habe Biethums verweser und Bischöfe neu einführen lassen, ohne sie vorher zu verpflichten zur Befolgung der Staatsge— setze. Nach dieser Dispensalion vom Eide müsse. man doch annehmen, daß dieselben den Maigesetzen nicht zuwiderhandeln würden, oder wolle man heute die Bischöfe im Triumph der Bevölkerung unter staatlicher Autorisation einführen und morgen wieder auf den Schub bringen? Die sachliche Unterlage, die thatsächlichen Verhaltnisse hätten sich also geändert, seit Jahren sei dieses Gesetz nicht mehr angewendet worden, und da sei er in der That nicht in der Lage, wenn die Frage der Aufhebung gestellt werde, dem Reichskanzler diese Vollmacht zu erneuern. Es sei nicht zu leugnen, daß dieses Gesetz ein diskretionäres Ermessen in des Reichskanzlers Hände lege und heute urtheile man in der That über den Werth solcher diskretionären Vollmachten ganz anders, als vor Zeiten. Nachdem im Juli 1880 noch ein Theil, der Nationalliberalen dem Reichskanzler ein solches diskretionäres Ermessen ein⸗ geräumt habe, dürften heut die gesammten Liberalen gegen eine weitere Ausdehnung dieses Systems stimmen. Darin stimme er mit dem Centrum überein, eine Gesetzgebung auf Grundlage diskretionären Ermessens der Verwaltung im Ge⸗ biete der Kirche sei für ihn das Allerschlimmste. Das würde dahin führen, daß die Geistlichen Geiseln sür das poli⸗ tische Verhalten der Abgeordneten aus katholischen Be— zirken in diesem Hause wären. Es müsse sich die Stellung des Reichstags in dieser Frage ändern, weil auch die Stellung des Kanzlers auf lirchenpolitischem und politischem Gebiete sich geändert habe: auf kirchlichpolitischem Gebiet durch die Erklärung, daß derselbe Gesetze, wie das Civilehegesetz, nicht mehr so hoch schätze — auf allgemein politischem muͤsse sich die Stellung des Reichstags ändern, da das kirchenpolitische diskretionäre Ermessen zu politischen Zwecken ausge— nutzt zu werden drohe. Das Verlangen, das Tabaks⸗ monopol durchzusetzen gegen die Anschauungen im Lande, sei die Signatur der jetzigen Politik. Wie in dieser Beziehung das diskretionäre Ermessen auf kirchen⸗ politischen Gebiete ausgenützt werden könne, habe gestern der Abg. von Kardorff gezeigt. Letzterer habe ge⸗ faßt, wenn jetzt die kirchenpolitische Gesetzgebung aufgegeben würde, so geschehe dies aus Anerkennung sür die Seitens des Centrums erfolgte Bewilligung der Schutzzölle und neuen Steuern. Der Abg. von Kardorff habe also klargelegt, daß man, weil der Abg. von Bennigsen den neuen Zolltarif nicht anders als durch eine jährliche Bewilligung des Kaffee- und Salzzolles habe annehmen wollen, deshalb lieber, als um diese jährliche Bewilligung zuzugestehen, die weitgehendsten Konzessionen an das Centrum gemacht habe. Was sei das für ein Standpunkt? Er sei gewiß der Letzte, der die Be— deutung wirthschaftlicher Fragen unterschätze, aber man solle nicht Zölle und Steuern als Handelsartikel für kirchenpolitische Fragen erklären. Wie man auch über kirchenpolitische Fragen denken möge, das werde Keiner leugnen, daß man auf beiden Seiten dieses Hauses in diesem schweren Kampfe, der die Nation zuerst aufgerüttelt habe, von hohen Ideen, von tiesster Ueberzeugung, ja von nationaler Ueberzeugung ge— tragen sei, und wenn man nun jetzt erkläre, das Errungene könne man hingeben, wenn man nur Schutzzoll und neue Steuern bekomme, dann sage er (Redner), wenn' das wirklich die Politik des Kanzlers gewesen sei, dann sei sie der interstützung, die dem Kanzler aus weiten Kreisen des Volks auf lirchenpolitischem Gebiete zu Theil geworden sei, niemals werth gewesen. Wenn noch irgend ein Zweifel hätte sein können, wohin alle Liberalen jetzt die ganze Front zu richten hätten, so habe doch der Erlaß vom 4. Januar auch den letzten Zweifel darüber beseitigt; jetzt sei das eingetreten, was man leider längst hätte voraussehen müssen, in der schärssten und schroffsten Form. Als er hier vor 19 Jahren über Kirchenpolitik beim Kanzelparagraphen gesprochen habe, habe er ausgeführt, man dürfe sich durch die damalige Stille im Parteileben nicht täuschen lassen. Der Gegensatz zwischen Regierung und Volk, zwischen Scheinkonstitutionalismus und wirklichen parlamenta— rischen Verhältnissen könne in seiner Austragung wohl ver— schoben werden durch die große persönliche Autorität, deren der gegenwärtige Machthaber und Staatslenker genösse. Dies sei im Stande, die Entscheidung dieses Kampfes in das nächste Dezennium hinaus zu schieben, den jüngeren würde dieser Kampf aber alsdann nicht erspart werden, und er würde glauben, daß in diesem Kampf ihm an der Rüstung ein wesentlicher Ring fehlen würde, wenn man ihm dann vorhalten könnte, daß er einstmals für ein solches Gesetz gestimmt habe. Nun, das neue Dezennium sei jetzt angebrochen, aus den Jüngeren seien jetzt Aeltere in diesem Hause geworden, der Kampf, — das sehe man jetzt um so deutlicher — breche jetzt an, und dieser Erlaß vom 4. Januar sei die Aufforderung, klar zum Gefecht zu machen. In einer solchen Situation beeile er sich, Alles wegzuräumen in dem Apparat, was hin— derlich sein könnte, klar zum Gefecht zu machen und eine Gesetzgebung, die seiner Partei ihrem inneren Wesen nach fremd sei, sobald als möglich zu beseitigen.
Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats⸗Minister von Boetticher, das Wort:
Meine Herren! Das hohe Haus wird nicht erwarten, daß ich auf die vielfachen Angriffe, die der Vortrag des Hrn. Abg. Richter auf den Herrn Reichskanzler enthielt, antworte. Er hat ein Bouquet von Gegenständen jur Sprache gebracht, die, wie der allseitige Eindruck im Hause, glaube ich, bestätigen wird, schwerlich etwas mit dem vor⸗ liegenden Gegenstand gemein haben, Sozialistengesetz, Unfallversiche⸗ rung, allgemeiner Kulturkampf und Königsrechte, Beamtendisziplin und ich weiß nicht, was sonst noch alles, ist von ihm zur Stelle ge— schafft worden, und es ist unmöglich, erschöpfend auf das alles zu antworten, was er vorgebracht hat. Sein Generalthema war das alte von uns oft vernommene, es heißt: der Kanzler ist vom Uebel, der Kanzler muß bekämpft werden, er muß fort. Nun, meine Herren, ich habe für dieses Thema und sür den Beweis des Satzes nichts neues vernommen. Seit dem Jahre 1878, seitdem ich Gelegen heit gehabt habe, die parlamentarischen Vorträge des Hrn. ö Richter zu vernehmen, ist just immer das gleiche Thema und immer mit denselben Beweisen von ihm verhandelt worden. Ich glaube deshalb, mich darauf beschränken zu können, ihm gegenüber zu erklären, daß, wenn er neue Gründe beibringen wird für den Beweis, den er angetreten hat, ich bereit sein werde, ihm darauf zu antworten.
Meine Herren! Ich würde danach gar nicht nöthig gehabt haben, um das Wort zu bitten (sehr richtig! links), sehr richtig! — wenn der Hr. Abg. Richter nicht meine gestrigen, wie ich glaube, ganz ruhigen und sachgemäßen Erklärungen wiederum zum Gegenstande einer Betrachtung und zum Gegenstande eines Angriffs auf den Bun⸗ desrath gemacht hätte. Ich kann ja dem Hrn. Abg. Richter nicht verwehren, daß er die staatsrechtliche Auffassung hat, wonach es die Pflicht des Bundesraths ist, wie er sich ausdrückte, auf jeden Antrag, der hier im Hause gestellt wird, sich schlüssig zu machen und zu ant⸗ worten. Der Bundesrath hat diese Auffassung nicht, und ich erwarte, daß der Hr. Abg. Richter, wenn er den von ihm ausgesprochenen
Satz beweisen will, mir irgend eine Bestimmung der Verfassung oder ein Gesetz allegirt, das dem Bundesrath diese Verpflichtung auferlegt. Die Initiative zur Gesetzgebung ist beim Bundesrath und ist beim Reichstag. In dem uns beschäftigenden Falle wird die Initiative des Reichstages angeregt, und ebenso wie wenn der Bundesrath sich über einen gesetz⸗ geberischen Gedanken schlüssig gemacht hat, dann erst die Berathung des Reichstags eintritt, so ists auch umgekehrt. Nachdem der Reichs tag in diesem Falle gesprochen haben wird, wird der Bundesrath sich schlüssig machen. Wenn nun aber der Herr Abg. Richter behauptet bat, der Herr Reichskanzler benutze den Bundesrath als eine Coulisse, die er je nach Bedürfniß vorschiebe oder bei Seite setze, (sehr richtig! links) ich habe ja garnicht daran gejweifelt, meine Herren, daß viele von Ihnen derselben Meinung sind, ich sage also, wenn der Herr Abg. Richter behauptet hat, der Herr Reichskanzler benutze den Bundesrath als eine Coulisse, so ist er dafür den Beweis schuldig geblieben. Er hat zwar daran erinnert, daß in der Allerhöchsten Botschaft, die ja übrigens nicht vom Reichskanzler ausgeht, sondern von Sr. Majestät dem Kaiser, (Rufe links: Gegengezeichnet!) ich habe nicht gesagt, daß sie nicht gegengezeichnet sei, sondern ich habe gesagt, daß sie ausgegangen sei von Sr. Majestät dem Kaiser. — Wenn der Abg. Richter also auf die Allerhöchste Bot= schaft exemplifizirt hat, so erinnere ich ihn daran,, daß es das verfassungsmäßige Recht des Kaisers ist, den Reichstag zu berufen und die Politik, die er für die ersprießliche hält, in der Thronrede, mit der er den Reichstag eröffnet, kund zu thun. Es kann diese Politik als ein zu erstrebendes Ziel sehr wohl verfassungs⸗ mäßig vom Kaiser bezeichnet werden, ohne daß es nöthig ist, sich vor⸗ her rücksichtlich derselben der Zustimmung des Bundesraths zu ver gewissern; es ist das auch immer so geschehen.
Nun wollte ich aber dem Hrn. Abg. Richter, was den Ausdruck „Coulisse' anlangt, noch das Eine bemerken, daß ich es zwar seinem Geschmacke überlassen muß, ob er von der bisher beobachteten sehr löblichen Gewohnheit, wie sie in den Parlamenten geherrscht hat, den anderen . der Gesetzgebung nicht mit einer Kritik zu be⸗ denken, die ihn herabsetzen kann in der öffentlichen Meinung — ich sage, ich muß es dem Geschmack des Hrn. Abg. Richter überlassen, ob er diese Gewohnheit üben will oder nicht. Das Eine aber darf ich ihm sagen, daß weder der Herr Reichskanzler der Mann ist, der eine Coulisse braucht, noch daß der Bundesrath, daß Gremium der Vertreter der deutschen Souveräne, es nöthig hat, sich als Coulisse gebrauchen zu lassen.
Der Abg. Marcard erklärte, nicht als Vertreter eines zur Hälfte katholischen Wahlkreises, sondern aus unwandelbarer Ueberzeugung, die er schon gehabt habe, als die Meisten von den Mitgliedern des Reichstags noch nicht am Leben gewesen seien, stimme er für den Antrag Windthorst, aus der Ueber— zeugung, daß die gläubigen Anhänger beider Konfessionen im Kampfe gegen das Antichristenthum zusammenstehen müßten. Auffällig sei die Erscheinung, daß die äußerste Linke, die 1374 mit geringen Ausnahmen, für das Gesetz gestimmt habe, heute für den Antrag Windthorst votiren werde. Es hätten sich in diesen Parteien alle treibenden Elemente im Kulturkampf befunden, alle nichtchristlichen Mitglieder des Hauses und solche, die sich aus— drücklich als religionslos bezeichneten, alle Feinde des positiven Christenthums, diese müßten besondere Gründe haben, wenn sie für den Schutz der katholischen Kirche eintreten wollten. Er glaube, es sei das Bestreben, bei den nächsten Wahlen Vortheile aus diesem Votum zu ziehen und einen Theil der katholischen Bevölkerung nach links zu ziehen und zwischen dem Centrum und den Konservativen eine Kluft zu schaffen. Er denke, das solle den Fortschrittlern nicht gelingen. Das Centrum werde sich vor dieser Unterstützung von links her wohl in Acht neh— men und die Regierung habe die Verpflichtung, die Stimmen nicht zu zählen, sondern zu wägen und da dürften die kon⸗ servatlven Stimmen wohl schwerer wiegen, als die liberalen; daher bitte er seine konservativen Freunde recht inständigst, für den Antrag zu stimmen. Im Kampfe nicht nur gegen das Manchesterthum, sondern namentlich gegen den Atheis⸗ mus, der jetzt in allen Ländern seine Blüthen treibe, müsse das Centrum mit den Konservativen, müßten alle gläubigen Christen zusammenstehen.
Der Abg. Schröder (Wittenberg) erklärte, er könne die Anschauung, die Regierung werde die Stimmen, welche für dieses Gesetz laut würden, nicht zählen, sondern wägen, nicht theilen und müsse dem gegenüber doch hervorheben, daß alle als einander völlig gleichwerthige Mitglieder in diesem Hause säßen. Im Grunde wolle der Windthorstsche Antrag doch nur die Beseitigung eines Exekutionsmittels, das einmal ge⸗ geben sei, um bestimmte, durch andere Gesetze verfolgte Zwecke zu realisiren. Die Klagen, die man gestern aus den Reihen des Centrums vernommen habe, originirten wesentlich aus diesen anderen Gesetzen, und über die Nothwendigkeit der Ab⸗ stellung gerechtfertigter Beschwerden dieser Art herrsche wohl überall im Hause volles Einverständniß. Nun bestehe unter der gegenwärtigen Kultusverwaltung wahrlich keine unmittelbare Gefahr einer schroffen, dem Katholizismus feindlichen Anwen⸗ dung des Gesetzes. Freilich weise der Abg. Windthorst auf die Möglichkeit einer derartigen Handhabung hin; aber ein Exekutivgesetz, wie dieses, könne doch erst abgeschafft werden, nachdem diejenigen gesetzlichen Bestimmungen beseitigt seien, welche exequirt werden sollten. Das folge aus dem Charakter dieses Gesetzes. Er verkenne nicht die Härte einer Maßregel, wie die der Expatriation der Geistlichen; er und seine poli⸗ tischen Freunde hätten seiner Zeit unter schweren Bedenken für dieses Exekutionsmittel gestimmt, und seine Partei würde auch heute bereit sein, Abhülfe zu schaffen, sofern nur spezielle Anträge nach dieser Richtung hin vorgelegt würden. Dieser sein Stand⸗ punkt lasse ihn auch die vrinzipielle Gegnerschast des Abg. Richter gegen die Annahme des Gesetzes von 1880 nicht theilen und er könne in dieser Beziehung nur auf vie früher ausgesprochene Stellung⸗ nahme verweisen. Gegen eine von dem Abg. von Hammer⸗ stein in Bezug auf die Natur des Kulturkampfes vorgebrachte Wendung müsse er entschieden Verwahrung einlegen; dagegen nämlich, daß auf der Linken gegen alles positive Christenthum angekämpft werde. Das sei ein Vorwurf, den er hier nicht widerlegen könne, weil sür die Diskussion des in demselben enthaltenen Gedankens hier nicht der Ort sei, ein Vorwurf, den er deshalb auch nur als eine Ee, . Phrase bezeichnen müsse. Am Ende scheine es so, als ob Jeder das nur für positives Christenthum halte, was derselbe selber glaube. Auch der Behauptung müsse er für seine Person , n, als ob jetzt Jeder die Verantwortlichkeit für seine Theilnahme am Kulturkampf abzuweisen suche. Er übernehme im Gegen⸗ theil den schwachen Antheil, der ihm nach Maßgabe seiner Kräfte an dem Zustandekommen jener Gesetze beschieden gewesen sei, voll und ganz. Er habe den Gesetzen zugestimmt mit Unterstützung der Regierung, weil er der Ueberzeugung gewesen sei, daß er mit demselben einer Nothwendigkeit für den Staat entsprochen hätte; nie hätte er ihnen aber seine Zustimmung gegeben, wenn die Tendenz vor⸗ gelegen hätte, die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit der katholischen Mitbürger zu verletzen. Er würde geglaubt haben, sich sonst einer unverzeihlichen Sünde schuldig zu machen. Außerdem bedenke man doch, daß dieser ganze
Kulturkampf auf Antrag der Regierung begonnen sei, und daß es sich dabei sogar um ein Gesetz gehandelt habe, das noch von Hrn. von Mühler gegengezeichnet sei. Ueber die jetzige Stellung der Staatsregierung in der kirchenpolitischen Frage werde ja die allernächste Zeit schon authentische Auskunst geben; es werde dann mehr Klarheit darüber herrschen, nach welcher Richtung vorzugehen sei. Der jetzt durch den vor⸗ liegenden Antrag gebotene Anlaß sei nicht geeignet, zu einer positiven Entscheidung in der ganzen Frage aufzufordern. Er bitte das Haus demnach, über den Antrag zur Tagesordnung überzugehen; eventuell sei er nicht in der Lage, für die Be⸗ seitigung des Gesetzes stimmen zu können.
Der Abg. Frhr. Langwerth von Simmern erklärte, daß er mit seinen politischen Freunden bei diesem Antrage mit vollem Herzen auf Seiten des Centrums stehe. Wohin solle es führen, wenn eine ganze Klasse von Staatsangehörigen durch Ausnahmegesetze der rechtlichen Sicherheit beraubt, des Landes verwiesen werden könne. In Deutschland sei katholische und evangelische Bevölkerung eng mit einander ver⸗ wachsen. Eine Schädigung des einen Theiles ziehe noth⸗ wendig auch Nachtheile für den anderen nach sich. Auch zeuge es nur wenig von konservativer Ge— sinnung, wenn man auf die katholische Bevölkerung keine Rücksicht nehmen, nicht, indem man in Füh⸗ lung mit derselben bleibe, auch ihre Wünsche und Bedürfnisse in Betracht ziehen wolle. Die 15 Millionen, welche dieselbe in Deutschland ausmache, dürften bei der Gesetzgebung nicht unberücksichtigt bleiben. Aber auch vom freiheinllichen Stand⸗ punkte aus müsse man dem Antrag Windthorst zustimmen. Es sei endlich Zeit, mit dem Systeme der Ausnahmegesetze zu brechen. Auf allen Seiten des Hauses breche sich, wie die Debatten gezeigt, eine ähnliche Anschauung Bahn, er habe. das mit großer Freude wahrgenommen. Die Situation sei eben eine andere geworden, und überall walte das Bedürfniß nach konfessionellem Frieden vor. Werde der Antrag, wie er hoffe, angenommen, so erhalte das Centrum nur, was es längst verdient habe.
Die erste Berathung wurde geschlossen. sönliche Bemerkungen:
Der Abg. von Saucken erklärte sein Schweigen, sowohl 1874 von Mallinckrodt, als den gestrigen und heutigen Pro⸗ vokationen gegenüber; um seine kirchliche Stellung klar zu stellen, müßte er in dogmatische Erörterung eintreten, die aus den Verhandlungen einer politischen Körperschaft schlechthin ausgeschlossen werden müßten.
Der Abg. Frhr. von Hammerstein bemerkte, er habe sich an den Spruch gehalten, daß wer schweige, zustimme, er acceptire aber von Sauckens Erklärung seines Schweigens. Dagegen trenne er sich mit äußerster Entschiedenheit von der Auffassung Virchows und seiner Freunde in Bezug auf das Verhältniß des Staates zu den christlichen Kirchen und ihren Bekenntnissen.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, während er gegen Maßnahmen und Methode des Kanzlers sachliche Ausführung gemacht habe, suche der Minister, um die sachliche Schwäche seiner (des Ministers) Ausführungen zu decken, in bekannter Weise seine Rede gegen den Kanzler persönlich zuzuspitzen, wogegen er sich verwahren müsse.
Der Abg. von Kardorff protestirte gegen den Vorwurf, daß er mit dem Centrum einen politischen Handel treiben wolle; habe sich doch das Centrum durch seine Wirthschafts— politik den nationalen Parteien genähert.
Der Abg. Payer verwahrte sich gegen den gleichartigen Vorwurf und ersuchte den Abg. Hänel, ihn an eine andere Adresse zu richten.
Der Abg. Dr. Windthorst wandte sich in seinem Schluß⸗ worte gegen die Ausführungen der Abgg. Dr. Hänel, Hobrecht, Schröder (Wittenberg) und von Kardorff. Der Geist, in welchem die Verhandlungen gestern und heute geführt seien, habe sein Gemüth tief ergriffen und befriedigt, und er hoffe, daß diese Friedensstimmung in keiner Weise gestört werden würde, jetzt nicht und in der Folge nicht, auch nicht durch den Abg. Schröder, der sich mit seinen Aeußerungen keineswegs auf dem Boden der Freiheit befinde, die derselbe vertreten wolle. Der Vertreter der Bundesregierungen habe erklärt, die Regierung wolle sich der Diskussion gegenüber schweigend verhalten und sich hier lediglich belehren lassen. Ohne Zweifel hätten die verbündeten Regierungen das volle Recht, diese Stellung einzunehmen; ob es aber ganz weise von ihnen gewesen sei, sich so zu verhalten, während sie sonst bei sehr viel, geringeren Ange⸗ legenheiten sich sehr gesprächig gezeigt hätten, wage er nicht zu entscheiden. Er würde es vom Standpunkt der Regierung aus für außerordentlich weise erachtet haben, wenn sie der Diskussion gegenüber sofort Stellung genommen und gesagt hätte: die verbündeten Regierungen brauchten das Gesetz weiter nicht und seien mit der Abschaffung einverstanden. Hoffentlich werde man indessen aus den Verhandlungen die Lehre eninehmen, daß nunmehr die Vertreter der deutschen Nation jedenfalls das zu erkennen gegeben hätten, daß sie diesem Kampfe eine Ende zu machen wünschten. Das sei es, was ihn in diesen Verhandlungen so tief bewegt habe, daß man bei einem Zeitpunkte angekommen sei, wo man so ruhig und freundlich miteinander über diese Dinge zu reden im Stande sei. Ein besonderer, hier geltend gemachter Standpunkt sei der, daß dieses Gesetz mit der ganzen Maigesetzgebung überhaupt im Zusammenhange stehe und man deshalb ohne eine Revision der Maigesetzgebung im Ganzen, für die das Abgeordnetenhaus der geeignete Ort sei, an den Grundlagen derselben nicht rütteln könne. Indessen dieses Gesetz enthalte doch nur ein Exekutionsmittel, und es blieben daneben die Exekutions- und Strafmittel der Maigesetzgebung an sich voll⸗ ständig intakt. Dadurch, daß dieses Gesetz aufgehoben werde, werde also gar nicht revidirt. Demnach werde man seinem Friedensbedürfniß und seiner Friedensliebe durch die Beseiti⸗ gung gerade dieses Gesetzes auf die unschuldigste Weise Aus⸗ druck verleihen können. Was helfe es, wenn dem Centrum
egenüber von Frieden immer nur gesprochen werde? Der Abg. von Kardorff habe auf die Gesandtschaft beim römischen Stuhl hingewiesen. i . wisse er nichts davon, was der Gesandte in Rom solle. Er habe darüber seine besonderen Gedanken, so besondere, daß er sich nicht sonderlich über diese Sendung freue. Die Zukunft werde lehren, ob es eine Sendung des Friedens sein werde. Graf Arnim sei auch Gesandter in Rom gewesen, aber kein fried⸗ licher. Jedenfalls werde aber durch den Antrag in keiner Weise dem präjudizirt, was etwa der noch auf Reisen befind⸗ liche Gesandte zu thun haben würde. Man habe das Abge⸗ orbneten haus als den zuständigen Ort für diese Frage be⸗ zeichnet. Aber die vorliegende Materie gehöre eben nicht in das
Es folgten per⸗
ö
.
Abgeordnetenhaus;
sie sei ja hier geschaffen und habe nur hier
; geschaffen werden können, weil es sich um die Aufhebung des einzigen Grundrechts der Verfassung handele. Stimme man für die völlige, uneingeschränkte Wiederherstellung desselben; den Zucker wolle er dem Hause schenken. Ueber die Stellung der Bundesregierungen in Bezug auf die Politik des Reichs seien Grundsätze aufgestellt worden, die er mit dem 5§. 4 der Reichs⸗ verfassung nicht in Einklang bringen könne. Das Bundes— Präsidium habe nur in den dort hervorgehobenen Fällen die alleinige Leitung der Reichspolitik; darüber hinausgehend würden die Grundlagen der Verfassung verschoben. Er schließe mit dem Danke an alle Parteien, daß sie den ernsthaften Wunsch auf Wiederherstellung des Friedens zu erkennen ge— geben hätten. Er danke insbesondere für die freundliche Art, in der die Verhandlungen auch dem Centrum gegenüber ge— führt worden seien. Er bitte, seinen Antrag anzunehmen. Seiner Meinung nach werde man sich damit ein großes Ver— dienst um das Vaterland erwerben.
Damit schloß die erste Berathung. drei Anträge auf Tagesordnung vor:
1) von dem Abg. Frhr. von Ow⸗Freudenstadt:
in Erwägung, daß Angesichts der in Aussicht gestellten Wiederher—⸗ stellung der direkten Beziehungen zwischen der Königlich preußischen Regierung und der römischen Kurie, und Angesichts der in dem am 14. Januar zusammentretenden preußischen Landtage zu er—⸗ wartenden kirchenpolitischen Vorlagen der Antrag Dr. Windthorst nicht jeitgemäß erscheint, über den Antrag Dr. Windthorst zur Tagesordnung überzugehen; 2) von dem Abg. von Kleist-Retzow:
unter Anerkennung der in dem Gesetze vom 4. Mai 1874 ent⸗ haltenen Härten, über den Antrag — mit Rücksicht auf die wegen Modifikation der kirchenpolitischen Gesetze stattfindenden Verhand— lungen — zur Tagesordnung überzugehen;
3) vom Abg. Rickert und Gen.:
Der Reichstag wolle beschließen:
in Erwägung, daß das Reichsgesetz vom 4. Mai 1674 aus der Initiative der Königlich preußischen Staatsregierung hervor— gegangen ist und mit den in Preußen noch in Geltung befind— lichen Maigesetzen in Verbindung steht,
in Erwägung, daß der am 14. d. M. zusammentretende preußische Landtag mit einem, jene Maigesetze berührenden Gesetzentwurfe befaßt werden wird, und daß sich erst nach Abschluß der im preußischen Landtage bevorstehenden Verhandlungen die Lage der kirchenpolitischen Gesetzgebung in Preußen übersehen läßt,
in Erwägung, daß unter den veränderten Verhältnissen das Reichs⸗ gesetz vom 4. Mai 1874 in den letzten Jahren nirgends zur Anwendung gekommen, auch eine Anwendung derselben dem— nächst nicht zu erwarten ist, und daß daher eine Beschlußfassung des Reichstags über den Antrag des Abg. Dr. Windthorst weder zweckmäßig, noch dringlich erscheint,
geht der Reichstag über den Antrag des Abg. Dr. Windthorst zur
Tagesordnung über.
Der Abg. Rickert befürwortete seinen Antrag. Diejenigen, welche ihn kennten, wüßten, daß er in dieser Frage nur un— gern und nur gezwungen das Wort ergriffen habe. Das Gesetz selbst, das durch diesen Antrag beseitigt werden solle, sei ihm unsympathisch, wie er auch an dem Kulturkampf von Anfang an nur ungern theilgenommen habe. Dennoch be— rühre es ihn peinlich, wenn er in diesem Augenblicke überall die Flucht von den Maigesetzen wahrnehme. Je weniger er selbst an dem Zustandekommen derselben betheiligt gewesen sei, desto mehr sei er bereit, die Verantwortlichkeit, die er durch die Abgabe seiner Stimme übernommen, auch auf sich zu nehmen. Er bedauere sehr, daß von jenen Herren auf der rechten Seite die Frage aufgeworfen sei, wer denn eigentlich die Schuld an dem Kulturkampfe trage. Die Liberalen nähmen die Verantwortlichkeit für denselben auf sich, wie das ja auch von Seiten des Abg. Hänel geschehen sei. Es habe ihn nur Wunder genommen, daß der Abg. Windthorst die Reden ganz vergessen habe, in denen er den Fürsten Bismarck als den Träger des Kulturkampfs bezeichnet und an ihn die Bitte gerichtet habe, denselben zu beendigen. Denn jetzt suche der Abg. Windthorst den Urheber jenes Konfliktes bald in dem Abg. von Bennigsen, bald in dem Abg. Schröder, dessen Rede von demselben gänzlich mißverstanden sein müsse. Weder ihrem Inhalt, noch dem Tenor nach sei sie von dem, was von den Abgg. Hobrecht und Hänel geäußert worden, verschieden gewesen. Auch habe der Abg. Schröder nichts anderes sagen wollen, und von seiner versöhnlichen Stimmung gebe der Umstand Kunde, daß er sich bereit erklärt habe, für eine Rerision der Maigesetzgebung einzutreten, soweit dieselbe religiöse Bedenken erregen könne. Noch peinlicher aber habe ihn die Stellung berührt, welche die Bundesregie⸗ rung in dieser Frage eingenommen habe. Er habe darüber nachgedacht, welche Gründe den Reichekanzler zu seiner Hal— tung bestimmt haben könnten, und möchte darum der Meinung entgegentreten, als ob das, was gestern vom Bundesrathatisch gesagt worden sei, der Praxis entspräche, die bisher beobachtet worden sei. Er wolle nur drei Beispiele anführen, die be⸗ weisen würden, daß das gerade Gegentheil immer der Fall gewesen sei. Am 2. April 1868 sei ein Antrag auf Einführung von Diäten eingebracht, und sofort habe sich Fürst Bismarck er⸗ hoben, um gegen denselben zu sprechen. In ähnlicher Weise habe im Jahre 1877 der Staats-Minister Hofmann bei Gelegenheit des Antrages Seydewitz sofort über die Stellung der Re— gierung zu demselben Aufschluß gegeben, und dasselhe sei im Jahre 1874 durch den Unter⸗-Staatssekretär Herzog geschehen. Aehnliche Präzedenzfälle in größerer Menge herbeizuschaffen, würde ihm nicht schwer sein. Er wiederhole es darum noch einmal, daß er sehr bedauere, daß die Regierung dem Volke bei dieser Gelegenheit gerade es vorbehalten habe, Ausschluß über ibre Stellung zu geben. Diese Zurückhaltung sei für ihn auch ein Grund mehr, sich gegen den Antrag zu erklären. Er . aber endlich auch gefragt, ob denn die Frage, die in dem⸗ elben angeregt werde, eine brennende sei, ob ein zwingendes Bedürfniß für den Antrag vorliege. Er habe diese Frage mit „nein“ beantworten müssen. Die Herren vom Centrum selbst hätten ja eingestehen müssen, daß das Gesetz seit Jahren nicht zur Anwendung gekommen und, wie so manch:s Gesetz in England, ein todter Buchstabe geblieben sei. Was wolle also der Abg. Windthorst mit seinem Antrage? Eine bestimmte Antwort hierauf habe er nicht erhalten, und so könne er sich auch wi entschließen, der liebenswürdigen Führung des Herrn Abgeordneten zu folgen. Der Abg. Richter habe erklärt,
Zur zweiten lagen
daß für ihn ein Grund der 6. jenes Antrags darin
liege, daß derselbe sonst ein Handelsobjekt für den Neichs⸗
kanzler bei seinen Unterhandlungen mit dem Centrum gewor⸗
den sei. In ähnlicher Weise habe sich der . von Hammer⸗ Fo
stein für den Antrag erklärt, damit nicht die Fortschrittspartei denselben als Handelsobjekt 65 In diesen Streit wolle er nicht eingreifen. Aber so viel wisse er, daß die Stellung des Staates durch diesen Antrag nicht verstärkt
werben würde. Selbst wenn man sich den konfessionellen Frieden um Konzessionen, wie sie hier gefordert würden, er⸗ kaufen könne, in diesem Augenblicke, ein Paar Tage vor Er⸗ öffnung des Landtags, dessen Thronrede sicher wichtige kirchen⸗ politische Vorlagen ankündigen werde, verliere der Antrag alle praktische Bedeutung. Derselbe stelle kein Bedürfniß ab, gebe den Reichstag dagegen einer Führung preis, von der man nicht wissen könne, wohin sie gehen solle, die aber auf die Verhandlungen des Staats mit der Kurie nur störend ein— wirken könne. Darum könne er trotz aller Sympathie, die er den Wünschen des Centrums sonst entgegenbringe, auf den Antrag des Centrums nicht eingehen.
Der Abg. Dr. von Forckenbeck erklärte, er habe bekanntlich für die Maigesetze gestimmt und lehne die Verantwortung dieses Votums auch jetzt in keiner Weise von sich ab, aber ebenso bekenne er, daß er eine Revision der kirchenpolitischen Gesetz— gebung in Preußen für nothwendig erachte und zwar eine Nevision, die bestimmte gesetzliche Normen für die verschiedenen Streitpunkte schaffe mit Ausschluß von diskretionären Voll⸗ machten. Schon im Jahre 1877 habe sich das Bedürfniß nach einer Revision der Maigesetzgebung fühlbar gemacht und sei speziell von ihm mehrfach betont worden. Nachdem jedoch seit Jahren das Gesetz kaum Anwendung gefunden und auch das Gesetz vom 29. Juni 1880 emanirt worden, sei das Bedürfniß in Preußen bedeutend geringer geworden. Bei Aufhebung solcher Gesetze, welche die unveräußerlichen Rechte des Staats in Gefahr bringen würden, werde man jedoch sehr behutsam sein müssen. Aus den Mo⸗ tiven zum Gesetze von 1874 ergebe sich, daß das Gesetz für eine außerordentliche Lage von der preußischen Re— gierung im Bundesrathe beantragt, dort angenommen, dem Reichstage vorgelegt sei. Er konstatire, daß weder aus der Mitte der Reichsregierung noch durch eine Erklärung des Be⸗ vollmächtigten der preußischen Staatsregierung irgendwie die Nothwendigkeit der Foridauer dieses Gesetzes ans Herz gelegt worden sei. Dieser Umstand, das Schweigen gegenüber einem Antrage, von dem sowohl der Reichskanzler als die preußische Regierung wissen könne, daß derselbe möglicherweise die Ma— jorität hier im Hause erhalte, zeige ihm, daß die Lage nicht mehr vorherrsche, für die das Gesetz gegeben sei. Das Gesetz sei ein für sich selbständig bestehendes Exekutivgesetz für die Maigesetzgebung, und wenn man dies aufhebe, so behaupte er, könne die Maigesetzgebung, welche noch andere Exekutive in der Landesgesetzgebung habe, intakt bestehen. Andererseits müsse er konstatiren, daß das Gesetz seit wenigstens 2 Jahren keine aktuelle Anwendung mehr gefunden habe, und, daß auch gegenwärtig bei den Verhältnissen in Preußen nicht zu fürchten sein, daß die Regierung nach 2 oder 3 Jahren dem Gesetze eine neue Anwendung geben wolle, und er glaube darnach konstatiren zu können, ob man das Gesetz heute, oder nach drei Monaten oder in der nächsten Session auf— hebe, bas sei gegenüber den übrigen Verhältnissen gleichgiltig. Er sage, nicht überhaupt, sondern gegenüber den übrigen Ver— hältnissen. Nun scheine es ihm indeß nicht wohlgethan zu sein, heute schon für die Aufhebung des Gesetzes zu voliren und dazu brächten ihn vorzüglich folgende Erwägungen. Er habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die preußische Staats— regierung sich in keiner Beziehung erklärt habe. Er betone, daß ihm die Lage der kirchenpolitischen Gesetzgebung und namentlich das, was bezüglich derselben in dem bevorstehenden preußischen Landtage verhandelt werden solle, vollständig unbekannt sei. Ferner sei hier in keiner Art von einer kompetenten Seite die Erklärung abgegeben worden, daß man beabsichtige, neue Gesetzvorlagen im preußischen Landtage einzubringen; ja es sei nicht einmal ausgesprochen worden, daß Verhandlungen schwebten. Er frage sich daher, und er glaube dazu verpflichtet zu sein, in einer so zarten Angelegenheit mit aller Vorsicht zu verfahren, erziele er, wenn er heute das Votum für Aufhebung des Gesetzes abgeben werde, einen wirklichen Erfolg oder führe das nur dahin, daß in ihm unklaren und unbekannten Ver— hältnissen neue Kompensationsobjekte zu Verhandlungen, die ihm fremd seien und die er nicht begreife, gegeben würden? Nach Verlauf von nicht mehr als 48 Stunden würde der preußische Landtag eröffnet, und wenn auch nicht vollständige, so doch einige Klarheit in die Lage der Dinge kommen und schon dann sei er im Stande, viel klarer über die Verhältnisse zu urtheilen, in Bezug auf die er einen wich⸗ tigen Schritt schon heute thun solle. Dann werde es sich zeigen, ob hier votirt werde für die Aufhebung des Gesetzes mit der Aussicht auf Erfolg, wie man doch voraussetzen müsse nach der geschäftsmäßigen Behundlung im Bundesrath, oder für weitere Vermehrung der Kompensationsobjekte, die man eben zur Verhandlung gebrauchen könne, und die seiner Ueberzeugung nach noch nicht zu verstehen seien. Zweitens bringe ihn Folgendes dazu, heute nicht für den Antrag Windthorst zu stimmen. Wenn auch die Maigesetzgebung ohne das Exekutivmittel bestehen könne, so werde doch die Annahme des Antrags auf die Verhandlungen im preußischen Landtage ganz anders verstanden werden, und Hoffnungen erwecken, welche bei der Revision sich nicht erfüllen könnten. Wer den Ausgleich und die Revision ernstlich wolle, der werde den Erfolg dieser bevorstehenden Verbandlungen mehr gefährden, wenn derselbe jetzt für die Aufhebung des Gesetzes votire, als wenn er dieses Votum dann spreche, wenn das Resultat dieser Verhandlungen vorliege. Zur Zeit stimme er also gegen den Antrag Windthorst, oder vielmehr für dessen Verschiebung, für eine Tagesordnung.
Der Abg. Schröder (Wittenberg) verwahrte sich gegen den Vorwurf besonderer kulturkämpferischer Neigung und konstatirte seine Uebereinstimmungen mit den Ausführungen Forckenbecks und Rickerts. Er verwahre sich gegen das Miß⸗ verständniß des Abg. Windthorst, als ob ihm ernste Feindselig⸗ keit gegen die katholische Kirche beiwohne. Im Uebrigen müsse er dabei stehen bleiben, daß dem Gesetze von 1874 irgendwelche Bedeutung zur Zeit nicht innewohne.
Der Abg. von Kardorff bedauerte, daß der Abg. von Forckenbeck nochmals den von ihm schon zurückgewiesenen Vor⸗ wurf wiederholt habe, daß er ein Handelsgeschäft mit dem Centrum proponirt habe. Wenn der Abg. von Forckenbeck sein Stenogramm lese, so werde derselbe sehen, daß er als Grund für eine Revision der Maigesetze erstens die anerkann⸗ ten Härten derselben und zweitens die veränderte politische Situation geltend gemacht habe. Es sei aber gerade von dem Abg. von Forckenbeck gewagt, von Handelsgeschäften zu sprechen, denn derselbe müßte sich des Schachergeschäfts erinnern, das im Kreise Oels bei den Wahlen von seiner Partei mit dem Centrum abgeschlossen worden sei.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der Abg. von Forcken⸗ beck habe im ersten Theil seiner Rede sein dem Antrage zu⸗
stimmendes Votum besser verthridigt, als er es gekonnt habe, und die Bedenken, die derselbe irn zweiten Theile seiner Rede geltend gemacht habe, seien nicht so durchschlagend, daß sie die Gründe des ersten Theils hätten entkräften können. Wenn man ein Gesetz als so unnöthig und obsolet hinstelle, wie Aba. von Forcken beck es gethan, so seüi seine formelle Aufrecht⸗ haltung doch nicht viel anderes als ein Votum für die Auf⸗ hebung Das Votum seiner (des Redeiers) Partei gegen das Gesetz werde durch diese Rede noch verfrärkt. Wenn der Abg. von Forckenbeck sage, man dürfe nicht allgemeine Hoffnungen erwecken, deren Erfüllung unklar sei, so denke er doch, ein allgemeiner Axthieb gegen die Maigesetze erwecke mehr un⸗ bestimmte Hoffnungen als die unbestimmte Erklärung, ein bestimmtes Gesetz beseitigen zu wollen.
Der Abg. Dr. Windthorst konstatirte zunächst, daß die Er⸗ klärungen des Abg. von Forckenbeck sehr vortheilhaft von den Aeußerungen seiner Freunde Schröder und Rickert abstächen. Bei der scharfen Logik des Abg. von Forckenbeck hätte er nur er⸗ wartet, daß derselbe aus seinen Vordersätzen die richtige Konklusion ziehen und zu einem Votum für seinen (des Redners) Antrag kommen werde. Derselbe sage, das Gesetz sei nicht mehr an⸗ gewendet; wisse Jderselbe denn nicht, daß noch viele Geistliche internirt und exilirt seien? Seien denn diese Ausgewiesenen gar nichts: Er hosse, daß der Kollege aus seinen Vorder⸗ sätzen die richtige Konsequenz ziehen und für den Antrag stimmen werde, sonst müßte er von der Liberalität der neuen Liberalen keine vortheilhafte Vorstellung bekommen.
Hierauf wurde die Debatte geschlossen.
Es folgte eine Reihe persönlicher Bemerkungen, in denen der Abg. von Forckenbeck erklärte, daß er von einem im Kreise Oels von seiner Partei abgeschlossenen Handels— geschäft nichts wisse. Der Abg. Rickert bestritt mit Energie, daß er in der kirchenpolitischen Frage sich zu seinem Freunde von Forckenbeck in einem Gegenfatze befinde und wies einige spöttelnde Bemerkungen des Abg. Windthorst über die liberale Vereinigung mit Nachdruck zurück. Eine Anzahl anderer Be⸗ merkungen blieben bei der im Hause herrschenden Unruhe unverständlich.
Damit schloß die zweite Lesung. In der Abstimmung wurden zunächst die Anträge von Ow-Frendenstadt und von Kleist-Retzow abgelehnt. Die Abstimmung über den Antrag Rickert war eine namentliche; derselbe wurde mit 235 gegen 126 Stimmen abgelehnt.
Die Abstimmung über 5. 1 des Antrages Windthorst war eine namentliche; derselbe lautet:
Das Gesetz, betreffend die Verhinderung der unbefugten Aus⸗ übung von Kirchenämtern, vom 4. Mai 1874 (Reichs-Gesetz blatt S. 45, 44) wird aufgehoben. ⸗
Der 5§. 1 wurde mit genommen.
S. 2Qbestimmt, daß auch die schon bestehenden landes— polizeilichen Verfügungen aufgehoben sein sollen.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode glaubte dem Gesetze eine solche rückwirkende Kraft nicht beilegen zu können, er werde deshalb gegen den 58. 2 stimmen.
Der §. 2 wurde jedoch, nachdem der Abg. Dr. Windthorst ihn nochmals befürwortet, mit derselben Mehrheit wie 5§. 1 angenommen.
Ebenso §. 3, wonach das Gesetz sofort nach seiner Ver⸗ kündigung in Kraft treten soll.
Hierauf vertagte sich das Haus um 5! Uhr auf Frei⸗ tag 11 Uhr.
223 gegen 115 Stimmen an⸗
Lite rarische Neuigkeiten und periodische Schriften.
Monatschrift für Deutsche Beamte, Organ des Preußischen Beamtenvereins, redigirt von L. Jacobi, Königl. Geh. Regierungs⸗Rath. (Grünberg i. Schl., Verlag von Friedr. Weiß Nachfolger.) 6. Jahrgang 1882. 1. Heft. — Inhalt: Ange⸗ legenheiten des Vereins: Bekanntmachungen der Direktion des Preu⸗ ßischen Beamten⸗Vereins. — Aus der Berliner Beamten⸗Vereinigung. — Rechtsverhältnisse der Beamten: A. Gesetzgebung; Verordnungen; Erkenntnisse. — B. Abhandlungen und Nachrichten über Fragen des Beamtenthums: Zur Dienstausbildung der Regierungs⸗Subalternen. — Zur Ausbildung der Eisenbahnbeamten. — Zur Gehaltssteigerung nach Maßgabe des Dienstalters. — Fortbezug der Militärpension im Kommunaldienst. — Aus dem Reichstage. — Zur Sonntagsruhe. — Aus englische und deutsche Art“ von Bluntschli. — Wohlfahrts⸗ Einrichtungen (Stiftungen ꝛc.) für Beamte und deren Hinterbliebene. — Abhandlungen und Aufsätze allgemeinen Inhalts: Friederiziana (Fortsetzung). — Arbeiterfürsorge. — Pfennig⸗Sparkassen. — Ver⸗ mischtes: Vom alten Schlößer. — Polizeistaat oder Rechtsstaat. — Ich dachte“. — Der Hang nach fremden Waaren. — Eine eigene Krankheitsbeschreibung Friedrich d. Gr. — Sprechsaal: Berechnung der Dienstzeit eines Staatsbeamten bei der Pensionirung. — Zur Charakteristik der Börsianer. — Bücherschau: Handbuch für preu⸗ ßische Verwaltungsbeamte, Geschäftsmänner, Kreis⸗ und Gemeinde⸗ vertreter und Schöffen von Illing. — Die Nothwendigkeit einer Re⸗ vision des preußischen Enteignungsgesetzes von Dr. jur. Georg Eger. — Deutsche Reichs⸗ und preußische Landesgesetze von Riedel. — Paul Mosers Notizkalender als Schreibunterlage für 1882. — Strafdauer⸗ Berechner von Rakowiez. — Inhalt der Beilage: Vakanzenliste: a. Für Justiz⸗ Verwaltungs⸗ Kommunal⸗ und Privatbeamte. — b. Für Geistliche, Lehrer, Aerzte ꝛc. — Inserate.
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