1881 / 138 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Jun 1881 18:00:01 GMT) scan diff

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führung bringen zu können. Schätze der Abg. Lasker die Sachkenntniß und das Urtheil des Reichstages so gering, daß derselbe für die Regierung einen Vorwurf daraus her⸗ leite, daß sie das Urtheil des Reichstages über diese Vorlage provozirt habe? Glaube der Abg. Lasker denn, daß die Ver⸗ handlungen zweiter Lesung und die Kommissionsberathungen ohne Werth seien für die Lösung dieser schwierigen Frage? Mit Unrecht habe der Vorredner dem Reichskanzler vorge⸗ worfen, derselbe hätte positiv erklärt, daß er ohne den Staats⸗ zuschuß dieses Gesetz niemals annehmen würde. Der Reichskanzler habe wiederholt erklärt, er könne das Gesetz nicht annehmen, falls den Arbeitern da⸗ durch eine Mehrbelastung aufgebürdet würde, und des halb habe derselbe sich implizite für einen Staatszuschuß aus⸗ gesprochen, ohne denselben für eine conditio sine qua non zu erklären. Der Abg. Stumm habe im Namen der ganzen Fraktion die Erklärung abgegeben, daß der größte Theil der Partei zwar die Reichsanstalt den Landesanstalten vorzöge, daß die Fraktion aber im Interesse der Durchberathung und des Zustandekommens des Gesetzes dasjenige Kompromiß ac— ceptire, welches ein anderer Theil des Hauses ihr entgegen— bringe. Seine Partei habe dafür von dem Abg. Lasker zwar eine sehr schlechte Censur bekommen, er glaube aber, das Haus habe durch die Berathung dieses Gesetzes dem Lande einen guten Dienst geleistet. Seine Partei habe damals angenom⸗ men, daß die Fortschrittspartei für die Reichsanstalt stimmen würde. Erst die Diktatur des Abg. Richter habe der Haltung der Fortschrittspartei eine andere Richtung gegeben. Ein großer Theil; seiner politischen Freunde würde gegen die Landesanstalt gestimmt haben, weil sie glaubten, daß nur die Reichsanstalt den Aufgaben des Gesetzes voll— kommen entsprechen könne. Der Gedanke der Decentrali— sation, den der Abg. Richter ausgeführt habe, lasse sich doch wahrlich nicht herstellen nach den Grenzen der einzelnen Länder, sondern nur nach den industriellen Bezirken, wie sie geographisch zusammenlägen, und eine solche Decentralisation könne nur das Reich herstellen. Aber auch aus politischen Gründen müsse der größte Theil seiner Freunde gegen die Landesanstalt stimmen. Nach der ganzen Anlage der deutschen Verfassung sei es naturgemäß, daß der Bundesrath das fö— derative, der Reichstag das centralisirende Element repräsen⸗ tire. Es sei bedenklich, dieses Verhältniß umzukehren. Jetzt schlage der Bundesrath das Reich vor, und seine Partei sollte nun föderalistisch sein und sagen: nicht das Reich, son— dern die Einzelstaaten. Das wäre pröäjudicirlich für die gesammte spätere Entwickelung Deutschlands. Der Abg. Lasker habe Unrecht sich darüber zu beklagen, daß ihm von dem Kompromißvorschlage, der ja ge— scheitert sei, nicht Mittheilung gemacht sei. Man könne doch nicht verlangen, daß die Majorität, wenn sie über einen Gegenstand in Verhandlung trete, immer den Abg. Lasker davon in Kenntniß setze. Aber für ihn und einen Theil seiner Freunde würde allerdings dieser Kompromiß insofern unannehmbar gewesen sein, als man die aus⸗ schließliche Last dem Arbeitgeber aufbürden wolle. Seine Partei habe immer daran festgehalten, und Niemand mehr als sein Freund Stumm, daß das ethische Moment, welches in der Betheiligung der Arbeiter liege, einen so großen Werth in sich schließe, daß man auf diese Betheiligung des Arbeiters niemals verzichten sollte. Dieses ethische Moment falle zwar weg, wo der Arbeiter zu anderen als im Gesetz vorgesehenen Zwecken Beiträge zahle, also bei den Knappschafts⸗ kassen, lasse man aber überhaupt die Beitrasspflicht der Ar⸗ beiter fallen, so präjudizire man der künftigen sozialen Gesetz⸗ gebung in gefährlicher Weise. Jedenfalls sei sicher, daß die Großindustrie die Prämie leichter tragen könne, als das Klein⸗ gewerbe. Darüber lasse sich sprechen. Dem Gesetze liege der einfache Gedanke zu Grunde, daß die Industrie bis jetzt sich in einem Unrecht befunden habe, indem sie die Arbeits⸗ kräfte, die bei ihr arbeitsunfähig geworden, auf die Armen⸗ verbände gewälzt und nicht selbst verpflegt hätte. Dem Staats— oder Reichszuschuß stehe er nicht so prinzipiell gegenüber, wie ein großer Theil dieses Hauses. Er habe aber das Bedenken, daß die Grenze der Arbeiter, welche durch den Reichs⸗ resp. Staatszuschuß erleichtert werden sollten, entweder zu eng ge⸗ zogen sei, daß er lieber alle, auch die landwirtschaftlichen Ar⸗ beiter hinein haben wolle, oder aber viel zu weit. Würde man den Zuschuß auf solche Industrien beschränken, in denen Menschenunglücke vorkämen, so würde er heute schon für denselben stimmen, umgekehrt auch dann, wenn der Zuschuß auf alle Arbeiter ausgedehnt würde. Dieser Frage werde man näher treten n . wenn man zu einem unendlich wichtigeren Gegenstande komme, zur Revision des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz, wo ihm eine Unterstuͤtzung der unteren Verbände geboten er⸗ scheine. In dieser Frage trenne er sich leider er könne hier nur für sich sprechen mit einigen seiner Freunde von denjenigen Konservativen, die den Antrag Stolberg unterstützt hätten. Man glaube durch dieses Gesetz vielleicht der 6 demokratie entgegentreten zu können Was die Sozialdemo⸗ kratie in Deutschland in hohem Maße mit verschuldet habe, sei die Armen⸗ und Unterstützungswohnsitzgesetzgebung seit dem ger 1842, welche die Arbeiter, ganz wie die Sozialdemo⸗

atie es mala fie thue, loslöse von allen Banden der Fa⸗ milie, der Heimath, der Kirche, und sie lediglich existiren lasse als Nomaden unter dem großen Zeltdach des Staates. Da⸗ durch sei jenes Vagantenthum in Deutschland eingeführt, welches heute 200 0090 Köpfe ausmache und 70 Millionen jähr⸗ lich verzehre, ohne irgend eine produktive Arbeit zu leisten. Dadurch sei diese Schule für Verbrecher entstanden und dieser eborene Stock der Sozialdemokratie. Wenn man auf die aer dieser Frage zurückläme, so müßte man den Staats⸗ ** n für die unteren Verbände einführen, und er hoffe, daß diejenigen Herren, welche es jetzt für konservativ hielten, in der entgegengesetzten Richtung Anträge f stellen, erkennen würden, daß es keine konservative Politik sei, die sie trieben. Darin gebe er dem Abg. Lasker Recht, daß es richtiger wäre, die ganze Materie noch etwas liegen zu lassen. Es hätten sich die Ansichten über verschiedene Punkte des Gesetzes im Laufe kurzer Zeit gewandelt und das beweise, daß man wohlthue, die Sache erst einmal in den Kreisen der Presse erörtern zu lassen. Man werde ihm entgegenhalten, hätte man etwas gethan, so würden die Arbeiter in etwas befriedigt und der soziale Friede bis zu einem gewissen Grade hergestellt werden. Er glaube dies nicht. Möge man dies Gesetz machen, wie man wolle, den Agitationen der Sozialdemokratie werde man doch nicht die Spitze abbrechen. Lasse man den Arbeitgeber allein die Prämie bezahlen, so würden die Agitatoren in ihre Be⸗ zirke gehen und sagen: die Agitatoren hätten auch das ver⸗ schafft, aus Furcht vor denselben habe der Reichstag das be⸗

schlossen, lasse der Reichstag den Arbeiter mitbezahlen, so werde man erst recht unzufrieden sein, und den Staatszuschuß werde man auf das ganze Invaliden⸗Pensions⸗ und Altersversorgungs⸗ wesen erstreckt wissen wollen. Nur von dem gesunden Sinn des deutschen Arbeiterstandes könne man erwarten, daß der⸗ selbe einsehe, daß der Reichstag sich ernsthaft und wohl⸗ wollend mit ihm beschäftigt habe und daß das Gesetz nur an den technischen Schwierigkeiten, nicht an dem kösen Willen des Reichstages gescheitert sei. Die Differenzen, welche zwischen ihm und seinem Freunde Stumm, dem er sonst in diesen . wirklich zu folgen gewohnt sei, obwalteten, hätten Veranlassung gegeben zu dem außerordentlich thörichten Gerücht in der Presse, daß die deutsche Reichspartei der Auf⸗ lösung nahe sei. Er glaube, zuerst habe die Nationalzeitung“ die Nachricht gebracht. Er wundere sich nicht, daß die Herren von jener Seite den Wunsch hätten, daß das, was in ihren Reihen vorgehe, auch in seiner Partei vorgehen möchte. Die „Kreuzzeitung“ habe es natürlich aufgenommen und habe die Namen Fürst Pleß, Herzog von Ratibor u. A. angeführt, die schon ihren Austritt aus der Reichspartei erklärt hätten. Von allen diesen Gerüchten sei nicht ein Wort wahr, wie er versichern könne. Es habe niemals und zu keiner Zeit in seiner Fraktion irgend eine ernsthafte Ver— handlung stattgefunden, ob die Herren sich noch mit seiner Partei eins fühlten oder nicht, weil seine Partei glaube, daß auch diese Differenzen sich sehr wohl auf dem Boden der Fraktion vereinigen ließen. Keine Fraktion außer dem Fort⸗ schritt, der ja eine leichtere Stellung durch seine negative Po⸗ sition habe, habe geschlossener gestimmt als seine Partei, im Sozialistengesetz, in der Militärvorlage, in der Frage der in⸗ direkten Steuern, ja selbst in dieser Frage. Er sei von einem der Herren, deren Namen von einigen Blättern genannt seien, ermächtigt, zu erklären, daß alles, was ihre Namen betreffe, durchaus erlogen sei. Es sei ja an sich sehr gleichgültig, ob seine Partei etwas schwächer nach den nächsten Wahlen wiederkomme oder nicht, ob sie über⸗ haupt existire; eine gemäßigte konservative Partei, wie er und seine politischen Freunde sie seit 1868 gebildet hätten, welche die schwere und undankbare Aufgabe auf sich genommen habe, zu vermitteln zwischen den Bestrebungen des Liberalismus und den berechtigten Bestrebungen der konser— vativen Partei sei für das deutsche Vaterland eine Noth⸗ wendigkeit und er hoffe, daß seine Partei in sröhlicher Zahl im nächsten Reichstag diese Bänke wieder einnehmen werde

daß sie falsch prophezeit hätten. Für ihn sei diese Frage der Unfallversicherung keine Opportunitätsfrage, keine Frage poli— tischer Taktik, in der er dem Reichskanzler unbedingt folgen müsse, sondern eine praktische Frage. Er bitte für die Reichs⸗ anstalt zu stimmen, im Uebrigen aber die Beschlüsse zweiter Lesung aufrecht zu erhalten.

Der Abg. Freund erkannte an, daß auch für seine Partei die Berathung der Vorlage nicht ohne Belehrung gewesen sei, dennoch sei seine Partei auch noch jetzt der Ansicht, daß das geeignete Mittel zur Abhülfe der bestehenden Uebelstände nicht auf dem Wege des vorliegenden Entwurfs, sondern allein auf dem Wege der von seiner Partei gestellten Anträge zu finden sei. Man habe zur Begründung des Gesetzes geltend ge⸗ macht, daß dasselbe eine große ethische und religiöse Aufgabe erfülle, daß es, wenigstens theilweise, die soziale Frage lösen solle. Mit diesen umfassenden Zielen stehe das, was der Ent⸗ wurf thatsächlich erreiche, in schreiendem Widerspruch. Man berufe sich darauf, daß zur Bekämpfung der Sozialdemo⸗ kratie das Sozialistengesetz nicht ausreiche, sondern daß es dazu auch einer positiven Thätigkeit bedürfe, um den be— rechtigten Klagen der arbeitenden Bevölkerung abzuhelfen, Diese Aufgabe decke sich mit der Lösung der Frage: wie sei es zu machen, daß alle Leute Arbeit bekämen, und daß sie von dieser Arbeit ausreichend leben könnten? Die Sozialdemokratie antworte hierauf: die ganze Gesellschaftsordnung müsse um⸗ gestaltet werden. Im Hause würden sich voraussichtlich nur wenige Mitglieder finden, welche diese Ansicht theilten, und welche überhaupt glaubten, daß es ein generelles Heilmittel für die sozialen Schäden gäbe. Aus diesem Grunde aber halte er es für bedenklich, auch nur den Schein zu erwecken, als vermöge die Vorlage in dieser Richtung wirksam u sein. Der Standpunkt seiner Partei unterscheide kh von demjenigen der Vorlage im Wesentlichen darin, daß sie sür den Arbeiter die Herstellung eines Rechts⸗ anspruchs fordere, während die Regierungsvorlage von dem Gesichtspunkte der Humanität und Wohlthätigkeit ausgehe. Man glaube dadurch den Dank der Arbeiter zu verdienen und der Agitation der Sozialdemokratie ein Ziel zu setzen. Die Rede des Abg. Liebknecht hätte das Haus eines Besseren belehren und überzeugen können, daß die Sozialdemokratie, möge man ihren Forderungen nachgeben, so weit man wolle, niemals aufhören werde weitere Forderungen zu stellen. Die Hoffnung, durch Akte der Wohlthatigkeit die sozialistische Agi⸗ tation zu beruhigen, sei also völlig aussichtslos. Nach seiner Ueberzeugung würde das vorliegende Gesetz aber für die Arbeiter auch gar keine Wohlthat, sondern eine Schädigung sein. Die Bestimmungen über die Karenzzeit, über die Verkürzung der Entschädigung, welche das Haftpflichtgesetz gewähre u. a. m., bildeten für die gesammte Arbeiterschaft eine Schädigung, welche viel größer sei, als der minimale Vortheil, den das Gesetz biete. Dazu komme, daß durch den Ausschluß der Privatgesellschaften und die Monopolisirung der Versiche⸗ rung in der Hand des Staates ein Weg betreten werde, auf dem man zum Staatssozialismus in der krassesten, alle Kultur negirenden Form komme, ein Weg, der immer weiter führe, und dessen Konsequenzen sich gar nicht übersehen ließen. Aus diesem prinzipiellen Grunde würde seine Partei gegen die Vor⸗ lage stimmen. Dazu komme, daß eine Menge technischer Schwie⸗ rigkeiten bis jetzt noch ungelöst sei, so daß man hinsichtlich der praktischen Wirksamkeit der Vorlage vollständig im Dunklen irre. Man habe gegenwärtig große Kategorien von Arbeitern ausgeschlossen, auf die man später nothwendig das Gesetz werde ausdehnen müssen, und so führe der erste lf Schritt zu immer weiteren neuen Schritten. Aus allen diesen Grün⸗ den halte seine Partei sich verpflichtet, die Vorlage abzulehnen.

Der Abg. von Helldorff (Bedra) erklärte, er wolle zunächst einen Irrthum des Abg. von Kardorff berichtigen. Derselbe habe als Urheber in der Nachricht über angebliche Vorgänge in seiner Fraktion die „Kreuzzeitung“ bezeichnet, während ift wenn sie die Nachricht überhaupt gebracht habe, dieselbe der „Nationalzeitung“ entnommen habe. Was den eigentlichen Gegenstand der Berathung betreffe, so sei er leider nicht in der Lage, für seine Person als Vertreter einer Majoritat zu

sprechen. Es liege vielleicht in der Natur dieses außerordent⸗ lich schwierigen Gegenstandes, daß sich überhaupt so leicht eine

und den Herren Unglückspropheten den Beweis liefern werde,

2000 S6 auf 1500 nach der Regierungsvorlage wieder herzustellen und die Ver⸗

Majorität nicht bilden könne. Der Abg. Lasker habe den Vorwurf ausgesprochen, daß man diese Dinge weniger sachlich als vom Standpunkte der Parteipolitik be⸗ handelt habe. Er müsse. diesen Vorwurf wenigstens für seine Fraktion entschieden zurückweisen; seine Partei habe sich lediglich durch das rein sachliche Interesse für das Zustandekommen des Gesetzes leiten lassen. Die Frage, ob Reichsversicherungsanstalt oder Landesanstalt sei für seine Partei von sekundärer Bedeutung; sie habe sich für die letztere entschieden, weil davon die Zustimmung Vieler zu dem Gesetz abhängig sei. Seine Partei hätte sich, wenn sie das Zustande⸗ kommen des Gesetzes zu sichern geglaubt hätte, auch im ent—⸗ gegengesetzten Sinne entscheiden können; es sei seiner Partei aber auf der anderen Seite unmöglich, den Grundgedanken der Vorlage durch Zulassung der Privatversicherungsgesell— schaften zu opfern, wie dies leider von einem Theile der An⸗ hänger des Reichsgedankens gewünscht sei. Dies seien die Motive seiner Partei gewesen, die er nicht mißzudeuten bitte. Der Abg. Lasker habe sodann das sensationelle Vorgehen beim Ein⸗ bringen dieses Gesetzes getadelt, derselbe habe es als ein Gesetz be— zeichnet, das aus der Ungeduld eines persönlichen Regiments her— vorgegangen sei. Der Abg. Lasker verkenne dabei doch wohl die außerordentlich hohe soziale Bedeutung des Gesetzes, welche die Be⸗ wegung, die es hervorgerufen habe, sehr natürlich erkläre. Beim Erlaß des Sozialistengesetzes sei wiederholt auf die Nothwendig— keit eines positiven Schaffens auf sozialem Gebiete hingewiesen, es habe seiner Partei aber entweder an Muth oder an Ge— schick gefehlt, diese Aufgabe praktisch anzufassen, und müsse man dem Reichskanzler aufrichtig dankbar sein, der diesen Ge— danken in einer Weise in die Praxis übersetzt habe, deren Macht sich kein einziger, keine Partei im Reichstage entziehen könne. Der Abg. Freund und die ihm nahe stehenden Par— teien hätten versucht, die Bedeutung der Vorlage als eine ge— ringe darzustellen. Nach seiner Meinung sei sie der erste große energische Schritt zur Lösung der sozialen Frage, so weit sie auf praktischem Boden überhaupt möglich sei. Wolle man die Grundlagen der Rechts- und Gesellschaftsordnung, wie sie sich historisch ausgebildet habe, erhalten, so müsse man hei— lend an die vorhandenen Schäden herantreten, und den ersten Schritt in dieser Richtung thue man mit der Annahme der Vorlage. Es sei ein ganz genialer Griff gerade die Unfall— versicherung zunächst herauszunehmen, deren Regelung weitere Operationen vorbereite und auf diesem Gebiete den Weg ebne. Seines Erachtens würde man weiter fortschreiten mit einem Gesetze, welches Alterversorgungskassen gründe für diejenigen Gebiete, für die sie sich gründen ließen, und knappschaftsähnliche Institutionen, wo sie hingehörten und andererseits durch eine umfassende, von vielen Seiten gleich⸗ zeitig anzugreifende Reform des Armenwesens, deren dieses dringend bedürftig sei. Man habe gesagt, die Sozialdemokratie werde diesem Gesetze wenig Dank entgegenbringen. Das werde ihn niemals abschrecken. Nicht der agitatorische Werth des Gesetzes habe für seine Partei Bedeutung, sondern der wirk— liche Kern, die Heilung der sozialen Schäden. Er verlasse sich darauf, daß die deutschen Arbeiter es schließlich doch verstehen würden, wenn der Staat dafür sorge, den Uebelständen, unter denen sie litten, ein Ende zu machen. Diese Beurthei⸗ lung könne schließlich nicht davon abhängen, ob gegen⸗ wärtig Beiträge gegeben wurden oder nicht. Die Durch— führung des Gedankens an sich sei es, worauf es ankomme. Die zweite Lesung des Gesetzes habe eine Vorlage hergestellt, die in einem gewissen Sinne über das ganze technische Arran—⸗ gement ein Einverständniß herbeigeführt habe. Die Schwie— rigkeiten aber, die noch stehen geblieben seien, hätten ihn und seine politischen Freunde zur Einbringung ihres Antrages veranlaßt. Es handele sich einmal um die Frage, ob es überhaupt möglich sei, dem Arbeiter in einem wesentlichen Beitrag sür diesen Zweck eine Last aufzuerlegen? und ande— rerseits sei es möglich, die Gesammtlast dem Unternehmer aufzuerlegen, ohne daß man vollständig übersehen könne, ob die Last nicht in einzelnen Fällen so schwer werde, daß ernste Bedenken im Interesse der Industrie entständen? Die Regie⸗ rung suche dem zu begegnen durch den nach einigen Nichtun⸗ gen hin wohl motivirten Staatszuschuß, aber dieser Weg finde bei seiner Partei eine Billigung nicht, und er bitte den Versuch, der von einigen seiner politischen Freunde ge— macht worden sei, einen Staatszuschuß auf Zeit einzuführen, nicht in diesem Sinne mißzuverstehen; er habe ihn selbst nicht gebilligt, derselbe sei aber hervorgegangen aus dem Gedanken, auf dem auch er stehe, daß man ernstlich bemüht sein müsse, die Schwierigkeiten, die dem Gesetze entgegen⸗ ständen, zu beseitigen. Dies sei nur möglich, wenn man nicht dem Arbeitnehmer, sondern wenn man dem Betriebs⸗ unternehmer, dem Arbeitgeber die Last auserlege. In diesem Sinne habe er seine Anträge gestellt. Es sei eine noth⸗ wendige Konsequenz dieses Gedankens, daß man andererseits bemüht sei, die auferlegten Lasten zu erleichtern, und der sich anschließende Gedanke, den Versicherungszwang von herabzusetzen, die Karenz eit

waltungskosten auf den Staat zu übernehmen. Dieser An⸗ trag werde kaum die Mehrheit des Hauses finden, er habe aber damit aussprechen wollen, daß er und seine politischen reunde auf den Boden, der im gegenwärtigen Zeitpunkt ein ustandekommen des Gesetzes ermögliche, zu treten bereit seien.

mancherlei Zweifel auch innerhalb seiner Partei existirten, aber seine Partei wisse, daß, wenn sie etwas zu Stande bringen wolle, der Einzelne Opfer bringen müsse seiner speziellen Ueberzeugung. Der Abg. Lasker habe die Grund—⸗ lagen dieses Gesetzes als mangelhaft bezeichnet, das komme aber daher, weil man ein vollständig neues Gebiet betrete. Es sei begreiflich, daß ein großer Theil des Reichstages dieser Frage mit einer gewissen Besorgniß gegen⸗ über stehe und sich von dem Gefühl beberrschen lasse, es wäre besser gegenwärtig nichts zu Stande zu bringen und die Frage reifer werden ju lassen. Er glaube, der Reichstag siehe in dem nächsten Jahre vor einer genau fo unreifen und ebenso wie jetzt in ihrem praktischen und finanziellen Resultat unübersehbaren Aufgabe wie heute. Wenn der Abg. Lasker eine so große soziale Frage nicht mit verhältnißmãäßig kleinen Dingen inaugurirt wissen wolle und die Vor⸗ legung eines umfassenden Planes verlange, so entspreche dies vollständig der theoretischen ff ng für die er ein volles Verständniß bei gewissen Eharakteren habe, nicht aber der praftischen Staatskunst. Man müsse nicht in ungemessene Weiten hinausgehen, sondern das u schaffen suchen, was sich noch einigermaßen praktisch über⸗ * lasse. Man müsse, wie er es in seinem Antrage gethan die Frage begrenzen, damit man, wenn die Regierung na

r ö nicht, daß in den einzelnen Bestimmungen

den gemachten Erfahrungen im Zweifel sei, ob die Industrie

die Last tragen könne, prüfen könne, ob man eine Dotation,

gef ff auf eine bestimmte Zeit geben müsse. Er habe das efühl, daß wenn das Haus jetzt aus den verschiedenartigsten Motiven diese Vorlage ablehne, es dem Hause umgekehrt gehen werde, wie mit den sibyllinischen Büchern, man werde nicht weniger wiederbekommen, sondern mehr, und werde vielleicht künftig bedauern, daß man die Frage in dieser Lage

nicht zum praktischen Abichluß gebracht habe. Er bitte, seine

Anträge anzunehmen.

Der Abg. Hartmann erklärte, die Abgg. Freund und von Kardorff hätten behauptet, daß die Vorlage, sie möge ge— staltet sein wie sie wolle, niemals den Dank der Sozialdemo⸗ kratie finden werde. Dem gegenüber müsse er darauf hin⸗ weisen, daß seine Partei das Einbringen der Vorlage mit der größten Freude begrüßt und sich mit Eifer an der Berathung berselben betheiligt habe, um die Einzelbestimmungen nach Möalichkeit zweckentsprechend zu gestalten. Es sei ein großer Irrthum anzunehmen, daß die Sozialdemokraten aus bloßer Skandalsucht ihre Agitation trieben. Glaube man denn nicht, daß auch die Sozialdemokraten ein Gefühl für das Elend der arbeitenden Klassen hätten, dem die Vor— lage wenigstens bis zu einem gewissen Grade ab⸗ helfen solle? Er sei aus den untersten Schichten des Volkes hervorgegangen und habe ein Mitgefühl für dessen Noth wie irgend Jemand, und deshalb unterstütze er jede Maßregel, von der er Besserung erwarten dürfe. Es gebe unter den Sozialdemokraten auch andere Leute als die

erren Most und Hasselmann, und er und seine politischen ö die in der Vorlage einen wirklichen Anfang zur zerbesserung der Lage der Arbeiter erblickten, seien bereit, sie mit Freude anzunehmen. Daß er trotzdem noch weiter gehende Forderungen gestellt habe, ändere an dieser Thatsache gar— nichts; habe doch der Reichskanzler selbst erklärt, daß die Vorlage nur die Grundlage bilde, auf welcher später Alter⸗ versorgungsanstalten und andere Einrichtungen weiter gebaut werden sollten. Sei es denn ein Unrecht weiter zu streben? Man bezeichne heute die Ziele der Sozialdemokratie als Uto— pien, aber würde nicht vor hundert Jahren ein Bild der heutigen Entwickelung auf dem Gebiete des Verkehrs und der Industrie gleichfalls als Utopie verspottet worden sein? Die Ägitation seiner Partei wolle nichts Anderes als eine weitere Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen, und wenn seine Partei für dieses praktische Ziel eintrete, möchte er das Haus bitten, seiner Partei ohne Vorurtheil entgegenzukommen uͤnd sie nicht für Männer wie Hasselmann verantwortlich zu machen. Man mache den Sozialdemokraten einen Vorwurf daraus, daß sie dem Staat für das, was derselbe zu Gunsten der Arbeiter zu thun gedenke, nicht dankten. Nach seiner Mei— nung erfülle der Staat damit nur eine heilige Pflicht, die für ihn um so bindender sei, wenn derselbe seinen Charakter als christlicher Staat in den Vordergrund stelle. Was die Frage ob Reichsanstalt oder Staatsanstalt betreffe, so stelle er sich mit Entschiedenheit auf den Standpunkt der ersteren. Man behaupte die Nothwendigkeit einer Aufrechterhaltung des föderativen Prinzips, aber was habe das jöde⸗ rative Prinzip mit dieser Organisation zu schaffen? Wie könne man bei der Erfüllung einer Aufgabe der Huma— nität sich an die Grenzen der Einzelstaaten binden? Erwäge man die praktischen Schwierigkeiten, die daraus entstehen müßten. Der Arbeiter, der auf Grund seines Freizügigkeits— rechts heute vielleicht in Sachsen und morgen in Bayern seinen Lebensunterhalt suche, trete bei jedem Wechsel seines Wohn— ortes unter eine andere Verwaltung, die bald besser, bald schlechter sei. Wozu habe man die deutsche Einheit errungen, wenn sie nicht einmal auf diesem Gebiete zur Geltung kommen solle. Lasse man die Deutschen doch nicht blos in den Ka— sernen und unter dem Strafgesetzbuch, sondern auch einmal in humanen Dingen einig sein. Bezüglich der Prämienzahlungen wünsche er, nachdem das Gesetz auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl, von Arbeiterkategorien beschränkt worden sei, daß nicht der Staat, sondern allein der Arbeitgeber die Beiträge leiste. Der Letztere betrachte den Arbeiter als eine Waare er mache demselben daraus keinen Vorwurf, denn derselbe folge darin nur einem allgemeinen Gesetze und suche naturgemäß die Ar— beitskraft des Arbeiters möglichst auszunutzen. Wenn der Ar⸗ beiter nun bei der Arbeit beschädigt werde, so möge auch der Arbeitgeber die vollen Kosten tragen, ebenso wie derselbe die Kosten trage, wenn er seine Maschine repariren lasse. Der Staat möge seine Mittel, die er für die Arbeiter disponibel habe, für nöthigere Zwecke verwenden. Er bitte dringend, bei der Abstimmunz über das Gesetz sich nicht von Fraktions⸗ olitik leiten zu lassen; mache man das Gesetz so, daß es 6 Zwecke entspreche und seine Partei werde freudig dem⸗ selben ihre Zustimmung geben.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats⸗Minister von Boetticher das Wort:

Meine Herren! Ich wünsche Ihnen in kurzen Worten das Re— sultaf der Prüfung mitzutheilen, welches innerhalb der Reichsregie— rung bezüglich der Beschlüsse der zweiten Lesung gewonnen ist, und ich bedauere, daß ich meine Erklärung heute nicht als eine solche ab⸗ geben kann, zu welcher ich autorisirt wäre durch einen Beschluß den BVundesraths; die Zeit zwischen der zweiten und dritten Lesung ist nicht hinreichend gewesen, um von Seiten der sämmtlichen Regierun⸗ en Inftruktionen eingehen zu lassen, und ich kann also ute nur für die Reichsregierung sprechen, werde aber dabei rüchsichtlich des einen Punktes, den ich in meine Betrachtung hinein⸗ zuziehen habe, allerdings die Vermuthung . daß auch die Bundesregierungen sich auf den Standpunkt stellen, welchen die Reichsregierung einnimmt. .

Melne Herren, bevor ich aber zu dieser Erklärung übergehe, möchte ich doch gegenüber einer Aeußerung des Hrn. Abg. Lasker auf die Motive des Gesetzentwurfs, wie sie Ihnen vorgelegt sind, hin. weisen. Der Hr. Abg. Lasker hat, und das ist ja auch schon von Herrn von Helldorff blen hier worden, dem Herrn Reichskanzler vor. geworfen, daß er mit großem Gernusch seine Pläne, die er in Bezug auf die r fen r GHesetzgebung hege, verkündet habe, und daß schließlich die kleine Maus dieser Vorlage das Resultat gewesen fei. Run, meine Herren, ich glaube, wenn Sie einen Blick auf Seite 18 der Motlve werfen und wenn Sie dort den Satz, den ich mir erlauben werde wörtlich Ihnen vorzulesen, in Betracht nehmen. so werden Sie unmöglich behaupten können, daß dieser Anfang einer wirthschaftlichen Sfseko ng mit besonderem und großem Gerãusch eingeführt worden sei. Es heißt dort: ö

Allerdings können mit einer einzelnen Maßregel, wie sie . wärtig vorgeschlagen wird, die Schwierigkeiten, welche die oziale Frage bietet, nicht gänzlich oder auch nur zu einem erheblichen

heil gehoben werden, es handelt sich vielmehr nur um den ersten Schritk auf einem Gebiet, auf welchem ein Jahr lang fortzusetzende schwierige Arbeit mit Vorsicht und allmählich zu bewältigen sein und die Loösung einer Aufgabe wieder neue Aufgaben erzeugen wird.

Meine Herren! Ich glaube kaum, daß man mit größerer Be⸗

scheidenheit und mit geringerem Geräusch die Pläne, welche man ver⸗ folgt, kennzeichnen kann.

Der Hr. Abg. Lasker hat weiter den Vorwurf erhoben, daß die Vorlage gemacht sei ohne irgend eine genügende Vorbereitung. Meine Herren! Ich habe bereitwillig schon in meinen früheren Erklä⸗ rungen zugestanden, daß wir gewünscht hätten, Ihnen ein ausreichenderes statistisches Material und ausreichendere materielle Unterlagen für unsere Vorschläge bieten zu können. Ich würde sehr dankbar gewesen sein, wenn aus der Mitte des e. eine Andeutung darüber ge⸗ macht worden wäre, in welcher Weise man sich die Beschaffung dieses größeren und ausreichenderen Materials denkt.

eine Herren, mit der einfachen Klage: die Vorlage ist nicht

genügend vorbereitet, kommen wir keinen Schritt weiter. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß, wenn wir heute die Vorlage nicht zu Stande bringen und Sie uns zur Beschaffung besseren Materials auffor—⸗ dern, wir auch nach Jahren noch nicht in der Lage sein werden, Ihnen eine gründlichere Statistik zu geben, sofern Sie sich nicht heute dazu entschließen den Versuch zu machen, einen Schritt zu thun, der sreilich das gebe ich bereitwillig zu in allen seinen Konsequenzen nicht in voller Sicherheit zu übersehen ist. Meine Herren, einen solchen Schritt müssen Sie thun; Sie mögen ihn heute thun oder Sie mögen ihn über Jahren thun, etwas Risiko ist immer dabei und es handelt sich hier nur darum das Risiko so zu vertheilen, daß die möglichst geringsten Gefahren daraus entstehen und daß der Vortheil, den das Gesetz anstrebt, in möglichst großem Umfange erreicht wird.

Meine Herren! Die Beschlüsse der zweiten Lesung erregen leb— hafte Bedenken bei der Reichsregierung insofern, als Sie den Staats⸗ zuschuß abgelehnt und auch den in einer minder günstigen Lebenslage befindlichen Arbeiter mit einer Prämie belastet haben, ich werde auf diesen Punkt nachher kommen.

Zunächst habe ich mich zu äußern über die erste wichtige und innerhalb des hohen Hauses sehr verschiedenartig behandelte Frage, ob es den Vorzug verdiene, nach dem Vorschlag der verbündeten Re⸗ gierungen,“ eine Reichsanstalt oder, nach dem Beschluß der zweiten Lesung, einzelne Staatsanstalten für das Versicherungsgeschäft zu begründen. Meine Herren! In dieser Beziehung steht die Reichsregierung nach wie vor auf dem Standpunkt, daß sie es nicht für zweckmäßig erachtet, ein Versiche⸗ rungsgeschäft in einzelstaatlichen Anstalten zu dezentralisiren, und dies ist der Punkt, von dem ich mich ermächtigt halte zu sagen, daß bis⸗ her von keiner deutschen Regierung eine Erklärung dahin an uns ge⸗ langt wäre, daß sie den Vorzug gäbe der einzelstaatlichen Anstalt.

Meine Herren! Ich will nicht auf die sehr eingehend und gründ⸗ lich behandelte Materie nochmals zurückkommen, ich will Sie nicht daran erinnern, daß wir nach einer sorgfältigen Ueberlegung dahin gekommen sind, zu sagen, die einzelstaatliche Anstalt ist theurer wie die Reichsanstalt; die einzelstaatliche Anstalt belastet differentiell und die einzelstaatliche Anstalt gestattet nicht so gründliche, so sorg⸗ fältige und so werthvolle Erfahrungen zu sammeln auf dem Gebiet der Unfallversicherung, wie es der Reichsanstalt möglich sein wird. Ich will nur auf eins hinweisen. Meine Herren, Sie haben in §. 5 Ihrer Beschlüsse am Eingange gesagt:

Die Organisation und Verwaltung der Versicherungsanstalt werden, soweit nicht dieses Gesetz Bestimmungen darüber enthält, durch ein von der Landesregierung oder den Landesregierungen zu erlassendes Reglement geregelt.

Also, meine Herren, es ist hierbei vorausgesetzt, daß, wenn ein Staat für sein Gebiet eine Anstalt errichtet, die Regierung zu be—⸗ stimmen hat, in welcher Weise die Organisation und Ver⸗ waltung der Versicherungsanstalt eingerichtet werden soll. Das ist leicht und unschwer durchzuführen. Wie aber soll die Sache gemacht werden, wenn jetzt und, meine Herren, wenn ich die Verhältnisse in Deutschland richtig beurtheile, so wird der Fall eintreten 15, 16, 20 Staaten sich verständigen, sich zu einer Versicherungsanstalt zusammenzuthun? Sollen da über den Organisationsplan, sollen da über jede Aenderung in diesem Organi—⸗ sationsplan diese 15, 18, 20 Landesregierungen sich erst verständigen? Ja, meine Herren, ich habe gutes Vertrauen zur deutschen Verwal— tung und zur Korrespondenz unter den Regierungen, aber das, glaube ich, würde einen Zeitaufwand erfordern, den man nimmermehr im Interesse der Sache wünschen kann.

Aber, meine Herren, ich gehe weiter. Sie haben am Schluß des §. 5 gesagt:

Die Feststellung der Grundsätze, nach welchen die Verwaltung des Kassenvermögens zu erfolgen hat, wird der Landesgesetzgebung überlassen. Die Vermögensverwaltung unterliegt der verfassungs— mäßigen Kontrole.

Nun, meine Herren, machen Sie sich gefälligst ein Bild davon, wie zwischen diesen, 15, 16, 20 Landtagen und den 15, 16, 20 Regie rungen eine Verständigung darüber stattfinden soll, nach welchen Gruͤndsätzen die Verwaltung des Kassenvermögens zu erfolgen hat. Wir sind der Meinung, daß dieses Procedere, was ja allerdings zu irgend einem Resultat führen wird, recht unzweckmäßig ist. Wir hegen in keiner Weise die Befürchtungen, welche daran geknüpft sind, daß man sich dem Vorschlage der Errichtung einer Reichsanstalt gegenüber befinde. Meine Herren, es handelt sich hier und ich muß auch diesen Punkt berühren, denn er hat, ich weiß nicht, ob bei der heutigen Diskussion, aber doch früher an⸗ geklun en es handelt sich hier nicht um eine Erweiterung der Machtsphäre des Reichs, es handelt sich nicht darum, wie meines Er— achtens recht thörichter Weise in der Presse behauptet worden ist, daß die verbündeten Regierungen darauf aus seien, große Kapitalien anzu⸗ sammeln, die ihnen im gegebenen Falle zur Disposition ständen nein, meine Herren, es handelt sich um weiter nichts als wie um das einfache Prosekt, die zweckmäßigste Form für ein zweckmäßiges Unter— nehmen zu finden, ein Unternehmen, was rein auf wirthschaftlichem Gebiet fich bewegt, das politisch gar keine Bedeutung hat, soweir es sich um die Versicherungsanstalt handelt, und das volitisch ange⸗ sehen, ebenso gut von dem Einzelstaat wie von der Reichsanstalt ein⸗ gerichtet werden kann. ?

Meine Herren, wir sind also danach der Ueberzeugung, daß es nicht zweckmäßig ist, bei den Beschlüssen der zweiten Lesung stehen zu bleiben. Aber das allerdings kann ich auch nicht verhehlen, daß, so unzweckmäßig und unpraktisch wir diesen Weg ansehen, wir den Ver⸗ such machen wollen, wenn wirklich das Haus nach reiflicher Ueber⸗ legung uns auf den Weg dieses Versuchs verweist. Wir werden den Verfuch machen, ob sich in dieser Form, in dieser Weise wirthschaften läßt; wir wollen nicht die Schuld auf uns nehmen, daß um desmwillen, weil eine uns unpraftisch erscheinende und uns nicht genehme Form gewählt worden ist, daß um deswillen der Segen dieser Vorlage un⸗ erfüllt bleibt. . , ö

Meine Herren! Der zweite wichtige Punkt, den ich vorhin schon andeutungsweise berührt habe, ist die Frage der Aufbringung der Prämie. Ich habe vorhin schon angedeutet, und es ist ja auch schon vom Hrn. von Helldorf hervorgehoben worden, der 6 Reichskanzler steht nicht auf dem e, daß er sagte, ohne Staats zuschuß kein Gefetz, sondern er steht auf dem Standpunkte, keine Belastung des nichtleistungsfähigen Arbeiters. . .

Meine Herren! Ich erinnere Sie kurz noch einmal an die Ent stehung der Vorschriften über die Aufbringung der Prämie, Wir haben uns damals, als der erste Entwurf des Hescbe gemacht wurde, beschäftigen müssen mit den Wirkungen, welche die von uns in Aussicht genommene Einrichtung haben werde nach der Richtung der n lern der Armenpflege hin. Wir haben es nicht für ir, halten können, einen Zwang auszuüben gegen den Arbeiter, um ihm seine Existenz im Falle der , sicher zu stellen, die ihm

ließlich, wenn auch in nothdürftiger Weise, doch aus offentlichen

itteln e le fer wird. Wir haben ihn aber gerade der Nöthi⸗ gung, der Armenpflege anheimzufallen, entziehen wollen, wir haben karum den Vorschlag der Einrichtung einer Versicherung gemacht, wir haben es dabei für billig gehalten, 6 die Armenpflege, welche durch Ausführung unserer Vorschläge entlastet wird, auch in ange— messener Weise herangejogen werde. Meine Herren! Das war der Gebanke, der im ersten Entwurfe seinen Ausdruck fand; die Ge⸗ danke ist nicht auf großen Beifall gestoßen, selbst aus Arbeiter⸗

kreisen heraus perhorreszirte man ihn, man fand in den Beiträgen der Armenverbände den Charakter einer Armenunterstützung und daraus ist dann nachher der Staatsbeitrag hervorgegangen. Wir fürchteten nicht, daß wir bei diesem Vorschlage zu weit gegangen sein würden, wir nahmen vielmehr an, daß es unter allen Umständen nothwendig sein würde, dem Arbeiter, der in seiner Einnahme gerade bis an die Grenze des zu seiner Subsistenz nothwendigen Betrages kommt, zuzumuthen, für den Zweck der Versicherung Beiträge zu leisten. Wir fürchteten auch die Einwirkung auf die Industrie selbst, indem wir sagten, wenn der Arbeiter die Prämien nicht zahlen kann, so wird er nothwendiger Weise die Forderung einer Lohnerhöhung gegen den Arbeitgeber erheben. Wir sahen die Rechtfertigung des Staatszuschusses gerade darin, daß die öffentlichen Kassen und die öffentlichen Mittel durch die hier den Arbeitern ge⸗ währte Fürsorge entlastet würden. Meine Herren, wir stehen auch heute noch auf dem Standpunkte, wir wünschen auch heute noch, weil wir nicht sicher sind, ob nicht eine zu erhebliche Belastung eintreten wird, ob nicht eine Belastung herbei⸗ geführt wird, welche die Industrie oder wenigstens einzelne Industrie⸗ zweige in Gefahr bringt, daß ein Theil der Prämie auf die breiteren Schultern des Reiches oder des Staates übernommen werden sollte. Allein wenn in dem Antrage der Herren von Helldorff und Genossen vorgeschlagen ist von Seiten der Fortschrittspartei ist ja derselbe Antrag eingebracht, daß die Prämie auf den Betriebsunternehmer ganz geworfen warden möge, so erkennen wir darin eine Verbesserung gegenüber der Vorlage, wie sie aus der zweiten Lesung hervor⸗ gegangen ist. 2

Meine Herren! Wir sind zwar nicht ohne Zweifel und nicht außer Sorge, ob die Wirkung einer Auferlegung der gesammten Prämie auf die Unternehmer nicht ernstliche Schwankungen in man— chen Industriezweigen herbeiführen wird, wir sind nicht außer Sorge, ob die Exportfähigkeit mancher Industriezweige nicht dadurch ge— schädigt wird. Deshalb, meine Herren, habe ich hier ausdrücklich den Vorbehalt zu betonen, daß die Reichsregierung, sofern sie sich zur Annahme des Antrages der Herren von Helldorff und Gen. entschließen, und einem so gestalteten Gesetze ihre Zustimmung ertheilen sollte, und wenn es gelingen sollte, dafür die Stimmen der verbündeten Regierungen zu gewinnen, sie doch immer in Aussicht behalten muß für den Fall, daß eine ungünstige Wirkung durch diese Belastung der Industrie auf die Industrie selbst eintreten sollte, sei es in der Weise, daß die Industrie eingeschränkt wird in ihrer Leistungsfähigkeit, sei es in der Weise, daß das Bestreben her— vortritt, einen Theil der Prämie auf den nicht leistungsfähigen Ar⸗ beiter zu übertragen, auf ihre in der Vorlage enthaltenen Vorschläge wegen des Zuschusses aus öffentlichen Mitteln zurückzukommen.

Meine Herren! Dies wären ja die wichtigsten Punkte, über die ich mich zu erklären hätte.

Es ist vorhin davon gesprochen worden, daß es vielleicht besser sei, die definitive Beschlußfassung über das Gesetz zu ajourniren. Meine Herren, daß das Gesetz Mängel hat, mindestens aber, daß es einer Verbesserung fähig ist nach Maßgabe der zu sammelnden Er— fahrungen, das bestreiten die Verfasser des Gesetzes am wenigsten. Von diesem Gesichtspunkt aus könnte man ja nur wünschen, noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Allein, das Gebiet ist ein solches, daß es uns in der That schwer wird, Erfahrungen zu sammeln, bevor wir nicht den ersten Schritt selbst gethan haben, bevor wir nicht selbst die Sache in die Hand genommen haben, na— türlich mit der Vorsicht, die uns gebührt auf einem fremden Terrain. Nach Maßgabe dieser Erfahrungen, die wir sammeln werden, werden wir stets bereit sein, zu bessern und zu korrigiren. Aus dem Mangel aber, den ich bereitwillig zugegeben habe, wie der Hr. Abg. Lasker gethan hat, den Schluß zu ziehen, daß der Hr. Reichskanzler nicht gründlich und nicht sorgfältig genug vorgegangen sei, das, meine Her⸗— ren, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Wir, die wir die Ehre ge— habt haben, mit ihm zusammen auf diesem Gebiete vorarbeiten zu dürfen, wir können bezeugen, daß keiner sorgfältiger und keiner nach Maßgabe des vorhandenen Materials gründlicher zu Werke gegangen ist, wie er. Meine Herren, folgen Sie seinen Anregungen!

Die Generaldiskussion wurde geschlossen. ;

Das Haus trat nunmehr in die Spezialdiskussion ein.

§. 1 lautet nach dem Beschlusse in zweiter Lesung:

Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, auf Werften, in Anlagen für Bauarbeiten (Bau⸗ höfen), in Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter, sowie diejenigen Betriebsbeamten, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt nicht über 2000 M6 beträgt, werden gegen die Folgen der beim Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes versichert.

Den vorstehend aufgeführten gelten im Sinne dieses Gesetzes diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft u. s. w.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme der— jenigen Betriebe, für welche nur vorübergehend eine nicht zu der Betriebsanlage gehörende Kraftmaschine benutzt wird.

Dasselbe gilt vom Baubetriebe, soweit derselbe durch Beschluß des Bundesraths für versicherungspflichtig erklärt wird.

Eisenbahn⸗ und Schiffahrtsbetriebe fallen nur dann unter die Bestimmungen dieses Gesetzes, wenn sie als integrirende Theile eines der vorbezeichneten Betriebe lediglich für diesen bestimmt sind.

Für Fabriken, deren Betrieb mit Unfallsgefahr für die darin beschäftigten Personen nicht verknüpft ist, kann durch Beschluß des Bundesraths die Versicherungspflicht ausgeschlossen werden.

Hierzu beantragten die Abgg. von Helldorff (Bedra), Ackermann, Graf von Kleist und von Seydewitz:

Der Reichstag wolle beschließen:

im §. 1 Absatz 1 statt „206 . zu setzen: . 150 46 Ferner lag ein Antrag des Abg. Ausfeld und Genossen vor:

Der Reichstag wolle beschließen: in §. 1:

a. Absatz 1 hinter dem Worte „Bauhöfen“ die Worte einzu⸗ schalten: und bei Bauten“,

sowie

b. hinter dem Worte Hüttenwerken“ jolgende Worte:;

in der Landwirthschaft, in der Forstwirthschaft und in den auf gewerbmäßige Beförderung von Personen oder Gütern zu Wasser und zu Lande gerichteten Unternehmungen“,

sowie .

C. die Absätze 3 und 4 zu streichen.

Der Abg. Dr. Lasker erklärte, dem Staats-Minister gegen⸗ über müsse er darauf hinweisen, daß für die Vorlage absolut gar kein Material herbeigeschafft sei. Wie wenig Zeit man auf statistische Ermittelungen verwendet habe, gehe daraus hervor, daß Professor Heim, eine der größten Autoritäten auf dem Gebiet des Versicherungswesens, dessen Gutachten gewisser⸗ maßen die Grundlage des ganzen Gesetes bilde, die ihm in der Folge nachgewiesene Unrichtigkeit damit entschuldigt habe, daß die Frist von 8 Wochen, welche man ihm zur Einreichung des Gutachtens gestellt habe, zu gering gewesen sei, um die nöthigen statistischen Ermittelungen anzustellen. Weshalb die Re⸗

ierung nicht in der Lage hätte sein sollen, die Zahl der Unfälle esistellen zu lassen und so einigermaßen den finanziellen Effekt der Vorlage zu fang verstehe er nicht. Er könne sich die Unterlassung dieser Feststellung nur dadurch erklären, daß bei den maßgebenden Faktoren die Geduld nicht vorhanden ge—⸗ wesen sei, so lange ö warten. Habe man wirklich das ernste Bestreben, den Arbeitern Hülse zu bringen, so nehme man die auf Erweiterung des Haftpflichtgesetzes und Aufnahme des Tariffystems gerichteten Anträge an. Würden die Beschlüsse zweiter Lesung genehmigt, so würde der Reichskanzler darin