— Aus St. Petersburg ist heute die erschütternde
Nachricht von einem neuen furchtbaren Attentat uf Se. 3 den Kaiser von Rußland und die Kaiserlich russische Familie eingetroffen. Die gnädig waltende Vor⸗ sehung . auch diesmal den verbrecherischen Plan zu Schanden werden lassen. Es ist kaum möglich, der Entrüuͤstung über das freche Bubenstück, welchem mehrere Menschenleben zum Dpfer gefallen sind, hinreichenden Ausdruck zu geben. Die Freude über die Erhaltung des unserem Kaiserlichen Hause nahe verwandten Herrschers und seiner Familie wird in Deutschland einen lauten Wiederhall finden. e
Ueber das Attentat liegen bisher folgende telegraphische Meldungen vor:
St. Petersburg, Dienstag, 17. Februar, Abends. Im Kaiserlichen Winterpalais hat eine Explosion stattgefunden. Von der Kaiserlichen Familie ist Niemand verletzt. Die Mine lag unter dem Wachzimmer; dieses befindet sich unter dem Speisezimmer. Von der Wachmannschaft sind 35 verletzt, darunter fünf bereits gestorben. (vgl. u.) In den Fußboden des Speisezimmers ist eine Oeffnung gerissen, 10 Fuß lang und 6 Fuß breit. Die Kaiserliche Familie war noch nicht ver⸗ sammelt in Folge einer zufälligen Verspätung.
St. Petersburg, Mittwoch, 18. Februar, Vormittags. Der „Regierungsbote“ meldet: Rm 17. d. M., Nachmittags gegen 7 Uhr, erfolgte im Erdgeschoß des Winterpalais unter dem Hauptwachtzimmer eine Explosion, wobei von den auf der Wache aufgestellten Soldaten des finnländischen Leib⸗ Garde⸗Regiments 8 Mann getödtet und 45 verwundet wurden. Die Diele des Wachtzimmers und mehrere Gasröhren sind be— schädigt. Die amtlichen Erhebungen sind im Gange.
— Die vereinigten Ausschüsse des Bundes raths für andel und Verkehr und für Justizwesen traten heute zu einer Sitzung zusammen.
— In der heutigen (3.) Sitzung des Reichstages, welcher mehrere Bevollmächtigte zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten, theilte der Präsident unter anderen ge⸗ schäftlichen Mittheilungen mit, daß der gewählte zweile Vize⸗ präsident Abg. von Hölder die auf ihn gefallene Wahl abge⸗ lehnt habe. Darauf trat das Haus in die erste Berathung des Etats pro 1880/81, welche beim Schlusse des Blattes der Unter⸗Staatssekretär Scholz einleitete.
— Die Schlußberichte über die gestrige Sitzung des Herrenhauses und des Hauses der Abgord neten befinden sich in der Ersten Beilage.
— In der heutigen 6 Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Kriegs⸗-Minister von Kameke, der Minister des Innern Graf zu Eulenburg, der Finanz⸗ Minister Bitter, der Minister der geistlichen 2c. Angelegen⸗ heiten von Puttkamer, der Minister für e n wiethf, f Do⸗ mänen und Forsten Dr. Lucius und mehrere Kommissarien beiwohnten, trat das Haus in die Berathung des vom Herrenhause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Ent— wurfs eines Feld⸗ und For stpolizeigesetzes ein. Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa wies darauf hin, daß die vom Herrenhause beschlossenen Aenderungen vorwiegend re⸗ dabtioneller Natur, und daß auch die materiellen Aenderungen nicht so schwerwiegend seien, um darum dieses nothwendige Gesetz sür diese Session scheitern zu lassen. Dieses Resultat werde aber eintreten, wenn die Vorlage in der jetzigen Form nicht zur Annahme gelange. Der Abg. Dr. Windthorst machte sein Votum sür das ganze Gesetz von der Annahme seiner Anträge zu 8. 41 abhängig. Er bestritt auch, daß ein so leb— haftes Bedürfniß nach diesem Gesetze im Volke empfunden werde. Aus seiner Heimath seien ihm die lebhaftesten Bedenken dagegen zugekommen. Der Abg. Schmidt (Sagan) vertrat im Ganzen den vom Abg. von Heydebrand und der Lasa eingenommenen Standpunkt und wies namentlich nach, daß der Antrag Windthorst, welchen das Herrenhaus abgelehnt ö seinen Zweck, das Verbot des Beeren- und Pilzen⸗ ammelns durch Polizeiverordnungen vorläufig unmöglich zu machen, nicht erreiche. Der Abg. von Ludwig bedauerte, daß dieses Gesetz keineswegs den weitgehenden Ansprüchen der leidenden Landwirthschaft genüge, und sprach die Hoffnung aus, daß der Minister in der nächsten Session einschneidendere Vorlagen machen werde. Redner ging dann auf den Werth des Parlamentarismus, das neueste rüssische Attentat und ähnliche vom Gegenstande fernliegende Dinge ein und wurde vom Präsidenten mehrfach zur Sache gerufen.
Der Staats⸗-Minister Dr, Lucius erklärte, die Frage der DOpportunitãt dieses der Landwirthschaft so nützlichen Gesetzes nicht mehr erörtern zu wollen, und wies darauf hin, daß die Regierung bisher einen sehr entgegenkommenden Standpunkt in dieser Frage eingenommen habe, daß aber für die gesammte Bevölkerung eine schlechtere Lage geschaffen würde, wenn jetzt die gesetzliche Regelung dieser Materie unmöglich gemacht würde. Er bitte deshalb, die Vorlage in der . des Herrenhauses anzunehmen.
Der Abg. Dr. Windthorst führte aus, sein Antrag wolle verhüten, daß durch Strasbestimmungen ein durch Her⸗ kommen und unvordenklichen Besitz geheiligtes Recht verkümmert werde. Dieses Recht sei ihm ebenso heilig, wie das Eigenthumzrecht an Feld und Wald. Nachdem sich gen bem Ahg. Dr. von Cuny und dem Regierungskommif ar Ober⸗Forstmeister Donner über den Gang der bisherigen Gesetzgebung und deren Interpretation eine Debatte entsponnen hatte, legte der Abg. von Griesheim Protest gegen die Behauptungen des Staats⸗-Ministers Dr. Lucius ein, daß in Hessen eine tendenziöfe Agitatlon gegen die preußische Forstverwallung getrieben werde. Der Minister ielt aber seine k Behauptungen, gestützt auf amt⸗ iche Berichte, aufrecht und bezeichnete die Anträge Windthorst als unannehmbar, weil sie das Polizeiver⸗ ordnungsrecht der Regierung beschränkten. Die Abgg. von Rauchhaupt und Schmidt (Sagan) empfahlen nochmals die Beschlüsse des Herrenhauses, welche auch nach Ablehnung des Eventualantrages Windthorst — der Prinzipalantrag war zurückgezogen worden — angenommen wurden, und mit den⸗ selben das ganze Gesetz.
Es folgte die Berathung des vom Herrenhause in abge⸗ änderter Fassung zurückgelangten Gesetzentwurfs, betreffend die Bestreitung der Kosten für die Bedürfnisse der Kirchengemeinden in den Landestheilen des linken Rheinufers. Die Aenderungen erstrecken sich nur guf 8. 4, welcher die Regierungsvorlage wieder⸗ herstellt. Der Abg. Hr. Windthorst erkannte an, daß die Konfervativen des Abgeordnetenhauses seinen Wünschen nach Kräften entgegengekommen feien. Anbers sei es mit
das Bedürfniß des Friedens nicht so lebhaft, wie es nöthig sei, sich zeige. Nach den Veränderungen des Herrenhauses im Jahre 1877 sei das Haus nicht mehr geeignet, vor den radikalsten ngen zu schůtzen. s sei denkbar, daß um deshalb in den Rheinlanden nicht gleiches Recht wie in den alten Provinzen geschaffen werden solle, weil dort die Kirchen meistens den Katholiken gehörten. Der Minister des Innern wies darauf hin, daß das Centrum die jetzt von ihm ge⸗ riesene, von dem Abgeordnetenhause angenommene assung bei deren Berathung als durchaus un⸗ genügend bezeichnet habe. Der Minister bestritt, daß er überhaupt in dieser Frage und speziell bei der Bekämpfung der Fassung des Abgeordnetenhauses irgend eine dem Centrum feindliche Stellung eingenommen habe, und wies dann die Angriffe des Vorredners gegen das Herrenhaus als durchaus unbegründet und unberechtigt zurück. Es handle sich hier um die Aufrechterhaltung eines seit 80 Jahren bestehen⸗ den Rechtszustandes; das könne man nicht Revolution nennen. Es handle sich hier nur um eine unter⸗ geordnete Zweckmäßigkeitsfrage, mit deren Regelung in der jetzigen Form sich der Ober⸗ 3 der Rheinprovinz einverstanden erklärt habe. Er bitte des⸗ halb, die Vorlage in der Fassung des Herrenhauses anzu⸗ nehmen. Diesen Wunsch unterstützte der Abg. von Wedell— Piesdorf, da seine Partei an untergeordneten Differenzen das so nöthige Gesetz nicht scheitern lassen wolle. Nachdem noch die Abg. Cremer (Cöln) gegen und der Abg. Dr. von Cuny für die Beschlüsse des Herrenhauses gesprochen hatten, wurden dieselben angenommen, und mit diesen das ganze Gesetz, worauf sich das Haus um 12769 Uhr vertagte.
— Die Kaiserliche Verordnung vom 4. Januar 1875 bestimmt, daß „künstlich bereitete Mineralwässer“ nicht zu den⸗ jenigen flüssigen Arzneimischungen gehören, welche als Heil— mittel nur in Apotheken feilgehalten und verkauft werden dürfen. Ueber den Begriff der sonach dem freien Verkehr überlassenen „künstlich bereiteten Mineralwässer“ sind in den Kreisen der Sachverständigen bisher verschiedene Ansichten geltend gemacht worden. Während die Einen als künstlich bereitete Mineralwässer nur die Nachbildungen be⸗ stimmter, in der Natur vorkommender Mineralwäsfer an⸗ gesehen wissen wollen, verstehen Andere unter künstlich be— reiteten Mineralwässern alle künstlich hergestellten Lösungen mineralischer Stoffe in Wasser, welche bei innerlichem oder äußerlichem Gebrauche physiologische Wirkungen auf den Körper zu üben bestimmt sind, gleichviel, ob diese Löfungen in der Natur wirklich vorkommen oder nicht.
Die Streitfrage bietet nicht blos ein theoretisches Inter⸗ esse, denn das Strafgesetzbuch bedroht das unbefugte Zubereiten, Feilhalten c., von Arzneien mit Strafe.
Thatsächlich hat sich die Fabrikation der künstlichen Mineralwässer im Laufe der letzten 50 Jahre in Deutschland zu einem sehr bedeutenden Industriezweige entwickelt. An⸗ fangs war Has Bestreben nur darauf gerichtet, einzelne naturliche Mineralwässer möglichst genau nachzubil⸗ den; dann ging man dazu über, sich von ddieser einfachen Nachbildung frei zu machen und auch solche Mineralwässer herzustellen, für welche die Natur Vorbilder überhaupt nicht bietet Bei Annahme der engeren Auffassung des Begriffs der künstlichen Mineralwässer hätte die Fabrika⸗ tion und der Vertrieb derselben in ihrem bisherigen Umfange nicht bestehen bleiben kö zen. Auf der anderen Seite würbe die unbeschränkte Freigabe der Zubexeitung und des Vertriebes aller künstlich hergestellter Löfungen mineralischer Stoffe in Wasser die Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege um⸗ somehr gefährdet haben, als die Konkurrenz stets zur Her⸗ stellung neuer Fabrikate drängt und keine genügende Sicher— heit dafür gegeben ist, daß hierbei die Rücksichten der Gefund⸗ heitspflege unverletzt bleiben.
Die in Nr. 3 des diesjährigen „Reichs⸗Gesetzblatts“ er— schienene Kaiserliche Verordnung vom 9. Februar d. J. hat nunmehr den Begriff der künstlichen Mineralwässer in einem Sinne festgestellt, welcher geeignet erscheint, den berechtigten Interessen der Mineralwasserfabrikation und des Publikums zu genügen, ohne die Schranken zu durchbrechen, auf deren Innehaltung vom Standpunkte der Sanstätspolizei Werth felegt werden muß. Die Verordnung erkennt als künstlich ereitete Mineralwässer im Sinne der Verordnung vom 4. Januar 1875 nicht nur diejenigen an, welche sich als Nachbildungen von natürlichen Mineralwässern darstellen, sondern auch andere künstlich hergestellte Lösungen mineralischer Stoffe in Wasser, wenn nur die Fa⸗ brikate der letztgedachten Art keine Stoffe enthalten, welche in den Verzeichnissen B und G zur deutschen Pharmakopöe auf⸗ gesührt sind. Die dort aufgeführten Stoffe sind nämlich gif— tige oder doch stark wirkende Substanzen, hinsichtlich deren den Apothekern eine besonders sorgfältige Aufbewahrung zur Pflicht gemacht ist.
Durch die gedachte Verordnung ist den verschiedenen In— teressen, welche bei der vorliegenden Frage in Betracht kom⸗— men, Rechnung getragen. Die Fabrikation und der Vertrieb der künstlichen Mineralwässer bleiben in ihrem bisherigen Umfange, soweit sich dies bis jetzt übersehen läßt, fast unver⸗ kürzt bestehen, und gleichzeitig erscheinen die fanitätspolizei⸗ lichen Interessen gewahrt.
Der Bundesraths⸗Bevollmächtigte, Fürstlich schaumburg⸗ 6 Geheime Regierungs⸗Rath Spring ist hier ein⸗ getroffen.
Bayern. München, 16. Februar. (Allg. Ztg.) Von dem Referenten der Kammer der Reichs räthe, Hrn. von Neuffer, wird auch bezüglich des zweiten Beschluffes der Kam⸗ mer der Abgeordneten in Betreff einer Erhöhung der Eisen⸗ bahn⸗Personentarife, resp. der Einnahmen aus den Eisenbahnen, die Ablehnung beantragt. Die Erste Kammer wird am Mittwoch hierüber berathen.
(der. J) In
Sachsen. Dresden, 17. Februar. der heutigen Sitzung der Zweiten Kammer begründete zunächst der Abg. Ackermann in längerer Ausführung eine von ihm eingebrachte und von der rechten Seite der Kammer unterstützte Interpellation, dahin gehend, ob die Staatsregie⸗ rung gewillt sei, zur Beseitigung der in Sachen des Vaganten— wesens zu Tage getretenen großen Uebelstände auf zweck⸗ entsprechende Revision der einschlagenden reichsgesetzlichen Vor⸗ schriften hinzuwirken, auch, soweit möglich, im Wege der Landes⸗ gesetzgebung, o durch Verordnung die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. Der Staats⸗Minister von Nostitz⸗Wallwitz er⸗
bereit sei, Alles zu thun, was zur Milderung der Uebelstände geeignet sei. Der hauptsächlichste Theil der Abhülfe müsse allerdings von der Gesetzgebung des Reiches erwartet werden und er zweifle, daß man schon für die nächste Zeit diefe Er⸗ wartungen hegen dürfe. Vor Allem werde darauf Bedacht zu nehmen sein, das Institut der Landarmen auf irgend eine Weise wieder zu beseitigen und die Strafen für das muth⸗ willige Betteln empfindlicher zu machen, als sie nach der gegenwärtigen Gesetzgebung seien. Speziell erklärte der Minister unter lebhafter Zustimmung der Kammer, daß er für das mit Drohen ver bundene Betteln die körperliche Züchtigung für die einzig mögliche Strafe halte. Den vom k gemachten Vorschlägen, auf dem Gebiete der Verwaltung und Veryrd— nung Abhülfe zu schaffen, sagte der Minister Erwägung zu, doch glaubte er nicht, daß auf diesem Gebiete von Seiten ber Regierung viel mehr werde geschehen können, als geschehen sei. — Der Gesetzentwurf über die gewerblichen Lehranstalten wurde nach kurzer Debatte mit einer Reihe von der Gesetzgebungs⸗ deputation beantragter Abänderungen, welchen die Regierung nicht entgegengetreten ist, gegen 13 Stimmen angenommen“ — Die Kammer beschloß ferner, anläßlich des Königlichen Dekrets, betreffend die Ergebnisse der bei der Altersrenten bank für den Schluß des Jahres 1878 vorgenommenen Inventur, auf Antrag der Rechenschaftsdeputation, der Staatsregierung zur Erwägung zu geben, inwieweit dahin gewirkt werden könne, die Altersrentenbank für die Arbeiterbevölkerung im Allge⸗ meinen nutzbar zu machen. — Bezüglich des Königlichen Ve— krets, . die fortgesetzten Erörterungen über das Bedürf⸗ niß eines ,,, beschloß die Kammer auf An⸗ trag der bestellten Referenten, sich durch das Dekret für be— friedigt zu erklären und von weiteren in dieser Richtung fort— gesetzten Erhebungen zur Zeit abzusehen, zugleich aber die Re— gierung zu ersuchen, dem Landeskulturrath Veranlassung zu geben, dahin zu wirken, daß durch das landwirthschaftliche Vereinswesen und durch die landwirthschaftliche Presse auf den großen Werth einer guten rationellen Waldpflege hin⸗ gewiesen werde. — Zum Schluß wurde der Antrag des Abg. Kirbach, betreffend die Vorlegung einer Novelle zum Erb— schaftssteuergesetze, auf Antrag der Finanzdeputation (Abth. X) der Staatsregierung zur Berlcksichtigung überwiesen.
Sessen. Darmstadt, 17. Februar. (K. 3.) Der Finanzausschuß der Zweiten Kammer befürwortet ein— stimmig, der Regierung den zur Abwehr eines Nothstandes in den ärmeren Theilen des Landes geforderten Betrag von 100 9900 e aus den paratesten Mitteln der Hauptstgatskaffe zur Verfügung zu stellen, jedoch soll der zum theilweisen Bau von Vizinalstraßen (Oberhessen, Kreis Büdingen) vorgesehene Staatszuschuß von 20 000 (6 nur geleistet werden, wenn und sobald die betreffenden Gemeinden sich bindend bereit erklären, die weiter erforderlichen zwei Drittheile der Gesammtbaukosten dafür aufzuwenden. — Die am 14. d. M. stattgehabte Sitzung der Zweiten Kammer bot in so fern ein weitergehendes Interesse, als darin übereinstimmend mit dem Antrage der Regierung und des Ausschusses beschlossen wurde, den Kaufpreis für den an Preußen ab— getretenen Antheil der Main-Weserbahn zunächst zur Tilgung der älteren Eisenbahnschuld, den Rest aber zum Rückkauf von Obligationen des für die Erwerbung der Oberhessischen Bahnen ausgegebenen Anlehens zu verwenden. Auch verdient bemerkt zu werden, daß durch Annahme der Regierungs vorlage wegen Aufbesserung der älteren, d. h. der vor der letzten Ge⸗ haltserhöhung der Beamten in Ruhestand getretenen Civil— pensionäre eine Angelegenheit ihre Erledigung fand, über welche auf den beiden letzten Landtagen ein Einverständniß zwischen Regierung und Ständen nicht herbeigeführt werden konnte. — Die Zweite Kammer beschloß über die Beschwerde der Rechtsanwälte wegen der ihnen durch Verordnung auferlegten Amtstracht den Uebergang zur Tagesordnung.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 16. Februar. Die Thätigkeit der Landtage soll, wie die „Pr.“ be— richtet, knapp nach der Reichsrathssession beginnen. Dem ge— nannten Blatte wird aus Prag telegraphirt, daß der böhmische Landtag für den 30. März einberufen werden soll.
— Banus Mazuranies hat während feines jüngsten Aufenthalts in Wien seine Demission eingereicht. So meldet die „Bud. Corr.“ mit dem Zusatze, daß Se. Majestät noch keine Entscheidung getroffen habe und daß man als präsum— tive Nachfolger Mazuranies' den Grafen Ladislaus Pejacse⸗ vies, eventuell den Minister Bedekovics bezeichne.
— 17. Februar. (W. T. B.) Nach einer Mit⸗ theilung der „Pol. Corr.“ aus Konstantinopel hätte die Pforte die Absicht, Montenegro außer KLucikraina, auch, den von slapischer Bevölkerung bewohnten Theil, des Distrikts von Gusinje, sowie einen Theil des Distriktes von Grudi und mehrere Ortschaften in der Ebene von Podgoritza anzubieten.
(Cöln. Ztg.)
Schweiz. Bern, 17. Februar. Der Staatsanwalt wies in dem heute begonnenen St abio-Pro⸗ zeß 20 liberale Geschworene zurück, wogegen die Vertheidi— gung protestirte und Wahl durchs Loos verlangte.
Großbritannien und Irland. London, 17. Februar. (W. T. B.) Im Oberhause erklärte heute Earl Beacons⸗ field auf eine Anfrage Earl Granvilles: Er sei nicht bereit zu erkären, daß der Tripelvertrag zu bestehen aufgehört habe; wenn aber die Mitunterzeichner desselben England auf⸗ fordern sollten, den Bestimmungen des Vertrags entsprechend zu handeln, so würde er erstens die in der Türkei stattge⸗ habten Veränderungen und zweitens die vorliegenden Um⸗ stände in Erwägung ziehen. . Im Unterhause erwiderte auf eine Anfrage Dilke's der Schatzkanzler Northeote, daß die Unterhandlungen wegen der Ernennung einer internationalen Liqui⸗ datio ns kommission für Egypten noch fortdauerten, und daß es daher unmöglich sei, zu sagen, ob sie erfolgreich sein würden oder nicht. — Der Unter-Staatssekretär Bourke er—⸗ klärte Simon gegenüber: Der Vertreter Englands in Ma⸗ rokko sei wegen des auf die Juden in Fez gemachten An⸗ griffes vorstellig geworden; die englische Regierung habe dieses Vorgehen ihres Vertreters n, Die Frage wegen des Schutzes der in Marokko lebenden Nichtmuhamedaner sei von mehreren Regierungen, welche deshalb mit der englischen in Verhandlungen ständen, in Erwägung gezogen worden. — Die Resolution Meldons, auf Assimilirung des irischen
dem Herrenhause und dem Minister des Innern, bei denen
klärte, daß die vorhandenen Uebelstände der Ntegierung bekannt seien und voll gewürdigt würden, und daß die Regierung gern
Stimmrechts mit dem englischen und schottischen, wurde
mit 242 gegen 188 Stimmen verworfen. Die Liberalen stimmten mit den Irländern.
Nach Berichten aus Calcutta, vom 14. d., ist Ma⸗ homet an, der Insurgentenführer in Ghuzni, noch immer bestrebt, die Mangols und Djagis zu einer bewaffne⸗ ten Erhebung gegen die Engländer aufzuwiegeln. Er drängt sie, sich für diesen Zweck am 27. d. zu versammeln.
Den „Daily News“ wird aus Lahore, vom 16. d. telegraphirt:
Der Armee in Candahar ist der Befehl zugegangen, An⸗ fangs März auf Ghuzni vorzuräcken. General Roberts hat Mustafi Hadjibullah nach Ghujni gefandt, um mit Mahomet Jan zu kon— seriren. In Cabul glaubt man, daß Ayub Khan und Gholam Hyder sich Abdul Rahman anschließen werden. Ein persischer Brief vom 4. d besagt, daß Shahbaz Khan, dem von der britischen Be⸗ hörde ernannten Gouverneur des afghanischen Turkestan, eine große Streitmacht gegenübersteht, und daß die städtische Bevölkerung in diesem Monat oder Anfangs März einen Angriff Mahomet Jans
erwartet. ; Aus Peschawur vom 14.8. erhielt der „Standard“
folgendes Telegramm; ;
Im Hinblick auf den Ende dieses Monats erwarteten Angriff auf unsere Truppen in der Umrunde von Kabul werden Vorbereitungen getroffen, um die ganze Division des Generals Bright in den Stand zu setzen, zur Verslärkung von Sir F. Roberts beranzurücken. Die Reserve, die in diesem Falle Brights Division auf der Linie zwischen Peschawur und Kabul ersetzen würde, ist jetzt nahezu zusammengezogen und in Bereitschaft fuͤr einen sofortigen Vormarsch. General Stewart wird mit Roberts durch eine Bewe⸗ gung auf Candahar kooperiren. Die Kolonne wird von 10 pfündi⸗ gen Kanonen zur Einnahme von Ghuzni begleitet werden. Diese Bewegung wird Mahomet Jan zwischen zwei Feuer bringen und ihm keine andere Alternative lassen, als Uebergabe oder Zerstreuung und
Flucht über das Gebirge. (W. T. B.)
Italien. Rom, 17. Februar. Die Thronrede, mit welcher die Kammern heute wieder er⸗ öffnet wurden, kündigt neben anderen n die Gesetz⸗ entwürfe über eine stufenweise Aufhebung der Mahlsteuer und über die Wahlreform als die dringendsten Berathungs⸗ gegenstände an. In der auf das Verhältniß Italiens zum Auslande bezüglichen Stelle heißt es: Wir haben gute und freundschaftliche Beziehungen zu allen Staaten, und dieselben werden uns gegenüber von allen Staa⸗ ten erwidert; sie befestigen die Ueberzeugung, daß die Unparteilichkeit und Loyalität der Regierungen das sicherste Mittel sind, das Einvernehmen unter den Völkern aufrecht zu erhalten. Die Erhaltung des Friedens ist unser lebhafter Wunsch und von hohem Interesse für Italien. Für Italien ist daher eine strupulöse Beobachtung des Berliner Vertrags etwas Natürliches, und ebenso ist es für Italien ein Leichtes, seine der Welt ertheilte Zusage zu erfüllen, daß Italien, wiederhergestellt in seiner Einheit, ein Element der Eintracht und des Fortschrittes sein werde.
Türkei. Skutari, 16. Februar. (Pest. LS. Moukhtar Pascha erhielt Befehl von der Pforte, die Garnison von Ipek zu verstärken, um die albanesischen Freiwilligen in Plava und Gusinje besser zu überwachen. Der Protest der albanesischen Liga gegen die Abtretung eines Territoriums am Sem wurde gestern dem Gouverneur von Kossovo und dem italienischen Konsul hierorts übergeben.
(W. Pr.)
Serbien. Belgrad, 16. Februar, Die Regierung hat Herrn Maries beauftragt, Donnerstag, den 19. d, von Wien abzureisen, um hier zu referiren und In⸗ struktionen zu empfangen. Die Verhandlungen in Wien dürften frühestens am 28. d. fortgesetzt werden.
Nisch, 16. Februar, In der fürstlichen Thronrede, mit welcher die Gtupschtina geschlossen wurde, geschieht auch des beschlossenen Eisenbahn-Expropriations-Gesetzes Erwähnung und wird daran die Hoffnung geknüpft, daß mit
ülfe desselben die für Serbien einschneidendste und wichtigste . des Eisenbahnbaues ihrer Lösung werde zugeführt werden.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 17. Februar. (W. T. B.) Anläßlich des Vorschlages Englands wegen Bei⸗ legung des englisch-türkischen Konfliktes schreibt die Agence Russe“, daß jede Lösung dieser Frage, welche Griechenland konveniren könne, auch die Zustimmung Rußlands finden würde.
Amerika. Washington, 17. Februar. (W. T. B.) Der Finanzausschuß hat zu der in der Meldung vom 12. d. M. erwähnten Vorlage, betreffend die Ausgabe von Schatzbillets, im Betrage von 2 Millionen Dollars den Antrag eingebracht, den Zinsfuß statt auf 4 Proz. auf nur 35 Proz. festzustellen. Die Vorlage wird demnächst an die Re⸗ präsentantenkammer gelangen.
New⸗York, 14. Februar. (Allg. Corr.) Ein verheeren⸗ der Wirbel sturm hat die Staaten Kentucky und Tennessee heimgesucht. Mehrere Menschen verloren dabei ihr Leben.
RKunst, Wissenschaft und Literatur.
»Johgnn Sebastian Bach“ von C. H. Bitter, König⸗ lich preußischem Finanz ⸗Minister. Zweite umgearbeitete und ver⸗ mehrte Auflage. Mit einem Porträt von Johann Sebastian Bach und zahlreichen Faesimilien, meist Kompositionen desselben darstellend. Groß Octav. In 25 Lieferungen, à 3 bis 4 Bogen Text enthaltend. (Preis für die Lieferung 1 ). Dresden, 1880. Wilhelm Beensch' Verlage handlung. Erste Lieferung,. — Johann Sebastian Bags Name ist und wird stets in allen gebildeten, nicht nur den musika⸗ lischen Fachkreisen mit ehrfurchtsvoller Bewunderung ausgesprochen werden und jede literarische Erscheinung willkommen sein, welche das Verständniß dieses Meisters und seiner Schöpfungen fördert, zumal heute, wo die Ueberzeugung sich immer mehr Bahn bricht, daß eine Weiterbildung unserer deutschen Kunst, der Form nach, nur auf der Basis der Errungenschaften des Bachschen Genius möglich sei. Schon beim Erscheinen der ersten Auflage des oben erwähnten Werkes ist allseitig von der Kritik anerkannt worden, mit welcher Klarheit, QAbiektivitt und warmen Begeisterung für den Gegenstand der Herr Verfasser sich demselben gewidmet hat, und in der früher erschienenen literarischen ‚Besonderen Beilage“ des „R. u. St.“ A.“ diese Pbhkli⸗ kation, sowie die Beiträge zur Geschichte des Oratoriums“ in mehreren Artikeln behandelt worden. Die mit der vorliegenden ersten Lieferung begonnene neue Auflage ist durch na er Forschung vielfach vermehrt und verbessert, sowohl was die Biographie des großen Tonmeisters, als was die Charakteristik seiner Werke betrifft. Die 1. Lieferung enthält nach einer allgemeinen, die Beder⸗ tung Bachs würdigenden Einleitung eine sorgfältige Untersuchung über die Abstammung seiner Familie (dazu sein Porträt), die Darstellung seiner Jugend und ersten Lehrzeit und seines Aufenthalts in Arn⸗ nn Mühlhausen und Weimar. Die typographische und illustrative
ut stattung ist gediegen und würdig. In Faesimile beigegeben sind der Lieferung die Ueberschrift zu den „Invensionen“, der kalligraphisch
Gounods Mediiation populär gewordene 1. Präludium. Monatlich sollen zwei Lieferungen ausgegeben werden.
Gewerbe und Sandel.
Der Aufsichtsrath der Hibernia K Shamrock Berg⸗ werksgesellslschaft hat die von der Revisionskommission geprüfte Bilanz festgestellt; es wird nach derselben eine Dividende von 3*io zur Auszahlung gelangen, ferner ein Betrag von 3000 ½ς den Ar= beiter⸗Unterstützungskassen der beiden Zechen überwiesen und der Rest⸗ gewinn von 25 524 M auf neue Rechnung vorgetragen.
— Der Aussichtsrath des Magdeburger Bergwerks⸗ vereins hat die Dividende für das abgelaufene Betriebsjahr auf 3 o festgesetzt. w ;
— Der Jahresbericht der Kommerz bank in Lübeck für 1879 bebt zunächst hervor, daß der überaus niedrige Diskontosatz des Jahres das Erträgniß des Geschäftes wesentlich geschmälert hat. Trotzdem ist es möglich gewesen, einen Reingewinn von 162 473 0 einschließlich eines Gewinnvortrages von 1517 6 zu erzielen, so daß die gleiche Dividende wie im Vorjahre — 5g oso — in Veischlag gebracht werden kann. Der Reingewinn des Jahres 1879 entspricht ziemlich genau demjenigen des Vorjahres, während die einzelnen Ziffern des Gewinn. und Verlust-Conto's im Vergleich zum Jahre 1878 nicht unerhebliche Abweichungen ergeben. Der Rein⸗Zinsenertrag beträgt 132 662 „ gegen id! 205 6 im Vor⸗ jahre, wogegen das Effekten Conto mit einem Coursgewinn von 17 986 KA abschließt, gegen 8693 ς im Jahre 1878. Der Noten⸗ Umlauf betrug im täglichen Durchschnitt 756 30) 6 gegen 787 500 4K im Vorjahre. Der größte Umlauf war am 20. November mit 14002060 M, der kleinste am 22. August mit 526 100 S. Eine Banknotensteuer war auch für das verflossene Jahr nicht zu ent- richten. Der tägliche durchschnittliche Kassenbestand inel. Guthaben bei der Reichsbankstelle betrug 768 000 M. Laut Beschluß der vorig⸗ jährigen Generalversammlung sollten etwa vorkommende Thaler Noten noch bis spätestens Ende 1879 eingelöst werden. In Folge dessen wurden noch für 330 S dieser Noten honorirt und dieser Be⸗ trag aus den Mitteln des Reservefonds entnommen. Präkludirt sind hiernach Noten für 2490 Ct. Thlr. — 7470 6ο Der Gesammt Um⸗ satz betrug im Jahre 1879 330.56 Millionen Mark gegen 267,62 Millionen Mark im Jahre 1878.
Amster dam, 17. Februar. (W. T. B.) In der heute von der nieder ländischen Handelsgesellschaft abgehaltenen Zucker⸗ Auktion wurden 128 Faß Surinam zu 299 à 301 und 264 Fäßchen zu 29 à 30 verkauft. . ö
London, 17. Februar. (W. T. B.) Die heute eröffnete Wollauktion war sehr zahlreich besucht; angeboten waren 7996 B. Bei lebhafter Konkurrenz wurden australische Wollen 10, Kapwollen ungefähr 5 oso höher bezahlt. .
New⸗JYPork, 16. Februar. (W. T. B.) Weizen⸗Berschif⸗ fungen der letzten Woche von den atlantischen Häfen der Ver⸗ einigten Staaten nach England 54 000, do. nach dem Kontinent 49 909, de, von Kalifornien und Oregon nach England 5000 Qitrs., Visible Supply an Weizen 29 625 (00 Bushel, do. do. an Mai 14187 000 Busphel.
Berlin, 18. Februar 1880
Das Ober- Seeamt verhandelte unter dem Vorsitz des Ge⸗ heimen Ober: Regierungs- Rathes Dr. von Möller in seiner Sitzung am Freitag, den 13. d. M., über die Beschwerde des Reichskommis⸗ sars, Kapitän z. S. a. D. Donner, gegen den Spruch des See⸗ amtes zu Stettin vom 17. November v. J., betreffend den See⸗ unfall der deutschen Bark Ridderkerk“ im bottnischen Meerbusen am 9. August v. J. — Die genannte Bark hatte unter Führung des Schiffers Noritz am 1. August v. J. eine Reise in Ballast von Wolgast nach Haparanda angetreten, welche bis zum 9. August glück⸗ lich von Statten ging. An diesem Tage Nachmittags gegen 3 Uhr strandete das Schiff auf einer Untiefe in der Nähe des Feuerschiffes »Snipan“, wurde in Folge dessen wrack und ging tolal verloren. Ein Verlust von Menschenleben ist bei dem Unfall nicht zu be— klagen gewesen. Das Seeamt zu Stettin hat diesen See⸗ unfall untersucht, und hat der Reichskommissar im Laufe der Verhandlung den Antrag gestellt, dem Schiffer Moritz auf Grund des Gesetzes vom 27. Juli 1877 die Berechtigung zur ferneren Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen, weil er durch seine fehlerhafte Navigirung den Verlust des Schiffes verschuldet habe. In seinem Spruche erkennt das Seeamt diese fehlerhafte Navigirung zwar ebenfalls an und tadelt dieselbe, lehnte aber den Antrag des Reichskommissartz ab, indem es zur Entschuldigung des Schiffers eine Reihe von Gründen hervorhebt, welche geeignet seien, das Ver ⸗ schulden desselben in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Gegen diesen Spruch hat der Reichskommissar die Beschwerde an das Ober Seeamt eingelegt. Bei der Verhandlung vor demselben war als Beistand des Schiffers Moritz der Rechtkanwalt Ziemssen aus Stralsund zugegen. Derselbe gab in, seinen Ausführungen die fehlerhafte und wenig sorg= fältige Navigirung zu, betonte demnächst jedoch, daß, wie es das Seeamt in seinem Spruche ausgeführt habe, zu Gunsten des Schiffers verschiedene Umstände sprächen, aus denen hervorgehe, daß der von demselben gezeigte Mangel an Vorsicht nicht ein derartiger sei, daß das öffentliche Interesse die Konzessionsentziehung erheische.
Vach längerer Verhandlung entschied das Ober⸗Seeamt; Daß der Spruch des Seeamtes zu Stettin vom 17. November v. J. dahin abzuändern, daß dem Schiffer Moritz die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes zu entziehen, die Befugniß zur Ausübung des Steuermannsgewerbes zu belassen, und die baaren Auslagen des Ver⸗ fahrens außer Ansatz zu lassen.“ .
Zur Begründung des Spruchs führte der Vorsitzende aus: Hin⸗ sichtlich des unn r h. über die fehlerhafte und unvorsichtige Navi—⸗
irung sei den Ausführungen des Seeamtes beizutreten. Dagegen 9 die von demselben zu Gunsten des Schiffers hervorgehobenen Entschuldigungsgründe nicht stichhaltig. Die benutzte Karte sei zwar in jeder Weise für die Navigirung in zwei engen Gewässern unzu⸗ länglich gewesen; sie habe einen zu kleinen Maßstab gehabt, zeige auch, wie dies leider vielfach bei Seekarten der Fall sei, welche von Privaten herausgegeben, und deren Benutzung für die Schiffahrt des⸗ halb nicht selten gefahrbringend sei, an wichtigen Punkten wesentliche Abweichungen von der amtlich veröffentlichten schwedischen Seelarte. So insbesondere liege die Untiefe, auf welcher die Bark Ridderkerk festgekommen sei, auf der vorgelegten Karte nicht unerheblich näher dem Feuerschiffe „ Snipan‘, wie sie in der amtlichen Karte verzeichnet sei. Dieser letztere Umstand spräche aber keineswegs zu Gunsten des Schiffers, vielmehr hätte er auf Grund seiner Karte deshalb schon früher Veranlassung zum Wenden gehabt, als wenn er die amtliche schwedische Karte benutzt haben würde. Stromversetzung und Abtrift hätte der Schiffer ferner nicht außer Acht lassen dürfen, da er auf das Vorhandensein derselben, wenn ihm auch das genaue Maß nicht bekannt sein konnte, bei der herrschenden Windrichtung vorbereitet sein und seine Na⸗ vigirung mit Rücksicht darauf bemessen mußte. Auch der Umstand, daß der Schiffer zum ersten Male in jenen Gewässern fuhr und zum ersten Male ein größeres schnell segelndes Schiff führte könne ihm nicht zur Entschuldigung gereichen, hätte ihm vielmehr zu einer erhöhten Vorsicht Veranlassung geben müssen,
Wenn der Schiffer zu seiner Entschuldigung ferner hervorhebe, daß er den südöstlichen Cours so lange beibehalten habe, weil er aus der Bewölkung auf das Umspringen des bisher aus ostnordöstlicher Richtung wehenden Windes nach suͤdlicher Richtung geschlossen habe, und es i ihn in diesem Falle am günstigsten gewesen sei, so weit als möglich nach Südost hin zu liegen, so hahe diese Entschuldigung aus technischen Gründen gar keine Berechtigung, da er, wenn der Wind wirklich nach Süd oder Südost herumging, direkten Cours
die Deviation seiner Kompasse in genügender Weise zu bestimmen, obgleich die Masten des Schiffes von Eisen gewesen sind und er wissen mußte, daß dieser Umstand den Kompaß wesentlich beeinflußt. Die in dieser Richtung im Hafen von Wolgast nur ganz oberflächlich angestellten Vergleiche mit den Kompassen von anderen neben dem Ridderkerk. liegenden Schiffen seien durchaus ungenügend gewesen. Es sei zu diesem Zweck vielmehr nöthig gewesen, das Schiff zu schwojen; habe er hlerzu im Hafen von Wolgast keine Gelegenheit gehabt, so hätte sich eine solche bei dem schönen Wetter am ersten Tage der Reise in See geboten. Es sei anzunehmen, daß in Folge dieser Vernachlässigung die mit dem Kom paß genommenen Peil ungen falsche gewesen und daß hierin mit ein Grund für den Verlust des Schiffes zu suchen sei; .
2) das Schiff, nachdem es festgekommen, ohne genügenden Grund längere Zeit verlassen hat, um, wie er angiebt, Hälfe herbeizurufen. Er hätte selbst bei dem Schiffe so lange bleiben müssen, bis das Auffeben desselben zur unabweie lichen Nothwendigkeit geworden wäre. Die Hülfe hätte durch den Steuermann oder irgend einen Mann der Besatzung herbeigerufen werden können. Zwar stehe das Ver— lassen des Schiffes Seitens des Schiffers nicht in einem ursächlichen Zusammenhange mit dem Verluste desselben, wohl aber lasse dieses Verhalten des Schiffers gleichfalls auf den Mangel an solchen Charaktereigenschaften schließen, welche für die Ausübung des Schiffergewerbes erforderlich seien. .
Es sei deshalb wie geschehen zu erkennen gewesen. Die Berechtigung zur Ausübung des Steuermannsgewerbes sei dem Moritz deshalb zu be⸗ lassen gewesen, weil kein Grund zu der Annahme vorliege, daß er unter dem Kommando eines erfahrenen Schiffers nicht den Anforderungen ge— nügen werde, welche an einen Steuermann zu stellen seien.
Die baaren Auslagen des Verfahrens seien außer Ansatz zu lassen, weil die Beschwerde vom Reichskommissar eingelegt sei.
Die Generalversammlung der Steuer und Wirth—⸗ schaftsreformer nahm in ihrer gestrigen zweiten Sitzung rück⸗ sichtlich der Börsensteuer folgende Resolution an: . .
„M) Sollte eing Gesetzh vorlage auf, Einführung einer Börsen— steuer, wie wir hoffen, noch in diesjähriger Session des Reichstages eingebracht werden, so wollen unsere Gesinnungsgenossen im Reichs⸗ tage bei der Berathung mit allen Kräften dahin wirken, daß: a. alle Börsenumsätze nach ihrem Proportionalverhältnisse, und zwar mit mindestens 1 pro Mille der umgesetzten Beiräge besteuert werden, und b. die Erträge der Böoͤrsensteuer vom Reiche den Einzelstaaten und von diesen den Provinzial⸗, resp. Kreis⸗ und Kommunalverbänden überwiesen werden; 2) event. wollen unsere Gesinnungsgenossen im Reichstage noch in laufender Session eine Gesetzesoorlage nach den angedeuteten Gesichtspunkten einbringen.“ Zum letzten Punkt der Tagesordnung, die Gewerbeordnung im Sinne der Wiedereinführung der Innungen zu rev wurden folgende Anträge angenommen: „) Die Wiederherstellung obliga⸗ torischer Innungen, welchen jeder Handwerker, der selbständig sein Handwerk betreiben will, nach Ablegung eines Befähigungsnach= weises beitreten muß, ist das einzige Mittel, um der immer fort⸗ schreitenden Auflösung des Handwerkerstandes entgegenzutreten, der jetzigen Nothlage desselben abzuhelfen. Sie ist die nothwendige ge⸗ setzliche Voraussetzung für die Ordnung der Handwerkerverhãl tnisse. Eintrittsgelder für die Innungen und etwaige Prüfungsgebühren sind möglichst uiedrig zu bemessen. 2) Jeder Gesell muß (nicht blos bis zum 21. Jahre) ein Arbeitsbuch führen. 3) Herbergen zur Hei⸗ math sind dringend zu empfehlen, wünschenswerth wären kleinere fachverbändliche Herbergen mit christlichem Prinzip. 4) Das Verbot der Sonntagsarbeit ist (nach dem Antrage Stumm) auch auf die Werkstatt auszudehnen: „Die Gewerbetrelbenden können ihre Ge— sellen, Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht verpflich⸗ ten; sie dürfen dieselben (dringende Nothfälle ausgenommen) an Sonn, und Festtagen in Fabriken, Werkstätten und bei Bauten nicht beschäftigen z. 6) Vor die Jnanung gehören in erster Linie die gewerblichen Streitigkeiten. Sie haben die Ordnung in den Gewerken aufrecht zu erhalten, die Ausbildung der Lehrlinge zu leiten, das Ver⸗ mögen der Innungen zu verwalten, 6) Die Innungen haben neben den Sterhe⸗, Kranken. und Unterstützungskassen für ihre Mitglieder Kreditinstitute zu gründen (beschränkte Solidarhaft, nicht nach Schulze⸗ Telitzsch, sondern wie Westfälische Bauernkassen und Handwerker⸗ kreditkasse in Magdeburg, wo auch an Stelle, des Bürgen die In nung eintreten kann). Als letztes Ziel ist die Baarzahlung anzu⸗ streben, damit das Handwerk mehr und mehr dahin kommt, weder Kredit zu begehren, noch zu gewähren. Hierauf schloß der Vor— sitzende, Freiherr von Mirbach, die Sitzung mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser.
Im Residen⸗Theaier eröffnete gestern Fr. L-winsky · Prech⸗ eisen vom Hoftheater in Cassel ein Gastspiel in einem viergktigen Lustspiele „Die Junggesellensteuesr von Julius Wolff, welches hier zum ersten Male in Scene ging. Der Verfasser, welcher sich bereits durch lyrische und epische Dichtungen, so namentlich durch seinen Rattenfänger von Hameln“, vortheil haft bekannt gemacht hat, hat mit dem Stück in Rede den ersten Schritt auf die Bühne ge⸗
than. Das genannte Lustspiel soll schon mehrere Jahre alt sein, und ist nach Zeitungsnachrichten auf anderen Bühnen mit gutem Erfolge gegeben worden. In dem ganzen Bau des Stückes macht sich noch der Anfänger stark bemerkbar; für zer Akte fehlt eine ausreichende Handlung und das Gpisodenhafte nimmt einen zu breiten Rgum ein. Die beiden Angelpunkte der Handlung bilden ein junges Mädchen, die Schwester eines Privatdozenten, und ein junger begabter Bildhauer, der, zugleich Dichter ist und durch dessen Gedichte vornehmlich die junge Dame zu etwas ver schrobenen Ansichten über die Liebe gekommen ist; sie verlangt für die Liebe volle Freiheit und hat sich daher fest vorgenommen, ihre Liebe nie durch eine Ehe zu binden. Im Grunde aber ist sie eine edle Natur und durch die wahre Liebe zu jenem jungen Bildhauer wird sie dann schließlich auch von ihren verkehrten Ansichten bekehrt und beide werden ein Ehepaar. Diese beiden Gestalten sind dem Ver⸗ fasser am Besten gelungen und hatten in Fr. Lewinsky und Hrn. Keppler treffliche . der Dialog ist in diesen Partien sorg⸗ fältig gefeilt und gewählt und stellenweise wirklich poetisch, anmu⸗ thig sind ein Paar eingestreute Gedichte aus der Feder des Verfassers, welche von Fr. Lewinsky mit vielem Ausdruck vorgetragen und lebhaft applaudirt wurden. Die Figuren, welche der Verfasser neben jenem Paare auftreten läßt, sind nur sehr stizzen. und schablonenhaft behandelt und erheben sich nicht über das Niveau der vielfach gebrauchten Bühnen⸗ siguren. Da ist ein Landrath a. D., welcher eifrigst darnach strebt, in den Reichttag gewählt zu werden, um dort in seiner Jungfernrede einen Antrag auf Einführung einer Jun gesellen⸗ steuer zu vertheidigen. Er wird naturlich nicht gewählt, dafür aber seine Gattin zur Vorsitzenden irgend eines Wohlthätigkeits vereins. Da ist ferner ein sehr zerstreuter Privatdocent, eine keineswegs neue Theaterfigur, welcher aber Hr. Beckmann durch seine wirksame Darstellung manchen interessanten Zug verlieh, und weiter ein junges Ehepaar, ein Assessor und seine Frau, welche durch Verwechselung von Fächer, Blumen und einem Gedicht in Eifersucht gegen einander gerathen; dieses Paar wurde von Frl. Wienrich und Hrn. Haack recht beifallswerth gespielt. Was sonst noch von Personen in dem Stücke auftritt, ist vom Uebel; ein frömmelnde Köchin, die alle, welche mit ihr zusammenkommen, bekehren will, ist eine bei den aaren herbeigezogene geschmacklose. Karrikatur ohne allen Humor; ebensowenig einen erfreulichen Eindruck macht die stark verzerrte Zeichnung zweier alteren Fräulein, welche ohne allen Zweck für die Oekonomie des Stückes aus der Rumpelkammer alter abgenutzter Bühnenschablonen hervorgesucht sind. Das glatte, fließende Zusammenspiel, durch welches sich das Residenz⸗ Theater auszeichnet, brachte die lichten Theile des Stückes, die ein bemerkenswerthes Talent bekunden, zu voller Geltung, und erwarb
ausgeführte Titel für das „Wohltemperirte Klavier und das durch
nach seinem Reiseziel 66 konnte. Das Ober ⸗Seeamt legt dem Schiffer aber noch ferner zur Last, daß er I) es unterlassen hat,
sich wiederholten lebhaften Beifall. Mit den Darstellern wurde auch der Verfasser nach dem dritten und vierten Akte gerufen.