habe er (Redner) die Erklärung für die vorgestrige Aeußerung
des Abg. Windthorst erhalten, in welcher der Abg. Windt⸗ horst gesagt habe, er spreche nur von seiner Person, nicht für seine Partei. Das sei die Rede des Mannes, der die Ange⸗ legenheit mit der nöthigen Klarheit und dem nöthigen Ernst behandele. Es wäre für das Centrum besser gewesen, wenn die Debatte nur einen Tag gedauert hätte und das Haus nicht gezwungen worden wäre, die unklaren Ausführungen eines Mannes aus dem zweiten Range des Centrums zu hören. Das seien die schlimmsten Wendungen, die der Sache nicht mit Thatsachen, sondern nur mit allgemeinen Verdächtigungen zu Leibe gingen. Wo sei die Statistik, aus der der Redner schöpfe. Die Statistik Deutschlands laute günstig für die Juden, wenig— stens die Kriminalstatistik! Der Abg. Bachem habe von der norddeutschen Bundesanleihe gesprochen, wisse derselbe denn nicht, daß die Anleihe nicht an der Börse aufgelegt sei, son⸗ dern vom ganzen Lande gefordert sei. Was die jüdischen Gründer betreffe: Seien denn die vom Abg. Lasker, einem Juden, in seiner bekannten Rede zuerst gekennzeichneten Grün⸗ der denn Juden gewesen? Der Wucher sei zwar schändlich; aber gebe es nicht auch christliche Wucherer? Sogar in der heiligen Stadt Cöln gebe es deren. Und wer sei in dem Be— richt der Berliner Volksbank dem Wucher zuerst ent gegen— getreten? Wieder ein Jude, Straßmann sei es gewesen. Das seien Thatsachen gegenüber den von konservativer Seite erho⸗ benen allgemeinen Verdächtigungen. Wo ein Jude eine Aus—⸗ schreitung begehe, da trete die Fortschrittspartei, da treten die Juden selbst dagegen auf. Aber wer habe sich Ausschreitungen vorzuwerfen? Sei von jüdischer Seite eine Auflehnung gegen den Staat vorgekommen? Die Juden seien durch das noch geltende Gesetz von 1847 weit mehr eingeengt, als die Katholiken; der Staat habe sich ein Aufsichtsrecht über die Synagogengemeinde ge⸗ wahrt, das tief in den Kultus einschneide; habe man je ge— hört, daß die Juden sich dagegen aufgelehnt hätten? Wo seien die Ausschreitungen? Er habe es immer bedauert, wenn edle Bestrebungen profanirt würden; die den Kranken pfle— gende Nonne sehe man im Rathhaus abgebildet; den über hohe Probleme in seiner Zelle brütenden Mönch könne man darum nicht abbilden, weil den ja in seiner Zelle Niemand sehe! Was die Presse eig. so habe der Abg. Bachem sich das Wort „jüdisch⸗ fortschrittliche“ Presse entschlüpfenla ssen; daraus erkenne er die Absicht desselben: die Juden schlage man, die Liberalen meine man! Unter der jüdischen Presse sei die Posener Zeitung ge— nannt worden; weder ein Besitzer, noch ein Redacteur und Mitarbeiter dieses Blattes sei ein Jude; aber das Posener Regierungsblatt gehöre einem Juden! Aber weil man gegen die liberale Presse in den größeren Städten nicht aufkommen könne, rufe man in der Verzweifelung den Rassen⸗ kampf zu Hülfe. Man sage, die Interpellation sei inopportun? Allerdings, für die konservative Partei sei sie es, die Fort⸗ schrittspartei sei mit ihrem Erfolg sehr zufrieden. Wenn die rechte Seite dieses Hauses so zufrieden wäre, wie seine (des Redners Partei, dann wäre nicht die Detatte auf heute noch ausgedehnt, um den Abg. Stöcker wenigstens noch zu hören. Die Bewegung sei auch auf Berlin nicht beschränkt; da würden die Berliner Stadtverordneten sich selbst helfen können. Aber die Bewegung greife in das Land hinüber,
die Petition werde an Landraths⸗- und andere Aemter ver⸗ sandt; es sei Zeit, daß man das Land aufmerksam mache, wer den Frieden im Land untergrabe; das hohe Haus repräsentire das Gewissen des Volkes, und daran appellire er; er sei, wie gesagt, mit dem Erfolg der Interpellation wohl zufrieden. Die
christlich⸗soziale Partei sei jetzt aus der Offensiw? in die De— fensipe gedrängt, und das finde man inopportun. Einzelne hätten ihren Namen schon zurückgezogen. Das sei der Druck der öffentlichen Meinung, nicht jüdischer Terrorismus. Er beziehe seine Worte auf Leute außerhalb des Hauses; wenn sich kein christlichkonser⸗ vativer Rechtsanwalt für diese Partei finde, warum wende man sich nicht an den Abg. Schröder-Lippstabt? Es sei ihm aber zu kleinlich, auf diese erbärmlichen Einzelheiten zurück zu kommen. Vor 33 Jahren habe sich ein konservativer Mann, der sogar Manches vom Junker an sich gehabt habe, der Freiherr von Vincke, dahin ausgesprochen (Redner verlas die Stelle), daß derselbe das Wort „christlicher Staat“ nicht ver⸗ stehe, da der Staat nicht berufen, noch fähig sei, die christliche Moral zu realisiren, zum Beispiel das Gesetz „Du sollst nicht tödten“ würde den Krieg negiren; schließlich habe Hr. von Vincke gesagt, die Juden seien zum Staatsbürger und Beamten sehr wohl fähig. Es sei eine Frage der Zeit, daß man auf Reden, die vor 33 Jahren gehalten seien, jetzt zurückgreifen müsse und die Freunde des Abg. Bachem brauchten demselben für dies Wort nicht dankbar zu sein, man könnte es gegen dieselben anwenden, denn vom christlichen Staat zum evangelischen Staat sei nur ein Schritt; die Katholiken hät ten es ja selbst bei den Simultanschulen bewiesen, wo sie schon katholische Schulen verlangt hätten; in einem Flugblatt hätten die Katho⸗ liken gesagt: Die katholischen Eltern sollten darauf hinwirken, daß, um Mischehen zu verhindern, katholische Jüng linge und Jungfrauen nicht mit protestantischen verkehrten. Der Abg. Dr. Franz habe einmal darauf hingewiesen, um der Noth des katholischen Arbeiters zu steuern, sollte man nur von diesem, nicht vom Juden kaufen. Nur einmal habe eine Partei die Industrie in den Kampf hineingezogen, das seien die Sozial— demokraten in Altona gewesen, und als das im Reichstag zur Sprache gekommen sei, habe der Abg. Bebel seine Altonaer Genossen desavouirt. Er wolle jetzt über die christlich⸗soziale Beweßung sprechen: er wolle dem nach ihm sprechenden Herrn Material geben; die Sozialdemokraten stimmten überein mit den Christlich-⸗Sozialen in ihren Zielen und in der Methode. Die Christlich⸗Sozialen wollten überall Staats hülfe eintreten lassen. Hüte man sich vor diesen, der romanischen Rasse eigenen, der germanischen noch ziemlich fremden Idee; denn wenn der Staat einmal diese Ansprüche nicht erfüllen könne, gebe es Revolutionen, und es würden dann die allen Deut schen theuren Institutionen untergehen; in der Methode stimmten Sozialdemokraten und Christlich-Soziale in sofern überein, als beide dadurch wirkten, daß sie sich an das Volk wendeten. In den christlich⸗sozialen Versammlungen gehe es so zu: Nach des Abg. Stöcker Vortrag! entstehe eine Pause und wenn die Debatte beginnen solle, entstehe Lärm, den der Abg. Stöcker nicht mehr beherrsche. (Redner verlas die Schil⸗ derung einer christlich-sozialen Versammlung nach dem Berichte der „Post“, die z. B. mit den Worten: Hoch Stöcker! Hoch Lassalle! u. s. w. unter der allgemeinen Heiterkeit der Anwesenden schloß). Die Sozialdemokratie fei insofern unschuldiger, als sie nicht, wie die Christlich⸗Sozialen, die Rasse bekämpfe; dieses Bekämpfen der Rasse fei brutal, weil das nur mit dem Todtschlagen des Bekämpften aufhören
könne. Im Uebrigen aber säßen Christlich-⸗Soziale und So⸗
zialdemokraten friedlich zusammen; z. B. die ausgewiesenen, dann wieder zurückgelassenen Herren Körner und Finn, die vor einiger Zeit als Sozialdemokraten kandidirt hätten, säßen heute mit den Christlich⸗Sozialen zusammen; diese nennten sich Königlich
preußische Sozialdemokraten; dieselben glaubten also, Hülse der Regierung zu finden; Hr. von Madai würde sie auch kaum zurückgelassen haben, wenn derselbe nicht geglaubt habe,
nach obenhin damit gefällig zu sein; woher komme überhaupt das Geld zu der christlich⸗sozialen Agitation? Da sei doch ein Zusammenhang mit einem Reptilienfonds sehr zu argwöhnen; es sei überhaupt im Volke die Meinung verbreitet, Fürst Bismarck stehe der christlich-sozialen Bewegung nicht ferne. Aber hüte man sich; schon einmal habe die Regierung mit der Sozialdemokratie geliebäugelt; dieselbe habe diesen Zu⸗ sammenhang erst aufgegeben, als die scheußlichen Attentate die Früchte der Sozialdemokratie gezeigt hätten. Er habe stets vorher gewarnt; jetzt warne er, wie früher der Abg. Schulze⸗ Delitzsch: Hüte man sich davor, die Leidenschaften der Menge zu wecken! Dieselbe werde vor Predigern nicht stehen bleiben!
Der Abg. Stöcker erklärte, wenn der Vorredner gewünscht habe, die christlich⸗soziale Bewegung möge sich wenigstens auf die Defensive beschränken, so könne er demselben sagen, daß sie sich stark genug fühle, um kräftig in die Offensive über⸗ zugehen. Was aber die sittliche Entrüstung anbetreffe, mit der der Abg. Richter gegen die Bewegung gesprochen, so stehe hier sittliche Entrüstung gegen sittliche Entrüstung. Er sei sich auch der vollen Verantwortlichkeit dafür wohl bewußt, daß er, und zwar als Geistlicher, sich an die Spitze der christlich⸗sozialen Bewegung gestellt habe. Hin— ter ihm ständen indeß Millionen, darunter Viele von der Berliner Fortschrittspartei, wie er aus zahlreichen Briefen nachweisen könne. Der Vergleich mit den Sozialisten treffe nicht zu. Der christliche Geist beherrsche die bösen Elemente, der fortschrittliche entfessele sie. Er habe das Feld der Agitation in Berlin betreten, um die Sozialdemokraten aus ihrer Verirrung herauszureißen. Aus der Fortschritts⸗ partei seien sie zur Sozialdemokratie übergetreten und aus dieser kämen sie zu seiner Partei. Zwischen Sozialen und Sozialisten sei ein tiefer Unterschied. Sozialistisch sei die Forderung, daß alles Privateigenthum kollektivirt werden solle. Sozial sei nichts Anderes als die gesellschaftliche Auffassung der Dinge. Die Isolirung, die Atomisirung habe Preußen da— hin gebracht, wo es jetzt sei. Was er wolle, sei nur die Organisation, in der die Arbeiter sich als Brüder fühlen sollten. Er sei erstaunt, daß der Abg. Richter keinen Schmerz habe für den Nothschrei der viel bedrängten Handwerker, der ruinirten Existenzen hier in Berlin und im Lande. Er weise hier, auf dieser Stelle, noch einmal auf den Noth⸗ stand in Oberschlesien hin. Habe man es denn nicht amtlich zu erfahren bekommen, daß es Wucher sei, meist jüdischer Art, unter dem die ganze Kraft dort zu Grunde gehe. Es seien nicht blos Stimmungen, die in der antijüdischen Bewegung wirkten, sondern schreiende Thatsachen. Es berühre ihn sympathisch, wenn von jener Seite das freie Wort betont werde, nur solle man es nicht immer nach oben hin schleudern, sondern es anwenden, wo es hin gehöre, auf die Schäden des Volkslebens. Die Judenfrage sei für ihn keine religiöse, auch keine Rassenfrage, sondern eine sozial-ethische. Sie bestehe darin, daß eine halbe Million jüdischer Mitbürger, einem andern Stamme angehßörend, in der Religion, in ihrem Denken, Fühlen und Wollen von den Deutschen verschieden, mit der deutschen Art nicht immer eins, in dem deutschen Volke eine Position einnähmen, welche dem Zahlenverhältniß der jüdischen Bevölkerung absolut nicht entspreche. Begabt mit einer starken Kapitalkraft und auch mit vielem Talent, drückten diese Männer auf das öffentliche Leben; nicht blos in Handel und Gewerbe, sondern auch in kommunalen Angelegenheiten, in den sittlich⸗sozialen Verhältnissen, ja in den kirchlichen Ange— legenheiten wirkten sie mit dem Einflusse, den sie hätten, und das sei unerträglich. Man sage, es sei Neid der Christen. Er kenne die Männer, welche in dieser Bewegung ständen, und versichere, er habe von diesem Neide aus dem Munde dieser Männer nichts gehört. Mit der Formel, daß man der j.udischen Bevölkerung Duldung gewähren solle, sei die Frage nicht erschöpft; auch daß die Existenz des preußischen Staats an die politische Gleichberechtigung der Konfessionen geknüpft sei, könne er nicht anerkennen. Uebrigens sei das Judenthum keine Konfession, es habe kein Bekenntniß. Er gestehe zu, daß die Christen mit den Juden in Frieden leben müßten. Aber das solle Niemand leugnen, daß Preußen ein christlicher Staat sei, in dem F/ der Einwohner Christen seien; diese hätten ein Recht zu fordern, daß der preußische Staat als eine christliche Gesellschaft angesehen, von einer christlichen Obrig— keit regiert und nach einer christlichen Gesetzgebung be— handelt werde. Die Frage, die jetzt zur Digkussion stehe, wolle man einigen wenigen Personen in die Schuhe schieben. Er habe die Frage nur in das öffentliche Leben übergeleitet und sie in einen ruhigen Fluß gebracht. Man weise auf Rumänien hin. Warte man aber nur ein Lebensalter und man werde sehen, was durch diese Emanzipation aus Rumänien gewor— den sein werde. Ein jüdischer Schriftsteller sage: „Binnen 30 Jahren werde der Ackerbau Galiziens sich zum großen Theil in den Händen der Juden befinden. Auch hier sehe man wieder das Walten der göttlichen Vorsehung!“ Er habe keine Antipathie, weder gegen das Volk im Ganzen, noch gegen irgend einen einzelnen Israeliten. Den Vorwurf, daß er das Judenthum an sich proskribiren solle, weise er mit Entschie⸗ denheit zurück. Heute Morgen habe ihm ein gebildeter Jude erklärt, der in den Versammlungen seiner Partei seine Art kennen ge⸗ lernt habe, daß derselbe ihm zu dem heutigen Tage Glück wünsche. Er habe seinen Einfluß dazu gebraucht, von direkten An— griffen gegen das Judenthum abzumahnen. Er bemühe sich besonders, dies bezüglich der getauften Juden zu thun und zu verhindern, daß sich der Haß bis auf das 5. und 4. Glied erstrecke. Die Antisemitenliga habe er nicht begründet, auch habe er derselben nie angehört. Er habe nur die Statuten derselben zugeschickt erhalten. Ebenso verhalte es sich mit der „Wahrheit“. Er habe dieselbe nicht unterstützt, lese sie auch nicht. Aber das glaube er, daß die Männer von der Partei des n , des „Ulk“ und der „Wespen“ kein Recht hätten, sich darüber zu beklagen, daß hier einmal nicht das Heilige, sondern das Unheilige verspottet werde. In diesen Blättern habe man die heiligsten Gefühle des Christenthums verhöhnt, die lieblichsten Gebete in den Schmutz gezogen, die schönsten evangelischen Lieder travestirt, dagegen habe er sich erhoben. Er zolle den übergetretenen Israeliten, wie Stahl, Neander, Mendelssohn vollen Beifall; ebenso wie denjenigen ungetauften Juden, die in Kunst und Wissenschaft sich an der Entwickelung des preußischen Volks betheiligt hätten. Um diese handele es sich nicht. Er sei nach Berlin gekommen mit dem Datum des Civil—
stands gesetzes, bei dem vollständigen kirchlichen Bankerott, der veranlaßt sei von den Infamien der jüdischen Presse; zur jũdischen Presse rechne er die Blätter, die im Besitz von Ju⸗ den seien oder von denselben geschrieben würden; dazu rechne er auch das Berliner Tageblatt“ und den „Kladderadatsch“, auch wenn Leute daran schrieben, die einmal Theologie stu⸗ dirt hätten. Aus dem großen Anwachsen der Sozialdemo— kratie habe er den Nothschrei des Armen vernommen: „Helft uns äußerlich und innerlich“. Er sei in den Abgrund hin⸗ eingesprungen, er hätte nicht gewußt, wie tief der⸗ selbe sei. Er habe aber das Christliche nicht als Deckmantel für politische Bestrebungen benutzt. Speziell in die Erörterung der Judenfrage einzutreten, sei er durch unqualifizirbare Angriffe der jüzischen Presse auf christ⸗ liche Institutionen, wie Synoden, Missionsfeste ꝛc. sowie durch Aeußerungen der Abgg. Straßmann und Löwe (Berlin) ge⸗ nöthigt worden. Er habe aber auch nur verlangt, daß die Juden ein wenig bescheidener und toleranter werden möchten. Die fortschrittlichen Herren hätten übrigens für die Agitation so lange nur Spott und Hohn gehabt, bis der Abg. Straß⸗ mann in seinem Bezirk als Stadtverordneter nicht wieder⸗ gewählt sei. Redner rechtfertigte des Näheren die Be⸗ strebungen der antisemitischen Petition, welche von ihm nachträglich unterzeichnet sei, und wies nach, daß die jüdische Literatur überfüllt sei von Haß und Ueberhebung dem Christenthum gegenüber und von jeder Toleranz weit entfernt. Jüdische Schriftsteller ver— langten geradehin eine bevorzugte Stellung für die ung im Staate; die alliance israélite sei durchaus keine bloße Wohl⸗ thätigkeitsagitation. Die Judenfrage sei zudem eine brennende, auch nicht blos in Deutschland, sondern eine solche in allen Ländern der Welt. Die antijüdische Bewegung verstoße da— her nach Lage der Dinge in keinem Falle gegen die Ehre der Nation und sei keineswegs aus Haß gegen die jüdischen Mit⸗ bürger hervorgerufen; sondern lediglich eine berechtigte Ab⸗ wehr. Die bekannte „Erklärung“ leide an einseitiger Parteinahme. Der Druck, den das Judenthum auf die große Masse des deutschen Volkes ausübe, er⸗ schwere unzweifelhaft die Gefahren der sozialen Frage. Führe man doch nicht immer das Vermächtniß Lessings an; ein literarisches Ereigniß, welches 100 Jahre alt sei, passe nicht für die heutigen politischen Verhältnisse. Der Nathan im Lessingschen Schauspiele sei kein Jude, der Christ kein Christ, der Muhamedaner kein Muhamedaner; der Jude Nathan sei ein Christ! Mommsen habe die Juden ein Ele— ment der nationalen Dekomposition genannt; man könne doch nicht sagen, daß sie jetzt treu zusammen gehen würden mit dem deutschen Stamme? In der Erklärung der Notabeln werde von dem gleichen Recht und der gleichen Sonne ge⸗ sprochen. Er verlange weiter nichts; er fordere auch nur gleiches Recht für die christlichen Bestrebungen. Der Abg. Richter habe nun mit Leidenschaftlichkeit den Mythus wieder vorgetragen, daß die Leute, welche in den Schwindeljahren sich an den Gründungen betheiligten, auf der konservativen Seite gesessen hätten. Ihn habe dies indignirt. Es sei diese Debatte eine Abrechnung für die Unwahrheit, welche damals geübt sei; der vierte Theil Derjenigen, welche die Erklärung unterschrieben hätten, hätten sich damals an jenem Hexentanze um das goldene Kalb betheiligt. Die weit⸗
getriebene jüdische Konkurrenz drücke die Löhne herab, das
werde auch in der Concordia anerkannt, für welche auch der fortschrittliche Arbeiterführer Dr. Max Hirsch schreibe. Die soziale Frage sei auch wesentlich eine Lohnfrage, die sollte man nicht noch verschärfen. Der Druck, welchen das Judenthum auf Grundbesitz, Handel und Ge⸗ werbe ausübe, sei einer der Gründe der Verschärfung der sozialen Fragen. Er sei gewiß geneigt der Minorität das Privilegium der liebreichsten, freundlichsten Behandlung zu⸗ zugestehen, aber nur wenn sie gegen die Mehrheit mit der richtigen Bescheidenheit auftrete. Wer Wind säe, werde Sturm ernten, und wenn der Sturm kommen sollte, sei es nicht die Minorität, welche ihn aushalten müsse, sondern die große Masse der Nation. Als in Berlin eine Leiche gefunden worden sei, da sei ein jüdischer Kreisphysikus, ein jüdischer Amtsrichter und ein jüdischer Referendar erschienen, nur die Leiche sei deutsch gewesen. Er wünsche nicht, daß dieses das Schicksal der Stadt Berlin werden möchte. Der wahre Freund des deutschen Volkes müsse es für seine schönste Aufgabe erachten, die gesunden christlichen Grundlagen des deutschen Volkslebens zu erhalten. Der Abg. Löwe (Berlin) erklärte, daß er in einer etwas schwierigen Position gegenüber dem Vorredner sei. Er habe nach dem Verlauf, welchen die Debatte am Sonnabend genommen, nicht die Absicht gehabt, in die Diskussion einzu⸗ greifen, und Jeder im Hause werde fühlen, weshalb er diese Absicht nicht gehabt habe. Die Debatte am Sonnabend sei eine solche gewesen, daß Niemand von seiner Partei darein einzugreifen gebraucht habe. Vom ganzen Hause sei unter der Führung der Staatsregierung anerkannt worden, daß, wenn die Petition dahin gehe, die staats⸗ bürgerlichen Rechte der Juden zu beseitigen, daß dieses Treiben an dem Tische der Minister das Bollwerk finden werde. Der Abg. Stöcker habe seine Unterschrift unter die antisemi⸗ tische Petition zuerst bestimmt abgelehnt, bis der Hinweis auf den „Reichsboten“ ihn gezwungen habe, seine Unterschrift ein⸗ zuräumen. Er müsse ,. eine große Zahl von Unrichtig⸗ keiten konstatiren, welche der Vorredner bei der Begründung seiner Angriffe gegen die Juden sich habe zu Schulden kom— men lassen. Diese Beispiele seien genügend, um die Glaub⸗ würdigkeit des Abg. Stöcker überhaupt zu charakterisiren. Wohl möge man mit Recht einzelne Eigenheiten der Juden angreifen; doch möge man nicht vergessen, daß dies nur die Nachwirkung der Jahrhunderte fortgesetzten Unterdrückung sei. Der Abg. Stöcker habe, um seine Kampfmittel zu vermehren, ein Organ für judenfreundlich erklärt, weil Dr. Hirsch daran arbeite. Er konstatire, daß dieses Organ zu dem Verein ge⸗ höre, der unter der Führung und dem Patronat des Feld⸗ marschalls von Moltke stehe. Wer könne erwarten, daß man den Worten eines Mannes Glauben schenke, der mit solchen Kampfmitteln zu wirken suche. Der Abg. Stöcker ändere seine Erklärungen allerdings nach Ort und Publikum, wie aus. seinen Reden und Schriften hervorgehe. n einer Pastoren⸗ konferenz konstatire an daß die Judenfrage keine Rassen⸗ frage sei, da sie sonst mit Mord und Todtschlag enden müßte, und in einer seiner Broschüren schreibe derselbe: „Auf diesem Boden des Kampfes stehe Rasse gegen Rasse“. Heiße das nicht in indirekter Weise zu Mord und Todt⸗ schlag auffordern? Er könne die Partei des Abg. Stöcker nur warnen, mit dem Feuer zu spielen; heute seien es die Juden, denen man an den Leib wolle, ein an⸗
deres Mal andere Klassen, die nicht zu diesem Bekenntniß ge— hörten. Heute seien es nur deshalb die Juden, weil man in ihnen den Liberalismus treffen wolle. Man werfe den Juden vor, daß sie nicht auf der Höhe der Kultur ständen. Vergesse man denn, wie das Leben des jüdischen Volkes sich entwickelt habe, daß es bis in dieses Jahrhundert vom Grundbesitz, vom Ackerbau ausgeschlossen gewesen sei. Die Juden hätten kein Handwerk treihen dürfen, weil die Zünfte dies für unerträg— lich hielten. Die Juden seien ja gezwungen gewesen, wie einer ihrer Vorkämpfer sage, gezwungen, mit alten Kleidern zu han— deln. Jetzt wolle man sie niedertreten, weil die Juden es noch thäten. Wie sehr sei es den Juden erschwert worden, nach der Emanzipation sich zu assimiliren durch derartige Kräfte, wie sie der Abg. Stöcker wieder wachgerufen habe. Viel richtiger handele man, um diese Eigenheiten zu beseitigen, den Assimilirungsprozeß zu beschleunigen, nicht aber die Gegensätze von Neuem zu schärfen. Er protestire dagegen, daß der Abg. Stöcker im Namen der deutschen Nation irgend eine Forderung ausgesprochen habe, die deutsche Nation stehe auf einem höheren, idealeren Stand— punkte. Die Interpellation sei ihm erwünscht, denn sie habe zur Klärung der Verhältnisse sehr viel beigetragen, und das deutsche Volk wisse jetzt, wo die Feinde und Freunde seiner Kultur säßen. In der ganzen Bewegung gebe es einen ein— zigen festen Punkt, die Haltung der Regierung, den müßten die Liberalen suchen. Ehe die Regierung in der Lage gewesen sei, zu erklären, daß sie derartige Bestrebungen zurückweise, fei eine Beunruhigung durch das ganze Land gegangen; seit vorgestern sei die Sache erklärt. Daß die Mauern der preußischen Verfassung nicht umgestürzt würden, dafür bürge die feste Erklärung der Regierung. Darauf bauten Alle, die im Interesse des preu⸗— sßischen Volkswesens den Juden auf Grund der Verfassung gleiche Rechte gewähren wollten. Dann werde ein ganz anderer Wohlstand erblühen, als wenn solche Tendenzen wieder zur Geltung kämen, die unter dem Deckmantel der Nächstenliebe sich zu verbergen suchten. Von heute ab werde man anerkennen müssen, daß die Juden Gleichberechtigung mit den Christen hätten, daß man mit derartigen Petitionen, wie sie der Abg. Stöcker in Scene gesetzt habe, nichts erreiche, und daß dadurch nur der Versuch gemacht werde, das preußische Vater⸗ land in das vorige Jahrhundert zurückzudrängen.
Der Abg. von Kröcher bemerkte, er wolle auf die Judenfrage nicht näher eingehen, sondern nur feststellen, für wen die Interpellation opportun, und für wen sie inopportun sei. Die Partei, welche ein Interesse daran habe, die De⸗ batte abgebrochen zu sehen, und welche sie lieber nicht ins Haus kommen gesehen hätte, sei die Fortschrittspartei. Was seien denn für schreckliche Dinge passirt, daß diese Partei sich als Hüter des Gesetzes der Regierung und den Konservativen gegenüber aufspielen zu müssen geglaubt habe. Der Abg. Stöcker habe einige Volksversammlungen abgehalten, in denen derselbe in ruhiger Weise die Judenfrage behandelt habe. Diese seien von etwas mehr Leuten besucht, als der Fort— schrittspartei lieb gewesen zu sein scheine. Es seien auch einige Ausschreitungen vorgekommen. Das komme aber alle Tage in Berlin vor; aber Gott sei Dank und Dank dem Widerstande, den seine (des Redners) Partei seit 32 Jahren den auf das Gegentheil gerichteten Bestrebungen der Fort—⸗ schrittspartei entgegengesetzt habe, habe die Regierung noch die Macht, diese AÄusschreitungen im Keim zu unterdrücken. Der Abg. Stöcker habe bestritten, die Petition unterschrieben zu haben. Wenn seine Partei die Worte in die Wagschale legen wolle, so habe er die Petition auch nicht unterschrieben, sondern nur den Aufruf, der die Petition verbreitet habe. Er habe also eine Petition an den Reichskanzler gerichtet. Das könne die Fortschrittspartei ja auch. Bei der großen geistigen Ueherlegenheit der Fortschritispartei — dieselbe be— haupte ja, Koryphäen der Wissenschaft in ihren Reihen zu haben — werde es dieser Partei ja nicht schwer fallen, ein Werk herzustellen, das das „Machwerk der Dunkelmänner“ bei Weitem in den Schatten stellen und schon hier in Berlin so viele Unterschriften finden würde, daß man der Provinzen nicht bedürfen würde und das bethörte Volk da draußen seiner Partei überlassen könnte. Der Abg. Träger habe dem Hause vorgestern darüber eine Vorlesung gehalten, was konservativ sei; er wolle nur sagen, was er für nicht liberal halte: nämlich bei Ausschreitungen politischer Gegner sofort nach der Polizei zu rufen und gegen den in den gesetzlichen Schranken auf dem Boden des Versammlungsrechts sich bewegenden Gegner die Hülfe der Regierung anzurufen. Wolle man das Versammlungsrecht schmälern, so mache doch die Fortschrittspartei ihre Anträge; seine Partei werde die— selben wohlwollend erwägen und, so weit es die konservativen Grundsätze zuließen, denselben entgegenkommen. Die Fort⸗ schrittspartei habe also durch Anrufung der Polizei ihre Grundsätze aufgegeben. Dieselbe habe nur das erreicht: eine Propaganda für die Petition, wie man sie sich nicht schöner malen könnte; daß die Judenfrage hier sachlich erörtert sei und der Abg. Stöcker n, bekommen hätte, seine Prinzipien guseinanderzusetzen. Er sei ebenso wie der Abg. Löwe von der Antwort der Regierung außerordentlich befriedigt, er habe sie sich nicht schöner denken können. Was habe die Fortschritts⸗ partei denn eigentlich zu der Interpellation veranlaßt? Er könne sich denken, daß die Fort chrittspartei einige Besorgniß für ihre Sitze als Stadtvetordnete und hier fühle. Aber er rathe derselben in aller Bescheidenheit, wenn sie künftig wieder eine solche Besorgniß fühle, sich es nicht gleich so merken zu lassen. Nichts entmuthige den Soldaten so als die Furcht des Führers, und ebenso stehe es mit den Wählern. Die Geschichte lehre, daß man durch Aufgabe der Prinzipien den schwinden⸗ den Einfluß nicht wiederherstelle, sondern ganz verliere; die Fortschrittspartei habe durch Preisgabe der Vergangenheit die Zukunft verloren; mit der Interpellation habe dieselbe die
äge an den Ast gesetzt, auf dem sie sitze und die Folgen
würden nicht ausbleiben.
Der Abg. Rickert trat für die Opportunität der Inter⸗ pellation ein. Er müsse mit einer persönlichen Bemerkung beginnen; der Abg. Stöcker habe gesagt, daß ein großer Theil der Unterzeichner der bekannten Erklärung seiner 369 um das goldene Kalb getanzt habe; sein (des Redners) Name stehe auch unter dieser Erklärung; was meine also der Abg. Stöcker mit diesen Worten? Wenn der Abg. Stöcker bas nicht von der Tribüne herab erklären werde, ß werde er ihn des Miß⸗ brauchs der Tribüne anklagen. Er spreche noch gelegentlich weiter darüber! Dem Abg. von Kröcher erwidere er: nicht seine Partei . nach der Polizei gerufen, sondern die konservative Partei sage, da die Regierung derfe ben nahestehe, und das wolle er von der Regierung verneint sehen. Er habe empfun⸗
den und empfinde Schmach über die , . einer solchen
Debatte; das Ausland urtheile schön über solche Zustände!
Wenn die konservative Partei keine Scham darüber empfinde,
litbürger so heftige
gegen die jüdischen so bedauere
unmotivirt schleudere,
daß man Anklagen
er das. Der Abg. Stöcker sage, er mildere den Haß gegen die
Juden? Wie wolle derselbe damit die Reden vereinen, die
er (Redner) nach dem Kreuzzeitungsbericht vorlesen werde;
Redner verlas eine Rede vom Abg. Stöcker, die den Juden Schwindelei beim Konkurs und anderes vorwirft. Die heu⸗
tigen Worte des Abg. Stöcker ließen sich mit seinen früheren . zündet?
nur dann vereinen, wenn derselbe mit den Worten einen an—
deren Sinn verbinde, als seine (des Redners) Partei. Er be-
dauere, daß die Debatte heute im Gegensatz zu der vom Sonn⸗
abend so heftig geworden sei; aber der Abg. Bachem habe
angefangen! Die einzelnen Anklagen des Abg. Stöcker seien glänzend widerlegt; der schlechten jüdischen Presse halte er die schlechte nichtjüdische entgegen, das „Vaterland“ enthalte z. B. Artikel, die er vorzulesen sich schäme. Die jüdischen Wucherer, sage der Abg. Stöcker, seien am Nothstand in Schlesien Schuld. Die Konservativen sagten, die Juden seien stets in der Oppofition; und Rothschild? und Strousberg? Was wäre die konservative Partei ohne Stahl und Leo? Aber man wolle auf konservativer Seite den Ju⸗ den gegenüber keine Duldung, man wolle das Gesetz auf die⸗ selben nicht anwenden. Er habe das mit so schweren Opfern und dem Blute der deutschen Brüder errichtete Deutsche Reich bisher für einen Hort des Friedens nicht nur nach Außen hin, sondern auch nach Innen gehalten. Es sollte der Träger jener kulturellen Mission sein, die vom ganzen eivilisirken Auslande dem deutschen Volke zugeschrieben werde. Glaube man, daß es diesen Beruf unter der Firma der Christlich⸗ Sozialen erfülle? (Rufe im Centrum: Kulturkampf!) Wenn die. Herren vom Centrum sich, wie die judischen Mitbürger, unter die Autorität, unter die Hoheit die deutschen Gesetze stellen würden, dann würde auch dieser Kampf aufhören. Deshalb könne auch der dem Centrum so freundlich gesinnte Minister von Puttkamer diesen Kampf nicht beendigen, weil die Katholiken die Autorität und Hoheit der Gesetze nicht anerkennten, der Gesetze, die auf geordnetem Wege zu Stande gekommen seien. Also spreche das Centrum hier nicht fortwährend von Kulturkampf! Die jübischen Mit⸗ bürger hätten sich der Autorität des Gesetzes gefügt, und das sei der Unterschied. Ein evangelischer Geistlicher, Pastor Gruber in Reichenbach i. Schl., sage in seiner Schrift „Christ und Israelit“, die auch in den höchsten Kreisen Anerkennung gefunden hahe: Die Möglichkeit, daß Ideen, welche heute noch in den Köpfen der oberen Zehntausend hausten, auch in die niederen Schichten des Volkes hinabfinken und dort, wo die Fäuste schnell das Denken überflüssig machten, in rohe Gewaltthaten umgesetzt würden; die Möglichkeit, daß bei irgend, einer Erschütterung des Volkskörpers oder irgend einer Erregung der Volksseele Haß und Leiben⸗ schaft eine grausige Befriedigung suchen würde, sei auch in diesem Jahrhundert der Bildung und Aufgeklärtheit keines— wegs ausgeschlossen. Noch sei es Zeit, der Erregung Maß zu geben; noch könne der Friede, welcher die stärksten und ge— fährlichsten Leidenschaften, religiöse und nationale in Fesseln halte, zum Heil des Ganzen und zur Ehre der Menschheit er⸗ halten werden; noch seien in diesem Streit Hand und Ge— wissen unbefleckt, und Gott gebe, daß nicht unter dem Vor— wande seines heiligen Namens die unheilige Flamme des Hasses die Herzen des preußischen Volkes versehre!“ Die Fundamente des Deutschen Reichs könnten ins Schwanken ge— rathen, wenn man sie hier antaste. Friede und Freiheit für die Ueberzeugung und das Gewissen des Einzelnen, nicht aber jene ungerechtfertigten Verdächtigungen und Angriffe gegen deutsche Mitbürger, die in Ehren mit allen gemeinsam arbei⸗ teten für Vaterland und Freiheit, sei von allen zu erstreben!
Der Abg. Strosser erklaͤrte, er könne trotz der vorgerückten Stunde leider nicht kurz sein, verspreche indessen möglichste Objektivität. Der Abg. Rickert habe jedenfalls gedacht, die Interpellation werde hier im Hause denselben Effekt haben, wie in der Berliner Stadtverordneten⸗Versammlung; derselbe habe sich aber gründlich geirrt, noch mehr aber darin, daß derselbe behauptet habe, das deutsche Volk werde nicht mit den Konservativen in diesen Kampf treten. Das sei eben die Eigenheit der Liberalen, immer die Nation hinter sich zu ver— muthen, auch wenn man, wie bei den Wahlen, davon gar nichts merke. Der Vorwurf, daß das Wirken des Abg. Stöcker kein Beweis für die christliche Liebe sei, viderlege sich schon durch die Thatsache, daß der Genannte Tag und Nacht an dem Werke der inneren Mission mit unermeßlicher Mühe arbeite. Dem Centrum die Unterwerfung unter die Gesetze zu empfehlen, möge man doch endlich aufhören; kenne denn der Abg. Richter die Lehre des Landrechts vom passiven Widerstande nicht? Die Juden seien Deutsche, sage der Abg. Rickert; jetzt begönnen die besseren Kräfte unter ihnen sich zu regen. Das sei falsch; die schlechten kämen auf, wie die jüdische Presse täglich be weise. Wenn der Abg. Richter sich als Stütze der Monarchie geberde, so werde bald das Sprüchwort zur Geltung kommen: Gott schütze mich vor meinen Freunden!“ Die Angriffe des Abg. Stöcker gegen die Börse seien nur zu gerecht, sie richte⸗ ten sich gegen ein Institut, dessen Thätigkeit zu neun Zehn⸗ teln Schwindel sei. Der Abg. Richter habe sich auch auf Schulze⸗Delitzsch berufen und gewarnt, die Bestie im Menschen zu reizen. Hätte sich das doch die Fortschrittspartei 1848 ge⸗ sagt! Der Anlaß zur Interpellation fei ein Jude von nicht unzweifelhaftem Attest, der mit falschen Etiquettes zehn Jahre lang manipulirt habe und sich vom Ge— richt erst habe das Handwerk legen lassen müssen. Die Stadtverordnetenversammlung habe ganz unberechtigt für die Juden Partei genommen, namentlich der Abg. Hermes, ohne etwas mehr als Zeitungsnachrichten zu kennen. Redner rekapitulirte noch einmal den bekannten Vorfall und hob her⸗ vor, daß der Jude mit der Ohrfeige sofort sein eigener Richter geworden sei. Hätte solche Handlungsweise zur Zeit des Kulturkampfes Cours gehabt, dann würden die Backen von Tausenden von Juden gebrannt haben! Daß Hr. Hermes in die Stadtverordnetenversammlung gekommen sei, sei sehr er⸗ staunlich; wenn die Andern nicht ebenso gewesen wären, so hätte das gar nicht geschehen können! Ebenso einseitig habe auch der Stadtschul-⸗Rath Dr. Cauer gehandelt, hoffentlich werde das Provinzialschulkollegium auch ihm den Standpunkt klar machen, der einem gerichtlich bestraften Juden ohne Weiteres gegen zwei unter seinem Schutze stehende Lehrer Recht gegeben und in ihre Verdammung eingestimmt habe. Ebenso müsse man über den Gymnasial-Direktor Kempf erstaunt sein; diese alten Herren träten den Schülern der Obersecunda gegenüber in ein sehr schlechtes Licht! Nun aber komme noch der Abg. Dr. Langerhans; ebenso eifrig, wie die drei Vordermänner desselben, habe derselbe der „weiteren Mit- und Nachwelt“ be⸗
weisen wollen, daß die Berliner Stadtverordneten⸗Versamm⸗ lung gegen ein solches unfläthiges Gebahren vrotestire. Das sei der Despotismus der . Dieselbe, welche zwar gegen Prügelstrafe sei, nehme aber für sich das Recht der körperlichen Züchtigung jederzeit in Anspruch! Die Er— klärung von 76 Herren sei wie die Folge einer ansteckenden Krankheit gekommen; für den bestrasten, zweifelhaften Juden träten sie in die Schranken! Seit 1870 sollten ja alle Gegen⸗ sätze ausgeglichen sein! Aber wer habe den Kulturkampf ent⸗ ᷣ Der Fortschritt vor Allem! Wenn alle Juden so wären wie der Lessingsche Nathan, dann wäre die Juden⸗ frage aus der Welt geschafft. Er kenne auch eine Menge Juden, vor denen er allen Respekt habe; ja, er habe vor einem wahrhaft gläubigen Juden mehr Respekt, als vor der ganzen Fortschrittspartei zusammen. Er wolle es begründen. Denn er habe noch niemals Jemand aus der Fortschrittspartei auch nur ein Wort für seine christ⸗ liche Kirche sprechen hören. Der Abg. Träger habe neulich gesagt, er sei ein gläubiger Christ; das habe ihn an seiner Mel⸗ nung etwas irre gemacht; aber es gebe auch wunderliche Heilige. Für das, was der Abg. Stöcker in der Stadtmission gethan habe, sollten demselben Magistrat und Stadtverordnete Dank wissen; ja man sollte denselben zum Ehrenbürger ernennen. Gegen die schmachvollen Verleumdungen, die der „Börsen⸗ Courier“ gegen den Abg. Stöcker gerichtet habe, habe kein Jude Bron erhoben. Es gingen ihm und seinen politischen Freunden jetzt täglich Postkarten mit Schimpfereien aus fortschrittlichen Kreisen zu. Als die General— synode geschlossen sei, habe man von der Nothwendigkeit einer Desinfektion des Saales des Herrenhauses gesprochen, was würde die Fortschrittspartei dazu sagen, wenn morgen der „Reichsbote“ schriebe: Bei der großen Zahl der Juden, die auf den Tribünen gewesen seien, sei eine Äusräucherung des Saales nothwendig! Er möchte dann noch die jüdische Presse bitten, sich um die christlichen Glaubenssachen nicht zu küm⸗ mern. Der Abg. Lasker habe sich in seiner bekannten Grün— dungsrede 4 oder 5 Konservative herausgesucht, aber bei seinen Glauhens- und Standesgenossen fei derfelbe stehen geblieben. Die jüdische Hof⸗ und Güterschlächterei sei ein tieser Schade des preußischen Volkslebens. Gefährlicher aber sei der Kos— mopolitismus der Juden. Das Kapital fei in den Händen der judischen Bankiers; in der Reichsbank säßen 95 Juden und nur 5 Christen. Bei der Einführung der Gold— währung habe der Staat 90 Millionen verloren, von denen sich 89 in die Kassen von Juden verkrümelt hätten. Stahl sei allerdings ein Jude gewesen, aber derselbe sei ein gläubiger Christ und guter Koönservaliver geworden. Wenn alle 500 0909 Juden es eben so machten, so sollten sie will⸗ kommen sein. Leo sei dagegen kein Jude, sondern Sohn eines protestantischen Geistlichen. In den Befreiungskriegen sei von der Tapferkeit der Juden nicht viel zu merken gewesen, 1864, 1866 und 1870 hätten sie sich brav gehalten. Aber ein Schlachtfeld sei es, wo die Juden bei der Niedermetzelung ihrer Gegner Außerordentliches leisteten. Das sei die Börse. Die finanziellen Leichen der Börse überstiegen das Maß aller Todten und Verwundeten in allen Kriegen von den Freiheits⸗ kriegen an. Der Antisemitenliga gehöre er (Redner) nicht an, er billige auch die Kampfesweise der „Wahrheit nicht, aber erklärlich könne er sie finden. Man müsse alles Mög⸗ liche thun, um die den Juden noch anhaftenden Fehler zu be⸗ seitigen und überall Front machen, wo bie Christen von den Juden bekämpft würden, dann werde der Frieden schon kommen.
Nachdem ein Vertagungsantrag abgelehnt war, erklärte der Abg. Dr. Virchow, er habe nicht die Absicht, das Haus lange zu belästigen, aber er müsse Einiges zur Abwehr sagen. Der Abg. Strosser habe mit Zähigkeit behauptet, daß die liberalen Parteien durch den Fall Kantorowicz zu ihrer Er— klärung veranlaßt seien. Hrn. Kantorowicz müsse er gegen Abg. Strosser in Schutz nehmen. In Bezug auf die Ver— gangenheit des Kantorowicz habe es sich nach seinen Erkun⸗ digungen nur um einen Civilprozeß gehandelt und zwar um einen sehr zweifelhaften Fall. Er wolle auch nicht auf die Angelegenheit der Stadtverordnetenversammlung eingehen. Aber er müsse doch sagen, daß Hr. Cauer mehr der köonfer⸗ vativen Partei angehbre, als der liberalen. Der Redner wandte sich sodann speziell gegen den Abg. Stöcker, dem er vorwerfe, in seinen (des Abg. Stöcker) Vordersätzen in lebhaft agitatorischer Weise gegen die Juden vorzugehen, in seinen Schlußfolgerungen aber dann sehr gemäßigt aufzutreten. Das Volk ziehe dagegen naturgemäß aus seinen Vordersätzen erheblich kräftigere Schlüsse. Das Verfahren des Abg. Stöcker gleiche demjenigen eines Mannes, der eine Brandfackel hinausschleudere und sodann wieder zurückziehe, ohne sich darum zu bekümmern, ob nicht die dadurch unhergestreuten Funken einen verderb⸗ lichen Brand entfachen könnten. Die gesammte Debatte glaube er (Redner) nun mehr dahin resumiren zu können, daß sich keine einzige Partei im Hause gefunden habe, welche geneigt gewesen sei, die Petition zu vertreten. Erwäge man, daß die, Forderungen der antisemitischen Agitation noch viel weiter gingen, als die der Petition, so könne man als das Resultat der Diskussion eine einmüthige Verurtheilung dieser Bestrebungen bezeichnen.
Der Abg. Frhr., von Minnigerode bemerkte, in dem ge⸗ richtlichen Erkenntnisse bezüglich des Hrn. Kantorowicz heiße es: „Dieses unreelle Verfahren, welches lediglich zu dem Zwecke erfolgt sei, dem eigenen Produkt unter fremder Marke die Verkehrsgebiete zu erschließen, welche im Weltverkehr das französische Fabrikat bereits sich erschlossen gehabt hätte, hätte auch durch mehrjährige Ausübung nicht zu dem faktischen Zu⸗ stande führen können u. s. w.“ Dann heiße es weiter: „daß Verklagter seit Jahren sich der klägerischen Zeichen in illoyaler Weise auch für seine Marken bedient habe“. Endlich: „das gehe über den auch in der Konkurrenz zu wahrenden Anstand hinaus“. Er (Redner) glaube, daß hiernach die Person des genannten Herrn nicht unwesentlich zusammenschrumpfe. Um es offen zu sagen, habe er gebeten ihn anzuhören, um die Art und Weise zu widerlegen, in der der Abg. Virchow den ganzen Lauf der Sache hier am Schluß zu drehen gewußt habe. Es sei an sich schon der kühne Versuch einer ausgesprochenen Minderheit, es so darzustellen, als ob dieselbe in der Lage sei, das Schlußresums der gesammten Debatte zu geben. Wenn aber der Abg. Virchow gewissermaßen in dieser Debatte ein Verdikt gesehen habe gegenüber den allgemeinen Auffassungen, die sich in der bekannten Petition aussprächen, so möchte er doch dem gegenüber an das Haus appelliren, und er glaube, er begegne keinem Widerspruch, wenn er sage, daß der Ver⸗ lauf der ganzen Debatte den Abg. Virchow in keiner Weise
zu dem Schluß berechtigt habe. Seine (des Redners)