1880 / 92 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 19 Apr 1880 18:00:01 GMT) scan diff

der 5 proz. Silberprioritäten in / 10 proz., mit 86 rückzahlbare Goldprioritäten speziell dahin angenommen wird, daß den Prioritäts gläubigern sämmtlicher Emissionen ein fakultatives Recht ein geräumt werde, entweder die Verzinsung der s. 3. zur Rückzahlung gelangenden Obligationen in Silber und zwar die Zinsen mit 50 vom Nominalbetrage und die Obli⸗ gationen selbst im Nominalbetrage oder die Verzinsung und die planmäßige Rückzahlung in Gold zu einem reduzirten Betrage zu verlangen. Die Ziffer der reduzirten fein en und des in Gold zur Zurückzahlung gelangenden Betrages soll durch den Kurator im Ver—⸗ eine mit Verfrauensmännern festgestellt und wenn möglich, eine Auf⸗ besserung der von der Westbahn offerirten Verzinsungs⸗ und Rück= zahlungsmodalitäten in Gold oder eine Aufbesserung in der Aus übung des vorerwähnten fakultativen Rechtes erzielt werden. Der Vergleich soll für die Prioritätenbesitzer im Einzelnen und in ihrer Gesammtheit nur dadurch perfekt werden, daß dessen Inhalt von der österreichischen Staatsverwaltung genehmigt und auf Grund eines deutschen Reichsgesetzes zur verbindlichen Norm für die deutschen Gerichte erhoben wird.

Glasgow, 17. April. (W. T. B.) Die Vorräthe von Roheisen in den Stores belaufen sich auf 436 400 t gegen 244 100 t im vorigen Jahre. Zahl der im Betrieb befindlichen Hochöfen 115 gegen 87 im vorigen Jahre.

Verkehrs⸗Anstalten.

Am 5. d. M. ist die an die Bahnstrecke Malchin Waren der Mecklenburgischen Friedrich⸗Franz⸗Eisenbahn anschließende, 1,34 km lange Hafenblahn zu Waren dem allgemeinen Verkehr übergeben worden.

Der Stand der Fahrbetriebsmittel auf den öster⸗ reichischen Eisenbahnen belief sich, wie aus einer in der Wien. Z.“ abgedruckten Zusammenstellung hervorgeht, mit Ende Dezember 1879 auf 2389 Lokomotiven, darunter 723 für Eil, Per⸗ sonen⸗ und gemischte Züge, ferner 1666 Stück für den Lastzugsdienst, 2153 Tender, 271 Schneepflüge, 5187 Personen⸗ und 56 264 Last⸗ wagen. Der Gesammtfahrpark der österreichischen Bahnen inel. der ungarischen Linien der fünf gemeinsamen Bahnen be⸗ läuft sich im Totale auf 2913 Lokomotiven, 25697 Tender, 335 Schneepflüge, 6113 Personen⸗ und 67 876 Laß wagen, im Ganzen somit auf 73 989 Personen⸗ und Lastwagen. Der Fahrbetriebsmittelstand mit Ende Dezember 1879 zeigt im Ver— gleiche mit jenem am Schlusse des ersten Semesters für die diesseiti⸗ gen Linien einen Zuwachs von 31 Personenzugs, und 11 Lastzugs⸗ Lokomitiven, zusammen daher 42 Lokomotiven, einen Zuwachs von 15 Tendern, 76 Personen⸗ und 5650 Lastwagen, zusammen an Per⸗ sonen⸗ und Lastwagen um 626 Stück. Den relativ größeren Stand an Fahrbetriebsmitteln besitzt, wie bisher, die Aussig⸗Teplitzer Bahn, während die Südbahngesellschaft die absolut größte Menge von Per⸗ sonenwagen, zusammen 1184 Stück, das Gesammtnetz der österreichi⸗ schen Staats Eisenbahngesellschaft an Lokomotiven 590, an Lastwagen 12754, an Personen⸗ und Lastwagen zusammen 13638 aufweist. Der Stand der Fahrbetriebsmittel der ersten Eisenbahnwagen— Leihgesellschaft beziffert sich mit Schluß des zweiten Semesters 1879 mit 738 bedeckten Güterwagen, wovon 10 Stück als Fleischtransport⸗ wagen eingerichtet sind, ferner 104 Plateauwagen, von denen 54 Stück mit niederen, abnehmbaren Bordwänden versehen sind, endlich 400 Kohlenwagen, zusammen daher mit 1242 Stück, somit gegen das erste Semester weder eine Vermehrung noch eine Verminderung ein— getreten ist. Ebenso ist im Bestande der staatlichen Postambulance⸗ Waggons keine Veränderung eingetreten, so daß sich der Stand dieser Gattung Fahrbetriebsmittel wieder auf 122 Stück beläuft.

Berlin, 19. April 1880.

Wissenschaftlicher Kun st verein. In der Februar⸗Sitzung wurde von Hrn. Oberst z. D. Baron von Korff ein Vortrag Über ö —ĩᷣ der Araber nach seinen Reisen in Tunis und Marokko gehalten.

Es wurde zunächst der Einfluß dargelegt, den die geschichtliche und geographische Entwickelung der Völker im Norden von Afrika auf die bedeutende Kultur der Küstenländer bis Guinea hinunter gehabt hat, deren Ueberreste in ihren Racen⸗Unterschieden uns noch heute erkennbar sind. Nach den Aegyptern waren es die Phöniker und mit ihnen im Kampf die Römer, die das Kultur⸗ leben der Nordküsten von Afrika nach Europa, insbesondere nach dem Handelsconcentrationspunit Malta und nach Spanien überführten. Man steht auf der Stätte der alten Haupt⸗ und Handelsstadt Car⸗ tha go und staunt, daß eine solche Stadt so vollständig verschwinden konnte. Die Trümmer wurden theils von Sand bedeckt, theils Jahr— hunderte lang als Schiffsballast in alle Weltgegenden zerstreut, dennoch kann man die Haupttheile der Stadt noch heute im Terrain nach den überlieferten alten Plänen erkennen. Man findet die Trüm⸗ mer der Bogen und Pfeiler einer 13 Meilen langen Wasserleitung große Kellercisternen sind noch sichtbar —, und auf dem Hügel, der heute eine Kapelle zur Erinnerung an Ludwig IX., d. Heiligen, trägt, stand einst die Byrsa oder Acropolis der Stadt Carthago. Man erkennt noch den Doppel hafen, den inneren Kriegshafen und den äußeren Handelshafen, welchen letzteren Seipio Africanus durch einen Damm schließen ließ. Auch von anderen Städten wie Sum⸗ bessa, Tebessa und Carthagena finden sich Ueberreste. Nach zwei Tagereisen in der Wüste wurde vom Vortragenden unweit Sfax in El Dehum ein fast erhaltener Circus gefunden, der 30 000 Personen faßte und dessen Bauart an die des römischen Cireus in Nismes erinnert. Die Stadt, die dort einst blühte ist verschwunden. Jahrhunderte nach dem Verfall des Römerreichs sehen wir im Norden von Afrika und von dort aus in Spanien die Kulturperiode der Araber und des Muhamedanismus auf dem Boden sich entwickeln, der einst von Phönikern und Römern be—⸗ baut war. Die Araber bauten in Spanien mit den Trümmern, die sie fanden, und die sie in der ihnen eigenen phantasiereichen Pracht liebe zusammenfügten in arabisch-byzantinischem Styl, zur Blüthe erhob sich aber ihre eigenartige Kunst erst dann, als sie, vom; Banner des christlichen Ritterthums geschlagen und zurückgedrängt, sich in Granada konzentrirten. Diese Stadt stieg in kurzer Zeit von 30 000 Einwohnern auf 250 000, es begann hier die Aera der arabischen Kunst und Architektur. Eine neue Epoche trat ein, als die immer mehr bedrängten Araber in Granada (901) den Mohrenkönig Jussuf mit 10 000 Mohren zur Hülfe herbeiriefen. In wenigen Jahren existirte die arabische Dynastie in Granada nicht mehr; Jussuf mit seinen Mohren wir nennen sie wohl mit Unrecht nach der da⸗ maligen französischen Bezeichnung Mauren! herrschte und dehnte seine Macht aus. Unter ihrem Einfluß entstand eine neue Periode im Kulturleben, die der Maurischen Kunst.“ Man kann hier nach in den Baudenkmälern von Spanien drei zwar in sich ver⸗ wandte und doch verschiedene Stylperioden unterscheiden: die der arabisch⸗byzantinischen, der arabischen und der maurischen Kunst. Durch alle drei hindurch zieht sich die mozarabische Architektur, die aus dem mohamedanischen Styl der Zeit durch die von Bedürfnissen und Gewohnheiten des Christen« thumz bedingten Modifikationen entstand. Daß wir in Spanien und Afrika aus jener für die Kunstgeschichte so interessanten Zeit und an verfallenen Ueberresten ihrer großartigen Bauwerke den gan= jen Reichthum südlich mohamedanischer Phantasie, Prachtliebe und Feinheit in der Durchführung aller Details bewundern können, lag , , in der Art der Erbfolgegesetze des Islams. Nicht auf den Sohn vererbte sich Haus und e fad vom Vater, sondern

auf den Aeltesten der meist sehr ausgedehnten Familie.

Man kannte keine Pietät in Erbaltung des ererbten Palastes oder Wohnhauses, Jeder suchte sich durch seine Werke selbst zu ver⸗ herrlichen, und so blieben die Prachibauten der Araber und Moha⸗ medaner ohne liebevolle Pflege und Erhaltung durch nachkommende Geschlechter. Die nomadisirende Lebensweise der Mohamedaner ließ ihnen das Wohnhaus nur als eine Erweiterung des Zeltbaus er⸗ scheinen. Nach innen sauber, reich und elegant, unter dem an das Bauwerk sich anschließenden Zeltdach mit Palmen und Blumen ge— ziert, von sprudelndem Wasser erfrischt, nach außen ohne Fenster und ohne architektonischen Reiz, ohne Sorge für die Straßen, deren lästiger Unrath Epidemien und Pest herbeizog, geben die Wohnungen ein Bild der träumerisch unthätigen Ruhe des Haus und Familien lebens, ein Bild des Islams noch heute!

Durch die in den Vortrag verflochtenen Mittheilung eigener Reiseerlebnisse und Beobachtungen, sowie der charakteristischen Mo⸗ mente aus dem älteren und neueren Leben jener Volksstämme, die sich noch heute in ihren Nachkommen je nach ihrer Abstammung von Arnbern, Gothen, Vandalen und Numidiern unterscheiden, insbesondere auch durch die Vorlage einer überaus reichen Samm⸗ lung von Photographien von Bauwerken und Menschentypen wurde derselbe in hohem Grade interessant.

Die Anthropologische Gesellschaft beschäftigte sich in ihrer Sitzung vom Sonnabend, der als Ehrengast der Zoologe Prof. Moͤbius aus Kiel beiwohnte, wiederum in erster Linie mit den Vorarbeiten zu der Prähistorischen Ausstellung“, deren Protektorat Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz übernommen hat. Die Anmeldungen zur Ausstellung sind bereits derartig zahlreich eingelaufen, daß man an eine Erweiterung der ursprünglich im Abgeordnetenhause zur Verfügung gestellten Räume wird denken müssen. Einige interessante Objekte, so namentlich das östlichste Runendenkmal, eine Lanzenspitze mit schöner Runeninschrift aus Lithauen, sind bereits hier angekommen. Auch die Xor⸗— bereitungen zu der Spreewaldexkurston, die Prof. Virchow per⸗ sönlich in die Hand genommen, schreiten rüstig vorwärts. Von den Reisenden der Gesellschaft liegen neuere Mittheilungen nicht vor, dagegen hat Hr. Mac Ley von den Inseln zwischen Neu ⸗Han— nover und. St. Matthias der Gesellschaft ausführliche Berichte ein⸗ gesandt, die die Resultate seiner vielseitigen Beobachtungen austral ischer Sitten enthalten. Mac Ley wird demnächst über Sydney und Japan die Heimreise antreten. Ueber die Bereitung des Pfeilgiftes lag eine ausführliche Mittheilung aus Nevada vor, aus der hervorging, daß das Gift durch Zersetzung an sich unschuldiger Mittel Antilopenblut und Körper des Hornfrosches gebildet würde.

Deutsche geologische Gesellschaft. Sitzung vom 7. April. Nach Aufnahme neuer Mitglieder verlas der Vorsitzende Hr. Websky ein Schreihen der Socists göologique de France in welchem der Deutschen geologischen Gesellschaft der Dank für die zum 50 jährigen Bestehen der franzö sischen Gesellschaft übersandte Adresse ausgesprochen wird. Hr. Schlüter aus Bonn sprach unter Vorlegung einiger Dünnschliffe über paläozoische Korallen, und zwar zunächst über die silurischen Gattungen Syringophyllum, Acer vularia, Heliophyllum, Darwinia, Spongophyllum, und über die Deraische Gattung! Smithia (Ehillippsastraea), Hr. Remels legte Lituiten aus Ge— schieben der Mark vor, sprach über die Einth ilung und den Charakter der Lituiten im Allgemeinen und speziell über die der perfekten Lituiten, als: L. perfectus, lituus und eine neue Art: L. Hageni aus den fleckigen Orthocerenkalken, endlich über neue im perfekte Lituiten: L. Decheni, heros, applanatus und Dankelmanni. Hr. Websky legte einen prachtvoll krystallisirten sibirischen Topas, sowie Tellursilber vor und sprach über die Krystallisgtion des letzteren. Hr. Halfar theilte unter Vorlage der betreffenden Stücke ein neues Vorkommen von Pentameruz rhenanus vom Klosterholz bei Michael⸗ stein am Harz mit.

Das „Deutsche Handelsarchiv' enthält einen interessanten Be⸗ richt über die Entwickelung von Cineinnati (einschließlich der beiden am linken Ohio Ufer belegenen Vorstädte Covington und New⸗ port), dessen 300 900 Einwohner zählende Bevölkerung zum dritten Theil aus Deutschen besteht. Diese sind nicht nur unter den Hand werkern und Arbeitern, sondern auch unter den Anwälten, Aerzten, Schriftstellern, Ingenieuren, Kaufleuten und ganz besonders den Musikern vertreten. Zahlreiche Gesangvereine und Orchester sind rein deutsch zusammengesetzt; eine 7009 Personen fassende Musikhalle hat die Gründung einer Hochschule für Musik ermöglicht und ein Orchester geschaffen, wodurch Cincinnati für Musik ein Centralpunkt in den Vereinigten Staaten geworden ist. Zahlreiche werthvolle Privatgemäldesammlungen, in denen namentlich deutsche Meister, Lessing, Gude, die beiden Achenbachs, Piloty, W. v. Kaulbach, Scheuren u. A. vertreten sind, haben zur Gründung eines städtischen Museums angeregt. Eine Gesellschaft hat sich für Zeichnen und Malen auf Porzellan gebildet, was die Entstehung einheimischer Porzellanfabriken zur Folge gehabt hat. Die Universität besteht aus 3 Abtheilungen, einer im Jahre 1878 von 341 Schülern besuchten Zeichenschule, der im Jahre 1870 durch Legate von Charles Me. Micken ins Leben gerufenen Hochschule, auf welcher literarische, geschichtliche und naturwissenschaftliche Vorträge gehalten werden, und der Sternwarte. Der 150000 Bände zählenden öffent⸗ lichen Bibliothek stehen jährlich 18 900 Doll. zur Anschaffung neuer Bücher zur Verfügung, die Gesammtkosten mit 60 6099. Doll. jährlich werden durch städtische Steuern gedeckt; in der Bibliothek ist die deutsche Literatur besonders gut vertreten. Von anderen wissenschaftlichen Anstalten sind zu nennen: die Rechtsschule mit 120 Zuhörern, das Medical College of 9hio (seit 1819), das mit dem städtischen Hospital in Verbindung stehende Miami Medical College. das (homöopathische) Peelte Medical College (30) Zuhörer), das Ehysio Medical College, das College of Pharmacy, das Ohio College für Zahnheilkunde, die polytechnische Schule (Ohio Mechanics. Institute, 220 Schüler). Die juristischen, natur wissenschaftlichen, literarischen, medizinischen und kaufmännisch-= technischen Gesellschaften haben zahlreiche Mitglieder. Die städtischen Wohlthätigkeits. und Waisenanstalten sowie die Gefängnisse der Grafschaft Hamilton sind so umfangreich, daß z. B. in dem Longęie w Asylum für Irre in Carthago 60h, im städtischen Armenhause bei Car- thago 57K, im städtischen Armen hause 609 Personen untergebracht werden können. Das städtische Hospital hat Raum für 500 Kranke und Gelegenbeit zum Studium für 500 Mediziner. Die protestantische Konfession besitzt 1066 Kirchen, in 290 derselben wird nur deutsch gepredigt, die katholische zählt 50 Kirchen, darunter 12 deutsche. Den wohlhabendsten Theil der deutschen Ein⸗ wohnerschaft bilden ca. 15 000 Juden, welche 6 Synagogen, ferner Armen und Kranken, auch Erziehungsanstalten besitzen. Auf den öffent⸗ lichen Schulen ist der Unterricht frei; es macht . das Bestreben geltend, wie in Chicago, die deutsche Sprache als obligatorischen Unterricht abzuschaffen, was für die nächste Generation ein Ver schwinden der deutschen Sprache zur Folge haben würde. In der städtischen Verwaltung sind zahlreiche Deutsche. Die städtischen Schulden belaufen sich auf 27 Millionen Dollars, was eine Steuerlast von 30½ des Kapitals oder der Hälfte des Ein—= kommens zur Folge hat. Die öffentliche Moral läßt viel zu wünschen. Die Tagespresse ist durch 5 in englischer und 5 in . Sprache erscheinende Zeitungen vertreten; die periodische Presse durch 26 Zeitschriften, darunter 3 deutsche. Das Grundeigen⸗ thum der Stadt hatte 1870 einen Werth von 177 008 519 Doll., das bewegliche Eigenthum einen solchen von 67 848 831 Doll.

Als Fabrikstadt nimmt Cincinnati nach Philadelphia und New⸗YJork die erste Stelle ein, besonders in der Lebensmittel Stärke⸗, Tabaks ,, Kleider und Möobelfabrikation, die aber bis zum Jahre 1879 seit einer Reibe von Jahren darniederlag. Die in Cincinnati Anfang 1879 vorhandenen 272 Fabriken beschäftigten 67145 Arbeiter und produzirten in 1878 - 79 für 138 736 165 Doll. Produkte, darunter 243531 726 Doll. geistige Getränke, 22 932 161 Doll. Lebensmittel, 14 650 400 Doll. Eisen. 12 940 424 Doll. Holz, 11 966 962 Doll. Bekleidung u. f. w. Die Einfuhr fremder Waaren ist durch den Schutzzoll sehr erschwert, sie betrug 1878 - 79 nur 964 614 Doll. An Getreiden wurde in dem— selben Zeitraum die durchgehenden Sendungen ungerechnet 11263 275 Bushels 6 849787 Doll. zugeführt, wovon 5 022 591 Bushels 4 149 599 Doll. nach außen versendet wurden. Von präparirtem Schweinefleisch wurden 157 537 953 Pfund 9608517 Doll. ausgeführt. Die Schweineschlächtereien treten hinter Chicago und. Cleveland weit zurück, ob— wohl. die Zahl der geschlachteten Schweine sich in Cincinnati auf 625 584 im Werthe von 4790 319 Doll. belief. An Whisky wurde in Cincinnati im Jahre 1878 - 1879 19 345 290 Gallo⸗ nen im Werthe von 22271 186 Doll. destillirt; die Verarbeitung und Verfeinerung von 12909 551 Gallonen Branntwein ergab allein an Steuer 11 0931 598 Doll. An Cigarren und Cigarretten wurden 98 389 009 Stück fabrizirt. Die Steinkohlenzufuhr betrug 34219 667 Bushels (2599 138 Doll), wovon 91,5 co auf dem Fluß und 8,5 og auf dem Landwege eintrafen. Die Bierproduktion lieferte 18799919 Gallonen im Werthe von 4699 980 Doll. Die 34 Papierfabriken fertigten mit 1302 Arbeitern 43336918 Pfund im Werthe von 2859 768 Doll. Im Viehhandel wurden 16645981 Stück Vieh zum Werthe von 18292 601 Doll. umgesetzt, im Butterhandel 126156 Fässer und 571 076 Pfund Oleomargarin (Buttersurrogat), im Käsehandel 104 664 Kisten. Die Gesammtzufuhr betrug 208 153 301 Doll., der Versandt 192 338 337 Doll. Den Verkehr vermittelten 2725 ankommende und 2730 ab— gehende Schiffe und 13 in Cineinnati mündende Eisenbahnen.

Das soeben ausgegebene Aprilheft von Petermanns geo— graphischen Mittheilungen enthält eine interessante statistische Skizze über Bevölkerung szunahme und Wohnortswechsel von Prof. Dr. Otto Delitsch. Der Verfasser hat zur Untersuchung des seit zwei bis drei Jahrzehnten mächtig wachsenden Zusammen— strömens der Bevölkerung vom platten Lande und den kleineren Ort— schaften nach den Großstädten und Industriebezirken ein beschränktes Gebiet gewählt, aber ein solches, in welchem diese Gegensätze ziemlich schroff zusammentreffen, nämlich Leipzig, Halle, Weißenfels und Umge- bung. Die Resultate sind auf einer sorgfältig ausgeführten Karte einge⸗ tragen und der Hauptsache nach folgende. Die Bevölkerung drängt sich in auffälliger Weise nach den großen Städten und Industriebezirken zusammen; je volkreicher die Stadt, desto größer der Zudrang. In den Bevölkerungscentren wächst die im Mittelpunkte liegende große Stadt nicht in so beträchtlichem Prozentsatz wie die Vororte. Inner halb des Hauptortes aber wachsen wiederum die Vorstädte rascher als die innere Stadt. Die ländliche Bevölkerung ist allgemein in Ab- nahme begriffen. Um jedes Bevölkerungöcentrum bildet sich ein Kreis, welcher seine überzählige Bevölkerung der Stadt mittheilt. Giebichenstein bei Halle ist der Typus des rasch anwachsenden Vor ortt einer größeren Stadt (1864: 2682 Einw., 1875: 5712); Wettin (1864: 3899, 18751 3446) vertritt den Typus der Land städte, deren Erwerbszweige (hier der Steinkohlen⸗ Bergbau) rück— wärts gehen. Letzterem gegenuber steht Greppin (1864: 355 Einw. 1875: 864), welches mit Sandersdorf in dem rasch aufblühenden Bezirk der Bitterfelder Braunkohlengruben und Thonwaarenfabriken liegt. Was Leipzig betrifft, so ergeben die Mittheilungen des dor⸗ tigen statistischen Bureaus für 1877, daß von den 127 387 damaligen Bewohnern der Stadt im Ganzen nur 46310, d. i. 36,4 0½9, in Leipzig selbst geboren waren; von den übrigen waren 4,7 69 in den Vorstadt und Außendörfern, 3.8 o in der übrigen Amtshauptmann schaft Leipzig, 11,0 0,υάη in der übrigen Kreishauptmannschaft Leipzig, 9,1 0soo aber in den übrigen Kreishauptmannschaften, 22,7 9 in Preußen geboren. Einen leicht erkennbaren Maßstab für den Zuzug von außen her giebt das Heimathsverhältniß der in einer großen Stadt beschäftig⸗ ten Dienstboten, Gehülfen, Beamten und Arbeiter. Von 9662 Dienft⸗ mädchen waren nur 1367 in Leipzig selbst geboren. Für ganz Deutschland berechnet, betrug die städtische Bevölkerung von der Ge⸗ sammtbevölkerung: 1816 27,90 ½, 1831 27,60 069, 1840 27,29 oo, 1848 28,11 0/9, 1855 28,16 0½, 1867 32,11 060, 1871 33 15 , 1875 34,50 o 9. Ueberhaupt beherbergen die Hauptstädte von Jahr zu Jahr einen größeren Prozentsatz der gesammten Landesbevölkerung: Dresden beispielsweise 1815 4,3 o, 1855 5,3 C, 1875 7,65 υο ; Ber⸗ lin 1816 1,6 0, 1846 2,4 olo, 1871 3,3 o, 1875 3,8 ; Paris (ohne Vororte) 1801 2,9 oo, 1861 4,5 oso, 1876 5,4 /sJ9. Die allmäh⸗ liche Aufsaugung der Landbevölkerung durch die Städte und In dustriebezirke gehört, wie der Verf. am Schluß mit Recht bemerkt, zu den unerfreulichsten Signaturen unserer Zeit. Sie fördert weder den allgemeinen Wohlstand, noch die Sittlichkeit. Wenn er aber an der Hand der Statistik seine Schlüsse nicht nur auf die nächste Zukunft, sondern auch auf fernere Zel⸗ ten ausdehnt und ein progressives unaufhörliches Anwachsen der Städte prophezeit, so schlägt er doch wobl jene eentri⸗ fugalen Tendenzen, die sich gegenüber diesem krankhaften Zustande bereits geltend machen und sich u. A in den stets weiter hinaus ver— legten Villenkolonien deutlich dokumentiren, zu gering an.

Weiter enthält das vorliegende Heft Aufzeichnungen des Grafen Wilmos von Zichy über die Danakil⸗Küste (Westküste des Rothen Meeres). Die Forscherlaufbahn dieses Reisenden ist nur eine kurze gewesen. Nach einigen Jagdexpeditionen in den nordabessinischen Grenzländern schloß er sich bei Ausbruch des egyptisch⸗abessinischen Krieges der Colonne des schwedischen Kapitäns Ärendrup an, welche von Norden her nach Tigre vordringen sollte. Diese wurde in den dorthin führenden Enghpässen von den Abessiniern umzingelt, und Graf Zichy fiel nach tapferster . mit dem größten Theile der Truppen. Obwohl seine Berichte sonach bereits 5 Jahre alt sind, geben sie doch noch heute über die selten besuchte Küste er— wünschte Aufklärung. Die Reiseroute ist auf einer Karte im Text eingetragen. Ueber den Geographen Bernhard Varenius, den Ver⸗ fasser der früher sehr hochgeschäͤtzten Geographia generalis, theilt Dr. A. Breusing eingehende Lebensnachrichten mit. Derselbe war danach im Jahre 1622 zu Hitzacker an der Elbe geboren und ist, kaum 28 Jahre alt, in Amsterdam gestorben. Daran reiht sich eine Würdigung des nunmehr vollendeten großen Spruner⸗Menkeschen Handatlasses, jenes „Denkmals deutscher Ge— lehrsamkeit, deutscher Kartographie und Verlagsthätigkeit“, von Dr. H. Desterley; ein Beitrag zum Klima von Rubaga“ (am Victoria⸗Nyanza), von Prof. Dr. J. Hann; sehr interessante Mit⸗ theilungen über die Flußaufnahme des Benus, eines Nebenflusses des Niger, in Adamaua durch den Dampfer „Henry Venn“ der Church Missionary Soeiety im Jahre 1879 (mit Karte) und endlich der geographische Monatsbericht sowie die Literaturübersicht.

Redacteur: Riedel. Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.

Vier Beilagen leinschließlich Börsen⸗Beilage).

Berlin:

(422)

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Stants-Anzeiger.

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Aichtamlliches.

Preußen. Berlin, 19. April. Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (32.) Sitzung setzte der Reichstag die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abän⸗ derung des §. 30 des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 gegen vie gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial⸗ demokratie fort. Der Abg. Dr. Hänel erklärte, die Debatte habe ihm nirgends Veranlassung zum Eingreifen gegeben, da von keiner Seite neue Gründe für das Gesetz oder gegen den Standpunkt seiner Partei zu demselben vorgebracht worden seien. Die von den sozialistischen Abgeordneten gehaltenen Reden bestätigten zum großen Theil das Urtheil, daß, abge⸗ sehen von der prinzipiellen Stellung, die Art und Weise der Handhabung des Gesetzes äußerste Bedenken habe. Diese Aus⸗ führungen litten zwar an großer Breite, aber es sei doch eine Reihe von Thatsachen angeführt worden, die weitaus die“ Grenzen alles dessen überschritten, was die Majorität des Reichstages ursprünglich bei Erlaß des Gesetzes als Grenzen festgestellt zu haben glaubte. Er könne eine ganze Reihe von Thatsachen dem Vorredner zugeben, wenn aber ein solches Gesetz einmal gegeben und in die Hände der Polizei gelegt sei, seien solche Uebergriffe der Polizei ganz natürlich. Wenn man einmal zu derartigen weiten er en gekommen sei, dann gebe es keine Grenzen mehr und die Polizeidiktatur, sei schließlich dasjenige, was man nicht nur für nothwendig, son⸗ dern sogar für ein Verdienst halte. In Konsequenz der Stellung, die seine Partei nun einmal diesem Gesetz gegen⸗ über eingenommen habe, würden er und seine politischen Freunde für die von den Sozialisten beantragten Amendements stimmen. Er gebe aber den Antragstellern zu bedenken, ob sie nicht, wenn der Antrag zu §. J abgelehnt und damit die Stellung des Hauses markirt sei, das Haus durch Zurückziehung der , Anträge mit weiteren Abstimmungen verschonen möchten.

Der Abg. Fritzsche beantragte, 5. 2 des Gesetzes vom 21. Oktober 1878, nach welchem auf eingetragene Genossen⸗ schaften und Hülfskassen das Verbot erstreckt werden könne, aufzuheben. Daß die schärfsten Bestimmungen gegen die Sozialdemokraten erlassen werden würden, habe er voraus⸗ gesehen, daß man aber auch Krankenkassen und andere Unter⸗ stützungsvereine aufheben werde, das hätte er nicht geglaubt; er und seine politischen Freunde seien der Hoffnung gewesen, daß man dem allgemeinen Gefühl der Menschlichkeit Rechnung tragen würde. Man habe aber im Gegentheil die Kassen auf⸗ gehoben, weil man geglaubt habe, daß er und seine Freunde dadurch einen weiteren Einfluß auf die Arbeiter ausüben wür⸗ den. Ein Ausspruch, den er vor drei Jahren gethan haben solle, sei aus den Polizeiakten herausgesucht worden und als Motiv zur Auflösung einer Kasse gebraucht. Redner führte noch mehrere Beispiele an, und bat, diesen Paragraphen zu streichen, da die Polizei thue was sie wolle, wodurch nur das Rechtsbewußtsein im Volke schwinden müsse; von den in Aussicht gestellten positiven Maßregeln zur Bekämpfung der Sozial⸗ demokratie sei nicht mehr die Rede; die Wilhelmsspende sei zwar zu diesem Behuf gegründet, doch werde dieselbe vollstän⸗ dig ihren Zweck verfehlen, da der Eintritt in dieselbe nur in sehr beschränktem Maße dem Arbeiter möglich und die Anlage des Geldes in jeder Sparkasse vortheilhafter sei. Auf diese Weise würde man die Sozialdemokratie eher fördern, als sie unterdrücken.

Die Diskussion wurde hierauf geschlossen und sämmtliche Anträge der Sozialdemokraten vom Hause abgelehnt.

Der Abg. Dr. Windthorst stellte den Antrag, dem §. 8 des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 folgende Fassung zu geben: Das von der Landesbehörde erlassene Verbot, sowie die An ordnung der Kontrole ist dem Vereinsvorstande, sofern ein solcher im Inlande vorhanden ist, durch schriftliche, mit Gründen ver⸗ sehene Verfügung bekannt zu machen. Gegen dieselbe steht dem Vereinsvorstande die Beschwerde beim Reichsgericht zu, welches über das Vorhandensein der thatsächlichen Voraussetzungen zu er— kennen hat. Die Beschwerde ist binnen vierzehn Tagen nach der Zustellung * gl scnna bei der Behörde anzubringen, welche dieselbe er⸗ assen hat. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Der Abg. Dr. Windthorst befürwortete seinen Antrag. Die Verwerflichkeit der soziglistischen Bestrebungen, ihre Gefähr— lichkeit für Staat und Kirche würden von seiner Partei ebenso wie von allen anderen anerkannt. Die Meinungsverschieden⸗ heit beziehe sich nur auf die Methode der Bekämpfung. Dieses Gesetz sei ein reines Präventivgesetz, welches alle Garantien persönlicher Sicherheit und sogar des Eigenthums durchbreche und eine große Zahl der Staatsbürger außerhalb des Gesetzes stelle. Er habe bei der Berathung desselben ausgeführt, daß man durch ein solches Vorgehen nur das Gegentheil von dem erreichen würde, was erreicht werden solle. Der Gang der Ex⸗ eignisse habe ihn von der Unrichtigkeit dieser Ansicht nicht überzeugt. Er gebe dem System den Vorzug, das die Stammes⸗ genossen Deutschlands, die Engländer, befolgten, indem sie die Be⸗ kämpfung solcher Ansichten der Diskussion in Versammlungen überließen, diejenige Partei, welche die allgemeinen Gesetze verletze, nach diesen Gesetzen behandelten, und im Uebrigen vertrauten, daß die Wahrheit siegen müsse über den Unsinn. Die sozialdemokra⸗ tische Bewegung werde jetzt hauptsächlich von England aus geführt, die Herren, die hier erschienen, seien nur Handlanger der Londoner Führer. (Der Präsident erklärte eine solche Bezeichnung, angewandt auf Mitglieder des Hauses, für un⸗ ki ia; Wenn man die Diskussion unmöglich mache, so ränge man die Agitation immer mehr in geheime Schlupf⸗ winkel zurück, und mache die Sozialdemokratie dadurch nur um so gefährlicher. Wenn er allein es zu . hätte, so würde er das Gesetz nicht mehr fortbestehen lassen; er habe aber nur eine einzelne Stimmie. Die kommissarische Prüfung sei vorbei, die Anträge, welche seine Partei gestellt habe, um das Gesetz durch einige Modifikationen erträglicher zu machen, und so die Rücklehr zum gemeinen Recht zu ermöglichen, seien von der Kommission zurückgewiesen worden. Er habe sich indeß entschlossen, das Wichtigste derselben hier wieder einzu— bringen, da die Kommission nur in Bezug auf die Zeit eine

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Berlin, Montag, den 190. April

Aenderung vorgenommen habe. In der Abkürzung fänden eine große Zahl von Männern einen Trost für das Votum, welches eine so große Zahl der deutschen Mitbürger außerhalb des Gesetzes stelle. Aber wer da glaube, daß der Ablauf des Gesetzes auch das Ende der sozialdemokratischen Bewegung be— deute, der irre sich gründlich, der habe den Sinn dieser er⸗ schreckenden Bewegung nicht begriffen, durch die Verkürzung solle nur die Reglerung daran erinnert werden, das Gesetz mit größter Vorsicht anzuwenden. Der Kern seines ersten Antrags liege darin, daß er richterliche Entscheidung im Zweifelsfalle eintreten lassen wolle. Um dem Sozialismus die Nahrung fortzunehmen, müsse die positive Thätigkeit ein⸗ treten, die den Arbeitern 1878 so voll und ganz versprochen worden sei; aber zu seinem Bedauern habe er nichts davon gemerkt. Wiederherstellung der Moral und der Religion müßte die Haupt⸗ sache bilden. Er beobachte den Gang dieser Bewegung auf das Allersorgfältigste, weil er von einem etwas anderen Gesichts— punkte ausgehe, als die Polizei, die nur suche, wo sie mit dem Knüttel dreinschlagen könne. Er habe bemerkt, daß, während früher in die Kreise der Arbeiter hauptsächlich sozial⸗ demokratische Preßerzeugnisse eingedrungen seien, jetzt die Tendenz wesentlich dahin gehe, Broschüren und Flugschriften in jede Werkstatt zu tragen, welche den Glauben christlicher und aller anderen Religionsgesellschaften lächerlich machten. Diese Schriften fielen eh. unter das Sozialistengesetz, sie fänden vielleicht Beifall in höheren Kreisen und diejenigen, welche dem Volke nahe ständen, sagten ihm, wenn der Boden also vorbereitet sei, dann würden die sozialistischen Ideen bald ganz allgemein, werden, dann werde Jeder Sozialist. Die jetzige Gesellschaft beruhe nach allen Richtungen hin auf den Lehren des Christenthums und der positiven Religion; schaffe man diese weg, so habe man gar keine Basis mehr als die nackte Ge⸗ walt, d. h. wer eine gute Faust habe, nehme, was er bekom⸗ men könne und lasse den Rest den Anderen. Gegen Alles dieses geschehe gar nichts; ja diejenigen, welche am meisten berufen wären, die Sozialdemokratie zu bekämpfen, habe man entfernt! Man knechte die Kirche, welche gegen jene Be⸗ strebungen allein einen Damm bilden könnte. (Der Präsident bat den Redner, bei der Sache zu bleiben. Er habe nur nachweisen wollen, daß, weil der Kulturkampf so lange dauere, man diese richterliche Instanz herstellen müsse, um ein dauerndes Aufgehen in die Sozialdemokratie zu verhindern. Nehme das Haus seinen Antrag an, so werde derselbe die Bewegung auf bessere Bahnen leiten, als die Polizei allein vermöge.

Der Abg. von Kardorff erklärte, er müsse der Behauptung des Vorredners, daß dieses Gesetz bisher wirkungslos gewesen sei, widersprechen. Selbst die Gegner des Gesetzes hätten an⸗ erkannt, daß das Gesetz auf die Sozialdemokratie ernüchternd, also wohlthätig gewirkt habe. Dieses Gesetz sei ein ausschließ⸗ liches Verwaltungsgesetz, seine Fassung sei für die richterliche Judikatur durchaus nicht geeignet. Er wünsche auch, später einmal die ganze Materie im gemeinen Recht zu ordnen, aber für den Augenblick stellten sich diesem Bestreben unüberwind⸗ liche Hindernisse entgegen. Er müsse auch der Behauptung des Vorredners widersprechen, daß bisher keine positiven Maßregeln gegen die Sozialdemokratie getroffen worden seien. Er erinnere nur an die Anträge des Abg. Stumm, an die Anträge zur Abänderung der Gewerbe⸗Ordnung, und an die neue Wirthschaftspolitik, welche den Arbeitern durch reicheren Verdienst helfe. Deshalb bitte er, die Anträge Windthorst abzulehnen, und das Gesetz in der Kommissionsfassung an— zunehmen.

Nach Schluß der Diskussion führte der Referent Abg. Dr. Marquardsen aus, die präventive Natur dieses Gesetzes schließe eine streng richterliche Würdigung der Handhabung desselben aus. Es handele sich nicht um ein reines Rechts⸗ gesetz, denn die Gesichtspunkte der Angemessenheit und Zweck⸗ mäßigkeit müßten vielfach die Entscheidung beherrschen. Der Thatbestand des §. 1 entziehe sich einer streng juristischen Auffassung. Es müsse auch im Interesse des Reichsgerichts selber vermieden werden, demselben Aufgaben zu stellen, welche über die reine Rechtsprechung hinausgingen und in das politische Gebiet hinübergriffen. Er bitte also den Antrag Windthorst zu 5. 8 abzulehnen.

Der Antrag Windthorst wurde sodann abgelehnt und §. 8 in der ursprünglichen Fassung genehmigt.

Der Abg. Dr. Windthorst beantragte, den 8§. 9 des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 folgende Fassung zu geben:

Versammlungen, in denen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staatg⸗ oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen zu Tage treten, sind aufzulösen. U

Versammlungen, von denen durch Thatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung der im ersten Absatze be⸗ jeichneten Bestrebungen bestimmt sind, sind zu verbieten. Auf Versammlungen zum Betriebe der den Reichstag oder eine Landes vertretung betreffenden Wablangelegenheiten nach ausgeschriebener Wahl erstreckt sich diese Beschraͤnkung nicht.

Den Versammlungen werden öffentliche Festlichkeiten und Aufzüge gleichgestellt.

Der Abg. Dr. Windthorst empfahl die Annahme seines Antrags, der lediglich den Zweck habe, die in der Verfassung garantirte freie Wahl zu schützen. .

Der Abg. Sonnemann führte aus, er könne in den Ver⸗ änderungen ber Gewerbeordnung und in den schutzzöllnerischen Maßregeln durchaus keine posiliven Schritte zur Beseitigung der Sozialdemokratie erblicken. Nach 8. 9 sollten solche Ver⸗ sammlungen aufgelöst werden, in denen sozialistische Be⸗ strebungen zu Tage träten und Versammlungen vorher ver—⸗ boten werden, bei denen Thatsachen vorlägen, welche auf die Förderung sozialistischer Bestrebungen schließen ließen. Ueber die Anwendung dieses Paragraphen sei viel gesprochen wor⸗ den. Jede Partei habe darüber ihre eigene Ansicht. Aber in den doch wohl allein authentischen Ausführungsbestimmun⸗ gen des Ministers Grafen zu Eulenburg sei gesagt, daß dieser Paragraph loyal und gegen Niemand anders als gegen die Sozialisten angewendet werden solle, und gegen diese nur dann, wenn die Merkmale des Gesetzes, die Förderung ge⸗ meingefährlicher Bestrebungen, vorhanden seien. Zu seinem Bedauern sei dieser Paragraph nicht in diesem Sinne ausge⸗

1880.

führt worden. Namentlich habe man Wahl versammlungen der Sozialdemokraten, in denen sie sich jeder sozialistischen Agita⸗ tion enthalten hätten, verboten, so in Breslau, Hamburg, in Magdeburg und in Chemnitz. Wenn nun auch der Abg. von Kardorff den Vorzug des Gesetzes in der dadurch hervorgerufenen Ernüchterung erblicke, so sei er (Redner) doch der Meinung, daß die Entziehung so wichtiger bür⸗ gerlicher Rechte ganz entgegengesetzte Gefühle wachrufe. Was nun den §. 9 anlange, so sei allgemein behauptet wor⸗ den, derselbe sei in loyalster Weise nur gegen die Sozialisten angewendet worden. Indessen habe er persönlich erfahren, daß andern Parteien gegenüber nicht immer loyal verfahren sei. In München habe seine Partei, die deutsche Volkspartei, welche bekanntlich durchaus gar keine sozialistischen Tendenzen verfolge, eine Versammlung zur Berathung über die Militär⸗ vorlage anberaumt gehabt, in welcher ihm das Referat über⸗ tragen worden sei. Diese Versammlung, zu welcher alle Partei⸗ genossen und Freunde der demokratischen Sache eingeladen ge⸗ wesen seien, sei aufgelöst worden, und zwar auf Grund des Sozia⸗ listengesetzes, weil in der Versammlung eine größere Anzahl von Sozialisten anwesend gewesen sei. Was das Verbot betreffe, so wäre, wenn Alles wahr wäre, was die Polzei behaupte, das Verbot trotzdem nicht berechtigt gewesen. Es sei aber auch eine Erklärung des Vertrauensmannes der deut⸗ schen Volkspartei in Munchen erschienen, welche diesen Be⸗ nnn widerspreche und gleichzeitig hervorhebe, daß neun ehntel der Versammlung aus Mitgliedern des Mittelstandes und des besseren Bürgerstandes zusammengesetzt gewesen sei, nur ein Zehntel seien Arbeiter gewesen, es stehe aber noch nicht fest, daß es Sozialdemokraten gewesen seien. Der Polizeibeamte habe trotzdem die Versammlung mit der Be⸗ merkung aufgelbst, er sehe Anhänger der Sozialdemokratie im Saale, und unter Bezugnahme auf das Sozialistengesetz. Es hätten indeß noch keine Verhandlungen stattgefunden, sondern nur die Konstituirung des Bureaus. Wie wolle man das recht⸗ fertigen? Die Auflösung hätte doch nach 5. 9 erst stattfinden können, wenn in der Versammlung selbst die be⸗ zeichneten Bestrebungen hervorgetreten wären. Das hätte aber garnicht geschehen können, weil nur die for⸗ melle Ansprache des Vorstandes erfolgt gewesen sei. Eine andere große Versammlung sei aufgelöst, weil einige Sozialisten in derselben anwesend gewesen seien. In München, der drittgrößten Stadt des Deutschen Reichs, sei die Auf⸗ lösung durch ein rechtskundiges Mitglied der Polizeiverwaltung erfolgt, wie man zugeben werde, in völlig ungerechtfertigter Weise. Was solle man erst von der Handhabung des Ver⸗ sammlungsrechts in kleinen Städten erwarten? Man sei der bloßen Polizeiwillkür Preis gegeben, es gebe absolut keine Gewähr mehr, daß noch irgend eine Partei Versammlungen abhalten könne. In München habe man allgemein ein Ge⸗ fühl der Beschämung darüber empfunden, daß solche polizei⸗ liche Uebergriffe möglich seien. Und nicht blos in Bayern, auch in Sachsen seien solche Fälle vorgekommen. Er begreife nicht, wie einzelne Mitglieder des Centrums, welches doch seit 8 oder 9 Jahren so sehr viel durch die Ausnahmegesetzgebung gelitten habe, sich veranlaßt finden könnten, für die Erneuerung des Sozialistengesetzes zu stimmen. Auf das Recht der Wahl⸗ versammlungen habe jede Partei ein unnehmbares Recht. Er sei nach reiflicher Ueberlegung zu der Ansicht gekommen, daß nur durch eine Beseitigung, nicht durch Amendirung des Paragraphen diesen Mißständen abgeholfen werden könne und werde deshalb gegen denselben stimmen, jedenfalls aber für das Amendement Windthorst, weil ohne Gestattung der Wahl⸗ versammlungen das allgemeine Wahlrecht nicht mehr bestehe. Es sei Sache der Majorität, aus den von ihm und anderen vorgebrachten Beschwerden die Konsequenzen zu ziehen und bei der dritten Lesung darauf bezügliche Anträge zu stellen. Besonders hierzu verpflichtet sei aber die liberale Partei, welche erst jüngst durch den Abg. Rickert erklärt habe, daß sie an den Grundsätzen des Liberalismus festhalten wolle. Der Abg. Rickert habe bei diesem Anlaß erklärt, daß die Nation stolz sein könne auf die Gesetze, welche durch das Zusammenwirken der Konservativen und Nationalliberalen zu Stande gekom⸗ men seien. Wenn es wahr sei, wie ein berühmter Staats—⸗ mann und Geschichtsschreiber sage, daß die Gesetze die hervor⸗ ragendsten und lehrreichsten Denkmäler der Geschichte seien, so hätten sich diese Parteien durch das Sozialistengesetz ein Denkmal gesetzt, auf welches stolz zu sein der Reichstag keine Veranlassung habe. .

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Ober⸗Regierungs⸗ Rath Herrmann entgegnete, in Bezug auf den Münche⸗ ner Vorfall stehe den Betroffenen das echt der Be⸗ schwerde an die vorgesetzte Behörde zu. Von diesem Recht sei Gebrauch gemacht worden und er könne die Prüfung des Ver⸗ fahrens dem geordneten Instanzenzug der Behörden über assen. An dieser Stelle wolle er ein bestimmtes Urtheil, über die Berechtigung oder Nichtberechtigung der Polizeidirektion in München zu ihrem Vorgehen nicht abgeben. Nachdem aber der Abg. Sonnemann die Wahrheit der thatsächlichen Erörte⸗ rungen in dem Bescheide bestritten habe, wolle er doch den Vorgang klar stellen. Der Vorstand der deutschen Volkspartei in München habe an Stelle der verbotenen Volksversammlung eine , n,, angemeldet, und zwar unter der Erklärung, daß derselbe die anwesenden Sozial⸗ demokraten zum Verlassen des Lokales bei der Er⸗ öffnung der Versammlung auffordern würde. In

olge dessen sei die Anzeige nicht beanstandet. Die ahl der in dem größten Saale Münchens Versammelten abe 1000 betragen. Davon hätten 150 der Volkspartei ange⸗ ört; 200 seien Neugierige der liberalen und ultramontanen

artei gewesen, der . Sozialdemokraten. Bei der Erbff⸗ nung . der Vorsitzende nicht seinem Versprechen gemäß die Sozialdemokraten zum Verlassen des Saales veranlaßt, son⸗ dern sie nur zur Passivität ermahnt. Der Präsident habe das unter aktiver Mitwirkung der Sozialdemokraten gewählte Büreau vorgeschlagen, welches auch bestätigt sei. Darauf sei die Versammlung aufgelöst, weil man angenommen habe, daß die Versammlung mit der verbotenen identisch sei. Uebrigens glaube er, daß, selbst wenn die Angaben des Abg. Sonne⸗

mann richtig wären, ein einzelner Irrthum einer Polizei⸗