1881 / 282 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 Dec 1881 18:00:01 GMT) scan diff

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nicht da wäre, würde ich ja mit einer selchen Entschiedenheit in diesen Kampf nicht eingetreten sein, da ich konfessionelle Stellungen nicht bekämpfe.

Der Herr Vorredner hat mir vorgeworfen und hat auch darin wieder den üblichen Mangel an Konsequenz bei mir entdeckt, daß ich diesen Kampf nicht fortgesetzt hätte, daß ich ihn eine Zeit hin⸗ durch mit Lebhaftigkeit betrieben und nachher fallen gelassen haͤtte. Nun jeder Kampf hat seine Höhe und seine Hitze, aber kein Kampf im Innern zwischen Parteien und der Regierung, kein Konflikt, kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt wer— den. Ich muß Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zweck, den Frieden zu erlangen; diese Kämpfe können sehr heiß werden, das hängt nicht immer von mir allein ab aber mein Endziel ist dabei immer doch der Friede. Wenn ich nun glaube, in der heutigen Zeit diesem Frieden mit mehr Wahrscheinlichkeit näher zu kommen, als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze entbrannte, so ist es ja an sich meine Pfücht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzuwenden und nicht weiter zu fechten, blos um zu fechten gleich einem politischen Raufbold, son⸗ dern ich fechte, um den Frieden zu erlangen. Kann ich ihn haben, kann ich auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahrhunderte hindurch gedauert haben, erlangen durch einen annehmbaren modus Vivendi, so würde ich pflichtwidrig han⸗ deln, wenn ich diesen Frieden nicht acceptiren wollte. Aber selbst wenn ich händelsüchtiger wäre und den Kampf fortsetzen wollte, so würde ich das haben aufgeben müssen, nachdem die Bundesgenossen, mit denen ich in une el. damals gefochten habe, mich verlassen haben, oder für ihre weitere Unterstützung von Preisen gefordert haben, die ich im Rückblick auf das Reich und das Land Preußen nicht gewähren konnte. Es berührt . dieselben Fragen, über die wir gestern reichlich diskutirt haben. enn ich zuletzt durch die Bewe⸗ gungen und Verschiebungen, welche innerhalb der liberalen Parteien vorgehen, die mir damals beistanden, jetzt aber nicht mehr, in die Alternative gestellt werde zwischen einer Annäherung an das Centrum und einer Annäherung an den Fortschritt zu optiren, so wähle ich aus staatsmännischen Gründen das Centrum. Das Centrum kann für den Staat sehr unbequem werden und ist es geworden, aber nicht so gefährlich, wie meines Erachtens der Fortschritt werden kann, wenigstens in den deutschen Provinzen nicht, in Polen ist es anders. Da wähle ich als Politiker, der zu einem Urtheile, zu einer Meinung verpflichtet ist, nothwendig das kleinere Uebel, wenn es eins ist ich will damit keine unhöfliche Bezeichnung verbinden was mir das kleinere erscheint. Ich will sagen, ich wähle die Seite, durch welche meiner Ansicht nach das Staatsschiff weniger periclitirt, sondern nur in seiner Steuerung einigermaßen genirt und gehemmt wird, ohne ge⸗ radezu Gefahr zu laufen. Sie sehen, ich lege auch hierin meine Ansicht offen dar, und ich bitte, Sie an das gestrige Bild erinnern zu dürfen, daß, wenn ich im Kampf gegen die Parteien und gegen die ununterbrochen sich drehenden Strömungen und Wirbel der Par⸗ teien am Steuerruder des Staates stehe, ich nicht alle Jahre, alle Tage und in jedem wechselnden Moment wie ein theoretischer Narr dasselbe thun kann, was ich vor fünfzehn Jahren etwa gethan habe, während eine vollständig veränderte Situation da ist, und wenn der Kampf. den ich pflichtmäßig vielleicht, ich, weiß nicht wie viel Jahre und, ich gestehe gern ein, mit der mir eigenen Lebhaftigkeit geführt habe, jetzt meines Erachtens nicht mehr am Platze, nicht mehr noth⸗ wendig ist. Ich ordne diese meine Lebhaftigkeit, wie ich glaube, im⸗ mer, vielleicht nach meinem gestern getadelten Temperament mitunter nicht schnell genug, doch dem mich beherrschenden Gesetz der salus publica bereitwillig unter.

Der Abg. Dr. Reichensperger (Crefeld) erklärte, er habe gestern durchaus nicht der ganzen linken Seite des Hauses den Stempel kirchenfeindlicher Gesinnung aufdrücken wollen. Es gebe hier sehr rühmenswerthe Ausnahmen, und er kenne welche nichts sehnlicher wünschten, als das

nde des Kulturkampfes, und also nicht zu den Gegnern des Kreuzes gehörten. Er habe auch keinen Religionskrieg schüren

wollen, der doch nur zwischen zwei Religionsparteien geführt werden könne, sondern nur auf den sich verschärfenden Gegen⸗ satz der Partei des Kreuzes und der Ungläubigen hingewiesen. Eine große Zahl von Professoren sei ja stolz darauf, sich von der Religion frei gemacht und diese Vorurtheile abgeschüttelt zu haben; man sehe sie auch nicht in der Kirche. Habe doch ein Professor in öffentlichem Vortrage das Gewissen für

eine physische Funktion erklärt. Es sei ein öffentliches Ge⸗ heimniß daß die „Denker“ vom praktischen Christenthum, von der Religion, die am Kreuze entstanden sei, nichts mehr wissen wollten, nur daß die Einen dies aufrichtig bekennten, während die Andern, um Niemanden vor den Kopf zu stoßen, mit mehr Vorsicht aufträten. Der Kampf mit ihnen solle aber nicht mit Schwert und Dolch geführt werden, sondern mit den Waffen des Geistes. Ob im deutschen Staatswesen christ⸗ liche oder christenfeindliche, pseudo⸗-heidnische Anschauungen maßgebend sein sollten, sei die große Frage, und er be⸗ haupte, daß die linke Seite 3 geneigt sei, das Christenthum für abgethan zu halten. Er sage das praktische Christenthum. Sprächen doch sogar ein⸗ zelne Sozialdemokraten von Christus als von einem erhabe— nen Philosophen. Wenn die Herren das Christenthum nenn⸗ ten, dann seien auch sie Christen. Der Abg. Virchow würde dem Kulturkampf nicht zugestimmt haben, hätte derselbe den Ausgang desselben gewußt. Nun, die Centrumsmitglieder hätten es wiederholt vorausgesagt, daß man bei den ersten Angriffen gegen die Kirche nicht stehen bleiben würde. Wenn übrigens der Abg. Virchow dem Reichskanzler Inkon— seguenz im Kulturkampf vorwerfe, so scheine derselbe nur zu bedauern, daß es nicht noch ärger gekommen sei. Seine Furcht vor der weltlichen Macht des Papstes begreise er sehr wohl von einem Manne, der mit seinen Freunden das höchste Vertrauen auf die physische Macht setze. Aber nur die more⸗ lische Macht vermöge zum Siege zu führen, und er glaube, die moralische Macht des Papstes habe niemals höher gestan⸗ den als jetzt, wo die Revolution und die moderne Kultur sich gegen denselben aufbäume, um ihn zu vernichten.

Der Abg. Dr. Hänel bemerkte, der Reichskanzler habe er⸗ klärt, daß derselbe es nach Lage der Sache den Interessen des Reiches und des preußischen Staates nicht für entsprechend halte, in das Materielle der Debatte selbst einzugreifen, und doch habe der Reichskanzler jedwede Auskunft über seine nächsten kirchenpolitischen Ziele verweigert. Er 55 in Folge dessen auch nicht naher auf die Sache ein und beschränke sich auf ein paar Worte der Abwehr. Der Reichskanzler rühme sich, daß er niemals Konflikte für eine nützliche Institution gehalten habe, daß er den Krieg nicht als Zweck, sondern

öchstens als Mittel billigen könne. Auch die linke Seite die⸗ es Hauses wünsche den Frieden, nur um die Bedingungen desselben und über die Art und Weise, wie man denselden zu einem dauernden machen könne, drehe sich der Streit. Daß dem Kanzler die Unterstützung des Centrums werthvoller sei, als die der Fortschrittapartei, sei eine Thatsache, die man be⸗ reits seit einem Jahre wisse. Es sei bekannt, daß in diesem Punkte die Politik des Reiche kanzlers seitdem eine wesentlich

ränderte sei. Es sei die Aeußerung des Kanzlers also keine neue Eröffnung, sondern nur die Konstatirung einer Situation, iber die sich jetzt Niemand mehr täuschen werde. Jedermann werde jetzt in der Lage sein, klare und sichere Stellung zu nehmen. Wenn der Abg. Windthorst behaupte, er (Redner)

hätte gestern einen Aufruf an das protestantische Bewußtsein gerichtet, so sei das einfach unrichtig. Er beziehe sich auf sein Stenogramm. Er habe nur eine Warnung ausge⸗ sprochen, und ihm scheine, als ob eine Warnung sehr wohl gestattet gewesen sei. Wenn dann der Abg. Reichensperger die Gegensätze von Gläubigkeit und Ungläubig⸗ keit betont habe, so wisse er nicht, welche Spitze dies haben solle. Daß diese Gegensätze beständen, so lange es überhaupt eine Geschichte des menschlichen Geistes gebe, wisse Jederniann; daß diese Gegensätze in der heutigen Zeit sich verschärft hätten, werde wiederum Niemand bestreiten. Daß viele Professoren Materialisten, Panteisten ja Atheisten seien, sei zweisellos. Daß umgekehrt Professoren gläubige Christen seien und diesen Standpunkt wissenschaftlich vertheidigten, sei eine andere That—⸗ sache. Die Konklusion des Abg. Reichensperger gehe offenbar dahin, daß die religiöse Ueberzeugung auch auf die poli⸗ tische Parteigruppirung von Einfluß sei. Es sei ein⸗ fach unwahr, daß nach den verschiedenen Nuancirungen der Gläubigkeit oder Ungläubigkeit die politische Parteigrup— pirung vor sich gehe. Es sei dies eine falsche Behauptung, die durch ihre Wiederholung nicht wahrer werde. Jedenfalls sei damit eine ganz bestimmte Absicht verbunden. Was seine eigene Stellung zum Christenthum betreffe, so könne ihm Nie⸗ mand nachweisen, daß er irgendwo in seinem öffentlichen Leben, sei es in seinem politischen oder in seinem wissenschaft⸗ lichen öffentlichen Auftrtten, jemals sich gegen das positive Christenthum oder aber gegen den historischen Protestantismus erklärt habe. Nur der Nachweis sei möglich, daß er sich gegen jene katholisirende Richtung in dem Protestantismus mit Ent— schiedenheit erklärt habe, weil er die evangelische Intoleranz und den evangelischen Jesuitismus allerdings noch viel mehr hasse und verabscheue, als wenn derselbe unter katholischer Firma auftrete.

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Ich muß mich von Neuem gegen den ungerechten Vorwurf eines willkürlichen oder schnellen Wechsels meiner Ueberzeugungen ver— wahren, der in keiner Rede von jener Seite gestern und heute mir erspart geblieben ist, und den ich in keiner Rede vorübergehen lassen werde, ohne ihn zu berichtigen. Der Herr Vorredner hat gesagt, meine Stellung zu den Parteien ki von mir wesentlich verändert worden. Er hat das mit Bezug auf meine Aeußerung gesagt, daß ich von den Bundesgenossen, die ich gehabt hätte, verlassen worden sei. Zu diesen Bundesgenossen habe ich nun die Fortschrittspartei niemals zählen können. Der Herr Vorredner wird nicht von mir behaupten können, a in meinem ganzen politischen Leben ein Moment existirte, wo ich mi in irgend einer Intimität mit der Fortschrittspartei befunden hätte, die ich hätte aufgeben können. In allen meinen Bestrebungen, und zum Theil erfolgreichen, im preußischen Landtag und im Deutschen Reichstag, habe ich immer und unwandelbar die Fortschrittspartei zu Gegnern gehabt. Sie hat immer versucht, das zu verhindern, was ich erstrebt habe; ich habe sie immer auf der gegnerischen Seite ge⸗ funden. Ich kann mich also in der Beziehung nicht geändert haben; Sie haben mich die Farbe der Unterstützung, die ich 6 haben soll, nie kennen lernen lassen. Der Herr Vorredner hat also Unrecht, zu sagen, ich hätte erklärt oder es lage überhaupt vor, daß ich, zwischen der Unterstützung der Fortschrittspartei und der Unter stüͤtzung des Centrums wahlen sollend, die des Centrums vorzöge. Ich darf gar nicht sehr. wählerisch sein in den Unterstützungen, ich bin verpflichtet, wenn ich das Wohl des Reiches erstrebe oder zu erstreben glaube, die Unterstützungen anzunehmen, die mir gewährt werden. sage nur, wenn ich mich in einem gewissen Maße zu einer Heerfolge mit einer Fraktion engagiren soll, daß ich dann die Wege des Centrums für weniger reichsgefährlich halte, als die der Fortschrittspartei, weniger gefährlich für unsere monarchische Ord— nung. Die Unterstützung des Centrums habe ich selten gehabt, aber doch in einer sehr wichtigen Frage, in der Zollfrage, und von da ab wurde die Aenderung in der . der liberalen Fraktionen zu mir definitiver, die im Frühjahr 1878 begann, wo man mich für die Unfolgsamkeit strafte und mir Sukkurs entiog, mich politisch aus⸗ zuhungern bemüht war, um mich folgsam zu machen. Das wurde dadurch besiegelt, daß im Jahre 1875 mit den Liberalen über diese Zollsache nicht zu verhandeln war, ohne, wie ich vorher sagte, einen Preis dafür zu zahlen, den ich nicht geben wollte, während das Centrum aus blos sachlichem Grunde seine Unterstützung anbot, ohne andere Bedingungen, als formelle zu stellen. Ja, meine Herren, man gewinnt auf eine Regierung nicht Einfluß dadurch, daß man sie be⸗ kämpft, reizt, beschimpft, sondern man gewinnt Einfluß dadurch, daß man sie unterstützt. Diejenigen Regierungen, die fuͤr den Druck, ür Grobheit, möchte ich sagen, empfänglicher sind, als für Unter kilzung en taugen überhaupt nicht viel. Das sind wie ich sie gestern nannte, die Höflinge der Majorität, die Registratoren der Majoritãät. Solche Leute können Sie in untergeordneten Schichten finden, die blos fragen: wie fällt die Ma—⸗ jörität aus, der werden wir gehorsam sein ohne Kopfzerbrechen; es wird abgezählt: 150 gegen 140, was nun dem Staate nützlich ist, darüber bildet man sich kein Urtheil, das hängt allein von der Majoritätsfrage ab. Es wird abgezählt, das ist so ungemein bequem, dazu brauchen Sie keine Männer von Fähigkeit, von Diensteifer oder von derjenigen Sachkenntniß, die auch an mir von Ihnen so sehr ver⸗ mißt wird, dazu brauchen Sie mich nicht, dazu brauchen Sie einfache Protokollführer der Majorität, denn der Bvzaminismus ist in unseren Zeiten nie so weit getrieben worden, als in der Anbetung der Ma⸗ joritãäten, und die Leute, die der Majorität unter Umständen fest ins Auge sehen und ihr nicht weichen, wenn sie glauben im Rechte zu sein, die finden Sie nicht sehr häufig, aber es ist immerhin nützlich, wenn der Staat einige davon im Vorrath hat. Wenn ich vorher von der le , n. gesprochen habe, die ich früher hatte, und die ich verloren habe, so habe ich damit gar nicht die Fortschrittspartei gemeint, sondern die nationalliberale Partei. Allmählich ist in ihr der linke Flügel der stärkere geworden, vielleicht ist er auch der beredt⸗ samere, und die Beredtsamkeit hat ja ein viel größeres Gewicht, als sie eigentlich in politischen Dingen verdient; denn es ist nicht immer geschrieben, daß der beste Redner auch der beste politische Urtheiler wäre. Ich habe das schon im vorigen Jahre zu sagen Gelegenheit ge⸗ habt, und ein Ministerium, zusammengesetzt aus lauter Leuten, die auch nur so viel sprechen, wie ich, würde schon dadurch unbrauchbar sein. Ich fühle, daß ich darin sündige; ich verlasse keine Sitzung ohne eine gewisse Beschäͤmung. daß ich eine erhebliche Zeit meiner und Anderer mit Reden, die die Sache selbst weiter nicht fördern, verbracht habe. Aber, meine Herern, Sie können von einem Minister doch nicht verlangen, daß ich hier dabei sitze und hier bleiben muß ich, weil mein Ftat zur Berathung steht und nun ruhig mit anhöre, daß jeder Redner seine sachlichen Darlegungen mit einigen Hieben gegen den Reichskanjler, seine Vergangenheit, das, was er gfsagt hat, dat, was von ihm zu erwarten ist, verbindet, und ich soll mich ruhig schlagen lassen! Das bin ich nicht gewohnt, ich schlage wieder, wenn ich geschlagen werde. Dann heißt es in den Blattern, der Reichs- kanzler allein habe darüber ist Alles einig die Debatte von dem sachlichen Gebiete auf das persönliche geführt. Ich muß dagegen sagen, dazu habe ich mich nicht vermiethet, daß ich mich injuriiren lasse, sondern ich wehre mich und antworte; aber dann suchen Sie die Ursache, warum die Sachlichkeit aufhört, in den Spitzen und Hie⸗ ben, die gegen mich eingeflochten werden in den sachlichsten Debatten. Lesen Sie doch den Ursprung unserer dreitägigen Debatte hier nach! Wie bin ich denn hereingejogen? Immer durch die Sxitzen, die gegen mich geschleudert werden; ehe ich wußte, was die Tagegordnung war, habe ich schon solche Angriffe 2 gehabt. Das werde ich immer thun. Sie können mich bis ju einem gewissen (Grade ermüden und aufreiben, aber so lange meine Kräfte reichen, sechte ich, und ich

bitte Sie doch auch, daß Sie nicht blos die Leistungen der Abwehr und der Vertheidigung zählen und öffentlich besprechen, sondern auch die Angriffe. Das ist ja bei den Kämpfen unter erwachsenen Leuten zwar seltener als unter den anderen Theilen unserer Familien der Fall, daß Jeder sich nur der Schläge erinnert, die er empfängt, aber nie derer, die er gegeben hat.

Der Abg. von Kleist⸗Retzow erklärte, es sei den Liberalen nicht gelungen, durch diese Debatte Zwietracht zwischen den Konservativen und dem Centrum zu erregen. Auch die große Lärmtrommel des protestantischen Bewußtseins habe auf seine Partei keinen Eindruck gemacht. Der Abg. von Bennigsen habe im Vorjahr hervorgehoben, daß hier die Etats berathungen stets durchaus sachlich verlaufen seien. Was habe man denn aber hier in den letzten 3 Tagen gethan? Die Abgg. Richter, Hänel und Virchow hätten sich nur in persönlichen Angriffen er⸗ gangen und die Debatte immer wieder auf ein Feld geführt, das von der Tagesordnung weit entfernt gewesen sei. Diese Herren müßten endlich einmal festgenagelt werden, wie man gewisse Thiere an das Scheunenthor annagele.

Der Präsident von Levetzow erklärte, er könne den letzten Ausdruck nicht für parlamentarisch erachten und rufe den Redner deshalb zur Ordnung.

Der Abg. von Kleist⸗Retzow (fortfahrend): Habe denn der Abg. Virchow, der Erfinder des Wortes „Kulturkampf“ ver⸗ gessen, daß die gane deutsche Kultur auf dem Christenthum beruhe? Die Liberalen hätten dem Reichskanzler gegen seinen Willen die Civilehe aufgedrängt und nicht zum Mindesten die Einführung dieser Institution habe dem Kampfe jene verhängnißvolle Bitterkeit gegeben. Das Wesen des deutschen Volkes beruhe auf der innigen Durch⸗ dringung des ganzen Lebens mit dem Christenthum. Dem⸗ 8 habe hei Gelegenheit des Unfallgesetzes der Abg.

ichter den Einfluß des Christenthums auf die Gesetzgebung geradezu bestritten. Weil die Linke meine, es könne eine glückmachende Gesetzgebung ohne einen solchen durchdrin⸗ genden Einfluß des Christenthums zu Stande kommen, deshalb hätten die Konservativen die Linke bekämpft. Dagegen freue er sich der Botschaft und des darin enthaltenen Ausspruchs, daß es darauf ankomme, die Gesetzgebung wieder auf die sitt⸗ lichen Grundlagen des deutschen Volkslebens zu stützen.

h f, ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck as Wort:

Ich will nur eine faktische Angabe meines verehrten Freundes, der sseben die Tribüne verläßt, richtig stellen. ö

Die Civilehe, sagte er, sei mir durch eine Fraktion aufge⸗ drängt worden. So haͤngt es faktisch nicht zusammen, und der Herr Vorredner würde den richtigen Zusammenhang erfahren haben, wenn nicht eben damals wie er schon darauf anspielte die diploma—⸗ tischen Beziehungen zwischen uns abgebrochen gewesen wären. Ich bin nicht durch eine Fraktion, sondern durch meine damaligen Kollegen im preußischen Ministerium zu diesen Konzessionen bewogen worden, die mir erklärten, sie würden zurücktreten, wenn ich die Unterzeich⸗ nung weigerte. Da ich in Varzin krank lag, zum Theil krank an Gemüthsbewegung über den damaligen Konflikt, den ich mit der kon⸗ servativen Partei hatte, und nicht im Stande war, Sr. Majestät dem König von dort aus ein anderes Ministerium zu bilden, so mußte ich sagen: in diesem Augenblicke halte ich das Uebel eines Minister⸗ wechsels für ein größeres, und habe so, nachgebend, meine von Berlin aus wiederholt urgirte Zustimmung ertheilt.

Der Abg. Dr. Virchow bemerkte, mit Durchführung der Civilehe habe der Reichskanzler doch nichts Anderes gethan, als was die preußische Verfassung vorschreibe. Er und seine politischen Freunde hätten erwartet, daß dem Kanzler damit nichts Fremdes geboten werde, da dies doch eines der seinem Ministerium gestellten Ziele gebildet habe. (Fürst Bismarck: „Ich habe es nur mit Widerstreben gethan!“ Nun, der Reichskanzler sei auch für die von ihm mit Widerstreben ge⸗ troffenen Maßnahmen verantwortlich; derselbe könne sich sei⸗ ner Verantwortlichkeit nicht dadurch entziehen, daß er sage, er habe etwas ungern gethan. (Fürst Bismarck: „Thue ich auch nicht!“ Der Reichskanzler habe gemeint, zwischen ihm und der Fortschrittspartei habe nie eine Intimilät be⸗ standen. Möge der Kanzler gestatten, daß er dessen Gedächtniß etwas zu Hülfe komme. Vielleicht er⸗ innere der Kanzler sich, daß der erste folgen⸗ reiche Schritt in der Kulturkampfgesetzgebung, das Schulauf⸗ sichtsgesetz, nur durch die Stimmen der Fortschrittspartei er⸗ möglicht worden sei, es habe damals eine Zeit gegeben, wo auch die Regierungspresse mit Anerkennung von seiner (des Redners) Partei gesprochen habe. Auch darauf möchte er hinweisen, daß der Kanzler während der ganzen Zeit, wo er, bestimmt durch seine Kollegen die neue Handelsgesetzaebung gefördert habe, die Fortschrittspartei immer auf seiner Seite gefunden habe und sie ihm treue Bundesgenossin gewesen sei. Wenn der Kanzler sich nun geändert habe und die Fort⸗ schrittspartei nicht, so möchte er denselben bitten, daß er die Fortschrittspartei nicht für theoretische Narren halten möge; seine Partei pflege sich, namentlich einer so bedeutenden Auto⸗ rität gegenüber wie der des Reichskanzlers, in jedem einzelnen nr recht ordentlich zu prüfen, ob sie auch den rechten

eg gehe. In der Angelegenheit des Kulturkampfes scheine sich der Reichskanzler ursprünglich kein hohes Ziel gesteckt zu haben, sonst verstehe er dessen Wechsel nicht. Den Herren von der Nechten mit ihrer Theologie könne er in dieser Ausführlichkeit nicht antworten. Die Reichenspergersche Apostrophe eines Professors über die mechanische Erklärung des Gewissens habe er nicht verstanden. Sollte dieselbe auf ihn Bezug haben, so müsse er das ablehnen. Er habe weder das Gewissen noch das Bewußtsein überhaupt auf einen mechanischen Ursprung zurückgeführt, sondern immer betont, daß man damit bei einem Punkte stehe, wo das Wissen des Menschen zu Ende sei. Darüber hinaus trete die Religion in ihre Rechte. Das sei seine Ansicht von Toleranz. Es sei eine sonderbare Auffassung, die ganze Kultur Deutschlands als auf dem Boden des Christenthums stehend zu betrachien. Sie stehe guf dem Boden der allgemeinen mensch⸗ lichen Entwickelung. Was die Rechte Naturalismus nenne, nenne seine Partei Humanismus. Auf dem Grunde dieser humanen Entwickelung könnten auch die Religionen bestehen, sofern sie sich nur nicht durch hierarchische Gelüste leiten lie⸗ ßen. Das deutsche Volk habe schon eine große Herrschast ge⸗ habt, als es vom Christenthum noch gar nichts gewußt habe: vor der KFenntniß des Christenthums habe es Rom nieder⸗ geworfen. Komme das Volk erst hinter die wahren Absichten der Rechten, sehe es erst ein, daß die Rechte doch nichts An⸗ deres, als neue klerikale Organisationen schaffen wolle, dann könne sie sicher darauf rechnen, daß ö Zeit vorüber sei.

Der Abg. Freiherr von Minnigerode erklärte, solche Worte, wie f er Vorredner geäußert habe, seien nur ge⸗ eignet, die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Negie⸗ rung, Centrum und Konservativen näher zu rücken. Selhst das Wort „Bündniß“ könne die Konservativen nicht ab⸗

schrecken. Wenngleich die kirchlichen und sozialen Verhältnisse

viele Anknüpfungspunkte zwischen beiden Parteien böten, herrschten dennoch mannigfache Gegensätze. Wenn die Linke da gleichwohl von einem Bündniß sprechen wolle, gut! Aber möge die Linke mit diesem Worte vorsichtig sein; man könnte dasselbe sonst leicht auf die engen Beziehungen anwenden, die zwischen der Fortschrittspartei und der Volkspartei bestehen. Ob der Fort⸗ schrittspartei das genehm sei, wisse er nicht; die Thatsache sel⸗ ber werde dieselbe nicht ableugnen. Der Abg. Virchow habe der Reli⸗ gion in der modernen Civilisation die Rolle eines geduldeten Faktors zugewiesen. Den Liberalen möge diese Art der To⸗ leranz sehr angenehm sein. Die Konservativen würden aber auf dem Standpunkt, daß sie die sozialen Institutionen Deutsch— 2 auf dem Boden des Christenthums weiter entwickeln wollten.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, die Beziehungen der Fortschrittspartei zur Volispartei seien keine anderen, als sie Jahre lang zwischen diesen Parteien in diesem Hause bestan⸗ den hätten. Das Citat des Abg. von Kleist aus seiner Rede zum Unfallgesetz sei unrichtig. Er habe ausdrücklich betont, daß zwar alle Kultur Deutschlands auf dem Christenthum ba— sire, daß aus diesem sich aber keine Normen für eine staat— liche Gesetzgebung entnehmen ließen. Das sei doch etwas wesentlich Anderes, als ihm imputirt sei.

Hierauf wurde die Debatte geschlossen. Persönlich be⸗ merkte der Abg. Frhr. von Minnigerode: Wenn das Ver⸗ hältniß des Fortschritts zur Volkspartei sich nicht geändert

haben sollte, so könne er nur konstatiren, daß die Beziehungen

der Genossen des Abg. Richter zur Demokratie noch die alten seien. Hiermit war die Berathung dieses Kapitels erledigt. Titel 1 des Auswärtigen Amtes wurde genehmigt, ebenso die anderen Titel ohne Diskussion. Die Gesammtsumme des

Kapitels 4 beträgt 1 132 610

Kapitel 5 handelt von den Gesandtschaften und Kon— sulaten und fordert sür dieselben in 1 Titeln 5 1096 9000 Die Titel 1— 28 wurden ohne Diskussion genehmigt.

Bei Tit. 29 (Besoldungen der Konsulats⸗Veamten) wies der Abg. Kapp . die geringen Anforderungen hin, die das Konsulatsgesetz in der Nr. 2 des 5.7 an die Vorbildung der Berufskonsuln sielle. Während die Nr. J ein akademisches Triennium und eine öjährige praktische Vorbereitung im Gerichts⸗ und Konsulatsdienst erfordere, begnüge sich die Nr. 2 mit einem bloßen Examen. Das sei durchaus inkonsequent; auch diene die Nr. 2 wesentlich nur dazu, Leuten mit Pro⸗ tektion, die in anderen Karrieren gescheitert seien, die Konsularlaufbahn zu eröffnen. Für die Interessen des Reiches sei dies nicht förderlich. In so exponirte Stellungen, wie sie der Konsul häufig einnehme, gehörten Männer von erprobter Tüchtigkeit und praktischer Erfahrung. Redner rügte sodann die verhältnißmäßig geringe Anzahl von Berufskon⸗ suln, die durch Wahlkonsuln meistentheils nicht im Entfern⸗ testen ersetzt zu werden vermöchten. Eine Vermehrung der⸗ selben namentlich in dem für die Interessen des deutschen Verkehrs so wichtigen Nordamerika sei dringend geboten. Er vermisse Berufskonsuln in New-Orleans, in Phila⸗ delphia, in Boston. Die erforderlichen Kosten würden sich leicht durch Zuweisung von Einnahmequellen an die Konsuln, beispielsweise durch Schaffung einer Fakturengebühr, auf⸗ bringen lassen.

Der Bundesrathskommissar Geh. Legations-Rath Göring wies dem ersten Punkte gegenüber darauf hin, daß die Reichs⸗ regierung s. Z. sich ablehnend gegen die Nummer 2 des §.7 des Konsulatsgesetzes verhalten habe; da es sich aber jetzt hierbei um etwas Bestehendes handle, so könne er die Initia⸗ tive der Regierung im Sinne einer Abänderung nicht ver⸗ sprechen. Die Anregung bezüglich der Vermehrung der Be⸗ rufskonsulate werde in Erwägung genommen werden.

Der Abg. Sonnemann erklärte sich für eine sehr erheb⸗ liche Vermehrung der Berufskonsulate, nicht blos in Nord⸗ amerika, die durch tüchtige Fachmänner bestellt werden müßten. Das Opfer an Kosten für diesen Zweck würde reichlich auf⸗ gewogen durch die Förderung des deutschen Exports. Ein Kaufmann, der neben seinem Geschäft noch Konsul sei, sei wenig zu dem geeignet, was heute zu Tage von einem Konsul verlangt werde. In den Tropenländern sei derselbe froh, wenn er sein Tagewerk vollendet habe, für öffentliche Interessen habe er keine Zeit, sein Geschäft habe derselbe vor Allem im Auge und sein Streben sei, sobald er etwas erworben, so schnell als mög⸗ lich nach Europa zurückzukehren. Ausnahmen gebe es allerdings. Der deutsche Konsul in Zanzibar sei Prokurist in einem dortigen Hause, während Amerika, England und Frankreich dort Be⸗ rufskonsuln hätten; zugleich übe derselbe das Richteramt aus, derselbe könne also in die Lage kommen, über seinen eigenen Chef zu Gericht zu sitzen, und nähme sich nicht gut aus neben den anderen Berusskonsuln, die die Gerichtsbarkeit ausübten. Wo der Konsul zugleich die Gerichtsbarkeit ausübe, müßte der⸗ selbe durchaus und immer ein Berufskonsul sein. Amerika habe fast nur solche, und er wisse aus seiner Heimath, wie eifrig sie sich nach jeder Kleinigkeit erkundigten, wie sie die wirthschaftlichen, industriellen und Finanzverhältnisse Deutsch⸗ lands studirten, darüber häufig Berichte nach Hause schickten, die nicht, wie in Deutschland, nach einem Jahr, sondern sosort gedruckt und durch die Presse veröffentlicht würden. Frankreich verführe nicht nur in der gleichen Weise, sondern ordne seinen erufskonsuln noch technische Fachmänner bei, welche die Industrien der Länder studirten, nach welchen Frankreich berelts exportirt oder wo es sich erst einen Markt schaffen wolle. Von alledem sei in Deutschland noch wenig zu sehen. Wenn man diese deutschen Berichte der letzten Jahre durchsehe, so finde man darin manches Gute, manches komme aber auch zu spät; namentlich die Details, welche für die betreffenden Industrien allein nütz⸗ lich wären, um denselben die Konkurrenz zu erleichtern, seien in den Berichten nicht enthalten. Dagegen werde ungeheuer viel Raum verschwendet, um die Klagen über mangelbaste Verpackung ꝛc. zu wiederholen. Wenn dag in den amtlichen Berichten so oft wiederholt werde, so schade es der In⸗ dustrie. Das müßte man Alles zusammenstellen in einem Pie und es den Industriellen, welche es wünschten, zug en,

enn wenn man es an die große Glocke an so schlage das Ausland daraus Kapital gegen Deutschland. In den Konsularberichten aus allen Enden der Welt werde dann ge⸗ sagt, daß die deutsche Dampsschissahrt ohne Subvention nicht bestehen könne. Daß diese Idee in Canton, Shangai, Lima u. s. w. zu gleicher Jeit austauche, sinde er einigermaßen auf⸗ fallend. Aber in dem Augenblicke, wo sich in Bremen ohne Subventlon eine neue Dampsschiffahrtsgesellschast

lde, an deren Spitze die Leute ständen, welche Hrn. von Kusserow als Kandidaten präsentirt hätten, sollte

man das Geld statt für Subventionen lieber sür die Errichtung von Berufskonsulaten verwenden. Er habe nicht mit dem Abg. Kapp gesprochen, aber er sei fast auf dieselben Städte gekommen: auf New⸗Orleans, Philadelphia, ferner auf Baltimore und Boston. Gerade den nordamerikanischen Verhältnissen müsse man in der nächsten Zeit große Aufmerk⸗ samkeit zuwenden; dazu reichten die deutschen jetzigen Konsulate nicht aus. Weder in Canada, noch in Peru, Thile, in Städten wie Bombay und Calcutta, sowie in einer ganzen Reihe von Handelsplätzen, die für den deutschen Handel ganz erheblich in Betracht kämen, befänden sich Berufskonsulate. Wenn man einige Millionen aus dem deutschen Budget auf sie verwenden würde, so würde dies ein sehr gutes produktiv an⸗ gelegtes Kapitel sein. Theilweise könnten auch diese Ausgaben durch die Einnahmen der Konsulate gedeckt werden. Auch er müsse konstatiren, daß es den Konsuln weniger an theoretischer Vorbildung als an der Ausbildung im praktischen Leben zu fehlen scheine. Dem Reichskanzler, der die Ausbil— dung des praktischen Lebens so sehr betont habe, möchte er zur Erwägung anheimstellen, ob es sich nicht empfehle, die Konsuln nach Beendigung des akademischen Studiums praktisch in einem Fabrikort oder in einer Hafenstadt, arbeiten zu lassen. Einen bestimmten Antrag wolle er nicht stellen, aber er hoffe, daß auch so die Anregung, die heute aus dem Hause gegeben sei, auf fruchtbaren Boden fallen werde.

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Ich bin zu überrascht über die seltene Thatsache, mich mit dem Herrn Vorredner über eine Frage in voller Uebereinstimmung zu be⸗ finden, um nicht dieser Ueberraschung Ausdruck zu geben.

Der Vorschlag, den er am Schlusse seiner Rede machte, ist von mir bereits vor Jahr und Tag für den Reichsdienst überhaupt an⸗ geregt worden. Ich bin nur durch Krankheit und Ueberhäufung mit anderen Geschäften verhindert worden, ihm so weit Folge zu geben, daß er in Oeffentlichkeit zu bringen war, vielleicht auch dadurch, daß, außer bei mir, der Gedanke keinen sehr lebhaften Anklang in den amtlichen Kreisen gefunden hat; aber ich werde ihn nicht aufgeben und werde ihn in der Art verfolgen, daß im Reichsdienst, für das⸗ jenige, was ich im Allgemeinen die Assessorenqualität nenne, für welche sich im auswärtigen Dienste Korrelate befinden, eine zeit- weise Beschäftigung im praktischen Leben nothwendig wird, und fast gerade mit den Worten wie der Herr Vorredner habe ich diesem meinem Gedanken Ausdruck . daß in einem kaufmännischen Geschäft, in einem industriellen oder Bankgeschäft, in einem über— seeischen Konsulate, in einer Landwirthschaft, kurz in einem Zweige der Praktisch produzirenden Lebensthätigkeit die Beamten mindestens ein Jahr lang beschäftigt gewesen sein sollen, bevor sie sich zum Examen melden, und 37 dieses Studium, diese Form der praktischen Vorbereitung in die Bestimmungen aufgenommen werden, die bisher darüber gelten, sollte auch deshalb die eigentliche Bureauarbeit, die bisher zur Vorbereitung erforderlich ist, um ein Jahr vermindert werden. So viel ich melß und das hat mich eben ermuthigt, habe ich bisher auf dem Reichsgebiet darin ziemlich freie Bewegung, die im . Dienst für das Ministerium nicht, vorhanden ist, und ich glaube deshalb, daß die Herren in kurzer Zeit wenigstens Entwürfe als , . Ergebniß der seit Jahr und Tag von mir angeregten Vorbereitungen kennen lernen werden.

Der Abg. Kochhann bemerkte, die möglichst zahlreiche Um⸗ änderung von Wahlkonsulaten in Berufskonsulate begrüße auch er mit Freuden. Es sei nothwendig, daß die Konsuln nicht nur mit den industriellen und kommerziellen Verhält— nissen, sondern auch mit denen des Auslandes vertraut seien. Die praktischen Amerikaner seien den Deutschen darin weit überlegen. Sollte es sich nicht empfehlen, junge Männer, die eine technische Hochschule absolvirt hätten, den Konsulaten in großen Industriecentren, z. B. in Vrüssel, London, Paris und Washington zu überweisen, damit sie über jede neue Erfindung des Auslandes sofort in die Heimat berichteten. Die immer wiederkehrenden herben Tadel über einzelne Fehler der deut⸗ schen Industrie in den Konsulatsberichten hätten manche In⸗ dustrielle verletzt und dem deutschen Export geschadet.

Darauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck wie folgt das Wort:

Ich theile die Auffassung des Herrn Vorredners und bemerke, daß ich nach dieser Richtung hin über das Stadium dieser Anregung be— reits hinausgegangen bin, und wenn Gesundheit und Zeit es gestatten, hoffe ich noch damit ins Leben treten zu können, ehe der Reichstag wieder zusammentritt, und ich betrachte die Aeußerungen der letzten beiden Vorredner zugleich als eine Aufforderung an mich und an alle 1 Mitarbeiter, die Bestrebungen nach dieser Richtung hin zu aktiviren.

Der Abg. Dr. von Bunsen erklärte, er halte es für richtig, daß man rücichtslos auf die Fehler und Mängel hinweise, die den deutschen Export schädigten. Die Regierung verdiene Dank dafür, daß sie die Hand in die offenen Wunden lege. Schlimmer als die Fehler der Verpackung und dergleichen seien die moralischen Fahr, die beim deutschen Exporthandel leider zuweilen zu Tage getreten seien, daß nicht reell geliefert

erde, daß im oberen Theil der Kisten gute und unten schlechte Waaren gelegen hätten. Er möchte der Reichsregierung ferner die Thatsache ans Herz legen, daß Deutschland in ganz Afrika nur drei Beruffonsulate habe. Auf der Ost⸗ küste wäre schon jetzt, auf der Westküste bald die Einrichtung von Berufskonsulaten nothwendig. In Zanzibar bestehe ein gar nicht zu verachtender deutscher Handel, der sich auch nach Madagaskar hin erstrecke. Man zolle dort der Thätigkeit deutscher Kaufleute gegenüber den anderen Nationen große Anerkennung. Die Europafreundlichkeit des Sultans von Zanzibar sei bekannt, derselbe besinde sich aber in großer Ab⸗ hängigkeit von dem englischen Berufskonsul; derselbe würde an einem deutschen Berufskonsul oft einen erwünschten Nück⸗ halt gegen die unbequemen Forderungen des englischen Kon⸗ suls haben. ̃

Der Abg. Meier (Bremen) entgegnete, er sei gewisser⸗ maßen in Verlegenheit, daß er den Anschauungen verehrter Freunde in einigen Punkten entgegentreten müsse. Der Vor⸗ schlag des Abg. Kapp, jede Faktura mit einem Certisikat des Konsulats zu versehen und so die Kosten für die Verufs⸗ konsulate zu decken, scheine ihm doch bedenklich. Die Kosten dieser Certisilate lönne der Handel wohl tragen, aber die da⸗ durch entstehende Velästigung des Verkehrs würde sehr bedeu⸗ tend sein. Der Werth 62 Verusskonsuln werde doch wohl überschätzt. In Fallen, wo es sich um Jurisdiktion handele, möchten sie ja unentbehrlich sein, aus eigener Erfahrung aber wisse er, daß mit Ausnahme der ganz großen Handelsplätze die Thätigkeit der Konsuln ost eine recht geringe sei. In Nio, wo doch auch ein lelhaster Handel sei, verstehe ein Wahlkonsul sein Amt sehr gut. Es fehle den erufe lonsuln doch die praktische Vorbildung, und man müsse es mit Freuden begrüßen, daß der Reichskanzler eine solche in Augssicht gestellt habe. Auch der Hinweig auf die „praktischen Amerikaner“ scheine ihm versehlt. Es sei doch bekannt, daß die amerika⸗ nischen Konsuln alle 4 Jahre wechselten, da diese Aemter als Velohnungen sür Parteigänger bei den Präsidentenwahlen

vergeben würden. Wie könne man den Deutschen das als Muster aufstellen! Er lese auch die Berichte der amerikanischen Konsuln in Deutschland und könne dem Hause die Versicherung geben, daß mancher derselben die Heiterkeit des Hauses erregen würde. Die Tüchtigkeit hänge schließlich doch nur von der Persönlichkeit ab, ob Berufs⸗ ob Wahlkonsul, komme erst in zweiter Linie.

Der Abg. Dr. Bamberger bemerkte, die letzten Bemer⸗ kungen hätten ja ein sehr erfreuliches Bild dargeboten im Gegensatz zu dem, was hier in den letzten Tagen erlebt sei. Gerade jetzt fühle er sich veranlaßt, seinen verehrten Freund Meier (Bremen) zu unterstützen, obwohl er sich ja in politicis ein klein wenig von ihm geschieden habe. Alles, was durch die Konsulate und ihre Berichte und Leistungen gethan werden könne, möge recht schätzenswerth sein, aber es ersetze durchaus nicht das, was die persönliche Thätigkeit der Handel⸗ und Gewerbe⸗ treibenden leisten müsse. In Bezug auf die Certifikate pflichte er dem Vorredner bei. Mit Recht habe der Abg. Sonnemann sich darüber beklagt, daß von Konsuln Berichte in die Welt hinausgeschickt würden, welche sich absprechend über ge⸗ wisse Handelsmanipulationen in Deutschland beklagten. Man solle ja bei öffentlichem Tadel Maß halten, aber die Kunst Uebelstände zu beseitigen, ohne sie zu tadeln, sei noch nicht erfunden. Wenn der Abg. Sonnemann vertrauliche Mit⸗ theilungen vorschlage, so möge derselbe es ihm nicht übel nehmen, wenn er sage, es werde nicht 8 Tage dauern, so würde derselbe die vertrauliche Mittheilung in die „Frank— furter Zeitung“ setzen. Wolle man die Industriellen vor einer gewissen Immoralität in ihrem Betrieb warnen, so müsse man es öffentlich thun, dann werde es besser werden, dann werde die Welt auch mehr Vertrauen zu Deutschland fassen. Die Regierung dürfe solche Dinge nicht vertuschen. Betreffs der Be⸗ rufskonsuln dürfe man auch nicht übertreiben. Viele von solchen würden für geleistete Dienste nach großen Handelsplätzen ge⸗ schickt, wie beispielsweise einer seiner Freunde, der bis zum 60. Jahre Sprachlehrer und Journalist gewesen sei. Die Vortheile der Berufskonsuln würden durch die Sachkenntniß der Wahlkonsuln aufgewogen. Auch bezüglich der Ausdildung habe er Bedenken, Es klinge ja schön, wenn man statt Rechts⸗ studium eine zweijährige kaufmännischꝛ Ausbildung vom Kon— sul verlange. Zweijährige kaufmännische Beschäftigung mache aber keinen Kaufmann, am wenigsten eine kameralistische Vor- bildung. Man werde nur dann ein guter Kaufmann, wenn man nicht blos rechne, sondern wenn die Rechenfehler auch ins eigene Fleisch schnitten. Es komme wirklich auf den Weg der Ausbildung viel weniger an als auf die richtige Auswahl der Männer. Wähle man wohlgeschulte, im Leben erfahrene, selbständige Männer, dann werde die Sache gut gehen, aber glaube man nur nicht, daß man in 2 Jahren gute Vertreter heranziehen wird.

Der Abg. Sonnemann erklärte, er wolle auch nichts ver⸗ schwiegen haben und glaube z. B., daß Herr Reuleaux, mit dem er sonst nicht gerade übereinstimme, mit seinem berühm— ten Wort der deutschen Industrie mehr genützt als geschadet habe. Nur die immerwährende öffentliche Wiederholung eines bestimmten Fehlers möchte er vermieden sehen. Es fänden auch thatsächlich schon private Benachrichtigungen der Fabri⸗ kanten statt. Daß das amerikanische Aemtersystem auch seine dunklen Seiten habe, gebe er gern zu und empfehle es gewiß nicht. In seiner Heimath habe er aber doch Gelegenheit ge— habt, die Tüchtigkeit des amerikanischen Konsuls kennen zu lernen. Die Großindustriellen könnten sich immer helfen, er wolle aber, daß die kleine Industrie von der Thätigkeit der deutschen Konsuln Nutzen ziehe. In der Weise, wie der Abg. Bamberger es thue, könne man schließlich das kritische Messer an Alles legen.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bunbesrath Staats⸗Mmister von Boetticher das Work:

Der Herr Vorredner hat von der Praxis gespeochen, die neuer⸗ dings beim Reichsamt des Innern in Bezug auf die Mittheilung solcher Mängel bei der Exportindustrie, die von den Konsuln berichtet werden, beobachtet worden ist. Das giebt mir Veranlassung, es hier auszusprechen, daß alle die Zweifel, die an der Richtigkeit des Ver⸗ fahrens der Veröffentlichung solcher Berichte ausgesprochen worden sind, auch bei uns ventilirt wurden. Meine Herren, wir hatten zuerst, als wir im größeren Umfang und immer auf den⸗ selben Punkt gerichtet, aus den Konsulatsberichten entnehmen mußten, daß die deutsche Industrie nicht überall mit der nöthigen Zuver— lässigkeit, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verfährt, allerdings den Eindruck, daß es nothwendig sei, den ausgiebigsten Gebrauch in der Oeffentlichkeit von diesen Berichten zu machen. Wir glaubten, daß nur auf diesem Wege ein Schaden, den wir als einen Kardinalfehler der Exportindustrie betrachten mußten, zu heilen sein werde, und es sind in Folge dessen nicht allein Konsulatsberichte, sondern auch andere Mit⸗ theilungen, die wir in glaubhafter Form über solche Schäden erhielten, in die Oeffentlichkeit übergegangen. Da trat uns nun das heute von Hrn. Kochhann und auch von Hrn. Sonnemann vorgetragene Be—⸗ denken entgegen: um Gottes Willen, wie könnt Ihr die deutsche Industrie so schädigen, daß Ihr ihre schwächste und schlechteste Seite an die Oeffentlichkeit zieht, und noch dazu unter amtlicher Firma!

Es ist nun nicht zu verkennen, daß im Auslande hier und da unsere Publikationen allerdings eine ungünstige Wirkung hervorgerufen haben, und wir haben auch nicht erwarten können, daß überall im Auslande das Vertrauen sich zeigen werde, daß die deutsche Ervert-⸗ industrie durchweg dazu übergehen werde, diese Schäden abzustellen. Wir sind jetzt auf ein Verfahren gekommen, welches, wie ich glaube, das richtige ist: wir schließen die Oeffentlichkeit keineswegs aus, wo wir den Fall dazu angethan sinden und wo es sich namentlich um Schäden handelt, die eine allgemeine Verbreitung haben und die nicht so geartet sind, daß ihr Bekanntwerden absolut eine Diskreditirung der deutschen Exportindustrie im Gefolge haben muß. J solchen Fällen publiziren wir nach wie vor. dagegen sich um andere Fälle handelt, wo s fürchtung in der That eine nicht ganz unbegrändete ist, daß durch die Publikation ein größerer Schade entsteht, da haben wir das Ver⸗ fahren beobachtet, daß wir der betreffenden Handelskammer, in deren Bezirk die mangelhaft oder unreell arbeitende Industrie belegen ist. über welche geklagt wird, darauf aufmerksam gemacht und ihr anheim gegeben haben, durch eine versönliche Intervention den Schaden zu korrigiren. Ich glaube, meine Herren, daß auf diesem Wege sowobl den Interessen der deutschen Ervortindustrie Rechnung getragen, als auch am besten darauf hingewirkt wird, daß nun diese Schäden, die uns in der That im Auslande sebr nachtheilig sind, beseitigt werden; ich hoffe mich darin im Einverständniß zu besinden mit den Herren, die der Materie ihr Jateresse zuwenden.

Meine Herren! Wenn ich mir noch ein paar Werte gestatten darf über den zweiten Punkt, der jetzt zur Erörterung gekommen ist. die Ausbildung der Konsuln, so hat bereits der Derr Reichskanzler gesagt, daß es seine Intention sei, für die Reichebeamten überbaupt. o weit 6e sich mit wirtbschaftlichen Din en zu beschästigen baben. ein gewisseg Verbildungestadium obligaterisch zu machen, welche die Beamten der Praris näber fübrt. Ich glaube, daß das im Allge⸗ meinen nicht zu tadeln ist. Indeß ist es ganz richtig., was der Or. Aba. Bamberger sagt, daß Jemand, der zwei Jabre in einem industriellen Geschäst tbätig ist, dadurch noch nicht befabigt wird die Leitung des Geschästs zu übernehmen und alle Greignisse und Wege, die in der