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die Sache und ihrer ganzen politiscken Geltung Überschätzt. Bei der Militärfrage habe der Abg. Stumm eine Anspielung auf das furchtbare Ereigniß in St. Petersburg gemacht. Ob es richtig sei, von diesem furchtbaren Ereigniß in diesem Augen⸗ blick hier beiläufig zu sprechen, sei ihm sehr zweifelhaft. Es deweife aufs Neue, „nicht Roß, nicht Reisige sicherten die steile Höh'“ und lege die inneren Verhältnisse Rußlands aufs Neue in fo furchtbarer Weise bloß, daß es für Deutschland wahr⸗ lich nicht militärisch bedrohlicher geworden sei als im vergangenen Jahre. An der Wehrhaftigkeit des Landes, an der Schlagfertigkeit der Armee hätten er und seine politischen Freunde dasselbe Interesse wie alle übrigen Parteien. Was würden die Konservativen sagen, wenn seine (des Redners) Partei ihnen vorwürfe, daß sie Deut sch⸗ lands Wehrfähigkeit zur See schwächen wollten, weil sie die Kosten für die Panzerfregatte aus technischen Grün⸗ den und auf Grund selbständigen Urtheils nicht bewilligt hätten. Seine (des Redners) Partei wende nur dieselbe Logik zu Lande an, wie die konservative Partei zu Wasser. Beantrage die liberale Partei Ersparnisse, dann heiße es, sie halte die Debatten auf; stelle sie keine Ersparnißanträge, so sei es dem Abg. Stumm wieder nicht recht. Er habe es dem Hause
ja vorausgesagt, daß, nachdem man eine so hohe Präsenz fest⸗ gesetzt habe, der Spielraum für Ersparnisse überhaupt ein fehr? geringer geworden sei. In Betreff der Steuern, Zölle und Versprechungen meine der Abg. Stumm, es fei nicht so viel bewilligt worden, als verlangt sei. Das sei richtig, aber doch „3, 130 siatt 160 Millionen Mark. Dazu noch speziell durch die Thätigkeit de⸗ Abg. Stumm die Verdoppelung des Rogzenzolls und die Erhöhung des Zolls auf grobe Eisenwaaren. Und wenngleich von diesen 130 Mil⸗ lionen bisher nur 90 eingegangen seien, stehe diese Belastung im Verhältniß zu einer Entlastung von nur 14 Millionen im preußischen Etat? Jetzt sage ber Abg. Stumm, es sei gleich⸗ gültig, was die Einzelstaaten mit dem Geld machten, während zamals noch der Minister Lucius gesagt habe, nur ein geistes— krankes Ministerium könne in Zweisel sein, daß das den Einzel⸗ staaten Zugewendete zu Steuererlassen verwendet werden müsse. Warum provozire man seine Partei immer, daran zu erinnern, was der Minister von Puttkamer damals gesagt habe, es würde ein Stoß in das Herz des preußischen Königthums sein, wenn man diese Summe zu etwas Anderem verwenden würde als zu Steuererlassen. (Ruf; Defizit!) Vom Defizit habe man erst gesprochen, als man der Steuerbhewilligung sicher gewesen sei, und sei er denn Schuld an dem preußischen Defizit? Uebrigens habe er dem Hause ja die Wege gewiesen, wie man ohne Belastung der Steuerzahler durch eine Reform der Branntweinsteuer und der Rübenzuckersteuer auf Mehrein— nahmen bedacht sein könne. Warum nun mit dieser Ausführlich⸗ keit hier in der Generaldiskussion auf die Eisenzölle eingegangen werde, wisse er nicht, jedenfalls sollte aber der Abg. Stumm seiner (des Redners) Partei, die kein persönliches Interesse an denselben habe, nicht vorwerfen, daß sie durch eine mehr oder weniger gefärbte Brille sähe. Es sei übrigens ganz merkwürdig, daß sich jetzt nach den Ansichten des Abg. Stumm genau das Gegentheil herausstelle von dem, was die Herren vor Einführung der Zölle als ihre Wirkung gepriesen hätten, Die gehoffte Erhöhung der Preise sei nicht eingetreten, vielmehr feien dieselben nahezu unverändert geblieben. Im Gegensatz zu damals habe heute der Abg. Stumm entwickelt, daß alle Werke aufs äußerste angespannt und beschäftigt werden müßten, denn darin liege das Geheimniß der segensvollen Wirkung der Schutzzölle. Der Abg. Stumm habe dann von seinen (des Redners) Wahlreisen gesprochen, die den Abg. Stumm sehr besorgt zu machen schienen, obwohl er in Landkirchen nech nicht gewesen sei, aber die Erfahrung habe er dabei gemacht, daß die Schutzzollpartei ganz entschieden im Rückgange sei. Wenn man auf die amtlichen Berichte jetzt mißbilligend blicke, so feien dies Auszüge von Berichten der Behörden, die gerade provozirt worden seien, um die Segnungen der Schutzzölle zu beweisen. Er glaube, wenn die Verichte vollständig ver⸗ bffentlicht worden wären, würde man noch ganz andere Dinge von der schlimmen Lage erfahren haben. Was die Löhne betreffe, so seien die Berechnungen ganz willkürlich. Als er in seinem Wahlkreise vor Tausenden Arbeitern der Eisen⸗ industrie gesagt habe: „wenn sich auch die Löhne etwas ge— hoben haben sollten, so stehe das nicht im Verhältniß zu den Lebensmitteln“, da sei ein Schrei der Entrüstung durch jene Reihen gegangen, und als er ihnen eine Zahl des Abg. Kardorff genannt habe, die Löhne seien 50 Proz. höher als vor 2 Jahren, da WKtien die Leute geglaubt, sie würden zum Vesten gehalten. Davon sei er überzeugt — und er hätte gewünscht, daß man auf das Zeugniß des Herrn Wedding im Ganzen Vezug genommen hätte, — daß das, was man sich von den Eisenzöllen versprochen habe, nicht in Erfül⸗ lung gegangen sei. Er und seine politischen Freunde seien schweigsamer geworden in Bezug auf die Zölle, er habe nicht mehr 1 öthig, darüber zu sprechen. Vor ihrer Einführung sei es Zeit zu warnen gewesen, jetzt wirkten die Folgen bes schlechten Systems, nun sprächen die That—⸗ jachen gegen das neue Zollsystem. Wenn das nicht wahr wäre, so würde man sich doch nicht so viel Mühe geben, das Bischen Fortschritt habe die Konservativen . doch nicht genirt; glaube man denn, diese Paar Leute könnten die öffentliche Meinung künstlich beherrschen, wenn nicht jetzt umgekehrt der allgemeine Ausdruck der öffentlichen Meinung in dieser Nich⸗ tung läge? Darunter litten die Konservativen, dieselben hätten unendlich viel mehr versprochen, als sie jetzt wahr haben wollten. Sie hätten Vorstellungen dadurch erweckt, augen⸗ blickliche Erfolge erzielt und nun komme der Nückschlag. Nicht alles Mißliche, was sich jetzt zeige, sei die Folge der Jollpolitik, aber die Konservativen litten unter den Folgen ihrer großen Versprechungen. In derselben Allgemeinheit, wie die Konservativen geschlossen hätten aus den schlechten Verhält⸗ nissen auf die Verbesserungen, die sie durch die neuen Zölle be⸗ schaffen wollten, so schließe das Volk jetzt aus den noch schlech= teren Verhälmissen, daß die Zölle in der Richtung gewirkt hätten. Die Konservativen hätten das Prestige der Schutzzoll⸗ politik, das Vertrauen verloren, selbst in den Kreisen, wo sie es noch besessen hätten, daher jetzt diese Veredtsamkeit, durch die sie glaubten einzuschüichtern und davon abzuhalten, daß die Thatsacen weniger in den Vordergrund träten. Die Konser— vativen meinten, es kämen doch kelne Petitionen. Er (Redner) habe noch bei Gelegenheit der Tabaksfrage geradezu abgeredet, an diesen Reichetag Petitionen zu schicen. Es wäre ja zu viel verlangt, daß die Konservativen heute schon eingestehen sollten, daß sie in einem Irrthum sich besunden hätten, von diesem Reichstag sei nichis zu hoffen, nicht Schreibereien an die Konservativen, nicht Petitionen an den Reichstag hülfen, an die Spitze der Wahlbewegungen gehöre die Beschwerdeführung,
und die Konservativen würden diese Politik nicht ändern, aber ihre Hintermänner und auch der Nachfolger des Abg. Stumm; Der Abg. Fchr. von Minnigerode entgegnete, nach der Wahlrede des Abg. Richter habe er bemerkt, daß der Etat wesent⸗ liche Aenderungen nicht erfahren habe. Die regelmäßigen Ausgaben seien um etwa drei Millionen Mark vermindert. Die Ausgaben hätten sich gegen das vorige Jahr um 2m Millionen vermehrt, cine Folge der Militärnovelle und der mit ihr verbundenen Mehrforderung von 18 Millionen. Diese Ziffer könnte lihn einigermaßen ängstlich machen, aber man dürfe nicht die 25 Millionen vergessen, welche den Ein⸗ zelstaaten in Folge des Antrages Franckenstein überwiesen seien. Die Ausführungen des Abg. Rickert in der ersten Lesung bes Etats beschäftigten sich so viel mit seiner Person, daß er mit einem allerdings etwas zweifelhaften Stolz bei⸗ nahe sagen könnte Fetäai C'est moi. Es habe den Abg. Rickert unangenehm berührt, daß er (Redner) anknüpfend an die bekannten Aeußerungen im Herrenhause in Bezug auf die liberale Hinterlassenschaft den Ausdruck „ausgepauvert“ gebraucht habe. Er wisse nicht, weshalb derselbe besonders unberechtigt erschienen sei. An rechtzeitigen Mahnungen aus der Mitte der 70er Jahre heraus habe es wahrlich nicht gefehlt. Trotzdem habe die linke Seite dieses Hauses beständig große Ausgaben gemacht, ohne sie mit den Einnahmen zu balan⸗ ciren Die Folgen dieser Wirthschaft seien auch jetzt noch nicht ganz überwunden. Mit Recht habe der Abg. Rickert gesagt, daß der Ertrag, der Börsensteuer kein sehr erheblicher sein werde. Das habe er mit seinen Freunden nie bestritten, aber er habe im Prinzip Gewicht auf diese Steuer gelegt, die schließlich noch gute Früchte bringen könnte, und sie nicht blos als Schlagwort gebraucht. Seine Partei habe bereits 1371 unter allgemeiner Heiterkeit einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Die Brausteuer erscheine ihm und seinen politischen Freunden nicht in erster Linie erwünscht, seine Partei wolle die Frage im großen Styl gelöst wissen. Ein Widerspruch mit ihm selbst solle es sein, weil er mit sei⸗ nen Freunden jetzt für die indirekte Besteuerung sei, während er sich früher für die Reichseinkommensteuer interessirt hätte. Er habe nie einen Zweifel darüber gelassen, daß er sür die indirekte Besteuerung sei, und nur bei der übermächti⸗ gen Strömung des Liberalismus und dessen Nei⸗ gung für die, direkte Besteuerung und dem drin⸗ genden Bedürfniß nach, neuen Steuerquellen habe er es für geboten gehalten, jene Idee zu unterstützen, er habe aber gleichzeitig die Hoffnung ausgesprochen, daß die Herren selbst schließlich die indirekten Steuern einführen möchten. Aus seiner früheren freihändlerischen Stellung habe er nie ein Hehl gemacht. Seine Grundanschauungen hätten sich ge⸗ ändert und hätten sich ändern müssen auf Grund der that— sächlich veränderten Lage. Gegenüber dem Rückgang der ge⸗ sammten Landwirthschaft seit 1874, welche der Konkurrenz des Auslandes völlig preisgegeben gewesen sei, hahe er sich sagen müssen, daß es auf dem bisherigen Wege nicht weiter gehen könne. Daß die internationalen Seehandelsplätze, unbekümmert um ihre Hinterländer und ohne Rücksicht darauf, was aus dem, verpauverten Hinterlande werde, für den Freihandel seien, sei freilich begreiflich, ihm aber sollte man keinen Vorwurf machen, daß er, einer besseren Einsicht folgend, seine Stellung zu dieser durchaus nicht politischen Frage verändert habe. Es sei die Hauptaufgabe aller Parteien, der Bewegung der Zeit zu fol⸗ gen; die Gesetzgebungen hätten sich den Verhaältnissen der neuen Zeit anzupassen. Seine politische Ueberzeugung möge Jeder sest für sich konserviren. Wie unbegründet der Vorwurf ge⸗ wesen sei, daß seine Partei ihren Wählern Versprechungen gemacht habe, die sie nicht habe erfüllen können, und daß er und seine politischen Freunde die neu zu machenden Aus⸗ gaben, namentlich die Militärausgaben, verschwiegen hätten, habe sein Freund, der Abg. von Maltzahn, bereits nachge⸗ wiesen. Der Abg. Rickert habe sich damit entschuldigt, daß derselbe die Rede des Hrn. von Maltzahn nicht kenne — kenne derselbe denn die übrigen Wahlreden seiner politischen Freunde, kenne der Abg. Rickert die seine? Das möchte er beinahe annehmen, denn da derselbe vor wenigen Tagen in seinem Wahlkreis gewesen sei, habe derselbe sich vielleicht überzeugen können, wie er (Redner) seinen Wäh⸗ lern, gegenüber über diese unerträglichen Finanz- verhältnisse leinen Zweifel gelassen habe und die peinliche Nothwendigkeit für die Bewilligung neuer Steuern nahegelegt habe. Ueber die Nothwendigkeit neuer Steuern zur Deckung neuer Ausgaben im Reich und in den Einzelstaaten habe auch die „Provinzial ⸗-⸗Korrespon⸗ denz“ keinen Zweifel gelassen; er verweise nur auf den Artikel derselben vom 3. Juli 1878. Man sollte doch nicht immer längst, widerlegte Anklagen widerlegen. Rickert habe schließlich mit großer Freude Bezug genommen auf eine Ausführung des Abg. Richter, der gesagt habe, es müßten alle unabhängigen Männer sich vereinigen und zusammenstehen. Wenn nicht liberal regiert würde, komme man wohl oder übel zur Diktatur. Wag verstehe denn der Abg. Rickert unter liberal regieren? Er sei überzeugt, daß der schrankenlose Freihandel dabei auch eine große Rolle spiele und daß die Politik des Großkapitals auch nicht zu verleugnen sei; das sei auch lebhaft bei den Preßsubventionen hervorgetreten, die zu Gunsten derjenigen Presse gemacht würden, die in erster Linie berufen sei, die Politik dieser Herren in Zukunft zu vertreten. Wenn nicht liberal regiert werde, wenn eg nicht nach ihrem Kopfe gehe, dann komme die Dikltatur! Seine Partei habe mehr Vertrauen zu den deutschen Ver⸗ hältnissen und auch zur Macht dieses Neichstags als die liberale Partei. Das Ganze sei also die Tendenz der Sezession. Als er zuerst dieses Wort gehört habe, sei es ihm nicht recht ver⸗ Rändlich gewesen, weil er lein Freund des Fremdländischen sei; schließlich habe er sich gesagt, es solle wohl sein die Se⸗ zession in montem sacrum. Das liege sehr nahe, auch zu Gunsten der Velksrechte im alten Nom; die Volksrechte seien ja das Privilegium der liberalen Partei, während die Kon⸗ servativen hier sortwährend scheinbar an diesen Volkerechten rütteln wollten. Nun das Bild af nicht ganz, denn damals seien die alten Nömer auf den heiligen Verg gezogen, weil sie ihre Wortführer gewinnen wollten, als es sich darum gehan⸗ delt habe, Volketribunen für sich zu bestellen, jetzt seien die Volkstribunen da, es frage sich aber, ob das Volk da sein werde. Die ganze Seression werde überhaupt ein bestimmtes unverweigerliches Schicksal haben, die Herren seien wohl oder Übel jetzt schon Fortschritteleute zweiter Klasse und die Tri⸗ büne“, ihr Organ, lasse das auch sehr deutlich durch⸗ merken. In der Reklame, die er in mehreren Erxem⸗ vlaren bekommen habe und zwar an vier erschiedenen Drten, da er an vier Orten Gutsbesitzer sei, sage die „Tri⸗
büne“„: „Die Führer der vereinigten liberalen Parteien
hätten die Sache in die Hand genommen und wollten dies
Organ benutzen, um das Volk glücklich, aufgellärt und groß zu machen.“ Die Führer der vereinigten libezalen Parteien würden wohl die Allianz des Fortschritts nicht los werden. Dieselben wollten sie auch nicht los werden? Dann müßten sie auch die Konsequenzen tragen, die in Berlin dahin geführt hätten, daß der Sozialdemokrat über den Fortschrittsmann triumphirt habe und daß die agitatorischen Bemühungen des Abg. Richter — die stelle er sehr hoch — dahin geführt hätten, daß als Antwort auf seine Agitation in Hamburg ein vollen⸗ deter Sozialdemokrat aus der Urne hervorgekommen sei. — Er bedauere, daß er diese persönliche Bemerkungen habe machen müssen, aber sie seien ihm aufgezwungen. Wenn der Abg. Rickert nicht damals den Etat mit ihm verwechselt hätte, dann wäre das vermieden worden.
Der Abg Rickert erklärte, er wolle dem Vorredner in der Art und zeise, wie derselbe hier sachliche Erörterungen mache, nicht folgen. Er habe den Abg. von Minnigerode nur
als Führer einer großen konservativen Partei angegriffen;
wenn eine andere Person an die Stelle des Abg. von Minni⸗ gerode gestanden hätte, so hätte er sich mit dieser abgefunden. Die Ausführungen über die angebliche Auspoverung des Lan— des durch die liberale Finanzwirthschaft kehrten immer wieder.
Als hätten die Konservativen nicht an dieser Finanzwirthschaft
ganz denselben Antheil wie seine (des Redners) Partei! Wie stehe es denn mit der jetzigen Finanzpolitik? Er werde ja abwar⸗
ten, ob den Konservativen das Land dafür danken werde
Der Abg. von Minnigerode sage, die jetzigen Ausgaben seien unvermeidlich. Wenn es aber die früheren nicht gewesen seien, dann hätten die Konservativen ja an der „Aus⸗ poverung“ Theil genommen, die sie auf das Konto der Liberalen stellten. Was die Landwirthschaft von
den Aeußerungen des Vorredners zu halten habe,
werde vielleicht der Abg. Friedenthal am vesten zum Ausdruck bringen. Er habe es s. 3. vor den Wählern des Abg. von Minnigerode lebhaft bedauert, diesen dort nicht zu⸗ gegen gesehen zu haben; hiermit lade er denselben aber ein, mit ihm zusammen in seinen Wahlkreis zu gehen: der Abg. von Minnigerode werde sich dann davon überzeugen, daß man allerdings der Meinung sei, daß derselbe vor den Wahlen Versicherungen gemacht habe, die nachher nicht erfüllt seien. Er sei lieber ein Anhänger der Forischrittspartei, als des Abg. von Minnigerode und würde, wenn er die Wahl hätte zwischen konservativ und Fortschritt, mit tausend Freuden für letzteren stimmen! Wenn ihm vorgeworfen werde, er hätte das Gedicht „Der alte Arbeiter“ vertheidigt, so müsse man seine Rede nicht gelesen halen. Der Abg. Richter 6 Recht gehabt zu sagen, die ganze gebilbete Welt ei darüber einig, wie das Verfahren des Hrn. Stumm in seinem Wahlkreise zu charakterisiren sei. Von dem Abg. von Kar⸗ dorff habe er in dieser Beziehung allerdings keinen Beistand erwartet. Höre man aber die Urtheile in den konservativen und selbst in den Regierungskreisen. Und das bei einem Manne, der hier immer die Förderung des Volkswohls im Munde trage. Das nenne man Volkswohlbeförderung. Es sei geistige Knechtschaft, wenn der Abg. Stumm aus Anlaß eines solchen Gedichts, dessen Tendenz oder Wortlaut gr ja nicht billige, unter Anrufung der gesammten amtlichen Auto⸗ ritt gegen eine Zeitung vorgehe und sie durch alle möglichen Mittel zu unterdrücken suche. Der Abg. Stumm Hätte Ur⸗ sache, diesen Punkt auf sich beruhen zu lassen. Wolle der Abg. Stumm das nicht, nachdem derselbe auf die schärfste Weise von den Regierungsorganen, von allen amtlichen Auto⸗ ritäten und, wie er wiederhole, von der ganzen gebildeten Welt Deutschlands verurtheilt sei (Rufe rechts: Oho! Unge⸗ zogenheit), so habe er nichts dagegen, im Detail diese Dinge weiter mit dem Abg. Stumm zu erörtern.
Der Präsident von Goßler bat den Redner, so scharfe Aeußerungen, die eben eine nicht zu billigende Entgegnung veranlaßt hätten, zu unterlassen.
Der Abg. Rickert bemerkte, sollte der Präsident diese Aeußerung für parlamentarisch unzulässig halten, so würde er sich den Folgen zu unterwerfen haben; er bedauere aber den Ausdruck aufrecht halten zu müssen, um so mehr, als er keinerlei persönliche Kränkung des Abg. Stumm damit beab⸗ sichtigt habe.
Der Präsident von Goßler hielt diese Erklärung für ge⸗ nügend und bat, die Sache damit als erledigt anzusehen,
Der Abg. Rickert erklärte, auch er halte die Sache für erledigt und glaube, der Abg. Stumm werde nicht so empfind⸗ lich sein, zumal derselbe sich nicht gescheut habe auszusprechen, daß der Ausdruck, die Liberalen ständen mit den Nihilisten auf einer Stufe, Lin Körnchen Wahrheit enthalte. Wer seiner Partei derartige Dinge sage, dürfe sich nicht wundern, wenn sie von dem Recht der Kritik in wirklich zulässiger Weise auch ihm gegenüber Gebrauch mache. Es sei wohl noch in keinem Parlament eine derartige Aeußerung gethan worden, wie sie heute der Abg. Stumm hier gebraucht habe.
Der Präsident von Goßler bemerkte, er habe nicht ge⸗ glaubt, daß die Aeußerung des Abg. Stumm so hätte auf⸗ efaßt werden können, da sie doch mehr scherzhast gemacht ei. Die Fassung der Worte sei aber auch derartig, daß ein persönlicher Angriff nicht habe daraus gefolgert werden können.
Der Abg. Rickert fuhr fort: Er habe dem Präsidenten auch nicht versteckt einen Vorwurf daraus machen wollen, daß derselbe diese Worte 3 durchgehen lassen. Er habe gleich⸗ falls vorhin ausdrücklich erklärt, daß er die Aeußerung des Abg. Stumm für einen Witz erachtet habe. Die Vewegung, die aber der Abg. Stumm bei dieser seiner Erklärung gemacht habe, habe ihm die Ueberzeugung aufgedrängt, daß es in der Thai Ernst gewesen sei, und das Haus werde ihm es nicht verdenken, wenn er darüber ein Wort der Kritik gesggt habe. Auf die wirthschastliche Glückseligkeit, auf die der Abg. Stumm hingewiesen habe, würden die Thatsachen ant⸗ worten. Die Herren könnten sich so viel Mühe geben, wie sie wollten; glücklicherweise seien diejenigen, 35 die wirthschaftlichen Experimente an ihrem eigenen Leibe er ahren hätten, auch noch da. Von den Reden der Abgg, von Min⸗ nigerode und Stumm würden sie eine Lohnerhöhung nicht erfahren; dieselbe pflege sich in klingender Münze guszu⸗ drücken. Dem Abg. von Kardorff lönne er einige Briefe von Großsabrikanten der Textilindustrie mittheilen, welche die Acußerungen desselben auf das Schlagendste widerlegen. Der Abg. von Minnigerode habe geglaubt, seine Behauyp⸗ tungen in Bezug 2. die Versprechungen der „Provinzial⸗ Correspondenz“ widerlegen zu sollen. Kenne der Abg. von NMinnigerode denn aber den Satz der „Provinzial. Correspon⸗ denz nicht, wo es augdrüdlich heiße; „Soviel an indirekten Steuern auferlegt werde, das bedeute nichts Anderes,
als daß so viel an direlten Steuern in den Einzelstagten Allerdings sei von Ausgaben gesprochen; ührung des neuen Schulgesetzes,
erlassen werde.“ aber von solchen zur Durchf des Wittwenpensionsgesetzes, die man noch nicht . Steuerreform eine „Denkschrift“ be⸗ borat von sieben Seiten, das er nie mit
Haus habe bezügli kommen, ein Ela . diesem Namen zu bezeichnen gewag
Darin sei ledig⸗ weil die anderen
Staaten viele indirekten ergo müßte auch Deutschland viele haben. Deutschland habe blos 10 6 pro Kopf, 41 „S6 und England 31 den Ausgaben,
lich ausgeführt: Steuern hätten, Frankreich dagegen nn Nichts von Er wolle den in der Beziehung einige diese Denkschrift s zu ergänzen ndesrath habe th habe sie nicht gekannt? ung und nehme das zurück. Reichskanzler⸗Amtes. Reichskanzler-⸗Amt sei doch das
Die Herren hätten alle treffe. Er habe gar keine Bedenken zu wisse, daß auf dem Gebiete nichts o er habe den Reichskanzler auch i pro Kopf der Bevölkerung Preußen habe da⸗
„M6 Aber wisse man de die diese Staaten hätten? vom Bundesrathstische mittheilen und ihnen anheimgeben, Berathung der Steuervorlagen etwa oder zurückzunehmen. (Zuruf links: sie gar nicht gekann Dann bitte er sehr um Entschuldig Dann sei es nur die Arbeit des Vom Reichskanzler! Nun, das Amt des Reichskanzlers. man nicht den richtigen sagen: der Reichskanzler; er geschehe, ohne denselben, als Frankreich habe nun 8 „é an indirekten Steuern; „6 pro Kopf direkte Steuern. Ein Staat die direkten Steuern schon so scharf an⸗ könne darin nicht weiter gehn. Warum müsse kten Besteutrung so hoch gehen? Franzosen zu ihrem Vergnü legen würden? en allein 1219 Mill.
t!) Der Bundesra
Furcht, daß
direkte und 41 6 gegen noch nicht 5 wie Frankreich, gespannt habe, ꝛ aber Frankreich in der indirt Glaube man denn, daß die ihrem Volke diese geschehe nur deshal Mark sür ihre Schu an Zinsen, wie der das Eigenthum der Ei nun die Herren der Meinung, ie französischen Zu
kolossalen Lasten auf b, weil die Franzos lden bezahlen müßten, also being ßische Staatsschuld betrage, senbahnen gegenüberstehe. daß Deutschland mit Riesen— stände hineinkommen, daß man d Milliarden von Schulden aufnehmen müsse, haben, an indirekten Steuern Das Volk werde bestens für ns seien in den zwanziger Preußen höher als jetzt ge⸗ pro Kopf an indirekten Steuern, o gleichfalls einen erheblichen Be⸗ direkten Steuern durch die kschrift betone es als leichtern. Als er tzt habe die Reichs verwal⸗ wie die Steuern von Anderen teuerzahlern. Er fürchte, die daß sie aus dem Regen in im Reiche ziehe man auf die in⸗ ingen solle, des Lobes
he so viel die gesammte preu
schritten in d Milliarden un blos um das Vergnügen zu 40 S pro Kopf zu erheben? diese Finanzpolitik danken. Jahren die direkte wesen. England habe 31 4 „ä an direkten, als er würden die hohen in tsschuld gerechtfertigt. Die Den s, die Kommun
n Steuern in
dagegen 8 trag. Auch hi kolossale Staa Aufgabe des Neich das gelesen habe, habe er gedacht tung wohl das Mittel gefunden, getragen würden, als von den S Kommunen würden aber sehen, die Traufe kämen. immer an dem Strang, ?d direkten Steuern in gleiche Höhe mit Frankreich und in Preußen lege man Steuergesetz
Die Sache gehe so: i der Deutschland in Bezu
e vor, welche
m Reichstage verlange man im Landtage w Steuern abzulassen. Kommunen von ihren Schul⸗ Wo sollten diese Mittel herkom zen Steuerprojekte, welche de keine 60 Millionen ergeben,
Verwendungsgesetz Steuern nolhwendig sein wür len, und da sprech Wenn man sage, die lichen Millionen herbeischaffen w verhandeln, sonst
die Bewilligung indirekter teuern und eigere man sich, von den Armen⸗ und Polizeilasten be— men? Die gan⸗ würde noch
freit werden. m Hause vorlägen, während nach dem preußischen nindestens 105 bis 119 Millionen neue den. Man stehe vor den Wah⸗ der gern von Erleichterungen. wie die Konservativen die dazu erforder⸗ ürden, wolle seine Partei müsse er erklären, das sei UL Theorie und Versprechungen, die man
e man wie
mit derselben nichts weiter als eite nicht einlösen könne.
Der Bevollmächtigte zum B Reichsschatzamts Scholz finden, auf die genann nickt auf der Tagesordnung stehe, weiter darin stehe, als das Argumen indirekte Steuern nöthig habe, weil den Nachbarländern höher. „Denlschrist“ verweise er auf d ten von einer halben Seite befänden; Bezeichnung.
undesrath, Staatssekretär des erklärte, er könne sich nicht veranlaßt te Denkschrift einzugehen, da sie heute bestreite aber, daß nichts t, daß Deutschland mehr die Quote pro Kopf in Bezüglich des Ausdruds den Etat, in dem sich Denkschrif⸗ es sei die herkömmliche Es sei auch ein großer Irrthum zu glauben, ten nicht der Veachtung werthe Dinge gesagt sein es brauche dazu nicht zweistündiger Reden, nicht Hun⸗ derter von Seiten. . Der Abg. Dr. Bamberger bemerkte, es seien so viel französische Calembourgs gemacht word leicht auch dem Abg. Stumm Georges Dandin! Ihm scheine Beduͤrfniß der Lage zu entsprechen, denn diese solle nicht in ihr Parteien pro et contra ei Er perhorreszire a Stumm vers
heute schon en, daß er vien⸗ zurufen dürfe: die große Zolldebatte sehr dem eine Session letztes Stadium treten, ohne daß die nen Rückblick auf das Erreichte lso diese Debatte nicht, und könne ichern, daß seine Aussage über Nihilisten ihn nicht im Allergeringsten werde ja oft angewendet; hören, in jedem Menschen sei ein Aber es wundere ihn, daß diesen Fall das Gedankenspiel mit angewendet habe. Parallelen der Nihilisten Deutschen Reiche erneuern ätten einen ganz deutlichen en Tendenz. Der von dem prollamirte Nihilismus sei und daß die neuen ialistisches Kolorit hätten, sei communis den Motiven zum Unfall versicherunge⸗ der Aeltesten der Berliner Kauf⸗
von einem Schritt zum der Spitze dieser Petition gierung. Was die Neun so verurtheile er den Abg. Stumm er verdenke demselben nur, ien mit einander zu seinem r Abg. Stumm sich ur das Arbeiter⸗ anderer seits sei
zunächst dem Abg. die Analogie mit den erschüttert habe. D er habe schon oft sagen Körnchen Verrücktheit. Stumm gerade auf dem Körnchen Wahrheit wirklich ernste
as „Körnchen“
der Abg.
welche die Wirthschastepolitik im wollten, zusammenzustellen. Berührungspunkt in der sozialistis Anarchisten Bakunin in Vasel nichts als eine Tendenzen im opinio und stehe sogar in auch in der Petition en dieses Gesetz sei taate die Rede; an ankier der russischen Re klircher Vorlommnisse betreffe, wenigstens prinzipiell nicht so sehr, daß er die Voriheile zweier Theor Vortheil v seit Jahren
sein Vorgehen in Neun
orm des Sozialismus,
mannschaft g sozialistischen
erbunden habe. Einerseits bemühe de für die staatssozialistischen Tendenzen, und Arbeiter⸗Invalidenprojelt, . lirchen ein individuirliches, ein man⸗
chesterliches. Das sei der Standpunkt des Mannes, der sage: Er habe das Geld, er habe die Gewalt, er befehle, er könne seinen Arbeitern soweit Vorschristen machen, als seine Macht reiche, er unterdrücke die Wirthshäuser, die von seiner Gewalt abhingen und gegen seine Tendenz sündigten. Er (Redner) als korrekter Manchestermann mache dem Abg. Stumm keinen grundsätzlichen Vorwurf, derselbe stehe auf dem Standpunkt des modernen Individualismus, der von seinem Gelde Ge— brauch mache. Aber auf der andern Seite Staats⸗ sozialismus, das sei ein Vorgehen, das er nicht erklären könne, außer aus dem Gesichtspunkte, daß der Abg. Stumm überhaupt die Methoden der Reichsregierung befolge, welche die Nachtheile aller Zustände mit einander zu ver⸗ einigen suche. Mit einer solchen Vorurtheilslosigkeit eigne man fich die schlechten Einrichtungen aller Nationen an, einer⸗ seits mache man altmodische Zunftgesetze, andererseits gehe man weiter als andere Nationen in fozialistischen Tendenzen, man nehme den Schutzzoll von Frankreich, ohne die Gewerbefreiheit wie dort behalten zu wollen, man nehme das Schlechte, wo man es finde. Was die Bemerkung des Abg. Stumm be⸗ züglich der Ausfuhr betreffe, so habe er denselben das let te Mal nicht perfönlich citirt, daß aber eine Menge von Red⸗ nern, wie die Abgg. von Kardorff und von. Varnbüler, die Ausfuhr cls ein untergeordnetes Ding hingestellt hätten, sei ihm genau erinnerlich. Nun habe der Abg. Stumm einige Zahlen aus den heiden letzten Jahren herbeigezogen und gesagt, es sei doch nicht wahr,
das Deutschland es allein dem amerikanischen Aufschwunge zu verdanken habe, daß die Sachen so viel hesser gewordenseien. Er (Redner) aber behaupte steif und fest, Alles, was in der Aus⸗ fuhr sich gebessert habe, verdanke Deutschland dem Aufschwunge in Amerika und gerade die Schrift des Herrn Wedding spreche beinahe ganz ausschließlich davon, daß die ganze Bewegung von Amerika ausgegangen sei. Derseibe gehe sogar so weit, und er (Redner) stimme ihm darin bei, daß derselbe die schlechte Ernte, die der Abg. Stumm als einen mildernden Umstand für das Nichtgedeihen der deutschen Zustände angeführt habe, als einen Erklärungsgrund hinstelle für die starke Ausfuhr. Derselbe sage ausdruͤcklich, daß das Gedeihen der Ernte in Amerika und das Mißrathen in Teutschland eine so starke Zufuhr von Ge⸗ treide von jenseits des Meeres veranlaßt habe, daß dadurch auch der große Eisenbedarf, der Schienenbedarf in Amerika entstanden' sei. Diese schlechte Ernte sei also der deutschen Eifenindustrie zu Gute gekommen. Und wenn der Abg. Stumm dies leugnen sollte — leugne derselbe vielleicht auch, daß in anderen Ländern derselbe Auf⸗ schwung stattgefunden habe wie in Deutschland, in Ländern, bie an ihrer Zollgesetzgebung nichts geändert hätten, namentlich in England, welches auf dem Boden der Zollfreiheit geblieben sei? Die Ausfuhrbewegung und das momentane Steigen des Eifenpreises sei in England noch stärker als in Deutsch⸗ land gewesen, es sei so stark gewesen, daß ebenfalls Hr. Wed⸗ ding in seiner Denkschrift sage, die Eisenindustrie in Deutsch— land habe davon profitirt, daß England seines großen Exportes nach Amerika wegen ganz vom deutschen Markte weg⸗ geblieben sei. Der Abg. Stumm habe die Schrift Weddings in Einzelheiten citirt, aber durchaus nicht gesagt, daß die ganze Schrift von Anfang bis zu Ende von Angaben wimmele, aus denen heroorgehe, daß der Aufschwung der Dertschen Eisenindustrie ein ganz ephemerer gewesen sei. Hic e, verlas zum Beweise mehrere Stellen aus der zitirten Schrift Weddings.) Es sei am Schluß gesagt, daß nur,. eine Verminderung der Produktion und? ihrer Kosten die Eisenindustrie retten lönne, daß aber keine günstige Konjunktur, keine Koalition ihr helfen könne. Das sei die Ansicht eines Mannes, den man von entgegen⸗ gesetzter Seite citire, was solle man da von der Versicherung halten, daß die neue Zollwirthschaft grade der Eisenindustrie wesentlich genutzt habe. Herr Baare, auch ein kompetenter Beurtheiler, habe im Volkswirthschaftsrath versichert, die Eisenindustrie sei in schlechter Lage und arbeite sast ohne Gewinn. Ein hiesiges schutzzöllnerisches Börsenorgan theile erst jetzt mit, der Wechselbestand der Reichsbank sei wesentlich zurückgegangen, weil Handel und Industrie darniederliege. Zeugnisse von glänzenden Zuständen habe er nirgends gefunden. Der Abg. Stumm frage, wo seien die Petitionen für den Freihandel? Einen solchen Verband von potenten Geschäftsleuten, von reichen Minen⸗ und Eisenwerksbesitzern, wie sie zu Gun⸗ sten des Schutzzolls gearbeitet hätten, hätten die armen Freihändler nicht, dieselben repräsentirten nur die Masse der Konsumenten; sie hätten zu ihrer Vertretung nur die einzige „Freihandel skorrespondenz“, während hunderttausende von Mark für die ständige Organisation der Schutz ollinteressenten ausgegeben worden seien. Das sei auch der Grund, weswegen die Freihändler unterlegen seien, weil die Konsumenten sich nicht so zu vertheidigen wüßten wie die, welche Einzelinteressen ver⸗ folgten. Der Abg. Stumm sage, Industrie und Handel kämen nickt empor, weil der Fortschritt sie beunruhige. Wenn weiter nichts im Wege stünde, als die Beunruhigung durch den Fortschritt! In Verlin gehöre die Mehrzahl der Vesitzenden bem Forischritt an und doch sei man nicht gleichgültig hier gegen Handel und Verkehr des Landes. Was Industrie und Handel beunruhige, das sei das ewige Plänemachen der Ge⸗ setzgebung Deutschlands, daß man mit einem Fuß rückwärts gehend das beseitigen wolle, was die letzten 20 Jahre ge⸗ schaffen hätten, und mit dem anderen Fuß weit über das hin⸗ ausschreite, was in Frankreich, dem meist revolutionirten Lande, noch nach sozialdemokratischen Plänen unternommen worden sei. Tas beunruhige das Land, Die Veunruhigung komme zum Theil deher, daß die deutsche Negierung den Traum ver⸗ solge, den Stein der Weisen gefunden zu haben, d. h. die sozlaie Frage zu lösen, und zwar mit der Schnelligkeit, mit ker man sich in leiht hingeworfenen Denlschristen die Sache vorstelle. — Der Abg. Dr. Windthorst glaubte, daß die Digskussion sich nicht ganz an das Vudget halte. Er stelle als ein Haupt⸗ ersorderniß fuͤr eine gründliche Verbesserung der Finanglage Deutschlands die allergrößte Sparsamkeit hin. Der Wettlauf nach Erfindung neuer Steuern und Steuerreformen und alles, wag damit zusammenhänge, thue ihm wehe. Eg sei schon Erhebliches geschehen, um die Einnahmen zu vermehren und zu den Ausgaben in ein richtiges Verhalmniß zu setzen. Pan solle doch nun einmal den Ersolg abwarten und nicht gleich wieder an neue Steuern denken. Auf die Steuervoꝛ⸗ lagen und die Denkschrist wolle er jetzt nicht eingehen, er fühle kein Bedürsniß, jetzt schon alles vorzutragen, was er dazu zu sagen habe. Er bedauere, daß die Anträge des Sentrume auf Ersparnisse weder bei den Konservativen noch bei den Ratlonalsiberalen Ersolg gehabt hätten. Die Zoll⸗ gesetzgebung sei nicht, wie es nach der Abgg. Vam⸗
berger und Rickert Reden scheinen könne, ohne jeden Anlaß gemacht; sondern unter dem alten System habe sich ein rapider Rückgang in Industrie und Landwirthschaft bemerkbar ge⸗ macht. Ueber das neue System könne man sich noch kein abschließendes Urtheil bilden; man solle es erst einmal so lange in Geltung lassen, wie das alte. Wenn die Zustände sich unter dem neuen System nicht verschlimmert hätten, so sei dies schon ein günstiger Erfolg; aber es zeige sich schon auf vielen Gebieten ein positiver Fortschritt, trotz- dem die Abgg. Bamberger, Rickert und Richter stets ein lamentatsis Jeremias über die neue Zollpolitik anstimmten. Die Steuern, welche das Centrum mit bewilligt habe, seien bestimmt gewesen, die Defizits der Einzelstaaten, welche durch die liberale Wirthschaft entstanden seien, zu decken. Der Abg. Rickert und die Nationalliseralen hätten aber Aus— gaben davon bewilligt, wofür sie nicht bestimmt gewesen seien, Seine (des Redners) Befürchtung, daß die Bewilligungen bei der Passage am Kriegs-Ministerium abhanden kommen könn⸗ ten, habe sich leider erfüllt. Wenn alle Staaten rund um uns herum sich durch Schutzzölle abschlössen, warum solle Deutsch⸗ land sein Gebiet freilassen? Die Abgg. Rickert und Richter sollten lieber ins Ausland ziehen und dasselbe zum Freihandel bekehren, statt bei den Wahlen dafür zu agitiren. Man sollte aber nicht blos im Reiche und in den Einzelstaaten sparsam sein, sondern auch in den Gemeinden, Kreisen und in den Privat— haushallungen. Aber man mache im Allgemeinen in Deutsch⸗ and viel zu hohe Ansprüche an das Leben und seine Genüsse. Darin sollte eine Aenderung eintreten, dann würden die Deutschen weniger ausgeben und wohlhabender werden. Auch der Rückgang auf kirchlichem Gebiete sei, unzweifelhaft ein Faktor der Ünzufriedenheit; man sollte mit allen Kräften da— hin wirken, daß auf diesem Gebiete eine Aenderung eintrete. Wenn es zu den Wahlen komme, werde er seine Anschauungen auch darlegen und die Wähler würden sagen: Der Alte habe doch so unrecht nicht.
Nach einigen persönlichen Bemerkungen schloß die Gene⸗ raldebatte. In der Spezialdiskussion wurden die fortdauern⸗ den Ausgaben des Bundesraths, des Reichstages, des Reichskanzlers und der Reichskanzlei ohne Diskussion bewilligt. Ebenso Kapitel 4 der Ausgaben des Auswär⸗ tigen Amtes. Bei Kapitel 5 richtete der Abg. Dr. Reichen⸗ sperger (Crefeld) an die verbündeten Regierungen die Bute, dem Reichstage alljährlich, wie in anderen Staaten, einen Bericht über die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes und die politische Situation vorzulegen. Dieser Wunsch entspringe nicht dem Mißtrauen gegen die auswärtige Politik des Reichs⸗ kanzlers; aber man solle später nicht sagen dürfen, im Reichs⸗ tage sei niemals ein Wunsch nach einem solchen Berichte laut geworden.
Kap. 5 u. 6 wurden hierauf bewilligt.
Beim Etat des Reichsamtes des Innern und zwar beim Kapitel: Reichs kommissariate besprach der Abg. Hr. Lingens den Bericht des Reichskommissars für das Aus— wanderungswesen; er müsse auf die in demselben konstatirte Steigerung der Auswanderung auf das Dreifache des Vor⸗ ahres hinweisen. Die Auswanderung habe auch im Rheinlande und Westfalen bedeutende Dimensionen angenommen. Das sei bemerkenswerth, denn der Rheinländer und Wefstfale trenne sich schwer von seiner Heimath. Redner folgerte aus dem Briefe eines Auswanderers, der seinen nicht unbedeutenden Grundbesitz verkauft habe, daß die Kirchenverfolgung in Preußen die Leute zur Aus— wanderung treibe, weil sie in Amerika freie Religionsübung hätten. Er befürchte ein weiteres Anschwellen des Stromes der Auswanderung, wenn der Kulturkampf nicht aufhöre. Die Reichsregierung müsse die Auswanderungesfrage ins Auge fassen; die Auswanderung nach Amerika stärke die Konkur⸗ renten Deutschlands. Er müsse die schon im vorigen Jahre von ihm ausgesprochene Bitte wiederholen, daß Seitens der Reichsregierung eine Verabredung mit der österreichischen Re⸗ gierung getroffen werde, welche es ermögliche, den Strom der Rus wanderung nach Bosnien zu lenken.
Der Präsident von Goßler rügte nachträglich den Aus druck „Kirchenverfolgung“ als nicht parlamentarisch und wies den Widerspruch des Abg. Dr. Lingens, der berechtigt zu sein glaubte, diesen Ausdruck als allein bezeichnend zu gebrauchen, mit Entschiedenheit zurück; der Präsident allein habe die Ord⸗ nung aufrecht zu erhalten und dem betroffenen Abgeordneten siehe nur die Appellation an das Haus im geschäftsordnungs⸗ mäßigen Wege zu.
Üm 416, Uhr wurde darauf die weitere Verathung des Etats bis Mittwoch 12 Uhr vertagt.
Gewerbe und Sanden.
In der gestrigen ordentlichen General versam lung der Preußischen Oygotbeken⸗Actienbank (Spielbagen) waren Hiss 207 M Atüienkapital vertreten. Die Dividende für 133) wurde auf 4 e festaestellt und ihre sofortige Aus zablung keschlossen. Die von der Hauplditeltien vorgeschlagenen und von der Generalrersamm⸗ lung genebmigten Statutenänderungen bezieben sich im Wesentlichen auf Verminderung des Minimalsaßes der Amertisationequote un- fündkarer Hrroihefen ron 1 auf. 12 7, a f Erweiterung der Ve⸗ fuaniß in der Erwerbung nnterlaasgfäbiger Orrotbefen obne Amorti- falien uad auf Erdöbung des Reservefondz von jebn auf wannz Prozent des Attien kapital.
— Per Verraltungzrath der Preußischen Central Bodenkredit⸗Aktiengesellschaft hat beschlossen, der Keneral⸗ versammlung der Altionämre die Vertheilung ron 8 Dividende vro 1880 vorzuschlagen, d. i. 1 G0 weniger alg für das Jabr 18797 perbeslt worden war. Neben der staturnäßtgen Erbobang des Resereesonde ind ein Resetve Vortrag auf neue Rechnung im Betrage von 333 573 4 stait.
Nac der Bilanz der Berlinischen Feuer; Ver⸗ sicherungtzanstalt für dag Jaber 1880 betrogen die Einnab⸗ men ige gesammt 2 50 451 6. so daß nach Anzug der Ausgaben, darunter Feuersckäden mit 79 465 M, ein Gewinn ren 318 000 verklick. Von diesem Gewinne kommen 132 * pro Aktie als Di⸗ vidende zar Veribeilung, wäbrend der Rest dur Tast ldmen, Zuwen⸗ dungen sür den Reservefonds ze. absorbit werden ist. Das Vermögen der Ünstalt bestand ult. Desember 1880 aus dem Grundkapital von 6 00 007 A, aus dem Resecresendg von *) O00 A, und aus den Re ˖ serzeprämien ron 700 362 M Die Verstckerurgen erreickten in e gesammt im Jabte 1889 die Habe von 104181188 4
— Der Aussichteraib rer Agrirvinga, Seen, F Lluß⸗ und Landtrane port. Bersfierungs - Gesellschaft in Cöla a. Rb. und des Ridberficherungè. Vereint der Agrippina hat für jede der Heiden Gesellschaften die Vertbellang elner Diridende von 3 Jo rto 1880 beschlessen.