 4) Die Einstellung der Rekruten zum Dienst mit der Waffe hat bei sämmtlichen Truppentheilen nach näherer Anordnung der diesen letzteren vorgesetzten General-⸗Kom⸗ mandos in der Zeit vom 3. bis 6. November d. Is. zu er⸗ folgen; nur die für das Pommersche Fuß⸗-Artillerie⸗Regiment Nr. 2, das Schleswigsche Fuß⸗Artillerie⸗Bataillon Nr. 9, die Unteroffizierschulen, sowie die als Oekonomie⸗Handwerker aus⸗ ehobenen Rekruten sind am 1. Oktober d. Is., und die Train⸗ rn für den Frühjahrstermin am J. Mai k. Is. ein⸗ zustellen.
— Das Enteignungsrecht ist Allerhöchst verliehen
worden: unterm 24. Dezember 1859 dem Kreise Teltow für diejenigen Grundstücke, welche zum Bau einer Kreis⸗— Chaussee von Sperenberg über Cummersdorf nach der Trebbin⸗ Mahlower Chaussee bezw. Zossen erforderlich sind, gleichzeitig unter Verleihung des Rechts, auf dieser Chaussee Chausseegeld zu erheben; unterm 31. Dezember 1679 dem Kreise Regenwalde für die zum Bau einer versteinten Straße von Regenwalde nach Bahnhof Wangerin er⸗ forderlichen Grundstücke; unterm 28. Januar 1880 der Stadt—⸗ gemeinde Pitschen im Kreise Creuzburg zur Erwerbung der behufs Anlage einer neuen Straße nach dem Bahnhof Pitschen benöthigten Grundstücke; unterm 2. Februar 1880 der Stadt⸗ gemeinde Dü sseldorf behufs Durchführung der Fürsten⸗ wallstraße rücksichtlich eines Theils des Holzhändler Kruppschen Grundstücks daselbst. Ein Tarif, nach welchem die Abgaben für die Be⸗ nutzung der Hafenanlagen zu Büsum und J Warwerort im . Norderdithmarschen, Regierungsbezirk Schleswig, bis auf Weiteres zu erheben sind, ist unterm 5. Januar 1886 Allerhöchst vollzogen worden.
= Auf nicht gegen besseres Wissen gemachte Den un⸗ ziation en bei Straf- oder Disziplinarbehörden finden, nach einem Erkenntniß des Reichsgerichts, J. Strafsenats, vom 8. Dezember 1879, die Strafbestimmungen über die Beleidi— gung ebenso wie auf sonstige beleidigende Aeußerungen An—
o der unbefugter Weise beseitigt würden. Hierzu komme noch
wendung; enthält insbesondere die Denunziation die Be⸗
hauptung verächtlich machender, aber nicht erweislich wahre Thatsachen über den Angeschuldigten, so ist der . aus 8. 186 Strafgesb. wegen Beleidigung zu bestrafen, es sei denn, daß die Denunziation zur Ausführung oder Ver— theidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht worden. Ist die Denunziation anonym eingereicht worden, so kann der Richter . diesen Umstand die Feststellung, daß die beleidigende Aeußerung nicht in , berechtigter Interessen gemacht wurde, nicht en.
— Die unberechtigte Erlegung und Aneignung von Wild
in einem fremden Wildpark, der mittelst eines Zaunes
vollständig umschlossen, so daß das Wild an der Entfernung
aus demselben verhindert ist, ist nach einem Erkenntniß des
Reichsgerichts, III. Strafsenats, vom 6. Dezember 1879, als
. und nicht als ein einfaches Jagdvergehen zu be⸗— rafen.
Bayern. München, 10. Februar. (Allg. Ztg.) Die Kammer der Reichsräthe hat die Budgetberathung heute fortgesetzt. Der von der Abgeordneten kammer beschlossenen Errichtung eines Hochofens in Amberg wurde in der vom Ausschusse beantragten modifizirten Fassung beigestimmt. Die Etats der Münzanstalt, der Königlichen Bank in Nürnberg, der Postverwaltung, der Telegraphenanstalt, der Bodensee—⸗ Dampfschiffahrt, des Ludwigskanals, des Frankenthaler Kanals, des Gesetz⸗ und Verordnungsblattes, der Forstverwaltung, der Dekonomien und Gewerbe, der Grundgefälle, Zinsen und Renten fanden ohne Debatte im Einklang mit den Beschlüssen der Abgeordnetenkammer Genehmigung. Bei dem Etat des Staatz⸗ Ministeriums des Innern wurde der vom Referenten reprodu— zirte, von der andern Kammer abgelehnte Antrag des Abg. Dr. Frankenburger, für die Ersetzung von acht Funktionären durch acht Assessoren an den Bezirksämtern einen Mehrbedarf von 10 960 MSG zu bewilligen, vom Staats⸗Minister des In—⸗ nern befürwortet und von der Kammer genehmigt. Im Uebrigen wurde dem Etat, im Einklang mit der Abgeordneten⸗ kammer, beigestimmt, ebenso den Etats der direkten Steuern, der Erbschaftssteuer, Gebühren und Strafen, sowie dem Etat für Reichszwecke, und zwar ohne Debatte.
Sachsen. Dresden, 11. Februar. (Dr. J.) Die . Kammer erledigte in ihrer heutigen Sitzung das önigliche Dekret, betreffend die Erbauung mehrerer Sekundär⸗ eisenbahnen. Die allgemeine Debatte bewegte sich um die Frage der schmalen oder breiten Spurweite, sowie um die von dem Abg. Roth befürtwortete Heranziehung der Inter⸗ essenten zu den Kosten der in Zukunst zu erbauenden Bahnen. Die Kammer lehnte einen hierauf gerichteten Antrag des Abg. Roth ab, ebenso einen von demselben Abgeordneten ge— stelltlen Antrag, nach welchem die Regierung um Anstellung noch weiterer Erörterungen über die Spurweite und den Ober⸗ bau ersucht werden sollte. Da gegen beschloß die Kammer auf Antrag der Deputationsmajorität, die Regierung zu er— mächtigen, den Bau von bewilligten Eisenbahnen nur dann zu beginnen, wenn gegenüber den Voranschlägen von den Expropriaten keine unverhältnißmäßig erscheinenden Anfor⸗ derungen für den Grund und Boden oder andere Ent⸗ schädigungsobjekte erhoben werden. In der Spezialberathung wurde nach kurzen Debatten die Ausführung der Linien Schwarzenberg⸗Johanngeorgenstadt, Wil kau⸗Kirchberg-⸗Saupers⸗ dorf und Hainsberg-⸗Dippoldiswal de⸗Schmiedeberg nach den
Vorschlägen der Staatsregierung genehmigt.
(K. 3.)
Baden. Karlsruhe, 9. ö, Die Erste Kammer hat in der Sonnabendsitzung den Entwurf über eine Abänderung der Wahlordnung, also der Ver⸗ fassungsurkunde berathen. Die Vorlage war durch die be⸗ kannten Vorgänge bei der letzten Wahl der Universität Heidelberg zur Ersten Kammer veranlaßt; es war be— züglich der Wahl der Abgeordneten der Landes-⸗-Univer⸗ sitäten als eine Lücke in der Wahlordnung erkannt worden, daß dieselbe nicht für den Fall ausdrücklich Vorsorge trifft, wenn, nachdem die erste Wahltagfahrt wegen Nichterscheinens der im 5. 22 der Wahlordnung bezeichneten Anzahl von Stimmberechtigten fruchtlos geblieben war, ein weiter Wahltag anberaumt werden muß. Zur Ausfüllung ieser Lücke soll eine ähnliche Bestimmung dienen, wie sie für die Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer besteht. Die⸗ selbe lautet: „Wenn auf den festgesetzten Wahltag mehr als ein Viertel der Stimmberechtigten ausbleiben, so wird von dem landesherrlichen , ein zweiter Wahltag angeordnet. Bei diesem zweiten Wahltag genügt es, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten erschienen oder — soweit zulässig — durch Bevollmächtigte vertreten ist. Bei der Einladung zur Wahl sind die Stimmberechtigten auf diese Folge aufmerksam zu machen.“ Die Kommission beantragte noch den ö „Wenn es auch an diesem zweiten Wahltage an der erforder⸗ lichen Anzahl der Stimmberechtigten fehlt, so ruht die Ver⸗ tretung der betreffenden Universität für die Dauer des Land⸗ tags, für welchen die Wahl zunächst vorzunehmen wäre.“ Entwurf und Zusatz wurden vom Hause angenommen. — 12. Februar. (W. T. B.) Die „Badische Landes⸗ eitung“ meldet, der Bisthumsverweser Kübel habe mittelst chreibens an den Großherzog das Dispensverbot aus— drücklich zurückgenommen.
Desterreich⸗ Ungarn. Wien, 11. Februar. (W. T. B.) Die ungarische Delegation hat sich in mehreren Punkten den von der österreichischen Delegation gefaßten Beschlüssen angeschlossen in Bezug auf die Einstellung des für den Ka⸗ sernenbau in Szegedin veranschlagten Betrags, in Bezug auf die Streichung der für ein Kanonenboot n en Summe und in Bezug auf die Zollbedeckungssumme jedoch an den von ihr gefaßten Beschlüssen festgehalten. Auch bezüglich der Deckung der bosnischen Hülfsgelder, 6. Angabe der gemein⸗ samen Aktiven als Deckungsquelle, erhielt die ungarische De— legation den von ihr gefaßten Veschluß aufrecht.
— 12. . Die „Presse“ erklärt ihre Nachricht über Verhandlungen ö der Reichen⸗ berg⸗Pardubitzer Bahn für unbegründet.
Großbritannien und Irland. London, 10. Februar. (Allg. Corr) Aus Calcutta wird dem Reuterschen Bureau, vom 9. d., gemeldet:
Hier eingegangene Berichte melden, daß die Mohmunds die Häuser Derjenigen niederbrannten, die nach Lalpura gegangen, um dem neuen Khan zu huldigen, und daß sie sich bestreben, durch Drohungen Andere zu verhindern, deren Beispiel zu folgen. Man erwartet Ruhestörungen Seitens der Sangu⸗Khal⸗Shiwaaris. Die ange⸗
, Häuptlinge im Lughman-⸗Thale haben sich dem General
Bright unterworfen. Die Jabbers⸗Khals leisten noch immer Wider—⸗ stand. Der jetzt bei MNahoamed Jan in Ghuzni weilende Priester RMuschki Alim hat die Stämme zur Wiederaufnahme der Feind seligkeiten gegen die Engländer aufgefordert. Bis e haben die Kohistanis und Ghilzais der Aufforderung Folge geleistet.
Aus Candahar wird unter dem 7. d. berichtet:
Es sind hier Meldungen von einem neuen und blutigeren Kampfe zwiscken den rivalisirenden Parteien in Herat einge— gangen. Lokale Truppen griffen die Cabulesen unversehens an und brachten ihnen herbe Verluste bei, ehe Letztere Artillerie gegen ihre Angreifer in Anwendung brachten, worauf die Heratesen unter großem Gemetzel aufs Haupt geschlagen wurden.
Türkei. Konstantin opel, 19. Februar. Hier hat sich ein internationales Comité“ gebildet, welches Sammlungen einleitet und anderweitige Hülfe für das unter Hungersnoth leidende Vilajet von Wan und an— dere kleinasiatische Distrikte zu organisiren beabsichtigt.
Scutari (Albanien). Der „Pol. Corr.“ wird von ier unterm 28. v. Mts. gemeldet: „Vor ungefähr sechs
agen erhielt der hiesige Gouverneur die telegraphische Nach— richt, daß in Tirana Unruhen ausgebrochen seien und weitere Konflikte bevorstehen. Gleichzeitig ersuchte der Kai⸗ makam um militärische Verstärkung. Es befinden sich in Tirana zwei altangesehene türkische Familien, die des Achmed Bey und jene des Aga Jela, welche seit längerer Zeit in offe⸗ ner Feindschaft leben. In Folge dessen ist auch die türkische Bevölkerung Tirana's in zwei Lager getheilt, die je aus der Partei einer der beiden genannten Familien bestehen. Am 20. d. M. gerieth das Haus des Zeit Bey, eines Bruders des Achmed Bey, in Brand, bei welcher Gelegenheit Ramiz Bey, Sohn des Achmed Bey, die zur Hülfeleistung am Brandplatze erschienenen Zaptiehs barsch anfuhr. Der Jus⸗ baschi (Kommandant) dieser Zaptiehs Aali Aga ist aber ein naher Anverwandter Aga Jela's und suchte, als zur Familie des Letzteren gehörend, nur nach einer passen⸗ den Gelegenheit, um sich an dem Gegner zu rächen; denn kaum hatte Ramiz Bey einige Worte an die Zaptiehs gerichtet, als er von den Letzteren mit fünf Flintenschüssen todt zu Boden gestreckt wurde. Die Aufregung in Tirana ist nun eine so große, daß man mit Recht den Ausbruch eines Kampfes unter den in zwei Parteien gespaltenen Einwohnern befürchtet. Der Bazar wurde geschlossen und alle Waaren und sonstigen Gegenstände aus demseilben in die Häuser geschafft, auch unserließ man es, den Todten zu beerdigen, da man fürchtete, daß es bei dieser Gelegenheit zu einem Kampfe kommen könnte. Die beiden feindlichen Familien berufen ihren Anhang aus der Umgebung zusammen und machen sich kampfbereit. Bei der geringen militärischen Besatzung von Tirana und der Unverläßlichkeit der Zaptiehs erbat der Kaimakam Scherif Bey von dem Gouverneur dringendst die Zusendung von Truppen. Der Gouverneur dirigirte sofort zwei Compagnien aus Scutari, sowie weitere zwei Com⸗ pagnien aus Alessio und Naratschi, ferner eine Anzahl Zap⸗ tiehs und Sipahis mit der erforderlichen Munition nach Tirana, indem er sich gleichzeitig aus Konstantinopel weitere Ordres erbat. Er selbst wird sich dieser Tage nach Tirana
begeben.“
Serbien. Belgrad, 109. Februar. (Pest. ö Die serbische Regierung machte En gland in handelspolitischer gi hunß große Konzession en. Der Einfuhrzoll für sämmt⸗ liche englische Fabrikate beträgt nunmehr 8 Proz. ad valorem, eine Ausnahme bilden Glas⸗, Woll⸗ und Eisenwaaren, von . m ein halbes Prozent Einfuhrzoll erhoben wer⸗ en darf.
— (Deutsche Z.). Die Expropriation des Terrains für den Eisenbahnbau beginnt Anfang März. — In hen maßgebenden Kreisen wird versichert, daß sich
aries in allen anderen Punkten der serbischen Eisenbahnfrage in Wien gefügig zeigen wird, wenn Oesterreich⸗Ungarn die Kosten des Baues der Eisenbahnbrücke bei Belgrad allein bestreiten würde. 51 diesem Falle würde Baranoff das gesammte Rollmaterial in Oesterreich⸗Ungarn anschaffen und den Bau in Belgrad beginnen.
Montenegro. Cettinje, 10. Februar. (Pest. L.) Montenegro ist geneigt, die von der Pforte ihm durch Italien übermittelten Tauschvorschläge zu acceptiren, wenn ihm außer dem Distrikt von Kucsi⸗Kraina noch ein Territorium am Lim in der Gegend von Bjelopolje mit Zu⸗ stimmung Oesterreich⸗Ungarns abgetreten würde. Der Aus⸗ tausch von Kuesi⸗Kraina allein gegen Gusinje und Plava wird hier als nicht genügend angesehen. Die Stimmung der Mohamedaner in Gusinje hat sich beruhigt, doch befahl die albanesische Liga den dort zusammengezogenen Freiwilligen, bis auf Weiteres in den Grenzbezirken zu verbleiben.
Rußland. Kiew, 11. Februar. (W. T. B.) Fürst Alexander von Bulgarien ist heute Mittag hier ein— getroffen.
Schweden und Norwegen. Christiania, 11. Fe⸗ bruar. (W. T. B.) Se. Majestät der König hat heute Mittag 1 Uhr den Storthing mit einer Thronrede er— öffnet. In letzterer wird hervorgehoben, daß der auf den Er⸗ werbszweigen lastende Druck zwar noch andauere, daß sich doch aber der Beginn einer Besserung der Zustände bemerkbar mache. Unter den zur Berathung durch den Storthing be⸗ stimmten Vorlagen befindet sich abermals der Gesetzentwurf, betreffend die direkten Steuern. Ferner wird eine Erhöhung der Tabaksteuer vorgeschlagen und ein Gesetzentwurf, betreffend das Glaubensbekenntniß der Staatsbeamten, sowie der Ent⸗ wurf eines Wechselgesetzes angekündigt.
Landtags⸗ Angelegenheiten.
Gestern früh ist in seiner hiesigen Wohnung der Abgeordnete Bosselmann, Vertreter des 3. Potsdamer Wahlbezirks (Anger⸗ münde⸗Prenzlau), plötzlich an einem Herzschlage verstorben.
Statistische Nachrichten.
Stockholm, 31. Januar. Die Postverwaltung hat dieser Tage ein Verzeichniß sämmtlicher in Schweden erscheinenden Zei⸗ tungen, Zeitschriften u. dergl. ausgegeben. Die Gesammtzahl derselben ist 316, von denen 92 in Stockholm erscheinen. Nach der Hauptstadt kommt Göteborg mit 20, weiler Upsala mit 14, Malmö mit 9, Gefle und Jönköping mit je 8, Linköping mit 7 u. s. w.
Von den 316 Publikationen gehört etwa 4 zu der eigentlichen Zei⸗
tungspresse, die indessen nur 10 tägliche Zeitungen (5 in Stockholm, 2 in Göteborg, 1 in Norköping, Malmö und Helsingborg) zählt.
Kunst, Wissenschaft und Literatur.
Am 6. d. M. ist in Mentone, erst 38 Jahre alt, der ordentliche Professor der Kunstgeschichte an der Universität Straßburg, Dr. Alfred Woltmann, gestorben.
Gewerbe und FSGandel.
Die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin lassen jährlich ein Verzeichniß sämmtlicher Mitglieder der Korporation der Kaufmannschaft und ihrer bei der Korporation angemeldeten Handel?⸗ firmen, sowie ein Verzeichniß der bei der Korporation angestellten Beamten, vereideten Makler, Waaren ⸗Taxatoren und Güter -Bestä⸗ tiger, endlich ein Verzeichniß der vereideten Sachverständigen in Ge— stalt eines kleinen Büchleins vereinigt erscheinen. Das für das Jahr 1880 bestimmte Bändchen ist zum Preise von 1 M von der Böͤrsen⸗ Registratur im . zu beziehen.
Leipzig, 11. Februar. (W. T. B.) Der Aussichtsraih der Leipziger Bank hat die Dividende pro 1579 auf Joo, gegen 5 /o im Vorjahre, festgesetzt.
London, 190. Februar. (Allg. Corr) Dle Ausweise des britischen Handelsamtes für Januar ergeben, daß die Besse⸗ rung des Handels, welche seit September v. J. ohne Unterbrechung an⸗ gehalten, im ersten Monat des neuen Jahres weitere Fortschritte gemacht hat. Der deklarirte Gesammtwerth der Ausfuhr betrug 16 912 858 Pfd. St, gegen 14 196 518 Pfd. St. im Januar 1879, und 15 423 911 Pfd. St. im Januar 1878, d. i. eine Zunahme von 19 resp. 946 o/o. Die bedeutendste Zunahme weist die Ausfuhr von Eisen und Stahl guf, nämlich 110900 in der Quantität und 96 Cs im Werthe. Die Einfuhr des Monats erreichte einen Gesammt⸗ werth von 32 372 907 Pfd. St., gegen 26 367 046 Pfd. St. im Januar 1879 und 30 609 956 Pfd. Sf. im Januar 1878, d. i. eine Zunahme von 224 resp. 66/9. An diesem Zuwachs sind hauptsächlich ö. betheiligt: Baumwolle, Seide, Cerealien, Provisionen un eine.
Berlin, den 12. Februar 1880.
Die Münzsammlung des Germanischen Museumz zu Nürnberg bat noch am Schluß des vorigen Jahres eine sehr weithvolle Bereicherung erfahren. Denn, wie der „Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit? (Januar 1880) meldet, ist von Sr. Durchlaucht dem Fürsten Heinrich XIV. Reuß j. L. der Anftalt eine Sammlung von 122 Gold, größeren und kleineren Silber⸗ und Kupfermünzen zugewiesen worden, welche die Zeit vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts umfassen und zum Theil zu den größten Seltenheiten gehören. Für das Handel smuseum ist das Interesse in kaufmännischen Kreisen in erfreulichem Wachsen, wie die vermehrten ,,, auf Antheilscheine und die gespendeten Geschenke be⸗ weisen.
Das Januarheft des Anzeigers enthält einen sehr interessanten Bei'rag von Hrn. Dr. A. Essenwein, betitelt: Bilder aus dem bürgerlichen Hauthalte des 14. bis 15. Jahrhunderts‘. Die Biblio- thek des Germanischen Museums enthält nämlich ein hebräisches Pergament⸗Manuskript, ein Andachtsbuch von 42 Blättern mit zabhl⸗ reichen Illustrationen, welche biblische Erzählungen zum Gegenstande haben. Sie sind, gleichwie die Bilder der christlichen Kunst, in das Zeitkostüm gekleidet, und geben eine Reihe von Scenen aus dem Leben wieder, wie es sich vor den Augen des Malers abspielte. Eine Anzahl der kulturhistorisch interessantesten, das damalige Leben in Haus, Küche und Keller darstellenden sind dem Aufsatze in getreuer Reproduktion beigegeben. Besonders lebendig und genrehaft ist die Darstellung eines Backofens und seines Betriebes. — Außerdem findet sich in der Nummer ein Aufsatz von Friedrich Schneider in Mainz: über die Tischgebete in Luthers Katechismus, Mittheilungen eines Weisthums aus dem Jahre 1479 und eines Schreibens Mark- graf Friedrichs des Aelteren von Brandenburg aus dem Jahre 1487, der Entwurf eines prächtigen Pokales aus der Mitte des 16. Jahr“ hunderts (vielleicht von Hans Brosamer), von Essenwein aus den Handzeichnungen des Museums veröffentlicht u. v. a.
„Die Dramatisirungen der Susanna im 16. Jahr⸗ hundert.“ Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des deutschen Dra⸗ mas von Robert Pilger, Gymnasial⸗Direktor. Halle a. S. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. 1880. (Separataedruck aus Band XI. der Zeitschrift für deutsche Philologie. So. 6 B.), .
Die vorliegende Arbeit ist eine interessante Untersuchung über die verschiedenen Formen dramatischer Bearbeitung der Geschichte von der Susanna, eines Lieblingsstoffs des 16. Jahrhunderts. Von den vorhande⸗ nen 16 Bearbeitungen werden 10 hier behandelt und daran die allmäh⸗ liche Entwickelung des deutschen Dramas in lebendiger Weise illustrirt. Die älteste He , rührt noch aus dem 15. Jahrhundert her und hat einen Wiener Anonymus zum Versasser; der förderliche Einfluß der Antike ist bereits unverkennbar. Weitere glückliche Ein⸗ wirkungen der antiken M ster zeigt die Bearbeitung von Sixt Birck, Rektor zu Basel, von 1532, jedoch ist die Umformung der Erzählung in die dramatische Form hier viel unbeholfener als dortz, während andererseits ein großer Fortschritt im Versbau des Dialogs sich dokumentirt. Noch geschickter als bei Birck ist der Aufbau der Hand⸗ lung in der . eines Nürnberger Anonymus vom Jahre 1534 (7), dagegen die Auzführung dürftig und auch formal hinter der vorgenannten zurückbleibend. Alg die erste Frucht des Humanis: mus auf dem Gebiete det Dramas bezeichnet der Verfasser die 1536 in Zwickau erschienene Susanna“ von Reb hun: ein bedeutender Fortschritt nicht nur zu dramatischer Gestaltung des Stoffs, sondern zugleich zu reicher und (lerer rythmischer Form trennt diesel be von allen ihren Vorgängern. Freilich hatte der wackere Mann mit der Klage, die er in der Vorrede der Ausgabe von 1544 aue spricht, allzusehr Recht. Er sagt: Daß ich noch mit mir im Zweiffel stehe, ob vnsere Teutschen diss⸗ Werckh werden zu Danck annehmen, nach dem wir, leyder, gemein lich also gesinnet, da wir andere Leut Arbeit, wie gut sie auch ist, lieber taddeln, denn vnns der selben Anweißung in unserem Thun bessern.“ Und in der That sollte noch eine ganze Reihe von Dezen⸗ nien vergehen, ehe ein Anderer unter günstigeren Verhältnissen zu seinem Ruhme bei Mit ⸗ und Nachwelt dasselbe durchset te, was Reb⸗ hun angestrebt. — Dann folgt eine lateinische . von jenem schon genannten Sixt Birck (Cystus Betulius) aus dem Jahre 1557, welche zwar in einzelnen Scenen und Charakteren lebensvolle und abgerundete Behandlung zeigt, andererseits aber der Didaxis einen zu ausgedehnten Raum gewährt. — Eine verpfuschte deutsche Nach und Umbildung der vorgenannten ist die Ausgabe von Stöckel (1559) um so bedeutender, dagegen die lateinische Bearbeitung von Nicodemus Frischlin aus dem Jahre 1577.
In Frischlins Dichtung pulsirt bereits frisches Leben. Menschen von Fleisch und Blut treten uns entgegen und vereinigen sich zu naturwahren Harakteristischen Scenen. In dieser Annäherung der Personen und Situationen der Bühne an das wirkliche Leben liegt ein Fortschritt selbst den Anfängen Rebhuns und Bircks gegenüber. Leider kommen aber, sagt der Verfasser, alle die reichen 9 der Frischlinschen Dichtung der heimischen Literatur nur in bedingtem Maße zu Gute, da der gelehrte Dichter sie in das feintre und ihm bequemere Ge- wand der lateinischen Rede kleidete. Hätten Mäaner wie Frischlin und Macrspedius deutsch geschrieben, wir hätten am Ende des 16. Jahrhunderts nicht nöthig ehen, mit den Abfällen des eng lischen Dramag unsere Armuth aufzuputzen und noch anderthalb Jahrhunderte lang bei allen Nachbarn herumzubetteln, bis wir end ⸗ lich selbst zu einem nationalen Drama gelangten. Bei Frischlin ist dieß um so lebhafter zu beklagen, alt seine Versuche in deut⸗ ö Dichtung, z. B. dir Parabel von St. Christoffel und
eine Schauspiele ‚Wendelgard! und „Ruth! beweisen, daß er auch seine Mut iersprache ungleich , und lebensfrischer zu be⸗ handeln verstand als die Mehrzahl der deutschen Dichter seiner Zeit.
arg (16053) sind nur Ausbeutungen resp. Nachahmungen der Frisch⸗ nschen.
Besonders bemerkenswerth ist das Urtheil, welches Pilger über die bisher von den Literaturhistorikern sehr gerühmte . Susanng des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig fällt. Im Gegen satz zu Wackernagel, Gervinus, Hermann Grimm ü. 4. sucht der Verfasser durch Gegenüberstellung und Analyse darzulegen, daß das genannte Drama nichts als eine theils freiere, theils wört- lich sich anlehnende, nicht immer geschickte Bearbeitung des Frischlinschen sei, wobei sich der Herzog unter Einwirkung der englischen Komödie der Prosa bedient habe. Die Ausdrücke, deren sich der Verfasser bedient, sind sehr hart. Dagegen erkennt er die theilweise recht gelungene Ausführung der Bauern⸗ und Narrenseenen an, deren Bedeutung in einem besonderen Abschnitte eingehend gewürdigt wird. In diesen Scenen, sagt er, trifft Heinrich Fulius, ohne Vorbild, den Ton des Volkes außer⸗ ordentlich glücklich, und selten mag ein Drama des 16. Jahrhunderts mit solcher realistischen, freilich auch sehr derben Naturwahrheit ge⸗ sprochen worden sein. Wenn diese Auftritte wirklich ganz original sind, so darf die vollständige Vertrautheit mit der Rede⸗ und Denk⸗ weise des gemeinen Mannes, ganz abges hen von der außerordent⸗ lichen Dialektkenntniß, die sie bekunden, bei dem Fürstlichen Ver⸗ fasser geradezu Staunen erregen.
Am Schluß seiner Untersuchung gelangt Pilger zu dem Resultat, daß nicht das vielfach unterschätzte Schuldrama die Schuld an der gehemmten Entwicklung des deutschen Dramas trage, sondern das 17. Jahrhundert, welches die so glücklich be onnene selbständige Nach⸗ bildung der Antike mehr und mehr aufgab und die mangelhaften Nachahmungen derselben durch die verschiedensten modernen Völker sich zum Muster nahm. Die Folge dieses beklagenswerthen Irrweges aber sei die gewesen, daß die dramatische Literatur dieser Zeit — seiöst durch das Talent eines Gryphius vor ihrem Verfalle nicht bewahrt — mit dem Uatergange alles bisher Errungenen in dem ‚wüsten Chaos der Staattaktionen und Possenreißereienꝰ endigte. Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte das deutsche Drama wieder, nachdem es in der Gottschedschen Schule einen heilsamen Reinigungs⸗ prozeß durchgemacht, auf die Bahn zurückgeleitet werden, die es am ö des 16., nicht ohne sie mit Ehren betreten zu haben, verlassen mußte.“
. Der Verein deutscher Lehrerinnen und Erziehe⸗ rinnen hielt am Dienstag Abend im Bürgersaal des Rathhauses seine 11. Generalversammlung ab. Wie der Jahresbericht konsta⸗ tirte, haben sich die Bestrebungen des Vereins, namentlich soweit sie das Feierabendhaus betrafen, auch im abgelaufenen Jahre der wesent⸗ lichen Förderung Sr. Majestät des Kaisers und des Kaiserlichen Hauses zu erfreuen gehabt. Auch im Vorjahre hat der Verein immer mehr Ge⸗ legenheit g-funden, nicht nur den materiellen, sondern auch den geistigen Interessen eifrige Pflege zuzuwenden und sich an verwandten Bestrebungen in dieser Beziehung zu betheiligen. Neue Mit⸗ glieder sind 8ꝰ eingetreten, so daß deren Zahl fast sich auf 654 erhöht hat. Der Lokalverein zu Memel erfreut sich einer gleich günstigen Lage. Die Gesammteinnahmen betrugen 2850, die Aus⸗ gaben, einschließlich 678 „ Beitrag zur Unterstützungskasse, 2541 „6, so daß 309 M Bestand verblieb. Der Unterstuͤtzungsfond hat sich merr noch als im vergangenen Jahre als eine höchst segens⸗ reiche Einrichtung bewährt. Dem Fond zu Gebote standen 942 M0 Ausgegeben wurden 5 Darlehen in Höhe von 16 — 100 9 , zusammen 260 MS und 14 Unterstützungen in Höhe von 20 - 80 4, zusammen 630 S ; im Ganzen mit Nebenspesen g0l M gegen 6365 SV im Vorjahre. — Die Zahl der Stellensuchen⸗ den ist im Jahre 1879 eine geringere gewesen, als im Vorjahre: 212 Meldungen standen 114 angebotenen Stellen gegenüber, nur in 43 Fällen hatte die Vermittlung des Vereins Erfolg. Erschwert wurde die n,, durch den Andrang nach Berliner Schulstellen. Das Feierabendhaus ist am 16. Juli der Benutzung übergeben worden und wird zur Zeit von 10 Damen bewohnt, denen sich demnächst 7 wei⸗ tere zuzesellen werden, so daß das Haus alsdann zur Hälfte besetzt sein wird. Die Baukosten betrugen 154 000 4½; davon sind 110 0060 4 kee ue daß eine Schuldenlast von nur 24 000 c auf dem Haus noch haftet.
Der Deutsche Nautische Verein ist auf den 23, 24. und 25. Februar hierher (Restaurant Beyer, Friedrichsstraße 231) zur Jahresversammlung einberufen worden. Auf der Tagesordnung steht u. A. für den zweisen Tag ein Vortrag des Hrn. H. Dahlström aus Hamburg über den Nord ⸗Ostsee⸗Kanal.
London, 11. Januar. (W. T. B.) Der wegen des Mord versuchs gegen den katholischen Geistlichen von St. Peter in Hatton Garden am 10. Januar angeklagte Alexander Schossa ist zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt worden.
Der heutigen Nummer d. Bl. liegt eine Ankündigung des Werkes: „Vom Kurhut zur Kaiserkrone, Bilder aus der Geschichte der Hohenzollern (Verlagsbuchhandlung von Carl Meyer (Gustav Prior] in Hannover) bei, auf welche wir aufmerksam machen.
Im Residenz⸗Theater gelangte gestern das vieraktige Drama: „Une séparation“ von Erneste Lgouvs, unter dem Titel: „Trennung“ von D. Duncker ins Deutsche übertragen, zur ersten Aufführung. Die dramatische Literatur der Franzosen beschäftigt sich seit längerer Zeit mit den sozialen Folgen, welche aus der Un—⸗ lösbarkeit der Ehe, der Satzung der katholischen Kirche, in dem modernen französischen Leben resultiren. Viele hervorragende Bühnenschrift⸗ steller, unter ihnen Augier, Sardou, Dumas, haben dieses Thema verschiedentlich zum Vorwurfe einer dramatischen Behandlung ge⸗ macht, und noch jüngst hat Dumas eine eigene Abhandlung über diesen Gegenstand veröffentlicht. Auch Lögouvs hat für das gestern hier aufgeführte Stück dieses Motiv gewählt. Hr. Delpierre denunzirt einen russischen politischen Verbrecher der russischen Regierung und erhält für diese Denunziation eine bedeutende Summe Geldes. Seine Gattin erfährt davon und ist über diese ehrlose Handlung ihres Ge— mahls so empört, daß sie sich von ihm trennt. Zwischen ihnen steht der einzige Sohn, zur Zeit der Trennung der Eltern noch ein Kind. Nach 10 Jahren kommt die schimpfliche Handlung des Vater an das Tageslicht; der Vater, um Frau und Sohn nicht zu kompromittiren, schießt sich eine Kugel durch den Kopf. Dies in aller Kürze der Jahalt des Stückes. Gegenüber den Arbeiten ähnlichen Inhalts von Augier, Sardou und Dumas erscheint dasselbe matt, ez zeichnet sich weder durch die glanzende Technik noch durch die bestechende Eleganz des Dialogs aus, welche man jenen Stücken, auch wenn man erhebliche sittl iche Bedenken, die sie hervorriefen, nicht unterdrücken konnte, nachrühmen mußte. Bei dem Lögouvé'schen Stücke hat man überall das Gefühl, Augier, Sardou und Dumatz haben das Alles viel wirksamer, fesselnder und dramatischer gemacht. Ohne diese Eigenschaften ist freilich auch diese Arbeit nicht, sie laborirt wohl am Meisten an der Ueber sättigung, welche das so häufig von der französischen Bühne aus variirte Thema, das doch für deutsche Verhältnisse ein nur mehr akademisches Interesse besitzt, hervorgerufen hat. Volles Lob muß man der Darnellung zollen, welche das Stück gestern im Residenz Theater fand. Die beiden . wurden von Fr. Marie Seebach und Hrn. Keppler in trefflicher Weise verkörpert und auch die Nebenrollen hatten in den Herren Patonay, Paul, Beckmann und
aack treffliche Vertreter. Ebenso verdient das abgerundete, fließende usammenspiel die lebhafte Anerkennung, welche von dem anwesenden ublikum durch wiederbolten Beifall bezeugt wurde.
Belle ⸗Alliance⸗Theater. Die Einnahme der 70. Auffüh⸗ rung des „Rattenfängers von Hameln,“ welche übermorgen stattfindet, ist zum Benefiz für die Lehrer⸗Wittwen und -Waisen des Pestalozzi-⸗Vereing bestimmt. Die Direktion hat im Interesse des guten Zwecks für diese Aufführung die Darstellung neuer leben- der Bilder, sowie im 11. Bilde eine neue Gesangseinlage arrangiren
— Zwei weitere Arbeiten, eine lateinische von Schonaeug, Rektor in Haarlem (1595) und eine deutsche von Samuel Israel von Straß—⸗
lassen.