Die baaren Auslagen, welche durch die von der Reichs ⸗Versiche⸗ rungsanstalt angeordneten Ermittelungen entftehen, können dem Be⸗ triebsunternehmer auferlegt werden, wenn derselbe durch Nichterfül lung der ibm obliegenden Verrflichtungen den Anlaß dazu gegeben hat. Gegen die Auferlegung der Kosten findet die Beschserde statt;
über dieselbe entscheidet die höhere Verwaltungsbebörde. §. 28.
. Röckständige Prämienbeträge, sowie die in den 5§. 24, 27 be⸗ zeichneten Strafen und Kosten werden in derselben Weise beigetrie—⸗
ben, wie Gemeindeabgaben. §. 29.
Von jedem in einem versicherten Betriebe vorkommenden Unfall, durch welchen oder eine Körperverletzung erleidet, welche voraussichtlich eine Er—
werbsunfähigkeit von mehr als vier Wochen oder den Tod zur Folge
haben wird, ist von dem Betriebsunternehmer bei der Polizeibehörde schriftliche Anzeige zu erstatten.
Dieselbe muß binnen zwei Tagen nach dem Tage erfolgen, an welchem der Verpflichtete von einer solchen Verletzung oder von dem eingetretenen Tode Kenntniß erlangt hat.
Für den Betriebsunternebmer kann derjenige, welcher zur Zeit des Unfalls den Betrieb oder den Betriebstheil, in welchem sich der Unfall ereignete, zu leiten batte, die Anzeige erftatten; im Falle der Behinderung des Betriebsunternehmers ist er dazu verpflichtet. Form und Inhalt der Anzeige werden vom Reichskanzler fest— gestellt.
5. 59.
„Die Vorstände der unter Verwaltung von Reichs- und Staats behörden stehenden Betriebe haben die Anzeige der vorgesetzten Dienst—⸗ behörde zu erstatten.
§. 31.
Die Polizeibehörden, im Falle des §. 30 die rorgesetzten Dienst behörden, haben die bei ihnen eingehenden Unfallzanzeigen nach Ein⸗ tragung des Inhalts derselben in ein von ihnen zu führendes Un— fallverzeichniß alsbald an die höhere Verwaltung behörde einzusen⸗ den und gleichzeitig die zuständige Verwaltungsstelle der Reichs⸗Ver⸗ sicherungsanstalt von dem Unfalle zu benachrichtigen.
§. 32.
Jeder zur Anzeige gelangte Unfall ist von der Polizeibehörde so bald wie möglich einer Untersuchung zu unterziehen, durch welche festzustellen sind:
1) die Veranlassung und Art des Unfalls,
2) die getödteten oder verletzten Personen,
3) die Art der vorgekommenen Verletzungen,
4) der Verbleib der verletzten Per onen,
5) die Hinterbliebenen der durch den Unfall getödteten Personen, welche nach 5. 9 dieses Gesetzes einen Entschädigungsanspruch er— heben können.
Die Reichs⸗Versicherungkanstalt und der Betriebsunternehmer können durch einen Vertreter oder in Person an den Untersuchunge⸗ verhandlungen theilnehmen. Zu dem Ende ist ihnen von der Ein leitung der letzteren rechtzeitig Kenntniß zu geben. Außerdem sind, soweit thunlich, die sonstigen Betheiligten und auf Antrag der Reichs⸗ Versicherungsanstalt auf deren Kosten Sachverständige zuzuziehen. Von dem über die Untersuchung aufzunehmenden Protokolle, sowie von den sonstigen Untersuchungsverhandlungen ist den Betheiligten auf ihren Antrag Einsicht und gegen Erstattung der Schreibgebühren Abschrift zu gewähren.
Bei den in §. 30 bezeichneten Betrieben liegt es der vorgesetzten Dienstbebörde ob, die Untersuchung nach den vorstehenden Bestim⸗ mungen rorzunehmen.
§. 33.
Sind versi erte Personen in Folge des Unfalls getödtet, so hat die Reichs ⸗Versicherungsanstalt sofort nach Abschluß der Unter⸗ suchung (8§. 31) oder, falls der Tod erst später eintritt, sobald sie von demselben Kenntniß erlangt, die Feststellung der Gatschäbvigung vorzunehmen.
Sind versicherte Personen in Folge des Unfalls körperlich ver⸗ letzt, so ist nach Ablauf von vier Wochen nach dem Eintritt des Unfalls die Feststellung der Entschädigung für diejenigen verletzten . welche alsdann noch völlig oder theilweise erwerbsunfähig ind, vorzunebmen.
Für diejenigen verletzten Personen, welche sich nach Ablauf von vier Wochen noch in ärztlicher Behandlung behufs Heilung der er- littenen Verletzungen befinden, ist die Feststellung junä chst auf die bis zur Beendigung des Heilverfahrens zu leistenden Ent) chädigungen zu beschränken, im Uebrigen aber die Feststellung der Entschädigung bis zur Beendigung des Heilverfahrens auszusetzen.
§. 34.
Entschädigungsberechtigte, für welche die Entschädigung nicht von Amtswegen festgestellt ist, haben ibren Entschädigungeanspruch bei Vermeidung des Ausschlusses vor Ablauf eines Jahres nach dem Ein tritt des Unfalls bei der zuständigen Verwaltungestelle der Reicht ⸗Ver⸗ sicherungtanstalt anzumelden.
Wird der angemeldete Entschädigungganspruch anerkannt, so ist die Höhe der Entschädigung sofort sfestjustellen; anderenfalls ist der Entschädigungeanspruch durch schriftlichen Bescheid abzulehnen.
§. 35.
Dem Verletzten stebt ein Anspruch in Gemäßheit dieses Gesetze? nicht zu, wenn er rvorsätzlich die Verletzung sich zugefügt bat oder durch einen anderen bat zufügen lassen. Die Ansprüche der Hinter⸗ bliebenen werden hierdurch nicht berührt.
§. 36.
Die Betrieblunternehmer sind verpflichtet, der Reiche⸗Versicherungz⸗ anstalt auf Erfordern binnen einer Woche diejenigen Nachweisungen über die Löhne und Gehälter der in ihren Betrieben beschärtigten Personen in liefern, welche zur Feststellung des Durchschnittslobnes oder ⸗Gehaltes (3. 8 Nr. 2 Abs. 2, 3) erforderlich sind.
8. J.
Tie Reiche ⸗Versicherungtanstalt bat über die von ihr vorgenem- mene Feststellung der Entschädigungen jedem Entschädigungsberech⸗ tigten einen schriftlichen, durch die zuständige Polizeibebörde zuzu—⸗ stellenden Bescheid zu ertbeilen, aus welchem die Höhe der Entschädi⸗ gung und die Art ihrer Berechnurg zu erseben ist. Bei Entschädi⸗ gungen für erwerbzunfähig gewordene Verletzte ist namentlich anzugeben, in welchem Maße die Erwerbtzunfähigkeit angenommen ist.
8. 88.
War ein Versicherungeschein nicht ertbeilt, und wird der Ent⸗ schädigungtzanspruch aug dem Grunde abgelebnt, weil der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet bat, für nicht unter den §. 1 fallend erklärt wird, so stebt dem Verletzten und seinen Hinter ⸗ bliebenen gegen den Bescheid (8. 34 Abs. 2) die Beschwerde zu, welche innerbalb viersehn Tagen nach der Jastelluang bei der zustän⸗ digen Verwaltungestelle einzulegen ist. Ueber die Beschwerde ent ⸗ scheidet die köbere Verwaltungebebärde.
Gegen den Bescheid, durch welchen der Erntschädigzungeanspruch auß einem anderen alg dem vorbezeichneten Grunde abgelebnt wird, sowie gegen den Bescheid, durch welchen die Entschädigung festgenellt wird (5. 37), findet die Berufung auf den Nechteweg minels Er⸗ bebung der Klage statt.
Die Klage ist bei Vermeidung des Augschlussez binnen drei Monaten nach der Zustellung des Bescheideg ju erheben.
8. 39.
Klagen aus Versicherungtgeschäften können gegen die Reichg⸗ Ver siherungkanstalt nach Wabl deg Klägers bei dem zuständ gen Ge⸗ richt deß Sitze der Arstalt oder des Sitzes deren igen Verwaltunge⸗ stelle, welche dag Geschäft vermittelt hat, angestellt werden.
eine in demselben beschäftigte Person getödtet wird
S. 40.
Nach endgültiger Feststellung der Eatschädigung ist dem Berech⸗ tiaten eine Bescheinigzung über die ihm aut der Reichs Versicherungs-⸗ anstalt zustehenden Bejüje unter Angabe der Hebestelle und der Zahlungstermine auszufertigen.
5. 41.
Tritt in den Verhältnissen, welche für die Fesistellung der Ent schädigung maßgebend waren, eine wesentliche Veränderung ein, so kann eine anderweitige Feststellung derselben auf Antrag oder von Amtswegen erfolgen.
Ist der körxerlich Verletzte, für welchen eine Entschädigung in Gemäßheit des §. 8 festgestellt war, in Folge der Verletzung gestor⸗ ben, so muß der Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für die Hinterbliebenen, falls deren Festftellung nicht von Amtswegen erfolgt ist, bei Vermeidung des Ausschlusses, vor Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Verletzten angemeldet werden. Im übrigen finden auf das Verfahren die Vorschriften des 5. 34 Abs. 2, §§. 36 bis 40 entsprechende Anwendung.
Eine Erhöhung der in §. 8 bestimmten Rente kann nur für dle Zeit nach Anmeldung des höberen Anspruchs gefordert werden.
Eine Minderung oder Aufhebung der Rente tritt von dem Tage ab in Wirksamkeit, an welchem der dieselbe aussprechende Bescheid der Reichs ⸗Versicherungs anstalt (8. 37) den Entschädigungsberechtigten zugestellt ist. Die gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung auf den Rechtsweg (8§. 38) hat keine aufschiebende Wirkung.
S. 2.
Die Forderungen Entschädigungsberechtigter gegen die Reichs Versicherungsanstalt können mit rechtlicher Wirkung weder ver— pfändet, noch auf Dritte übertragen, noch für andere, als die in §z 749 Abs. 4 der Civilprozeßordnung bezeichneten Forderungen der Ehefrau und ehelichen Kinder und die des ersatzberechtigten Armen— verbandts gepfändet werden.
S. 43.
Die Polizeibehörden sind verpflichtet, den im Vollzuge dileses Gesetzes an sie ergehenden Ersuchen zu entsprechen. Baare Auslagen, welche denselben durch Erfüllung dieser Ver⸗ pflichtung erwachsen, werden von der Reichs ⸗Versicherungsaustalt in dem durch §. 4 Abs. 3 bezeichneten Umfange getragen.
§. 44.
Alle zur Begründung und Abwickelung der Rechtsverhältnisse zwischen der Reichs⸗Versicherungsanstalt und den Versicherten erfor— derlichen außergerichtlichen Verhandlungen und Urtunden sind ge— bühren und stempelfrei.
S. 45.
Die Betriebsunternehmer sind nicht befugt, die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zu ihrem Vortheil durch Verträge (mittelst Reglement oder besonderer Ucbereinkunft) im voraus aus— zuschließen oder zu beschränken. Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrist zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirkung.
5. 46.
Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene können gegen den Betriebsunternehmer, in dessen Betrieb die ersteren beschäftigt waren, einen Anspruch auf Ersatz des in Folge eines Unfalls erlittenen Schadens nur dann geltend machen, wenn derselbe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. In diesem Falle beschränkt sich der Ansprüch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach den best henden gesetzlichen Vor⸗ schriften gebührende Entschädigung die ihnen nach diesem Gesetze zustehende übersteigt.
§. 4.
Hat der Betriebsunternehmer den Unfall vorsätzlich berbeigeführt oder durch grobes Verschulden verursacht, so ist er veipflichtet, der Reichs ⸗Versicherungsanstalt alle Aufwendungen zu erstatten, welche dieselbe in Folge des Ugfalls auf Grund dieses Gesetzes zu machen hat.
In gleicher Weise haftet der Betrieb sunternehmer der Neichk Versicherungganstalt, wenn er den Betrieb binnen der in 5. 16 be⸗ stimmten Frist nicht angezeigt und der Unfall sich ereignet bat, bevor der Betrieb in Gemäßheit des §. 18 angemeldet worden war.
Als Ersatz für die Rente kann in den vorstehend bezeichneten Fällen deren Kapitalwerth gefordert werden.
§. 48.
Die Haftung eines Dritten, welcher den Unfall vorsätzlich her⸗ beigeführt oder durch Verschulden verursacht bat, bestimmt sich nach den bestebenden gesetzlichen Vorschriften. Jedoch geht die Forderung der Entschädigungsberechtigten an den Dritten insoweit auf dse Reichs Versicherungtanstalt über, als die Verpflichtung der letzteren zur Entschädigung nach diesem Gesetze begründet ist.
3. 40.
Betriebe unternehmer werden, wenn die von ihnen in Gemäßheit des §. 23 oder §. 365 eingereichte Nachweisung unrichtige thatsächliche Angaben entbält, sofern nicht der Thatbestand des Betruges vor⸗ liegt, mit Geldstrafe bis zu Eintausend Mark bestiaft.
Gleiche Strafe trifft den Betriebgunternehmer, welcher in der ron ihm gemäß Sz 18, 17 erstatteten Anieige als Zeitpunkt der Eröffnung des Vetriebeg einen späteren Tag angiebt, als den, an welchem dieselbe stattgefunden hat.
§. 50.
Betriebs unternebmer, welche der ihnen nach den §5. 16, 22, : oder 365 obliegenden Verpflichtung nicht rechtzeing nachlommen, wer⸗ den mit Geldstrafe bis zu fünfbundert Mark bestrast.
Gleiche Strafe trifft, wenn die Anzeige eines Unfalls nicht in Gemäͤßbeit des §5. 29 rechtjeitig erfolgt ist, denjenigen, welcher zu derselben veryflichtet war.
Hat der Betriebeunternehmer im Falle de 5. 23 dle recht⸗ zeitige Einreichung der Nachweisung und Berechnung wiederholt unterlassen. so hat er die Strafe mehrfach verwirkt (Strafgesetz⸗ buch 5. 78).
§. 51.
Die nach S§§. 24. 27 zulässigen Zwang maßregeln, sowie die Strafoorschriften der §§. 49, 50 finden auch gegen die gesetzlichen Vertreter handlung unfabiger Betriebgunternebmer, detgleichen gegen die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschast oder eingetra-⸗ genen Genossenschaft, sowie gegen die Liquidatoren einer Handelt gesellschast (der eingetragenen Genossenschast Anwendung.
§. 52.
Die Gentralbehörden der Bundesstaaten bestimmen, von welchen Staate oder Gemeindebehärden die in diesem Gesetze den böberen Verwaltungs behörden, den unteren Verwaltunzsbebörden und den Polijeibebötden zugewiesenen Verrichtungen wahr junebmen sind und jzu welchen Kassen die in den 85. 26, 27 bejeichneten Strafen fließen. Die von den Centralbebörden der Bundeestaaten in Gemäßbeit dleser Vorschrift etlassenen Bestimmungen sind bekannt zu machen.
§. 53.
Für Personen, welche nach Maßgabe dieses Gesrtzes versichert sind, kann eine weitere Versicherung bei der Reiche. Versicherunzg⸗ anstalt abgeschlossen werden.
Gegenstand der Versicherung ist die Gewährung eines Zuschusses ju den in den §§. 8, 9 seftgesezten Renten. Die Höhe deg Zu⸗ schusse? wird von dem Veri sicherungtnebmer bestimmt; derselbe darf sedoch die Hälfte der in den §§. 8, 9 festgesetzlen Beträge nicht überstelgen.
S§. 54.
Für die im Dienste Anderer beschäftigten Arbeiter, für welche die Versicherung durch dieses Gesetz nicht vorgeschrieben ist, können Versicherungen gegen die Folgen von Betriebsunfällen bei der Reichs. Versicherungsanstalt abgeschlossen werden.
Gegenstand der Versicherung ist, für den Fall der völligen oder theilweisen Erwerbsunfähigkeit. eine für die Dauer derselben an den Verletzten zu zahlende Rente, für den Fall des Todeg, eine an die im 5. 9 bezeichneten Hinter⸗ ; für die daselbst vorgeschriebene Dauer zu zahlende
ente.
Die Höhe der zu vetsichernden Rente bestimmt der Versiche‚ rungsnebmer; jedoch soll die Rente für den Fall der völligen Er— werbsunfähigkeit den Betrag des Jahresarbeitsverdienstes (§. 1,
Abi. 5. 6) des Bersibertea, für den Fall des Todes drei Viertel dieses Betrages nicht über steigen.
8. 565.
Die Tarife für die in 5. 54 vorgesehenen, sowie die Bersiche— rungsbedingungen für die in den 55. 53, 54 vorgesebenen Versiche⸗ rungen werden durch Beschluß des Bundesraths festgestellt.
Den Versicherungsnehmern sollen hinsichtlich des Abschlusses der Versicherungen und dee Einzablung der Prämien thunlich t dieselben Geschäftterltichterungen zu Theil werden, welche für die gesetzlich nothwendigen Versicherungen Platz greifen. Zu dem Ende haben sich die Betriebsunternehmer, sowie die von den Landes ⸗Centralbehörden zu bestimmenden Landes. und Kommunalbebörden der Geschäfts— vermittelung zwischen der Reichsversicherung und den Versicherungs.
nehmern, soweit eine solche in den Versicherungsbedingungen vorge—⸗ sehen wird, zu unterziehen.
§. 56.
Aaternehmern von Betrieben derselben Gefahrenklasse in räum-⸗ lich abgegrenzten Bezirken kann gestattet werden, zum Zweck der Un— fall versicherung auf Gegenseitigkeit zusammenzutreten.
Durch das Bestehen einer solchen Genossenschaft werden die Entschädigungsansprüche, welche den durch einen Unfall Verletzten oder ibren Hinterbliebenen gegen die Reichs ⸗Versicherungsanstalt zu⸗ stehen, nicht berührt.
Für die zu einer Genossenschaft vereinigten Betriebe tritt an die Stelle des Prämienbetrages die von der Geagossenschaft zu leistende Zahlung desjenigen Betrages, welcher erforderlich ist, um die Ent— schädigungsanspruͤche zu decken, welche während des abgelaufenen Ka— lenderdierteljabrs in Folge der in den ver inigten Betrieben vorge kommenen Unfälle festgeftellt sind. Für die festgestellten Renten ist die Deckung in Kapital zu leisten.
Zu den von der Genossenschaft zu leistenden Zablungen trägt das Reich in dem dutch 5. 13 für die Aufbringung der Prämie be- ftimmten Verhältnisse bet. Nach demselben Verhältniß können dazu die verficherten Personen, welche in den vereinigten Betrieben be— schäftigt sind, von der Genossenschaft berangejogen werden. Jedoch sollen die Beiträge für das Reich in jedem Rechnungsjahre der Reichz⸗-Versicherungsanstalt, für die Versicherten in jedem Kalender ⸗ vierteljahre den Betrag nicht übersteigen, welcher von den Verpflich teten nach 5. 13 an Prämienbeiträgen für den bezeichneten Zeitraum zu zahlen sein würde.
Zuzulassen sind nur solche Genossenschaften, welche eine wirk2 same Beaufsichtigung der rereinigten Betriebe zum Zweck der Ver— hütung von Unfällen herstellen.
Die näheren Bestimmungen über die Ertheilung der Genehmi— gung der Genossenschaften, über ihre Verwaltung und deren Beauf⸗ sichtizung, sowie über die Zurücknahme der Genehmigung werden durch Beschluß des Bundesrath festgestellt.
§. 57.
Der Zeitpunkt, mit welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, wird i n. des Bandegraths durch Kaiserliche Verordnung be⸗ timmt.
§. 58.
Versicherrvngès verträge, welche von Betriebsunternehmern eder solchen Personen, die nach 5. 1 ju versichern sind, gegen die Folgen der die letzteren treffenden, in diesem Gesetze bezeichneten Unfaͤlle mit Priraiversicherunganstalten geschlossen sind, erlöschen, wenn sie am 15. Mär 1881 oder sräter abgeschlossen siad, vier Wochen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, sofern nicht der Versicherungs⸗ nehmer vor Ablauf dieser Frist der Privatvrersicherungsanstalt gegenüber erklärt, daß der Versicherungs vertrag bestehen bleiben solle. Sind die Versicherunggverträge vor dem 15. März 1881 abge⸗ schlossen, so gehen die Rechte und Pflichten der Versicherungs nehmer auf die Reicht Versicherungz anstalt über, wenn dieselben dies bei der zuständigen Verwaltungsstelle der Reiche ⸗Versicherungsanstalt bean⸗
tragen.
Die Begründung lautet in ihrem allgemeinen Theil:
Bei der Berathung des Gesetzes vom 21. Oktober 1878, betref⸗ fend die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, ist die Notwendigkeit anerkannt worden, die bedenklichen Erscheinungen, welche den Erlaß dieseg Gesetzes nothwendig gemacht haben, auch durch vositive, auf die Verbesserung der Lage der Arbeiter abzielende Maßnabmen zu bekämpfen. Wenn auch die Hoffnung berechtigt ist, daß die allgemeine Besserung, welche von der neuerdings befolgten nationalen Wirthschate politik für die Entwickelung des beimischen Gewerbfleißes erwartet werden darf, auch den Arbeitern durch eine allmäbliche Erböhung des Arbeit vverdienstes und durch Verminderung der Schwankungen desselben zu gute kommen wird, so ist doch nicht zu verfennen, daß in der Unsicherheit des lediglich auf der Verwerthung der versönlichen Arbeitskraft beruhenden Grwer⸗ bes, welche auch bei normaler Entwickelung der beimischen Gewerbtztbätigkeit niemals gam; beseitigt werden kann, Mißstände begründet sind, welche war auch durch gesetzgeberische Maßnabmen nicht völlig aufzuheben sind, deren allmähliche Milderung aber auf dem Wege besonderer, die eigentbümlichen Verhältnisfse der Arbeiter . Gesetzgebung ernstlich in Angtiff genommen wer⸗ den muß.
Daß der Staat sich in böberem Maße als bisher seiner bülfs⸗ bedürstigen Mitalieder annebme, ist nicht blog eine Pflicht der Hu⸗ manität und des Christenthume, von welchem die staatlichen Ein⸗ richtungen durchdrungen sein sollen, sondern auch eine Aufgabe staattz⸗ erhaltender Pelitik, welche dag Ziel zu verfolgen hat, auch in den besitzlosen Klassen der Bevölkerung, welche zugleich die jablreichsten und am wenigsten unterrichteten sind, die Anschauung ju pflegen, daß der Staat nicht blos eine notbwendige, sondern auch eine wohlthätine Einrichtung sei. Zu dem Ende müssen sie durch erkennbare direkte Vortbeile, welche ibnen durch gesetzgeberische Maßregeln zu Theil werden, dabin geführt werden, den Staat nicht als eine lediglich zum ' der besser situirten Klassen der Gesellschaft erfundene, sondern als eine auch ibren Bedürfnissen und Jateressen dienende Institution aufzufassen.
Das Bedenken, daß in die Gesetzgebung, wenn sie dieses Ziel verfolge, ein sozialistisbeg Element eingeführt werde, darf von der Betretung dieseg Wegeg nicht abbalken. Soweit dies wirklich der Fall, handelt eg sich nicht um etwag ganz Neues, sondern nur um eine Welterentwickelung. der aus der crist · lichen Gesittüung erwachsenen modernen Staatsidee, nach wel cher dem Staat neben der defenstven, auf den Schutz be⸗ stebender Rechte abniielenden, auch die Aufgabe obliegt, durch zwe amäßige Einrichtungen und durch Verwendung der u seiner Verfügung stebenden Mittel der Gesammtheit. das Wobl⸗ ergehen aller seiner Mitglieder und namentlich der schwachen und bülsgbedürftigen vositiv ju fordern. In diesem Sinne schließt nament⸗
Die Versicherunggrtämie wird nach den sür die gesetzlich vor⸗ geschtiebene Versicherung festgestellten Tarifen berechnet.
lib die gesetzliche Regelung der Armenpflege, welch« der moderne Staat im Gegensatze zu dem deg Alterthum und des Mittelalter,
als eire ihm oblieger de Aufgabe anerkennt, ein soꝛialistisches Moment in sich, und in Wahrheit bandelt es sich bei den Maßnahmen, welche zur Verbesserung der Lage der besißlosen Klassea ergriffen werden können, nur um eine Weterentwickelung der Idee, weche der staat⸗ lichen Armenpflege zu Grunde liegt. . .
Auch die Besorgniß, daß die Gesetzgebung auf diesem Gebiete namhafte Erfolge nicht erreichen werde, chne die Mittel des Reichs und der Einzelstaaten in erheblichem Maße in Anspruch zu nehmen, darf ron der Betretung des Weges nicht abhalten, denn der Werth von Maßnabmen, bei welchen es sich um die Zukunft des gesjellschaftlichen und staatlichen Bestandes handelt, darf nicht an den Geldopfern, welche sie vielleicht erfordern, gemessen werden. Allerdings können mit einer einzelnen Maßregel, wie sie gegenwärtig vorgeschlagen wird, die Schwierigkeiten, welche die foiale Frage bietet, nickt gänzlich oder auch nur zu einem erbeblichen Theile gehoben werden; es bandelt sich vielmehr nur um den ersten Schritt auf einem Gebiete, auf welchem eine Jahre lang fortzusetzende schwie rige Arbeit mit Vorsicht und allmählich zu bewältigen sein und die Lösung einer Aufgabe wieder neue Aufgaben erzeugen wird. Dieser erste Schritt aber darf nach der Ueberzeugung der verbündeten Regierungen nickt länger hinausgeschoben werden und sie erachten es für Pflicht, ihrerseits durch Einbringung dieser Vorlage der Exfül— lung der Zusagen und Wüasche näber zu treten, welche bei den Ver⸗ bardlungen über das Gesetz, betreffend die gemeingefährlichen Be⸗ ftrebungen der Sozialdemokratie, von mehr als einer Seite ausge⸗ sprochen sind. . .
Bei der Erörterung der Frage, welche Maßnahmen in dieser Richtung zunächst ins Auge zu fassen seien, sind vornehmlich zwei Vorschläge in den Vordergrund getreten, welche auch bereits zu Verhandlungen im Reichstag Veranlassung gegeben haben. Nach dem einen soll die Versorgung der durch Krankheit oder Alter erwerbsunfähig gewordenen Arbeiter, sowie der Wittwen und Waifen verstorbener Arbeiter durch gesetzliche Maßnahmen sicher gestellt werden. Dieser Vorschlag ist durch den Antrag des Abg. Stumm näher dahin präsisirt, daß zunächst in der Beschränkang auf Fahrikarbeiter eine Zwangeversicherung nach Art der für Bergarbeiter in den Knappschaftskassen bestehenden durchgefübrt werden solle.
Der andere Vorschlag verfolgt das Ziel, den Arbeitern und ihren Hinterbliebenen wenigstens in denjenigen Fällen eine Versorgung zu sichern, in denen die Eiwerbsunfähigkeit der der Tod des Arbeiters durch die mit der Beruftsarbeit verbundene Unfallsgefahr herbei geführt ist. Nach verschiedenen seiner Zeit im Reichstag gestellten Anträgen soll dieses Ziel durch eine Revision des Gesetzes vem 7. Juni 1971, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenzersatz für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen u. f. w. vorgekommenen Tödtungen und Körperverletzungen, erreicht werden.
Der Einfübrung einer allgemeinen Invaliden, Wittwen⸗ und Waisenverforgung auf dem Wege des gesetz lichen Versicherungszwanges stehen auch bei Beschränkung dieser Regelung auf die , erhebliche Schwierigkeiten entzegen, welche theils in der Nothwendigkeit einer gesetzlichen Abgrenzung der dem Versicherungs jwange zu unterwerfen den AÄrbeiterklassey, ibeils in dem häufigen Orté- und Berufgwechsel der Arbeiter beruhen. Ob es möglic ist, diese Schwierigkeiten zu über ⸗ winden, kann für jetzt dahin gestellt bleiben, da die Durchführung einer gesetzlichen Regelung dieser Art Mittel erfordern würde, welche die Industrie allein nicht aufzubringen vermag, wenn sie dem Aut⸗ lande gegenüber konkurrenzfähig bleiben soll, und welche weder dem Reiche voch den Bundesstaaten bisher zu Gebote steben. Daß die Pensionirung aller Invaliden, Wittwen und Waisen, wenn sie in einer den Bedürfnissen entsprechenden Höhe erfolgen sollte, eine hohe Belastung entweder der Industrie oder der staatlichen Mittel bedingen würde, daß diese Belastung namentlich ungleich höber sein würde, als diejenige, welche durch die Sicherung der Arbeiter und ihrer Hinterbliebenen gegen die wirthschaftlichen Folgen der Unfälle bedingt sein würden, unterliegt keinem Zweifel. Für eine auch nur annähernde Berechnung der wirklich zu erwartenden Höbe dieser Belastung fehlt es aber bis jetzt an dem auzreichenden ftatistischen Material. Die Betretung dieses Wiges ohne Heran⸗· ziebung von Staatsbülfe schließt die Gefahr einer Ueberlastang der Kräfte der Betheiligten, also eine Auflösung ihrer Unternehmungen in sich, welche auch für die Arbeiter größere wirtbschaftliche Miß stände zur Felge haben würde, als diesenigen, welche jetzt belämpft werden sollen: eine Gefahr, welche bei dem gegenwärtigen Stande der JIndustrie und der Arbestslöhne besonders schwer ias Gewicht fällt. Ts entspricht daher der auf diesem Gebiete gebotenen Vorsicht, daß
ich die Gefetzgebung zunächst darauf beschräntt die minder schwierige 63 geringerẽ Opfer erfordernde Aufgabe der Sicherung der Arbeiter und ihrer Hinterbliebenen gegen die wirthschaftlichen Folgen der Un- fälle ihre Losung entgegen zu führen. Diese Beschrankung enthält nicht notwendig den Verzicht auf weitere Ziele, wenn solche nach Maßgabe der zu gewinnenden Eifabrungen und der versũzbaren Mittel sich als erreichbar darstellen. Namentlich ist es nicht die Absicht, die gesetzliche Regelung der Inraliditäts! und Alterverfergung von der weiteren Erwägung xrinzipiell auszuschließen. Bei dem bentigen Stande der Erfahrung auf diesem Gebiete und angesichtß der Finanilage des Reichs und der Einzelstaaten muß aber von der Verfolgung weiterer Ziele zur Zeit Abstand genemmen werdin. Erst die Erss hrungen der in der gegenwärtigen Vorlage in Aussicht genommenen Ruck oersicherungẽ · anstalt werden, namentlich wenn diese in der Richtung auf freiwillige Versicherungen cine erbebliche Ausdebnung gewinnen sollte, eine aus ˖ reichende Beleuchtung des känfstig zu bearbeitenden Gebietes und sichere Anbaltevunkfe für die weiter einzusck lagenden Wege gewähren. Diese Erfahrungen werden daber vor weiteren Schritten absuwarten sein, zumal es sich um eine gesetzgeberische Arbeit handelt, deren Ab⸗ schluß ein volles Menschenalter erfordern wird.
Bei den Verbandlungen über den Erlaß dieses Gesetzes vem 7. Juni 1871 sind Zweifel erboben, ob der §. 2 des Gesetzentwarfe das Bedärfniß, aus welchem er bervorgegangen, auch wicklich beftie digen werde. Bie Anträge, welche damals gestellt wurden, um dieses Jil sicherer ju erreichen, wollten die neu geschaffene Verbindlichkeit foeils für ein weiteres Gebiet in Geltung geset, theilt ibrem Inbalte nach verschãrst wissen. Ihre Ablehnung erfolgte, weil man fũrchtete, durch eine ju weite Ausdebnung nnd Verschärfumg des neuen Pringps die Industrie zu stark ju belasten und dadurch in ibrer Entwicdelung zu Demmen. Schon bald nach Erlaß des Gesetzes wurden Stimmen laut, welche den geschaffenen Rechtgjustand alg einen unbefriedigenden bejeschneien, und im weiteren Verlaufe der Anwendung des Gesetzes wurde immer allgemeiner das Bedürfniß nach einer en , . oder Verbesserung desselben gefüblt. Wenn dabei einerseits daz Mitte der Verbesserung big auf die neueste Zeit in einer weiteren Aredeb⸗ nung und Verschärfung der durch das Gesetz begründeten Dastoer · bink lichkeit gesucht wurde, so feblt es andererseitz auch nicht an der Grlenntniß, daß das Gesetz, auch wenn dag ibm in Grunde liegende Prinzip Fiz an die äußersten juristischen renzen seiner Dehnbarkeit durchgefübrt werden sollte, doch die Beftiedigung des Bedũr fnisses, durch welcheg es hervorgerufen ist, ur unvollkemmen erreichen würde.
Daß die Bestimmungen des 83. 2 des Gesetzts bei fortichtei. tender Anwendung Zustände berbeigefübrt baben, welche weder Arkestzeker noc Arbeltnehmer befriedigen und das Verbaäͤlt⸗ nis imischen beiden Klassen der gewerblichen Bevölkerung eber ver- schlimmert als verbessert haben, wird kaum nech bestritten. Die Velastung des Verletzten mit dem Bewesse eines Verschuldeng des Unterrebmerz oder seiner Beauftragten macht die Woblthat deg Ge seßer far die Arbeiter in den meisten Fällen illuserisch Dieser schon an sich schwierige Beweis wird nicht selten und gerade bei den kurch elementare Kräfte berbeigefübrten folgenschwersten Unfällen, wie sie in Bergwerken, in Anlagen mit Vamrfkesseln und in Fabriken zur Herstellung von Ewlostöstoffen vorkommen, dadurch unmöglich ge macht, daß der Zaffand der Betriebestätte und der Vetrtebseintich- tungen, auf deffen Festftellung es für den Schuldkbemeis meistens an kommt, durch den ÜUnsall selbst bis jur Unkenntlichkeit verändert ist, und daß diesenigen Personen, durch deren Zeugniß bäufig allein ein Verschriden nachgewiesen weiden könnte, durch den Unfall selbst ge södiet oder verießt und im letzteren Falle, auch wern sie nicht, waz
die Regel ist, selbst Partei sind, durch die Katastrephe in einen Zu⸗ stand versetzt sind, der sie zur Ablegung eines Z ugnisses unfähig macht. Die Erfahrung hat bis auf die reueste Zeit gezeigt, daß das Gesetz in derjenigen Fällen, welche durch ibre Wirkung auf die öffentlich Meinung vorjugsweise seinen Erlaß befördert haben, und auf welche es nach den Motiven in erster Linie berech net war, regelmäßig seinen Zweck nicht erreicht. Aber auch abgesehen von solchen Fällen ist die Lage des einzelnen Arbeiters, welcher einen Entschädigungsanspruch gegen seinen Arbeit geber im Wege des Prozesses verfolgen muß, Angesichts seines Ver⸗ mögens und Bildungsftandes, sowie seiner sozialen Stellang, in der Regel eine ungünstige. Nichts destoweniger sind Prozesse über Ent⸗ schaͤdigungsansprüche aus dem Haftpflichtaesetze keineswegs selten, zu⸗ wal sich seit Erlaß des letzteren in vielen Arbeiterkreisen die An⸗ schauung festgesetzt hat, daß den Arbeitern, wenn sie ohne eigenes Verschulden bei der Arbeit verunglücken, unter allen Umständen die weitere Versorgung durch den Arbeitgeber zu Theil werden müsse. Auch wo diese Anschauung nicht herrscht, hat der Umstand, daß bei den meisten Unfällen rerschiedene Ursachen in oft schwer zu erkennen⸗ dem Maße zusammenwirken, die Folge, daß der Arbeiter den Unfall ausschlieflich irgend einem dem Arbeitgeber zur Last fallenden Man—⸗ gel des Betriebes beimißt, während der Arbeitgeber ihn ebenso be— stimmt auf eine Uafolgsamkeit oder Leichtfertigkeit des Arbeiters zu— rück übrt. Da der Arbeiter, welcher in der Regel im Armenrechte klagt, durch die Furcht vor Kosten nicht vom Prozesse zurückgeschreckt wird und der Arbeitgeber durch die oft sehr erbebiiche Höhe des Anspruchs, sowie durch die Furcht vor den Konsegaenzen abge⸗ balten wird, denselben zuzugestehen, so fübrtt jene Verschiedenheit der Auffassung dazu, daß in vielen Fällen, in denen früher der Arbeitgeber seinem im Dienst verunglückten Arbeiter aus Billigkeits⸗ oder Humanitätsrücksichten in irgend einer Form eine nach den Um— ständen bemessene Unterstätzung gewährte, der Arbeiter jetzt, auf ein vermeintliches Recht gestützt, die volle Entschädigung für seine ver lorene oder geminderte Erwerbs ähigkeit fordert, während der Arbeit- geber gleichfalls in vollem Rechte zu sein glaubt, wenn er jede Ver= rflichtung in Abrede stellt. Die Folge ist dann meistens, daß nach eirem langwierigen Prozesse entweder der Arbeitgeber zu einer Ent- schädigung verurtheilt wird, welche er als eine unbillige ansieht, oder der Arbeiter auch derjenigen Unterstützung verlustig geht, welche ihm unter anderen Umständen durch das Pflichtgefühl oder Wohlwollen des Arbeitgebers zu Theil geworden wäre. Daß durch derartige Vor— gänge Erbitterung wischen Arbeitgebern und Arbeitern hervorgerufen und mit jedem neuen Falle der Boden für eine gütlicke Verständigung in künftigen Streitfällen dieser und anderer Ait immer mehr unter- graben wird, liegt in der Natur der Sache und ist neuerdings von Behörden und Beamten, welche diesen Verhältnissen nabe stehen, sowmie von wohlwollenden Arbeitgebern mehrfach hervorgehoben wor— den. Nicht wenig trägt zur Vermehrung der Prozesse über Entschä— digungsansprüche und damit zur Verschärsung des Gegensatzes wischen Ärbeitgebern und Arbeitern auch die jetzige Gestaltung der Unfallversicherung bei. Die Versicherungsgesellschaften sind durch ge⸗ schäftliche Rügsichten darauf hingewiesen, auf Grund der für haft · pflichtige Unfälle abgeschlofsenen Versicherung nur für solche Entschä⸗ digungen Deckung zu leisten, zu denen der Versicherungsnehmer durch das Gesetz urzweifelbaft verpflichtet war. Sie tönnen daher dem letzteren nicht die Entscheidung über die Anerkennung oder Nicht anerkenuung der erhobenen Ansprüche überlassen und sich bei ibrer eigenen Entscheidung nicht durch Rücksichten destimmen lassen, welche den Arbeitgeber, wenn er allein zu entscheiden hätte, vielleicht geneigt machen würden, manchen Zweifel an seiner rechtlichen Verpflichtung auf sich beruhen zu laͤssen. Bei der großen Zweifelbaftigkeit der meiften aug dem Hasspflichtgesetz hergeleiteten Ansprücke kann es daber karm befremden, daß, die Mehrzabl, der Versiche⸗ rungkegesellschasten dahin gelangt ist, in den meisten Fällen nur zu zablen, wenn der fragliche Entschädigun zeanspruch durch richter; liche Eatscheidung festgestellt ist. Aber auch da, wo dieser Grundsatz nicht befolgt wird, ist dem Arbeitgeber, welcher gegen haftpflichmige Unfälle versichert ist, die Anerkennung einer gegen ihn erhobenen Gntschädigungsforderung in bobem Grade dadurch erschwert, daß er, um seinen Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft nicht aufn geben, ein vorgekommenes eigenes oder seinem Beauftragten zur Last fallendes Verschulden einräumen muß. Die Regel ist demnach, daß der Arbeitgeber in jedem Falle, wo eine Entschädizung gefordert wird, genöthigt ist, sich von seinem Arbeiter verklagen zu lassen. So unwillkommen eine solche Lage füär den wohlwollenden Arbeit: geber ist, so kann er doch auf die Versicherung nicht verzichten, weil sie ihm das einzige Mittel bietet, sich gegen Verluste zu schützen, welche bei ibrer Erheblichkeit unter Umständen die Existenz des Unternehmens gefährden können. Bei der Unbeschränktbeit des rich reriichen Ermeffen, welckem das Gesetz die Bestimmung der Ozhe des Schadenkeratzes überläft, liegt in jedem Falle die Möglichkeit vor, daß die Nente, welche der Richter dem ꝛ letzten oder seinen. Hinterbliebenen als Ersatz für die rerlorene Erwerbffähigkeit oder für den verlorenen Unter⸗ halt zubilligt, in der vollen Höhe des letzten Arbtitslobnes bemessen wird, und die Erfahrung lehrt, daß Fälle, in denen dieg geschieht, nicht selten siad. Auf diese Weise erbält der in seinem Berufe ver— ungiückte Arbeiter, wenn sein Anspruch für begründet erkannt wird, Entschädigung in einer Höbe, wie sie in anderen Berufsarten, namentlich auch im Staate und sonstigen öffentlichen Dienste nicht vorkommt rund mit Rücsicht auf die vorkemmenden Zeiten der Arbeitzlosigkeit oder doch deg geminderten Verdiensteg, und anderer feits auf die dem Verletzten oft bleibende oder wiederkebrende 1beil. welfse Crwerbefäbigkeit, nicht gerechteitigt ist. Andererseits aber ist der Entschädigungeanspruch an solche Vorau setzungen geknüpft. daß er nur in einer verbältnimäßig geringen Zabl von Fällen, in wil chen Arbeiter ibre Erwerbe fäbigkeit ganz oder tbeilweise verloren baben, jur Geltung genrackt werden kaan, während in den anderen Fällen der erwerbzun fähig nr. ——— * öffentlichen Armen⸗ flege oder der Prixpatweblibätigkeit anbeimfä it. .
7 ge lãßt 30 hiernach nicht verkennen, daß der 5. 2 des Gesetzes vom 7. Juni 1871 der Absicht, den Arbeiter gegen die wirthschaft sichen Folgen der mit seinem Berufe verbundenen Gefahren sicher ju stellen, nur unrollkommen entspricht daß urter Umstandin der Atbeitgeber durch die Haftpflicht in einer ü kermãßiaen Weise kelastet ward, daß durch daz Gesetz statt der gebofften Verbessernng deg Verbältnisses jwischen Arbeitgebern und Arbeitern in weitem Umfange der entgegenatsetzte Erfolg berbeigeführt und im Ganzen eine Sitration geschaffen ist, deren Beseitigung im Jateresse beider glassen der gewerblichen Bevölkerung gleich wünschenemwerth erscheint. An die Gesetzgebung tritt damit die Aufgabe beran, eine Regelung berbeinnsübren, welche die Arbeiter gegen die wirtbfchaftlichen Folgen der bei der Arbeit einttetenden Unfälle in möglichst weitem Umfange sicherstellt, obne die Industrie mit unerschwinglichen Opfern zu be lasten und obne auf das Verbältniß jwischen Arkeitgebern und Arbeitern einen nachtkellizen Ginsluß aut aßben. Diese Aufgabe wird indessen auf dem Wege, welken die bigberigen auf Rer sien des Geseß eg rom 7. Jani 1871 gerickteten Bestrebungen ing Ange gefaßt baben, nicht gelöst werden können. Die Ausfübtung des am weltesten gebenden Vorschlage. welcher darauf abjielt. die Gnt⸗ schädlaungt verbindlichkeit für die in 5. 2 des Gesezes aufgesũdrten und bie weiser in denselben noch aufsunebmenden Bettiebe in gleicher Weise za regeln, wie dies in §. 1 für die Gisenbabnen ge · eben ist, würde die Arbeitgeber in einer innerlich recht widrigen Wesse und in einem für den Fortbestand und die weitere En twoicke⸗ sung unserer Industrie bedenklichen Maße belasten, obne dech iu veöllg befriedigenden Graeknissen für die Arbeiter und da? Verbaltniß jwischen sbnen und den Arbeitgebern u fübren. Die Streitigkeiten über Gnisckädigunztansprüche würden allerdingt vermindert. aber kelnegwegk Kesestigt werden. Wöbrend bitber der Arbeiter ein Jater-= esse batte, bel jedem Unfalle womöalich ein Verschulden seings Ar⸗ bestgebers oder eineg Beauftragten desselben aufjufinden, würde lot lan der Arbeitgeber dasselbe Interefse baben, ein Verschalden des Ar ⸗ beiterg nahjaweisen, und daz nicht unberechtigte Gefahl, mit ner Vrrantwonlikkeit kelastet n sein, welche in der Natur der Verhalt⸗
Ner Ver⸗
nisse und in allgemeinen Rechtsgtundsätzen keine ausreichende Be⸗ gründung fiadet, sewie die Sckwere der aus dieser Verantwortlichkeit entspringenden Belastung, würden die Arbeitgeber voraussichtlich dabin führen, jede Möglichkeit, diese Verantwortlichkeit im einzelnen Falle ron sich fern zu halten, zu verfolgen. Eme Regelung nach diesem Vorschlage, welcker übrigens innerhalb des Reichstags neuer⸗ dings nur ron den der sozialdemokcatischen Partei argebärenden Ab- geordneten vertreten ist (Antrag Hasenclever, Drucksachen 1878 Nr. 128), wire demnach nicht in Frage kommen können.
Ein anderer Weg, um zu einer ausgiebigeren Sicherstellung der Arbeiter gegen die Folgen der Unfälle zu gelangen, wurde bei der Berathung des Gesetzes durch die Mehrzabl der zu 5. 2 gestellten Anträge in Vorschlag gebracht. Darnach follte zwar an dem Grund⸗ satze, welcker das Eintreten der Entschädigungsverbindlichkeit von dem Vorhandensein eines, sei es unmittelbaren, sei es mittelbaren Verschuldens des Unternehmers abhängig macht. feitgehalten, das Mittel zur Erweiterung des den Arbeitern zugedachten Sutzes aber in einer Bestimmung gefunden werden, nach welcher das Vor handen⸗ sein eines Verschuldens unter gewissen Voraussetzungen zu präsumiren sein würde. Die Anträge Lasker (Drucksachen 1871 Ne. 65), Schaff⸗ rath und Klotz lib. Nr. 71 II.), Biedermann (ib. Nr. 71 111.) Friedenthal (ib. Nr. 75), Grumbrecht (ib. Nr. 94, 95), laufen sämmt⸗ lich darauf hinaus, daß der Unternehmer veipflichtet sein soll, bei der Einrichtung und dem Betriebe seiner Anlage die erforderlicken Vor⸗ sichtsmaßregeln zu treffen, und daß das Verschulden vräsumirt wer⸗ den soll, wenn der Unternehmer nicht beweist, daß er dieser Verpflichtung nachgekommen sei. Die Vetschiedegheit der Anttäge liegt theils in den Kriterien, von welchen die Extscheidung darüber, welche Vorsichtsmaßregeln erforderlich waren, abhängig sein soll, theils darin, daß die Einen die Präsumꝛion des Verschuldens beim Mangel jeres Beweises obne Weiteres und schlechthin eintreten lassen (Lasker Nr. 65, Schaffrath und Kloß Nr. 711II.), die Anderen dagegen diese Präsumtion beschränken wollen, und zwar entweder durch Abbängigmachung derselben von dem vor⸗ gängigen Biweise, daß der Unfall durch Einrichtung der fraglichen Art hätte abgewandt werden können (Friedenthal Nr. 75, Grum brecht Nr. 941I.), oder dadurch, daß ein Gegenbeweis zugelassen wird (Unterantrag Bahr Nr. 70, Biedermann Nr. 71 1II., Friedenthal Nr. T5). In der gleichen Richtung bewegen sich der in der Reichstags⸗ session von 1878 von der 1X. Kommission gefaßte Beschluß (Dracksa en 1878 Nr. 251) und die in der Session von 1879 von dem Abg. von Hertlins und Genessen ausgegangene Interpellation (Drucksachen 1879 Nr. 23), iadem sie neben der Ausdehnung der Haftpflicht auf andere, als die bis jetzt im 5.2 aufgeführten Betriebe die Regelung der Verantwortlichkeit des Unternehmerꝛs und der Beweislast in einer der Natur der einzelnen Gewerbe“ entsprechenden Weise in Aussicht nehmen.
Alle diese Anträge haben das Gem einsame, daß sie be! der ge⸗ setzlichen Regelung der vorliegenden Frage an dem Grundsatze des allgemeinen Obligationenrechts, wonach die Verbindlichkeit zum Schadensersatze durch ein Verschulden begründet wird, festbalten wollen, nichté destoweniger aber durch das Bedürmniß, den Verhält— nissen des vorliegenden besonderen Gebietes Rechnung zu tragen, zu den einschneidendsten Abweichungen von den Konsequenzen dieses Geundsatzes und von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen über Beweig⸗ rflicht und über rechtliche Präsumtionen gedrängt werden, und damit in die Lage kommen, der allgemeinen Regelung dieses Theils des Obligationenrechts in einer bedenklichen, in ihren Konsegaenzen nicht zu übersehenden Weise vorzugreifen. Muß schon dieses prinzixvielle Bedenken von der Betretung des in j nen Anträgen angedeuteten Weges abmahnen, so stehen überdies der Wabl dieses Weges auch die erbeblichsten praktischen Schwierigkeiten entgegen. In welcher Weise auch die „nähere Regelung der Veransmwortlichteit und der Beweirlast“‘ gedacht werden mag, sie wird immer darauf binaus⸗ laufen müssen, daß hinsichtlich der Einrichtungen und der Ordnung des Betriebes bestimmte Forderungen aufgestellt werden, drren Nicht erfüllung, mag sie im Streitfalle von dem Verletzlen bewiesen wer= den müssen, oder bei mangelndem Beweise der Eirullung präsumirt werden, die Haftbarkeit des Unternehmers für die Folgen eines ein cettetenen Unfalles begründet. Der Versuch, diese Forderungen durch Sxpezialrorschriften fär die verschiedenen Betriebsarten festzustellen. würde auf die Schwierigkeit stoßen, die in Betracht koömmenden Ver⸗ hältnisse aller einzelnen Betriebkarten so sicher und erschöpiend zu siberseben, daß die zu erlassenden Vorschriften mit einer den For⸗ derungen der Gerechtigkeit einigermaßen enrtsprechenden Gleich⸗ mäßigkeit bemtssen werden könnten: gar zu geschweigen der weitern Schwierigkeit, welche einer gesetzlichen Fixirung dieser Forderungen daraus erwachsen würde, daß die für die letzteren maßgebenden echnischen und sonstigen. Verbältnisse viel- fachem und oft raschem Wechsel unterworfen man sich aber angesichtßz dieser Schwierigkeiten beschränken, die an den Unternehmer zu stellenden Forderungen durch eine allgemeine Bestimmung von den bestebenden Vorschriften /! oder von ‚Crfsahrung und Wissenschaft⸗ abbänqig zu macen, wie es nach den bei Beraihung des Gesetzes abgelehnten Anträgen gescheben sollte, so würde sich in Folge der Verschiedenbeit, sei es der „gelien⸗ den Vorschriften'. sei es des Urtbeils über die Forderungen der Er⸗ fabrung und Wissenschaft“, in der praktischen Handhabung detz Gi⸗
f schwerlich lange
setzes eine Ungleichmäßigkeit herausstellen, welche
ertragen werden würde. ö Daz Hauptbedenen gegen diese Art der Regelung bestebt aber darin, daß dadurch der gegenwärtige Zustand nicht wesentlich ver ⸗ kbessert werden würde. Alleidings würde sich die Zabl derjenigen Arbe ter, welche für die durch Unfall verlorene Giwerbsfähigteit Ersatz erh elten, vielleicht nicht unerbeblich vermebren, ob aber die Wobstbaten des Gesetzes gerechter vertbeilt werden würden, ist zu bejmweiseln, und keinenfalls würde das Ziel erreicht werden, daß den Arbeitern? in allen Fällen, in welken es der Billigkeit und dem Interesse der Gesammtbeit entspricht, jener Eisatz in einer Weise gesichert würde, welche keine zu schwere Belastung der Industrie jur Folge haben und keine unaũnsti e Rũck wirkang uf Tas Verhältniß mwischen Arbeitgebetn und Arbeitern ausüben würde. Jede Regelung, welche den Anspruch Rs Acbeiters von einem wirtlichen der singirten Verschulden des Unternbmers acbangig macht, ist mit der Gefabr verbunden, daß über das Vorhanden ein diefes Verschuldenz in jedem elnzelnen Falle der Anwendung Zweifel entsteben. Auch die sorgfältigste Abmessung der Berau? unter denen das Verschul den angenommen werden sell, nig zu verhindern, daß diese Zeifel in zablreichen Fällen zu einer Quelle von Rechttstreinigkeiten werden. Damit bleibt es aber mebr eder weniger dem Zafall überlassen, ob die einzelnen Arbeiter der Wohl⸗ baten die Gesetzes in gleicmäßiger Weise theilbaftiz werden, und crenso bleibt der verbitternde Ginflaß, welchen der gezenwärtige Rechtz ustand auf das Verhältniß zwischen Arbeitzebern und Arbei⸗ tern autürt, in ungeschwächter Kraft besteben. öᷣ Wenn biernach der Versuch, die Lage der Arbeiter durch Ver= scärsung der Haftrflicht iu verbessern, einen beftiedigen den Ersola nicht in Aussscht siellt, und wenn nach den bei der Anwendang dez S5. 2? dez Gesereg vom 7. Juni 1871 gemachten Erfabrungen nicht eir mal die Arsdebnung der Haft flicht auf ein weiteres als das bicberlze Gebiet ratbsam erscheint, so kann dech die Frage, in e wem Maße und auf welche Welse die Arbeiter gegen die wirt s basilichen Folgen der Unfälle gesichert wercen sellen, nicht auf sich kętuben kicken. Gin Stillstand oder gar ein Rügschritt auf diesem Gesiete der Gesetzaibeng würde den staatlichen Aufgal
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ben der Gesergebung cbenscmwehis, wie dem Interesse der Indnstrie entsrrechen. Vagegen wird eine Regelung, wélche die auf solche Sicherung der Arbeiter ze. richtete Forderung in gerechtem Umfange für einen möalichst weiten Rreig befriedigt, unter denjenigen Maßregeln, welche zur Verbesse⸗ rung der Lage der Arbelter in Frage kemmen können. als eine der nächstliegenden und fru ctbarsten anzuerkennen sein, zumal Nadurch für einè nicht geringe Zabl ron Fällen dem Bedürfniß der Invaliden. Witwen und Waisendersorgung entsprochen witd. Nac der dem vorliegenden Geseßenmwrurse ju Grunde liegenden Auffassung kann kicse Regelung nur auf dem Wege berbeigefübrt werden, daß die