D ro 1878.
mission, Grafen Loris⸗Melikoff, übergegangen, nachdem die Demission des Generals von Drentelen unter seiner Ernennung zum Mitglied des Reichsraths angenommen worden ist. Der Graf Loris Melikoff leitet in oberster Instanz die dritte Ab⸗ theilung, deren Funktionen bestehen bleiben. — St. Petersburg, Sonnabend, 13. März. Der Eisen⸗ bahnzug, mit welchem Se. Königliche Hoheit der Herzog von Edinburgh von hier abgereist ist, ist 400 Werst von St. Peters⸗ burg mit einem Güterzuge zusammengestoßen; zwei Waggons 1. zerbrochen, ein weiterer Unglücksfall ist nicht vorge—⸗ ommen.
Statistische Nachrichten. Dem uns zugesandten fünften Jahreshericht des deutschen Hülfsvereins zu Nizza für das Jahr 1879 entnehmen wir folÜ⸗ gende Daten: Im Jahre 1879 gingen von 114 Mitgliedern und Ehrenmitgliedern Beiträge von 2471 Fr. ein; an freiwilligen Bei⸗ trägen wurden von 99 Nichtmitgliedern (ie unter 19 Fr) 444 Fr. 50 Ct. gezablt; die Einnghme von Zinsen und Coupons betrug 152 Fr. 15 Ct.; das Kapitalvermögen der Gesellschaft betrug am 31. Dejember 1879 baar 943 Fr. 80 Ct. und 3000 Fr. 5 oM Oblig. der Socists générale. Unterstützt wurden 436 Personen bis zur Höhe von 20 Fr. mit 1529 Fr. 16 Ct.; 14 Personen wur- den mit Reifegeldern im Betrage von 614 Fr. unterstützt; 19 Dar⸗ lehen wurden mit Verpflichtung der Rückzahlung gewährt mit 805 Fr. Die Ausgaben von Drucksachen, Porto und Ankauf von Bureau materialien betrugen 254 Fr. 5 Ct. Es wurden unterstützt von der Kaffe des deutschen Hülfs vereins zu Nizza: Im Jahre 1875 129 Per sonen mit 3841 Fr. 30 Ct.; im Jahre 1876 171 Personen mit 2879 Fr. 55 Ct.; im Jah e 1877 206 Personen mit 2837 Fr, 25 Ct.; im Jahre 1578 2638 Personen mit 2837 Fr. 30 Ct.; und endlich im Jahre 1875 461 Personen mit 3156 Fr. 40 Ct. Im Zweigvereine zu Fannes betrugen im Jahre 1879 die Beiträge 450 Fr.; das Kapitalvermögen betrug am 31. Dezember 1879 506 Fr, welche zu 5 5so belegt sind. Unterstützt wurden 208 Personen, gegen 102 Per⸗ sonen im Jahre 18378. Es wurden an Unterstützungen verausgabt: für Schuhe 506 Fre, für Hemden 129 Fri, für Strümpfe 14 Fr., für eine Blouse 3 Fr. 50 Et.; ferner wurden für Verpflegung von Kranken an das Asile Evangelique 84 Fr. gezahlt.
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Die Kalisfalze und ihre Anwendung in der Kandwirth⸗ schaft, von Dr. Max Maercker, Vorsteher der Versuchsstation und außerordentlicher Professor an der Universität zu Halle a. S. Berlin 1880. Verlag von Wiegandt, Hempel K Parey (Verlagt⸗ buchhandlung für Landwirthschaft, Gartenbau und Forstwesen). — Die Staßfurter Kalisalze, deren Auffindung und begonnene Ausbeutung wan im Interesse der Landwirthschaft mit großer Freude und weit⸗ gehendsten Erwartungen begrüßte, haben die ursprünglich auf sie gefetzten Hoffnungen nicht in dem Maße, wie dieselben gehegt wurden, erfüllt. Der Verfasser setzt in diesem Buche eingehend die Gründe auseinander, weshalb die Hoffnungen der Land⸗ wirthschaft auf die Kalisalze nicht erfüllt werden konnten, und giebt den Landwirthen den Rath, die Kalisalze nicht ungemischt zu verwenden, sondern nur im Gemisch mit anderen stickstoff haltigen Düngmitteln. Ein Gemisch von Kalisalz, Superphosphat und Chili⸗ salpeker, jedes zu gleichen Theilen, hat sich nach vielen, in Waldau, Tharand u. s. w. angestellten Versuchen besonders für Zucker⸗
rüben bewährt, während für Kartoffeln ein Gemisch von Kalisalzen und Knochenmehl zu empfehlen ist. Da man zur Zeit der Einfuͤh— rung dieser Salze im Beginn der sechsziger Jahre schon ausreichende Unfersuchungen über das Nährfloffbedürfniß unserer landwirthschaft⸗ lichen Kulturpflanzen ausgeführt, und das Kali, wie auch Prof. Justus v. Liebig bestaͤtigt hatte, als einen der nothwendigsten Nährstoffe neben der Phosphorsäure und dem Stickstoff kennen gelernt hatte, hoffte man, wie der Verfasser ausführt, Seitens der Landwirthe durch die Anwendung der neuen kalihaltigen Düngemittel ähnliche Ertrags⸗ steigerungen, wie durch den Gebrauch stickstoff; und phosphorsäure⸗ baltiger, künstlicher Düngemittel erreichen zu können; — auch Seitens der Staßfurter Kali⸗Industrie rechnete man darauf, daß sich die Kalisalze ebenso, wie Phosphate und die stickstoffhaltigen Düngemittel, namentlich überall da einbürgern würden, wo man die Landwirthschaft intensiv betreibe, und daß sie in ebenso großen Mengen wie jene verwendet werden müßten. — Aber kaum jemals sind die gehegten Hoffnungen schmerzlicher enttäuscht worden, als damals — alle Welt verfuchte die Anwendung der neuen Kalisalze, jedoch nur, um dieselbe nach einigen beobachteten Mißerfolgen wieder aufzugeben. Nur unter bestimmten engbegrenzten Verhältnissen, z. B. im leichten Sand- und Moorboden, wurden sofort durchschlagende Erfolge erzielt, in Folge deren es den Kalisaljen gelang, sich auf diesen Bodenarten als regel⸗ mäßig zu verwendendes Düngemittel einzubürgern. Die intensiven Wirthschaften der besseren Bodenarten dagegen kamen fast ohe Ausnahme wieder von der Anwendung der Kalisalze zurück, obgleich der ungünstige Ausfall der angestellten Ver⸗ fuche vielfach auf eine falsche Anwendung derselben zurückzuführen ist, was der Verfasser in diesem Buche ausführlich darlegt. Derselbe stellt nach vielen angestellten Versuchen fest, daß das Kalisalz nur mit anderen stickstoff haltigen Düngemitteln zu verwenden ist, daß aber die Mischung mit diesen Düngestoffen das Kalisatz für die Landwirthschaft werthvoll und zur Erreichung des intensiven Betriebes nothwendig macht. Gewerbe und Handel.
Inhaltlich einer im „Helsingfors Dagblad“ vom 6. März 1880 Nr. 65 enthaltenen Notiz hat die Forsby Sägverksaktie⸗ bolag am 5. d. M. Konkurs angemeldet.
— Die Internationale Bank in Luxemburg vertheilt für das Jahr 1879 eige Dividende von 10060. Für das Jahr 1878 wurden nur 78 0½ vertheilt.
— Der Geschäftsbericht der Cölnischen Privatbank für 1879 bringt zunächst die Mittheilung, daß durch Allerhöchste Kabinets⸗ Ordre vom 15. Ottoher v. J. die in der außerordentlichen General⸗ Versammlung vom 8. März 1879 beschlossene Statutänderung ge⸗ nehmigt und somit die Dauer der Konzession der Bank bis zum 1. Januar 1891 verlängert worden ist. Während in früheren Jahren der Bankzinsfuß für Wechsel nicht unter 4, betrug — nur 1876 stellte sich derselbe für eine kurze Zeit auf 39 0½ — ging derselbe im vorigen Jahre auf 300 zurück, und während alle vorhergegangenen Jahre auch Diskontosätze von 5oso und darüber nachweisen, hat das Jahr 1859 nur 40/o als höchsten Satz zu verzeichnen. Bei solchen Zinssätzen konnte eine Verminderung der Zinserträge nicht ausbleiben; wenn trotzdem eine Dividende von 6o zur Vertheilung gelangt, so ist dies nur dadurch möglich, daß die überhobenen Zinsen sür die nach dem 31. Dezember verfallenden Wechsel sich erheblich niedriger als pro 1878 berechnen und das Gewinnergebniß durch eine Entnahme von 15000 S aus dem Delerederefonds verstärkt wird. An Thalernoten standen am 31. Dezember 1879 noch für 5490 Thlr. aus. Die Geschäftsumsätze mit Einschluß des Verkehrs auf Girokonto bei der Reichsbank und auf dem Noteneinlösungskonto in Frankfurt am Main beziffern sich in Einnahme auf 105 505 370 4, in Ausgabe auf 195 454 954 M6, zusammen auf 210 960 324 4M ; pro 1878 betrugen dieselben 22 998 150 0 Die Notencirkulation stellte sich im Jahre 1879 durchschnittlich auf 224656 300 S gegen 2369 600 M pro 1878. Die SGewinnberechnung stellt sich wie folgt: Zinsen von Wechseln, der Lombarddarlehne, im Inkassoverkehr, diverse Provisionen, zusammen 296466 „SL, hierzu die über hobenen Zinsen des Wechselbestandes vom 31. Dezember 1878 57 081 S6, in Summa 365 538 M Hiervon gehen ab: die verausgabten Zinsen hei Begebung der Wechsel auf auswärtige Plätze 15 7679 M, die Zinsen der nach dem 31. Dezember 1859 verfallenden Wechsel 337653 M, mithin Ein⸗ nahme an Zinsen und Provisionen 304017 S gegen 337 365 *
319 017 4 Davon kommen in Abzug: die Verwaltungsunkosten inkl. Steuern 45 455 S6, Zinsen der Depositenkapitalien 79 600 A, Uebertrag auf Banknoten Anfertigungskonto 2000 „M, bleiben 191 961 M Hiervon bezieht der Aufsichtsrath eine Tantième von 609 mit 11517 6; von den alsdann verbleibenden 180 444 M er⸗ halten die Aktionäre 690/ g Dividende mit 180 000 ις, während über⸗ schießende 444 SM dem Konto der unvertheilten Dividende zugeschrie⸗ ben werden.
München, 11. März. (Allg. Ztg.) Für die aus Anlaß der Abhaltung des vierten Deut schen Brauertages im Juli d. Ig. hier zu veranstaltende Ausstellung von Brauerei⸗ mafchinen und Geräthschaften“ hat das Staats, Ministerium des Innern die Ueberlaffung des Glaspalastes genehmigt. Die Aus= stellung wird von allen Selten sehr zahlreich beschickt werden und so in ihrer Art sicherlich nicht geringes Interesse bieten; ebenso steht für die Versammlung des Brauertags aus allen Theilen Deutsch= lands eine sehr zahlreiche Betheiligung zu erwarten.
Hamburg, 12. März. T. B.) Die Direktion der Hamburg ⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesell⸗ f .. ö hat in ihrer heutigen Sitzung die Dividende auf 69 9so fest⸗ gesetzt.
London, 11. März. (Allg. Corr.) Die Liquidatoren der City of Glasgow Bank zeigen an, daß sie am 23. 8. M. eine weitere Dividende von L ch. per Pfd. Sterl. zahlen, wodurch die bis jetzt . Gesammtdividende die Höhe von 16 h. pro Pfd. Sterl. erreicht.
Berlin, 13. März 1880.
Das am 10. d. M. in der berichteten feierlichen Weise enthüllte Standbild der Königin Luise erhebt sich gegenüber dem Denk— mal Königs Friedrich Wilhelm III. in jenem von Seen und Ge wässern durchschnittenen Theile des Thiergartens, welchen Natur und Kunst, bildende. Landschafts⸗ und blumengärtnerische, zum schönsten des ganzen Parkes machen. Hier ist der unvergeßlichen Monarchin schon bei ihren Lebzeiten, nach ihrer Rückkehr im Jahre 1809, von den Anwohnern des Parks ein einfaches sinniges Denkmal errichtet worden: jener Altar, der sich auf der hinter dem Standbilde liegenden, durch einen Wasserarm davon getrennten „Luisen-Insel“, unter Trauerweiden fast verbirgt und alljährlich am 10. März und am 19. Juli, dem Geburts⸗ und Todestage der Königin, liebevoll mit Blumen geschmücktzu werden pflegt.
Auch das eben enthüllte Monument ist, wie jene beiden anderen,
eine Widmung der patriotischen Bürgerschaft der Residenz, welche da⸗ durch ihrer Treue und Anhänglichkeit zu unserem Herrscherhause ein bleibendes schönes Zeugniß gestiftet hat und der Gedanke dazu durch die hundertjährige Wiederkehr des Geburtstages der Königin, am 10. Mär; 1876, angeregt worden. Aus der ausgeschriebenen Konkurrenz ging der durch seine weiblichen Porträtbildnisse wohl- berufene Bildhauer Erdmann Encke als Sieger hervor, dessen nach der Skizze lebensgroß ausgeführtes Modell Sr. Majestät dem Kaiser an Allerhöchstseinem 80. Geburtstage in der Schloßkapelle vorgestellt werden konnte und dann auch zur Ausführung in Marmor genehmigt wurde. Gottes Gnade aber hat die Hoffnung des allverehrten Monarchen, daß es Ihm vergönnt sein möchte, das Bildniß Seiner in Gott ruhenden Mutter Selbst zu enthüllen, in Erfüllung gehen lassen. Und so wandern denn an diesen hellen, sonnigen Frühlings⸗ tagen Tausende hinaus, um das schöne Werk in Andacht zu be— wundern. Die ganze Anlage des Denkmals war durch das Drakesche Mo— nument König Friedrich Wilhelms Ill, zu dem es ein Gegenstück bilden sollte, vorherbestimmt. Wie jenes ist es in weißem Marmor ausgesührt und erhebt sich auf einem runden Sockel, der von einem sinnreich erfundenen Hochrelief umgeben ist; auch das Größenver⸗ hältniß des Ganzen ist entsprechend. Das Denkmal zeigt uns die Königin als die edle Dulderin, welche als Fürstliche Mutter mit ihren Kindern und ihrem Hause, als Landesmutter mit ihrem ganzen Volke die Leiden des Krieges trägt und in Demuth das Haupt, nicht vor dem Eroberer, sondern vor dem Allmächtigen beagt, der so harte Prüfung geschickt. Fröm⸗ migkeit, Demuth und mütterliche Liebe, das sind die Tu⸗— genden, welche uns in ihrer ungebrochenen, boheitvollen Gestalt entgegentreten: es ist, die geschichtliche Persönlichkeit, welche durch ihre Heldenmüthigkeit im Dulden den Befreiungskrieg entflammte. Diese historische Individualisirung erstreckt sich auch auf die Kleidung. Ein glattes kurzärmliges Atlasgewand im Kostüm der Zeit fällt in großen schönen Falten über den Rand des Sockels hernieder. Das in leiser Wehmuth gesenkte Haupt ist mit einem Diadem geschmückt, welches einen Spitzenschleier hält. Die rechte Hand schließt denselben über der Brust zusammen, während der linke in schöner Linie herniederhängende Arm das Ende desselben aufhebt. Den Gürtel ziert eine erblühte Rose.
Das Relief am Sockel schildert in bewegten, vortrefflich kom⸗
ponirten Scenen den Auszug der Krieger in den Befreiungskampf und den Abschied von der Familie, die liebevolle Sorge der Frauen um Verwundete und Kranke, die Trauer der Braut um den Ge— fallenen und die Freude über die Rückkehr des Siegers. Der Gesammteindruck ist ein wirklich erhebender und wird noch mehr gewinnen, wenn das herrliche Werk sich erst von dem Grunde des grünen Laubwerks wirkungsvoll abheben und von jenen gärtneri⸗ schen Anlagen umgeben sein wird, die bereits in Angriff genommen worden sind.
Gestern wurde in der Dreifaltigkeitskirche das Jahresfest des Berliner Missionsvereins gefeiert Nach einem Choral—⸗ gesange hielt der Hofprediger und Garnisonpfarrer Frommel die Festpredigt, der er die Worte aus Ev. Lucä 19, Vers 29 bis 31 zu Grunde legte. Hr. Prediger Jentsch erstattete alsdann den Jah resbericht. Es sei bekannt, daß es in keiner Stadt verhältnißmäßig so wenig Kirchen gebe als in Berlin. Im Jahre 1571 habe Berlin 12 000 Einwohner und 9 Kirchen gezählt. Erst nach 1090 Jahren, im Jahre 1678, als die Stadt schon 20 000 Einwohner hatte, sei die zehnte Kirche gebaut worden. Im Jahre 18650 habe es in Ber- lin ca. 350 000 erwachsene evangelische Einwohner und 32 Kirchen nebst 67 Geistlichen gegeben, und jetzt führe die amtliche Kirchenliste 50 landeskirchliche Gottes häuser auf, während höchstens 120 Geist⸗ liche das Wort Gottes verkündeten. Und gerade in den großen Vorstadt⸗ Gemeinden, in denen zume st die 25 Stadtmissionen arbei⸗ teten, zeige sich die größte Kirchennoth. Im Jahre 1829, als Berlin 200 000 Einwohner zählte, hätteen nach glaubwürdigen Berichten 20 000 sonntäglich die evangelischen Kirchen be⸗ sucht, im Jahre 1850, als Berlin 400 000 Einwohner hatte, habe man au nur 20900 Kirchgänger gezählt und jetzt bei 1086 0900 Einwohner dürfte diese Zahl auch nicht, größer sein. Die Geistlichen an den Kirchen aber sejen durch die Amts- geschäfte so in Anspruch genommen, daß ein Einfluß auf die Volks⸗ menge unmöglich sei. Hingegen sei die Fülle der anderen geistigen Strömungen, der Einfluß der Presse, der Literatur und Kunst, die Thätigkeit von gewerblichen und politischen Vereinen so groß, daß die Kraft, welche die Predigt ausüben können, kaum dem großen und bewegten Leben eine erkennbare Färbung gebe. Mit dieser kirch lichen gehe aber die geistige, sittliche und leibliche Noth Hand in Hand. Im Jahre 1879 hatten die 25 Stadtmissionare 3114 Kinder, die noch nicht getauft waren; 1348 von diesen Kindern konnte der Segen der heiligen Taufe zugewendet werden. Im Jahre 1843 sei von der Dreifaltigkeitskirchen⸗ Gemeinde der erfte Kindergottesdienst eröffnet worden, setzt beständen in Berlin schon über 50, darunter 11, die von der Berliner Stadtmission gehalten würden. In diesen elf Sonntagsschulen versammelten sich sonntäglich etwa 1500-209 Kin der. Mit der Sonntagsschule sei in vier Fällen noch eine Gesang⸗
ungetrauten Paaren, die die Stadtmission im vergangenen Jahre ermittelt hätie, sei bei 151 gelungen, sie zur Trauung zu bewegen. Im vergangenen Jahre machten die Missionare 47168 Besuche und 4429 Krankenbesuche. Das von dem Evan⸗ gelischen Verein zur Förderung der Berliner Stadtmission herausgegebene Berliner Sonntagsblatt‘ zähle nahe an 15 0900 Abon nenten, die „Blätter aus der Stadtmission über 3000 Abonnenten. Im Jahre i879 seien von den Berliner Stadtmissionaren 42 9090 Traktate, 466 Bibeln und 290 Gesangbücher vertheilt worden. Auch der christlichen Armen und Gefangenenpflege habe die Berliner Stadtmissioa im vergangenen Jahre ihre ganz besondere Theilnahme zugewandt. Die Gesammteinnahmen im Jahre 1879 betrugen 76 000 M, die Ausgaben 70 077 M Der Hofprediger Stöcker sprach alsdann das Schlußgebet und den Segen, worauf die Feier mit einem Choralgesange schloß. :
Die Sitzung der „Cypria“ vom 16. Februar 1880 eröffnete der Präsident um 8 Uhr. Zu Punkt 3 der Tagetzordnung übergehend, ertheilte der Präsident zunächst dem Schriftführer Beckmann zur Berichterstattung über die letzte Ausstellung das Wort. Redner be⸗ tonte in längerer Ansprache, daß die gehegte Hoffnung, daß der Kasse des Vereins in Folge des sebr zahlreichen Besuches der Ausstellung ein größerer Üeberschuß zufließen würde — leider nicht in Erfüllung gegangen sei, da die Ausgaben in Folge der größeren Aus⸗ stellungs räume diesmal bedeutend größer gewesen seien als bei den bisherigen Ausstellungen. Der Schatzmeister Schotte verlas hierauf den Kassenbericht. Die Einnahmen betragen 16442 1 50 8, die Ausgaben 16229 S 65 3, so daß, wenn die noch nachträglich an⸗ gemeldeten Forderungen beglichen, wohl schwerlich ein Ueberschuß zu verzeichnen sein dürfte. Auf Wunsch des Präsidenten gab der Schriftführer Wagenführ Kenntniß von dem Resultate der letzten Verloosung, welche alljährlich unter den Vereins⸗ mitgliedern stattfindet. Nach demselben waren 11 Paar Tauben im Preise von 508 M und 11 Stamm Hühner im Preise von 776 4 zur Verloosung angekauft. Betreffs Verleihung der goldenen Staats Medaille Sr. Majestät des Kaisers und Königs gelangte ein Schreiben des Staats . Ministers Dr. Lucius zur Verlesung, nach welchem diese Me⸗ daille dem Kaufmann Rudolph Ortlepp in Magdeburg zuerkannt worden ist. Nachdem Seitens des Präsidenten noch der Ehrengabe (Tafelaufsatz in Silber) des Hohen Protektors, Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Carl, welche dem Kaufmann. J. Beckmann hierselbst zu⸗ erkannt war, gedacht worden, begann die Verlesung der Namen Der⸗ jenigen, welchen sowohl Staats wie Vereinsmedaillen und Ehren— diplome zuerkannt worden sind und erfolgte alsdann die Verthei⸗ lung derselben an die anwesenden prämiirten Aussteller und Mit- glieder, unter entsprechender Ansprache durch Hrn. Dr. Bodinus.
Der Stenographenverband für Brandenburg, Pommern und Schlesien erklärt sich zur unentgeltlichen brieflichen Unterrichts . ertheilung in der vereinfachten Stolzeschen Stenographie bereit. An—⸗ meldungen sind an den Vorsitzenden des Verbandes, Max Bäckler, Berlin 8W., Simeonstraße 13, zu richten.
Im Königlichen Opernhause gelangte gestern die Oper „Carmen“ von dem verstorbenen Franzosen Georges Bizet zur ersten Aufführung. Das Textbuch ist von der bekannten Firma Meilhac und Halsvy nach einer Novelle ron Prosper Merimée verfertigt. Es führt uns in das romantische, wenn auch niedrig geartete Schmugg⸗ ler, und Zigeunerleben Spaniens mit seiner glühenden Leidenschaft⸗ lichkeit und Rauflust. Carmen ist ein Zigeunermädchen von dämo⸗ nischer unwiderstehlicher Schönheit, aber eben so großer Leich lebigkeit, welche einen jungen braven Soldaten in ihre Netze zu locken weiß, ihn zur Desfertion und zu dem unehrlichen Lebenswandel eines Schmugglers verführt, schließlich aber, seiner überdrüssig, sich von ihm wendet und einem gefeierten Stierkämpfer ihr Herz schenkt. Noch ehe sie sich jedoch mit diesem vereinigen kann, fällt sie von der Hand des Eifersüchtigen, in dem Augenblick, als der Sieger trium—⸗ phirend die Arena verläßt. Nur dieser tragische Schluß ist es, der zu der Bezeichnung Oper berechtigt; im Uebrigen hat das Werk beinahe ganz die leichtfertigen Allüren der Operette mit gesprochenem Dialog. Gleichwohl ist dem Komponisten innerhalb des Rahmens der einfachen Handlung, deren Motive sich eigentlich nur vom Standpunkte südlichen Tem⸗ peraments ganz verstehen lassen, uns Nordländern dagegen, namentlich was die tolle Leidenschaft des Sergeanten Joss zu dem verworfenen Geschöpf, der Titelheldin, betrifft, trotz des Zaubermittels der behexten Rose, die es ihm angethan haben soll, mehr oder weniger rätihselhast bleiben — vollauf Gelegenheiten zur musikalischen Verwerthung von Soldaten⸗ und Stierkämpferaufzügen, Chören von Cigarrettenarbeiterinnen und Schmugglern, sowie anderen größeren En⸗ sembles und Ballets gegeben. Der heitere Grundzug des ganzen Stoffes — denn die einzigen tragischen Charaktere sind Joss und die nur oberflächlich behandelte Figur der von ihm verschmäbten Mieasla — kommt in vielen pikant rythmisirten, mit fran zösischer Verve empfun⸗ denen, wenn auch nicht immer originellerfundenen Nummern zum Ausdruck. Im Uebrigen hat der Komponist durch offenbar nationalen spanischen Weisen nachgebildete Arietten, Romanzen 2c. dem Ganzen Charakter zu geben verstanden; leider sind einzelne dieser Nummern aber für unser Ohr etwas fremdartig, ein Eindruck, der durch die bizarre Instrumentation, die sich häufig in geradezu ohrenguälerischen chro⸗ matischen Passagen gefällt, noch verstärkt wird. Anderes ist wirklich wohlgelungen und von ftappantem Nationalkolorit, dürfte aber doch in Paris, wo die Nachbarn von der iberischen Halbinsel ja jetzt be—⸗ sonders gern gesehen sind und ihre als Maler und Komponisten in neuester en sehr regsamen Vertreter einen gewissen Einfluß ge⸗ wonnen haben, mehr Eindruck machen, als d. uns Fernerstehende. In der eigenthümlichen Rythmisirung und den originellen Melismen mancher Nummern ist das Vorbild des salentvollen Paladil he unverkenn⸗ bar, manchmal aber neigte der Komponist auch stark zum niedrigen Couplet und Buffo⸗Operettenstil. Eine außerordentliche Wirkung that die Romanze des Picador, welche, von Hrn. Krolop prächtig ge⸗ sungen, da capo verlangt wurde; auch der Marsch nebst Knabenchor, die hübschen Ballets im 2. und 4. Akt machen vielen Effekt. Im Ganzen aber dürfte dieser eigenartige Versuch eines Kompromisses zwischen der großen Oper und der leichtgeschürzten Operette als ver fehlt zu betrachten sein.
Das Werk war von Hrn. Musikdirektor Kahl sehr fleißig ein⸗ studirt und ging trotz der für eine Spieloper unverhältnißmäßig großen Schwierigkeiten, die es sowohl den Solisten, wie dem Chore und dem Orchester bietet, sehr glatt von Statten. In der Titelrolle brillirte durch ihr degagirtes Spiel Frl. Tagliana, welche aber leider stimmlich nicht recht disponirt schien. Frl. Bettaque fand als Micasla vielen und wohlverdienten Beifall; die junge, bescheidene Künstlerin hat sehr beachtenswerthe Fortschritte gemacht und scheint für die Zukunft noch Besseres zu versprechen. Die Damen Horing und Lammert als kartenlegende Zigeunermädchen hatten ein sehr gefälliges hübsches Duett zu singen. Hr. Ernst machte aus seiner ziemlich undank⸗ baren Partie des Joss das Mögliche. Noch mehr Beifall aber, wie schon berichtet, erntete Hr. Krolop als & tierkämpfer Es camillo. — Die Ausstat⸗ tung, besonders des Zuges der Stierkämpfer und der Ballets im letzten Akt ist außerordentlich glänzend und in den National kon ümen von über⸗ zeugender Echtheit. Von den Ballets übte namentlich eine von Frl. a. und Hrn. Burwig graziös getanzte Manola eine elektti⸗ rende Wirkung.
Der Vorstellung wohnten Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin bei.
Redacteur: J. V.: Riedel.
Berlin: Verlaa der Erpedition (Kessel). Druck! W. Elsner.
stunde verbunden, an der etwa 630 Kinder theilnähmen. Auch der
ierzu Uebertrag vom Delkrederekonto 15 000 A ergiebt
verwahrlosten Kinder nehme sich die Stadtmission an. Von 919
Vier Beilagen leinschlleßlich Bzrsen ⸗ Beilage)
Preußen. Berlin, 13. März. Im weiteren Ver⸗ laufe der gest rigen (17) Sitzung trat der Reichstag in die erste Beraͤthung der Ergänzung des Entwurfs zum Reichshaushalts⸗Etat (Etat der Reichs⸗Post- und Tele⸗ graphenvnerwaltung) für das Etatsjahr 1880,81 ein; in biesem Nachtragsetat werden 16 009 „6 Gehalt und 1500 Wohnungsgeldzuschuß für einen dritten Direktor im Reichs⸗ postamt gefordert. ie Debatte leitete der Bevollmächtigte zum Bunbesrath, Staatesekretär Dr. Stephan mit folgenden
Worten ein:
Ich habe nicht um das Wort gebeten, meine Herren, um die übliche Einleitung zu geben, weil es einer solchen bei der Einfachheit dieser Vorlage wohl nicht bedarf; dagegen liegt es mir daran, dem Bedauern Ausdruck zu geben, daß es nicht möglich gewesen ist, diese Forderung gleich mit dem Hauptetat zu verschmelzen und daß wir in die Lage gekommen sind, einen besonderen Ergänzungtetat für diefen Posten nachträglich einzubringen; es hat dies aber an Umftänden gelegen, welche zu verhindern, außer der Möglichkeit der Regierung lag. Die Etats für die elnzelnen Verwaltungen und insbesondere auch für die Betriebs verwaltungen, müssen ziemlich früh im Jahre aufgestellt werden; der Ihnen vorliegende Etat ist innerhalb der Post⸗ und Telegrabhenverwaltung bereits im August v. J. vorbereitet worden. Schon damals hatte sich das Bedürfniß nach einer Verstãrkung der Arbeitskräfte und einer mehr organischen Glie⸗ derung der Geschäfte im Reicht postamt durch Einrichtung einer dritten Abtheilung geltend gemacht, indessen hatte man geglaubt, noch ein Jahr sich behelfen zu können, weil es der Regierung daran lag, im Ftat für die jetzige Periode keine Mehrforderung anzumelden. In⸗ zwischen aber machte sich mit dem Herannahen des Winter nicht allein die gewöhnliche, sondern eine gani außergewöhnliche Anschwellung der Geschäfte bemerkbar, welche wesentlich ihren Grund darin hatte, daß in einer Zeit, die mit, der Rückkehr des Herrn Reichskanzlers von Wien zusammenfiel, ein lebendigeres Vertrauen in der Geschäftswelt sich accentuirte, das auch sofort seinen Nut druck in dem steigenden Post- und namentlich in dem zunehmenden Telegraphenverkehr fand. Es ist seit dieser Zeit eine ungewöhnliche Steigerung der Geschäfte eingetreten, der wir u. A. auch zu danken haben, daß der Abschluß der Postverwaltung, soweit er bis jetzt vorliegt, bis Ende Januar d. J. sehr günstige Ergebnisse aufweist. Der Etat setzt bis Ende Januar aus einen Reinüberschuß von 13 EOl9 131 , eg sind aber aufgekommen 15 173 852 . Es ergiebt sich hieraus, daß die Verwaltung bis Ende Januar einen Mehrüberschuß gegen den Etat don 2154 731 6 aufgebracht hatte, Es kann das natürlich nicht ohne eine erhebliche Steigerung der Geschäfte geschehen. Außerdem war erforderlich, daß diefe Vorlage noch weitere Stadien als die sonsti⸗
en die Etatsberathung vorbereitenden Stufen zurückzulegen hatte; se war nicht einzubringen ohne die besondere Genehmigung des Herrn Reichskanzlers, und dann mußte noch an die Allerhöchste Stelle berichtet werden. Hierin, meine Herren, und nicht in einer man⸗ gelnden Rücksicht auf die durch die Zeit bedingten Gesckãfts ver bältnisse des hohen Hauses liegt der Grund, daß es uns nicht möglich ge⸗ wesen ist, diese Vorlage gleich bei dem Hauptetat mit einzu⸗
bringen.
23 hoffe, daß Se von der Nothwendigkeit überzeugt sein wer⸗ den und es bleibt mir schließlich nur noch ührig, meinen Dank dafär auszudrücken, daß das Präsidium diesen Gegenstand mit der heutigen Tagesordnung, auf den auch der Postetat steht, verschmolzen hat und daß das Haus dieser Tagesordnung gestern seine Geneh⸗ migung ertheilt hat.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, daß es allerdings auffallend sei, daß jetzt eine Veränderung vorgeschlagen sei, nachdem der Etat bereits aufgestellt gewesen sei. Bei der schon in den letzten Monaten des vorigen Jahres erfolgten Etats⸗ aufstellung müsse also das Bedürfniß nicht so dringend empfunden worden sein. Ob dieser neue Ministerial-Direktor mit der Reise des Kanzlers nach Wien in irgend einen Zu⸗ sammenhang gebracht werden könne, sei ihm doch zweifelhaft. Wenn man den Aufschwung, der sich gezeigt habe, mit der Reise nach Wien in Zusammenhang bringe, so könne man das ebenso gut mit dem seitdem in Deutschland in manchen Gegenden ausgebrochenen Nothstand. Er halte Schlüsse nach der einen wie nach der anderen Richtung nicht für angezeigt. Wenn aber wirklich eine bedeutende Vermehrung der Geschäfte im Postressort eingetreten sei, dann müßte sie doch vor Allem in den untersten Instanzen fühlbar sein, und er vermöge nicht einzusehen, wie diese Instanzen durch die Anstellung eines Ministerial⸗Direktors von ihrer zu großen Arbeitslast befreit werden sollten. Diese neue Stelle, sagten aber auch die Motive, sei darum nöthig, weil der Generalpostmeister um Staatssekretär ernannt sei. Das sei nun schwer ver⸗ en de, denn unter einem Staatssekretär könnten ebenso gut zwei wie drei Ministerial-Direktoren arbeiten. Er be⸗ dauere auch, daß der Titel „Generalpostmeister“, welcher alten deutschen Traditionen entspreche, aufhören solle. Ueberhaupt ändere der Träger dieses Amtes seinen Titel so oft, daß er um Entschuldigung bitten müsse, wenn er sich in der Bezeichnung irren sollte. Habe etwa die Erhebung des Postchefs in die Reihe der politi⸗ schen Minister eine politische Bedeutung, so gefalle sie ihm noch weniger. Das Hineinziehen der Postverwaltung in eine polltische Stellung sei weder für die Politik noch für die Post von 6 denn eine technische Behörde arbeite um so besser, je ferner sie der Politik stehe. Man habe es schon be⸗ dauern können, daß das Stellvertretergesetz nach der Richtung eine Aenderung erfahren habe. Es gebe nun . den obersten Chef dieser technischen Behörde gar keine Beschwerde⸗ Instanz. Beschwerden gegens die Post an den Reichskanzler würden von dem Vertreter desselben, Stephan, eröffnet und seien natürlich wirkungslos. In dieser Lage befinde sich nicht nur das Privatpublikum, sondern auch die Ober⸗Rechnungs⸗ kammer: erhebe sie Monita gegen die Post beim Reichs⸗ kanzler, so bekomme sie vom Reichskanzler in Vertre⸗ tung Stephan die Antwort, es sei kein Grund zu der Beschwerde. Am meisten gefalle ihm noch, daß mit der Titeländerung keine Gehaltserhöhung verbunden sei und in der Hinsicht sei er dankbar, knüpfe aber die Mahnung ki Vorsicht für das nächste Jahr daran; denn in dem Augen⸗ lick, wo die Regierung einen neuen Etat vorlege und eine Gehaltserhöhung nicht verlange, erkläre sie selbst, daß aus der Aenderung eine Gehaltserhöhung von 24 000 auf 36 900 6
w Erste Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗-Anzeiger.
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Stelle, deren Nothwendigkeit er nicht einzusehen vermöge, zu bewilligen. Der Abg. Dr. Lingens stimmte dem Abg. Richter in allen Punkten bei und bedauerte, daß das Haus eines seiner Mit⸗ n, welches sich der ve, ,, des Postetats mit großer iebe zugewendet habe, verloren habe (öden Abg. hr. Nieper); es wäre demselben vielleicht gelungen, auch in diesem Jahre die Vorberathung des Etats der Post⸗ und Telegraphenver⸗ waltung in einer besonderen Kommission zu bewirken. Der Staatssekretär Dr. Stephan entgegnete, er habe nicht gesagt, daß die Reise des Reichskanzlers nach Wien der Grund des. steigenden Verkehrs gewesen sei, sondern nur daß die Steigerung zeitlich damit zusammenfalle. Ob es besser ge⸗ wesen wäre, diese Aeußerung zu unterlassen, darüber sei er allein sein eigener Richter. Die Aenderung des Titels sei lediglich eine nominelle, in der staatsrechtlichen und politischen Stellung des Chefs der Postverwaltung werde dadurch nichts geändert. Damit schloß die erste Lesung, In der zweiten wurde die im Nachtragsetat geforderte dritte Direktorstelle mit 107 gegen 1065 Stimmen bewilligt. Es folgte der Etat der Reichspost⸗ und Tele⸗ graphenverwaltung und zwar zunächst Einnahme, Kap. 3, Tit. 1, Porto⸗ und Telegrammgebühren 119 Millio⸗ nen Mark. Die Kommission schlug durch ihren Referenten, Abg. Frhrn. zu . vor, diese Summe auf 126 Millionen Mark zu erhöhen. Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, es verlaute, daß die Postverwaltung damit umgehe, eine Einschränkung der Brief⸗ bestellung am Sonntag in Berlin eintreten zu lassen. Er wolle sich . erlauben, ob auch künftig die Sicherheit bestehe, daß in Berlin die mit den Nachtzügen ankommenden Briefe noch am Sonntag Vormittag bestellt würden. Der Bundeskommissar Geheime Ober⸗Postrath Kramm entgegnete, es bestehe die Absicht, die jetzt zweimalige Brief⸗ bestelkung am Sonntag auf eine einmalige zu beschränken. Das werde allerdings zur Folge haben, aß ein Theil der Briefe, die jetzt noch Sonntags in die Hände des Publikums gelangten, bis Montag liegen bleibe. Die mit den Nacht⸗ zügen eingehenden Briefe würden zum größten Theil noch bestellt werden, nur die aus dem Westen kommenden Züge langten zu spät in Berlin an, so daß es nicht möglich sei, sie bei einmaliger Bestellung noch am Sonntag in die Hände des Publikums gelangen zu lassen. In dringenden Fällen könne ja die Zustellung im Wege der Eilbestellung erfolgen. Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, er gönne den Brief⸗ trägern jede Erleichterung und jede Ruhe, besonders am
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1889.
Diese Exemplifikationen auf Hamburg und Altona seien daher, soweit er ( die Verhältnisse kenne, verfehlt. Die Herren in der Provinz sollten doch nicht immer ihren Maßstab an größere Verhältnisse anlegen. Diese Herren aus der Provinz verkennten die Bedeutung des Handels und er habe hauptsächlich deswegen das Wort er⸗ griffen, um einmal hier frei von der Leber weg seinem Herzen Luft zu machen. Den Herren möge die Sache lächerlich erscheinen, für die von solchen Maßnahmen betroffene Geschäftswelt sei es nicht lächerlich, sondern im hbchsten Grade ernst, weil es sich um ihre vitalsten Interessen andele. Sodann möchte er jetzt an die Postverwaltung die rage richten, ob eventuell und inwieweit dieselbe gesonnen ei, den Bestellverkehr und die Geschäfte der Post in Hamburg , damit man nöthigenfalls Schritte dagegen thun nne.
Der Bundeskommissar entgegnete, das Vorgehen der Postverwaltung beruhe lediglich auf einem Beschluß des Hauses, der aber nicht mit erheblicher Mehrheit, sondern nur mit 125 gegen 118 Stimmen gefaßt sei. Man könne sich nicht verhehlen, daß die Sache große Bedenken habe. Die aus dem Osten und Norden und über Breslau mit den Nachtzügen an⸗ kommenden Briefe würden am Sonntag noch bestellt werden, nicht aber die mit dem Zuge von Lehrte und Frankfurt g. M. ankommenden. Wenn das Publikum das wisse, glaube er, könne keine Unsicherheit entstehen. Die Sache sei nur ein Versuch, es werde sich ja ergeben, ob man damit zurecht⸗ kommen könne, oder ob eine große Zahl von Beschwerden hervortreten werde, die eine erweiterte Bestellung als noth⸗ wendig erscheinen lasse. .
Ber Abg. Stumm bemerkte, ganz so schlimm wie der Abg. Möring die Sache in den Provinzen dargestellt habe, sei sie doch nicht. In sehr vielen Fällen sei der Geschäftsverkehr in Provinzstädten bedeutender und wichtiger als in mancher großen Stadt. Alle Achtung vor Berlin und Hamburg; aber bie Handels- und Verkehrsinteressen Londons fänden ihnen doch gewiß gleich, und in London würden die Briefe auch nur einmal ausgegeben. Was für London genüge, sollte doch auch für Berlin hinreichen. Es sei nicht möglich, die Rücksicht auf die Sonntagsfeier der Postbeamten und die Verkehrsinteressen absolut zu vereinigen, entweder werde man mehr nach der einen oder nach der anderen Richtung hinneigen. Jede Nück⸗ ficht auf die Sonntagsfeier der Postbeamten werde den Ver⸗ kehr schädigen und umgekehrt. Es komme auf die richtige Mitte an. Um der Postverwaltung nach dieser Richtung hin eine Direktive zu geben, dazu könne der Dialog zwischen dem Abg. Richter und ihm nicht dienen. Der Abg. Richter möge
Sonntag, und er bedaure nur, daß -die Zahl der freien Tage jetzt eine geringere geworden sei, aber er wünsche doch, daß man die Rücksicht auf den Verkehr nehme, daß am Sonntag mindestens die mit den Nachtzügen bis 7!“ Uhr Morgens eintreffenden Briefe zur Bestellung gelangten. Eine solche Maßregel, wie die einmalige Briefbestellung, werde auch zur Sonntagsheiligung nichts beitragen, denn man werde jetzt in der Provinz viel eher geneigt sein, die Briefe am Sonntag zu schreiben und aufzugeben, weil sie ja doch erst am Mon⸗ kag in Berlin bestellt würden. Es sei doch höchst bedenklich, wenn die Hauptstadt des Landes im Verkehr mit den Pro⸗ vinzen um 24 Stunden zurückbleibe.
Der Abg. Stumm konstatirte, daß das Haus der Post⸗ verwaltung nur dankbar sein könne, daß sie der im vorigen Jahre durch die Majorität des Reichstages gegebenen An⸗ regung gemäß die nöthige Rücksicht auf die Sonntagsfeier der Unterbeamten der Pofst genommen habe. Wenn der Abg. Richter meine, daß durch die neue Einrichtung, welche die Post getroffen habe, die Sonntagsfeier geschädigt werde, weil, das Publikum alsdann des Sonntags Briefe schreibe, so sei das nicht zuzugeben, denn das Briesschreiben könne die Sonntags⸗ feier nicht schädigen. Wohl aber werde die Sonntagsfeier da= durch geschädigt, daß eine große Anzahl von Beamten nicht blos während des Gottesdienstes, sondern den ganzen Sonntag über sich im Dienst befinde. Die Sonntagsseier werde un⸗ zweifelhaft durch die Maßregel der Postverwaltung gesördert und dieselbe komme damit einem Wunsche des Hauses nach.
Der Abg. Dr. Lingens erklärte sich mit den Ausführungen des Vorredners einverstanden. Das Haus habe im vorigen Jahre mit großer Majorität den Beschluß gefaßt, daß die Post⸗ verwaltung die Einrichtung treffen solle, durch welche unter Wahrung der Verkehrsinteressen den Unterbeamten der Post die Möglichkeit geschaffen werde, in weiterem Umfange als bisher zu einer Sonntagsfeier zu gelangen. So wie die Ein⸗ richtungen bisher bestanden hätten, sei ihnen diese Möglichkeit an einzelnen Orten vollständig benommen, namentlich in Hamburg und Altona. .
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, er habe nichts gegen eine Schonung der Beamten, es müsse aber das Verkehrs⸗ interesse dabei berücksichtigt werden. Es frage sich, ob nicht in diesem Falle die Interessen des Verkehrs und die Rücksicht auf die Beamten vereinbar seien. Man habe eine solche Ein⸗ richtung schon früher gehabt und sei schlecht dabei gefahren. Für Berlin liege eine besondere Erschwerung des Verkehrs darin, daß die mit den Nachtzügen ankommenden Briefe nicht mehr am Sonntag bestellt werden. sollten. Die Herren aus der Provinz möchten die Sache leichter nehmen, weil die Be⸗ stellung der Briefe in den kleinen Provinzlalstädten ja leichter sei als in Berlin. ᷣ .
Der Abg. Mbring erklärte, auch er stimme mit den Vor⸗ rednern in dem Wunsche überein, daß nicht blos den Post⸗ beamten, sondern thunlichst allen Staatsbeamten möglichst viele Zeit zur nöthigen Erholung unter einer Bedingung zu ge⸗ währen sei, daß Handel ünd Verehr nicht darunter litten In keiner Weise dürfe man die Post ermuntern, nun über das gegebene Maß hinaus ihren Beamten eine übergroße Ruhe
u gewähren. Dem Abg. Lingens, der hier auf Hamburg und hit exemplifizirt habe, erwidere er, daß, soweit ihm die Ver⸗ hältnifse bekannt. seien, in Hamburg keineswegs am Sonntag die et auf dem Postamt die gleichen gewesen seien und noch seien, wie an den Wochentagen. er in Hamburg lebe,
nicht nothwendig zu folgern sel. Indessen diese Dankbarkeit könne ihn nicht so rühren, daß er sich veranlaßt sähe, diese
wisfe, daß an Wochentagen auf dem Hauptpostamt 5, 6 und . chalter mit Veamten befetzt seien, an den Sonntagen nur einer.
einen bestimmten Antrag stellen, und es werde sich dann fin⸗ . ob das Haus bei seinem vorjährigen Beschluß stehen eibe.
Der Abg. Dr. Lingens berief sich zur Begründung seiner Ausfuͤhrungen bezüglich Altonas auf einen Bericht der schles— wig⸗holsteinischen Provinzialsynode. Der Bundes kommissar habe mit Unrecht an die Zahlenverhältnisse der vorjährigen Majorität einen kritischen Maßstab gelegt, zumal doch heute der dritte Direktor nur mit zwei Stimmen Majorität be⸗ willigt worden sei. .
Der Abg. Sonnemann führte aus, eine Ausgleichung zwischen den Bedürfnissen des Publikums und der Fürsorge für die Sonntagsruhe der Postbeamten halte er dadurch fur möglich, daß etwa die bis 8 Uhr Morgens per Nachtzug an⸗ kommenden Briefe vertheilt würden, er glaube, daß damit die große Mehrheit des Hauses einverstanden sei. Seines Wissens und er habe viel Verkehr mit Postbeamten — sei es für dieselben viel wünschenswerther, für den Sonntag Nachmittag eine Stunde frei zu bekommen, wenn sie auch am Sonntag Morgen eine Stunde länger arbeiten müßten. Sodann möchte er den Staatssekretär fragen, ob derselbe geneigt wäre, eine in anderen Staaten bereits bestens bewährte Einrichtung, die der verschlossenen Brieffächer oder boxes einzuführen. Diese inwendig von der Post geschlossenen und von außen vom Publikum zu öffnenden Fächer bedingten eine außerordentliche Zeitersparniß für das Publikum, welches jederzeit seine Post⸗ sendungen abholen könne, ohne warten zu müssen. In Nord⸗ amerika habe man diese boxes zuerst eingeführt; die Schweiz und sogar Japan sei dem Staatssekretär mit dieser Reform voraus; er habe dieser Tage einen Bericht über japanische Posteinrichtungen gelesen, worin es heiße, daß in größeren Städten diese boxes eingerichtet seien.
Der Bundeskommissar Geheime Qber⸗Postrath Mießner erwiderte, die hauptsächlich in Nordamerika eingeführten setterchoxes seien der Postbehörde wohl bekannt und auch in Bremen praktisch eingeführt worden. Diese Einrichtung habe 6 bis jetzt aber noch nicht in dem Maße bewährt, daß sie
ich zur allgemeinen Einführung empfehle. Die Verhälinisse im deutschen Reichspostgebiete seien anderer Natur als die in Nordamerika, wo nur Briefpostgegenstände befördert würden, wo es sich also nur um das Abholen einfacher Briefe und Kreuzbänder handele, während in Deutschland auch Geldbriefe und Werthstücke zur Abholung kämen. Bei diesen letzteren sei es doch zweifelhaft, ob man deren Abholung, sowie die der einfachen Briefe gestatten könne. Die Einrichtung in Bremen sei allerdings ziemlich leicht vom Publikum aufgenommen wor⸗ ben. Jedenfalls könne er die Versicherung geben, daß, wenn die Einrichtung sich so ausgezeichnet bewähren sollte, wie namentlich von den nordamerikanischen Otter box Fabriranten behauptet werde, dieselbe auch in Deutschland weiteren Boden finden werde.
Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, er kö—yn ne das vom Abg. Dr. Lingens über die ern n Gesagte nur voll⸗ ständig unterschreiben. Allein freilich sei die Postverwaltung schwerlich in Stande, die Sache in wünschenswerther Weise zu ordnen. Es sei hohe Zeit, daß von der höchsten Autori⸗ kät herab erinnert werde an das Gebot: „Gedenke des Sabbaths, daß Du ihn heili r Das sei der erste und wichtige Gesichtspunkt, dem ö die anderen unterordnen müßten, das Gebot stehe über jeder Majorität, dann solle der Sonntag ein Ruhetag sein. Die Ruhe werde aber den Postbeamten und einer großen Reihe anderer Veamten⸗ kategorien nicht gewährt; ähnlicher Unfug bestehe in Fabriken,