1880 / 275 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Nov 1880 18:00:01 GMT) scan diff

Kreis Comité ?, und zwar von Niederbayern: 3) . herr von Crailsheim, Königlicher Kämmerer und Gutsbesitzer ju Amerang (Oberbavern); Ersatzmann: Landtagèabgeordneter Karl Föckerer, Gastwirth und Bürgermeister zu Vilsbofen; Rheinpfalz:

4) Jean Jansen, Gutsbesitzer und Landrath in Harxheim; Ersatz⸗ 5) Landtagsabgeordneter Albin Frhr. v. Vera⸗Cruz.

mann: —; Oberfranken: t Tobeneck, Guts besitzer zu Brandstein bei Hof; Etsatzmann: Dungern, Gutebesitzer auf Oberau bei Staffelstein;

wörth; Ersatzmann.

vier Kreitccmirés die weiteren vier Delegirten zu wählen.)

Gewerbe und Sanden.

(N. A. 3.) In Angelegenheit der l Hamburgs ist an den Herrn Reichskanzler die nachstehende Kund— gebung gerichtet worden:

Durchlauchtigster Fürst, Hochgebietender Herr Reichskanzler! . .

Die Zollanschlußfrage, oder wie man sie zu nennen wohl berechtigt ist die Frage der zweckmäßigsten Begrenzung des hiesigen

Freihafens, wird andauernd der unbefangenen Würdigung entzogen;

sie wird zum Spielball der politischen Parteigetriebe gemacht und so dem Gewirre der Leidenschaften preisgegeben. Insbesondere die Fraktion, welche sich als eine fertschrittliche der Bevölkerung gegen⸗ Über bezeichnet, giebt sich in der beregten Angelegenheit Bestrebungen hin, welche auf nichts Anderes abzielen können, als vermöge der wirthschaftlichen Trennung der Hafenplätze an Elbe und Weser vom

Reiche die Entfremdung dieser Städte von Deutschland in den An—

schauungen und Empfindungen auch auf anderen Gebieten der nationalen Gesetzgebung und sozialen Ordnnng wach zu erhalten, ja bis zu einer immer tieferen Klust zu erweitern. Liberale Sezessto⸗ nisten wirken in der gleichen Richtung. Man hat nicht Anstand ge nommen, auf alle erdenkbare Weise die Meinung zu erre en, die

Pläne der Reichsregierung liefen auf eine Beeinträchtigung der ver—

fassungsmäßigen Rechte der Hansestädte und auf eine Verkümmerung

ihres Wohlstandes hinaus, beziehungsweise sie würden die letztere zur

Folge haben.

Die unterzeichneten Hamburger Bürger und Einwohner hat es tief betrübt, zu gewahten, wie Voreingenommenheit so sehr das Uebergewicht erlangte, daß solche undeutsche Darstellungen auf nicht unfruchtbaren Boden faßen konnten. Angesichts dieser Sachlage ist das Bewuß sein der Pflicht ein immer regeres und innigeres bei uns Aeworden, zur Beruhigung und Aufklärung der Gemüther in unserer Stadt nach Kräften beitragen zu müssen. ;

Es bedarf wohl kaum noch der Versicherung, daß wir unserer⸗ seits von den wohlwollenden Intentionen der Reichtregierung für den Staat, welchem wir angehören, wie für alle anderen Theile des Vaterlandes fest durchdrungen sind. Wir fügen hinzu, daß wir in dem Anschluß der Stadt Hamburg unter Belassung von Freivierteln und sonstigen angemessenen Einrichtungen nicht nur für alle gewerb⸗ liche und in dustrielle Thätigkeit, für Kleinhandel, sowie für Grund⸗ eigenthum wesentliche Vortheile erblicken, sondern auch Gleiches na⸗ mentlich für Import., Export und Großhandel voraussehen, über welche Geschäftsbetriebe ein Urtheil abzugeben, wir durch die in unseren Lebensstellungen gewonnene Erfahrung uns als berufen er— achten dürfen.

Diese unsere Gesinnung wird von einem sehr großen Theil der hiesigen Bevölkerung getheilt, der in seinem Urtheil und in seiner Sympathie für das Vaterland sich durch Verbetzungen nicht hat beirren lassen. Offenkundiger noch würde von Vielen hierfür Zeug niß abgelegt werden, wenn über die Art, in welcher nach erfolgtem Zollanschluß der Stadt der internationale Geschäftsverkehr sich hier wird frei entwickeln können, allseitig klare Vorstellungen henrschten. Zwar vermag vor der ruhigen Erwägung ein Zweifel darüber gar nicht aufjukommen, daß es der ernste Wunsch und Will⸗ der Reichs⸗ gewalten sein und bleiben wird, Vorkehrungen zu bewilligen und zur Ausführung zu bringen, welche auch nach Eintritt Hamburgs in die deutsche Zolllinie dem Welthandel keine Hindernisse auferlegen, ja mehr als dies, welche ihn zu einer weit größeren Blüthe zu ent⸗ falten geeignet sind, als die jetzige Form des hiesigen Geschäfts—⸗ betriebe es vermag. ; .

Ew. Durchlaucht haben hierfür bereits eine schätzbare Gewähr ertheilt, als Sie in Ihrer in der 48. Sitzung des Reichstages vom 8. Mai d. J. gehaltenen Rede aussprachen:

„Mir sind Suggestionen von anderer Seite und aus Hamburg gemacht, daß dieses ganze Freihafenrecht Hamburgs kein Singular recht sei, sondern daß der Art. 34 durch Gesetz, wenn nicht 14 Stim men widersprechen, aus der Welt geschafft werden könne. Ich habe darauf mit großer Bestimmtheit und auch schriftlich nach Hamburg erklärt, daß ich dieser Deduktson nicht beistimmen könne, sondern daß das Recht an den Freihafen nur mit Hamburgs Bewilligung aufhören könne, und daß ich, so lange ich mitzureden hätte, auch darüber wachen würde, daß es nicht eingeschräntt werde auf kleinere Grenzen als diejenigen, welche nothwendig sind, damit es seiner Bezeichnung in vollkommener und loyaler Weise entspreche, ein wirklich voller Freihafen, der allen Evolutionen, die in einem Freihafen vorgenom— men werden sollen, und allem Nutzen, den man von einem Freihafen erwarten kann, entspricht.“ .

Trotz des Gewichtes dieser entschiedenen Erklärung haben jene Ausstreuungen nimmer gerastet, welche Befürchtungen in der Geschäfts⸗ welt darüber hervorzurufen bestimmt waren:

daß dem auf seine richtigen Grenzen beschränkten Freihafen der zellangeschlossenen Stadt nicht die gleiche Beweglichkeit des Verkehrs erhalten bleiben würde, deren Handel, Industrie und Gewerbe gegenwärtig in Hamburg theilhaftig sind, ;

daß ferner die sonstigen Zugeständnisse bezüglich des Zollver fahrens und der Kontrole gewisser, im Zollgebiet für Export ar— beitender Unternehmungen reichsfeitig nicht gewährt werden würden,

und daß endlich die Unterstützungen von Seiten des Reiches unserer Stadt ermangeln würden, die etwa sonst noch zur ersprieß⸗ lichen Durchführung des Zollanschlusses als erforderlich sich erge— ben möchten.

Damit nun diesen eben erwähnten falschen Vorstellungen der Boden entzogen werden könnte, würden wir es ebensowohl im natio- nalen Interesse, wie in demjenigen unserer freien Stadt freudig be— grüßen, wenn wir unseren Mitbürgern eine autoritative Erklärung zur Mittheilung zu bringen vermöchten, welche bezüglich der Trag— weite der schon zuvor gedachten, von Ew. Durchlaucht ertheilten ar dura auch die letzten Einwände auf ihren Unwerth zurück—

rte. x

Durchdrungen von der Absicht, zu unserem Theile beizutragen an der Hinwegräumung der Nebel und Mißverstäudnisse, welche neuerdings zwischen dem großen Vaterlande und unserer zu allen Zeiten treu zu Kaiser und Reich gestandenen Stadt angehäuft wor den sind, wenden wir uns an Ew. Durchlaucht als Denjenigen, wel chem die authentische Interpretation Ihrer Worte vom 8. Mal d. J. zusteht. Wir würden mit hohem Dank jede Mittheilung abseiten Ew. Durchlaucht in dem angedeuteten Sinne entgegennehmen, weil wir damit der guten Sache zu dienen, die Wohlgesinnten zu stärken, die tendenziösen Behauptungen zu entkräften und unseren Behörden den Weg zu erleichtern hoffen dürfen, welcher behufs Regelung und Abstellung des unhaltbaren gegenwärtigen Verhältnisses sich für die⸗ selben als unausweichlich erweisen dürfte.

In der Erwartung einer gefälligen Rückäußerung verharren mit

schuldiger Ehrerbietung

Ew. Durchlaucht geborsamste Joh. Berenberg, Goßler u. Co. Emile Nölting u Co, Import- und Eyportgeschäft. Chr. Aug. Schön in Firma Chr. Aug. Schön, Import und Exportgeschäft. Albertus von Ohlendorff in Firma Ohlendorff u. Co. Kommerzien⸗ Rath Alexander in Firma Ad. Alexander u. Co. Theodor Wille, Kaufmann und Rheder. Alexan—

3) Krafft Frei

r, v. Schwaben und Neuburg: 6) Frhr. v. Welser, Gutsbesitzer zu Rambof bei Dongu· (Die Zahl der gewählten Delegirten entspricht der Zahl der Stimmen Baverns im Bundesrath; für jede Wahl. periode sind vom Generalcomits zwei und nach dem Turnus von

Herrmann u. Co. Manila. ggeschäft.

Frei hafen stellung

der Oetling in Firma Alexander Oetling u. Co. C. Pfennig, Associs der Firma C. Pfennig, Groß⸗ und Exporthandel in deutschen Tuch⸗ und Wollenwaaren. Eduaid Ringel. Associs der Firma Eduard Ringel u. Co., Export. und Kommissionsgeschäft. J. C.

Schemmann, Associs der Firma Schulte und Schemmann. M. Bonne, Exporteurassocis der Firma Bonne, Struck u. Co. in Mexiko und

Heinr. Pfeiffer, Iwmport⸗Agentur ⸗Geschäft. Otto de Voß. J. Rieper, Inhaber der Firma Pape u. Rieper, Großbandel in Gold und Silberwaaren deutschen Fabrikats und Fabrik im Zollverein. J. F. Firgau, Agent für deutsche Fabrikanten. J. Löwenbelm, Import und Export. Joh. Arn. Moll in Firma P. D. Mell u. Co. Otto Goetz in Firma Ludw. Cramer. Cramer in Firma Ludwig Cramer. Röper u. Messerschmidt. M.

A. Herrmann in Firma Parr, Herrmann und Co, London, Tilsau, P. G. Buhrow, Import⸗ und Export⸗ Heinrich

Traugott Söllner u. Co., Cigarrenfabrikanten.

Drüsdau, Handlung mit nordischen Produkten, Thran ꝛc. Ferd.

Plate, Agent. Sally, Horschitz. R. Liefmann Söhne, Produkten⸗

geschäft. Rudolpb Liesmann. Ferdinand Pfennig in Firma C.

Plennig. Gustav und Carl Meyer, Texpich⸗ und Möõbelstoff . Lager.

Meißner u. Sohn, Leinenlager. Georg Oetlinz in Firma Detling Gebrüder.

Hamburg, den 31. Oktober 1880.

Der Reickskanzler Fürst von Bismarck hat die obige Eingabe mit dem nachstehenden Schreiben beantwortet:

Friederichsruh, den 15. November 1880.

Mit verbindlichstem Danke habt ich das von Euer Hochwohl— geßoren und von anderen der hervorragendsten Hamburger Firmen an mich gerichtete Schreiben vom 31. v. Mts. erhalten und mich gefreut, darin den Autdruck derselben nationglen Gesinnung zu erkennen, welche mich in meiner Amtsführung leitet. Als erste Aufgabe des Reichskanzlers betrachte ich die Befestigung der nationalen Einheit im Sinne der Reichs verfassung und die Förderung derselben auf allen Gebieten der Politik, auch auf dem wirttschaftlichen. Ich halte für meine Pflicht, die Verwirklichung des Artikels 33 der Reichsverfassung anzustreben, nach welchem Deutschland ein Zeoll⸗ und Handelsgebiet bilden soll, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze. Aber in gleichem Maße fühle ich mich auch dafür verantwortlich, daß die dem Kaiser nach Artikel 17 zustehende Ueberwachung der Aut führung der Reiche gesetze den Rechten Schutz gewähre, welche der Hansestadt Hamburg nach Artikel 384 der Verfaffung zustehen. In diesem Sinne bestätige ich gern, Ihrem Wunsche entsprechend, auch heute die Aeuße⸗ rung, welche ich in der Sitzung vom 8. Mai d. J. im Reichstage gethan habe.

Ueber die Grenzen, welche für den Freihafen Hamburgs erfor— derlich sind „damit derselbe dem Begriff eines Freihafens in loyaler Weise entspreche', steht dem Bundesrathe die Entscheidung zu; meine Mitwirkung an derselben aber wird stettz der Ausdruck der Gefinnung und des Pflichtgefühls sein, kraft deren ich für die Förderung des Wohlstandes der Hansestädte und die Wahrung ihrer verfassungs— mäßigen Rechte mit derselben amtlichen Gewissenhaftigkeit und der⸗ selben landẽmannschaftlichen Theilnahme einzutreten habe, wie für die Interessen eines jeden anderen Theiles des Reiches, meine engere Heimath nicht ausgeschlossen. Hierauf wird die Frage, oh die Hanse städte früher oder später nach Artikel 34 der Reichsverfassung ihren Einschluß in den allgemeinen Zollverband beantragen, stets ohne Ein— fluß bleiben.

Sollte Hamburg den Zollanschluß seiner bisher ausgeschlossenen Gebietetheile selbst beantragen, so werde ich jedes zuläͤssige Entgegen⸗ kommen des Reiches befürworten, um diefe Entschließung und ihre Ausführung zu erleichtern. Das Reich hat, wie ich glaube, auch seinerseits an der Vollendung seiner nationalen Zolleinheit und an der Erhaltung und gedeihlichen Entwickelung seiner größten Handels— stadt ein so zweiffelloses Interesse, daß seine ausgiebige Unterstützung der Anlagen, welche der Zollanschluß bedingt, gerechtfertigt und ge— boten erscheint. Ich habe diese Ueberzeugung schon im Jahre 1867 kundgegeben, als die Frage erörtert wurde, eine wie lange Bauzeit die zum künftigen Zollanschluß nothwendigen Entrerot Anlagen er— fordern und wie hoch der ungefähre Kostenbetrag derselben fein könne. Diese Ueberzeuaung ist noch heute die meinige und würde ich die selbe, so weit mein amtlicher Einfluß reicht, gern bethätigen, sobald die Hansestädte bereit sind, mit dem Reiche über den Zollauschluß in Verhandlungen zu treten, sür welche Artikel 34 ihnen die Initiative giebt. von Bismarck.

n die Herren Joh. Behrenberg, Goßler u. Co. Hamburg. ö

Der Privat Börsenverkehr, der an Sonn und Feiertagen in den Räumen der Berliner Ressource abgehalten wurde, ist seit gestern eingestellt worden.

London, 20. November. (Allg. Corr.) In der letzten Sitzung der Direktoren der Bank von England wurde beschlossen, der im April nächsten Jahres stattfindenden Generalversammlung in Vorschlag zu bringen, daß Mr. Henry R. Grenfell, der gegenwartige Bize Gouverneur, zum Gouverneur der Bant für das kommende Jahr, und Mr. John Saunders Gilliat, von der Firma John K. Gilliat u. Co.“, zum Vize⸗Gouverneur gewählt werde.

Glasgow, 20. November. (W. T. B.) Die Vorräthe von Roheisen in den Stores belaufen sich auf 479 560 Tont gegen 379 800 Tons im vorigen Jahre. Zahl der im Betrieb befindlichen Hochöfen 120, gegen 99 im vorigen Jahre.

Washington, 21. November. (W., T. B.) Das Schatz amt hit am Freitag für 188 900 Dollars proz. Bonds ron 1860 zum Tages course gekauft.

Verkehrs⸗Anstalten. Triest, 22. November. (W. T. B.) Der Lloyddamd

r „Venus“ ist mit der ostindischen Ueberlandpost 114 Uhr Ne aus Alexandrien bier eingetroffen.

Berlin, 22. November 1880.

Bei der am 20. November im Saupark bei Springe abgehaltenen Hofjagd sind in einer abgestellten Suche mit der Findermeute auf Sauen am Sinngrün und einem kom— binirte! Treiben auf Rothwild und Sauen im Hallerbruch 1I7 Hirsche, 30 Stück Rothwild, 126 grobe und 92 geringe Sauen, zusammen 265 Stück Hochwild zur Strecke gebracht. Hiervon erlegten:

Se. Majestät der Kaiser und König 6 grobe und 12 geringe Sauen,

Se; Kaiserliche Hoheit der Großfürst Wladimir von Rußland 3 Stück Rothwild, 3 grobe und 3 geringe Sauen,

Se. Königliche Hoheit der Großherzog von Mecklenburg⸗ Schwerin 1 Hirsch, 2 Stück Rothwild, 11 grobe und 4 ge⸗ ringe Sauen,

Se. Königliche Hoheit der Prinz Carl 2 Stück Rothwild, 6 grobe und 3 geringe Sauen,

Se. Königliche Hoheit der Prinz Albrecht 1 grobe Sau,

Se. Königliche Hoheit der Prinz August von Wurttem⸗ berg 8 grobe und 4 geringe Sauen.

museums ihre Novembersitzung ab. interessirte vor Allem eine Sammlung von ausgegrabenen Funden

Ludw. e nungen konstatirt.

Die Antbropologische Gesellschaft hielt am Sonnabend unter Vorsitz des Professors Bastian im Hörsaale des Gewerbe Unter den neuen Eingängen

aus Khurassan, der alten persischen Königsstadt. Auch von den Nikobaren und den Andamanen ist eine reiche Sammlung einge— troffen, darunter auch Töpfe, an deren Existenz in jener Gegend eine Zeit lang gejweifelt wurde. Funde aus der Lausitz sind insofern beachtentwerth, als es die ersten in Hügelgräbern gemachten Find. Von Herrn von der Schulenburg sind Mittheilungen über einen be⸗ haarten Mann aus dem Spreewald eingegangen. Aus der Helm⸗ städter Gegend wird das Vorkommen großartiger Gletschererschei⸗ Von der geographischen Gesellschaft zu Rom ist ein Schreiben eingegangen mit der Anzeige, daß der nächste inter⸗ nationale geographische Kongreß im Jahre 1881 in Venedig sstatt— finden wird. Es solgen alsdann Mittheilungen der Hirn. Stadtrat Friedel und Direktor Oesten über prähistorische Funde aut Mecklenburg. Hierauf erstattete Prof. Virchow Bericht über den internationalen Kongreß in Lissabon. Einen Hauptpunkt der Tigek— ordnung des letzteren bildete die Frage des tertiären Menschen, die die Portugiesen und die Franzosen, schon als erledigt betrachteten,

ehe der Kongreß begann, gegen deren Berechtigung aber den deutfchen

und englischen Gelehrten um so größere Zweifel aufgestoßen sind, als eine persönliche Untersuchung eines der Hauptfundplätze nord östlich von Lissabon nicht die geringste Spur menschlicher Knochen, noch nicht einmal Asche, sondern einzig geschlagene Feuersteine zu Tage förderte, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach keine Manufakte, sondern der Fundort ist ein altes Seebecken Naturgebilde, durch zie Gewalt des Wassers erzeugt, sind. Während Frankreich und zum Theil Italien, geneigt war, den Fund mit dem, was anderweitig von den Portugiesen beigebracht war, als genügenden Beweis für die Exister; des tertiären Menschen anzusehen, haben England, Veutschland und Südfrankreich dies leugnen müssen. Was die geoloaglsche Frage an— langt, so war von Madrider Gelehrten, wohl aber mit Unrecht, die Fundstätte gar nicht fur tertiär, sondern für diluvial ange sehen. Auch von der Westseite der Apenninen wurden tertiäre Knochen vor— gelegt, deren Echtheit indeß gleichfalls bezweifelt wurde. Der Kon- sreß selbst hat die Frage des tertiären Menschen nicht entschieden, sondern bis zum nächsten Kongreß vertagt. Hochintereffant war der Besuch alter von Sarmento ausgegrabener Ansiedlungen, die, aus prähistorischer Zeit stammend, wohl bis in die römische Zeit hinein benutzt sind.

Am 20. d'. Abends gegen 10 Uhr fuhr der letzte Personen⸗ zug von Löhne nach Hildesheim in Folge falscher Weichen— stellung auf Station Mehle auf einen dort sfehenden Güterzug. Bei dem Zusammenstoß erlitt ein Bremser einen Armbruch und wurden 2 Beamte und 1 Passagier leicht verletzt. Die Lokomotipen beider Züge, welche gegeneinander gefahren waren, zwei Personen⸗ und drei Güterwagen wurden beschädigt. Die Beförderung der Rei— senden nach Hildesheim erfolgte mittelst Extrazuges. Eine Betriebe störung fand nicht statt.

Im Re(idenz-⸗Theater eröffnete am Sonnabend Frau Niemann-Raabe ein längeres Gaftspiel. Die Künstlerin, Feren Auftreten hier stets mit Spannung entgegen gesehen wird, bat für dasselbe die Rolle der Nora“ in dem gleichnamigen dreiaktigen Schauspiele von Henrik Ibsen gewählt. Das Stück erweckt jedenfalls ein lebhaftes Interesse, wenn auch manche Scenen auf den Zuhörer beftemdend, ja peinlich wirken. Ibsen besitzt nicht die routl— nirte Technid der französischen Bühnenschriftsteller, noch ihren glänzenden Dialo), seine Charakterzeichnung aber und die pfychologisch wirksame dramnatische Gestaltung zeugen von bedeutender dichterischer Begabung. Die Gestalt der Nora vornehmlich ist ihm wohlgelungen und bietet einer so hervorragenden Schauspielerin wie Fr. Riemann Rabe reiche Ge⸗ legenheit, ihte bewundernswerthe Darstellungskunst im glänzendsten Lichte zu zeigen. Durch die sorgfältige, bis in die kleinsten Züge mit fein sinni jem mimischem Verständniß durchgeführte Ausgestaltung der Rolle ekun⸗ dete die Künstlerin wiederum ihre oft gerübmte Meisterschaft in der schauspielerischen Detailmalerei. Ihre Darstellung der Nora“ fand denn auch bei der zahlreichen Versammlung, welche das Haus bis auf den letz⸗ ten Platz gefüllt hatte, den lebhaftesten Beifall. Gleich bei ihrem ersten Erscheinen auf der Bühne stürmisch begrüßt, wurde Fr. Niemann⸗Raabe nach jeder Scene und nach jedem Akischluß durch wiederholte Ovatio— nen ausgezeichnet. Das Ssück freilich, das übrigens in einer recht fließenden und gewandten Uebersetzung ron Wilhelm Lange gegeben wurde, fand nicht ungetheilten Anklaag, besonders der etwas abrupte Schluß enisprach nicht den Erwartungen, die man sich gemacht zu haben schien. Von den heimischen Mitgliedern des Residenz⸗Theateꝛg fanden nur die Herren Keppler und Haack in den Rollen des Rob. LKelmer“ und „Günther“ Gelegenheit, sich hervorzuthun; die übrigen Gestalten des Schauspieles bleten den Darstellern keine dankbaren Aufgaben.

Nach hergebrachter Sitte veranstaltete gestern, Sonntag, den 21. d. Mit., am Tage der kirchlichen Feier zum Gedächtniß der Ver— storbenen, die Gesellschaft der Sing- Akademie ein Konzert. Zur Ausführung gelangten: 2 Bachsche Kantaten: 1) Bleib bei uns, denn es will Abend werden ꝛe., und 2) Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir ꝛe. sowie das Requiem von Mozart. Als Soliften waren beschäftigt: Frl. Anna Rüdiger, Fil. Hedwig Müller, Fr. Clara Bindhoff, Hr. Theodor Hauptstein und Hr. Max Friedländer. Neu im Konzertsaale war der letztere, ein Bassist. Derselbe, wie uns berichtet, gesanglich gebildet durch Garcia und Stockhaufen, zeigt musikalische Sicherheit und guten Vortrag, nur klingt das Organ trocken. Frl. Anna Rüdiger erfreute, wie stets, durch den Wohllaut ihrer Stimme und ihre vorzügliche Schule. Die anderen Solisten befriedigten. Dem Tenor, Hrn. Hauptstein, möchten wir aber hier⸗ bei eine größere Lebendigkeit im Vortrage und eine bessere Kulti« virung der Höhe anempfehlen. Der Chor leistete unter der be— währten Leitung seines Dirigenten, des Hrn. Professors Martin Blumner, wie immer Vorzügliches. Orchester war die Berliner Sinfoniekapelle, und die Begleitung an der Orgel hatte das Mit— glied der Sing n Akademie, Hr. Kawerau, Ocganist an St. Malthäi hiers., übernommen.

Berliner Aquarium. Die gegenwärtige herrschende günstige Temperatur ermöglicht es, daß zahlreiche Sendungen von den Meeres küsten in vortreff lichem Zustande hierher gelangen. In Folge dessen sind dle. Wasserbecken des Aquariums mit Seethieren aller Art auf das Reichhaltigste ausgestattet. So brachten die letzten Trantporte etwa 500 Kärpflinge, die Brut des Großkopfs (Mugil cephalus) einer der Meeräsche verwandten Fischart die stets in vollen Haufen das Becken durchzichen. Von anderen Fischen verdienen kleine Brassen und Lippfische wegen ihrer Farbenschönheit erwähnt zu werden. Unter den niederen Thieren präsentiren sich namentlich schöne Exemplare der Fadenrose (Anthea viridis). die prachtvoll gefärbten zum Theil mit einfachen, zum Theil mit doppelten Fählerkränzen versehenen Röhrenwürmer und die zarten, fast durchsichtigen Mantelthiere, von denen wir die Keulenscheide (Claveline L padiforuis) besonders her— vorheben. Zur Verschönerung der Becken tragen wesentlich auch einige zur Familie der Algen gehörige Meeipflanzen bei, unter welchen die grüne tnollenartige Codium burs. zum ersten Male ver—⸗ treten ist.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck! W. Elgner— Vier Beilagen leinschließlich Börsen · Beilage).

Berlin:

(2219

: Erste Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich

Preun

Berlin, Montag, den 22. November

. 275.

ßischen Staats⸗Anzeiger.

1889.

Aichtamtliches

Preußen. Berlin, 22. November. m weiteren Verlaufe der vorgestrigen (12.) Sitzung setzte das Haus der Abgeordneten die Berathung der Interpellation des Abg. Hr. Hänel, betreffend die Agitation gegen die ju⸗ dischen. Staatsbürger, fort. Der Abg. Seyffarth er— klärte, die Interpellation sei in der Absicht eingebracht worden, um der Agitation gegen die Juden, die den bürgerlichen Frie⸗ den bedrohe, einen Riegel vorzuschieben. Wie verderblich diese Agitation da wirke, wo bisher der konfessionelle Friede ungetrübt gewesen sei, wisse er aus seiner Vaterstadt. Man wolle den Unfrieden säen, wo man bisher im tiefsten Frieden gelebt habe. Diesem Unfrieden, hoffe er, werde durch die Interpellation abgeholfen, ebenso Hie es seiner Zeit, in Oesterreich der Fall gewesen sei. Wenn man auf gewisser Seite sage, die christliche Religion sei in Gefahr, so sei dies eine Phrase. Diese Behauptung werde von vielen Geistlichen und auch von der christlich⸗sozialen Arbeiterpartei aufgestellt. Jeder verständige Jude aber, das könne er versichern, achte die Christen hoch, wenn sie nur immer die Grundsätze des Christenthums vor Augen hätten: die Nächstenliebe neben der Gottesliebe. Er rufe dem Hause das Gleichniß vom barmherzigen Samariter ins Gedächtniß und auch das Wort des Paukus, der da sage: Gott habe sein Volk nicht verstoßen. Warum wolle man es denn nun ver— stoßen? Im letzten großen Kriege hätten sich die jüdischen Mitbürger so sehr als Deutsche bewiesen, daß sie keinen andern Patrioten nachgestanden hätten. Als Mitglied eines Comités zur Pflege verwundeter Krieger habe er die Opfer⸗ willigkeit der Juden bewundern lernen; dieselben seien in Deutschland gute Patrioten. Als Geistlicher habe er oft Ge⸗ legenheit die Mildthätigkeit seiner Mitbürger für Arme und Kranke in Anspruch zu nehmen, und dahei grade bei Juden stets eine offene Hand gefunden. Er erinnere das Haus daran, daß Friedrich der Große es für eine Pflicht der Fürsten er— klärt habe, die Geistlichkeit aller Konfessionen zur Duldung und Sanftmuth anzuhalten, um den konfessionellen Frieden zu wahren. Wenn man das Christenthum im wahren Sinne ausübe, dann werde man nicht nur die Judenfrage, sondern jede soziale Frage lösen.

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa bemerkte, daß, nachdem die Fortschrittspartei die Interpellation einge⸗ bracht habe, obschon sie sich hätte sagen müssen, daß damit nur Oel ins Feuer gegossen, und ein neuer Luftzug der glimmenden Asche zugeführt würde, er und seine politischen Freunde es nicht nur für Recht, sondern auch für Pflicht gehalten hätten, dieser Frage zwar mit aller Ruhe und Objektivität, aber auch mit aller Bestimmtheit und Offenheit gegenüber zu treten. Persönlich liege ihm dabei jede Animosität fern, und im An— schluß an den Vorredner unterlasse er nicht, zu konstatiren, daß diejenigen Juden, mit denen er bisher in Verkehr ge⸗ treten sei, achtungswerthe und gute Staatsbürger gewefen seien, aber gerade dieser Umstand solle doch endlich einmal die Presse, welche in so großer Zahl unter dem Einflusse der jüdischen Mitbürger stehe, welche mit solcher Energie die Rechte der Juden vertrete, mit solcher Kraft aber nicht immer wahrheitsliebend rücksichtslos oft Bestrebungen kritisire, die mit den ihren im Widerspruch ständen, welche konform mit der Einleitung der Interpellation von bedauerlichen Ausschreitungen spreche veranlassen zu untersuchen, ob nicht auch ein Theil der Schuld bei den Juden selbst liege. Formell sei ja die Interpellation zulässig, indeß sei es doch ungewöhnlich, die Regierung zu Aeußerungen über eine Frage aufzufordern, die noch gar nicht irgendwie an sie herangekreten sei, im Anschluß an eine Petition, die an eine ganz andere Adresse gerichtet und zudem noch nicht einmal abgegangen sei. Es seien dieselben Herren heute die Interpellanten, welche sonst die autoritative Stellung der Regierung bei jeder Ge⸗ legenheit aufs Schärfste angegriffen hätten, wie noch jüngst ihre Angriffe überall im Lande die tiefste Indignation her⸗ vorgerufen hätten! Nach der Art, wie die bezügliche Presse die Interpellation besprochen habe, sei es unzweifelhaft, daß man einen Druck auf die Entschließungen der Regierung habe gusüben wollen. Man versuche sogar in dieser Presse die Verantwortung für diese Regung der konservativen Partei zuzuschieben. In der „Posener Zeitung“ sei z. B. ein Artikel enthalten, der die Ueberschrift träge: „konservative Ausschrei= tungen“. Dieser Artikel bespreche den Fall Kantorowicz, und wenn er sich mit Widerwillen von den darin gebrauchten Worten abwende, so könne er dem Hause doch den Schluß jetzt nicht vorenthalten. Derselbe laute: „Dieser Kantorowicz) habe die Sache krumm genommen und habe dem einen der Herren eine Ohrfeige verabreicht, womit die Judenfrage zu allseitiger Befriedigung gelöst worden sei.“ Das wage ein Blatt zu schreiben, während gleichzeitig andere Blätter die Hülfe der Staatsregierung anriefen wider angebliche Ausschreltun— gen gegen das Judenthum! Wo lägen denn da die Aus⸗ schreitungen? Unzweifelhaft doch auf Seiten der unter jüdischem Einfluß stehenden Presse. Wie habe man in allen diesen Blät⸗ tern das Petitionsrecht behandelt? Er habe zu seinem Bedauern vom Abg. Reichensperger gehört, daß die Disziplinar⸗-Unter⸗ suchung gegen die gefordert werde, welche die Petition gegen das Judenthum unterschrieben hätten. Die „Kreuz⸗Zeitung“ habe wahrhaft Recht, wenn sie schreibe, daß es noͤthig sei, für eine Emanzipation der Christen einzutreten. Die Be— wegungen gegen das Judenthum hätten sich indeß keineswegs blos auf Berlin oder auf Deutschland beschränkt, auch un Auslande rege es sich. Er wolle von Rußland und Rumä— nien schweigen und verweise nur auf Desterreich; und wenn der Vorredner glaube, daß diese Regungen durch die Beant⸗ wortung der Regierung abgeschnitten seien, so sehe derselbe die Sache von einem falschen Standpunkt an. Eine tiefe Mißstimmung gegen einen Theil der jüdischen Bevölkerung habe unverkennbar weite Kreise in Europa ergriffen, und wenn in Frankreich diese Erscheinung nicht so stark zu Tage trete, so komme es daher, daß es in ganz Frankreich eben nicht soviel Juden gebe, ais in der einzigen Stadt Berlin. Die Emanzipation des Judenthums sei noch keineswegs zum Abschluß gelangt; im deutschen Vaterlande befände man sich

ind einem Stadium, wo die vollzogene Emanzipation in die äußere Erscheinung zu treten beginne. Die kon servative Partei hätte darum die Frage in Erwägung gezogen, ob sich die deutsche Nation werde darin finden können, daß man obrig—⸗ keitliche und richterliche Aemter in die Hände jüdischer Per⸗ sonen lege. So lange man sich de lege ferenda befunden habe, hätten die Konservativen die volle Gleichberechtigung der Juden für bedenklich erachtet. Jetzt aber, wo man dem ge⸗ gebenen Gesetze gegenüberstehe, würden die Konservativen die verfassungsmaͤßigen Rechte der Juden wie aller Anderen nach⸗ drücklich schützen. Aber zur Beseitigung unverkennbarer Mißstände wäre es wünschenswerth, daß in dieser Zeit des Uebergangs Seitens der jüdischen Bevölkeruüng mehr Takt und Mäßigung bewiesen werde, als vielfach geschehe. Namentlich müsse das Entgegen⸗ kommen der christlichen Staatsangehörigen seine Anerkennung Seitens der jüdischen Staatsbürger in der Pietät gegen christ⸗ liche Institutionen finden. Hier am allerersten sei der Satz angebracht: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.“ Er könne dem Hause ein zahlreicheres Material aufweisen, wenn es eines Beweises noch bedürfte, aus dem hervorgehe, daß man sogar dazu übergegangen sei, Angriffe gegen das Christenthum zu richten. Gegen solche Regungen richte sich eine Bewegung, die man jetzt hier durch das Parlament ein⸗ dämmen wolle, und seine politischen Freunde und er könnten sich der Neberzeugung nicht verschließen, daß in der That Gründe vorlägen, welche dieser Bewegung Nahrung geben und sie hervorrufen müßten. Er hoffe, daß es dem gesunden Sinn des einsichtsvolleren Theils der jüdischen Mitbürger gelingen werde, diese Beschwerde, die hervorgehe aus der großen Masse des chrisilichen Volkes durch etwas taktvolleres Verhalten in dem Gebrauch ihrer Rechte die Spitze abzubrechen. Er könne sich allerdings der Befürchtung nicht entschlagen, daß, wenn diese Hoffnungen enttäuscht werden sollten, die Bewegung einen Umfang annehmen könnte, dessen Ende man absolut zu übersehen außer Stande sei, wosür aber die Verantwortung die konservative Partei im Voraus auf das Bestimmteste ab⸗ lehnen müsse. Die Gegensätze ließen sich mildern, man könne in. Deutschland wieder zu einem friedlichen Zu⸗ stand mit den jüdischen Mitbürgern gelangen, den alle wünschten, wenn dieselben mit mehr Pietät dem Glauben, den Sitten, den Gefühlen des deutschen Volkes gegenüber⸗ ständen, wenn sie mit etwas mehr Respekt den christlichen Institutionen des Staates begegnen wollten, dessen milde Ge⸗ setze sie selbst in der ausreichendsten und ausgiebigsten Weise schütze. Seien diese Forderungen etwa unberechtigt? Wisse man nicht, daß man das ganze Land hinter sich habe bei der Vertheidigung dieser Position? Wenn dieser in der entgegen— kommendsten und friedliebendsten Weise an die deutschen jüudischen Mitbürger gerichtete Appell auch diesmal wieder un— gehört und unbeachtet in der Luft verhallen sollte, dann aller⸗ dings würde keine Macht der Interpellation, keine Macht einer geschickt redigirten Presse, kein anderes Machtmittel im Stande sein, eine Bewegung einzudämmen und zu unterdrücken, die nach ihrer innersten Ueberzeugung den Grundsatz vertheidige und hochhalte, daß das deutsche Volk ein christliches sein und bleiben wolle.

Der Abg. Dr. Virchow erklärte, man suche nach beson⸗ deren Gründen, welche seine Partei veranlaßt hätten, diese Interpellation einzubringen. Wenn man sehe, mit welcher Zaghaftigkeit man im Abgeordnetenhause Überhaupt das Interpellationsrecht handhabe, und hiermit die Praxis in an— dern konstitutionellen Ländern vergleiche, so werde man an— gesichts der vorliegenden Thatsachen sich doch kaum über das Vorgehen seiner Partei wundern können. Der Zweck des⸗ selben sei einfach der, das Publikum zu avertiren, daß die hier gekennzeichneten Bestrebungen weder bei der Regierung noch im Hause auf irgend einer Seite auf Unterstützung rechnen könnten. Dieser Zweck sei, wie man es erwartet habe, erreicht. Die Antwort der Regierung sei vollkommen korrekt und werde nicht verfehlen, im Lande ihre Wirkung zu thun. Freilich hätte er gewünscht, daß sie etwas wärmer gewesen wäre. Der Minister sei kühl bis ans Herz hinan gewesen. Der ungarische Minister sei in der Beantwortung einer ähnlichen Interpellation viel weiter gegangen; derselbe habe erklärt, daß in dem Augen⸗ blicke, wo die Bewegung zu einem gegenseitigen Aufhetzen der verschiedenen Konfessionen und zu einer Störung des religiösen Friedens führen sollte, sich die Regierung ihrer Pflicht bewußt sein werde, den Schuldigen mit der Wucht des Strafgesetzes zu treffen. Diese Bereit willigkeit scheine bei der preußischen Regierung nicht in gleichem Maße obzuwalten. Der Vorstand der hiesigen jüdischen Gemeinde habe sich beschwerdeführend wegen der Agitation der christlich-sozialen Arbeiterpartei an den Minisler des Innern gewandt, sei aber Jahr lang ohne Antwort geblieben, und demnächst sei einem Vorstandsmitgliede von einem Rathe mündlich mitgetheilt, daß zum Einschreiten kein gesetzlicher Grund vorliege, der Abg. von Heydebrand möge daher auch nicht so streng in seinen Anforderungen an das Verhalten der Juden den Christen gegenüber sein. Ein formeller An⸗ spruch auf Mäßigkeit in der Anwendung gesetzlicher Rechte lasse sich doch in keiner Weise begründen. Er glaube aber, daß für die Königliche Staatsregierung der Augenblick gekom— men sei, handelnd einzugreifen. Denn es handele sich darum, den Juden die schwer erworbenen Rechte zu erhalten; diese Rechte seien nicht erst durch Gesetz vom Jahre 1848 gegeben, sondern schon im Jahre 1812; dies Gesetz sage in feinem 8. 8: „Den Juden stehe das Recht zu, Lehrstühle an Schulen und Universitäten einzunehmen, und Beamte zu werden“; daß man dies Gesetz erst 1848 erfüllt habe, sei kein Grund, daß man verlange, nun sollten die Juden dafür aber auch ganz bescheiden sein; das sei überhaupt nicht in Preußen Mode, Rechte zu verleihen, damit sie nicht im ganzen Umfang aus—⸗ geübt würden. Man sage auf konservativer Seite, es seien Miß⸗ bräuche eingerissen; seien denn aber diese Mißbräuche derart, daß man darum gleich Gesetze ändern müsse? Das müsse man doch erst untersuchen! Er sei erstaunt, daß sich der Abg. Reichensperger durchzseinen Glaubenseifer so weit habe hin⸗ reißen lassen. Seine (des Redners) Partei sei dem Ahg. Reichensperger und seinen Genossen sehr dankbar für die Hillfe, die sie in früheren Jahren der Fortschrittsparlei ge— leistet hätten gegen die konservativen Absichten, und jetzt werde

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seine Partei sich dem Centrum gegenüber revanchiren. Aber das Centrum könne doch nicht verlangen, daß seinz (des NRedners) Partei aus Dankbarkeit das Staatsinteresse verletze; und eine wichtige Frage durch eine zweite, die des Kultur— kampfes, kreuze. Was nun den ersten Punkt der Petition anlange, so müsse er, gestützt auf gute statistische Berichte, ihre Berechtigung leugnen. Hr. Neumann habe in einer Broschüre nachgewiesen, daß die Einwanderung von der Aus⸗— wanderung übertroffen worden fei, die Zahlen seien blos bis

zum Jahre 18371 gegangen, denn später sei keine Zahl zugänglich gewesen. Nun sage man vielleicht auf konservatlver Seite, erst in den letzten Jahren habe dieser Einwanderungsstrom begonnen.

Aber früher habe es ja immer geheißen, die Einwanderung dauere

schon Jahrzehnte, und nun wolle man so ausweichen? Speziell für Berlin habe Hr. Neumann nachgewiesen, daß eine Ein⸗

wanderung nicht aus fremden Ländern, speziell Polen, sondern

aus preußischen Provinzen, besonders Preußen und Posen,

stattgefunden habe. Ganz analog gehe es mit der Verwechse⸗

lung der Religion und der Race. Wenn man die Petition

lese, so müsse man glauben, die Unterzeichner seien alle Ethno⸗

logen ersten Ranges, dieselben sprächen von Ariern, von Se⸗

miten u,. s. w. Man sage, daß man die Juden nicht wegen

der Konfession angreife, sondern wegen der Race. Das sei

ein Jongleurkunststück, denn wenn man sich wieder auf die

andere Seite stelle, so sage man, ja man bekämpfe von kon⸗

servativer Seite ja nicht die Race. Hätten sich denn nicht

viele Juden in sehr konfervative Männer verändert, wie Stahr,

Leo u. A. Hätten sich nicht viele Konfervative mit Semiten

vermischt und Jüdinnen geheirathet? Oder seien

die Konservativen nur, gegen die männlichen Semiten ? Es seien doch nur die niedrigsten Leidenschaften, die zu der

Agitation geführt hätten, zuerst der Neid. Man möchte gern

das Kapital der Juden haben. Auf jener Seite hehaupte man, daß, weil die Anzahl der jüdischen Schüler in höheren

Lehranstalten im Prozentsatz überwiege, dies ein unedler Wett⸗

streit jener Nation sei und ein Ueberwuchern befürchten lasse.

Auch er wolle keineswegs Alles loben, was die

Juden thäten, und namentlich nicht sür die Hal⸗

tung eintreten, welche ein Theil der Presse in der

gegenwärtigen Frage einnehme. Aber aus jenen Er—

scheinungen dürfe man keine allgemeinen Argumentationen

gegen die Juden überhaupt ableiten und sei die Regierung

verpflichtet, wenn solche Irrthümer herrschten, Remedur zu

schaffen. Die konservative Partei könne den Vorwurf schwer⸗

lich zurückweisen, daß aus ihren Reihen zu der derzeitigen

Agitation der eigentliche Anstoß hervorgegangen sei. Bedroh⸗

lich sei die Bewegung erst geworden, als einige bedeutende

Juden in den Parlamenten unbequem geworden und eine

Reihe von Blättern zur Betreibung der Agitation ins Leben

gerufen seien, denen man füglich die Mittel hätte entziehen

sollen. Er hoffe, daß er durch seine Rede etwas zur Klärung

der Situation beigetragen habe.

Der Abg. Hobrecht erklärte, die Interpellation des Abg. Hänel sei gerechtfertigt, wenn auch vielleicht nicht durch die kolportirte Position, so doch durch den Wunsch und die Hoffnung, daß in einer nun seit Jahren andauernden Bewegung, die das öffentliche Leben in Preußen störe, verwirre und be— unruhige, eine offene, zweifelfreie Erklärung der Regierung wohl im Stande sein werde, einen Stillstand und eine Be— ruhigung herbeizuführen. Die weitere Besprechung der Inter— pellation hätte er und seine politischen Freunde nicht hindern können, auch nicht hindern wollen, obgleich sie nach der Mei⸗ nung Vieler von seiner (des Redners) Partei nicht ganz gefahr— los sei, da es eine Aufgabe weiser Politik sei, dem Eindringen. unberechenbarer, zerstörender elementarer Kräfte in das öffent⸗ liche Leben möglichst vorzubeugen. Denn es handle sich nach seiner festen Ueberzeugung nicht um einen konfessionellen Hader, sondern um einen Rassengegensatz. Die konfessionellen Gegensätze spielten nur insofern hinein, als leider konfessioneller Eifer es nicht verschmähe, diesen Rassengegensatz als Bundes⸗ genossen anzurufen und anzustacheln. Der Landtag sei nicht. berufen und im Stande, die wissenschaftlichen und ethischen Probleme, die sich an diese Frage knüpften, gründlich zu er⸗ örtern oder etwa gar über die einzelnen Konfliktsfälle zu Ge— richt zu sitzen. Die Aufgabe des Abgeordnetenhauses könne nur sein, dahin zu wirken, daß in der öffentlichen Thätigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Organe jeder Versuch, streng fern gehalten werde, sie in den Dienst irgend einer parteiischen Tendenz zu stellen. Darin liege auch die Gefahr dieser ganzen Agitation, daß sie Leidenschaften wach gerufen habe, die sich nicht kontroliren ließen. Von der jetzigen Dis⸗— kussion müsse Sympathie und Antipathie fern bleiben, wenn. man selbst sich keinen Sündenbock suchen wollte, sandern in sich selbst den Fehler erkennen wollte. Er stimme zu, daß. einer dieser Fehler der Neid fei. Er höre hier, daß die Ju⸗ den die Herren seien und die Christen die Knechte eien, wenn das so wäre, so wäre dies Schuld der Christen. Es sei aller⸗ dings unausstehlich, daß, wenn einem von jener Partei ein mal auf die Hühneraugen getreten werde, ein großes Geschrei. erhoben werde. Das gebe er zu, aber da könne kein Parla⸗ ment Hülfe gewähren, sondern nur die Gesellschaft. Wenn man sich alle das viele Gute und Schöne ins Gedächtniß rufe, was grade in Preußen dadurch erworben sei, daß Deutsche und Juden sich die Hand gereicht hätten, daß sie in Forschung und praktischer Thätigkeit miteinander gewetteifert hätten, dann werde man die Geduld und Besonnenheit finden, ohne die diese Krankheitserscheinung nicht zu überwinden fei. Die Regierung habe eine zweifelfreie Erklärung abgegeben, seine Partei nehme von derfelben mit dem Vertrauen Akt, daß die Staatsregierung auch die Konsequenzen dieser Erklärung auf— allen Gebieten der Verwaltung ziehen und zur Geltung bringen werde. Er sei überzeugt, daß die Negierung in allen Fällen lediglich ruhige und leidenschastslose Gerechtigkeit werde walten lassen. Das übrige müsse der gesunde Verstand und das gesunde Herz des preußischen Volkes besorgen.

Der Abg. Träger bemerkte, es sei erstaunlich, daß man in Preußen, das doch an der Spitze Deutschlands stchen wolle, im Abgeordnetenhause die Judenfrage diskutiren müßte. Den Juden sei von der preußischen Regierung auf Drängen der Stände im Jahre 1847 eine ausgedehnte Emanzipation zu Theil geworden.