iehung der allgemeinen Bestimmungen auf die besonderen erhältnisse dieser Gemeinden, hierselbst in der Weise Anwen⸗ dung, daß die den von auswärts zuziehenden Personen zu⸗ stehende Wahl getroffen werden kann zwischen einerseits der betreffenden, mit einem örtlich abgegrenzten Kirchsprengel ver⸗ sehenen Gemeinde und andererseits der Dom⸗ oder Parochial⸗ kirche. . h Da die Ausübung dieses Wahlrechts bisher an eine Frist nicht gebunden gewesen ist, so hat sich das Bedürfniß ergeben, den aus einer oft lange verschobenen Feststellung der Ge⸗ meinde Angehörigkeit erwachsenden Uebelständen für die Zu⸗ kunft vorzubeugen. In Folge der auf Grund Allerhöchsten Erlasses vom 6. September v. J. von dem Herrn Minister der geistlichen Angelegenheiten im Einverständnisse mit dem Evangelischen Ober⸗Kirchenrath uns« ertheilten Ermächtigung wird demnach hierdurch . bestimmt: ᷓ 1) Alle von auswärts nach Berlin ziehenden evangelischen Glaubensgenossen haben ohne Rücksicht auf ihr besonderes Konfessionsverhältniß die Wahl, sich entweder derjenigen Lokalparochie, innerhalb deren sie ihre Wohnung nehmen, oder der Gemeinde der Domkirche resp. der Parochialkirche anzu⸗ schließen, deren Mitglieder an keinen bestimmten Wohnort in der Stadt gebunden sind und daher durch die Veränderung der n innerhalb der Stadt die Gemeinde und Kirche nicht wechseln. 2) Diese . muß jedoch binnen Jahresfrist von der Niederlassung in Berlin abgerechnet, durch eine ausdrückliche
Erklärung bei dem Kirchen Ministerium und dem Vorstande
der gewählten Kirche zu erkennen gegeben werden.
3) Wird diese Wahl in der bezeichneten Frist nicht aus⸗ geübt, so werden solche evangelische Einwohner als pflichtige Glieder derjenigen Lokalparochie, innerhalb deren sie ihre Wohnung genommen haben, angesehen und behandelt, und gehen bei jeder Veränderung der letzteren in diejenige Pa⸗ rochie als Mitglieder über, in welcher die neugewählte Woh— nung belegen ist.
Berlin, den 21. November 1869.
Königliches Konsistorium der Provinz Brandenburg.
C. von Voß.
Vorstehende Bekanntmachung wird hierdurch von Neuem veröffentlicht.
Königliches Konsistorium. Hegel.
Aichtamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 23. Juni. Se. Majestät der Kaiser und König unternahmen, laut Meldung des „W. T. B.“ aus Ems, gestern nach dem Diner eine Ausfahrt die Lahn abwärts. ;
63 dem Diner hatten der Fürst zu Sayn⸗Wittgenstein, der Wirkliche Geheime Rath von Schuhmann, General-⸗Lieute⸗ nant von Fritsche, Dr. Orth, Oberst von Brunn und Major von Sell Einladungen erhalten. 4
ern setzten Se. Majestät der Kaiser die Brunnenkur i gewohnter Weise fort und nahmen demnächst die Vorträge de Hofmarschalls Grafen Perponcher und des Chefs des Militär⸗ kabinets, General⸗Adjutanten von Albedyll entgegen.
— Bei Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin in Coblenz fand vorgestern nach der Rückkehr der Großherzog⸗ 1 e ben Herrschaften aus Ems ein größeres Garlen— est statt.
Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Groß— herzogin, sowie Ihre Hoheit die Prinzessin Victoria von Baden haben gestern Abend Coblenz verlassen und Sich nach Karls⸗ ruhe zurückbegeben. Zur Verabschiedung trafen Se. Majestät der König von Schweden und Norwegen auf dem Ba hnhofe in Coblenz ein.
— Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz empfing gestern Mittag um 2Uhr den bisherigen Staats⸗Minister, Vize⸗Präsidenten des Staats⸗Ministeriums und Stellvertreter des Reichskanzlers, Grafen zu Stolberg⸗ Wernigerode.
— Der Bundesrath sowie die vereinigten Ausschüsse
desselben für Handel und Verkehr und für Rechnungswesen hielten heute Sitzungen.
— Der neuernannte Minister des Innern hat kaum
sein Amt angetreten, und schon ist ein Theil der Tagespresse geschäftig, ihn der öffentlichen Meinung des Landes als den Träger eines Systems der Realtion auf dem Gebiete der Verwaltung und der Reformgesetzgebung darzustellen. Einzelne Zeitungen wissen bereits ganz genau, daß Herr von Putt⸗ kamer von jeher zu den entschiedenften Gegnern der Selbst⸗ verwaltung gehört habe, daß er als Ober Präsident von Schlesien auf das Eifrigste bestrebt gewesen sei, der Entwickelung und Funktionirung der provinziellen Organe der Selbstverwaltung alle nur möglichen Hindernisse in den Weg zu legen, und daß er mit dem Plane einer umfassenden Zurückschraubung der Gesammtheit der neuesten Reformgesetze in den früheren Zu⸗ stand sich trage. Derartigen Insinuationen wirlsam zu be⸗ egnen, ist um deswillen nicht gerade leicht, weil ie sich nicht sowohl auf dem Voden einer nach reifbaren Gesichtspunkten eingerichteten sachlichen Dis⸗ ussion, als vielmehr auf dem der blos versönlichen Pole⸗ mik bewegen. In der Voraussetzung jedoch, daß es dem über⸗ wiegend größten Theile des für öffentliche Angelegenheiten sich interessirenden Publikums erwünscht sein werde, über die all⸗ gemeine Stellung des gegenwärtigen Ministers des Innern zu der Reformgesetzgebung des letzten Jahrzehnts eine Aufklärung aus authentischer Quelle zu erhalten, bringen wir nachstehend einen Bericht zum wortgetreuen Abdruck, welchen der damalige Dber⸗Präsident von Puttkamer unter dem 1. September 1878 über die Reform der neuesten Verwaltungsgesetzgebung an den Minister des Innern erstattet hat, und in welchem die Ge⸗ sichtspunkte zusammengefaßt sind, die nach des Berichterstatters Ansicht die Ueberzeugung von der PRevisionabedürftigkeit der neuen Gesetzgebung nach verschiedenen Richtungen zu begründen geeignet sind.
Selbstverständlich kann für dieses Aktenstück nach der Zeit und den Umständen seiner Absassung in eigent⸗ lichem Sinne die Bedeutung eines ministeriellen Programms heute nicht mehr in Anspruch 1 werden, zumal die Gesetzgebung inmittelst 8 der Bahn des in dem Berichte vom
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L September 1878 der Kritik unterzogenen Systems weitere Schritte bereits gethan hat; immerhin aber wird die Veröffent⸗ lichung nicht zu spät kommen, um die Perspektive auf eine Reihe von Gesichtspunkten zu eröffnen, deren ernster Erwägung Niemand sich wird entziehen können, der der folgenschweren Frage der Ausdehnung unserer Reformgesetzgebung auf die gesammte Monarchie seine Aufmerksamkeit zugewendet hat.
Ober⸗Präsidium der Provinz Schlesien.
Betrifft die Reform der neuesten Verwaltungsgesetzgebung.
Zum Erlaß vom 13. Februar er.
Indem Ew. Excellenz ich bitte, zur Entschuldigung für die Ver⸗ zögerung der gegenwärtigen Berichtserstattung auf die Hochdenselben persönlich vorgetragenen Gründe Bezug nehmen zu dürfen, erlaube ich mir die Besprechung des Gegenstandes mit einer kurzen persönlichen Bemerkung einzuleiten, welche zugleich dazu dienen wird, die Stellung zu bezeichnen, welche ich für meine Person der neuen Reform der Verwaltungsgesetzgebung gegenüber einnehme. Es wird dadurch zu⸗ gleich der Beweis geliefert sein, daß, wenn ich mich als einen grund⸗ sätzlichen Freund und Anhänger dieser Reform und des ihr zu Grunde liegenden politischen Gedankens bekenne, meine gegen ihre Auswüchse und Mängel gerichtete Kritik vielleicht um so mehr auf Beachtung Anspruch machen kann. ö
Von dem Augenblicke an, wo ich mit meiner Ernennung zum Landrathe zur Theilnahme am öffentlichen Leben berufen wurde, hat sich in mir je länger desto fester die Ueberzeugung entwickelt, und fest⸗ gewurzelt, daß unser gesammtes System der inneren Verwaltung in der durch die Regierungs⸗Instruktion von 1817 geschaffenen Gestalt, nach⸗ dem mit Einführung der Verfassung der Gedanke des Rechtsstaats einmal zum Durchbruch gekommen, nicht länger fortbestehen könne, und daß eine gesunde organische Weiterentwickelung unserer öffentlichen Zustände nur möglich sei in der Richtung erweiterter Selbstverwal⸗ tung unter Einführung ausgiebiger unter die Garantie eines gehörig geordneten, an feste Formen gebundenen Verfahrens gestellten Rechts⸗ schutzes, auch in Angelegenheiten der Verwaltung und des öffentlichen Rechtes, bei gleichzeitiger Heranziehung der im Volke vorhandenen Kräfte für die ehrenamtliche Ausübung staatlicher und obrigkeitlicher 6 sowie dadurch bedingter Umformung der Be⸗ zördenorganisation. Daß diese eform zunächst auf die alten Provinzen zu beschränken, sowie daß sie an den Kreis, als die kräftigste und lebensfähigste unserer unteren Staats— gliederungen anzuknüpfen sei, war mir ebenfalls von vornherein klar; ich habe daher den Erlaß der die Verwirklichung jener Reformideen einleitenden Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 mit vollster Sym— pathie begleitet, bei ihrer Ausführung thätig mitgewirkt und mich des Gelingens der letzteren aufrichtig gefreut.
Auf so lebhaften und hartnäckigen Widerspruch die Kreisordnung auch Anfangs gestoßen ist: jetzt hat sich, glaube ich, die Ueberzeugung auch bei ihren früheren prinzipiellen Gegnern Bahn gebrochen, daß die Prinzipien, auf welchen sie heruhet, im Großen und Ganzen die zeitgemäßen und in , sind, und daß sie sich in der praktischen Ausführung be— währt hat.
Freilich stand wohl auch von vornherein soviel unabänderlich fest, daß die Reform bei der Kreisordnung für die alten Provinzen nicht stehen bleiben könne, sondern daß sie einerseits auf die Bezirks- und Pro⸗ vinziglinstanz ausgedehnt werden müsse, andererseits den übrigen Theilen der Monarchie ohne Zerreißung der nothwendigen Staatseinheit auf die Länge nicht vorzuenthalten sein werde. Aber es ist gleich in der erstgedachten Beziehung m. E. der . Fehler begangen worden, mit der Durch⸗ führung des ferneren Reformwerkes zu rasch vorzugehen. Das durch die Kreisordnug in das Leben gerufene neue System der Verwaltung hat schon für sich allein eine so durchgreifende Veränderung alles Be⸗ stehenden, namentlich in den ländlichen Verhältnissen, mit sich gebracht, daß man, wie ich glaube, um so mehr Veranlassung gehabt hätte, den ferneren Ausbgu nicht zu überejlen, als die durch * Kreisordnung. Fes en Institutigtzen als ein Ganzes ür sich sehr füglich in das Leben eingeführt werden und zu funktio— niren beginnen konnten ohne die Nothwendigkeit eines sofortigen Vor⸗ schreitens zu den weiteren Organisationsstadien. Nach meiner unmaß⸗ geblichen Auffassung wäre es richtig gewesen, durch eine längere Praxis und durch ein längeres Einleben die neu geschaffenen Einrichtungen erst in Saft und Blut des Volkslebens übergehen zu lassen, bevor man zur weiteren Reform in den . Instanzen schritt. Hätte man sich damit begnügt, außer dem kommu— nalen Theile der Provinzialordnung als nothwendigen vorläufigen Abschluß des Werkes einen obersten Verwaltungsgerichtshof ein— zusetzen, und im Uebrigen den neuen Behörden und Institutionen Zeit gelassen, sich in dem Bewußtsein der Nation festzusetzen, so würde der doppelte für die demnächstige Weiterführung der Reform nicht hoch genug anzuschlagende Vortheil erreicht worden sein, einmal eines weit größeren Erfahrungsschatzes auf allen Gebieten der Selbst⸗ verwaltung und sodann der, daß nach Erprobung des ersten Theiles der Reformgesetzgebung die weiteren Schritte mit einer viel größeren Sicherheit, wurzelnd in dem öffentlichen Ver— trauen und in der unter allen Betheiligten verbreiteten Ueberzeugung ihrer Ersprießlichkeit und Nothwendigkeit, gethan wor— den wären. Nur allzusehr tragen die auf die Kreisordnung folgenden Organisationsgesetze den Stempel mangelnder Erfahrung und Vor— wiegens rein theoretischer Gesichtspunkte an der Stirn!
Unter allen Umständen wird dem aus dem Hohen Erlasse vom 13. Februar d. J. hervorleuchtenden Gedanken, daß die Ausdehnung der Reformgesetze für die innere Verwaltung auf die übrigen drovinzen der Monarchie nicht vor dem völligen und klaren Abschluß der Erwägungen darüber erfolgen könne, ob und in welchen Punkten die neue Geseßgebung der bessernden Hand bedürfe, unbedingt beigetreten werden müssen, und ich vermag nur ganz entschieden dazu zu rathen, ungeachtet der etwaigen Unpopularität einer solchen Hal— tung, allem Drängen auf Einführung der Kreisordnung u. s. w. in die neuen Provinzen so lange energischen Widerstand entgegenzusetzen, als nicht über die Revision der Selbstverwaltungsgesetze eine dem praktischen Bedürfnisse gebührend Rechnung tragende Einigung unter den gesetzgebenden Faktoren erzielt ist.
Daß eine solche Reform aber in der That ein dringendes unab— weisliches Bedürfniß ist, darüber besteht, soweit meine Wahrneh⸗ mungen reichen, unter sämmtlichen an der praktischen Anwendung und Handhabung der neuen Gesetzgebung Betheiligten, ohne Unter⸗ schied der politischen Parteistellung, völliges Einverstän⸗ niß. Dafür sprechen auch die anliegenden Berichte, welche ich in Folge des Hohen Erlasses vom 13. Februar d. J. von den Regie— runge⸗Präsidenten, hervorragenden Mitgliedern des Provinzial⸗ ausschusses, des Provinzialrathes, der Bezirksräthe, Bezirks⸗ verwaltungsgerichte und von verschiedenen Landrathen eingezogen habe. So vielfach auch diese Berichte in den Einzelheiten der gemachten Reformporschläge auseinandergehen: in dem einen negativen Punkte treffen sie sämmtlich zusammen, daß ohne eine gründliche Revision der ganze Erfolg der Selbstverwaltung in den höheren Instanzen, ja sogar auf die Länge die Möglichkeit derselben, in Frage steht. Auf eine detalllirte und systematische Darstellung der der späteren Gruppe der Selbstverwaltungsgesetze Mangel glaube ich verzichten zu dürfen. Ich würde im Wesentlichen nur dasjenige wiederholen können, was in dem beigefügten reichhaltigen Material beinahe einstimmig bereits aus⸗ geführt ist.
L. Nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten ist die Wurzel und der Ausgangspunkt der verkehrten Richtung, welche die auf die Kreis⸗ ordnung folgende Gesetzgebung eingeschlagen hat, in dem Gesetze betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Ver⸗ waltungestreitverfahren vom 3. Juli 1875 zu erblidken. Dieses Gesetz, indem es die lediglich doktrinelle dem wirklichen Leben fremde Unterscheidung der Verwaltungesachen in streitige⸗ und mnicht streitige mit der Konsequenz in die Gesetzgebung einführte, daß erstere ausschließlich durch besondere Verwaltung gerichte in speziell gesetzlich geordneten vrozessualen Verfahren, letztere dagegen durch Verwaltungsbeschlußbebörden ohne ein solches Verfahren zu entscheiden seien, hat unzweifelhaft das Meiste dazu beigetragen, die
anklebenden
durchaus gesunden und populären Gedanten der Kreisordnung in ein bloßes, dem Volksbewußtsein unzugängliches, Juristenrecht umzu⸗ wanzeln und damit der gesammten jüngsten Gesetzgebung den Stempel der Abstraktion und des Doktrinarismus aufzuprãgen. Es wird daher vor allen Dingen zu rathen sein, die Scheidung zwischen Verwaltungs— gerichts- und Verwaltungs be schluß-⸗Behörden wieder aus der Welt zu schaffen, dieser Schritt erscheint ganz von selbst geboten, so— bald man zu der Erkenntniß gelangt, daß die grundsätzliche Trennung in streitige und nicht streitige Verwaltungssachen eine verfehlte war. In der That fließen aus dieser Quelle mittelbar oder unmittelbar alle die Schäden, welche mit Recht an der neuen Reformgesetzgebung allgemein beklagt werden 3 die zu große Komplizirtheit des ganzen Spstems, namentlich des Aufbaues der Behörden und des Verfahrens, die anscheinend mehr nach Willkür als nach innerer, sachlicher Nothwendigkeit und Zweckmäßigkeit angeordnete Vertheilung der Kompetenz und die hieraus bei der Anwendung auf Tritt und Schritt sich ergebenden k sowohl bei den Behörden selbst als auch bei den Rechtsuchenden, die Schaffung von Behörden, welche von einander getrennt, aber in denselben Materien (8. 30 ff. des Zuständigkeitsgesetzes) Recht sprechen und die hieraus mit Noth— wendigkeit folgende Gefährdung der Einheit der Verwaltung und der Autorität der Staatsbehörden.
Auch war es ein Mißgriff, daß man die gesammte Institution der streitigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht aus einem Busfe her— vorgehen ließ, sondern die von den Verwaltungs be hörden vollstän— dig getrennten Verwaltungs gerichte durch das Gesetz vom 3. Juli 1875 konstituirte, während die Aussonderung und Bestimmung der ihrer
Entscheidung zu unterwerfenden Materien erst durch das Gesetz vom
6. Juli 1876 erfolgte.
Die Verhandlungen, welche dem Erlasse des letzterwähnten Ge— setzes vorausgegangen sind, lassen deutlich erkennen, wie der Gesetz⸗ geber bemüht gewesen ist, für die bereits vorhandene Form nun auch einen systematischen Inhalt zu finden. Es ist aber eben nicht ge— lungen, für die das ganze System beherrschende und gestaltende Scheidung von streitigen und nicht streitigen Angelegenheiten eine irgendwie erschöpfende oder befriedigende legislative Formel zu finden und so ist man zur Kasuistik gelangt, welche eben durch sich selbft den schlagendsten Beweis dafür liefert, daß der Versuch einer solchen Scheidung auf einer bloßen Abstraktion beruht. Als streitige Sachen wollte man etwa Diejenigen ansehen, bei welchen es sich um erworbene Rechte von Personen oder Korporationen handelt. Und da sich keine generelle Formel für die Scheidung auffinden ließ, so hat man letztere mehr nach dem Gefühl, ob in der einen oder anderen Kate— gorie von Streitsachen die Frage der Gesetzmäßigkeit oder die der Zweckmäßigkeit zu dominiren pflegt, vorgenommen. Eine Durchsicht der einzelnen Materien ergiebt jedoch, daß zwar in der einen Kategorie streitig werdender Angelegenheiten des Verwastungsrechts die reine Rechts frage häufiger die Grundlage für die Entscheidung bilden wird, als in der andern, daß aber diejenigen Materien, in denen nur die Frage der Gesetzmäßigkeit und nicht auch zugleich in minderem oder in höherem Maße die Frage der administrativen Zweckmäßigkeit auf⸗ tritt, eigentlich doch nur vereinzelt dastehen. Die Regel ist vielmehr, daß bei Streitigkeiten auf dem Verwaltungsgebiete die Fragen des öffentlichen Rechts und die Sphäre des freien behördlichen Ermessens dergestalt ineinander fließen, daß eine Trennung unmöglich ist. Ich erinnere nur an die Streitigkeiten über Gewährung der öffentlichen Armen⸗ pflege, bei denen sicherlich auch das subtilste Definitionsvermögen nicht im Stande sein dürfte, zu bestimmen, inwieweit die Entscheidung über sie durch, das Recht und inwieweit durch das Ermessen beherrscht wird. Diese Angelegenheiten sind beispielsweise durch das Zuständig— keitsgesetz (6. Jö) in der oberen Instanz der Kognition der Verwal⸗ tungsgerichtshöfe entzogen, wofür ein in der Sache liegender Grund doch kaum in höherem Maße vorhanden sein dürfte, als bei manchen anderen Angelegenheiten, welche das Wohlergehen der Einzelnen nicht näher berühren als jene, und welche dennoch dem Streitverfahren überwiesen sind. Ich halte hiernach den Schluß für gerechtfertigt, daß die Entscheidung darüber, ob eine Sache streitigen Inhalts sich zur kontradiktorischen öffentlichen Verhandlung eignet, nur ausnahmsweise na ganzen Kategorien, in der Regel am Einfachsten und Zweckmaͤßigsten von . zu Fall nach dem verständigen Ermessen der entscheidenden Behörde zu treffen sein wird. Nur auf diese Weise wird es möglich, die Gewähr wirksamen Rechtsschutzes, soweit letztere in den Formen liegt, auch überall thatsächlich zu schaffen, indem nicht blos aus denjenigen Kategorien, welche das Zuständigkeitsgesetz dem Verwaltungsstreit⸗ verfahren ausdrücklich überwiesen hat, sondern aus allen Beschwerde⸗ sachen diejenigen im formellen Verfahren erledigt werden, welche nach dem Charakter des einzelnen Falles sich hierzu eignen.
Der Mangel eines festen und klaren Prinzips im Kompetenzgesetze tritt am evidentesten bei der Behandlung der polizeilichen Verfügungen hervor, indem man in dem Bewußtsein, für eine Scheidung nach der Seite der Gesetzmäßigkeit und der Zweckmäßigkeit einen untrüglichen, allgemein gültigen Maßstab nicht zu besitzen, gegen solche Verfügungen Klage und Beschwerde elektiv zugelassen hat. Daß sich in den bethei⸗ ligten Kreisen der Bevölkerung für den Sinn dieses doppelten Weges ein genügendes Verständniß ausbilden werde, läßt sich nicht annehmen. Meist wird es vom Zufall oder bloßer Laune abhängen, ob die Frage der Gesetzmäßigkeit einer pelizeilichen Verfügung der Entscheidung der Verwaltungsbehörde und die ihrer Zweckmäßigkeit derjenigen der Ge—⸗ richtsbehörde, oder umgekehrt, unterworfen wird.
Nun sagt zwar der zum Kompetenzgesetze erstattete Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses, indem er die Unthunlichkeit be⸗ tont, dem Beschwerdeführer beide Arten der Rechtsverfolgung — Klage und Beschwerde — gleichzeitig zu gestatten: Die Schäden, welche dadurch entstehen würden, wenn zwei verschiedenartige Behörden gleichzeitig mit der Untersuchung desselben Falles befaßt sind, vielleicht gar zu entgegengesetzten Entscheidungen kommen, brauchen nicht erst entwickelt zu werden.“ Allein diese Schäden können auch bei der in den 55. 30 ff. a. a. O. gewählten Lösung der Frage eintreten, und sind sogar bereits mehr⸗ fach thatsächlich eingetreten. Der Berichterstatter übersieht nämlich, daß fast jede Streitsache in Verwaltungsangelegenheiten, abwei⸗ chend vom Charakter der Civil- und Criminalprozesse, mehr oder minder einen Einfluß über den konkreten Fall hinaus übt, daß fast jeder einzelne Fall, indem dort Gesichtspunkte der Konvenienz und Zweckmäßigkeit ins Spiel kommen, gewissermaßen einen Theil der laufenden Verwaltung bildet, welcher sich ohne Beeinträchtigung einer einheitlichen Behandlung der Materie, und damit ohne Schaden für das öffentliche Wohl, gar nicht in seiner Isolirtheit betrach⸗ ten und behandeln läßt. Es ist ferner aber auch in jener Bemerkung übersehen, daß eine einzelne polizeiliche Maßregel in mehreren Verfügungen desselben Inhaltes an verschiedene Betheiligte zur Erscheinung und Wirksamkeit gelangen kann, wobei in Gemäßheit des in dem Zuständigkeitsgesetze angenommenen Systems jedem Ein zelnen die Wahl zwischen Beschwerde und Klage zusteht, der Keim zu kollidirenden Entscheidungen also von vornherein gelegt ist. Hierfür ein naheliegendes Beispiel:
Die Polizeibehörde einer großen Stadt fordert im öffentlichen Verkehrsinteresse die Besitzer einer Anzahl in einer Fluchtlinie liegen⸗ der Häuser auf, Trottoir vor ihren Häusern zu legen. Die Besitzer der Häuser mit geraden Nummern beschreiten den Beschwerdeweg, werden endgültig vom Ober- Präsidenten abgewiesen und gezwungen, die angefochtene polizeiliche Verfügung zur Ausführung zu bringen. Die Besitzer der ungerade benummerten Däuser haben inzwischen zur Klage re §. 31 a. a. D. gegriffen und erstreiten demnächst ein obsiegliches Erkenntniß. Dann wird der schachbrettartige Zustand des Bürgersteiges die beste Illustration zur Unhaltbarkeit der jetzt geltenden Bestimmungen abgeben. Dieser und ähnliche Fälle können in jedem Falle praktisch werden; mit welchem Effekt für das öffentliche Rechtsbewußtsein, die Autorität und prak⸗ tische Thätigkeit der Behörden, darüber enthalte ich mich jedes wei⸗ teren Kommentars.
Das leitende Motiv für die Trennung der Verwaltungs⸗ gerichts⸗ von den Verwaltungs beschluß⸗Behörden lag doch wohl
in der Garantie, welche die ersteren durch ihre Zusammensetzung und ihr geordnetes Prozeßfecum für eine unparteiische und gesetz= mäßige Rechtsprechung bieten. Nun ist aber die Zusammen⸗ setzung der. Besirksverwaltungsgerichte derjenigen der Bezirks ratbe beinahe gleichartig, abgesehen von der Ernennung und Stellung der staatlich bestellten Mitglieder. Aber gerade daß Riese letzteren dem lebendigen Getriebe des Lebens und der Verwal— tung ferne stehen, bringt die Gefahr mit sich, daß ihnen die Kennt— niß der Bedürfnisse des öffentlichen Rechtslebens und der richtigen Verwaltungsprinzipien fremd wird, und daß nur zu häufig haar— spaltende Justiz geübt wird. . ᷣ ;
Ich glaube, daß die erforderlichen Garantien nicht weniger gewähr⸗ leistef sein werden, wenn für die Entscheidung streitiger Verwaltungs— sachen — im weitesten Sinne = Spruchkollegien mit derselben Zusammen⸗ setzung wie die Bezirks verwaltungsgerichte, aber unter dem Vorsitz des Regierungs⸗-Präsid enten. beziehentlich des für ihn bestellten Stellvertreters, eingesetzt würden. Durch den Vorsitz des Regierungs⸗ Präsidenten würde die Einheit der Verwaltung in der, wie ich an⸗ nehme, definitiv als unentbehrlich beizubehaltenden Bezirksinstanz perfönlich und sachlich sicher gestellt, und damit eine große Anzahk von Kompetenzstreitigkeiten, Verschleppungen der Sachen u. s. w. von vornherein vermieden werden. .
Die Verschmelzung, des Bezirksraths mit dem BezirksUverwaltungsgerichte unter Vorsitz des Regie— rungs-⸗Präsidenten würde daher nach meinem Erachten der Aus— gangs und Mittelpunkt der anzustrebenden Reform sein.
Diesen Gesichtspunkt einmal zugestanden, läßt sich auch dem
etwaigen Cinwande der zu großen Geschäftslast, welche mit der sach— lichen Zuständigkeit des bisherigen Bezirksrathes und des bisherigen Bezirksverwaltungsgerichtes auf die neue Behörde, nenne man sie nun so oder so, übergehen würde, unschwer begegnen. Und hiermit komme ich zu einem Punkte, welcher in keinem der mir vorliegenden Berichte mit gebührendem Nachdrucke betont ist und welchen ich gleichwohl von meinem Standpunkte aus für die gesammte Zukunft und Lebens fähigkeit deutscher Selbstverwaltung geradezu für eine, Lebensfrage halte. Ich meine die grundsätzliche Endgültigkeit der er st— instanzlichen Entscheidungen der Kreisausschüsse, Ent— schließt man sich nicht dazu, diese Endgültigkeit, mindestens für eine sehr viel erheblichere Zahl von Sachen wie bisher, auszusprechen, so möge man reformiren und revidiren so viel man wolle. Keine. Macht der Welt wird die Selbstverwaltung von wachsender, schließlich zum Untergange führender Unpopularität retten können. In den Kreis—⸗ ausschüssen, dieser kühnen aber durchaus staatsmännisch gedachten und gelungenen Schöpfung der Kreisordnung ruhet nun einmal, der Schwerpunkt der gesammten neuen. Organisa—⸗ tion in Gegenwart und Zukunft; dieses Institut in der Gesammtanschauung der Nation, in seiner vollen Bedeutung als Nittelpunkt, des lokalen öffentlichen Lebens nicht, nur zu erhalten, fondern je länger je mehr zu befestigen, halte ich für das hauptsäch— lichste Problem unserer nächsten gesetzgeberischen Aufgaben. Alle noch ihrer Verwirklichung harrenden bedeutenderen Reformgesetze, ich nenne unter ihnen nur die Wegeordnung und das Unterrichtsgesetz, werden sich an die Opferwilligkeit und Leistungsfähigkeit der Kreisausschüsse wenden müssen. Eine so wichtige Institution aber bedarf zu ihrem dauernden Gedeihen vor Allem der festen Wurzelung im öffentlichen Vertrauen, also eines hohen Maßes von Selbständig— keit neben sehr ausgebildeter Verantwortlichkeit. Beides können die Kreisausschüsse aber nicht erlangen, so lange von ihren Entscheidungen beinahe überall an eine oder zwei höhere Instanzen appellirt verden kann. ; ö. Gch en aus diesem Grunde, dann aber auch zur Entlastung der Bezirksinstanz, möchte ich vorschlagen, die Endgültigkeit der Ent⸗ scheidungen der Kreisausschüsse auszudehnen auf alle, Angelegenheiten, in welchen es hauptsächlich auf die verständige Würdigung lokaler Verhältnisse in sachlicher und Persönlicher Beziehung ankommt, also 3. B. Armenpflegesachen, Schanksachen. Diese und ähnliche Kategorien von Angelegenheiten werden im großen Durchschnitt sicherlich von den Kreisausschüssen in völlig korrekter Weise erledigt und die Zulassung weiterer Instanzen auf diesen Gebieten, weit entfernt, Garantien für vermehrten Rechtsschutz zu gewähren, vermehrt lediglich in ungeheuer— ster Weise das Schreibwert
Was das Verfahren betrifft, so wäre m. E. die Anordnung einer einheitlichen Beschwerdefrist von etwa 14 Tagen, sowie die Auf: hebung der Bestimmung zu empfehlen, wonach die Beschwerde bei derjenigen Behörde einzureichen, gegen welche sie gerichtet. ist. Diese Vorschrift widerspricht nämlich dermaßen dem Rechtsgefühl des ge⸗ meinen Mannes, daß beispielsweise ein Landrath berichtet, es sei ihm noch kein Fall vorgekommen, wo sie beachtet worden sei. Die Ein— fuͤhrung eines streng prozessualischen Verfahrens, bei welchem die Parteirollen oft erst künstlich konstruirt und vertheilt werden müssen, hat sich nicht bewährt; namentlich giebt es den Behörden, welche in Ausübung staatlicher Hoheitsrechte Verfügungen erlassen, eine schiefe Stellung, wenn sie den Beschwerdeführern als verklagte Partei ge⸗
enüberzustehen genöthigt werden. Geradezu unwahr erscheint die
n en. der Verwaltungsgerichte, wenn sie den im Streitverfah⸗ ren verurthellten Beamten die Kosten auferlegen, denn nicht diese Beamten, wie es nach dem Tengr den Anschein hat, sondern die Staats kasse trägt die Kosten. Ueberhaupt ist jetzt wohl schon die Ueberzeugung ziemlich allgemein zur Geltung ela sft. daß der Werth eines Ver—⸗ fahrens vor einem in der Mehrjahl aus Laien zusammengesetzten Kollegium nicht sowohl in der Nachbildung der äußeren Form der Civilprozesse, als vielmehr in der mündlichen und kontradiktorischen Verhandlung zu finden ist. ; . .
Aber auch dieses letztere Verfahren wird unter Umständen zu entbehren sein, und es wird einfacher Kollegialbeschluß in allen den⸗ jenigen Fällen genügen, wo nicht im Gesetze wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes die kontradiktorische Verhandlung ausdrücklich vor— geschrieben, oder vom Beschwerdeführer beantragt, oder endlich vom Spruchkollegium aus irgend welchen Gründen für nöthig erachtet wird. In dieser Weise würde eine große Anzahl von Streitsachen der Noth⸗ wendigkeit eines weitläufigen und kostspieligen Verfahrens enthoben, während die Garantie dafür erhalten bliebe, daß alle Streitsachen, bei denen die Parteien das Bedürfniß nach einer kontradiktorischen Verhandlung empfinden, derselben theilhaftig würden. ;
Nach allem Diesem würde sich demnach die Bezirksinstanz folgen⸗ dermaßen gestalten: .
. . des Bezirksverwaltungsgerichts, des Bezirksrathes und der Regierungsabtheilung des Innern, soweit letztere noch Beschwerde⸗ Instanz ist, würde ein Kollegium unter dem Vorsitz des Regierungs⸗ Praͤsidenten bezw. seines Stellvertreters mit einem oder zwei ernann⸗ ten und drei bis vier gewählten Laien (im Bedarfsfalle zwei Abthei- lungen mit doppeltem Laienpersonal) treten.
Dasselbe hätte zu entscheiden: ĩ ö
N in allen Angelegenheiten, welche ihm durch besondere Gesetze überwiesen werden, wobei namentlich an Bestätigung gewisser Sta—⸗ tuten und wichtigerer Beschlüsse von Korporationen und Kommunal- behörden gedacht ist. ᷣ ͤ
2) in allen streitigen Angelegenheiten, in dem oben entwickelten Sinne, also nicht blos im Sinne des Kompeten;gesetzes, sondern Zuch Beschlußsachen, welche durch Beschwerde streitig werden. Die Ent⸗ scheidung erfolgt in mündlichen und kontradiktorischen Verfahren, ofern: ö a. das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt,
b. der Beschwerdeführer darauf anträgt, und
c. das Kollegium zur Aufklärung der Sache es für nöthig hält.
Eine Verschiebung der Kompetenz wird sich auch insofern noch empfehlen, als die den Bezirkeinstanzen jetzt in J. Instanz zugewie⸗ senen Angelegenheiten in der Richtung zu revidiren sein werden, daß davon möglichst viel den Kreie⸗ und Stadtausschüssen üherlassen werden, um den Charakter der Mittelbehörde als Berufungs⸗ instanz möglichst in den Vordergrund treten zu lassen. a
Für das Fortbestehen des Provinzialrathes vermag ich ein Be. dürfniß. nicht anzuerkennen. Die meisten seiner Sachen werden in die — * zu verweisen sein. Seine beiden einzigen volitisch
*
bedeutungevollen Attributionen, die Zustimmung zu den vom Ober
Präsidenten für den Umfang der Provinz zu erlassenden Polizeiverord— nungen und die Mitwirkung bei der definitiven , der Amts⸗ bezirke würden ohne Bedenken dem Provinzialausschusse übertragen werden können.
H. Das Verhältniß der Städte zur gegenwärtigen Organisation der Selbstverwaltungsbehörden ist als ein verfehltes zu 1 Durch die Inkongruenz im Instanzenzuge wird die einheitliche und gleichmäßige Behandlung der bezüglichen Materien in Frage gestellt, Stadt und Land werden zum Schaden des gemeinsamen kommunalen Lebens innerhalb des Kreises in einen durch nichts zu rechtfertigenden Gegensatz zu einander gedrängt, welcher n nur zum Nachtheile des städtischen Elementes (3. B. bei den Wahlen) ausschlagen kann.
Ich würde daher vorschlagen, die Exremtion der Städte bis zu 10000 Einwohnern vom Kreisausschusse unbedingt aufzuheben. Diesen Vorschlag auf alle keinen eigenen Kreisverband bildenden Städte zu erstrecken, mag in manchen Beziehungen Bedenken erregen, ich für meine Person würde aber schon um deswillen geneigt sein, über diese Bedenken hinwegzusehen, weil ich im Interesse der Vereinfachung des ganzen Verwaltungssystems entschiedenen Werth auf die Aufhebung des Provinzialraths lege. Dieser ist jetzt Beschwerdeinstanz in vielen städtischen Angelegenheiten, in welchen jetzt die Mittelbehörde als erste Instanz fungirt. Erweist es sich als ausführbar, überall in den Kreis- und Stadtausschüssen für die Städte eine erste Instanz zu schaffen, so würde auch aus diesem Gesichtspunkte die Aufhebung des Provinzialrathes wesentlich erleichtert werden.
Als Kompensation für die grundsätzliche Einfügung der Städte in den Rahmen der übrigen Selbstverwaltungsbehörden ktnnte die Grenze, bis zu welcher hinauf den Städten das Ausscheiden' aus dem Kreisverbande gestattet sein soll, bis auf 20000 Einwohner herab— gesetzt werden.
III. Die Frage, ob bei der Dezentralisation und der Ueber— tragung von Funktionen der Staatsverwaltung an Organa der Selbst— verwaltung überall das Richtige getroffen ist und inwieweit die den Organen der Staatsverwaltung in dem neuen System ertheilten Be⸗ fugnisse sich als ausreichend erwiesen haben, kann meines Erachtens im Allgemeinen zu Gunsten der neuen Gesetzgebung beantwortet wer— den. Eifer sowohl wie Geschick der überwiegend meisten Organe der Selbstverwaltung haben sich, und zwar auf allen Stufen der neuen Organisation, in durchaus befriedigender Weise bewährtund es ist mir nicht zweifelhaft, daß dies je länger desto mehr der Fall sein wird, nameutlich wenn Gesetzgebung und Verwaltung gleichmäßig fortfahren, darauf Bedacht zu nehmen, daß die Stellung und Autorität der Kreisausschüsse möglichst gekräftigt werden. Freilich werden nicht alle Funktionen der Selbstverwaltung mit gleicher Bereitwilligkeit übernommen und ausgeübt.
Während es an Kandidaten für die Amtsvorsteherschaft nur in verhältnißmäßig seltenen Fällen fehlt, macht sich gegen die Uebernahme der Funktionen als Standesbeamter fast durchgängig ein derartiges Widerstreben geltend, daß die Erfüllung der diesfälligen Obliegen—⸗ heiten häufig nur mit den äußersten durch das Gesetz an die Hand gegebenen Zwangsmitteln durchzusetzen ist. Es weist diese Thatsache auf die dringende Nothwendigkeit einer baldigen Reform des Standes⸗ amtswesens hin, und es scheint mir, daß diese Reform zweck— mäßig nur in der Richtung der Schaffung besonderer subalterner Staatsbehörden, welchen die Führung der Standesregister zu über⸗ tragen wäre, erfolgen kann. ö
Der Umstand, daß die Selbstverwaltungsbehörden keinen laufen den Geschäftsgang haben, vermöge ihres nur zeitweisen Zusammen— tritts ihre Thätigkeit vielmehr nur einen sozusagen intermittirenden Charakter an sich trägt, ist namentlich von Seiten, welche der Selbstver⸗ waltung überhaupt nicht günstig gesinnt sind, zum Ausgangspunkt mannig⸗ facher Klagen und Beschwerden gemacht worden. Meines Erachtens nur zum geringsten Theile mit Recht. Die hierauf gegründete ab— fällige Kritik gilt eigentlich mehr für die Theorie wie für die Praris. Wenigstens soweit meine Wahrnehmungen reichen, namentlich also in dem Kreise der Thätigkeit des Provinzialraths hat der Mangel der kontinuirlichen Thätigkeit des Kollegiums bis jetzt zu ernsteren Unzuträg⸗ lichkeiten in keiner Weise geführt. Allerdings muß ich dabei zur Steuer der Wahrheit bekennen, daß vermöge einer zwischen den Mit— gliedern des Provinzialraths und mir getroffenen vertraulichen Ver⸗ abredung in Bezug auf den Geschäftsgang und dessen Leitung im Wesentlichen ein Zustand hergestellt ist, welcher dem §. 137 der Kreis⸗ ordnung bereits entspricht. Bei alledem läßt sich nicht leugnen, daß eine förmliche Entlastung der Selbstverwaltungskollegien von vielem Detail und die dadurch geschaffene Möglichkeit der Konzentration ihrer Thätigkeit auf die wirklich bedeutenden Dinge recht erwünscht sein würde. ; .
Darf ich zum Schluß das Gesammtergebniß der obigen Er⸗ örterungen noch einmal kurz zusammenfassen, so bin ich also der Meinung, daß die durch die neue Gesetzgebung eingeführte Reform der innern Verwaltung an sich auf gesunder Grundlage ruhet, daß sie zwar in den weiteren Stadien ihrer Ausführung auf. Abwege insofern gerathen ist, als Doktrinarismus und Formalismus die Oberhand über die wirklich populären und staatsmännischen Grundanschauungen ge⸗ wonnen haben, was zu einer das öffentliche Interesse nicht unecheblich beeinträchtigenden Häufung der Behörden und Komplizirtheit der For⸗ men geführt hat; daß es aber weder zu spät ist, noch als allzuschwer sich erweisen wird, durch Vereinfachung des in das Leben gerufenen Apparates von Selbstverwaltungsbehörden und des Verfahrens, sowie durch erweiterte Dezentralisation in der Richtung möglichster Aus- bildung und Stärkung der Lokalinstanz wieder in den richtigen Weg einzulenken. . ö .
Schließlich füge ich noch der leichteren Uebersicht wegen, einen hier angefertigten Auszug aus den erstatteten Gutachten gehorsamst bei.
Breslau, den 1. September 1878.
Der Ober ⸗Präsident: von Puttkamer. An den Königiichen Stgats« und Minister des Innern
Herrn Grafen zu Eulenburg Excellenz, Berlin.
— Nach einem Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 6. d. M. ist es nicht für unzulässig zu erachten, Schüler⸗Abonnementskarten auch Schülerinnen ron Gewerbeschulen zu ertheilen. Nach einem Erlasse desselben Ministers vom 8 d. M. erfordert die , von Fahr⸗ preis-Ermäßigungen an größere Gesellschaften der Regel nach eine Theilnehmerzahl von 39 Personen. Im Allgemeinen sollen nur dann Ausnahmen hier— von zugelassen werden, wenn es sich um Reisen zu wissenschaftlich belehrenden Zwecken, handelt. Das jenige Betriebsamt hezw. diejenige Königliche Direktion, in deren Bezirk die Reise angetreten wird, hat die Bewilli⸗ gung der Fahrpreisermäßigungen für die ganze, vom Staat verwaltete Beförderungsstrecke zu ertheilen. Für die Erleich⸗ terung der Schulfahrten ist die Besörderung von Schüler—
esellschasten bei einer Theilnahme von mindestens 19 Per⸗ 8 seinschließlich der begleitenden Lehrer) zu den Sätzen der Militärbillets genehmigt worden, auch daß bei Schul⸗ fahrten der niederen Klassen, deren Schüler im Allgemeinen das aan. Lebencjahr nicht überschritten haben, je zwei Schü— ler auf ein Militärbillet befördert werden. Diejenigen König⸗ lichen Verwaltungen, in deren Bereich die Ausflüge angetre⸗ ten werden, sind auch bei Schulfahrten ermächtigt, die Fahr⸗ pieisermäßigungen für die ganze unter Staatsverwaltung stehende Veförderungsstrecke zu gewähren.
Bayern. München, A. Juni. Wie die „Allg. Itg.“ vernimmt, hat der König dem 1. Infanterie Regiment „König“ aus Anlaß des 100jahrigen Jubiläums desselben drei reich gestickt Fahnen bänder verliehen. — Prinz Leopold, welcher gegenwärtig noch mit der Inspektion des 1. Schweren Neiter⸗Regiments beschäftigt ist, wird erst nach Beendigung der
selben lam kommenden Donnerstag) das Kommando der 1. Di⸗ vision übernehmen. — Die Kaiserin von Oesterreich wird noch bis Ende nächster Woche in Feldaffing verweilen und sich hierauf direkt nach Ischl begeben.
Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Coburg, 21. Juni. In dem heutigen „Regierungsblatt“ ist eine Ministerial⸗ bekanntmachung publizirt, welche sich auf die Organi⸗ sation des Staats-Ministeriums bezieht. Nach der— selben werden die in den Sektionen der Abtheilung des Staats-Ministeriums zu Gotha behandelten Geschäfte vom 1. Juli d. J. ab von dem Wirkungskreis des Staats-Mini⸗ steriums abgezweigt und besonderen verantwortlichen Depar— tementschefs übertragen. Die gothaische Abtheilung des Staats— Ministeriums zerfällt von dem erwähnten Tage an in 4 DDeparte⸗ ments, und es verbleibt demnach dem Staats-Minister, neben dem Rechte der Oberaufsicht über das Ganze, die Leitung des ersten Departements, in dessen Ressort alle diejenigen Ange⸗ legenheiten fallen, welche bisher als Präsidialreservate in der ersten Sektion behandelt wurden. Zugleich sind den 3 De—⸗ , m . der gothaischen Abtheilung und dem der hie— igen Abtheilung Prädikatserhöhungen zu Theil geworden. Die Geh. Staatsräthe Samwer und Rofe wurden zu Geh. Räthen sowie die Ministerial-Räthe Mönich und Frhr. von Wangenheim zu Staatsräthen ernannt.
Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 21. Juni. (Els. Lothr. Itg.) Der Kaiserliche Statthalter wird am Don— nerstag, den 23. d., den Kurort Karlsbad verlassen und sich zunächst nach Dresden begeben. Am 24. früh erfolgt die Weiterreise nach Berlin und von dort am. Sonntag Nach— mittag nach Topper. Das Befinden Sr. Excellenz ist ein durchaus befriedigendes.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 21. Juni. (Wien. Ztg.) Der Kaiser ist heute früh über Hainburg nach Bruck a. d. Leitha abgereist.
Die in dem Befinden des Prinzen August von Coburg im Laufe des gestrigen Tages bemerkbar gewordenen günstigen Symptome sind leider nicht von Dauer gewesen. Die den hohen Kranken behandelnden Aerzte haben sich ver— anlaßt gesehen, ein zweites Bulletin zu veröffentlichen, welches lautet: „Im Befinden Sr. Hoheit des Prinzen August von Coburg hat der Nachlaß der Heftigkeit der Krankheitserschei⸗ nungen nur kurz gedauert. Die Athemnoth ist wieder ge— steigert. Zeitweise Ohnmachtsanfälle trüben das Bewußtsein“. Die Professoren Bamberger, Widerhofer und Gustav Braun verweilen die ganze Nacht über an dem Krankenlager des hohen Patienten, da die neuerliche Wendung der Krankheit das Schlimmste befürchten läßt.
— 22. Juni. (W. T. B.) Der Kaiser hat fol⸗ gende Ergänzung der organischen Bestimmungen für den Generalstab anbefohlen: An der Spitze des Generalstabes steht ein höherer General mit dem Titel „Chef des Generalstabes“. Derselbe ist Chef des Ge— neralstabes für die gesammte bewaffnete Macht und steht per⸗ sönlich unter den unmittelbaren Befehlen des Kaisers. Er ist zugleich Hilfsorgan des Kriegs⸗-Ministers und richtet seine An— träge an diesen, ist jedoch auch befugt, über wichtige in das Ressort des Generalstabs gehörige Angelegenheiten durch den Kriegs-Minister an den Kaiser Vorträge zu erstatten und An— träge zu stellen.
Schweiz. Wie der „Bund“ aus zuverlässiger Quelle ver⸗ nimmt, wird der Bundesra th noch im Laufe dieser Session den eidgenössischen Räthen eine Botschaft vorlegen, in welcher eine partielle Revision der Bundesver fassung beantragt wird in dem Sinne, daß der Art. 64 bezüglich der Bundes⸗ kompetenz in Rechtssachen auch ausgedehnt werden soll auf den Schutz der Erfindungen durch Einführung des Patentsystems.
Grosibritannien und Irland. London, 21. Juni. (Allg. Corr) Aus Dublin wird geschrieben, daß die infolge der entschlosseneren Haltung der Regierung in voriger Woche eingetretene Besserung der Zu stäande in Irland seit⸗ dem Fortschritte gemacht habe. Hier und da werden zwar noch immer Ausschreitungen verschiedener Art verübt, allein Ruhestörungen und Widersetzlichkeiten gegen die Behörden kommen jetzt nur selten vor. Die Macht der Landliga scheint gebrochen zu sein, und allenthalben, wo die lokalen Despoten hinter Schloß und Riegel gebracht worden sind, macht sich ein gefügiger und duldsamerer Geist unter der Bevölkerung be⸗ merklich. Von einem „Strike“ gegen die Zahlung von Pachtgeldern ist nicht länger die Rede, und die Gerichtsvoll⸗ zieher können ihres Amtes walten, ohne auf Widerstand und Mißhandlungen zu stoßen. Der katholische Erzbischof von Dublin, Dr. Maccabe, hat einen Hirtenbrief erlassen, worin er die Hoffnung ausdrückt, daß die schwarzen Wolken, welche so lange über Irland hingen, sich bald verziehen werden.
— 23. Juni. (W. T. B.) Der Gouverneur von Helgo— land, Maxse, ist zum Gouverneur von Neufundland ernannt worden.
Frankreich. Paris, 22. Juni. (W. T. B.) Nach⸗ richten aus Marseille zufolge ist die Stadt wieder voll⸗ kommen ruhig. Mehrere italienische Familien seien in Begriff nach Italien zurückzukehren. — Dem „Temps“ wird aus Tunis telegraphirt, daß der Intendant des Bey sich mit Werthsachen in das engliche Konsulat geflüchtet habe. Der Bey verlange von ihm die Rückerstattung einer ihm ent⸗ wendeten Summe von einer Million und Rechnungelegung sür mehrere Jahre. ⸗ 966 ü ;
— (Fr. Corr.) Der General Cérsz berichtet dem Ge⸗ neralgouverneur von Algerien aus Saida, vom 20. Juni: Die eilige und überstürzte Flucht des Bu⸗Amema vor der Colonne Mallaret machte es dieser und der Colonne des Ge— neral Detrie unmöglich, die Verfolgung ke n , und sich noch tiefer in den Süden vorzuwagen. Diese Kolonnen sind also auf die ihnen angewiesenen Punkte zurückgekehrt und sollen jetzt für die Sicherheit des Tellgebiets und der Alsa⸗ pflanzungen gegen die Rebellen sorgen. —
Ein anderes Telegramm aus Sa ida berechnet die Ver⸗ luste der Franzosen in den letzten Gefechten auf 89 Mann und den materiellen Schaden, welchen die Insurgenten ange⸗ richtet haben, auf 600 000 Fr. —
Endlich wird aus Algier, vom 20. Juni telegraphirt:
Das „Petit Fanal‘ veröffentlicht eine Depesche aus Sidi Bel-⸗ Abbes, derzufolge 100 Mann, die dem Blutbade südlich von Saida entkommen waren, auf diesem Posten eingetroffen sind; diese Unglück= lichen hatten seit drei Tagen nichts gegessen. Die spanische Kolonie