Berlin, 22. Mai 1880. Rudolf von Bitter t.
Der am Nachmittag des 29. Mai d. J. nach längerem schweren Leiden heimgegangene Königliche Wirkliche Geheime Rath und Präsident der Seehandlung Hans Rudolf von Vitter, wurde am 8. Oktober 1811 als Sohn des damaligen Domänenkammer⸗Referendars, späteren Geheimen Ober⸗Finanz⸗ Raths Bitter, zu Schwedt a. O. geboren, absolvirte das Friedrich⸗Wilhelms⸗Gymnasium zu Berlin und bezog, nach⸗ dem er das Zeugniß der Reife erlangt hatte, im Jahre 1830 zunächst die Universität zu Bonn und so⸗ dann zu Berlin, um Jura und Kameralwissenschasten zu studiren. Nach vollendeten Studien trat er am 1. Ok⸗ tober 1832 als Auskultator beim Stadtgericht zu Berlin und im Jahre 1834 als Referendar bei der Regierung zu Frank⸗ furt a. O. ein, von wo er später nach Posen versetzt wurde. Nach Ablegung der großen Staatsprüfung wurde er wiederum dem Regierungskollegium zu Posen überwiesen und vom Jahre 1845 ab als Regierungs Rath in Merseburg und Cöln beschäftigt. Eine größere finanzwissenschaftliche Arbeit, welche er in, Merseburg anzufertigen hatte, machte den damaligen Leiter des Finanz⸗Ministeriums Kühne auf ihn aufmerksam und bildete die Grundlage seiner späteren ehrenvollen Laufbahn. Schon im Jahre 1848 wurde er als Geheimer Finanz-Rath und vortragender Rath in das Finanz⸗ Ministerium berufen und zunächst mit der Ausarbeitung des Gesetzes über die Einführung einer Klassen⸗ und klassifizirten Einkommensteuer beauftragt. Nach Annahme desselben war seine Hauptthätigkeit auf die Reform der Grund- und Ge⸗ bäudesteuer gerichtet, welche nach langen und heißen Kämpfen ihren gesetzgeberischen Abschluß in dem Gesetze vom 21. Mai 1861 über die anderweite Regelung der Grundsteuer und den damit in Verbindung stehenden weiteren Gesetzen fand. Un— mittelbar darauf wurde Bitter, welcher inzwischen zum Ge⸗ heimen . befördert worden war, damit be—⸗ ausftragt, auch die Ausführung dieser Gesetze zu leiten, und in
olge dessen bald nach Annahme der letzteren, zum Vor⸗ itzenden der zu diesem Zwecke neu gebildeten Central—⸗ kommission zur Regelung der Grund⸗ und Gebäudesteuer ernannt.
In dieser Eigenschaft hat Bitter eine in den weitesten Kreisen rühmlichst anerkannte Thätigkeit entwickelt und durch seine Umsicht, Sachkenntniß und persoönliche überall eingreifende Energie in dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraum von vier Jahren ein Werk zu Stande gebracht, das in vielen Be— iehungen als mustergültig hingestellt werden kann sund dem . die Gegner der Reform die Anerkennung nicht haben versagen können.
m Anschluß an die Grund⸗ und Gebäudesteuer-Reguli⸗ rung erfolgte demnächst im Jahre 1865 die Abtrennung der direkten Steuerverwaltung von der bisherigen General⸗ Steuerdirektion und die Bildung einer besonderen Ministerial⸗ Abtheilung für die Verwaltung der direkten Steuern, deren erster Direktor Bitter wurde.
In dieser Stellung, aus welcher seine Thätigkeit als Vor⸗ sitzender der Bundes⸗Liquidations-Kommission zur Ausein⸗ andersetzung der Vermögensverhältnisse des ehemaligen Deut⸗ schen Bundes, sowie die Einleitung der erforderlichen Steuer- reformen in den im Jahre 1866 der preußischen Monarchie zugetretenen neuen Provinzen noch besonders hervorzuheben ist, verblieb Bitter bis zum Jahre 1869, um sodann als Unter⸗Staatssekretär in das Ministerium des Innern überzugehen. Er verwaltete dieses Amt, in dem er zugleich zum Mitglied des Bundesraths berufen wurde, bis zum Jahre 1873 und wurde sodann zum Präsidenten der See— handlung ernannt, an deren Spitze er vom 20. Mai 1873 bis zum 20. Mai i880, genau 7 Jahre gestanden hat. Neben⸗ her bekleidete er die Stelle eines Vorsitzenden der statistischen Centralkommission und wurde im Jahre 1879 auch zum Prä⸗ sidenten der Ober-⸗Examinationskommission für Verwaltungs— beamte ernannt, ohne daß es ihm jedoch vergönnt gewesen wäre, in dieser Stellung eine erhebliche Thätigkeit zu ent⸗ wickeln.
Wiederholt sind dem Verstorbenen Allerhöchste Gnaden— bezeugungen zu Theil geworden. Nicht nur, daß er aus Allerhöchstem Vertrauen zum Mitglied des Herrenhauses be— rufen war und ihm auch verschiedene hohe Orden verliehen worden sind, wurde er am Abend seines Lebens durch die Gnade seines Kaisers und Königs, dem er mit unbedingter Hingebung und Treue zugethan war, in Anerkennung der mannigfachen in den vielen von ihm bekleideten bedeutungs— 26 Stellen erworhenen Verdienste in den Adelstand er— oben. q
Eine schwere Krankheit im Anfang dieses Jahres erschüt⸗ terte seine sonst feste Gesundheit. Gleichwohl war Bitter ohne Rücksicht auf die Hinfälligkeit seines Körpers in seinem Amte unermüdlich thätig, bis ihn vor wenigen Tagen ein wiederholter Anfall auf das Krankenlager streckte, von wel⸗ chem ihn am 20. Mai d. J. der Tod erlöste.
Bitters liebenswürdige, anspruchslose Persönlichkeit, seine reiche Geschästskenntniß, seine Tüchtigkeit und Energie, sein streng rechtlicher ehrenwerther Charakter und seine hervor— ragenden Leistungen in der preußischen Verwaltung werden ihm auch über das Grab hinaus in dem preußischen Beamten— thum und in dem ganzen Vaterland ein ehrendes Andenken bewahren. Mit ihm ist wieder einer der wenigen noch am Leben befindlichen Beamten aus der altpreußischen Schule, welche zur Blüthe des preußischen Staats nicht am wenigsten beigetragen hat und die den künftigen Generationen ftets als ein Muster bewährter hingebender Beamtentreue voran— leuchten wird, dahingeschieden.
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Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrich Carl beehrte am Freitag die Ausstellung des Vereins der Künstlerin nen und Kunstfreundinnen am Cantianplatz mit Ihrem Besuch. Höchstdieselbe verweilte lange Zeit, sprach Sich sehr befriedigt über die Leistungen des Vereins aus und befahl mehrere Ankäufe. Die Ausstellung ist seit Kurzem durch zwei Werke von der Hand der hohen Frau bereichert worden, von denen das 3. 5 Intsérieur, das andere eine Partie aus dem Wörlitzer Park arstellt.
Im Centralverein für Handelsgeographie gab am Donnerstag Abend Gerhard Rohlxf᷑s vor einem den großen Saal des Aichitektenhauses und alle seine Nebenräume füllenden Zuhörer⸗ kreise einige interefsante Andeutungen in Betreff der deutschen Kolo— nisation Afrikas. Die westliche Hemisphäre bietet, dem Vortragenden zufolge, abgesehen von Patagonien und dem unwirthlichen Norden, dem deutschen Clement keinen Platz mehr dar, und dag, was noch frei, fei mehr wie ungeeignet für den Deutschen, der sich nur da wohl fühlen könne, wo, um es kurz zu sagen, Weizen und Gerste zur Reife kommen. Ander sei es auf der östlichen Halbkugel. Da würde zunächst Korea in
Ostasien der deutschen Kolenisatien Platz darbieten, allein Korea liegt rom Mutterland zu weit entfernt, auch würden hier wehl Kon⸗ flikte mit China oder Jayan, die beide Hobeitsrechte beanspruchen, nicht zu vermelden sein. Auch Neu-Guinea dürfte sich nicht empfeh⸗ sen, da etz, obgleich noch nicht kolonisirt, seiner mangelhaften Boden. beschaffenheit wegen für uns e, erscheine. Anders sei es mit Afrika, das jetzt den Wettkampf aller Kulturstaaten hervor⸗ rufe. Redner glaubte der deutschen Auswanderung hier vor allem iwei Gebiete empfehlen zu können, das Land von Senegambien hinauf bis Marokko gegenüber den Cangrischen Inseln und Cyrenaica am Mittelmeer. Letzteres habe schon Karl Ritter vor 50 Jahren die Perle des Mittelmeeres genannt, die kolonisirt werden müßte. Sein Hafen Pomba sei der beste des ganzen Mittelmeeres, das Klima sei besser als das Italiens. Der Boden sei reich und sudem habe Fyrengiga kein Hinterland, sei also auf sich selbst ange— wiesen und könne leicht 1 Million ernähren, während es jetzt nur von 200000 Kreten h- wohnt ist. Cyrenaica sei nun freilich lürkisch, das Land gehöre aber hier den nomadisirenden Araberstämmen, die es billig ablassen würden. Störend würde vielleicht nur sein, daß das Land am Mittelmeer liegt und daher hält Rohlfs die West küste zwischen dem Atlas und Senegambien für noch geeigneter. Dies Gebiet stehe keineswegs, wie aus den Karten hervorzugehen scheint, unter marrokkanischem Einfluß, der sich thatsächlich nur bis Akitos erstrecke, Klima und Boden verhältnisse seien womöglich noch günstiger, als in Cyrengica, und schon rüsteten sich die Franzosen am Kap Blanco, Faktoreien zu errichten. Auch der 1200 5m schiffbare Binue dürfte an seinen Ufern den Deutschen Gelegenheit zur Kolonisation darbieten. Reicher Beifall lohnte den Redner. — Dr. Schneider schilderte sodann die von Württemberg ausgehende, fast 100jährige vergebliche Bemühung, Deutsche im Kaukasus anzusiedein, die neuer⸗ dings durch einen Pastor Klöden wieder aufgenommen wurde.
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika rüstet in San Francisco eine Expedition aus, welche zur Aufsuchung des arktischen Forschungsfahrzeugs Jeannette“, das jetzt bereits seit einigen Monaten unterwegs ist, in See gehen soll. Der Zollkutter „Corwin“ ist für diesen Dienst aukerwählt und wird mit Lebens⸗ mitteln für ein Jahr versehen werden. In den dem Fahrzeuge er— theilten Instruktionen ist auch die Aufsuchung zweier verschollener Wallfischfahrer ein begriffen. Die „Jeannette“ schlug die sogenannte östliche Route durch die Behringsstraße ein, und Kapitän Markham — früher an Bord des englischen Forschungsschiffes „Alert“ — empfahl, daß alljährlich während der Abwesenheit der „Jeannette“ ein Fahrzeug von der Gattung des „Corwin“ in die arktischen Regionen gesandt werde, um ersteres Schiff entweder aus einer möglichen Ge— fahr zu retten oder, je nachdem der Fall, zu hören, wie es ihm gehe.
Die häufigen Klagen, welche über die mangelhafte Brief⸗— beförderung auf dem Isthmus von Panama, namentlich in Aspinwall (Colon) laut geworden sind, haben bewirkt, daß die dem Staate Panama obliegende Postverwaltung dem Administrator des Finanz ⸗ Departements von Panama, Joss de Yeaza, unterstellt worden ist, wie aus der amtlichen Zeitung des Staats ersichtlich ist. Es läßt sich nun erwarten, daß die stetig zunehmende und schon jetzt bedeu— tende Korrespondenz mit jenen Ländern in Zukunft nicht der erfor— derlichen Sicherheit und Promptheit ermangeln wird.
Der von Westindien kommende Dampfer „Santo Domingo“ brachte genauere Nachrichten über die große Feuers brunst, die in der Nacht vom 9. auf den 10. März fast den dritten Theil der Stadt S. Domingo und nam entlich das ganze Geschäftsviertel des Handels mit Semanä, in wenigen Stunden zerstörte. Die Flammen breiteten sich bei heftigem Winde über eine Fläche von nahezu fechs Acres aus. Der Schaden wird auf 150 000 Boll. geschätzt, von denen nicht ein Dollar versichert ist. Ueber hundert Ballen Tabak, die zur Verschiffung bereit auf dem Ladekai lagerten, verbrannten voliständig.
Der jüngst erschienene XVIII. Band der „Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr aus dem statistischen Departement im K. K. österreichischen Handels. Ministerium“ enthält eine Statistik der gewerblichen Hälfskassen in den im Reichsrathe vertrete nen Ländern der österreichisch⸗-ungarischen Monarchie im Jahre 1879. Wir entnehmen derselben folgende Mittheilungen: Die Gesammtzahl der Kranken,! und Unterstützungskassen in den genannten Ländern kelief sich im Jahre 1879 auf S860, von denen 764 für gewerbliche Hülfsarbeiter bestimmt sind, während 96 Kassen auch anderen Personen als Arbeitern dieser Kate—⸗ gorie die Mitgliedschaft gestatten. Auf die einzelnen Kronländer vertheilt sich obige Zahl wie folgt: Böhmen 282, Oesterreich u. d. Enns 211, Mähren 16, Oesterreich o. d. Enns 73, Tirol und Voral⸗ berg 62, Steiermark 42, Galizien 27, Krain 16, Kärnten 12, Küstenland (österr. sillyr.) 11, Salzburg 4 Schlesien 4. Ueber die Mitgliederzahl liegen von 748 Kassen Angaben vor. Deren Mit gliederzahl erreichte im Jahre 1879 die Höhe von 306678 Köpfen, so daß im Durchschnitt auf eine Kasse 413 Mitglieder ensfielen. Ueber das abgelaufene Rechnungsjahr haben 742 Kassen ihren Finanz Etat vorgelegt. Die Einnahmen derselben beliefen sich auf 2013081 Fl. 98. Kr., die Ausgaben auf 1 8565 gi1 Fi. 91 Kr. Im Durchschnitte stand folglich pro Kasse einer Einnahme von 2713 Fl. eine Ausgabe von 26500 Fl. gegenüber. Ihrer Be⸗ stimmung nach entfallen von den 869 Hülföslassen 504 auf indu— strielle Etablissements, 235 auf die Gewerbe, 28 auf anderweitige n n , und 93 auf allgemeine Kassen, die, ohne an einen bestimmten irthschaftszweig gebunden zu sein, den Bewohnern eines territorialen Gebsetes zu dienen berufen sind, inscweit die ersteren den statutenmäßigen Forderungen zu entsprechen im Stande sind. Die Erhaltung der S60 Kassen geschleht in 22 Fällen durch Gewerbe⸗ Inhaber, in 224 Fällen durch gewerbliche Hülfsarbeiter und in 518 Fällen durch Gewerbe⸗Inhaber und Hülftarbeiter gemeinschaftlich. Die übrigen 96 Kassen zählen in die Kategorie der „all jemeinen Kassen“, insoweit dieselben auf dem Prinzipe der Gegemeitigkeit be⸗ ruhen. Unter den 869 Kaen existiren jl6 Genoffenschastskassen, von denen E8 auf Oesterreich unter der Enns entfallen. Die Zahi der mit den Kranken. und Unterstützungs kassen verbundenen sonstigen Hülfskassen betrug 527 Versorgungs“ und Invalidenkassen, 18 Witt wen! und 17 Waisenkassen. Bei den Vereinen auf Gegenseitigkeit bestanden 79 Kassen mit 45 216 Mitgliedern, einer Einnahme von 101. 359 273 Fl. und einer Ausgabe von 337 392 Fl. Von Gewerbe Inhabern allein unterhalten wurden 4 Kassen mit 392 Mitgliedern, einer Einnahme von 1306 Fl. und einer Aus— abe von 1297 Fl. Ven gewerblichen Hülfsarbestern allein unter⸗ alten wurden 189 Kassen mit 40 951 Mitgliedern, einer Einnahme von 2365 728 Fl. und einer Ausgabe von 222 674 Fl. Von Gewerbe⸗ Inhabern und Hülfsarbeitern gemeinsam unterhalten wurden 409 Kassen mit 207 548 Mitgliedern, einer Cinnahme von 1 344441 Fl. und einer Ausgabe von 599 295 Fl. Es entfallen sonach im Durch schnitt auf je eine Kasse: bei den Vereinen auf Gegenseitigkeit 572 Mitglieder, 4548 Fl. Einnahme, 4271 Fl. Ausgabe; bei den von Gewerbe- Inhabern allein unterhaltenen gs Mitglieder, 326 Fl. Einnahme, 324 Fl. Ausgabe; bei den von gewerblichen Hülfsarbeitern allein unterhaltenen 217 Mitglieder, 1247 Fl. Einnahme, 1178 Fl. Ausgabe; bei den von Gewerbe⸗Inhabern und Hülftarbeitern gemein schaftlich unterhaltenen 507 Mitglieder, 3287 Einnahmen, 2199 Fl. Ausgaben, im Gesammtdurchschnitt 432 Mitglieder, 2850 Fl. Einnahmen, 2146 Fl. Ausgaben. Nach Abzug der „allge⸗ meinen“ Kassen und jener, deren Mitglieder verschledenen Gewerben angehören, verbleiben noch 726. Am stärksten sind die Kassen ver⸗ treten bei der Textilindustrie und dem Tapezierergewerbe mit 202, bei der Industrie in Nahrungs⸗ und Genußmittein mit 108, bei der Erzeugung von Metallen und Metallwaaren mit 85, bei der Bekleidungs« und Putzwgarenindustrie mit 54, bei der Erzeu⸗ Han von Maschinen, erkzeugen, Apparaten, Instrumenten und
ransßportmitteln mit 37, bei der Papierindustrie mit 35 6. — Was die Art der Beträge betrifft, welche Seitens der Gewerbe⸗
Inhaber zu den Hülfekassen beigesteunrt werden, so begegnen wir bei den geschilderten Kassen 6 verschiedenen — Es befinden sich nämlich unter denselben 20 Kassen, welche lediglich von den Gewerbe Inhabern erhalten werden, 229 Kassen, zu denen die Gewerbe— Inhaber einen Jahresbeitrag leisten, ferner 21 Kassen, bei denen die Gewerbe⸗Inhaber von den gesammten Jahresbeiträgen der Mit- glieder einen bestimmten Prozentsatz leisten, 29 Kassen, bei denen die Gewerbe Inhaber das jährliche Defizit decken, 124 Kassen mit zeitweiliger Heranzichung der Arbeitgeber zur Beitraggleistung und 75 Kassen mit andersartigen Beiträgen der Gewerbe ⸗ In haber. Bei 275 Kassen leisten die Gewerbe ⸗Inhaber keinerlei Beiträge. Die Höhe des Prozentsatzes, den die Gewerbe⸗Inhaber von den jährlich eingezahlten Beiträgen der Mitglieder leisten, beträgt 5 o/ g bei 1 Kasse, 10 0 bei 3, 15 0,½ bei 1, 20 (69 bei 4, 25 9 bei 4. 27 0so bei 1, 30 oo bei 2, 40 oso bei 3, 50 o bei 2 Kassen. — Die Bei⸗ tragsleistungen Seitens der Hulfsarbeiter unterscheiden sich der Art nach nach festn Beitragssätzen, nach durch die Lohnhöhe normirten Beiträgen, nach klassifizirten und nach andersartigen Beitrags« leistungen. Wag die erste Form anbelangt, so wurden 389 Kassen gezählt, deren Beitragésätze pro Woche, in folgender Höhe normirt sind-: Bei 8 Kassen bis 1 Kr., bei 21 über 1— 2 Kr., bei 48 üb 2— 3 Kr, bei 55 über 3— 4 Kr., bei 74 über 4 - 5 Kr., bei 25 Über 56—6 Kr., bei 13 über 8— Kr., bei 19 über 7— 8 Kr., bei 6 über 8-9 Kr., bei 60 Kassen 10 Kr, bei 36 über 10— 15 Kr., bei 13 über 15 — 20 Kr;, bei 1 über 26 Kr. Von Kassen, deren Beiträge nach der Lohnhöhe normirt sind, wurden 241 gezählt; von den. selben entrichteten pro Gulden Lohn; 68 Kassen bis 1 Kr. 14 Kassen über 1—2 Kr., 100 Kassen 2 Kr, 24 über 2— 3 Kr. 5 über 3— 4 Kr., 2 über 4—- 5 Kr., 4 über 5 Kr. Die Zahl der Kassen mit klassifizirten Beiträgen beläuft sich auf 132 und 4 Kassen leisten Beiträge anderer Art als die genannten, während bei 20 Kassen die Arbeiter von der Beitragsleistung enthoben sind und ven 15 Kassen in dieser Richtung keinerlei Angaben gemacht worden sind. — Die Unterstützungen, die Seitens der Krankenkassen im Bedarfsfalle den Mitgliedern geboten werden, zerfallen ihrer Art nach in Baarunter⸗ stützungen, freien Arzt, freie Arzenei und Spitals verpflegung. Die Höhe des Krankengeldes stellt sich neben freiem Arzt und freien Medikamenten pro Woche: bei 9 Kassen unter 1 Fl., 39 über 1—2 Fl., 21 über 2—3 Fl. 9 über 3—4 Fl. bei 9 über —5 Fl, 1 über 5—6 Fl, 5 über 6—–— 7 Fl., bei 4 Kassen über 7 Fl. Bei 129 Kassen finden sich klassißztrte Beiträge, während bek 31 Kassen die Höhe des Krankengeldes von Fall zu Fall bestimmt wird und bei 91 Kassen die Beiträge von der Höhe des Lohnes abhängig sind. Von letzteren erhalten als Kranken⸗ geld 1 Kasse eine Quote des Lohnes von unter 256, 13 über 25— 333060. 73 über 333 — 500½, 4 über 50o /g. Die Gesammtzahl der Kafen, welche ärztliche Hülfe, Medikamente und Baarunterstützung gewähren, beträgt somit 348, 19 Kassen gewähren freien Arzt und freie Arznei ohne sonstige Unterstützungen, wäh rend 272 Kassen nur. Baarunterffützungen gewähren, die nach Art und Höhe sich in folgende Kategorien theilen: 5 Kassen unter 1 Fl. pro Woche, 47 über 1—2 Fl., 39 über 2— ) Fl, 32 über 3— 4 Fl, 33 nber 4-5 Fl., 5 über 5 6 Fl, 6 Über 6 — 7 Fl., 5 über 7 Fl., 61 Kassen in klassifiirten Beitraͤgen, 22 in unbestimmten Beitragen; ferner 8 Kassen mit einer nach Prozenteu bestimmten Ounote des Lohneß, von denen 7 Kassen 331 — 00, 1 Kasse über 50 ½ des Lohnes verabfolgen. Die Spitalsverpfle⸗ gung wird von 233 Kassen gewährt, und zwar ven 174 Kassen neben einer Geldunterstützung. — FKassen, die im Todesfalle ihren Mitgliedern Unterstützungen gewähren, giebt es im Ganzen 120, von welchen 14 die sämmtlichen Begräbnißkosten zahlen, bei 11 von . zu Fall nach den jeweilizen Umständen die Beitragsquote bestimmt wird, 22 die Unterstützungen nach den klassi⸗ fizirten Beiträgen bemessen, während 73 bestimmte Beerdigungskosten⸗ beiträge gewähren, und zwar: 28 Kassen bis 10 Fl., 10 über 10 bie 15 Fl., 30 über 15 bis 25 Fl, 5 über 25 Fl. — Was den Maxi mal -Zeitraum betrifft, für welchen Seitens der einzelnen Kassen die Unterstützungen gewährt werden, so erhalten für die Dauer der Krank— heit die Mitglieder von 128 Kassen und auf unbestimmte Dauer jene von 81. Kassen die Unterstützung. 616 Kassen ge— währen sür eine statutenmäßig genau fixirte Dauer das Be— zugkrecht von Unterstützungen. Di ser Maximal⸗Zeitraum erstreckt sich bei 44 Kassen auͤf weniger als 1 Monat, bei 88 Kassen über 1— 2 Monate, 118 über —— 3 Monate, 51 über 3— 4 Monate,
22 über 4-5 Mongte, 140 über 5— 6 Monate, 4 über 6-7 Mon
nate, 3 über — 8 Monate, 7 über 8-9 Monate, 6 über 9- 10 Mo⸗ nate, 116 über 11—12 Morate, bei 17 Kassen über 12 Monate. — Was die Verwaltungtarten anbelangt, so liegen hierüber über 748 Kassen Angaben vor, aus denen im Großen und Ganzen folgende vier Ver— waltungsarten sich ergeben: 1) Selbstverwaltung Seitens der Hülfsar⸗ beiter bei 259 Kassen oder 34 o,; 2) gemeinschaftliche Verwal— tung der Gewerbe Inhaber und Hülfearbeiter, bei oder 26 9,uο '; 3) Kassenkontrole Seitens der Hülfsarbeiter bei 158 Kassen oder 21 oo; 4) kein Einfluß auf die Verwaftung Seitens der Hülssarbeiter bei 139 Kassen oder 19690. — Ueber die Knappschafts—⸗ Brüderlgden entnehmen wir dem rorliegenden Werke: Im Jahre 1878 bestanden in den im Reichsrathe vertretenen Ländern 369 Knapp— schafts⸗Brüderladen, davon 20 bei der Salinen. Das gefammte Brüderladen⸗Vermögen betrug 7 380420 Fl. Die Zahl der bei⸗ tragenden Mitglieder belief sich auf 81 685, jene der beitragenden Theilnehmer auf 18 222, mithin zusammen 99 gi?7 Beitragende. Mie Zahl der anspruchsberechtigten Frauen und Kinder erreichte die Zahl von 133 446 Köpfen. Im Provisionsbezuge standen 7576 Männer, 9739 Wittwen und 7153 Waisen. Die Brüderladen⸗Beiträge der Mitglieder beliefen sich im Jahre 1878 auf, 963 39 Fü. jene der Theilnehmer auf 109501 Fl, mithin zusammen auf 1063 410 Fl., während die Seitens der Werksbesitzer bei⸗ esteuerten Betrage die Höhe von 298 130 Fl., d. i. 28 o/) der rbeiterbei träge, erreichten. Die Brüderladen⸗Ausgaben, die sich im Ganzen auf 1562 9565 Fl. beliefen, vertheilen sich nach Kategorien folgendermaßen: Dauernde Unterstützungen 895 304 Fl., zeitliche Unterstützungen, Krankengelder und Begräbnißkosten 277265 Fl. Ausgaben für ärztliche Pflege und Medikamente 390 386 Fl. Das Vermögen der 20 Salinen ⸗Brüderladen betrug 339 766 Fl., bei denselben waren 2812 Mitglieder und 462 zahlende Theilnehmer, im Ganzen 3214 Beitragende, welche zusammen 22144 Fl. eingezahlt haben. Die Einnahmen der Brüder laden an Zinsen ven Werthpapieren und Darlehen betrugen 20 391 Fl. — Was den derzeitigen Stand der Unterstütz unge und Krankenfo. do der Eisenbghnen betrifft, so ist dea „Hauptergebnissen der österrei= chischen Eisenbahn⸗Statistik im Jahre 1878“ zu entnehmen, daß die 5 bei den gemeinsamen Bahnen bestehenden derartigen Anstalten im Laufe des Jahres 1878 457 5068 Fl., die Autgaben derselben 106241 Fl., betrugen. Ter Stand der Unterstützungs⸗ und Krankenfonds erreichte am Schlusse, des Jahres 1878 die Höhe von 876 376 Fl. Von den 35 6sterreichischen Eisenbahnen liegen betreffs der Kranken; und Unterstützungs-Kassen nur von 24 Angaben von‘. Die Einnahmen dieser 24 Eisenbahnkassen beliefen sich auf 438 832 Fl., und die Ausgaben derselben auf 397 026 Fl. Der Stand der Kranken⸗ und Unterstützungsfonds be⸗ zifferte sich am Schlusse des Jalles 1878 auf 804 594 Fl. Die bel den gemeinsamen und österrachischen Eisenbahnen bestehenden 40 Kranken und Unterstützungskassen hatten somit im Jahre 1878 eine Gesammteinnahme von 896349 Fl. und eine Gesammtausgabe von 803 267 Fl., während das Gesammtkapital am Schlusse des Jahres 1878 die Höhe von 1 680979 Fl. erreichte.
Redacteur: Riede l. J
Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.
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* 118.
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Aichtamtlich es.
Preußen. Berlin, 22. Mai. In der gestrigen (69.) Sitzung setzte das Haus der Abgeordneten die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Organisation der allgemeinen Landesverwal— tung mit der Diskussion 83. 37 — 35 (S. gestrigen Sitzungs⸗ bericht) fort. Hierzu lagen folgende, bereits in der gestrigen Nummer im Wortlaut mitgetheilten Anträge vor: I) der Prin⸗ zipalantrag der Abgg. von Bandemer und Gen.; Y der Even⸗ sualantrag der Abgg. von Bandemer und Gen.; 3) ein Antrag der Abgg. Rickert und Dr. Weber (Erfurt); 4 ein An⸗ trag des Ahg. Frhrn. von Huene. Der Abg. Dr. von Heyde⸗ brand und der Lasa erklärte sich für den Äntrag von Ban— demer. Der Zufall habe es gefügt, daß zuerst ein Mitglied des sich selbst verwaltenden Laienelementes dem Haufe heute sagen könne, wo der Schuh drücke. Als wesentlichste Abweichung von der Vorlage trete dem Hause die Konstruktion eines so—
enannten Bezirksausschusses entgegen, aber nicht, wie die kon— ervative Partei ihn sich denke, Vereinfachung in zweiter Instanz, sondern eines Bezirksausschusses mit einem Körper und zwei Köpfen, und diese Aenderung solle noch andere wesentliche Aen⸗ derungen in dem Gesetz zur Folge haben. Nun halte er Aen⸗ derungen des sehr komplizirten Mechanismus in der Selbst— verwaltung für durchaus nothwendig, aber nur dann für zweckmäßig, wenn sie wirklich Verbesserungen und namentlich Vereinfachungen seien. Die Laien, mögen sie an der Selbst⸗ verwaltung aktiv oder passiv theilnehmen, seien nachgerabe müde geworden, sich immer und immer wieder in neue Kom— plikationen hineinzufinden ohne die Garantie oder wenigstens die Hoffnung, daß nun endlich ein Zustand geschaffen werde, der einfach genug sei, um sich erhalten und bewähren zu köernen. In dem Gebäude der Kreisordnung hätten sich die Laien noch einigermaßen zurecht gefunden, als aber die Pro⸗ vinzialordnung mit ihren vielen Kompromissen angebaut und als auf beide das Gesetz vom 3. Juli 1875 als zweites Stock— werk aufgesetzt worden sei, da sei das schönste Labyrinth fertig gewesen, wie jeder zugeben werde vom Minister bis zum be chränkten Unterthanen. Auf die Hülferufe der Umherirren— den, unter denen sich übrigens nicht nur Laien, son— dern auch, geschulke Beamten befänden, die gegen diese komplizirte Verwaltung laut geworden seien, habe man schließlich das Kompetenzgesetz gegeben, welches als rother Faden in jenem Labyrinth habe dienen sollen, aber seinen . nur halb erfüllt habe. Es hätten Männer der Praxis, und geschulte Beamte die Verwal⸗ tungsgerichtsbarkeit als eine unbedingte Nothwendigkeit für das Fortbestehen der Rechtssicherheit auf dem Gebiete bes öffentlichen Rechts erklärt, namentlich gegenüber der vollständig veränderten Gesetzgebung. Aber darum handele es sich heute gar nicht und auch in dem Antrage von Bandemer seien streitige und nicht streitige Sachen nach wie vor aufrecht⸗ erhalten. Was der Antrag bezwecke, sei größere Homogenität zwischen der ersten und zweiten Instanz eine wirkliche Verein— — der zweiten mit einer einheitlichen Leitung, also das⸗— selbe in der zweiten Instanz mutalis mutandis zu erreichen, was man im Kreisausschuß erreicht und was sich dort bewährt habe. Was würden die Konsequenzen des von der Kommission konstruirten Bezirksausschusses sein? Einem und demselben Kollegium sollten verschiedene Vorsitzende präsidiren, der Re⸗ gierungs-Präsident und der Bezirks⸗Verwaltungsgerichts⸗ Direktor. Nach §. 32 erfolge die Geschästsleitung durch den ersteren im Einvernehmen mit dem letzteren, auch die Ver⸗ theilung der Referate, der Regierungs⸗-Präsident sei also voll⸗ kommen berechtigt, dem Verwaltungsgerichts-Direktor auch in Beschlußsachen Referate zuzuschicken. Es sei das jedenfalls nicht ausgenommen. Die beiden Vorsitzenden des Bezirksausschusses, wie sie die Kommission einzusetzen vorschlügen, seien gewisser⸗ maßen zwei Köpfe an einem Körper, würden kaum lange in friedlicher Harmonie neben einander wirken können. Der Verwaltungsgerichts-Direktor werde bald der all— einige Vorsitzende sein. Die Sache, das Interesse der streitenden Parteien, werde darunter am meisten leiden. Werde z. B. eine Klage wegen Heranziehung zu Gemeinde⸗ lasten, die der Bezirksausschuß unter Vorsitz des Regierungs⸗ Präsidenten beschlossen habe, eingereicht und her Verwaltungs⸗ gerichts-Direktor wirke auf sein Kollegium, was ja immer dasselbe sei, dahin, daß das Verwaltüngssrreitverfahren in dieser Beziehung für unzulässig zu erklären sei, so feien solche Unzuträglichkeiten absolut unhaltbar. Könne das Haus dem Antrage von Bandemer nicht zustimmen, dann ziehe er den Kommissionsbeschlüssen immer noch die Regierungsvorlage vor, da er der Ansicht sei, in diesem Punkte lieber es beim Alten zu belassen, als neue Komplikationen herbeizuführen. Jedenfalls werde es das Bestreben der konservativen Partei sein und bleiben, eine möglichste Einfachheit auf dem Gebiet der Selbstverwaltung als eine der ersten Lebensbedingungen für den Vestand derselben herbeizuführen. Gestalte man' diesen Mechanismus nicht einfach und für den Laien verständlich, so werde die Frage an das Haus herantreten, ob man überhaupt noch über das nöthige Laienelement werde verfügen können. Die bisherigen Anforderungen an die Laien hätten das äußerste Maß des Zulässigen erreicht und doch befinde man sich vor— läufig noch in einem Stadium, wo Mancher vielleicht aus Wißbegierde, Mancher aus einer kleinen Eitelkeit, Viele aus Unkenntniß des Umfanges der Geschäfte, eine große Zahl, weil sie den Veruf wirklich in sich fühlten, sich in solche Kol— legien wählen ließen. Aber bald überzeuge man sich, daß der Honig nicht so süß sei, wie man ihn sich vorgestellt habe, und so Mancher scheide aus mit dem Motto: „Zu viel Arbeit und wenig Dank.“ Gewiß habe man in der Kömmission das Beste erstrehbt, und das Haus sei der Kommission großen Dank schuldig für die Aufopferung, mit der sie ihre schwierige Aufgabe gelöst habe; aber er halte die Mitglieder dieses Hauses sämmtlich für viel zu praktisch vnd zu erfahren, als daß sie nicht, wenn sie die Hand auf das Herz legten, zugeben müßten, daß dieses nach langen Geburts⸗ wehen endlich zu Stande gekommene Kompromiß weder eine Vereinfachung, noch eine Verbesserung, sondern lediglich etwas Neues neutrius generis sei, und davor möchte er warnen.
Berlin, Mai
Sonnabend, den 22. Könne man dem Lande im Moment die gewünschte Verein— fachung noch nicht bieten, so lasse man die Frucht reifer wer— den, ehe man sie schüttele; an unreifem Obst verderbe man sich leicht den Magen.
Der Abg. von Bennigsen erklärte sich für den Antrag der Kommission. Die Stellung und die Aeußerungen des Vor⸗ redners seien charakteristisch für die Sache; derselbe habe auch schroff gesprochen und er bitte seine Freunde und die Mit— glieder auf der linken Seite des Hauses die Perspektive zu beachten, die der Vorredner Allen mit seinen letzten Worten eröffnet, habe. Es gebe hier im Hause eine ganz überwiegende Mehrheit aus allen Parteien, auch aus der des Vorredners, welche die Verwaltungsgerichtsbarkeit als folche in Ehren und aufrecht erhalten und mit allen nothwendigen Garantien um— geben wolle. Eine Minderheit, zu der auch der Vorredner gehöre, sei überhaupt kein Freund der Verwaltungsgerichts⸗ barkeit. Die Einrichtungen seien dem Vorredner zu komplizirt erschienen und derselbe zweifele, ob die Elemente zu einer so komplizirten Selbstverwaltung sich immer vorfänden. Diese Bedenken seien ja nicht neu Und in der Presse aller Parteien erörtert worden. Der Ruf nach Abhülfe in einzelnen Punkten sei laut geworden. Die Kommisston habe sich mit den verschiedenen Schwierigkeiten beschäftigt, die Niemand auch schon vorher mehr empfunden habe, als der Minister des Innern und seine Räthe, die an der Fortführung des großen Werkes gearbeitet hätten. Seine Freunde und die Mehrheit des Hauses hielten an den wesentlichen Grundl gen der jetzigen Organisation der Selbstverwaltung und Verwaltungsgerichts⸗ barkeit fest. Es handele sich darum, wie sie zweckmäßig weiter auszubauen sei, nachdem man Erfahrungen zunächst auf dem Gebiete von fünf Provinzen gesammelt habe. Die Verschie— denheit der Ansichten auch in diesem unter konservaliver Strömung zusammengesetzten Hause drehe sich lediglich um Zweckmäßigkeitsfragen bei der Organisation, bei denen man sich politisch in keiner Weise zu echauffiren brauche. In der Kommission habe der eine Theil geineint, daß die bisherigen Einrichtungen trotz einzelner Mängel sich so bewahrt hätten, daß kein Grund sei, davon abzugehen. Diesen Standpunkt habe nach längerem Schwanken auch die Regierung eingenommen. Auf der andern Seite, auf der des Vorredners, habe man geglaubt, der Fehler der bisherigen Organisation, die voll ländige Trennung der Verwaltungs⸗ gerichtsbarkeit auch, da, wo eine kollegialische Verwaltung be— standen habe, sei ein so schreiender Uebelstand geworden, daß man eingreisen und die Trennung beseitigen müsse. Der An— trag, den der Vorredner vertreten habe, und der auch in der Kommission zum Vorschein gekommen sei, wolle die Abtren—
nung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der mittleren Instanz
von den übrigen Verwaltungen beseitigen und eine Ver⸗ einigung derselben unter dem Vorsitz des Regierungt⸗ Präsidenten herbeiführen. Gegen diesen Vorschlag feien Be⸗ denken in der Kommission erhoben worden, welche auch der Minister des Innern anerkannt habe. Wolle man die Ver⸗ waltungsgerichtsbarkeit in voller Unabhängigkeit erhalten, so sei eine Vereinigung der Streit- und Beschlußfachen, wenn man dieselbe auch an sich wünsche, in der Art, wie sie hier vorgeschlagen werde, doch nicht möglich, wenn man auch den Regierungs-Präsidenten zum Vor— sitzenden eines Kollegiums machen wolle, in welchem Be— schluß und Streitsachen gemeinsam behandelt werden sollten. Man habe auch im Publikum — möge dies auch ein Vor⸗ urtheil sein — nicht das genügende Verkrauen zu richterlichen Entscheidungen unter dem Vorsitze eines Regierungs-Prä⸗ sidenten. Die politische Stellung des letzteren hindere eine vertrauensvolle Aufnahme seiner Entscheidungen. Der Vorsitz würde übrigens entweder lediglich auf dem Papier stehen, oder, wenn wirkungsvoll, zum Nachtheile der übrigen Ange⸗ legenheiten ausschlagen. Die Trennung der Verwaltungs— gerichtsbarkeit von den Verwaltungsbeschlußsachen, die im Publikum zu den größten Bedenken Anlaß gegeben habe, habe zu einem Vermitkelungsvorschlage geleitet. Der Vorredner habe auf die Reibungen hingewiesen, die durch die Stellung des Verwaltungsgerichts⸗-Direktors zum Regierungs⸗Präsidenten hervorgerufen würden. Diese Schwierigkeiten seien aber zum Theil,. durch einfache Administrativverfügung zu heben, theils würden sie durch die Organisation, wie die Kommission sie vorschlage, gar nicht geschaffen, und ständen mit derselben in gar keinem Zusammenhang. In den Regierungsbezirken, für welche solche Verwaltungs⸗ gerichte geschaffen werden sollten, sei dies das einzige Gericht die⸗ ser Art. Die Aufgaben derselben in den kleineren und mittleren Regierungsbezirken seien nicht sehr bedeutend. In Erfurt sei es im ganzen Jahre nur elf Mal an elf Tagen zusammen⸗ getreten. Eine ähnliche Erscheinung werde auch in anderen Bezirken der fünf Kreisordnungs-Provinzen hervorgetreten sein und werde sich in noch viel größerem Umfange geltend machen, wenn man dieses Institut für die neuen Provinzen einführe. Es handele sich also um eine Schöpfung, wo eine genügende Thätigkeit für die zusammenwirkenden Kom⸗ petenzen im Laufe des Jahres nicht vorhanden sei. Bei Laien könne dies gleichgültig sein; bei Beamten sei es nicht gleichgültig, sondern von entschiedenem Nachtheil für die Auswahl solcher Personen, für die amtliche Thätigkeit und Stellung derselben. Es komme hinzu, daß dem Publikum gegen⸗ über eine so isolirte Behörde niemals die Autorität gewinnen könne wie eine Behörde, die mit anderen Staatsinstitutionen in Verbindung stehe, die dem Publikum bekannt und vertraut eh Das Publikum werde nur schwer den richtigen Weg nden, an welche Behörde es sich zu wenden habe. Diese
peinliche gene en, in welche das Publikum gerathen könne
zwischen den ver . Behörden, die man auf der mitt⸗ leren Stufe schon habe und nun noch dieser Institution, die unter Umständen mit allen Gebieten der menschlichen Thätig⸗ keit sich zu befassen haben werde, sei von den Parteifreunden des Vorredners in früheren Verhandlungen und in der Presse schon genügend hervorgehoben worden, und es sei eine Ver⸗ einfachung in der Hinsicht nach außen hin immer als ein Vor⸗ theil angesehen worden. Doch das seien mehr Aeußerlichkeiten. Als das Wesentliche sei der Mehrheit der ommission erschie⸗ nen, daß man Aufgaben, die unnatürlich und künstlich getrennt
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seien, wieder in Zusammenhang bringe; wer die früheren Be⸗ rathungen über das Kompetenzgesetz mitgemacht habe, werde zugeben, daß die Scheidungslinie zwischen Beschluß und Streitsachen stets eine willkürliche und zweifelhafte sei und auch die bisherigen Verhandlungen hätten gezeigt, daß die Grenze derselben nie sicher festzustellen sei. Man könne wohl in große Gruppen scheiden und sagen, diese habe wesentlich Zweckmäßigkeitsfragen, und jene wesentlich Rechtsfragen, nie⸗ mals aber könne man den Schnitt so rein machen, daß man sagen könne, in dem ersten Falle sei die Rechtsfrage, im zwei⸗ ten die der Zweckmäßigkeit und des Ermessens Überhaupt nicht hineinzuziehen. Das führe dann dazu, daß man unter Wahrung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Ver⸗ waltungsgerichts Entscheidungen die Thätigkeit derjenigen Per— sonen wieder zusammenbringe, welche berufen seien, für solche Entscheidungen mitzuwirken; daß also dieselben Personen, Be⸗ amte und Laien, abgesehen von dem Vorsitzenden, zu diefen Aufgaben gleichmäßig herangezogen würden, das habe den Vorzug, daß die Personen auf dem ganzen Gebiete der ein⸗ zelnen Verwaltung besser geübt und erfahren seien, sowohl in Streit⸗ wie in Hg ge c und daß die Beamten sich ge⸗ wöhnten, das praktische Bedürfniß nicht aus dem Auge zu lassen. Aus diesem Grunde habe er den Vermittlungs— vorschlag versucht. Er möchte nun bitten, daß seine Freunde und alle Herren auf der liberalen Seite sich nochmals über⸗ legten, ob sie gut thäten, mit solcher Festigkeit darauf zu ver⸗ trauen, daß, wenn man jetzt die Regierungsvorlage annehme, wenn man also die völlige Trennung von Beschlußsachen und Streitsachen beibehalte, inan damit ein sicheres Fundament lege, in dem Augenblick, wo diese Bestimmungen von fünf Provinzen auf die ganze Monarchie ausgedehnt werden sollten. Der Vorredner sei offen genug gewesen, die Annahme der Regierungsvorlage dem Vermitte— lungsvorschlage der Kommission vorzuziehen, weil bei An⸗ nahme der Regierungsvorlage die Hoffnung bleibe, daß die ganze Sache im Sinne seiner Freunde demnächst umgestaltet würde. Gerade um diese Perspektive zu verhindern und für die Zukunft derartigen Plänen vorzubeugen, wie sie eben der Vorredner ausgesprochen habe, hätten seine Freunde und er die Vermittelungsvorschläge in der Kommission gemacht. Ver⸗ werfe man diese Versuche, so werde seine Partei einstimmig eventuell für die Regierungsvorlage stimmen und werde ver— suchen, wie man dieselbe, sofern als sie die Verwaltungs— gerichtsharkeit dem Lande erhalten wissen wolle, auch dieselbe gegen die Versuch: und Bestrebungen vertheidige, die der Vorredner ausgesprochen habe, wenn auch in etwas ungünstigerer Position.
Der Abg. von Rauchhaupt wies die Konsequenzen, welche der Abg. von Bennigsen aus der Rede des Abg. von Hey de⸗ brand gezogen habe, als durchaus nicht berechtigt zurück. Er und seine politischen Freunde zögen sich eventuell auf die Re⸗ gierungsvorlage deshalb zurück, weil die Beschlüsse der Kom⸗ mission den Stempel der Unhaltbarkeit an der Stirne trügen und seine Partei nicht wolle, daß dieser Stempel auch den Institutionen der sechs neu hinzugekommenen Provinzen auf⸗ gedrückt werde. Jedenfalls biete eine solche Haltung keinen Grund zu Parteianklagen, wie sie der Abg. von Bennigsen gegen die konservative Partei erhoben habe. Er wünsche eine Vereinfachung der Organe in der Mittelinstanz, welche die Kommissionsbeschlüsse nicht herbeiführten. Seine Partei habe diesen Wunsch, weil sie den höchsten Beamten der Krone im Bezirk aus der kümmerlichen Stellung herausheben wolle, die demselben die Liberalen in der jetzt bestehenden Gesetzgebung
anz gegen ihre eigenen n, , angewiesen hätten. Seine artei hege auch diesen Wunsch, weil sie die KLostspieligkeit der Selbstverwaltung zu vermindern wünsche. Es sei eine Ver⸗ einfachung der mittleren Instanz nothwendig, um aus der jetzigen Zerrissenheit herauszukommen. Die Kommission habe dazu nur einen kümmerlichen Versuch gemacht, indem sie dem Publikum äußerlich eine einheitliche Adresse gegeben habe. Die Kommission habe vielmehr innerlich die Trennung noch verschärft durch die Stellung, welche sie dem Regierungs⸗ Präsidenten und dem Verwaltungsgerichts-Direktor anwesse. Gegenwärtig stehe der Regierungs⸗Präsident wenigstens noch an der Spitze eines selbständigen Kollegiums, des Bezirksraths, in Zukunft werde derselbe an der Spitze eines doppelköpfigen Kollegiums stehen, aus welchem derselbe in den wichtigsten Sachen ausscheiden müsse. Dadurch werde der Regierungs⸗ Präsident gegen seine jetzige Stellung noch degradirt. Die Ein⸗ heitlichkeit der Verwaltung werde durch den Kommissionsbeschluß absolut nicht erreicht. Man habe die Wege⸗, Vorflut⸗, Schul⸗ und Konzessionssachen ohne inneren Grund von den an⸗ deren Zweigen der Verwaltung getrennt. Die Rück⸗ wirkung zweier verschiedener Aufsichtsinstanzen auf die Unter⸗ instanz sei aber unerträglich und diesen Zustand beseitige der Kommissionsvorschlag nicht. Seine Partei wolle deshalb ein wirklich einheitliches Kollegium mit demselben Regierungs⸗ Präsidenten für Beschluß⸗ und Streitsachen. Liege es denn wirklich in liberalem Interesse, daß man den Regierungs⸗ Präsidenten aus dem innigen Kontakt, in den ihn der An⸗ trag von Bandemer mit den demselben unterstellten Publikum bringen wolle, zurückdrängen wolle in seine isolirte politische Staatsbeamtenstellung. Die Landräthe hielten es gerade für eine Segnung der Selbstverwaltung, daß sie die einseitigen Anschauungen des Staatsbeamtenthums korrigire durch ein inniges Zusammenwirken mit dem Laienelement und daß an⸗ dererseits das letztere ergänzt werde durch die Erfahrung des geschulten Beamtenthums. Wenn man sich zu dieser Anschauung nicht aufraffen könne, dann werde man die Regierungs⸗ Prasidenten immer zu Gegnern haben. Dieselben würden ihre jetzige gedrückte Stellung den Liberalen nie vergessen. Der Kommission svorschlag erhöhe auch im Gegensatz zu dem An⸗ trage von Bandemer die Kosten durch eine Vermehrung des Laienelementes. Die Hoffnung, welche man schon bei Kon⸗ struirung des Kreisausschusses gehegt habe, daß die Laien nicht kommen würden, habe sich als eine trügerische erwiesen. Der Prinzipalantrag von Bandemer erreiche diese Ziele sämmt⸗ lich; derselbe halte auch die Formen der Verwaltungsgerichts⸗ barleit aufrecht, welche doch nicht dadurch illusorisch werde, daß ein absetzbarer Beamter an der Spitze
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