1880 / 142 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 19 Jun 1880 18:00:01 GMT) scan diff

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Abrigkeit als eine Konzessien der Kirche ansehen wolle, für die der Staat irgend eine Gegenkonzession zu gewähren hätte. Er hoffe vielmehr, daß die preußische Regierung felbst diese Zumuthung als ihrer Würde nicht entsprechend, ablehnen werde. Mit Bestimmungen wie in Art. 4 und 9 dieses Gesetz⸗ entwurfs würde, wie er glaube, für Alle seine Parteigenossen das Ganze unannehmbar sein. .

Hierauf ergriff der Minister der geistlichen 2c. Angelegen⸗ heiten von Puttkamer das Wort:

Meing Herren! Es ist mir keineswegs unerwartet gewesen, daß die Diskussion bei Artikel 1 sehr wesentlich in allgemeine Gesichtspunkte der Generaldebatte zurückgreifen würde. Dem Abg. Reichensperger war die Versuchung hierzu sogar 6 unwiderstehlich, daß er trotz des besten Bemühens, über Artikel 1 zu sprechen, immer wieder hineingerketh in die von seinem Standpunkte aus ja sehr wichtigen Bedenken gegen die generelle Idee, welche der Vorlage zu Grunde liegt, ich will mir deshalb auch erlauben noch einige allgemeine Betrachtungen an den Eingang dieser großen Dig kussion zu knüpfen, nicht etwa um im Großen und Ganzen und im Zusammenhang den politischen Gedanken, welcher der Vorlage zu Grunde liegt, noch einmal vor Ihnen zu ent— rollen ich glaube, das in ausgiebigster Weise bei der ersten Be rathung gethan zu haben sondern ich möchte anknüpfen an einige der Aeußerungen, welche wir heute in genereller Beziehung von einigen ber Herren Vorredner vernommen haben. Ich werde dann noch etwa kürzer eingehen auf den Artikel 1, von dem ich allerdings sagen muß, daß er in der bisherigen Diskussion meiner Auffassung nach ziemlich stiefmütterlich behandelt ist, denn ich habe von allen drei Rednern, die his jetzt gesprochen haben, den Eindruck, daß ihr Haupt— interesse weniger dem Artikel 1 zugewendet war, als entweder allge⸗ meinen Gesich spunkten, oder anderen speziellen Gesichts punkten, welche außerdem noch in der Vorlage enthalten sind. Diesem Bei⸗ spiel werde ich nicht folgen, sondern mich hernach lediglich an den Gedanken halten, welcher in der Vorlage ausgedrückt ist. Der Abg. Reichensperger begann seine Ausführungen damit, daß er meinte, der Inhalt der Vorlage sei doch durch die Kommissionsberathungen der⸗ gestalt verstümmelt, daß man eigentlich nicht mehr wisse, was denn nun noch von der Regierungsvorlage gesund herausgekommen sei. Ja, meine Herren, aus den en fs nn nne ist überhaupt nicht, herausgekommen, und das ist für meinen Standpunkt eig relativ günstiges Ergebniß der Kommissionsberathungen, denn wir haben es nun lediglich mit der Regierungsvorlage zu thun. In der Beziehung kann ich also wohl sagen; die Kommissionsberathung war pro nihilo, obgleich ich in keiner Weise verkenne und bestreite, daß sie für mich persönlich von allergrößtem Interesse und Informa“ tion gewesen ist. Ich glaube, meine Herren, daß ich heute nicht mit einer gewissen Sicherheit vor Ihnen würde sprechen können, wenn die Kommissionsberathung nicht stattgefunden hätte. In dieser Bezte⸗ hung will ich also durchaus keine Kritik über das üben, was in der Kommission an Meinungen ausgetauscht und negativ zu Stande ge— kommen ist.

Nun stoße ich gleich auf eine mir höchst bedenkliche Aeußerung des Abg. Reichensperger. Er sagt, er müsse aus der Haltung einer der Parteien dieses Hauses entnehmen, daß der Regierung doch wohl eigentlich nicht so sehr viel an der Vorlage liegen kann. Meine

erren, ich glaube, keine Partei dieses Hauses erwartet, daß die

egierung in einer Frage wie diese, ihre Entschließung davon ab— hängig macht, wie die Parteien zu der Vorlage stehen. Die Regterung muß bei diesen Dingen lediglich von dem Be— wußtsein ihrer Pflicht gegen das Land erfüllt sein. Sie bringt Ihnen eine wohldurchdachte Vorlage, die sie bis zum

Schlusse vertheidigen wird und von der sie hofft, daß fie wenigstenz in ihren Grundprinzipien von dem Hause Annahme finden wird, aber was die einzelne Partei, möge ste nach links oder rechts oder nach der Mitte gerichtet sein, zu der Vorlage sagt, ist für die Regie rung zwar von hohem Werthe, aber für ihre schließliche Entscheidung ohne Einfluß.

Aber, meine Herren, noch bedenklicher ist mir die Insinuation des Abg. Reichensperger: in der Regierung müsse wohl die bekannte Zweiseelentheorie herrschen. Ich, der Kultus⸗Minister, lege gewiß sehr großen Werih auf die Vorlage, dem Herrn Minister⸗Präsiden⸗ ten aber schiene sie vielleicht, weil eine Partei, die ihm notorisch persönlich nahe steht, eine gewisse Kritik an ihr übt, nicht sehr wichtig. Meine Herren, wie kann man so etwas im Ernste be— haupten? Ich möchte doch wirklich bitten, nicht vorauszusetzen, daß in einer Frage wie diese von der fundamentassten Wichtigkeit für unser ganzes nationales Rechtsgebiet und politisches Leben, einer Frage, wie sie wichtiger vielleicht seit Jahrzehnten nicht debattirt worden ist, innerhalb der Regierung etwaz anders herrschen kann, wie eine vollkommene Solidarität bis an das Ende der Debatte und bis zu der nach der Debatte zu treffenden Ent scheidung. Darauf können Sie sich ganz bestimmt verlassen, und meine Herren Kollegen, die neben mir sitzen, wissen wie ich, daß wir Alle im Staats Ministerium tief bewegt sind von dem Ernst des Augenblicks, vor dem wir stehen, und von der Nothwendigkeit der Entscheidung über diese Vorlage, welche das Wohl und den inneren Frieden des Landes fördern soll. Nun sagt der Äbg. Reichensperger, ja, diese Vorlage ist ein halbes Ding, energische, ganze Ümkehr ist nöthig; die Regierung soll sich mit der Ueberzeugung durchdringen, daß sie nur durch eine ganze Umkehr auf dem kirchen politischen und kirchengesetzlichen Gebiete gesunde Zustände wieder in das Land zurückführen wird. Wenn der Abg. Reichensperger das sagt, so nehme er mir es nicht übel, daß ich ihm entgegne, dann hat er den Gedanken der Vorlage doch nicht ganz erfaßt Von einer Umkehr ist in der Vorlage nicht die Rede. Er hat gesagt, es sei eine Umkehr, und er verlangt völlige Umkehr; der Begriff der Umkehr liegt der Vorlage überhaupt fern. Sie ist der bestgemeinte, wohldurchdachte, wohlüberlegte und ich darf behaupten ausreichend gut formulirte Versuch, dem Lande den langentbehrten inneren Frie⸗ den zu geben und unseren katholischen Mitbürgern die ungestörte und friedliche Ausübung ihres Bekenntnisses sicher zu stellen. Kein anderer Gedanke liegt der Vorlage zu Grunde, und da knüpfe ich noch an ein Wort des Abg Reichensperger an, das mich geschmerzt hat. Wenn man in Zeitungen so etwas liest, daß in dieser Vor⸗ lage ein großes Korruptionsmittel geschaffen fei, läßt man es sich gefallen, aber wenn man in den Räumen diefes Hauses einer Re⸗ gierung gegenüber, der Sie nicht den Vorwurf machen können, daß sie gewissenlos handelt, kein Bedenken trägt, ohne Weiteres ein? Vorlage dieses Inhalts so zu charakterisiren, daß die Regierung nichts weiter beabsichtige, als die Nation oder Theile der Nation zu korrumpiren, so weise ich das mit aller Entschiedenheit zurück. Wenn diese Vor⸗ lage zu Stande kommt, dann wird sie in der loyalsten Weise, näm⸗ lich in dem Sinne, der in ihr selbst liegt, ausgeführt werden. Da für bürge ich Ihnen mit der Verantwortlichkeit eines ehrlichen Mannes. Mehr können Sie nicht verlangen und ich verlange meiner⸗ seits, ich glaube, ich darf das, daß vom Hause die Vorlage von diesem Gesichtspunkte aus keiner anderen Kritik unterworfen werde, als eine solche durch sachliche Gesichtspunkte geboten ist.

. Der Abg. Reichensperger sagt ferner und wendet sich dabei an die linke Selte des Hauses, wir wissen ja sehr wohl, welche mac— Hiagrelistischen Gedanken der Vorlage zur Grundlage dienen. Bje Linke halte es für eine Schwäche der Regierung, daß sie in dieser Weise den katholischen Mitbürgern zu Hülfe komme, und ich habe mich in dieser Beziehung nicht mit dem Hrn. Abg. Reichensperger auteinanderzusetzen. Da ich aber allerdings auch dle Bemerkung gemacht habe, daß ähnliche Andeutungen aus Ihren Reihen und namentlich Aeußerungen Ihrer Presse in den letzten Tazen laut geworden sind, so will ich doch gleich hier in aller Bescheidenheit sagen: eine preußische Staatsregierung, an deren Spitze der Herr Fürst Reichskanzler steht, für einen politischen Schwächling zu erklaren das ist ein Gedanke, der interessant wohl nur durch seine Neuheit ist. Ich glaube, in dieser Beziehung der Zukunft und dem Urtheil der Nation mit einer gewissen Ruhe entgegen sehen zu können.

Ich habe dann noch, wenn ich auf Art. J eingehen werde, einige Worte des Abg. Reichen sperger richtig zu stellen und ich behalte mir das ausdrücklich vor.

Der Hr. Abg. Dr. Gneist hat im Eingang seines Vortrags, ich darf wohl sagen, mir die Worte von den Lippen genommen und ich bin in großer Verlegenheit, wie ich diese Worte in diesem Stadium der Debatte noch ergänzen soll. Wenn er sagt und davon ging er aus die preußische Regierung darf sich selbst das Zeugniß

eben, daß sie den Nothstand, dessen Beseitigung sie in dieser Vor—⸗ age bezweckt oder wenigstens die Mittel dazu, nicht verschuldet hat, so unterschreibe ich das selbstverständlich völlig, und, ich glaube, ich habe dag mit dem nöthigen Gewicht und Rachdruck schon bei der 236 Berathung dieser Vorlage gebührend in den Vordergrund gestellt.

Es ist richtig, meine Herren, daß, wenn die höchsten Organe der katholischen Kirche sich dazu hätten entschließen können, in der Ge— nesis unseres kirchenpolitischen Konfliktes, die einfache Pflicht zu er= füllen, welche sie deutschen Mittelstaaten gegenüber ganz unbedenklich erfüllen, dann wären wir in diese traurigen Zustände nicht gerathen, Denn sowohl in Bezig auf das Gesetz vom 11. Rai 1873, wie auch namentlich in Bezug auf die thatfäch— lich Entwickelung der Dinge, die sich daran knüpfte in Bezug darauf darf ich sagen, alle diese Binge würden uns in einem ganz anderen Lichte erscheinen, vielleicht gar nicht an die Ober⸗ fläche getreten sein, wenn dieser erste und ursprüngliche Konflikts. punkt uns nicht gleich beim Eingange der ganzen Sache entgegen⸗ getreten wäre. Das wird nun von Seiten des Centrums mit der allergrößten Entschiedenheit verneint. Sie sind bereits von dem Hrn. Abg. Pr. Gneist auf das Beispiel eines deutschen Mittelstaats verwiesen wor den. Mit Thatsachen, meine Herren, argumentirt man auf diesem Gebiet am erfolgreichsten, glaube ich, weil sie am sichersten sprechen. In Württemberg herrscht auf Grundlage einer Gesetz= gebung, die in ihren prinzipiellen Ba en sich völlig mit unferer Mal—

esetzgeburg deckt; sie enthält allerdings nicht die Straf— estimmungen, aber die politischen Prinzipien sind genau dieselben. (Widerspruch) Wenn Sie das bestreiten, so könnte ich dag im Einzelnen beweisen, es wird sich vielleicht noch bei späteren Dis kussionen Gelegenheit dazu bieten, im Augenblick würde mich das zu weit führen. Ich sage also, in Württemberg herrscht seit 13 Jahren durch ein maßvolles Entgegenkommen der kirchlichen Oberen ein befriedigendes Verhältniß auf einem Boden, der, wie ich wiederhole, im Wesentlichen denjenigen Forderungen entspricht, welche unsere 9 an die Kirche stellt. Was in Württem— berg möglich ist, das sollte in Preußen nicht unmöglich sein. Ich komme deshalb mit voller Bestimmtheit auf meinen vorigen Satz zurück, den der hr. Abg. Dr. Gneist heut auch außz— gesprochen hat: die preußtsche Staatsregierung ist an der Ent— wickelung des Nythstandes nicht schuld= Aber, meine Herren, zu meiner großen Freude hat der Hr. Abg. Br. Gneist auch das anerkannt: damit ist die Sache für uns nicht erschöpft. Er sagt selbst, wenngleich die Regierung und der preußische Staat bei dieser Sachlage wohl berechtigt wäre zu sagen: gut, wir werden abwarten, was die Entwickelung der ohne unsere Schuld geschaffenen Zustände mit sich hringt, und die Verantwortung für das weitere Unheil, was etwa entsteht, ablehnen. Der Hr. Abg. Dr. Gneist erkennt, wenn auch nicht die zuristische, so doch, wie ich es neulich auszudrücken mir erlaubte, politische und moralische Pflicht für die Regierung an, hier das ihrige zu thun, um den bedrohlichen Zuständen der mangelnden Sachlage, denen wir entgegengehen, und in denen wir unz schon zum Theil befinden, ein Ende zu machen. Er fagt mit vollem Recht: die Re⸗ gierung darf es nicht mit ansehen, daß, foweit ihre Machtmittel zur Abhülfe reichen, 160 000, , ich sage Hunderttausende der katholischen Christen der religiösen und sittlichen Verwilderung entgegengehen, und sie hat die Pflicht, das Gerüst auf⸗ zubauen, unter dessen Benutzung bei dem Zustandekommen einer Ver⸗ ständigung, also bei der künftigen Beobachtung der leichterfüllbaren Pflichten, die wir von der Kurle verlangen, wir dem kirchlichen Be⸗ dürfniß wieder zu seiner Befriedigung verhelfen können. Meine Herren, das ist ja gerade der politische Gedanke, auf dem die ganze Vorlage beruht, und ich frene mich um so mehr, daß der Hr. Abg. Dr. Gneist das so unumwunden als richtig anerkennt. Ich moͤchke daran gern die Hoffnung knüpfen, daß wir auch in den weiteren Be— standtheilen des Gesetzentwurfs uns auf demselben Boden befinden möchten. Er hat mir leider in seinen letzten Worten diefe Hoff nung abgeschnitten, indessen ich erblicke schon darin einen Vortheil, daß wenigstens bei diesem Art. 1 mit der Hülfe des Herrn Abgeordneten die Säulen und die Fundamente des Gebäudes errichtet werden kön⸗ nen, guf denen dann die Vorlage vielleicht zu Stande kommt. Meine Herren! Zu dem Art. J, welcher der Regierung gewisse Dispensationsbefugnisse in die Hand geben soll für diejenigen Per⸗ sonen, die sich zum geistlichen Amte vorbilden: Die Vorfage selbst will ich in diesem Augenblicke gar nicht vertheidigen, sie ist eigent⸗ lich kaum von irgend einer Seite angegriffen worden. Ich werde mich darauf beschränken, einige Worte über die Stellung zu sagen, die ich zu den eingebrachten Amendements einzunehmen habe. as Amendement der Herren vom Centrum ich darf wohl den Abg. Dr. Brüel in diesem Zusammenhange zum Centrum rechnen will hauptsächlich zwei Dinge aus dem ÄÜrt. 1 herausbringen: den Abs. 3, welcher vorschreibt, daß diejenigen ausländischen Bildungs anstalten von der Regierung sollen bestimmt werden dürfen, deren Besuch als digsqualifizirend für die Ausübung des geistlichen Amtes angesehen werden soll, und zweitens will das Rmendement die wissenschaftliche Staatsprüfung nicht etwa einer anderweitigen Orga⸗ gl en überlassen, sondern einfach aufheben. Meine Herren, diese assung: „Das für Bekleidung eines geistlichen Amtes im 9 vom

11. Mai 1873 SS. 4 und 8 vorgeschriebene Erforderniß der A legung

einer wissenschaftlichen Staatsprüfung ist aufgehoben.“

Das ist so geistig der rothe Faden, der überhaupt durch die ganzen Amendements der Herren hindurch geht. Sie wollen nicht mildern, besänftigen, modifiziren, ste wollen aufheben und zwar wollen sie aufheben in einer Weise, daß, wenn diese Amendementg angenom⸗ men werden, bei Licht besehen, von unserer kirchenpolitischen Gesetz⸗˖ gebung nichts mehr übrig bleibt. (Sehr richtig! im Centrum.)

Ja, da erlauben Sie mir mit der Frage zu erwidern auf Ihr „Sehr richtig!“, ob Sie das wirklich bei der gegenwärtigen Situation für den richtigen Weg halten, es der Regierung möglich zu machen, den religiösen Bedüärfnissen unserer katholischen Mit— bürger wirklich in der Weise entgegenzukommen, wie ie es beabsich⸗ tigt, Meine Herren, ich will, dabei gleich einschalten, unfer Ver— häͤltniß zum Centrum ist in dieser Frage wirklich für ung nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende für uns ist unsere Ueber⸗ jeugung, daß wir es nicht mit dem Centrum, sondern mit unseren katholischen Landsleuten zu thun haben, denen wir gerne helfen möchten. Der Hr. Abg. Reichensperger hat in der Generaldebatte geäußert: wir fürchten, in der Vorlage liegt ein ganz verhängniß— voller politischer Hintergedanke, man will uns vernichten, wenn man kann. Nun, meine Herren, so gewaltsam sehe ich die Sache nicht, an. Kommt, die Vorlage, zur Annahme mund Wirksamkeit, ja dann knüpfe ich allerdings an ihre weitere Ent⸗ wickelung auch einen politischen Wunsch, es ist nicht der Ver a ichtung des Centrums, sondern des allmählichen Verduftenz. Ih bitte um Entschuldigung, wenn ich in diefer ernsten Sache vielleicht eines zu Modus mich bedient habe; ich habe damit dem Gedanken Ausdruck geben wollen, den der Hr. Abg. Reichensperger damals selbst andeutete. Er sagte ausdrücklich: schaffen Sie doch den Kulturkampf aus der Welt, dann werden wir verschwinden, denn und das setze ich hinzu eine Partei lebt von dem Element, auf welchem sie sich aufgebaut bat, und wenn dieses Element ein mal verschwunden ist, dann zerbröckeit sie, meine Herren, das ist meine politische Hoffnung, die ich als ehrlicher Mann vor Ihnen offen ausspreche, und welche ich an diese Vorlage knüpfe, ob sie sich erfüllen wird, in welchem Maß, wann sie sich erfüllen wird, das sind alles Vinge, die über den Horizont der heutigen Debatte gehen. Also, meine Herren, daz Amendement

des Abg. Brüel, welches diese beiden wichtigen Be⸗ standtheile aus dem Artikel 1 bergusbringt, ist ein solches welches fich se charakterisirt, daß es sich dirert gegen die Vorlage richtet. Deshalb muß ich mich selbstverständlich dagegen erklären. Sodann siegt das Amendement des Hrn. von Bandemer und Genossen vor, welches in vier nicht unwesentlichen Punkten von der Re lerungs. vorlage abweicht.! Ich will noch gleich einfügen, der Hr. in Br. Kröcher ist die Motivirung des Amendements mir eigenflich schuldig geblieben. Er sagt, ich bin im Grunde mehr für die Regierungs⸗ vorlage, was ich dankbar acceptire; das Amendement ist mehr ein taktisches, wir hoffen damit das Zustandekommen der Vorlage erleich⸗ tern zu können. Auch das acceptire ich dankbar. Aber ich glaube, das darf mich nicht der Pflicht entheben, auf den, foweit ich ver⸗ stehen kann, in dem Amendement liegenden Gedanken meinerseits mit kurzen Worten einzugehen.

In vier Beziehungen weicht das Amendement von der Regie⸗ rungsvorlage ab. Erstens soll ausdrücklich die Anzeigepflicht darin erwähnt werden. Nur diejenigen Geistlichen' sollen dig— pensirt werden können von den gesetzlichen Erforderniffen der Vorbildung, welche nach Maßgabe des Gesetzes vom 11. Mai 1873 von den geistlichen Oberen dem Ober⸗Präsidenten be⸗ nannt sind. Daß ich materiell gegen diesen Zufatz nichts einwenden ann und will, werden Sie nach meiner Ausführung bei der ersten Berathung völlig begreiflich finden. Es ist ja ausdrücklich von mir hervorgehoben worden, daß die Regierung in dieser Vorlage keinen einigen Artikel vorgeschlagen hat, welcher die Befugniß, von den Vorschriften des Art. 15 und folgende des Gesetzes vom 11. Mai 1873 zu dispensiren, irgendwie in Anspruch nimmt. Alfo die Regie⸗ rung hat, wenn die Vorlage zu Stande kommt, gar nicht das Recht ich betone dag, meine Herren, irgendwie Geistliche von dem Et— fordernisse der Benennung zu dispensiren. Von diesem Gesichts⸗ punkte aus, sollte ich meinen, wäre es nicht erforderlich, diese Klausel in den Art. 1 hineinzubringen. Es ist ja eine allgemeine Erfahrung bei Amendements, die nicht recht in einen Satz hineinpassen, sondern aus einem entlegenen Winkel des Gesetzes hineingezogen werden, daß in Folge dessen eine Fassung gewählt wird, die auch wieder zu Zwei⸗ feln Veranlassung giebt. Wenn gesagt ist: Diejenigen, welche von geistlichen Oberen den Ober Prästdenten in Gemäßheit des Gesetzes vom 11. Mai 1875 ernannt sein werden, so ist das eigentlich eine etwas elliptische Redeweise, es müßte, wenn der Gedanke ganz in seiner Konsequenz ausgesprochen werden sollte, hinzugefügt werden „und gegen deren Ernennung kein Einspruch erhoben fein wird“, denn die bloße Thatsache der Ernennung ist nicht das Entscheidende, wie ja der Hr. Abg. Gneist vorher ausgeführt hat, sondern es muß kein Einsprnch erhoben sein. Alfo, wenn die Herren ung ganz sicher stellen wollen gegen jedes Mißverständniß, so würde ich anheim— geben, noch diese Worte hinzuzufügen, wenn sie nicht ganz da auf verzichten wollen, die Klausel hineinzunehmen, was ich fur das Beste halte.

Ferner soll die Befugniß der Regierung beschränkt werden auf Amtshandlungen, die sie im Grenzdistrikte vornehmen wollen, und das soll der Minister der geifstlichen Angelegenheiten gestatten. In Erwartung dessen, daß das noch näher motivirt werden wird, will ich meinerseits doch bemerken, daß die Regierung darauf einen nicht unerheblichen Werth zu legen hat, die Dispensbefugniß auf diesem Gebiete in einem weiteren ÜUmfang in Anspruch zu neh— men, wie das Amendement von Bandemer und Genossen es uns gestattet. Ich gebe ja zu, die Vornahme von Amts handlungen durch Ausländer hat auf den ersten Blick etwas Bedenk— lichez, und die Möglichkeit, zu dispensiren, wird ja nur deshalb von uns in Anspruch genommen, weil wir annehmen, daß ein anerkanntes Bedürfniß dafür vorhanden ist. Dieser Punkt ist zwar nicht funda— mental, aber ich sollte meinen, Gründe dafür müßten doch auch erst beigebracht werden, ehe die Regierung sich entschließen kann, von ihrem wohlerwogenen, weitergehenden Vorschlag Abstand zu nehmen.

Nun komme ich aber zu dem wesentlichsten Theil des Amendements von Bandemer und Genossen, nämlich zu dem Theil, welcher nicht darin steht. Das ist nämlich der Fortfall der Nr. 3 des Artikel 1. Wenn der Staat das Recht und die Pflicht hat, positio dafür zu sorgen, daß diejenigen Religionsdiener, welche innerhalb seines Ge— bietes fuagiren, sich mit den nöthigen Wissenschaften und auch mit der richtigen nationalen Gesinnung ausrüsten, dann, meine Herren, glaube ich, wird man nicht umhin können, anzuerkennen, daß dieses Gebiet auch seine negative Seite hat; ebenso wie der Staat etwas. Positives in Bezug auf die Ausbildung fordert, muß er das Recht für sich in Anspruch nehmen, gewisse Einflüsse fern zu halten von den jungen Klerikern, denen er gestatten will, im Auftrage der Kirche das Wohl der Gläubigen wahrzunehmen. Und nun, meine Herren, ist es notorisch, und es ist ganz vergebens, sich dagegen zu sträuben, daß es im Auslande geistliche Bildungs⸗ anstalten giebt, welche ich will garnicht einmal davon sprechen, ob im streng kurialistischen, oder gar jesuitischen Bildungsgange sich bewegen, sondern welche einen entschieden antideutschen Sinn in ihren Zöglingen pflegen, und wenn nun die Uebergangsperiode, der wir ja jetzt auf diesem Gebiete entgegengehen, die Zahl der jungen Leute, welche, durch die Macht der Ümstände getrieben, ins Ausland ge⸗ gangen sind und da ihre Studien gemacht haben, naturgemäß viel größer sein wird, als in normalen Verhältnissen, so tritt für den Staat allerdings das Bedürfniß hervor, eine Klaufel in das Gesetz zu bringen, die früher nicht in dem Maße nothwendig war und des⸗ halb bel der Redaktion der Maigesetzgebung einfach ignorirt werden konnte und durfte. Das ist der einfache Gedanke, der dieser wie ich anerkenne vorhandenen Erweiterung der Maigesetzgebung zu Grunde liegt. Etwas so überaus verzweiflungsvolles, wie es namentlich in der Kommission behauptet worden ist heute haben wir es noch nicht gehört von den Herren im Centrum, man ist sogar so weit ge⸗

angen, es für ein Attentat gegen die Freizügigkeit zu erklären, in im Centrum: Das ist nicht gesagt worden!) oder etwas ähnliches (Ruf im Centrum: Nein, auch nichts ähnliches! Reine Uebertreibung als wenn man es etwas Intolerables, als ein Attentat gegen die Freiheit ansehe. Meine Herren, die Freiheit, sich zu bilden, hat Jeder, wo und wie er will, aber die Freiheit, sich zu bilden für einen bestimmten Staatszweck, hat nicht Jeder, sondern der Staat hat mit darüber zu entscheiden, wie weit er im Stande ist, diese Freiheit anzuerkennen. Ich glaube, es ist kein Unterschied zwischen meiner Anschauung und derjenigen, die Herr von Schorlemer⸗ Alst mir durch seinen Zuruf kundgab, ich nehme das Wort „Frei⸗ zügigkeit: zurück, ich habe es so im Gedächtniß gehabt, ich glaube, es kommt faktisch auf dasselbe heraus.

Also ich sage, dieser Absatz 3, der bisher kein dringendes Bedürfniß war, ist es geworden für die Uebergangs periode, weil die Zahl der im Autlande gebildeten jungen Geiftlichen, mit denen wir uns in nächster Zeit zu beschäftigen haben werden, viel größer ist als die Zahl dersenigen, die früher auf ausländischen An⸗ stalten studirt haben. Und es kann ja Jemand alle positiven Er fordernisse der geistlichen Vorbildung, Gymnasten triennium acade- micum, Staatsexamen absolpirt haben und doch an einer solchen Anstalt mit einem solchen Geiste sich erfüllt haben, der für elne er⸗ sprießliche Strebsamkeit im Inlande sehr bedenklich ist, und der halb nimmt die Regierung das Recht in Anspruch, diese Klausel in das i, , . .

keine Herren, ich will hier vorläufig abschließen, ich werde viel⸗ leicht noch von anderer Seite provozirt werden, das Wort zu neh— men und will Sie nur bitten; nehmen Sie den Artikel 1 an, und errichten Sie damit wenigstens das Fundament für die Möglichkeit des Zustandekommens einer guten und brauchbaren Vorlage.

Der Abg. Strosser erklärte sich für Artikel 1 der Vor— lage. Er hätte es lieber gesehen, wenn statt der Vorlage über die diskretionäre Gewalt eine solche über die Abänderung der Maigesetze selbst an das Haus gekommen wäre. Die Ver— rn wären dann viel einfacher und klarer gewesen, doch

ei der jetzigen Lage der Dinge nach einem achtjährigen Kampfe, und nach der Stellung der maßgebenden Personen

zu demselben, verkenne er die Schwierigkeiten nicht, welche

sich der Wahl des besseren Weges entgegenstellten. Weil aber auch diese Vorlage ein Schritt zum Frieden sei, eine Abschlagszahlung auf die Bestrebungen seiner Partei, würden er und seine politischen Freunde mit Freuden für dieselbe stimmen, denn sie beseitige viel Unheil, das der Kulturkampf in der katholischen Kirche angerichtet habe. Er habe zu der Person des jetzigen Kultus Ministers das Vertrauen, derselbe das Gesetz loyal nach seinem Wortlaute ausführen werde, und deshalb schwänden manche seiner Bedenken, die er sonst gegen die Vorlage hätte. Es sei allerdings in der preußischen Gesetzgebung noch nicht dagewesen, daß man es dem Ermessen der Regierung überlasse, ob sie eine Reihe von Gesetzen an⸗ wenden wolle oder nicht und ein solches Verfahren fei anz verschieden von dem österreichischen System, welches das anten in kirchenpolitischen Dingen ohne den Erlaß von Gesetzen überhaupt dem Ermessen der Verwaltungsbehörden von vornherein überlasse aber aus den Irrgängen der Mai⸗ gesetzziung komme man durch die Gesetzgebung allein nicht heraus, sondern in vielen Punkten sei dazu die Mitwirkung der römischen Kurie nothwendig, und um ein Einverständniß mit dieser zu erzielen, sei es nothwendig, der Regierung für eine bestimmte Periode die diskretionäre Gewalt einzuräumen. Das könne man aber um so leichter, als die zur Ausübung derselben berufenen Personen genau bekannt seien. Er könne nicht, wie der Abg. Gneist die Regierung von aller Schuld für das Entbren⸗ nen des Kulturkampses freisprechen, weil auch hier für ihn die Personenfrage allein maßgebend sei. Hätte man in den Jahren i871 bis 1853 den Kultus-Minister von Puttkamer gehabt so wäre die Maigesetzgebung gar nicht gekommen oder do wenigstens in anderer Weise, dagegen hätten noch die letzten beiden Reden des Abg. Falk gezeigt, von welchem Kultur⸗ kampffeuer derselbe beseelt sei Der Abg. Gneist wasche heute mit einer Ungenirtheit ohne Gleichen seine Hände in Unschuld, und doch habe seine Partei bei der Veranlassung des Kukltur— kampfes eine große Rolle gespielt. Das Referat des Abg. Gneist über die Klostersturmfrage habe eines der ersten Mo— mente des Kulturkampfes gebildet. Die Erörterung der Schuld— frage habe aber jetzt gar keinen Werth, er freue sich, daß die Regierung zur Beseitigung der schweren Folgen dieses Kampfes Vorschläge mache und trete ihr darin mit Freuden bei. Der Abg. Gneist habe sich am 29. Mai über die Eile der Regierung gewundert, zum Frieden zu kommen dazu sei es hohe Zeit gewesen der Abg. Gneist hätte sich mit mehr Recht über die Schnelligkeit wundern sollen, mit welcher seine Partei da— mals durch Schlußanträge die Gegner mundtodt gemacht habe, um die Kulturkampfgesetze nur möglichst schleunig zu Stande zu bringen. Mit rasender Eile seien die Gesetze vom 11. 12. und 13. Mai auf einander gefolgt sie seien wunderbar erade auf Pankratius, Servatius und Mamertus gefallen ö hätten viele Blüthen auf dem Gebiete der Kirche zerstört und man könne Gott danken, daß die Regierung jetzt im Juni ein Gesetz mache, wo alle Blüthen fröhlich aufspraͤngen. In den Maigesetzen greife auch der Staat in mancher Hinsicht auf das Gebiet der Kirche über, sonst hätte man sich auch kirchlicherseits manches gefallen lassen und der Kulturkampf wäre nicht entbrannt, aber diese Gesetzgebung in ihrer Ge— sammtheit habe die katholische Kirche nicht acceptiren können. Sie hätte gegen dieselbe nach dem Landrecht das Recht des passiven Widerstandes, welches der Abg. Gneist vollständig ignorire. Sie habe die Folgen dieses Widerstandes in opfer— muthiger Weise getragen. Er könne den Satz nicht zugeben, daß der Staat berechtigt sei, auch auf rein kirchlichem Gebiete in voller Autonomie vorzugehen, selbst nicht, wenn das nach, den Grundsätzen der Billigkeit und Gerech⸗ tigkeit geschehe. Das sei eine Falksche Theorie. Die Kirche habe aber auch dem Staate gegenüber ein in acht⸗ zehn Jahrhunderten in heißen Kämpfen errungenes historisches Recht und wie man die unveräußerlichen Rechte des Staates vertheidigen müsse, so müsse dasselbe in Bezug auf die Kirche geschehen. Er habe nie solche Phantasien über die Kirche vor⸗ bringen hören, wie in der ersten Lesung von dem Abg. Vir— chow. Derselbe habe kein Verständniß für die historische Ent⸗ wickelung der Kirche, sie sei demselben ein veralteter Bau, zum Abbruch bestimmt, den derselbe in seine einzelnen Atome auflösen wolle, um dann daraus Gemeinden zu bilden. Wie bei der Vielköpfigkeit der Meinungen diese Gemeindebildung erfolgen solle, habe der Abg. Virchow bisher nicht gesagt. Derselbe sei eine weltberühmte Autorität auf dem Gebiete der Medizin und der Naturforschung, über die Kirche habe derselbe aber ganz wunderbare Ideen, da leide derselbe an Farben⸗ blindheit; was für seine (des Redners) Partei farbenprächtig er⸗ scheine, das sehe derselbe nur grau. Vie politischen Gesinnungs⸗ genossen des Abg. Virchow in Genf exerzirten bereits seine Ideen, diese armseligen Epigonen einer großen Vergangenheit nennten es bereits eine Schmach, wenn man Genf, als die Stadt Kal⸗ vins bezeichne. Der Abg. Dr. Virchow habe sich auch merk— würdig widersprochen, wenn derselbe in dem klaren, ener⸗ ischen Stil der veröffentlichten Depeschen die Feder des rm Bismarck erkannt habe, dagegen die unker dessen

Auspizien unzweifelhaft ausgearbeitete Vorlage als ein schwäch⸗ liches Machwerk bezeichnet habe. Der Abg. von Bennigsen habe in der ersten Lesung die Rückkehr der abgefetzten Bischöfe als eine schwere Niederlage des Staates bezeichnet. In seiner Heimath, der Diözese Münster, würde man ein solches Resultat dagegen mit der größten Freude begrüßen. Die evangelische Kirche erhoffe von der Beendigung des

Kulturkampfes die Anerkennung ihres Rechts an der Schulaufsicht, die Beseitigung des Civilstandsgesetzes, die Emanzipation der Kirche von den Meinungen der wechseinden Kultus-Minister und die Aufhebung des kirchlichen Gerichts— hofes oder wenigstens die Uebertragung seiner staats⸗ rechtlichen Befugnisse auf das Staats⸗Ministerium. Die heutige Rede des Abg. Dr. Gneist sei voll von So⸗ phismen. Um die formale Anzeigepflicht wäre kein Kampf entbrannt, aber mit den dehnbaren Bestimmungen der j 15 und 16 des betreffenden Gesetzes, mit dem Minister Falk an der Spitze und den ihm genehmen Beamten im Lande hätte die katholische Kirche mit der Acceptirung dieser Pflicht den größten Theil ihrer Selbständigkeit aufgegeben. Der Wort⸗ laut der betreffenden Gesetzgebung anderer Länder fei auch viel

milder und die Gesetzgebung selbst sei im Einverständniß mit

der Kurie zu Stande gekommen. Hätte die preußische Re⸗ erung seiner Zeit denselben Weg eingeschlagen, so hätte man einen Kulturkampf gehabt. Der Abg. Gneist sage, die Katho⸗ liken respektirten die preußischen Gesetze erst, wenn sie von Rom dazu autorisirt würden. Das gelte nur von Gesetzen, die sich auf ihre Kirche bezögen, nicht von solchen, die rein weltliche Dinge beträfen. Ver Zweck des Amendements von Bandeiner zu Artikel 1 sei, die Vorlage auch anderen Theilen

des Hauses annehmhar zu machen. Die Nothwendigkeit der Anstellung ausländischer Geistlicher im Innern des Landes . die Regierung auch in der Kommission nicht be⸗ sonders betont. Im einzelnen Falle könne die Regierung sich ja durch Verleihung des Indigenats helfen. Er bitte das Centrum, bis zu einem bestimmten Termine die dargebotene Hand der Regierung bei dem jetzigen schweren Nothstand, so⸗ weit sein Gewissen es erlaube, zu ergreifen; diese Vorlage fei ein Uehergangsstadium zum definitiven Frieden. Wenn das Redressiren zu weit gethaner Schritte ein Gang nach Canossa sei, dann wolle er alle Tage dahin. Dem Geschrei in der Presse und in Versammlungen darüber brauche eine Regie⸗ . und ein Staatsmann auch nicht fünf Minuten Aufmerk⸗ samkeit zu schenken.

Der Abg. Dr. Bruel erklärte sich gegen Art. 1 der Vor— lage und befürwortete seinen Antrag. Ber Abg. GIneist habe nur seine früheren Ausführungen wiederholt, nach denen man sich wundern müsse, wie milde der Staat bisher gegen die Kirche verfahren sei. Er (Redner) befinde sich in erfreulicher Ueberein⸗ stimmung mit den Prinzipien des Abg. Strosser; doch meine er nicht, daß der nothwendige Friede mit der Annahme dieser Vorlage da sei. Diese biete der katholischen Kirche nur die Möglichkeit von vorn anzufangen, und erst wenn sie die im Kulturkampf eingenommene Haltung gänzlich aufgebe, würde man in Preußen den Frieden haben, sonst noch nicht. Er spreche durchaus vom protestantischen Standpunkt; die katho⸗ lischen Mitglieder des Centrums seien daher für feine An⸗ träge nicht verantwortlich, wie der Kultus-Minister meine. Er habe wohl auch in der Kommission bewiesen, daß er nicht das Mundstück des Centrums sei, . selbständig denke. Als Evangelischer sehe er auch auf das Interesse der evan⸗ gelischen Kirche, das bisher in den Verhandlungen nicht zur Sprache gekommen sei, obwohl auch hier eine Ab— hülfe dringend nöthig sei. Nur sehe 'er nicht wie andere Evangelische den Papst als den Antichrist an; durch das Studium der Geschichte und die Erfahrung habe er sich überzeugt, daß in der katholischen Kirche ein christlicher Geist und ein. christliches Leben reiche Früchte trage. Dem sollten die Protestanten nacheifern, eingedenk des Spruches; „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ In den letzten J habe man nun in Preußen die katholische Kirche unter Polizeileitung zu bringen gestrebt; das sei der Grund der Feindschaft gewesen. Diese Stellung gezieme der katholischen Kirche nicht. Ein großer protestantischer Staats⸗ mann sage, der Staat dürfe mit den großen sittlichen Hülfs— mitteln, die ihm die Kirche biete, nicht handeln, wie mit ver— dächtigen Hülfstruppen; man müsse sie nehmen, wie sie sei, ohne sich ihr zu unterwerfen, aber auch ohne den Anspruch, sie sich zu unterwerfen, ohne ihr Alles zu überliefern, aber auch ohne mit ihr unaufhörlich über ihr Theil zu feilschen. on diesem Standpunkt aus, hätte er gehofft, würde die Vorlage die Maigesetze reyidiren. Darauf schienen ihm auch die Worte des Ministers in der ersten Berathung von der politisch⸗moralischen Verantwortlichkeit zu deuten. In der Morddeutsch. Allg. Ztg.“ sei mit Recht bemerkt, alle Konzessionen, die der katholischen Kirche ohne Schädigung der staatlichen Autorität gemacht werden könnten, müsse man ohne Rücksicht auf die vom Papst gemachten Konzessionen gewähren. Aber alle diese schönen Worte seien unausführbar, wenn man, wie der Minister heute gesagt habe, im Wesentlichen auf deni alten Standpunkt beharren wolle. Es bedürfe einer durch⸗ greifenden Revision der ganzen Kirchengesetzgebung, nament⸗ lich auch der Ehe⸗ und Standesgefetzgebung. Man solle sich auf den Standpunkt der österreichischen Geseze stellen, die sich nur auf das erstreckten, was Sache des Staates sei, die Vermögensverwaltung, aber die Ausübung der geiftlichen Funktionen ganz unberührt lasse, so daß ein Gewissens— wang nicht stattfinden könne. Der Verwaltung sei in

esterreich nur das überlassen, was zur Ausführung jener das eigentliche Staatsrecht betreffenden Be— stimmungen diene. Aber auch jenes Recht könne die Staats⸗ gesetzgebung nicht selbst schaffen, sie könne es nur fixiren. Ein Einverständniß mit der römischen Kurie sei vor dem Erlaß dieser Gesetzesrevision nicht nöthig, im Gegentheil sei es besser, daß die Regierung sich auf Grund der vollendeten Thatsachen nachher über die Einzelheiten mit dem Papst und den Bischöfen verständige; dann könne die Kurie auch von der Regierung nicht Konzessionen verlangen, die ihr nicht gewährt werden könnten. Die Meinung, daß es sich hier nur um temporäre und Uebergangsbestimmüngen handle, habe der Minister heute widerlegt. Wenn aber die Vorlage ein Definitivum sei, was habe sie denn für dauernde Milderungen? Nur die sehr ge⸗ ringe des Art. 10 und die mehr theoretisch als praktisch wich—⸗ tige des Art. 3. Alles Andere sei nur die Beibehaltung der alten Bestimmungen und die Nr. 38 des Art. J sei sogar eine Verschärfung derselben. Die den Motiven beigedruckten Depeschen bewiesen, daß man die politische Stimme des Centrums mit der Gewährung weltlicher Vortheile kaufen wolle. Das dürfe man gegenüber dem Egoismus, aber nicht wenn man Idealen gegenüberstehe, der Begeisterung für den christlichen Glauben und wahrhaft christlicher Gesin⸗ nung. Aus Unterschätzung dieser idealen 6. sei der Kulturkampf hervorgegangen; derselbe könne nur enden, wenn der Reichskanzler diesen Idealismus zu würdigen wisse. Er sei für Verwerfung der ganzen Vorlage, wie sie jetzt sei, aus kirchlichen und mehr noch aus staatlichen Rücksichten; ihr Er⸗ folg werde nur sein, daß statt des regelrechten Krieges jetzt der Guerillakrieg an die Reihe komme, der illoyalste und er⸗ bittertste aller Kriege. Von dem, was die Regierung eigent⸗ lich wolle, bleibe dabei nichts. Inwiefern die Vorlage durch Verbesserungen annehmbar werde, werde man am Schlusse der Verhandlungen sehen. Mit dem Abg. von Bandemer sei er darin einverstanden, daß die Nr. 3 des Art. !] beseitigt werden müsse, aber es bedürfe der gänzlichen Abschaffung des Kulturexamens, das auch den eyangelischen Geistlichen nur unnütze Mühe und Kosten mache. Wenn es der Regierung da⸗ mit Ernst sei, so müsse sie seinen Vorschlag annehmen; wenn sie aber nur die Vollmacht dazu erhalte und es nicht thue, so werde Niemand die katholischen Abgeordneten für ihre Ab⸗ stimmung verantwortlich machen, sondern die Verantwortung werde bei der Regierung bleiben. . ̃

Der Abg. Schmidt (Sagan) bemerkte, er beschränke sich nach den erschöpfenden Darlegungen der sechs Vorredner auf die Klarstellung des Standpunktes seiner politischen Freunde und weise nur einen Angriff des Abg. Reichensperger auf seine Fraktion zurück. Der Abg, Reichensperger sei der An⸗ sicht gewesen, daß durch die Freiheit, anders zu denken, wie die Regierung, man sich dem Vorwurf der Reichsfeindlichkeit aussetze. Er sehe darin nur einen Beweis, wie leicht und gern der Mensch von sich auf Andere schließe. Der Abg.

Reichensperger und seine Freunde seien gewohnt, von Rom aus die Direktive zu empfangen und ihr unweigerlich Folge zu leisten, es setze das Centrum deshalb in das höchste Erstaunen, daß seine Partei es unternehme, mit selbständiger Kritik der Vorlage gegen⸗ über zu treten. So lange er den Vorzug habe, dieser Fraktion anzugehören, wisse er nicht anders, als daß sie steis und in allen Beziehungen allen Vorlagen gegenüber vollkommen selbst⸗ ständig und unabhängig aufgetreten fei, und seine politischen reunde, die die Ehre gehabt hätten, in die Kommission zu ommen, seien lediglich den alten Traditionen seiner Partei gefolgt, indem sie es als völlig selbstverständlich erachteten, dieser Vorlage gegenüber so zu handeln, wie es die sachliche Noth⸗ wendigkeit und Zweckmäßigkeit, die Ehre es erfordere. Seine Partei befinde sich mit der Regierung in Uebereinstimmung hinsichtlich des wichtigsten und fundamentalsten Punktes, der Erfüllung der Anzeigepflicht und der mindestens that⸗ sächlichen Unterwerfung unter die Gesetze; dies sei die Jonditig sine qua non, und hier stimme er auch mit den Konservativen überein. Das sei der große Vor⸗ theil der bisherigen Berathungen, daß alle Parteien mit Ausnahme des Centrums über diese Konditio einig seien, und er hoffe, daß die Regierung unbeirrt auf diesem Stand⸗ punkte stehen werde. Er habe ferner gewünscht, daß die unbedingt gestattete Zulassung ausländischer Geistlichen auf die Grenzdistrikte eingeschränkt werde; auch hier hätten die Konservativen den Wunschen seiner Partei Rechnung getragen. Das Amendement Brüel gehe dagegen gar zu weit. Die Nummer 3 der Vorlage betrachte er als ein nothwendiges Korrelat zur Nr. 1, und die Konservativen vergäßen, wenn sie sich gegen Nr. 3 erklärten, daß Nr. I positive Milderungen herbeiführen würde. Er sollte meinen, in einem solchen Falle sei es angethan, der Regierung zu vertrauen. Er bemerke nur, daß seine Partei, um die Annahme der Nummer 3 zu ermöglichen, es für nothwendig befunden habe, seinem Antrage insofern eine kleine Aenderung zuzufügen, als er sich dem Antrage von Bandemer anpasse und zu deniselben den Unterantrag stelle, jenem Antrage die Nummer 3 der Regierungsvorlage beizu⸗ fügen. Er bitte daher, den Antrag von Bandemer in dieser Fassung anzunehmen.

Vom Abg. Stengel wurde noch eventuell beantragt, dem Amendement von Bandemer die Nr. 3 der Regierungs vorlage hinzuzufügen.

Die Diskussion über 5. 1 wurde darauf geschlossen. Nach einer längeren Geschäftsordnungsdebatte wurde in der Abstimmung der Antrag Brüel zunächst abgelehnt. Darauf wurden die Unteranträge von Cuny und Stengel zum Antrage von Bandemer (letzterer mit 205 gegen 183 Stimmen) abgelehnt; vom Antrage Stengel wurde der die Nr. 1 betreffende angenommen; die Nr. 3 der Regierungsvorlage wurde dem Antrage Stengel gemäß gestrichen, dagegen wurde die von demselben Abgeord⸗ neten beantragte Wiederaufnahme der Nr. 3 abgelehnt. Nach diesen eventuellen Abstimmungen wurde nunmehr definitiv über den Antrag von Bandemer und über die durch den Antrag Stengel veränderte Regierungsvorlage abgestimmt, die nunmehr beide identisch waren; der Antrag von Bandemer wurde darauf abgelehnt; ebenso wurde der amendirte 8. I der Regierungsvorlage mit 206 gegen 180 Stimmen abgelehnt, worauf sich das Haus um 51/9 Uhr vertagte.

Statistische Nachrichten.

Ueber die Ergebnisse der bei der Reichs⸗Post. und Telegraphenverwaltung bestehenden gemeinnützigen und Wohlthätigkeitsanstalten für das Etatsjahr 1875 89 bezw. das Kalenderjahr 1879 enthält das Amtsblatt des Reichs Postamts⸗ folgende Mittheilungen:

Die Kgißser: Wilhelm - Stiftung für die Angehörigen der Deutschen Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung hatte im Etats⸗ jahr 1879— 89 99 957 . Einnahmen (77 4ę5 ½ 39 8 aus Ge— schenken, 20 370 M 76 3 aus Zinsen) und 99 199 Ausgaben (2400 S Reisestipendien, 480 Studienstipendien, 16785 0 Unterstützungen, 77 215 6 zum Ankauf zinstragender Papiere.) An Bestand verblieben 757 6 66 3. Das Vermögen betrug Ende März 1880 492 90 1M, 85 000 SI mehr als Ende März 1879.

Die Post,Armen⸗ bzw. Unterstützungskasfe hatte Ende März 1880 ein Vermögen von 923 446 M und 128 405 10 Sicherheitsdokumente für 16 gestiftete Freistellen in 3 Waisenanstal= ten. Die Einnahmen beliefen sich auf 534 497 S6. (darunter 200 000 M aus der Postkasse), die Ausgaben auf 508 086 S Bei den Unterstützungen sind berücksichtigt worden: 91 Vorsteher von Postämtern II., 2924 Unterbeamte, 164 Unterbeamte im Vertragg⸗ verhältniß, 1 Posthalter, 1523 Postillone, 459 Wittwen ꝛc. von Vör⸗ stehern von Poftämtern III., 5536 Wittwen 2c. von Unterbeamten, 169 Wittwen 2c, von Unterbeamten im Vertragsverhältniß, 13 Witt⸗ wen ze. von Posthaltern, 843 Wittwen ꝛc. von Postillonen, zusam— men 11513 Personen.

Auf Grund der älteren von der Postverwaltung abgeschlossenen Verträge waren Ende März 1880 2285 Lebensverficher ungen von Unterbeamten der Post⸗ und Telegraphenverwaltung Kber 2513 400 M in Kraft, 156 Versicherungen und 178 800 M mehr als am 1. April 1879, 244 Versicherungen sind bereits mit od 400 é zur Zahlung gelangt. Auf Grund der neueren Verträge waren Ende März 1886 4890 Versicherungen über 15 501021 in Kraft, 362 Versicherungen und 1234 480 M mehr als das Jahr juvor. Im Ganzen hat die Postverwaltung bis Ende März 1556 7I75 noch bestehende Versicherungen vermittelt.

Aus der Postkasse sind zu den Kleiderkosten für Unter- beamte gezahlt worden? für 4417 Briefträger 132 241 M, für 5918 Postschaffner 177 325 „60, für 1612 Postpackettraͤger 45183 M, für 696 Stadtpostboten 20 850 S , für 10786 Landbriefträger 323 191 4, zusammen 701 700 M,

Außerordentliche Unterstützungen sind 5894 Beamten, 13216 Unterbeamten und 2387 Hinterbliebenen von Beamten und Unterbeamten bewilligt worden. 4

Im Ganzen sind im Etatsjahr 1878-79 aus der Kaiser⸗ Wilhelm Stiftung, der Armenkasse und außerordentlich 33 288 Per⸗ sonen unterstützt worden. ö ö

Die Spar⸗ und Vorschußvereine für Beamte der Post· und Telegraphenverwaltung zäblten im Jahre 1879 (von 56721 Beamten) 34 402 Mitglieder (gegen 1878 4. 4001), welche 1715 8558,87 M (4 2760 729,37 M Beiträge zahlten und deren Guthaben sich inkl. Zinsen und Gewinnantbeil auf 5 566 847,61 M C 1016222, 66 AM) belief. Das Vereinsvermögen betrug im Ganzen 5 692 327, 89 M (4 1067 385,64 S6. An Vorschüssen wurden 18 765 (C I022) im Betrage von 3039 239,45 ( 283 488,37 S) be⸗ willigt. Die Reservefonds betrugen Ende 1879 84 494,78 M ( 20 943,04 M) An Zinsen wurden den Mitgliedern 3 Yo gut · geschrieben, außerdem wurden ihnen bis 40 Gewinnantheil gewährt.