Drganisation des städtischen Volksschulwesens zuwiderlaufend, ablehnen müßten. . Dagegen beharrte der katholische Kirchenvorstand auf Bei—⸗ behaltung einer besonderen Parochialschule und richtete unterm 11. Mai 1877 den Antrag an die Königliche Regierung in Cassel, die städtische Behörde anzuhalten, bis zur definitiven Erledigung der Bockenheimer Schulverhältnisse die seitherigen Zuschüsse zu leisten. Dieser Antrag wurde, da er im bestehen⸗ den Rechte eine Begründung nicht fand, von der Königlichen Regierung unterm 29. Juni 1877 ablehnend beschieden und der gegen diesen Bescheid von dem katholischen Kirchenvor⸗ stande erhobene Rekurs in der Ministerial⸗Instanz unterm 12. November 1877 .
Im Jahre 1879 blieb die katholische Kirchengemeinde mit der Zahlung der Gehälter der bei der katholischen Parochialschule angestellten Lehrer nothgedrungen im Rück— stande und wandte sich an die oberste Unterrichtsverwaltung ohne Erfolg mit einer Erneuerung des im hte 1877 ge⸗ stellten Gesuchs. Nunmehr sah sie sich in die Lage gedrängt, mit Rücksicht auf die mangelnde Leistungsfähigkeit ihrer Mit⸗ glieder, ihre Pfarrschule eingehen zu lassen.
Es handelte sich jetzt also für die Unterrichtsverwaltung nicht mehr um erneute Entscheidung über den alten Streit, ob die katholische Kirchengemeinde verlangen könne, daß ihr in der einen oder anderen Weise zu Hülfe gekommen werde, um ihre Parochialschule in ihrer bisherigen Sonderstellung als Anstalt der Kirchengemeinde noch fernerhin erhalten zu können, sondern um eine Entschließung darüber, was in Folge der erklärten und nach Prüfung der Verhältnisse nicht zu bezwei⸗ felnden Unfähigkeit der katholischen Kirchengemeinde, die Mittel zur Unterhaltung der Parochialschule ohne Ueberbür⸗ dung noch ferner aufzuhringen, zu geschehen habe,
Die Entscheidung konnte nicht zweifelhaft sein. Es war die Nothwendigkeit eingetreten, die gänzliche Aufhebung der katholischen Pfarrschule anzuordnen und wegen der anderwei⸗ tigen unterrichtlichen Versorgung derjenigen Schulkinder, welche seither die katholische Pfarrschule besucht hatten, Vorkehrung u treffen und zwar in solcher Weise, daß dabei die kon— essionellen Verhältnisse die ihnen gebührende möglichste Be⸗ rücksichtigung fänden. .
Dementsprechend bestimmte die Regierung in Cassel, daß die katholische Pfarrschule vom 1. Januar d. J. an aufzu⸗ lösen und von demselben Zeitpunkte ab für die ordnungs⸗ mäßige Beschulung der schulpflichtigen katholischen Schulkinder in Bockenheim von der dortigen Sigdtgemeinde als der gesetz— lichen Trägerin der Schulunterhaltungspflicht zu sorgen sei, und zwar in der Weise, daß eine besondere konfessionelle katholische Schule beibehalten und von der Stadtgemeinde gleich der bereits bestehenden paritätischen Stadtschule als Kommunalschule auf ihren Etat übernommen werde.
Diese dem Gesetze vollkommen entsprechende Verfügung der Regierung in Cassel und der ablehnende Bescheid, welchen der Staats-Minister von Puttkamer dem Stadtrathe in Bocken⸗ heim auf den von letztere m gegen die gedachte Verfügung ein⸗ gelegten Rekurs ertheilt hat, sind es, welche die Mitglieder der städtischen Kollegien sich nicht scheuen als willkürliche Maßregel und Rechtsverletzung zu charakterisiren und welche sie mit der Niederlegung ihrer Stellen en masse beantworten zu müssen glauben!
Gegenüber diesen demonstrativen Kundgebungen und der weiten Verbreitung, welche dieselben in einem Theile der Presse gefunden haben, möge zur Abwehr nun auch der den Bethei—⸗ ligten unliebsame und seither von der Presse nicht mitgetheilte Bescheid des Ministers auf den Rekurs des Stadtrathes in Bockenheim der öffentlichen Beurtheilung nicht ferner vor⸗ enthalten werden.
Dieser Bescheid lautet wörtlich:
Berlin, den 3. Februar 1881.
Nachdem der katholische Kirchenvorstand zu Bockenheim erklärt hatte, die dortige katholische Parochialschule fernerhin nicht mehr aus Kirchengemeindemitteln unterhalten zu können und andererseits der Stadtrath die Zahlung eines entsprechenden Beitrages zur Unter⸗ haltung der genannten Schule abgelehnt hatte, war die Nothwendig⸗ keit der Aufhebung der gedachten Pfarrschule und der anderweitigen Beschulung der Kinder, welche diese Schule seither besucht haben, ein⸗ getreten.
Die Königliche Regierung in Cassel hat demzufolge mittels Ver⸗— fügung vom 9. Dezember v. J. bestimmt, daß die katholische Pfarr⸗ schule in Bockenheim vom 1. Januar d. J. ab aufgelöset und von demselben Zeitpunkte ab für die ordnungsmäßige Beschulung der schulpflichtigen katholischen Kinder zu Bockenheim von der dortigen Stadtgemeinde Sorge getragen werde und zwar in der Weise, daß eine besondere konfessionelle katholische Schule einzu⸗ richten und gleich der bereits bestehenden paritätischen Stadt— schule von der Stadtgemeinde Bockenheim als Kommunalschule zu
unterhalten sei, auch zugleich Anordnung getroffen, daß bei der neuen.
Einrichtung der Schule zunächst, vorbehaltlich der definitiven Regelung dieser Angelegenheit, die an der katholischen Pfarrschule angestellten Lehrer mit denselben Besoldungsbeträgen, welche sie zur Zeit beziehen, von der Stadt zu übernehmen seien und das ihnen zustehende Gehalt vom 1. Januar d. J. ab aus der Stadtkasse zu beziehen hätten.
Den Rekurs, welchen der Stadtrath gegen diese Verfügung der Königlichen Regierung unterm 15. Dezember v. J. bei mir eingelegt hat, kann ich, wie ich dem Stadtrath hiermit erwidere, für begründet nicht erachten.
Die Behauptung des Stadtraths, daß die Stadt Bockenheim
nach dem geltenden Rechtszustande gegen ihren Willen von Aufsichts⸗ neben der bestehenden, als
wegen nicht genöthigt werden könne, aritätische Volksschule bezeichneten Stadtschule eine besondere atholische Konfessionsschule als Kommunalschule einzurichten und zu
unterhalten, findet in den bestehenden Gesetzen keine Begründung.
Nach 5§. 18 der Geschäftsinstruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817 gebührt der Regierung die Verwaltung aller Schul⸗ angelegenheiten, welche nicht dem Provinzial⸗Schulkollegium über⸗ tragen sind.
Insbesondere ist den Regierungen im S§. 18 a. a. O. zugewiesen
d. die Direktion und Aufsicht über sammtliche öffentliche und Priratschulen und Erziehungsanstalten,
e. die Aufsicht und Verwaltung des gesammten Elementarschul⸗ wesens,
f. die Aufsicht und angelegenheiten.
Nach diesen Vorschriften kann die Berechtigung der Königlichen Regierung, als Schulverwaltungs⸗ und Schulaufsichtsbebörde darüber zu entscheiden und zu bestimmen, welche inneren und äußeren Ein⸗ richtungen das Volksschulwesen erfordert, mithin auch das Recht zu verlangen und anzuordnen, daß zur Befriedigung des Schulbedürfnisses . die katholischen Schulkinder in Bockenheim neben der bereits be⸗
ehenden Simultan⸗ oder paritätischa Schule eine besondere kon⸗ fessionelle katholische Schule eingerichtet werden, keinem Zweifel unterlegen.
Ihre sachliche Rechtfertigung findet die Anordnung der gedachten Binrichtung in der Rücksicht auf die über 50) betragende Zahl katho⸗ lischer Schulkinder in Bockenheim und in dem Wunsche der katho⸗ lischen Eltern, welche mit Recht den Anspruch erheben, daß für ihre Minder, für die seit 40 Jahren eine zuletzt in sieben Klassen und sechs
Verwaltung sämmtlicher äußeren Schul⸗
Stufen gegliedert gewesene besondere katholische Schule bestanden hat, diese konfessionelle Sonderung in der Einrichtung des Schulwesens auch ferner erhalten werde. Es entspricht der Entwickelung, welche das Schulwesen in der Stadt Bockenheim seit 40 Jahren genommen hat, wenn dort in dieser Weise die möglichste Berücksichtigung der . Verhältnisse stattfindet, welche bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen in Gemäßheit des Artikels 24 der Ver⸗ fassungsurkunde genommen werden soll. ;
Den gegen die gedachte Einrichtung von dem Stadtrath aus pädagogischen Gründen erhobenen Einwendungen kann ein entscheiden⸗ des Gewicht nicht beigelegt werden. Insbesondere ist die Behauptung, die Eigenart der Bevölkerung in Bockenheim, wonach der Angabe des Stadtraths von 2300 christlichen Ehen 590 gemischt zwischen Pro⸗ testanten und Katholiken sein sollen, dränge zur Simultanschule, um so weniger als zutreffend anzuerkennen, als gegen die betheiligten Eltern keinerlei Zwang angewendet werden darf, ihre katholischen Kinder lediglich in die katholische Schule zu schicken, denselben viel⸗ mehr die Aufnahme ihrer katholischen Kinder in die paritätische Schule nicht zu versagen ist, wenn sie es vorziehen, dieselben anstatt in die katholische Schule in die paritätische eintreten zu lassen. (Min. Erl. vom 24. Septemper 1870, C. Bl. 1870 S. 623; Min. Erl. vom 12. September 1873. C. Bl. 1873 S. 684)
Was schließlich die von dem Stadtrath gegen die Einrichtung einer besonderen konfessionellen katholischen Schule aus finanziellen Rück—⸗ sichten erhobenen Einwendungen betrifft, so ist es zwar richtig, daß die Ausgaben, welche diese Einrichtung im Gefolge hat, größer sein werden, als die Kosten, welche durch Erweiterung der bereits beste⸗ henden paritätischen Schule unter Aufnahme der katholischen Schul⸗ kinder in die letztere entstehen würden. Indessen ist nach den dieser—⸗ halb von der Königlichen Regierung in Cassel gemachten Darlegungen anzunehmen, daß der Stadtrath in der bezüglichen von ihm aufge⸗ stellten überschläglichen Berechnung einerseits die Kosten, welche ersteren Falles entstehen würden, überschätzt, andererseits die Ausgaben, welche die Erweiterung der paritätischen Schule behufs Aufnahme der katho— lischen Schulkinder verursachen würde, zu niedrig veranschlagt. Es würde insbesondere eine Erweiterung der bestehenden paritätischen Schule um nur 4 Schulklassen, welche der Stadtrath für ausreichend erachtet, dem Bedürfnisse nicht genügen.
Unter diesen Umständen haben auch die von dem Stadtrath ge— äußerten finanziellen Bedenken nicht dasjenige Gewicht, welches der Stadtrath auf dieselben legt und es kann ihnen bei dem Ueberwiegen derjenigen Gründe, aus welchen im allgemeinen Schulinteresse den örtlichen Verhältnissen entsprechend die Einrichtung einer besonderen konfessionellen katholischen Schule als ein Bedürfniß anzuerkennen ist, eine entscheidende Bedeutung nicht beigelegt werden. (
Ich vermag deshalb die Königliche Regierung zur Zurücknahme
ihrer Verfügung vom 9. Dezember v. J. nicht zu veranlassen.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗ Angelegenheiten: von Puttkamer.
Hiernach wird die Würdigung des von den Mitgliedern der städtischen Kollegien in Bockenheim in der Schulfrage eingenommenen, jedenfalls nicht von einer weitherzigen Auf— fassung der konfessionellen Verhältnisse zeugenden Standpunk— tes, sowie des von ihnen beliebten demonstrativen Vorgehens und ihrer gegen die Unterrichtsverwaltung erhobenen schweren Vorwürfe getrost dem öffentlichen Urtheil überlassen werden können. Es wird diesem Urtheil sicher nicht schwer fallen, sich darüber klar zu werden, auf welcher Seite in diesem Falle die „Willkür“ und die „Rechts⸗ verletzung“ zu suchen sind: ob auf Seiten der Unter— richtsverwaltung, die lediglich in Erfüllung der ihr nach Gesetz und Verfassung obliegenden Pflicht für den Schutz der Inter⸗ essen einer konsesonellen Minderheit eintritt, oder ob auf Seiten der städtischen Behörden von Bockenheim, die sich üher die berechtigten Wünsche ihrer Mitbürger einseitig hinweg⸗ setzen zu durfen glauben, und nachdem sie mit ihrem hierauf gerichteten Versuche kein Glück gehabt, sich zu dem schwersten aller Mißgriffe, der Desertion von dem durch das Vertrauen der Bürgerschaft ihnen übertragenen Posten in durch nichts motivirter Verstimmung haben fortreißen lassen.
— Die Bestimmung des §. 12 Nr. 1 des Gesetzes vom 14. Mai 1879, wonach mit Gefängniß, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft wird, wer wissentlich Gegenstände, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu schädigen geeignet ist, als Nah⸗ rungs- oder Genußmittel verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt, findet, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 11. März d. J, auch auf Denjenigen Anwen⸗ dung, welcher gesundheitsgefährliche Nahrungsmittel unter der ausdrücklichen Mittheilung der Fehler der Waare, welche ihren Genuß gesundheitsschädlich machen, verkauft und zwar in der Absicht oder in der stillschweigenden Voraussetzung, daß der Käufer trotz dieser Kenntniß die Waare als Nahrungsmittel verwenden werde. Ob eine derartige, die Strafbarkeit bedin⸗ gende Absicht oder Voraussetzung vorliegt, ist Sache der rich⸗ terlichen Thatfeststellung.
— Der Königlich sächsische Gesandte und Bundesrathsbevoll⸗ mächtigte, Wirkliche Geheime Rath von Nostitz⸗Wallwitz, ist am 9. d. M. hierher zurückgekehrt und hat die Geschäste wieder übernommen.
— Der General⸗Lieutenant von Stiehle, General⸗ Adjutant Sr. Majestät Les Kaisers und Königs und Com⸗ mandeur der 7. Division, welcher mit kurzem Urlaub von Magdeburg hier eingetroffen war, ist wieder abgereist.
— Der General-Lieutenant Dieterich, Inspecteur der 2. Inge nieur⸗Inspection, hat sich auf Dienstreisen begeben.
— Der Regierungs⸗Assessor Pinder, bisher Spezial⸗ kommissarius in Bückeburg, und der Delonomiekommissarius von Baumbach, bisher Spezialkommissarius in Hanau, sind in das Kollegium der Königlichen Generalkommission zu Cassel als außeretatsmäßige Mitglieder einberufen. Mit der Weiterführung der Spezialkommission in Bückeburg ist der bisher in Rinteln stationirte Regierungs⸗-Assessor von Frese, und mit der Weiterführung der Spezialkommission in Rinteln der bisher in Rodenberg stationirte Oekonomiekommissarius von Lengerke beauftragt. Demgemäß ist der Erstere nach Bücke⸗ burg und der Letztere nach Rinteln versetzt. Die bisher im Kollegium der Generalkommission zu Tassel be⸗ schäsftigten früheren Gerichtsassessoren Spangenberg und Wesener sind zu Spezialkommissarien bestellt, und ist dem Ersteren die Speziallommission zu Rodenberg, dem Letzteren die Spezialkommission zu Hanau übertragen.
— S. M. S. „Moltke“, 16 Geschütze, Kommandant Kapitän zur See Pirner, hat am 4. Mai cr. früh auf Rhede Funchal (Madeira) geankert und Nachmittags die Reise nach Rio de Janeiro fortgesetzt.
Ems, 11. Mai. (W. T. B.) Ihre Majestäten der König und die Königin a e , sind heute Abend 10 Uhr hier eingetroffen und haben in den „Vier Thürmen“ Wohnung genommen.
Sachsen. Dresden, 10. Mai. (W. T. B.) Heute Mittag ist nach vorausgegangenem, zahlreich besuchten Gottes⸗ dienst die dritte evangelische Landessynode vom Kultus⸗Minister eröffnet worden. Zum Präsidenten wurde der Kammerherr von Zehmen, zum Stellverireter desselben der Ober⸗Hosprediger Kohlschütter wiedergewählt.
Württemberg. Stuttgart, 16. Mai. Aus Ouchy, 6. Mai, berichtet der „St. A. f. W.“, daß der König und die Königin an jenem Tage Mittags bei dem schönsten Wetter dort eingetroffen seien. In Ouchy haben Ihre Majestäten in dem Hotel Beau-Rivage Wohnung genommen und beabsichtigen bis zum 17. d. Mts. dort zu verweilen. — Der Präsident des Staats⸗-Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Mitt⸗ nacht, ist gestern von Berlin hierher zurückgekehrt.
Baden. Karlsruhe, 109. Mai. Wie die „K. 3.“ meldet, wird die Großherzogin voraussichtlich morgen mit der Prinzessin Victoria Wiesbaden verlassen und am Abend in Karlsruhe eintreffen.
Braunschweig. Braunschweig, 11. Mai. (W. T. B.) Der Herzog ist heute früh nach Sibyllenort abgereist.
Elsaß⸗Lothringen. Straßhurg, 11. Mai. (W. T. B.) Der Statthalter, General⸗Feldmarschall Freiherr von Man⸗
teuffel ist in der vergangenen Nacht nach Berlin abgereist, um seinen erkrankten ältesten Sohn zu besuchen.
Oesterreichꝛ ungarn. Wien, 10. Mai. Die Ver⸗ mählung des Kronprinzen Rudolf mit der Prinzessin Stephanie ist heute unter freudigster Theilnahme der Bevölkerung ge— feiert worden. Ganz Oesterreich⸗Ungarn nimmt jubelnden Antheil an diesem Familienfeste des Kaiserhauses und in loyaler Festfreude ist heute Alles Eins und einig im großen Kaiserreiche. Das freudige Ereigniß in der Kaiserfamilie drängt das Interesse an den politischen Ereignissen des Tages voll— ständig in den Hintergrund. Die Mehrzahl der Blätter wendet ihre Aufmerksamkeit in erster Linie den Vermählunggsfestlich— keiten zu und konstatirt neuerdings die hohe Begeisterung, die sich bei diesem sreudigen Anlasse in allen Schichten der österreichischungarischen Bevölkerung kundgiebt.
— (W. T. B.) Heute Nachmittag wurden die Botschafter, die Gesandten und sonstigen Mit— glieder des diplomatischen Corps, die Generalität, die Stabs⸗Offiziere, die Truchsessen, Kämmerer und Geheime Räthe dem kronprinzlichen Paar durch den Minister des Auswärtigen, den Kriegs-Minster und den Oberst⸗Hofmeister in der Hofburg vorgestellt. Abends begab sich das neuvermählte hohe Paar nach dem festlich illu— minirten Laxenburg, wo dasselbe gegen 7, Uhr eintraf. Ihre Königliche Hoheiten Prinz und Prinzessin Wilhelm von Preußen haben sich heute Nachmittag vom Kronprinzlichen Paare verabschiedet und treten morgen Abend die Rückreise nach Berlin an. — Der Prinz von Wales beabsichtigt, sich morgen nach Pest zu begeben.
— Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prin—
zessin Wilhelm von Preußen machten heute dem Kaiser und der Kaiserin ihren Abschiedsbesuch und empfingen Nachmittags den Gegenbesuch des Kaisers. Dem Dejeuner, welches dem Offizier⸗Corps des Infanterie⸗Regiments „Deutscher Kaiser“ von Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm heute gegeben wurde, wohnten auch die General- Feldzeugmeister Philippovic und Jovanovie, sowie die Suite und die zugetheilten Offiziere bei. Abends 8 Uhr traten Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Wilhelm mittelst Courierzug der Nordwestbahn die Rückreise nach Berlin an. Der Kaiser verabschiedete sich in der herzlichsten Weise von dem Prinzlichen Paare, auch der deutsche Botschafter, Prinz Reuß, sowie sämmtliche Mitglieder der deutschen Botschaft, der deutsche General-Konsul von Mall— mann und die dem Prinzen Wilhelm zugetheilt gewesenen Offiziere waren zur Verabschiedung auf dem Bahnhofe er— schienen. ö — Das „Armee⸗Verordnungsblatt“ veröffentlicht die Er nennung Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Wilhelm von Preußen zum Hauptmann im 34. Infanterie⸗Regiment, dessen Inhaber Se. Majestät der Kaiser Wilhelm ist.
— 12. Mai. Der König und die Königin der Bel⸗ gier, welche sich bereits gestern von dem neuvermählten Kronprinzlichen Paare in Laxenburg verabschiedet und dem Kaiser und der Kaiserin heute früh ihren Abschiedsbesuch ge⸗ macht hatten, haben um 11 Uhr Vormittags die Rückreise nach Brüssel angetreten. Der Kaiser, die Erzherzöge und 8 Prinz von Wales gaben denselben bis zum Bahnhofe das
eleite.
— Die Adresse, welche der Gemeinderath der Stadt Wien dem Erlauchten Brautpaare, dem Kronprinzen Rudolf und der Prinzessin Stephanie überreicht hat, lautet:
Ew. Kaiserl. und Königl. Hoheit! Durchlauchtigster Herr Erz⸗ herzog! Ew. Königliche Hoheit! Durchlauchtigste Frau Prinzessin! Die allezeit getreue Stadt Wien und ganz Oesterreich feiern in diesen Tagen ein Fest der Herzen. Mit freudiger Begeisterung haben alle Bewohner des großen Reiches die Kunde von der Verlobung Ew. Kaiserl. und Königl. Hoheit begrüßt, und sie knüpfen daran die frohe Hoff nung, daß der Bund, den Ew. Kaiser⸗ liche und Königliche Hoheit nach eigener Neigung schließen, das Glück und die Freude Ihres Lebens begründen und eine mächtige Stütze für die Erfüllung der hohen Aufgabe bilden wird, den Ruhm und die Größe des Reiches zu erhalten und zu vermehren. Durchlauch⸗ tigste Frau Prinzessin! Die Stadt Wien begrüßt in Ew. König—⸗ lichen Hoheit die Tochter einer österreichischen Erzberzogin, die Fürstin aus einem Relche, das unzähliche historische Erinnerungen mit unserem Vaterlande verbinden, und legt der Gattin des heißgeliebten Thronerben die Versicherung unerschütterlicher Treue und Verehrung zu Füßen. Die alte Kaiserstadt rüstet sich, der holdseligen Braut unseres Kronprinzen mit freudebewegtem Herzen zu huldigen, und deren Vertreter, sind wir die treuen Dolmetsche der begeisterten Gefühle aller Bewohner dieser Stadt, wenn sie Ew. Kaiserlichen und Königlichen Hobeit und der Durchlauchtigsten Frau Prinzessin die herzlichsten Glück wünsche darbringen. Millionen Lippen werden an dem Tage, an dem der Herzensbund gesegnet wird, nur Ein Gebet zum Himmel empor⸗ senden: Gott der Allmächtige segne diesen Bund! Gott erhalte, Gott schütze unseren Kronprinzen und seine Braut!“
Prag, 106. Mai. Sämmtliche Blätter beider Nationali⸗ täten bringen Festartikel und Festgedichte. In den meisten Landstädten und Flecken, selbst in kleinen Dörsern, wurde gestern ill uminirt. In Prag durchzogen heute von 5 Uhr früh an die Musikkapellen die Straßen. Vormittags wurden solenne Gottesdienste in den Kirchen abgehalten. Die Teiner Dom⸗ kirche war überfüllt, vor der Kirche am Altstädter Ring nahmen die Bürgergarden Aufstellung. Mittags fand in allen fünf Stadttheilen die Speisung der Armen kat Die Ge⸗
noss enschaften und Gewerbe durchzogen die Straßen unter den Klängen der Volks hymne und der Brabongonne.
Pest, 10. Mai. Zur Feier der heutigen Vermählung des Kronprinzen Nudolf mit der Prinzessin Stephanie wurden in der Festungs⸗ und Garnifonskirche so wie in der Pfarrkirche der inneren Stadt und in den Kirchen aller Vor— städte feierliche Hochämter abgehalten. In der Festungskirche und der Pfarrkirche der inneren Stadt erschienen die Spitzen der Regierungsämter und der Militär- und Civilbehörden in Galakleidern. In den Vorstädten wurde die Behörde überall durch die Bezirksvorstände und deren Amtspersonale vertreten. Die Direktion des National Theaters veranstaltet heute Abends aus demselben Anlasse eine Festvorstellung mit vollständiger Beleuchtung des äußeren Schauplatzes. — Das Amtsblatt publizirt ein Allerhöchstes Handschreiben des Kaisers an den Justiz-Minister Pauler in Angelegenheit der Begnadigung von durch das Kriminalgericht Verurtheilten. In Folge dessen wurden auf Vorschlag des Justiz-Ministers laut Allerhöchster Bestimmung vom 1. Mai 191 Sträflinge begnadigt
und am heutigen Tage, als am Vermählungstage des Kron⸗—
prinzen Rudolf auf freien Fuß gesetzt.
— 11. Mai. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Unterhauses wurde vom Grafen Albert Apponyi eine In—⸗ terpellation an den Handels-Minister darüber eingebrächt, ob er davon wisse, daß die deutsche Reichsregierung eine Erhöhung des Mehlzolles auf 3 6 und die Belegung frischer Wein— trauben mit einem Zoll von 15 6 beabsichtige, ob er bei einer solchen Absicht den Faden der stattfindenden Handels⸗ vertrags⸗Verhandlungen nicht für abgerissen halte, ob die nothwendigen Schritte geschehen seien, damit, wenn obge— dachte Zollerhöhung wirksam werde, der ungarischen Mehl— industrie wenigstens der Markt des österreichisch⸗ungarischen Zollgebietes durch Einführung entsprechender Zölle gesichert werde und ob der Minister geneigt sei, zu dem Zeitpunkte, wo die endgültige Vereitelung der mit Deuischland geführten Unterhandlungen konstatirt sein werde, dem Reichstage Über die Ursachen der Vereitelung detaillirten und erschöpfenden Bericht zu erstatten.
Großbritannien und Irland. London, 10. Mai. (W. T. B.) In der heutigen ÜUnterhaussitzung erwiderte auf eine Anfrage Wolffs der Unter-Staatssekretär Dilke: die französische Regierung habe keine schriftlichen Ver— sicherungen in Betreff Tunis' abgegeben, sondern nur die be— reits erwähnten mündlichen. Die Regierung habe erfahren, daß Frankreich gegen die Entsendung der türkischen Flotte nach Tunis protestirt habe, sie habe aber von der Pforte darüber keine Information erhalten und könne daher auch keine authen— tische Mittheilung machen. Wolff kündigte an, daß er am nächsten Freitag die Regierung darüber interpelliren werde, ob sie Schritte thun werde, eine permanente exklusive französische Besetzung der tunesischen Küstenplätze zu verhindern. — Bradlaugh wollte den Eid leisten, wurde aber auf Befehl des Sprechers hinter die Schranke zurück— geführt. Bradlaugh verweigerte den Gehorsam. Northeote beantragte in Folge dessen, daß Bradlaugh der Eintritt in das Haus untersagt werde, bis er sich verpflichte, die Verhandlun— gen nicht zu stören. Gladstone selbst könne diesen Antrag nicht stellen, da er noch glaube, daß Bradlaugh ein legales Recht ausübe; er bekämpfe aber den Antrag nicht, weil die Majorität entschieden habe. Der Antrag Northeote's wurde hierauf ohne Abstimmung angenommen. Bradlaugh ist nunmehr von dem Sitzungssaale gänzlich ausgeschlossen.
— 11. Mai. (W. T. B. Im Unterhause verlas heute der Sprecher eine Zuschrist Bradlaughs, worin derselbe gegen das Vorgehen des Hauses wider ihn protestirt, weil es eine Verletzung der Rechte der Wähler von Northampton sei. Law son zeigte an, daß er am nächsten Freitag eine Reso— lution des Inhalts beantragen werde, daß der Bradlaugh betreffende Beschluß des Unterhauses vom 26. v. M. gesetz⸗ widrig sei.
Frankreich. Paris, 109. Mai. (W. T. B.) Der heutigen Sitzung der Münzkonsferenz wohnten 34 Delegirte bei, darunter auch der englische Delegirte Malet. Der italie⸗ nische Delegirte Luzzati suchte darzulegen, daß die legislative Thätigkeit mit zur Entwerthung des Silbers und Goldes bei getragen habe, da beides nicht in hinreichender Menge vor— handen sei, um die einzige Währung zu werden. Nach Luz— zati sprach der Delegirte der Schweiz, Burckhard. Derselbe machte einige statistische Miitheilungen über die Geldeirku⸗ lation und hoh hervor, daß das Gold in der Schweiz zum industriellen Gebrauch oder zur Zahlung auswärtiger Rech⸗ nungen bedeutend abgenommen habe. Burckhard betonte die Nothwendigkeit e ner Verbesserung der Strafgesetzgebung in Bezug auf das Münzwesen. Nach verschiedenen anderen Reden sprach der Delegirte Rußlands, von Thörner, zu Gunsten des Monometallismus, erkannte jedoch die Nothwendigkeit an, des Silber als Zahlungsmittel zu verwenden um den Ge— brauch des Goldes zu vermindern. Rusconi sprach zu Gunsten des Bimetallismus. Die nächsie Sitzung findet am Donnerstag statt. In deiselben sollen Cernuschi, Dona Horton und Seismit Doda das Wort nehmen.
Wie aus Tunis gemeldet wird, würde ein Theil der in Djedeidg eingetroffenen Truppen nach dem Bardo dirigirt werden. Von einem Einmarsch in Tunis selbst sei jedoch keine Nede. Man glaube, durch ein solches Vorgehen die Verhand⸗ lungen mit dem Bey zu erleichtern, behufs Herstellung eines Garantievertrags, der alle Rechte der europaischen Nationen respeltire, gleichzeitig aber die Sicherheit der algerischen Grenze besestige und eine Sicherstellung sei gegen die Wiedererneuerung von gegen Frankreich gerichteten Umtrieben.
— 11. Mai. (W T. B.) Das Gelbbuch, welches morgen zur Vertheilung gelangen wird, enthält 233 Depeschen und zerfällt in drei Abtheilungen. Die erste Abtheilung be⸗ trifft den Zustand an der algerischen Grenze, die zweite die Schwierigkeiten bezüglich des Schutzes der dortigen Einwohner französischer Nationalitat und die dritte die Expedition gegen Tunis bis zum 2. Mai. Das erste Dokument ist das Rund⸗ schreiben des Ministers des Auswärtigen, Barthélemy St.
ilaire, in welchem die allgemeine Politik Frankreichs in unis, sowie die Gründe und der Zweck der gegenwärtigen Expedition dargelegt werden.
Jin dem vom Minister des Auswärtigen, Barthelemy St. Hilaire, unter dem 9. d. erlassenen Rundschreiben wird zunachst konstatirt, daß die Politik der franzoͤsischen Negierung Tunig gegenüber lediglich und allein von dem Prinzip der absoluien Verpflichtung, die Sicherheit Algiers zu befestigen, geleitet werde. S Zirkular⸗ schreiben wei auf, die unausgesetzten Verletzungen an der Grenze von Ostalgier hin. Frankreich habe dem gegenüber
Geduld bis zu einem Grade gezeigt, der die ganze Welt in Erstaunen gesetzt habe. Die Abgrenzung zwischen Algier und Tunis sei niemals eine regelmäßige gewesen, es sei eine schwankende Grenze wie unter den Beys von Konstantine. Die Lücke werde ausgefüllt werden müssen. Der erste Zweck der Expedition sei daher die definitive Pazifizirung der östlichen Grenze von Algier. Damit würde aber die Ordnung keines⸗ wegs hergestellt sein, wenn der Zustand in den Nach— bargebieten ein fortgesetzt feindlicher und drohender bliebe. „Wir fürchten nicht einen ernsten Angriff des Beys allein, aber die einfache Klugheit nöthigt uns, zu wachen über Zudringlichkeiten, von denen derselbe bestürmt werden kann und welche nach den Umständen schwere Verlegenheiten für Algier herbeiführen könnten. Man muß daher um jeden Preis in dem Bey von Tunis einen Allirten haben, mit dem man sich loyal verständigen könne, man muß einen Alliüirten haben, der sich auch seinerseits wohlwollend zeige und fremden feindlichen Einflüssen nicht nachgebe. Wir haben seit vierzig Jahren zu erkennen gegeben, daß wir, wenn wir genöthigt sein sollten, zur Sicherheit des französischen Algier eine präponderirende Stellung in der Regentschaft Tunis einzunehmen, die Interessen anderer Nationen gewissen— haft respektiren würden.“ Das Cirkular weist dann auf die Dispositionen der tunesischen Regierung hin, die sich Frank— reich gegenüber plötzlich geändert hätten aus Ur— sachen, auf die man delikater Weise nicht weiter eingehen könne; es sei ein kecker Krieg gegen alle französische Unternehmungen in Tunis mit einem hart— näckigen Uebelwollen eingeleitet worden, das die gegen— wärtige Situation herbeigeführt habe. Hiernächst wird hervor— gehoben, daß Tunis ganz unabhängig von der Pforte und nur durch das Band der Religion mit derselben verbunden sei. Die Beys von Tunis hätten immer als unabhängige Sou— veräne gehandelt und seien als solche behandelt worden. Die Türkei selbst habe das auch anerkannt, denn sie habe im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts die Verantwortung für die Seeräuberei der Barbareskenstaaten abgelehnt, es könne daher kein Staunen erregen, daß Frankreich es ablehne, die So uzeränetät der Pforte anzuerkennen. Wenn man den Bey von Tunis als ernen einfachen Vali betrachten wolle, würde Frankreich die Frage an die Pforte richten können, warum dieselbe seit zwei Jahren den Bey nicht gehindert habe, sich Frankreich gegenüber so zu betragen, wie er gethan habe, und warum nichts geschehen sei, um der gegenwärtigen Krisis vorzubeugen. Die jetzige Krisis müsse zu einem Vertrage führen, der sicherstelle gegen Ein— sälle an den Grenzen und gegen illoyale Umtriebe, für welche der Bardo oft genug das Werkzeug oder der Herd gewesen sei. „Das ist der doppelte Zweck unserer Expedition und, ich scheue mich nicht es zu sagen, wir besitzen in Europa die all— gemeine Billigung überall, wo unbegründete Voreingenommen— heiten nicht die Geister verblenden. Wir sind voll Wohlwollen für die Pforte und für Tunis; Alles, was wir vom Bey ver— langen, ist, daß er uns gegenüber nicht feindselig sei.“ Das Rundschreiben zählt schließlich die Wohlthaten auf, die Tunis Frankreich verdanke; weitere Arbeiten und Verbesserungen seien vorbereitet, alle civilisirten Nationen würden aus den von Frankreich verwirklichten Fortschritten Nutzen ziehen. Nichts stehe entgegen, daß Frankreich für Tunis ohne Eroberungen und ohne Kämpfe das thue, was es in Algier thue, und das⸗ jenige, was von Seiten Englands in Indien geschehe. Es sei dies eine heilige Pflicht, welche der höheren Civilisation ob— liege weniger vorgeschrittenen Völkern gegenüber.
Wie aus Tunis gemeldet wird, ist das italienische Panzerschiff „Maria Pia“ heute Vormittag daselbst eingetroffen. — Der Bey hat ein Rundschreiben an die Kadis und die Regierungen der Regentschaft gerichtet, in welchem er seinen Protest gegen die französische Invasion wiederholt und versichert, daß die Angelegenheit auf diplo— matischem Wege geordnet werden würde. Die Regierung sei gegenwärtig damit beschäftigt, mit der Pforte und den anderen Mächten ein Einvernehmen in dieser Beziehung herzustellen. Der Bey fordert schließlich die Kadis und die Gouverneure auf, auf ihren Posten zu bleiben, um die Ruhe und Ordnung unter der Bevölkerung aufrecht zu erhalten.
Toulon, 10. Mai. (W. T. B.) Das Uebungs— geschwader ist nur zu den gewöhnlichen Manövern von hier abgegangen; dasselbe wird Abends bei den Hyerischen Inseln vor Anker gehen und morgen nach Toulon zurückkehren.
Griechenland. Athen, 11. Mai. (W. T. B.) Dem Vernehmen nach sind bereits wegen Besetzung der von der Türkei an Griechenland abzutretenden Gebiets— theile militarische Anordnungen getroffen worden.
Türkei. Kon stantinopel, 11. Mai. (W. T. B.) Die der Pforte vom französischen Botschafter Tissot am 7. Mai über⸗ reichte Protestnote besagt, Frankreich befinde sich gegen⸗ wärtig mit einem Theile der Bevölkerung von Tunis im Kriege. Jede Entsendung militärischer Streitkräfte durch die türkische Regierung nach Tunis werde daher als ein Akt der Feindseligkeit betrachtet werden, und das französische Geschwa⸗ der werde Befehl haben, das türkische Geschwader auf seiner Fahrt aufzuhalten und sich mit Waffengewalt jedweder Aus⸗ schiffung auf jedem Punkte der Küste der Regentschast von Tunis zu widersetzen.
— 12. Mai. Die erste Plenarsitzung der Dele⸗ girten zu der internationalen Kommission für die griechisch⸗türkische Grenzfrage hat gestern Nachmittag stattgefunden. Die türkischen Delegirten legten einen Entwurf vor, welcher sehr detaillirt nur Stipulationen, betreffend die Religionsfreiheit, das Privateigenthum der Muhamedaner, das Staatseigenthum, die kirchlichen Güter, sowie den von Griechen⸗ land zu übernehmenden Antheil an der türkischen Staats⸗ schuld enthält. In dem Entwurfe wird namentlich die Fest— stellung einer Entschädigung für das abzutretende Staats— eigenthum wie beispielsweise die Kasernen, und die Verwal⸗ tung der Kirchengüter durch Muhamedaner verlangt. Da⸗ egen enthält der Entwurf nichts über die Räumung und die lebergabe des abzutretenden Gebiets. Die Botschafter werden eute den Entwurf prüfen. Die nächste Plenarsitzung der
ommission soll morgen stattfinden. — Die Pforte hat an ihre Vertreter im Auslande ein telegraphisches Cirku⸗ lar erlassen, in welchem sie die tune sische Frage historisch beleuchtet, ihre Souzeränetätsrechte rechtfertigt und die Ver— mittelung der Mächte behufs einer friedlichen Lösung der Frage anruft.
— Aus Paris, 12. Mai, berichtet, W. T. B.“: Aug Konstantinopel wird gemeldet, der Sultan habe die Absicht,
eine außerordentliche Mission und Truppen nach Tunis zu
senden, aufgegeben, werde aber zwei kleinere Schiffe nach La Goletta und Truppen nach Tripolis dirigiren.
Rumänien. Bukarest, 109. Mai. (W. T. B) Die Vermählung des Kronprinzen von Oesterreich wurde heute von der hiesigen ungarischen Kolonie in solenner Weise gefeiert. Vormittags fand in der katholischen Kirche ein Fest— gottesdienst statt, Nachmittags bei dem Gesandten, Grafen Hoyos, großer Empfang, zu welchem sich nach den österrei— chisch-ungarischen Staatsangehörigen, der Hofmarschall und zwei Flügel-Adjutanten als Vertreter des Königs einfanden; ferner erschienen zum Empfange die Minister, die Mitglieder des diplomatischen Corps, die Generäle, die oͤbersten Staats⸗ würdenträger und zahlreiche rumänische Privatpersonen.
Abends findet im „Hotel Boulevard“ ein Festbanket statt.
— In der heutigen Sitzung der Kammer erklärte der Minister raiden Demeter Bratiano auf eine Interpellation Jonescu's, der rumänische Delegirte bei der Donau⸗Kommis— sion werde heute abreisen. Derselbe nehme die bündige Wei⸗ sung mit, für die Aufrechterhaltung der bestehenden Verträge und die volle Freiheit der Donauschiffahrt einzutreten. Jonescu erklärte sich von der Antwort befriedigt.
Bulgarien. Sofia, 10. Mai. (W. T. B.) Gestern Abend fand trotz des Regenwetters vor dem Palais des Fürsten eine großartige Demonstration statt. Die Volks— menge brachte enthusiastische Hochrufe auf den Fürsten aus. Der Fürst zeigte sich der Volksmenge dreimal und dankte für die ihm dargebrachten sympathischen Kundgebungen. Der Metropolit bat den Fürsten, die Absicht, abzudanken, aufzu— geben und Bulgarien nicht zu verlassen. Die Menge brachte hierauf auch dem Minister-Präsidenten eine Ovation dar.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 11. Mai. (W. T. B.). Heute Mittag 12 Uhr begann vor dem Kaiser auf dem Marsfelde die Frühjahrsparade. Der Großfürst Wla⸗ dimir kommandirte die in Parade stehenden Truppen, welche im Paradeanzuge mit voller Trauer aufmarschierten. Die Truppen waren in fünf Reihen aufgestellt. Der Kaiser ritt, von einer zahlreichen Suite, worunter auch Botschafter und Militärbevollmächtigte, begleitet, die Fronten ab. Die Truppen begrüßten den Kaiser enthusiastisch. Die Kaisserin fuhr in einem zweispännigen Daumont ebenfalls die Fronten entlang. Hierauf nahm der Kaiser und die Suite Aufstellung neben dem Zelte für die Kaiserin und die Großfürstinnen und ließ die Truppen vorbeimarschieren. Auf dem Platze waren an zwei Seiten dicht besetzte Tribünen für das Publikum; die beiden anderen Seiten wurden von einer zahllosen Volksmenge eingenommen, die das Kaiserpaar mit fortwährenden Hurrahs begrüßte. Alles verlief in größter Ordnung.
Nach offiziellen Mittheilungen haben in Baku (Kaukasus) ernsthafte Tumulte stattgefunden, welche durch einen Zu— sammenstoß zwischen Russen und Muselmännern ver— ursacht wurden. Die Ruhe mußte durch Truppen wieder hergestellt werden, wobei ein Muselmann getödtet und 3 ver— wundet wurden. Die Ruhestörung dauerte 3 Tage, trug aber keinen politischen Charakter.
— 11. Mai. (B. T. B.) Gin Telegramm des General Drentelen meldet: In Kiew ist die Ruhe wiederhergestellt, aber auf den Bahnstationen Tastowo und Schmerinka, sowie in der Stadt Wassilkowo überfiel die Bevölkerung die jüdischen Einwohner. Zum Schutze derselben sind Truppen dorthin ge⸗ sandt worden. Aehnliche Tumulte, welche jedoch ohne gefähr⸗ lichen Charakter waren, fanden auch in Kontop und im Ananjewschen Kreise statt. Dem „Golos“ zufolge versuchte am 9g. d. in Kiew eine Volksmenge das Knaben— gymnasium und das Mädchengymnasium anzugreifen, wurde jedoch durch Truppen zerstreut. Auf der Bahn⸗ station entstand ein großer Tumult in Folge eines Angriffs auf die in großer Anzahl aus der Stadt abreisenden jüdischen Einwohner. Gegen 600 Verhaftungen wurden vor— genommen, einige Personen, darunter auch ein Offizier, wurden verwundet. Der angerichtete Schaden wird auf mehrere Mil⸗ lionen geschätzt.
— 11. Mai, Abends. (W. T. B.) Ein Extrablatt des „Regierungsboten“ veröffentlicht folgendes Kaiserliche Manifest: „Wir, von Gotteß Gnaden Alexan⸗ der 1III. ꝛc., an alle Unsere getreuen Unterthanen. Es hat Gott in Seinem unerforschlichen Rathschlusse gefallen, die ruhmreiche Regierung Unseres vielgeliebten Vaters durch einen Märtyrertod abzuschließen und Uns die heilige Pflicht der selbstherrscherlichen Regierung aufzuerlegen. Indem Wir Uns dem Willen der Vorsehung fügten und dem Staats⸗ gesetze über die Erbfolge in der Regierung Folge leisteten, nahmen Wir diese Bürde vor dem Angesichte des Allerhöchsten auf in der schreckenvollen Stunde, wo Trauer und Entsetzen Unser ganzes Volk erfüllten in dem sesten Glauben, daß Er, da Er Uns in so schwerer und so un⸗ endlich mühevoller Zeit zur Regierung berief, Uns auch mit Seinem Allmächtigen Schutze beistehen werde und zugleich in dem festen Glauben, daß Er die heißen Gebete Unseres gottesfürchtigen durch seine Liebe und Treue zu seinem Herrscherhause auf dem ganzen Erdkreise bekannten Volkes er⸗ hören und Seinen Segen auf Uns und die Uns auserlegte Regierungsarbeit niedersenken werde. Indem Unser in Gott ruhender Vater die selbstherrscherliche Gewalt zum Wohle des ihm anvertrauten Volkes von Gott empfing, blieb er bis zu seinem Tode seinem Eide getreu und besiegelte durch sein Blut sein großes Wirken. Weniger durch Maßregeln der Strenge als durch Milde und Güte vollführte er die größte That sei⸗ ner Regierungszeit, die Befreiung der Bauern. Indem er darin erfolgreich zur Mitwirkung auch den immer der Stimme des Guten und der Ehre folgenden Landbesitzenden Adel heran⸗ zog, schuf er die großen Justizreformen und berief seine Un⸗ terthanen, welche er ohne Unterschied auf immer frei machte, zur lokalen und allgemeinen wirthschaftlichen Selbstverwaltung. Ja! Möge sein Andenken immerdar gesegnet sein! Der durch ver⸗ worfene Ungeheuer verübte gemeine und verruchte Mord des russischen Herrschers inmitten seines treuen Volkes, das stetz bereit für ihn sein Leben hinzugeben, ist ein grauenhaftes, schmachvolles, in Rußland unerhörtes Ereigniß, welches Unser ganze Land in Trauer und Entsetzen hüllte. In Unserer großen Betrübniß befiehlt Uns Gottes Stimme, sest die Zügel der Regierung zu halten in der Zuversicht auf die göttliche Vorsehung und in dem Glauben an die Kraft und die Wahrheit der selbstherrscherlichen Gewalt, welche Wir berufen sind zu be⸗ sestigen und zu bewahren vor jeder Anfechtung zum Wohle des Volkes. Ja! Mögen sich wieder beruhigen die von Erregung und Entsetzen erfüllten Herzen Unserer getreuen Unterthanen, Aller, die das Vaterland lieb haben und von Geschlecht zu Ge⸗ schlecht treu zu dem angestammten Herrscherhause standen.