1881 / 291 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Dec 1881 18:00:01 GMT) scan diff

ron 58 Millionen an den erwähnten Tagen jum Rügkkauf nicht dar⸗ biete, der Adjunkt des Schatzamts mit der Amortistrung so lange täglich fortfahren soll, bis der Betrag erreicht ist.

Berlin, 12. Dezember 1881.

Morgen, Dienstag, den 13. findet Königliche Par⸗ forçe⸗Jagd statt. Rendez-vous: Mittags 1 Uhr zu Jagd— schloß Grunewald.

Die deutsche Marinestiftung vom Jahre 1878, die zu Dem Zwecke begründet ist, die Noth zu llindern, die der Untergang Des „Großen Kurfürsten“ über viele Familien gebracht hat, hielt am Sonnabend Abend unter Vorsitz des Präsidenten von Holleben ihre 3. Generalversammlung ab. Die Stiftung hat, wie aus dem vom Reg⸗-Rath Haß erstatteten Jahresbericht hervorgeht, in 1881 21 676.0. zu Unterstützungen an die Hinterbliebenen von 151 Verunglückten verwendet. Eine Wittwe und eine Mutter, die ihren einzigen Er— nährer verloren und keine Stgatspension zu beanspruchen haben, bekamen 1209 bezw. 500 6, 11 Wittwen bekamen je 300 M; die Hinter— bliebenen eines 250,6, die von 18 150, die von 100 120, die von 17 100 S½; 2 Pensionen beliefen sich auf 60, eine auf 50 S6 Einschließlich der Verwaltungskosten sind 22 230 Æν aus- gegeben, eingenommen worden dagegen nur 15995. 46, so daß ea. 6000 vom Kapital genommen werden mußten, das sich hierdurch auf 283900 M verringerte. Für 1882 sind bereits 129 als unterstützungs⸗ bedürftig anerkannt. Leider wird durch die Konvertirung der das Stiftungsvermögen bildenden Effekten von jetzt ab ein Zinsverlust von 1418 „M eintreten. Nach der Generalversammlung fand in den selben Räumen unter Vorsitz Ihrer Majestat der Kaiserin eine Gesammtsitzung des Vorstandes vom „Rothen Kreuz“ statt.

Die im Verlage von Justus Perthes erscheinenden Got haischen Genealogischen Taschenbücher, diese für weite Kreife unentbehrlichen Nachschlage⸗ und Hülfsbücher, sind mit gewohnter Pünktlichkeit in ihren neuen Ausgaben für das nächste Jahr erschienen. Große Zuverlässigkeit und Vollständigkeit in dem gesammten Inhalte haben diesen Büchern ihren wohlbegründeten und weit verbreiteten Ruf erworben. !

Der Gothaische Genealogische Hofkalender nebst diplomatisch⸗statistischem Jahrbuch“, der Haupt- und älteste Theil des ganzen Unternehmens liegt in dem 119. Jahrgange vor und ist in gleich sorgfältiger Weise gearbeitet, wie seine Vorgänger. Hinsicht⸗ lich der in den einzelnen Staaten im Jahre 1881 vorgekommenen Ver—⸗ änderungen ist namentlich Rußland zu erwähnen. Der Thronwechfel ist von einem bedeutenden Wechsel in den Personalverhältnissen der, hohen Beamtenwelt und von sonstigen Reformen be— gleitet gewesen, welche der diesem Reiche gewidmeten Artikel im Vergleich zum letztjährigen als ganz neu erscheinen lassen. Am Stabilsten zeigte sich im letzten Jahre Großbritannien. Die anderen Staaten, besonders Frankreich und Amerlka, haben eine Umarbeitung der betreffenden Artikel nothwendig gemacht. Rumänien ist zum ersten Male als Königreich aufgeführt. Tunis ist der fran⸗ zösischen Republik zugezählt und in Folge dessen aus dem Artikel „Türkei, herausgenommen worden. In ähnlicher Weife ist der Är— tikel über Transvaal, welches früher als selbständiger Staat, in den letzten Jahren dagegen als englische Kolonie aufgeführt wurde, zum ersten Male als Schutzstaat dem Artikel „Großbritannien“ angehängt worden. Andererseits ist bei Frankreich der Uebergang der Schutzstaaten in Ocegnien in den eigentlichen Besitz berücksichtigt. In den statistischen Abschnitten des Jahrganges kommt zum Alus— druck, daß soeben eine Periode von in ausgedehntem Maße vorge⸗ nommenen Volkszählungen abgeschlossen ist. An die alle zehn Jahre wiederholten Zählungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Großbritannien schließen sich diesmal neue Zählungen im Deut— schen Reich, in Oesterreich⸗ Ungarn, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz, in Schweden, Dänemark, Bulgarien, Samos, Guatemala, den britischen Kolonien, und namentlich auch der zweite allgemeine Census von Indien. Für einen bedeutenden Theil der Erde sind dadurch neue verläßliche Zahlen gewonnen worden; auch für verschie⸗ dene andere Länder liegen neue Berechnungen und Schätzungen der Bevölkerung vor, so daß der jetzige Jahrgang des Hoffalenders beson⸗ ders reich an neuesten Nachweisen der Bevölkerungestatistik ist. In den finanz⸗ und handelsstatistischen Angaben sind sowohl die Budgets wie die Uebersichten über Handel, Schiffahrt und Verkehrsanstalten großentheils neu eingestellt worden. Ebenso ist die Redaktion bei der Darstellung der Armee⸗ und Marineverhältnisse der einzelnen Staaten bemüht gewesen, die neuesten Zahlen zu ermitteln, vornehm⸗ lich für diejenigen Staaten, die nach dem letzten Orientkriege erheb— liche Veränderungen in ihrer Stellung erfahren haben: Griechen— land, Rumänien, Serbien und die Türkei. Eine be—⸗ sonders hervorzuhebende Erweiterung hat der Hofkalender da⸗ durch erfahren, daß der vorliegende Jahrgang ein vollständiges Ver⸗ zeichniß der Generalkonsuln und Konsuln enthält. Wenn sich die Redaktion für jetzt noch auf diese beiden ersten Kategorien konsu⸗ larischer Vertreter beschränkt hat, so will sie dabei nicht stehen bleiben. Wie sie in der Vorrede mittheilt, hat sie, in der Ueberzeugung, daß eine vollständige Liste der diplomatischen und lonsularischen Ver⸗ tretung nothwendig ist, den Plan gefaßt, um die Mitte des Jahres eine Ergänzung zum Hofkalender herauszugeben, welche eine solche Liste mit Einschluß auch der Vize⸗Konfule 2c. enthalten soll, und damit im Jahre 1882 zu beginnen. Auch macht die Redaktion noch darauf aufmerksam, daß sehr wichtige Mittheilungen erst nach dem Drucke des Haupttheils des Buches eingegangen sesen und deshalb nur in der Abtheilung „Nachträge und Berichtigungen“ hätten Platz finden können.

An Bilderschmuck enthält der Hofkalender die Bildnisse des Kaisers Alexander 1II. von Rußland, der Königin Maria Christine von Spanien, des Fürsten Hermann zu Hohenlohe ⸗Langenburg und des ermordeten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, James A. Garfield.

Der Hofkalender ist auch in einer französischen Ausgabe als Almanach de Gotha“ erschienen, die sich als eine wörtliche Uebersetzung der deutschen Ausgabe darstellt.

Das genealogische Taschenbuch der Gräflichen Säuser liegt in seinem 55. Jahrgange vor. Dieser Jahrgang, mit dem nr. des österreichischungarsschen Botschafters zu Berlin, Grafen Emmerich Szechenvi, ausgestattet, ist nach den bisher befolgten Prin⸗ zipien fortgeführt und einer durchgreifenden Revision bez. Erneuerung unterzogen worden. Insbesondere sind die Angaben über die Standeßzerhebungen aufs Neue geprüft und nach amtlichen Quellen ergänzt und berichtigt worden. Die eingetretenen Erweiterungen betreffen die neu aufgenommenen Familienartikel: Bülow (a. d. H. Wehningen) Neuhaus und St. Mauro —, Wenge (ron der), genannt Lambedorff. Die ausgeschiedenen, in Rücsicht der Raum oõkonomie , g. wechselnden historisch⸗genealogischen und beral⸗ dischen Mittheilungen sind durch neue Materialien ersetzt worden, welche zur Förderung der Geschichts⸗ und Wappenkunde der Gräffsichen Geschlechter dienen.

In dem jet zum 32. Male erscheinenden, genealogischen Taschenbuche der freiherrlichen Häufer, welchem das .fr des Freiberrn Georg von und zu Frankenstein, ersten Vise= räsidenten des Reichstages, vorangestellt sst, baben von den sesther

dargestellten freiherrlichen Genealogien diejenigen eine Einordnung efunden, welche nicht in der letzten - Ausgabe des Taschenbucks zut peziellen Aufführung gelangt sind. An diese reihen sich an Die neu aufgenommenen Famllien: Böck und Greissau, Foullen,. Groll, Koesef, Kriegs au, Leithner, Merck Muüͤnchbausen (Zweig Ingergleben Niederschwedei Derf. Neumann, Pepp von Böhmstetten, Radäk von

eine Anzabl der vorjährigen Artikel, bei denen Zusäͤtze und Abände⸗ rungen erforderlich waren. Somit er änzen der 32. und 31. Jahr⸗ gang dieses Taschenbuches sich gegenseltig und gewähren die neueste Uebersicht über den Fortgang dieses genealogischen Unternehmens. Die tvpische Ausstattung sämmtlicher Taschenbücher ist eine gleich sorgfältige wie die der früheren Jahrgänge.

Der deutsche Handelstag nahm im Verlauf seiner Sonn⸗ abendsitzung auf Antrag des Kaufmanns Gieldzinski (Thorn) und des Kammergerichts⸗Raths Keisner (Berlin) nach längerer Verhandlung folgenden Antrag an: Der deutsche Handelstag erklärt es für wün= schenswerth, dem allgemeinen deutschen Handelsgesetz buch Folgendes einzuschalten: Art. 26 A.: Steht zur Ueberzeugung des Register⸗ richters fest, daß eine Firma erloschen oder eine Handelsgesellschaft aufgelöst ist und können die zum Antrag auf Löschung Verpflichteten, namentlich weil dieselben nicht zu ermitteln sind, zur Stellung des An⸗ trages (Art. 19, 21, 265, 45. 129, 171) nicht angehalten werden, so hat der Registerrichter die Firme oder die Handelsgesellschaft, sowie die dazu gehörenden Prokuren von Amts wegen zu löschen. Zu einem bezüglichen Löschungsantrage sind Behörden, die Handelskammern und jeder im Handelsregister des Beiirks (Art. 14) wohnhafte Kaufmann berechtigt. Gegen die Zurückweisung des Antrages auf Löschung ist die Beschwerde und die weitere Beschwerde statthaft. Die Löschung erfolgt kostenfrei, vorbehaltlich der Erstattung Seitens der zum Antrage auf, Löschung Verpflich= teten. Konsul v. d. Annecke (Berlin) Pprach'hierauf über die Mittel und Wege zur Hebung des deutschen Exports; dies bezüglich nahm der Handelstag folgende Resolution an: „In der Erkenntniß, daß die Förderung des Exporthandels eine Lebensfrage der deutschen In⸗ dustrie ist, erblickt der deutsche Handelstag in dem Abschlusse günsti⸗ ger Handelsverträge, so wie in der Ausdehnung und. Verbesserung des Konsulatwesens die auf dieses Ziel zu richtende Mitwirkung der Reichs regierung.“

Aurich, 8. Dezember. (Neue Hannoversche Ztg.) In der heutigen Sitzung der außerordentlichen Synode der evangelisch⸗re⸗ formirten Gemeinden der Provinz Han nover trat die Synode in die zweite Lesung der Synodalerdnung ein. Es lagen bereits 21 Anträge vor; zuerst eine Resolution, die von 9 Mitgliedern beantragt wurde: „Die Synode tritt in die zweite Lesung des Entwurfs einer Kirchengemeinde und Synodalordnung ein mit der zuversichtlichen Hoffnung, daß ihre in der Immediateingabe an. Se; Majestät den Kaiser und König ausgesprochene Bitte in Bezug auf die kirchliche Oher-Behörde Hochgenfigte Gewährung finden werde, und ist der Ansicht, daß dann die hierdurch geschaffene Institution zu dauerndem Segen für die reformirte Kirche Hannovers gereichen wird.!“ Die Resolution wurde, wie Synode mit uͤberwiegender Mehr⸗ heit beschloß, in das Protokoll aufgenommen. Darauf fanden die §§. 1— 30 ohne wesentliche Aenderung Annahme.

Ueber den Brand des Ringtheaters in Wien liegen heut folgende weitere Mittheilungen des W. T. B.“ vor:

Wien, 10. Dezember, Mittags. Heute Nacht brach im 4. Stock— werke des Ringtheaters, in der Schneiderwerkstätte, abermals Feuer aus, welches sich sofort in das 3. Stockwerk verbreitete. Es wurden Leitern requirirt, um theils mittelst dieser, theils über die stehen ge⸗ bliebenen Stiegen in das Innere einzudringen, so daß der Brand gelöscht werden konnte. An der Front ist das Feuer größtentheils gedämpft, die Thätigkeit der Dampfspritze, welche die ganze Nacht arbeitete, wurde früh eingestellt, weil das Gebäude durch die hinein⸗ geschleuderten Wassermassen so sehr unterwaschen ist, daß dasselbe einzustürzen droht. Der Eintritt in das Theater ist Jedermann, auch den Feuerwehrleuten, untersagt; am Gebäude zeigen sich innerhalb und außerhalb große Risse. Heute sollen die wankenden Mauern gestützt und dann der Schutt im Parterre, soweit es die Gluth gestattet, aufgeräumt werden. Aus der oberen Etage stürzen mit dem Steingerölle und einzelnen Mauerstücken vielfach halbverkohlte Leichentheile herab. .

10. Dezember, Nachmittags. Die Gefahr des Zusammen— sturzes der Mauern des Ringtheaters ist eine so drohende geworden, daß das Herausschaffen der Leichen bis nach Durchführung der Sicher— heitsarbeiten sistirt werden muß.

10. Dezember, Nachmittags. Die vor einer gerichtlichen Komission agnoszirten Leichen sind theilweise heute Vormittag be— erdigt worden. Die Kommission wird bis heute Abend funktioniren. Die nicht agnoszirten Leichen sollen kommende Nacht auf dem Cen— tralfriedhofe beigesetzt und übermorgen unter Beiwohnung des Ge— meinderaths gemeinsam begraben werden. Die Polizei setzt die Ver⸗ nehmung des Theaterpersonals zur eingehendsten Feststellung der Brandursache fort. Im Krankenhause befinden sich 235 Leichen.

Nach einer Meldung aus Paris haben die Union genérale 1999000 Fres., der Präsident derselben 10 00 Fres., Frau Bontour 5009 Fres. und der Union⸗Direktor Feder gleichfalls 3566 Fres. für die Verunglückten gezeichnet; außerdem ist von der Union générale eine Subskrixtion bei deren gesammter Klientel eröffnet.

10. Dezember, Abends. Seit heute Mittag sind ke ne Leichen mehr agneszirt worden. Jedenfalls ist die Zahl der als vermißt Ge— meldeten (1300) bei dem wirklichen Fassungsraum des Theaters von 1760 Personen viel zu hoch gegriffen. Gegen 1 Uhr stürzte die links— seitige Stiege ein, glüclicherweise ohne verderbliche Folgen. Deute Abend ist der Brand in dem Ecktrakt, Ringstraße⸗ Gastgasse, wieder ausgebrochen. Die Dampfspritze ist in Thätigkeit. Die betreffende Kommission des Gemeinde—⸗ raths beschloß, daß das Leichenbegängniß der unglücklichen Opfer übermorgen am Montag stattfinde Eine große Gruft für die gemeinsam ju Bestattenden wird auf dem Zentralfriedhofe links von den Arkaden angebracht. Die gemeinsame Gruft der nicht agnoszirten Leichen wird für alle Zeiten zu einem eigenen, von der Kommune zu erhaltenden Grabe erklärt. Das Abgeordnetenhaus betheiligt sich in corpore an dem Leichenzuge. Am Dienstag wird in allen Kirchen und Bethausern feierlicher Gottesdienst stattfinden. Die israelitischen Tempel sind heute von Andächtigen überfüllt. Der Appell an die Wohl thätigkeit der Bevölkerung findet ganz außerordentlichen Wieder hall. Es sind bereits namhafte Beträge gezeichnet worden, fo von der Länderbank 15 000 Fl., von der österreichischen , 5000 Fl. Die Administratoren der großen Zeitungen nehmen auch morgen Beiträge entgegen. Am Tage der Leichenfeier findet keine

Börse statt. Die Privatbegräbnisse beginnen morgen früh mit der Beisetzung des Dr. Groag und Frau, In Folge Kaiserlichen Auf— trags bleiben morgen alle Theater geschlossen. In der Hofoper wird am 14. d. M. zu Gunsten der Brandopfer eine Matinée stattfinden. Neue Vorschriften über den Feuerversicherungedienst in den Hof— theatern werden morgen nach Genehmigung Seitens des Oberst · dof⸗ meisters veröffentlicht werden.

II. Dejember, früh. Im Laufe des gestrigen Nachmittags *. weitere vier verkohlte Leichen aus dem Schutte des Ringtheaterz

ervorgejzogen werden. Der Raum, auf welchem sich früher die Bühne und der Zuschauerraum befanden, ist jetzt wüst und öde, ein⸗ geschlossen von vier von Rauch geschwärzten Mauern, an welchen stellenweise ausgebrannte Logen haften. Aus der glimmenden Tiefe steigt ein widriger Geruch verbrannten Fleisches auf. Von den Ge— retteten werden fortgesetzt neue haarsträubende Details bekannt, welche beweisen, wie rasend schnell das Feuer um sich griff und wie ein momentanes Zurückbleiben genügte, die Zurückgedrängten dem Tode ju weihen. Wie sich die Flüchtenden auf den Stiegen festkeilten, dafür zeugt, m. viele Leichen buchstäblich zerquetscht gefunden worden sind. Im Laufe des Nachmittags sind zwei weitere weibliche Leichen agnoszirk worden. Da noch Tage vergehen dürften, bis die im Schutte des Parterrez ruhenden Leichenreste gehoben sein werden, hat das Stadtphösikat die sofortige Desinfizirun

der aufgefundenen Leichenreste angeordnet. Am gestrigen Vormittag

esichtigten die Erzherzöge Albrecht und Johann

Magvar⸗Benve, Schenk. Seutter IJ. Jüngere Linie: Sceutter ron Lötzen) und Suini von Pieve d Albignola, sowie

Salvator die Brandstaͤtte.

Kronprinz Rudolph trifft heute Abend hier ein.

11. Dezember, Vormittags. Dem Extrablatt! zufolge be, ziffert sich die Zahl der Opfer der Katastrophe im Ringtheater nach der Richtigstellung der Listen der Vermißten auf o89 Personen. Die Publikation der rektifizirten authentischen Liste hat bisher noch nicht stattgefunden und soll heute Abend erfolgen. ;

11. Dezember, Abends. Heute Vormittag begann die Be— erdigung der hei dem Brande des Ring⸗Theaters um das Leben Ge, kommenen. Vom frühen Morgen ab bewegten sich Trauerzüge nach dem. Centralfriedhofe; die Bevölkerung gab jedem Teichenzuge in Massen daz Geleit. Die igraclitische Gemeinde hat die zu ihr ge hörenden Verunglückten ebenfalls heute bestattet. An den Gräbern spielten sich herizerreißende Scenen ab. Die Brandstätte ist von dichten Reihen der Bevölkerung umgeben. Heute Vormittag wurde wieder mit der Wegräumung des Schuttes und der Bergung der Leichen begonnen. Der Trakt des Krankenhauses, in welchem die agnoszirten Leichen aufgebahrt sind, bietet dasselbe traurige Bild, wie an den früheren Tagen. Nach der „Wiener Allgemeinen Zeitung weisen die rektifizirten Listen, einschließlich der bereits aufgefundenen und agnoszirten Leichen, 917 Vermißte auf. Der Gemeinderath don Wien hat angeordnet, daß die Verunglückten, deren Beerdigung nicht durch Angehörige erfolgen kann, morgen Vormittag um 11 Ühr, nach einem feierlichen Reguiem im Stefansdome, auf dem et rig hen, stattfinden soll. Aus allen Städten und Ländern giebt sich die regste Theilnahme an dem Un⸗ glücke kund.

l. Dezember, Abends. Verschiedene nach der Provinz ge⸗ hörige Opfer des Theaterbrandes sind heute mittelst der Eisenbahn nach der Heimath befördert worden. Alle Leichen und Üeberrefte von Personen, welche in den nächsten Tagen im Schutte vorgefunden werden, kommen sofort in Metallsärge und werden desinfizirt. Gestern und heute sind Ueberreste gefunden, welche von 7 Menschen herrühren dürften. Das Hülfscomits des Gemeinderathet bkbielt heute seine erste Sitzung, um über die augenblicklichen Maßnahmen zur Linderung der Noth zu berathen. Das Hülfs eomit⸗ wird die Institute und Korporationen, welche Subskriptionen veran⸗ staltet haben, zur Entsendung von Delegirten in das Hülfskomits der Stadt Wien auffordern. Das Hülfsbureau wird Dienstag früh er—⸗ öffnet. Beim Bürgermeisteramle sind rund 134 6060 Fl. deponirt. Das Hülfscomits der Stadt Wien erläßt einen Aufruf, in welchem es die am Dienstag beginnende Wirksamkeit des Hülfscomités bekannt macht und die nothleidend gewordenen Personen und deren Vormünder und Verwandte auffordert, sich zu melden. Eine den vorhandenen Mitteln entsprechende schnelle Hülfe wird ohne Rücksicht auf die Zu— ständigkeit geboten werden.

London, 10. Dezember. (W. T. B.) Heute früh fand bei GCanonburhy in der Nähe der Londoner Vorstadt Dalston ein Zusammenstoß von Eisenbahnzügen statt. 6 Personen blieben todt, gegen 60 wurden verletzt.

St. Petersburg. 12. Dezember. (W. T. B) Heute Nacht L Uhr wurde, das Urtheil in dem Prozeß gegen General Mrowinski, 3 und Tegleff gefällt. Alle 3 Angeklagte werden schuldig befunden und zur Verbannung nach dem Gouver— nement Archangel, mit dem Befeble, 3 Jahre den ihnen angewiesenen Ort nicht zu verlassen, verurtheilt. Mrowinski wurde des General— ranges verlustig erklärt, die beiden anderen Angeklagten ebenso aller Rechte und Vorzüge. Das Urtheil wird dem Kaiser durch den Zustiz-Minister unkerbreltet. Die Verurtheisten wurden sofort in Hausarrest genommen. Die endgiltige Verlesung des Urtheils findet am 24. d. statt.

Wa shington, 10. Dezember. (W. T. B.) Die Pensionk⸗ anstalt unweit Pittsburg ist in der letzten Racht nieder— gebrannt. Man fürchtet, daß von den 43 Arbeitern, welche sich in den Gebäuden der Anstalt befanden, etwa 20 dabei verunglůckt n,, Bis jetzt sind 10 Leichen auf der Brandstätte aufgefunden worden.

Im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater ist die neue Millöckersche Operette: ‚Apajune der Wassermann“, am Sonnabend beifällig aufgenommen worden. Gestern war das Haus ausverkauft.

Die Weihnachts -⸗Ausstellung im Krollschen Eta— blissement, welche sich reichen Zuspruchs zu erfreuen hat, bleibt auch insofern nicht hinter denjenigen der früheren Jahre zurück, als jetzt die regelmäßigen Tunnelkonzerte wieder stattfinden. Hr. Direktor Engel hat zu diesem Zwecke eine interessante Spezialität, eine nieder⸗ ländische Kinderkapelle (Mädchen und Knaben) eingeladen, welche be⸗ reits ihre Konzerte begonnen haben. ;

In Belle⸗Allignce⸗-Thegter hat gestern Nachmittag die erste Aufführung der Weihnachtskomödie „Robinson Erusoe' flatt— gefunden. Reicher Applzus und Hervorrufe wurden den kleinen Hauptdarstellern zu Theil.

In stetem Wechsel bieten die Böttcherschen instruktiven Soiréen im Stadttheater allwöchentlich Neues und Interessantes. Jetzt hat ein Cyklus von Seebildern begonnen, welche das Seeschiff in, den verschiedensten Phasen seiner mannigfachen Thätigkeit im Dienste der Industrie und des Handels, der Wissenschaft und der strafenden Gerechtigkeit veranschaulichen. Daran schließt sich der dritte und letzte geologische Cyklus an, der die Erdbildungephafen der tertiären Zeit, also bis zum Beginn der Gegenwart, sowie die Entwicke= lung der Geschöpfe dieses Zeitraums bis zum Auftreten des Menschen in Bild und Wort vorführtt.

Der in Wien speziell als Schubert. und Beethoven ⸗Liedersänger gefeierte Kaiserlich Königlich österreichische Hofopernfänger, Kammer⸗ nc Hr. Gustar Walter hatte am Sonnabend, den 19 d. Mig, m Saale der Sing-Akademie hierselbst ein Concert veran— staltet, in welchem er unter Mitwirkung des Pianisten und Kom ponisten Hrn. Anton Rückauf aus Wien den Cyklus der Müllerlieder von Franz. Schubert zu Gehör brachte. Der Concertgeber besigt einen kräftigen lyrischen Tenor und versteht in geschicktesser Weise die verschiedenen Register anzuwenden. Von prächtiger Wirkung ist besonders das schöne Erklingen des Falsetts; daju kommt die Lebendig= keit der Auffassung, mit welcher Hr. Walter vorträgt. Alleg das ver= einigte sich, um dem zahlreich erschienenen Publikum einen wirklich künstlerischen Genuß zu bereiten, für den es durch lebhaften Beifall dankte. Hoffentlich wird Hr. Walter vor seinem Scheiden aut biesiger Stadt noch ein Mal auftreten, und noat mit dem Vortrage von Beethoven ⸗Liedern. Hr. Rückauf begleitete auf dem Flügel, einen

rächtigen Bechstein, spielte als Solist verschiedene Schubertsche Klaviersachen und erfreute namentlich durch seine Nuanctrung und gesangreichen Ton.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Erpedition (eff. Drud: W. Glener.

Fünf Beilagen (einschließlich Börsen Beilage).

Berlin:

(3979)

estattung solcher bei dem Brand?

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

M 2OↄI.

Berlin, Montag, den 12. Dezemher

1881.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 12. Dezember. Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (14) Sitzung trat der Reichstag in die Berathung der Den kschriften über die Anordnungen ein, welche von der Königlich preußi— schen, der Königlich sächsischen und der hamburgischen Jie= gierung auf Grund des ersten Absatzes des §. 238 des Gesetzes vom 21. Ottober 1878 unter dem 25. Juni, 25. und 26 Sk— tober und 26. November 18861 gegen bie gemeingefähr? lichen Bestrebungen der Sozialdemokratie getroffen worden sind. Der Abg. Hasenclever verwies zunächst darauf, daß auch in Italien, Spanien und Amerika Attentat? verübt worden seien; dort habe man aber keins Ausnahmegesectze geschaffen, sondern die Attentäter als irrsinnig eingesperrt. Dort müßten nur die wirklichen Verbrecher büßen, in Deutschland würden Unschuldige für die Thaten Anderer durch den Belagerungszustand bestraft. Wenn die Regierung dadurch die sozialdemokratische Partei zu sprengen bezweckt habe, so sei ihr dies allerdings gelungen. Alle un— sicheren Kantonisten, alle unbequemen Leute habe die Regie⸗ rung den Sozialdemokraten glücklich vom Halse geschafft, namentlich die Mosts und Hasselmanns, Finns und Körners, die vielen Studenten und jungen Leute, die den Sozialismus als Sport, betrieben hätten und seiner Partei zur Last gefallen seien. Die Reichsregierung habe es fertig ge⸗ bracht, daß sich ein gesunder fester Kern herausgebildet habe, der ebenso stark, ja noch stärker sei als srüher, wie die Wahlen bewiesen häitten. Der Reichskanzler spreche von einem Rückgange der Sozialdemokratie bei den Wahlen, aber man solle die Stimmen wägen und nicht zählen, denn jede sozialislische Stimme sei von einem überzeugungstreuen Wähler abgegeben. Ein katholisches Blatt habe behauptet, daß wenn die Sozialdemokraten freie Wahlbewegung gehabt hätten, mindestens 30 bis 40 Abgeordnete ihrer Partei gewählt worden wären. Seine Partei könne sich also in dieser Be— ziehung über das Ausnahmegesetz freuen, wenn durch dasselbe nicht so viel unschuldige Personen betroffen würden, und es sei schhn vom humgnen Standpunkte aus der Belagerungs⸗ zustand, daher ernstlich zu bekämpfen. Da seine Partei in sozialer Beziehung Gleichheit auf ihre Fahnen ge— schrieben habe, sei es doppelte Pflicht für seine Partei, jeden Antrag und jede Vorlage, welche auf Besserung der Lage der Arbeiter hinziele, bezüglich ihres Inhalis genau zu prüfen. Man werde sich deshalb nicht gewundert haben, wenn seine Partei auch bei Vorlage des Unjallversicherungsgesetzes vor— sichtig an dasselbe herangetreten sei. Er habe in einer Ver—⸗ sammlung einmal geäußert, seine Partei würde Gesetze an⸗ nehmen und wenn sie vom Teufel kämen, falls sie eine Besse⸗ rung der Nothlage der Arbeiter brächten. Das Unfallversiche⸗ rungsgesetz habe aber nach seiner Anficht diese Besserung nicht gebracht. Durch das Ausnahmegesetz würden die Familien der Ausgewiesenen in ihren Lebensinteressen aufs Echeblichste geschädigt. Ihres Ernährers beraubt, müßten dieselben oft genug darben und fänden nirgends Unterstützung. Es seien sogar Fälle vorgekommen, daß seiner Partei angehörigen Leuten Lieserungen entzogen seien, eben weil sie Sozial⸗ demokraten seien. Die Presse aller Parteien und, wie er hier hervorhebe, auch der liberalen Partei, habe die Aufrufe der Sozial⸗ demokraten zur Veranstaltung von Sammlungen zurückgewiesen, nicht veröffentlicht, aber Aufrufe für noihleidende Juden in Rußland oder Böhmen hätten bereitwilligst Verbreitung ge— funden. Für die russischen Juden habe man eine offene Hand, für die Familien der Sozialbemokraten hielten die Liberalen dieselbe geschlossen. (Abg. Hänel: „Unverschämt!“ Der Prä— sident erklärte, er müsse den Ausdruck des Abg. Hänel als unparlamentarisch rügen.) Vor dem Ausnahmegefetz seien die Sozialdemokraten noch nicht so gerieben und so schlau gewesen wie heute, weil sie nicht die Veranlassung gehabt hätten, ihre Handlungen zu verdecken. Jetzt mache die Polizei die Leute klüger und treibe sie dahin, die Versammlungen und Zusammenkünfte, welche sich zumeist nur auf Sammlungen und Wahlagitationen bezogen hätten, in Privatwohnungen abzuhalten. Daß die sächsische Regierung schärfer vorgegangen sei, als die preußische, habe seinen Grund in dem Druck, den die letztere ausgeübt habe. Es sei natürlich, wenn sich die preußische Regierung über Nachgeben dieses Drucks freue und vielleicht eine Annexion anstrebe. Die— jenigen beiden Zeitungen, welche gegenwärtig die ganze sozialistische Presse bildeten, hätten vor dem Ausnahmegesetz nicht bestanden, sie seien eben Produkte des letzteren. Die Mostsche „Freiheit“, über deren Ton man sich in Regierungs⸗ keeisen so häufig beschwere, vertrete seine Richtung nicht. Man werde es erklärlich finden, daß im Auslande geschriebene Dinge eine andere Fassung erhielten als im Inlande verfaßte Artikel. Er sei überzeugt, daß beide Zeitungen eingehen würden, sobald die Ausnah mn egefetze aushören würden. Man habe verbreitet, Hasselmann solle Geld aus Amerika zu Höllenmaschinen ge— schitt haben. Er glaube aber, wer Hasselmann kenne, werde wissen, daß dieser Mann sicher der Letzte wäre, der Geld hier⸗ E senden möchte, derselbe wäre glücklich, wenn die deutschen

ozialdemokraten ihm Geld schicken möchten. Er besireite ferner die Beziehungen des Londoner Kongresses zur deutschen Sozialdemokratie. Ebenso seien die Verbindungen mit dem Nihllismus in Rußland erdichtet. Der letztere habe in Deutschland keine Berechtigung und werde niemals aner⸗ kannt werden. In den Motiven werde guf, die Orga— nisation der Sozialdemokraten hingewiesen. Diese könne fich doch höchstens auf die Sammlungen für die Familien der Sozialdemokraten beziehen. Die Organisation der Presse, Vereine u. s. w. habe man gründlich zersibrt. Das habe freilich nichts geschadet, das gleiche Elend und die gleiche Noth habe die Bande der Gesinnungsgenossenschast nur noch mehr befestigt. Wie beschaffen dieses Elend sei, dafür einige Beispiele. Die Frau emes Ausgewies nen in Berlin habe sich an den Polizei⸗Präsidenten von Madai mit der Bitte gewandt, Sammlungen an Kleidungsstücken für ihre Kinder veranstalten zu dürfen. Der Präsident habe sie auf §. 16 des Gre n lines; verwiesen und habe sie zum Negierungs⸗ Prasidenten nach Potsdam geschickt. Da sie diesen nicht zu

Hause getroffen habe, habe sie eine schriftliche Eingabe an ihn gemacht, auf deren Beantwortung sie noch warte Es sei möglich, daß jener Sammlung die preußische Kollektenordnung entgegengestanden hätte, dann hätte Hr. von Madai fo human sein sollen, die Frau darauf aufmerkfam zu machen. Redner brachte mehrere Vorfälle aus Berliner Versammlungen zur Sprache, in welchen seiner Ansicht nach die Polizei exzedirt hätte, und erzählte einen Fall, nach welchem er kurz vor der Stich⸗ wahl in dem Eiskeller hierselbst zu einer Versammlung erschienen sei, um dort zu sprechen; der überwachende Polizei⸗Lieutenant habe, bevor er (der Redner) auch nur ein Wort gesprochen, ihn aufgefordert, ihm zur Polizei zu folgen, und seine Freunde verhindert, ihn zu begrüßen. Auf dem Hofe und vor der Thüre seien 15 bis 18 berittene und unberittene Schutzleute postirt gewesen, und er könne aus voller Ueberzeugung sagen, an dem guten Willen des resp. Lieutenant hade es dama lo nicht gelegen, daß es nicht losgegangen sei. Auch das traurige Schicksal eines Herrn Stahl müsse er betonen, welcher an sich ein ganz harmloser Mann, sich jahrelang von sozialdemokra— tischen Agitationen zurückgehalten, und den dennoch die Aus⸗ weisung getroffen habe. Die Hauptmittel der Partei seien nur für humane Zwecke ausgegeben worden, und leider habe die Wahlagita⸗ tion hin und wieder aus Mangel an Mitteln leiden müssen. Der Belagerungszustand in Hamburg wie auch in Leipzig könne die Partei nicht schwächen; sie werde vielmehr vielleicht schon bei den nächsten Wahlen zeigen, welche Macht sie im Volke errungen. Redner bezog sich auf die Ausführungen über 5§. 28, welche im Jahre 1878 der General⸗Staatsanwalt von Schwarze gegeben habe, gerade der Belagerungszustand habe Bebel viele Stimmen in Leipzig verschafft. Wenn man als Hauptmotiv anführe, daß in Leipzig die Führer der Sozialdemokraten sich vereinigt hätten, so treibe man diese ja nun gerade in das bedrohte Deulschland hinein. Gerade die Thätigkeit der Führer sei dadurch eine ausgedehntere geworden. Wenn die Informationen des Ministers von Nostitz Wallwitz wahr wären, so hätten jene Ausgewiesenen als gemeine Ver brecher bestraft werden müssen. Über es werde von den unte⸗ ren Polizeiorganen roth in roth gemalt, um Belohnungen und Lob zu erhalten. Die Ausdrücke in den Leipziger Flug⸗ blättern, in denen von Dynamit und Revolution gesprochen sei, seien nicht gegen die Regierung gerichtet. Die Revolution solle aber eine friedliche sein, allerdings eine gründliche, von oben herab. Bis zum Ausnahmegesetz habe mit Sicherheit ein unblutiger Ausgang vorausgesagk werden können, nach demselren stehe es allerdings anders. Von den Leipziger Ausgewiesenen sei bei der Ausweisung ein genaues Signalement aufgenommen und an alle Polizeibehörden des Landes verbreitet worden, um sie dort gleich kenntlich zu machen und ihnen die AÄr— beit zu nehmen. Auf diesem Wege erziehe man Vigabonden. Man habe die Sozi 1demokraten für viel schlimmer angesehen als Räuber und Spitzbuben. Als Verbrechen werde in den Motiven auch die Betheiligung an Kommunalämtern bezeichnet, also gerade die gesetzliche Thätigkeit wolle man verbieten. So dränge man ja die Leute zur Ungesetzmäßigkeit. Geheime Druckereien habe man in Leipzig finden wollen, jedoch ver— gebens. Beklagenswerth sei es überhaupt, daß man mit be— sonderer Vorliebe die Familienväter in die Verbannung schicke. Er habe junge Leute gefunden, die mit weit mehr Geräusch agitirt hätten als verheirathete Männer. Hier wäre doch Scho⸗ nung geboten gewesen. Die Frauen Bebels, Liebknechts und seine Frau hätten eine Eingabe an die Polizei Direktion in Leipzig gemacht, es möge ihnen doch erlaubt werden, für die Fimilien der Ausgewiesenen sammeln zu dürfen. Der Polizei-Direktor habe das rund weg abgeschlagen. Es sei sogar einer von der Polizei hei Frau Bebel gewesen und habe ihr angedeutet: sie möge sich in Acht nehmen, sonst ginge es ihr wie einigen Berliner Frauen, d. h., sie würde auch aus ge⸗ wiesen werden. Noch einen anderen Fall. Ein hier ausgewiesener Sattler habe in Dresden mit vieler Mühe ein Geschäft begründet gehabt und seine Familie her⸗ überkommen lassen. Bei den Wahlen sei derselbe wegen Verhreitung eines später konsiszirten Flugblattes für Bebel inhaftirt und in Uniersuchung gezogen. Dieser Mann habe sich in seiner Verzweiflung über die Lage seiner wieder brodlos gewordenen Familie im Gesängniß erhängt. Wenn man so etwas höre, dann möge man sich nicht wundern, daß Mancher ein Vagabond und Nihilist werde. Mit Peitsche und Zuckerbrot lasse das deutsche Volk sich nicht regieren. So lange die Peitsche des Sozialistengesetzes nach wie vor vom Regierungstisch geschwungen werde, werde der Arbeiter wenig auf das Zuckerbrot der Arbeitergesetze geben. Dersel be könne sie auch gar nicht einmal diskutiren. Thue derselbe es, so falle er dem Sozialistengesetz zum Opfer. Wenn das Haus das Sozialistengesetz für nothwendig halte, habe seine Partei nichts dagegen, derselben schade der B lagerungs zustand nichts. Das Unheil aber, welches daraus entstehe, falle auf das Haupt Derjen gen, die das Sozialistengesetz geschaffen und aufrecht erhalten hätten, es falle auf das Haupt der Re— gierung.

Hierauf ergriff der Kommissar des Bundesraths, Staats⸗ Minister von Puttkamer das Wort:

Meine Herren! Ich kann nicht leugnen, daß ich durch den bis— herigen Gang der Diskussion in hohem Maße enttäuscht bin. Ich hatte erwartet daß diese Debatte in einem Fewissen großen Stil ge⸗ führt werden würde, und ich war zu dieser Erwartung berecht gt durch die Stimmen der Presse, welche sich Eat Wochen mit der heu—⸗ tigen Tagesordnung mehr oder minder lebhaft beschäftigen: denn, meine Herren, bin der Leßte, der leugnet, daß sehr große und folgenschwere Gesichtsz punkte in den Dingen liegen, die heute bier zur Digkussion stehen. Aber ich muß bekennen, ich bin der Meinung, daß, wenn der Herr Ab⸗ gegrdnete, der eben die Tribüne verlassen bat, sich diese Aufgabe gestellt haben sollte, er es nicht verstanden hat, die Diskussion auf diejenige Höhe zu heben, die für einen solchen Gegenstanb meiner Auffassung nach sich gebührt. Ich bin deshalb nicht in der Lage, wie es meine Absicht gewesen wäre, in eine größere bosis Diskussion, in diesem Augenblicke wenigstens, ein⸗ iutreten. Ich werde vielmebr mich für jetz, wenn nicht noch andere Meinungeäußerungen aus dem hoben Hause mir entg 2

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darauf ien en müssen, vorzugsweise, und zwar in ganz

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iger Form auf diejenigen einzelnen 4 einzugeben,

welche der Herr Vortedner gegen das Verfahren der Königlich preußi⸗

6. die lovale und gleichzeitig humane Ausführung des * 1

schen Staatsregierung bei Anwendung des Oktobergesetzes und bei an g uh. der auf Grund des Oktobergesetzes erlassenen usnahmebestimmungen erhoben hat. Diese Ausführungen werden von einem großen sensationellen Interesse natürlich gan; entkleidet sein, sie werden einen rein geschäftlichen Charakter tragen, und ich kann deshalb dem hohen Hause nicht in Aussicht stellen, daß meine jetzigen Ausführungen in hohem Maße sein Interesse erregen werden. Ich will zunächst beginnen mit einer thatsächlich unrichtigen Be⸗ hauptung des Herrn Abgeordneten, die aber init einem großem Maße von Pathos vorgebracht worden ist. Er sagte, das Gesetz und die auf. Grund des S. 28 erlassenen Bestimmungen häften fich doch bill igerweise auf die Männer beschränken follen und nicht die unschuldigen Frauen treffen dürfen. Es seien auch Frauen aus Berlin ausgewiesen. Meine Herren, diese Thatsache ist unrichtig. Während des ganzen Bestehens der Ausnahmemaßregeln ist aus Berlin kein einziges weibliches Wesen auf gewiesen worden. Ich will damit nicht sagen, daß dies unter Umständen nicht geschehen müßte; denn, wenn wir in Berlin eine Louife Michel hätten, so würde sie unzweifelhaft, und ich glaube mit vollem Rechte, mit demselben Rechte, wie irgend ein Mann, der Ausweisungsmaßregel unterworfen werden. Ich habe jetzt eben die Zeit gehabt, die sämmtlichen Listen der Ausgewiesenen, die Tag für Tag beim Laufenden erhalten werden, durchzusehen, und ich finde wenigstens innerhalb des preu ischen Staats⸗ gebietes nur ein einziges Beispiel der Ausweisung einer Frau, übrigens gemeinschaftlich mit ihrem ö und zwar in Potsdam. Diese Dame ist folgendermaßen von den Behörden charakterisirt: ich will den Namen nicht nennen, auf den kommt es auch nicht an da heißt es „die N. N. Eheleute leben nur für und von der sozial⸗ demokratischen Agitation, welche sie namentlich durch Kolportage von Schriften betreiben. Die Ehefrgu war Schriftführerin des Allgemeinen deutschen Frauenvereins zu Berlin, sse ist, äußerst exaltirt und ge— waltthätig und übertrifft alle durch die Leidenschaftlichkeit, mit der sie mit Wort und That für die sozialdemokratischen Lehren eintritt.“ Diese Charakteristik ist in meinen Augen genügend, um die Ver— hängung der Ausnahmemaßregel in diesemn Falle auch über eine Frau zu rechtfertigen.

Daran knüpfe ich gleich eine Erwiderung auf eine Bemerkung des Herrn Vorredners, welche ebenfalls, so wie er si auf der Tribüne vorgetragen hat, an sehr wesentlichen ob⸗ jektiven Mängeln in Bezug auf ihre Richtigkeit leidet, Er beklagt sich, darüber, daß eine Anzahl hiesiger Frauen, deren Männer aus—⸗ gewiesen sind, sich vergebens an den Herrn Polizei⸗Präsidenten von Berlin mit der Bitte gewendet hätten, ihnen doch Sammlungen von Naturglien, von Liebesgaben für sich und ihre Angehörigen zu gestatten, und er stellte die Sache so dar, als sei von der betreffenden Behörde diese Er⸗ lauhniß versagt und sie gewissermaßen a simins in unbarmherziger Weise zurückgewiesen worden. Meine Herren, diese Darstellung ist unrichtig. Ich habe zunächst zu bemerken, daß nach der Ihnen ja bekannten Deklaration des Gesetzes Niemand zu einer Sammlung, welche lediglich zu Gunsten der Angehörigen von Ausgewiesenen ver⸗ anstaltet werden soll, einer Erlaubniß bedarf.

Wenn diese Frauen dennoch sich an den Polizei⸗Präfidenten wen⸗ deten, so war das ein Superfluum; sie sind aber von dem Polizei⸗ Präsidenten in keiner Weise barsch zurückgewiesen worden, sondern er hat ihnen eröffnet, daß sie zu einer solchen Sammlung seiner Er—⸗ laubniß nicht bedürften, hat sie aber gleichzeitig vorsorglich auf §. 16 des Oktobergesetzes mit dem Bemerken aufmerk⸗ sam gemacht, daß er ihnen anheim geben müsse, sich bei einer solchen Sammlung der nöthigen Vorsicht zu befleißigen, damit sie, wenn sie über die Grenzen der Deklaration hinausgingen, sich nicht strafbar machten. Meine Herren, das klingt denn doch sehr wesentlich anders als dasienige, was wir eben aus dem Munde des Herrn Abgeordneten gehört haben. Sodann wurde befonder? betont, das traurige Schicksal eines Hrn. Stahl, eines angeblich an sich durch⸗ aus harmlosen Mannes, welcher, obwohl er sich jahrelang von Agitgtionen sozialdemokratischer Art zurückgehalten habe, dennoch von der Ausweisung betroffen sei. In diesem Augenblicke, meine Herren, ist mir der Bericht des Polizei Präsidenten über diefe Persönlichkeit zugegangen, aus dem ich zunaͤchst ersehe, daß die Ausweisungsthatsache richtig ist. dem Hrn. Stahl aber, weil seine Frau in Folge einer vor⸗ zeitigen Niederkunft schwer erkrankt war, eine Rück ehrserlaubniß in widerruflicher Weise ertheilt wurde. Was den Ursprung der Aus—⸗ weisungsverfügung, und die Ursache derselben betrifft, so' ist Herr Stahl in allen mit der Sache vertrauten polizeilichen Kreifen bekannt als notorischer Hauptvertrauensmann der hiesigen Sozialdemokratie, der sich namentlich in der letzten Zeit sehr lebhaft an der Agitation betheiligt hat, und dessen Bedeutung für die Partei unter Anderem daraus hervorgeht, daß er in einer öffentlichen, fehr zablreich besuch ten Versammlung durch den Einfluß seiner Parteigenossen zum stell⸗ vertretenden Vorsitzenden gewählt worden ist.

Meine Herren! Wenn gegen die getroffenen Maßregeln weiter keine Einwendungen erhoben werden konnen, wie diejenigen, die eben von mir widerlegt sind, so glaube ich, liegt darin der sicherste Beweis erlaube mir hierbei darauf aufmerksam zu diejenigen Gebiete, welche von den troffen worden sind, die ich heute hier zu vertheidigen habe, eine Cinwohnerjahl, von, naheju 2 Mistionen Seelen um“ fassen. Nun bitte ich Sie, meine Herren, vergleichen Sie mit dieser großen Ziffer die Zahl der Aueweisungen, um welche es sich überhaupt hier handelt. Es sind im Umsan des Polizei ⸗Präsidiums Berlin im weiteren Ravon im Ganzen seit Bestehen des Ausnahme zustandes 1352 Personen ausgewiesen worden, für den Potsdamer Bezirk 14 Personen, also für den kombinirten Berlin ⸗Potsdamer Be⸗ sirk 176 Personen. Aus Hamburg · Altona Darburg und Umgebung sind von der preußischen Regierung ausgewiesen 121 Personen, durch die Polizeibehörden in Hamburg 80, und durch die in der Landdrostei Lüneburg, also für Stadt und Amt Harburg im Ganzen 89 Perfonen. Meine Herren, unter diesen verschiedenen Kategorien findet sich aber, wie sich das ja von selbst verstebt, eine große Anzabl von Personen, die aus mehreren Drten hintereinander ausgewiesen sind, so daß also diejenige Zahl, auf welche die Maßregel überhaupt Anwendung gefunden bat, sich noch ganz er⸗ heblich verringert. Ich bin der Meinung, daß dieses Maß der An⸗ wendung von Augnahmevorschriften ein solches genannt wer⸗ den muß, welches, bei irgend billiger Beurtbeslung als ein zu weit gehendes nicht bezeichnet werden kann. Ich glaube, meine Derren, andere , , die länger gewöhnt sind, in sehbr scharfem olitischem Partelkampfe zu stehen, würden die Handbabe eines ae, Geseßtzes in sehr viel schärferer Weise benutzt haben, wie die Königlich preußische, wie die Königlich sächsische und wie die Ham— burger Regierung.

Ich kann hier gleich noch, was ich vorbin ae ; hatte, anknũpfen an das, was der Herr Abgeordnete so fehr auffallend fand in Bezug auf Harburg. Er stellte es als ein gewisses Kuriosum bi daß aus

arburg Leute ausgewiesen wurden, die dort noch gar n 1 gewohnt atten. Hier liegt eine kleine Verwirrung und Vermischung der Be— 8h vor. Es ist nämlich 8. 28 des Gesetzeß an der betreffenden

telle keinegwegs so gefaßt, daß es sich stets um dire lte Auswel ungen handeln muß, sondern die gesehliche Vorschrist laute dort, daß er nen von denen eine 606. ung der öffentlichen Sicherbeit oder Ordnung zu besorgen ist, der Aufenthalt in den und den Bren eder Bezirken versagt werden kann. Ez sst also damn gesagt, die

machen, daß Aut nahmemaßregeln be⸗

Auswelsung kann post fastum oder auch im Voraus gescheben. In