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künftigen Neichsgesetzen überlassen. Meine Herren, das sind aber — glaube ich — sehr wichtige Fragen; wenn man diese Aufgabe lösen will, muß man wissen, wie das gemacht werden soll, und die einzel⸗ nen Andeutungen, die der Herr Vorredner in dieser Beziehung ge⸗ geben hat, scheinen mir dazu nicht ausreichend zu sein. Er hat z. B. davon geredet, es könne eine Kaution gestellt werden. Gewiß, das ist eine einfache Art und Weise, diefe Sicherheit zu stellen; aber die Frage, wie hoch diese Kaution zu stellen sei und mit welchen Mitteln sie gestellt werden müsse, die ist nicht so einfach zu beantworten, denn es giebt Unternehmungen, bei denen eine solche Kaution, wenn sie wirklich ausreichen sollte, um die Ansprüche der Arbeiter sicher zu stellen, vielleicht eben so hoch sein müßte, wie das ganze Betriebskapital der Anlage, und wie unter folchen Um⸗ ständen auf den Unternehmungsgeist und die Entwickelung unserer Industrie die Forderung der Bestellung einer solchen Kaution wirken müßte, überlasse ich Ihrer eigenen Erwägung.
Dann hat der Herr Vorredner gemeint, es könne das ja auch in der Weise gescheben, daß Fabrikkassen gegründet würden, oder die Knappschaftskassen könnten dies übernehmen. Ich muß ge— stehen, ich kann mir das nicht recht vorstellen; unter „Fabrikkassen“ denke ich mir Vereinigungen von Arbeitern einer Fabrik, die durch Zusammenbringen von Beiträgen gewisse Zwecke verfolgen; hier würde es sich doch nur darum handeln, daß der Fabrikant selbst in seine Fabrikkasse nach und nach Beiträge leistet. Bis diese Beiträge den erforderlichen Betrag der Kaution erreicht haben würden, mußte er immer eine andere Kaution gestellt haben, und das käme eben wieder auf das zurück, was ich eben angedeutet habe. Dasselbe gilt von den Knapyschaftskassen.
Dann hat der Herr Vorredner gesagt, große Unternehmungen würden überhaupt schon durch ihren eigenen Bestand diejenige Sicher⸗ heit bieten, die erforderlich sei. Meine Herren, das hat auch schon der Gesetzentwurf der verbündeten Regierungen gewußt und berück⸗ sichtigt, denn im 8. 56 des vorjährigen Gesetzentwurfs finden Sie, daß Unternehmern großer Betriebe durch den Bundesrath die Befugniß gegeben werden kann, die Versicherung in der Weise auszuführen, daß sie sich verpflichten, die Deckungskapitalien für die entstehenden Ent⸗ schädigungsforderungen aufzubringen. (Abg. Dr. Lasker: Das ist etwas anderes.) — Das ist nichts anderes.
Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner anerkannt, daß die Sicherstellung der Arbeiter allerdings auch nach Erlaß des vorliegen⸗ den Gesetzentwurfs in der Regel durch Versicherung beschafft werde, und eben deshalb hätten die Herren Antragsteller die Versicherung auch mit besonderer Sorgfalt behandelt und sie hätten sich Mühe gegeben, Bestimmungen in das Gesetz aufzunehmen, die genügen wür⸗ den, um nach dieser Seite hin das Gesetz wirksam zu machen. In dem §. 10 des Gesetzentwurfs heißt es:
Durch Reichsgesetz werden die Normativbestimmungen festge⸗ setzt, unter denen eine Versicherungsanstalt mit der im 5. 1 be⸗ zeichneten Wirkung zuzulassen ist.
Bis zum Erlaß dieses Gesetzes entscheidet der Bundesrath über die Zulassung mit folgender Maßgabe.
Also, meine Herren, diese Normativbestimmungen zu erlassen, überläßt man einem späteren Reichsgesetz und giebt einstweilen dem Bundesrath die Vollmacht, nach gewissen noch folgenden näheren Be⸗ stimmungen die einzelnen Gesellschaften zuzulassen. So steht es im Gesetzentwurf. Nun, meine Herren, prüfen Sie einmal die Voraus⸗ setzungen, unter denen der Bundesrath verpflichtet sein soll, Versiche⸗ rungsanstalten zuzulassen. Die erste heißt:
Zuzulassen ist eine Versicherungsanstalt, welche
a alle Unternehmen der Betriebskategorien beziehungsweise der Bezirke, für welche die Versicherungsanstalt errichtet ist, unter den n den Statuten vorgesehenen Bedingungen in Versicherung nimmt;
Der Herr Vorredner hat es selbst ausgesprochen, es solle darin liegen eine Sicherheit für die Unternehmer, daß sie auch Gelegenheit finden, ihren Betrieb zu versichern. Es soll nicht in das freie Be⸗ lieben der Versicherungsanstalten gestellt werden, ob sie ein einzelnes Unternehmen aufnehmen wollen oder nicht. Dazu scheint mir nun diese Bestimmung durchaus nicht zu genügen. Es heißt hier: „unter den im Statut vorgesehenen Bedingungen.“ Ja, meine Herren, es ist ja für die einzelne Versicherungsgesellschaft außer⸗ ordentlich leicht, ihre Bedingungen so zu verklausuliren, daß sie im Stande ist, jeden abzuweisen, der ihr nicht gefällt. Wenn sie z. B. in ihre Bedingungen hineinschreibt: Wir nehmen jeden Betrieb der und der Kategorie auf gegen die zu vereinbarende Prämie, — dann meine Herren, ist die Gesellschaft in der Lage, jedes Unternehmen zurückzuweisen, welches nicht die von ihr geforderte Prämie bietet. Nun hat allerdings der Herr Vorredner in seinem Vortrage auch von den Tarifen gesprochen, welche diese Versicherungs⸗ anstalten veröffentlichen müßten und an die sie dann gebunden sein sollten, und er hat dann den schon in der vorigen Session von ihm ausgeführten Gedanken hier wieder vorgetragen, es könne ja dann irgend eine Instanz gebildet werden, die zu entscheiden habe, wenn Streit entstehe zwischen einer Versicherungsanstalt und einem Unter⸗ nehmer, ob dieser aufzunehmen sei oder nicht. Ja, meine Herren, diese Instanz finde ich wiederum im Gesetzentwurf nicht, die würde also noch zu bilden sein. Abgesehen davon, glaube ich, hier aber erinnern zu müssen an eine Thatsache, die ich auch in der vorigen Session bei Gelegenheit der Diskussion über die Zulassung von Privatgesellschaften hier hervorgehoben habe, nämlich die Thatsache, daß wohl schwerlich Versicherungsanstalten, wie sie heutzutage be—⸗ stehen, sich darauf einlassen würden, ihren Betrieb fortzusetzen unter denjenigen Voraussetzungen, die wenigstens nach dem Vortrage des Herrn Vorredners in die Normativbestimmungen aufzunehmen sein würden. Ich bemerke in dieser Beziehung, daß die Magdeburger Versicherungs · Aktiengesellschaft, welche sich mit der Unfallversicherung und verschiedenen anderen Versicherungszweigen beschäftigt, in einem gewissen Stadium der Verhandlungen über den vorjährigen Gesetzentwurf eine Eingabe hierher hat gelangen lassen, wodurch sie dem Einwurf begegnen wollte, daß sich die Versicherungsgesellschaften solche Norma⸗ tivbestimmungen nicht würden gefallen lassen. Aus dieser Eingabe geht aber auch hervor, was die Gesellschaften unter solchen Normativ⸗ bestimmungen verstehen und was sie als unerträglich ihrerseits be—⸗ trachten. Es heißt nämlich in dieser Eingabe:
Sollte jedoch dieser Antrag nicht die Zustimmung des Reich tags finden, O daß nämlich nur eine weitere Ausbildung des Haftpflichtgesetzes stattfinde — e müssen wir denjenigen Herren vellständig beistimmen, welche die Ansicht ausgesprochen haben, daß ohne Errichtung von Reichs- oder Staatsanstalten der Versicherungezwang nicht durchführbar sei, denn es ist zweifellos richtig, daß man die betreffenden Unternehmer nicht zwingen kann, bei Prlwatanstalten zu versichern, wenn man nicht gleichzeitig den letzteren die Versicherungsbedingungen,
Prämientarife, Schadenregulirungsverfahren u. s. w.
bis aufs Spenellste vorschreiben wollte, und hierzu würden
lich die Privatgesellschaften natürlich nicht verstehen können.
. Meine Herren! Ich weiß nicht, mit welcher Aussicht auf Erfolg die Normativbestimmungen, die übrigens bis jetzt noch nicht formulirt sind, in das Gesetz aufgenommen werden sollen, ob von dem Gesetz ein Erfolg zu erwarten ist, wenn die berufenen Vertreter der Ver⸗ sicherungsanstalten erklären, mit solchen Normativbestimmungen, wie sie hier für nöthig gehalten werden, können wir nicht marschieren.
Ich will mich auf eine nähere Erörterung der folgenden Punkte nicht weiter einlassen, obgleich auch darin noch eine ganze Fülle von Zweifeln beruhen, und eine Fülle von Fragen, die wiederum erst durch die fünftige Gesetzgebung gelöst werden könnten. Ich will nur konstatiren, meine Herren, daß die 26, welche zu einer gesetzlichen Regelung, wie sie von dem Herrn Antragsteller in AÄussicht genommen ist, geböten, eben nicht in dem Gesetz geregelt sind, son⸗ dern der künftigen Gesetzgebung vorbehalten sind, und ich meine, unter solchen Umständen kann man nicht mit dem Anspruch auftreten, daß man nun mit dieser Vorlage dasjenige Bedürfniß befriedigen
wolle, welches die verbündeten Regierungen mit ihrer Vorlage nicht hatten befriedigen können. ;
Einen sehr fruchtbaren Gedanken glaubt der Herr Vorredner in den §§. 15 ff. des Gesetzes zu finden, nämlich in der Unfallanzeige, in der Thätigkeit des Unfallkommissars und in der Art und Weise, wie die Schäden regulirt werden. Ja, meine Herren, die Unfall⸗ anzeige war in dem vorjährigen Gesetzentwurf auch schon vorhanden, und wenn mich meine Erinnerung nicht ganz täuscht, so sind die Be— stimmungen in diesem Abschnitt des Gesetzentwurfs zum großen Theil abgeschrieben aus dem Gesetzentwurf des vorigen Jahres, ebenso wie diejenigen Bestimmungen, die über die Limitirung der Entschädigungs⸗ forderung handeln. .
Nun aber, meine Herren, mit dem Unfallkommissarius — das ist allerdings ein sehr verlockender Gedanke, aber ich bin doch zweifelhaft, ob dieser Unfallkommissarius sich in der Praxis so be⸗ währen würde, wie der Herr Vorredner angenommen hat. Dem Unfallkommissarius sollen alle Unfälle angezeigt werden, die voraus sichtlich eine länger? als vierwöchentliche Erwerbsunfähigkeit, zur Folge haben. Er soll dann alle diese Unfälle einer Untersuchung unterziehen und wenn die Untersuchung zum Abschluß gekommen ist, so soll er ein Vergleichsverfahren einleiten und nach der Meinung des Herrn Vorredners — die übrigens in dem Gesetzentwurf keinen Ausdruck gefunden hat — wenn der Vergleich nicht zu Stande kommt, auch noch ein Gut⸗ achten darüber abgeben, was als Entschädigung etwa vom Richter zuzubilligen sein würde.
Meine Herren! Nach den ungefähren Ermittelungen, welche bis jetzt überhaupt vorliegen, können wir annehmen, daß in Deutschland etwa 40 000 Unfälle vorkommen werden, die eine längere als vier⸗ wöchentliche Erwerbsunfähigkeit zur Folge, haben. Nun will ich einmal fragen, wie viele solche Unfälle ein einzelner Unfalls kom missarius vielleicht erledigen könnte. Wenn er in einer dicht bevölkerten, in einer industriell entwickelten Gegend seine Station hat, so kann ich mir denken, daß er zur Erledigung des ganzen Verfahrens, welches ihm hier übertragen wird, für jeden Unfall, wenn die Wege und Reisen mitgerechnet werden, vielleicht drei Tage bedarf, dann würde er im Jahre etwa 100 Unfälle erledigen können, und wir würden für diese 40 000 Unfälle etwa 400 Unfallkommissarien im Deutschen Reiche anzustellen haben. Wenn ich aber die dünnbevölkerten und industriell wenig entwickelten Gegenden mit hineinziehe, dann wird dieser Unfallkommissarius soviele Tage auf Reisen zuzubringen haben, daß es ihm nicht mehr möglich sein wird, in drei Tagen einen Unfall zu erledigen. Die Unfälle richten sich nicht danach, wo der Unfall—⸗ kommissarius gerade in dem Augenblick sich aufhält, sondern sie kom⸗ men vor hier und da, ohne daß irgend ein Mensch, vorher bestimmen könnte, wo; und wenn der Unfallkommissarius sich in der einen Ecke seines Bezirks befindet und an der anderen Ecke ereignet sich ein Unfall, so muß er sofort dahin reisen und kann nicht darauf warten, ob in dem Zwischenraum erst noch vielleicht ein anderer Unfall vorkommt, den er auf dieser Reise gleich mitnehmen könnte. ö
Also, meine Herren, es würde, glaube ich, eine sehr kostspielige und weitläufige Einrichtung werden — und dann: wofür? JTeines⸗— wegs für alle Unfälle, sondern nur für diejenigen über 4 Wochen. und diese armen 4 Wochen, die uns im vorigen Jahre so sehr zum Vorwurf gemacht sind, werden doch hier auch wieder etwas vernach⸗ lässigt. Daß die Arbeiter nach dem Gesetzentwurfe auch für diese Zeit einen Anspruch haben, das bestreite ich nicht, aber ich suche vergeblich nach einem Verfahren, in welchem dieser Anspruch zur Geltung gebracht wird; davon steht in dem Gesetzentwurf nichts. Man kann also nur anneh⸗ men, daß jeder Arbeiter, welcher eine Erwerbsunfähigkeit unter 4 Wochen erleidet, ohne weiteres genöthigt ist, Klage zu erheben. Es wird nicht einmal den Versicherungsanstalten zur Pflicht gemacht, die Sache ex offieio in die Hand zu nehmen und wenigstens die Regulirung zu versuchen, wie das doch sehr leicht möglich wäre. Nun, meine Herren, diese Arbeiter, die nur vier Wochen arbeitsunfähig sind, haben, dünkt mich, ein gleiches Recht, berücksichtigt zu werden bei dem Verfahren, wie die übrigen. Wenn man das aber thun wollte, dann würde man überhaupt gar nicht in der Lage sein, so viel Kräfte anzustellen, als nothwendig wären, um die ganzen Geschäfte zu bewältigen.
Meine Herren! Ich glaube, Ihnen durch die Erörterung dieser wenigen Punkte wenigstens so viel gezeigt zu haben, daß dieser Ge⸗ setzentwurf noch keineswegs reif ist, durch die Berathung einer Kom⸗ mission auf diejenige Höhe gebracht zu werden, welche ihn befähigen würde, das Bedürfniß, welches hier vorliegt, wirklich zu befriedigen.
Der Abg. Sonnemann erkannte an, daß in dem Antrag Buhl ein wesentlicher Fortschritt gegen die früheren An⸗ schauungen eines großen Theils der Linken enthalten sei; er— freulich sei schon an sich das Einbringen eines liberalen Gegen— entwurss zum Unfallversicherungsgesetz, der viele gute und brauchbare Gedanken enthalte. Vielfach aber scheine nur der Entwurf auf halbem Wege stehen zu bleiben und die Gefahr des Einlenkens in falsche Bahnen in sich zu bergen. Die An⸗ zeigepflicht sei ein sehr lobenswerther Bestandtheil der Vorlage, desgleichen seien sehr werthvolle Fortschritte die Ausdehnung der Haftpflicht und die Adoption des Versicherungszwanges. Die Institution der Unsallskommissare sei aber keineswegs unbedenklich und theile er in diesem Punkte die Anschauungen des Bundesrathavertreters. Auf halbem Wege bleibe der Entwurf stehen, indem derselbe den Zwang ausspreche und dann vor⸗ zugsweise auf die Altiengesellschasten verweise. So weit gehe sein Vertrauen auf diese Form der genossenschaftlichen Korpo⸗ ration nicht, daß er sie zur Grundlage einer großen sozialpolitischen Aktion machen möchte. Seine Stellung zur Aktiengesetzgebung habe er bei anderem Anlasse dargelegt. Er halte dieselbe für die Erfüllung gewisser Zwecke gegen⸗ wärtig für unentbehrlich. Allein so weit gehe sein Vertrauen auf die Leistungen der Altiengesellschaften nicht, daß er die⸗ selben zur i einer sozialpolitischen Reform machen möchte. In dem Entwurse würden die Altiengesellschaften sogar mit besonderen Privilegien ausgestattet im Konkurs— verfahren, der Zwangsvollstreckung 2c. Dies würde die An⸗ sprüche dieser Gesellschaften gegenüber den Unternehmern nur noch verstarken, und die Prämien namentlich für die schwächeren Betriebe nur erheblich vertheuern. Ueberhaupt scheine ihm der Versicherungszwang ohne Schaffung öffentlich kontrollirter Institutionen kaum denkbar. Eine Theilnahme der Arbeiter bei der Verwaltung der Anstalten sei auf dem vom Gesetzentwurf betretenen Wege ausgeschlossen, ebenso die Weiterbildung der Fürsorge sür die Invalidität und das Alter. Alles dies könne nur auf dem genossenschaftlichen Wege erreicht werden. Er lönne sich von dieser seit langer Zeit ausgesprochenen Ansicht gewiß dadurch nicht abbringen lassen, daß der Reichskanzler neulich hier ähnliche Ansichten ausge⸗ sproken habe. Er verstehe unter genossenschaftlicher Regelung selbstverstandlich keine neue Art von Innungen oder Zwangs⸗ lorporationen. Er denke sich, daß Normativbestimmungen auf⸗ een würden, und daß die Anregung von den Verwaltungs⸗ vehörden ausgehen solle, daß im Uebrigen aber die Berufagenossen⸗
schaften ar men sein sollten, ebenso wie die Hülsskassen. er
Nur solchen Genossenschaften würde er Privilegien derart ein⸗ räumen, wie sie der Entwurf ganz allgemein gewähren solle. Hierdmch würde ohne Zwang der Schwerpunkt der Versiche⸗ rungen den Berussgenossenschaften sehr bald zufallen. Dies würde die billigste Art der Unfallversicherung sein, die Prozesse würden größtentheils ausgeschlossen sein, da Arbeitgeber und Arbeiter gemeinsam die Entschädigung seststellen würden. Bei dieser Einrichtung würden ferner mehr Unsalle verhütet wer⸗ den, als bei jeder anderen, da Niemand besser im Stande sei,
die Fabrikeinrichtungen zu übersehen, als die zunächst Bethei⸗ ligten selbst. Die Genossenschaften würden später die Alters⸗ und Invaliditätsversicherung in die Hand nehmen können, für welche nach dem Antrage wahrscheinlich noch⸗ mals besondere Einrichtungen geschaffen werden müßten. Er müsse allerdings erklären, daß er gegen jede Staatsunter⸗ stützung der Genossenschaften sei, auch gegen eine provisorische. Er könne nicht finden, daß es die Aufgabe des Staates sei, der Industrie diese Last abzunehmen, namentlich in Deutsch⸗ land, wo das Reich alle seine Bedürfnisse durch indirekte Steuern decke, welche zumeist die weniger bemittelten Klassen belasteten. Die Behauptung des Centralvereins, daß die In⸗ dustrie diese Last nicht tragen könne, halte er für durchaus übertrieben. Er sei überzeugt, daß der gegenwärtige und wahrscheinlich auch der nächste Reichstag Staatssubventionen für diesen Zweck ebensowenig genehmigen werde, wie das Tabaksmonopol. Allerdings werde der Uebergang zur Alters⸗ versorgung viel größere Schwierigkeiten machen als die Unfallversicherung und möchte er hierin vor sehr großen Er⸗ wartungen, wie sie von anderer Seite bei jedem Anlasse er⸗ weckt würden, warnen. Etwas könnte jedoch schon jetzt geleistet werden, und zwar am Besten im Anschluß an die Unfallver⸗ sicherung. Sehr viele Mittel werde aber der deutsche Militär⸗ staat, der schwer mit dem sozialen Staat zu vereinbaren sei, für diese Zwecke vorerst nicht übrig lassen. Im Ganzen sei er und seine Parteigenossen der Meinung, daß sich, wenn ein gut vorbereiteter Entwurf auf Grundlage der genossen⸗ schaftlichen Regelung an den Reichstag gelange, derselbe eine Mehrheit finden werde, da das Centrum auf ähn⸗ lichem Boden stehe und die Unterzeichner des vor— liegenden Antrags, der viel gutes Material enthalte, nachdem sie einmal so weit gegangen seien, auch einen Schritt weiter gehen würden, wenigstens ein Theil derselben. Hoffentlich werde es daher in der nächsten Session, einerlei, ob dieselbe im Frühjahr oder im Herbst stattfinde, möglich werden, diesen ersten Schritt auf dem Wege einer guten Sozialgesetzgebung zum Abschluß zu bringen, damit der Arbeiterstand nicht wie bei dem mißglückten vorigen Entwurfe wiederum leer ausgehe.
Der Abg. Dr. Buhl befürwortete seinen Antrag. Die vorjährige Regierungsvorlage sei von keiner Seite so sehr in ihren Fundamenten erschüttert worden, wie von Seiten des Reichskanzlers selbst, der die Zwangsversicherung als unannehmbar bezeichnet habe. Wenn der Bundes⸗ kommissar meine, der Abg. Lasker sei dem vor⸗ jährigen Regierungsentwurf zu feindlich gegenüber getreten, so müsse er dem doch widersprechen. Der Abg. Lasker habe anerkannt, daß in jenem Entwurf hochwichtige, grund⸗ legende Prinzipien vorhanden seien. Seine Partei habe denn auch den Standpunkt der vorjährigen Regierungsvorlage nur in einigen Punkten verlassen. Zu diesen gehörten allerdings die grundlegenden Bestimmungen des Staatszuschusses. Diese seien für seine Partei unannehmbar. Das Gerippe des Re⸗ gierungsentwurfs habe der Antrag beibehalten, z. B. die Entschädigung für die Arbeiter und die Rentenzahlung. Da dieser Entwurf das Produkt eines Kompromisses sei, so könne jeder Einzelne von den Antragstellern nicht für einzelne Be⸗ stimmungen verantwortlich gemacht werden. In einer so hoch⸗ wichtigen schwierigen Materie sei eine volle Uebereinstimmung der Ansichten nicht wohl denkbar; und die Antragsteller wür⸗ den gern jeden Vorschlag, möge derselbe von der Regierung oder einer Parlei kommen, prüfen und event. sich aneignen. Der Antrag kenne das Staatsmonopol nicht. Ein gründliches Studium des Berichts der Fabrikinspektoren habe ihn zu der Ueberzeugung gebracht, daß die Staatsversicherungsanstalten durchaus keinen Werth hätten. Wenn schon die Privatgesell⸗ schaften eine gewisse Gleichgültigkeit der Versicherten beförderten und die nöthige Sorgfalt bei der Berhütung von Unfällen abschwächten, . richte sich dieser Vorwurf noch mehr gegen die Staatsanstalt. Anders wäre es bei den Gegenseitigkeitsgesell⸗ schaften, deren Bildung 5§. 10 des Entwurfs den weitesten Spielraum lasse. Bei diesen sei es ganz selbstverständlich, daß die Betriebsunternehmer die nöthige Sorgfalt auf die Verhütung von Unfällen verwendeten, namentlich durch Ein⸗ führung von Sicherheitsmaschinen. Wenn der Kommissar den Vorwurf tadele, daß derselbe die Normativbestimmungen einem späteren Gesetze vorbehalte, so übersehe derselbe, daß auch der Regierungsentwurf solchen Vorbehalt enthalte, er erinnere nur an das Hülfskassengesetz. Der Kommissar habe gemeint, daß die Bestimmungen hinsichtlich der Versicherungs⸗ gesellschaften bei diesen kein Entgegenkommen finden würden. Dem gegenüber bemerke er, daß die Gegenseitigkeitsversiche⸗ rungsanstalten sich mit der Basis dieses Entwurfs einverstan⸗ den erklärt hätten. Heute Morgen habe er gehört, daß auch die Magdeburger Aktiengesellschaft ihre Ansicht seit dem vori⸗ gen Jahre geändert und sich mit dem §. 10 einverstanden er⸗ klärt habe. Er gebe aber gerne zu, daß der vorliegende Ent⸗ wurf verbesserungsfähig sei, und es könne ja allen berechtigten Wünschen noch Rechnung getragen werden. Gewundert aber habe es ihn, daß der Abg. Sonnemann für Genossenschaften eingetreten sei, das bedeute in dieser Frage eine Zwange⸗ anstalt. Es sei auch nicht zu übersehen, daß die Bildung dieser Genossenschaften sich noch auf Jahre hinausschieben kö8unne. Gewundert habe er sich auch, daß der Abg. Sonnemann sich gegen die Aktiengesellschaften erklärt habe, die sich doch im Versicherungswesen vollständig bewährt hätten. Man sei den Gegenseitigkeitsgesellschaften die An⸗ erkennung schuldig, daß sie fast nie zu Klagen Anlaß gegeben hätten. Bezüglich der Uebernahme der Prämienzahlung seien die Meinungen verschieden. Es sei bedenklich, die Prämien⸗ zahlung der Industrie ganz auszubürden, und die „Nordd. Allgem. Ztg.“ habe neulich hervorgehoben, daß die Industrie daran zu Grunde gehen würde. Die Arbeiter könnten sie aber auch nicht allein tragen. Wenn aber durch diesen Ent⸗ wurf bewirkt werde, daß die Betriebsvorrichtungen der Unternehmer regulirt würden und daß dadurch die Unfälle sich verminderten, so sei es auch billig, daß die Arbeiter ein Compelle hätten, vorsichtiger zu werden. Es sei erwiesen, daß die meisten Unsälle durch eigenes Ver⸗ schulden der Arbeiter vorlämen. Wenn nun die Arbeiter zu dieser Prämienzahlung beitrügen und sich an der Organisation betheiligten, so würden sie ihre Mitarbeiter zur größerer Vor⸗ sicht anhalten. Er sei zwar der Ansicht, daß es sich nicht empfehle, eine steigende Skala für die Verschuldung einzuführen, weil dadurch die Zahl der Prozesse sich noch vermehren würde, aber er halte es für zweckmäßig, wenigstens eine Stuse ein⸗ zuführen, daß nämlich für grobe Verschuldung eine vermin⸗ derte Zahlung eintrete. Er habe sich gegen die Karrenzzeit ausgesprochen, damit der Arbeiter gerade in den ersten Tagen seiner Verletzung entsprechend verpflegt werden könne. Zum Schlusse noch eins. Seine Partei halte sich für verpflichtet,
in sozialpolitischen Fragen nicht nur kritisirend vorzugehen, sondern auch selbständig, um damit ihren guten Willen zu dokumentiren, eine so hochwichtige Frage zu lösen. Von diesem Standpunkte aus bitte er das Haus diesen Antrag aufzufassen. z ; ;
Der Abg. Richter (Meißen) bat Namens seiner Fraktion um Ablehnung des Antrages. Seinen Freunden und ihm könne sicherlich nicht vorgeworfen werden, daß sie für die vor⸗ liegende Frage nicht das genügende Interesse hätten; sie hätten im Gegentheil stets auf die Nothwendigkeit einer größeren Ausdehnung des Knappschaftskassenwesens hingewiesen. Ueber die Normativbestimmungen habe der Bundesbevollmächtigte bereits gesprochen. Er gehe noch auf §. 106. näher ein, in dem es heiße: diejenigen Versicherungsgesellschaften sollten zu⸗ gelassen werden, welche für die amtlich festgestellte Rente das Kapital bei einer vom Bundesrath zu bestimmenden Stelle hinter— legen würden. Bei Gelegenheit der Interpellation Stumm be— treffs der Knappschaftskassen im Jahre 1878 habe man aus statistischen Anführungen erfahren, daß bei den Krause'schen Knappschaftskassen 15 710 Invaliden, 19 900 Wittwen, 32 000 Waisen zu versorgen seien, daß der Pensionsbetrag allein 6 Millionen, die Gesammtausgabe 11 Millionen betragen hahe. Man könne den Fabrikanten nicht zumuthen, die Beträge der Versicherungssummen aus ihrer Wirthschaft herauszuziehen, um dieselben als Garantiefonds anzulegen. Das würde die geschäftliche Betriebsamkeit unter Umständen schwer schädigen. Wenn ferner den Versicherungsgesellschaften zur Pflicht ge— macht werden solle, auch ihrerseits stets Deckung zu haben, so würde die Folge die sein, daß nur eine kolossal große Aktiengesellschaft sich der hier gestellten Aufgabe unterziehen könne. Kleine Genossenschasten könnten gar nicht daran denken. De facto würde dieser Zweig des Versicherungswesens also statt vom Staate, von einer großen Gesellschaft monopolisirt werden. Auch daß man die kleineren Zweige der Gewerbthätigkeit ausscheiden wolle, sei kein Vorzug des Antrages. Die Landwirthschaft involvire auch in den nicht mit Maschinenkräften arbeitenden Unter— nehmungen große Gefahren für die Betheiligten. Diese von den Segnungen des Gesetzes auszuschließen, sei unbillig.
Der Abg. Dr. Hirsch wies die von dem Vorredner geltend ge— machten Bedenken zurück. Gegen die Ausschließung der landwirth⸗ schaftlichen Betriebe von geringerem Umfange sprächen äußere und innere Gründe, vor Allem der Umstand, daß hier der Ar— beiter nicht als einzelnes ohnmächtiges Glied der ganzen Kette von dem Betriebe selbst abhängig sei. Er vermisse bei den Opponenten eine genügende Würdigung des großen prinzipiellen Standpunktes, auf dem der Antrag ruhe, daß nämlich das Prinzip der Haftpflicht wieder zur Grundlage der diesbezüg⸗ lichen Gesetzgebung gemacht werden solle. Er bitte das Haus, diese Materie im Sinne des vorliegenden Antrages schleunig zu regeln und beantrage Verweisung desselben an eine Kom⸗ mission von 21 Mitgliedern.
Hierauf vertagte das Haus die Debatte um 4, Uhr auf Donnerstag 11 Uhr.
— Bei Einbringung des Entwurfs des Staatshaus⸗ halts-Etats für das Etatsjahr 1882/83 und des Ent⸗ wurfs des Anleihegesetzes ergriff in der gestrigen (3.) Sitzung des Abgeordnetenhauses der Finanz-Minister Bitter, wie folgt, das Wort:
Meine Herren! Ich beehre mich dem hohen Hause mit Aller⸗ höchster Ermächtigung den Staatshaushalts⸗-Etat für 1882ñ83 vorzu⸗ legen. Wenn ich bei dieser Vorlegung wie bisher auf die Verwal⸗ tung des zunächst vorhergehenden Rechnungsjahres zurückgehen darf, so ist es mir vor allem erfreulich, mittheilen zu können, daß ein Ver⸗ waltungsdefizit in diesem Jahre nicht eingetreten ist. Nicht nur daß alle Ausgaben in den Einnahmen ihre volle und reichliche Deckung ge—⸗ funden haben, es ist auch noch ein nicht unerheblicher Ueberschuß zurück⸗ geblieben, welcher für das nächste Rechnungsjahr 1882/83 reservirt ist. Dieser Ueberschuß berechnet sich, wie in der Uebersicht der Staats⸗ einnahmen und Ausgaben für das Jahr 1880/81 Ihnen des Näheren mitgetheilt werden wird, auf 28 862 845 MS An diesem zunächst er⸗ freulichen Resultat war insbesondere betheiligt die Forstverwaltung mit einem Mehr von 1250 449 „S, die Verwaltung der direkten Steuern mit 1 383 220 , die Bergverwaltung mit 5 740 514 *, die Eisenbahnverwaltung mit 28 574 816
Es baben dagegen erhebliche Mindereinnahmen nur stattgefunden bei der Verwaltung der indirekten Steuern, hauptsächlich bei der Stempelsteuerverwaltung, nämlich mit etwas über 2 Millionen Mark.
Was die Eisenbahneinnahmen angeht, so gehören von den eben bezeichneten Mehreinnahmen den Staatseisenbahnen 4 662 582 M und den für Staatsrechnung verwalteten Privateisenbahnen 23 912 234 Dieser Ueberschuß gehört aber, wie ich ausdrücklich bemerken will, keineswegs allein dem Rechnungsjahr 1880 auf 1881. Es wird Ihnen vielmehr aus den Verhandlungen über die Verstaatlichung der Pri⸗ vatbahnen erinnerlich sein, daß die Privateisenbahnen ihre Etats⸗ und Rechnungsperioden nicht wie die Staatsverwaltung von April zu April berechneten, sondern daß bei ihnen die Etats mit dem Kalenderjahr zusammen fällt. Erst von diesem Jahre ab ist es mög⸗ lich gewesen, beide Perioden mit einander zu verschmeljen und es hat also das erste Quartal des Kalenderjahres 1881 den Gesammt⸗ einnahmen in der Verwaltung desselben Jahres zugerechnet werden müssen. Es fallen demnach nach dieser Berechnung auf das erste Quartal der gemeinsamen Rechnungsperiode 7 634 500 M, so daß der eigentliche Ueberschuß der unter Staateverwaltung stebenden Privat- eisenbahnen für das Rechnungsjahr 1880/81 sich auf rund 16 278000 Æ beläuft. Es darf dieses Resultat des Ge⸗ dankens, den die Königliche Staatsregierung dem hohen Hause wegen Verstaatlichung gewisser Eisenbahnkomplere vorgeschlagen und welche inzwischen seine gesetzliche Vollendung gefunden hat, gewiß als ein te . Erfolg der Eisenbahnpolitik der Regierung bezeichnet werden.
Was die Ausgaben anbetrifft, so ist hauptsächlich für die Justiz⸗ verwaltung eine Mehrausgabe von 9115 624 66 zu verzeichnen. Dieser Mehrausgabe steht allerdingg eine Mehreinnahme von 1992457 ½ gegenüber, es ist aber immerhin ein Zuschußbedarf von 7123 167 „ nothwendig geblieben. Die Ergebnisse der übrigen Verwaltunge zweige in Bejug auf die dauernden Einnahmen und Aug gaben des genannten Rechnungsjahres bewegen sich in so mäßigen Ziffern, daß ich nicht glaube, sie dem hohen Hause bier besondert vor⸗ tragen zu sollen.
Bei den einmaligen und außerordentlichen Ansgaben haben er⸗ spart werden können rund 3 400 0090 ƽ; da dagegen bei der Forst verwaltung eine Mehrausgabe von etwas mebr als 4 Millionen nach⸗ er sst, so bleibt immerhin eine Ersparniß von rund 3 Millionen
ark bestehen. .
Ich möchte bei dieser Gelegenbeit besonders auf ein Finanzdetail aufmerksam machen, welches die Gisenbabnverwaltung betrifft und welches von einem gewissen Interesse sein wird. In dem Rechnunge⸗ jahr 1880 81 war bei Beginn des Jahres an der Gisenbabnverwal⸗ tung für Bauten und Erwerbungen ein Bestand von 1 553 126 4 vorhanden, zu denen im Laufe des Jahres an erneuten Einnabmen hinzugetreten: sind 217 616 40) Æ, so daß die Einnahme 249 169 528 M betrug, die Ausgaben dagegen 266 857 790 ½ Es ist daber ein Ueberschuß von 17 688 262 M½ auf das laufende Jabr
übernommen worden, der jetzt abgewickelt und als beseitigt nachge⸗ wiesen werden muß.
Schatzscheine sind in dem bezeichneten Jahr überhaupt nur 5 Millionen Mark verausgabt worden, von denen bei Abschluß des Jahres nichts mehr in Umlauf gewesen ist. An außeretats⸗ mäßigen Ausgaben, über welche Ihnen Rechnung gelegt werden wird, sind verausgabt worden 590 484 6 Es haben dagegen Etat— überschreitungen stattgefunden in dem allerdings sehr erheblichen Be⸗ trage von 34191 343 ½, deren Prüfung und Genehmigung bei Ihnen nachgesucht werden wird. J
Im Großen und Ganzen wird man hiernach das in Rede stehende Rechnungsjahr wohl als ein befriedigendes bezeichnen können, umso— mehr, als ja ohne Zweifel während desselben die lange und schwere Verkehrs⸗ krisis, welcher das Land unterworfen gewesen ist, noch ihre erhebliche Nach⸗ wirkung geltend gemacht hat, und so gleichzeitig auch das in Rede stehende Jahr keineswegs in Bezug auf die Ernte ein erwünschtes gewesen ist. Sie wissen, daß eine sehr mittelmäßige Ernte sich mit schweren Naturereignissen verbunden hat, welche in vielen Kreisen der Bevöl⸗ kerung und des Landes tief eingreifende Wirkungen gehabt haben, und dadurch ist der Verkehr sowohl als der Erwerb in hohem Grade in enge Grenzen eingeschlossen gewesen.
Wenn ich von diesen Betrachtungen aus auf den jetzt vorliegenden Etat eingehe, so darf ich, auch wenn die Balance des Etats nicht voll erreicht ist, doch aussprechen, daß ein wesentlicher Fortschritt und eine nicht zu verkennende Verbesserung der Finanzlage offenbar vorliegt.
Was die Balance anbetrifft, so handelt es sich, wie ich vorweg bemerken will, um ein Defizit von nicht ganz 5 Millionen Mark. Es beträgt dies bei einer Einnahme und Ausgabe von rund 940 Millionen, also nahezu 1 Milliarde, kaum Roso der Gesammtsumme. Auch in dem vorliegenden Etat haben ubrigens, wie ich vorweg bemerken will, weit reichende Bedürfnisse und erhöhte Ausgaben ihre volle Deckung gefunden.
Der Etatentwurf schließt in Einnahme und Ausgabe mit der Summe von 939 806 617 K ab, also in Einnahme und Ausgabe höher um 26736 201 6 als der vorige Etat. Die dauernde jetzige Ausgabe von 905 727 373 S. übersteigt die des vorigen Jahres um 32766 475 ½ , ist aber immerhin um 34 Millionen Mark niedriger, als die dauernde Einnahme berechnet worden ist.
Das Extraordinarium beträgt rund 34 Millionen Mark, also etwa 30 der Gesammtausgabe des Staates, und bleibt hinter dem Extraordinarium des laufenden Jahres um 6 Millionen zurück.
Wenn ich hiermit glaube einen Abriß der Hauptzahlen des Etats gegeben zu haben, und nun den Titeln des Etats folgend, in die ein zelnen Verwaltungen eintreten werde, so werde ich bemüht sein, Ihnen in den nachfolgenden Zahlen-⸗Mittheilungen ein Bild von der Finan⸗ ziirung des Etats selbst und von der Lage des Landes, so weit sie sich in dem Etat abspiegelt, darzulegen.
Die Domänen⸗ und Forstverwaltung weist bei über 80 Millionen Gesammteinnahme gegen das Vorjahr eine Mehreinnahme von 713 670 1M nach und eine Mehrausgabe von 1 2656 950 46, also einen Minderüberschuß von 543 280 66. Die Mehrausgabe fällt auf Gebäudeunterhaltrng und Transport für Holz, Wegeunterhaltung und Wegebau, auf Forstkulturen, sowie auf forstwirthschaftliche und Lehrzwecke.
Das Finanz ⸗Ministerium hat bei den sogenannten Betriebs⸗ zweigen und einer Gesammteinnahme von über 250 Millionen Mark eine Mindereinnahme von 1596380 * und eine Mehrausgabe von 1482757 ½ , zusammen also einen Minderüberschuß gegen das Vor⸗ jahr von 3 9 137 S6. Hierbei ist aber hervorzuheben, daß die direk⸗ ten Steuern, welche mit über 1633 Millionen Mark einen Haupttheil der Einnahme des Finanz⸗Ministeriums bilden, nicht etwa einen Rückgang gegen das vorige Jahr gezeigt haben. Die verminderte Einnahme beruht wesentlich darauf, daß von den Steuererträgen nicht allein der im vorigen Jahre bewilligte Steuererlaß von 14 0060000 6. vorweg in Abzug gebracht ist, sondern, daß ferner auch in Abzug gebracht ist der in dem Etat der allgemeinen Finanzverwaltung Kap. 22 Tit. 2 in Einnahme nachgewiesene Antheil aus den Reichsstempelabgaben, welcher in diesem Jahre zum ersten Mal im Etat erscheint. Dieser Antheil beträgt 7269 530 6. Von ihm muß zunächst in Ab⸗ rechnung gebracht werden eine Summe von rund 600000 „, welche auf diejenigen Stempelabgaben fällt, die bisher für Preußens alleinige Rechnung erhoben worden sind und nach dem Reichestempelgesetz nunmehr in die Reichsstempel übergegangen sind. Werden diese 600 000 M abgerechnet, so bleibt übrig eine Summe von 6670 900 , welche die Staatsregierung geglaubt hat zu Steuererlassen in den Ltat einstellen zu müssen, da sie der Meinung ist, daß dieselbe dem Gesetz vom 6. Juni 1880 zu unterliegen habe. Ich werde kaum daran zu erinnern brauchen, daß in §. 1 dieses eben genannten Gesetzes festgesetzt worden ist, daß die Ueberschüsse, welche Preußen aus der Steuer⸗ verwaltung des Reiches bekommt, so weit sie nicht zu Staatszwecken verwendet werden, zu Steuererlassen bestimmt werden sollen. Die bezeichnete Summe würde hinreichen, um dem vorjährigen Steuererlaß eine vierte Monatsrate der Klassen⸗ und klassifizirten Einkommensteuer mit 4 566 600 S zuzusetzen und eine fünfte Monatsrate für die sechs untersten Klassenstenerstufen zu bewilligen, welche 2 100000 S in Anspruch nehmen werden. Sollte das dem hoben Hause wieder vorzulegende Verwendungsgesetz noch rechtzeitig zur Annahme gelangen, so würde diese Etatsposition sich insofern ändern, als nach dem dortigen Vorschlage nicht, wie das Gesetz vom 16. Juni 1880 es erfordert, die Erlassung nach Monatsraten, son⸗ dern in Zukunft nach Steuerstufen und von unten an beginnen soll. Ich behalte mir vor, bei Einbringung des Verwendungsgesetzes hierauf zurückzukommen und bemerke hier an dieser Stelle nur, daß, wenn diese Auffassung der Staatsregierung Anerkennung finden sollte, die weiteren Steuererlasse zunächst nur den unteren Klassensteuerstufen zu⸗ gut kommen würden.
Man könnte ja, und dies ist vielfach ausgesprochen worden, der Meinung sein, daß der Etat mit einem, wenn auch nur geringen Defizit ab⸗ schließt, doch die vorhandenen Mittel daiu hätten verwendet werden sollen, die Balance ijwischen den Staatseinnahmen und Ausgaben herzustellen. Die Staatzregierung hat, wie Sie überzeugt sein dürfen, diese Frage in reifliche, ernstliche Erwägung genommen, und ohne irgendwie der Richtigkeit dieses finanziellen Grundsatzes entgegentreten zu wollen, hat sie doch geglaubt, von ihm in diesem Falle absehen zu dürfen. Sie hat dies gethan, weil im vorigen Jahre bei der Berathung des Verwendungagesetzes in diesem hoben Hause sowohl von mir als von Seiten des Herrn Minister⸗ Präsidenten mit großer Bestimmtbeit ausgesprochen worden ist, daß die Staatsregierung den Wunsch haben müsse, alle Ueberschüsse aus dem Reich in erster Linie nicht zu Staate zwecken, sondern ausschließ⸗ lich zu Steuererlassen verwendet zu sehen. Die Staatsregierung hat geglaubt, daß in diesen Erklärungen, wenngleich das Verwendungs⸗ gesetz im hohen Hause nicht durchberathen und genehmigt worden ist, für sie doch eine Vinkulirung liege, und daß sie nicht das Recht babe, von jenen Erklärungen abzugeben. Sie bat auß dem Grunde davon Abstand genommen, die Balance des Staatshaushalts herzustellen, welche sonst sehr leicht herstellbar gewesen sein würde.
Die im vorliegenden Etat aufgenommenen Erlasse an Ein⸗ kommen⸗ und Klassensteuer betragen einschließlich ol 400 Æ für die bobenzollernschen Lande, die gewiß bedeutende Summe von über 20 Millionen Mark. ;
Bei den indirekten Steuern ist eine Mehreinnahme von II 900 Æ nachgewiesen, welche vorzugtweise auf die Mehreinnahmen an Gerichtsfosten und Strafgeldern zurückjusühren ist, wäbrend eine Mehrausgabe von 1 305985 Æ gegenüberstebt, so daß der Mehrüberschuß der indirekten Steuern sich auf rund 2100009 M beläuft. Die Mebrausgabe fällt
Steuerverwaltung, die Gesetze über die statistische Gebühr und die Denaturirung und Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken, der neue Zolltarif, die vermehrten Geschäfte in Bezug auf die Tabakssteuer und die Reichsstempelabgaben haben die Verant⸗ wortlichkeit und Thätigkeit der Zollbeamten in einem so wesentlichen Maße erhöht, daß es nothwendig geworden ist, zu erwägen, inwieweit eine organisatorische Aenderung der Kosten der Verwaltung möglich sein wird. Diese Frage hat das hohe Haus bereits in der 45. Sitzung des vorigen Jahres beschäftigt, und das Bedürfniß ist von Ihnen als begründet anerkannt worden.
Im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, dessen Gesammt⸗ einnahme aus allen seinen Betriebszweigen die Höhe von 461 Mil⸗ lionen Mark beträgt, ergiebt zunächst die Bergwerksverwaltung eine Mehreinnahme von 70530 934 , dagegen eine Mehrausgabe von 5 875 573 , sodaß ein eigentlicher Mehrertrag von 1 155 361 . nachgewiesen ist. Die Mehrausgabe findet sich insbesondere in den verschiedenen Branchen der Verwaltung bei den Betriebs löhnen, den Betriebskosten, den Materialien und Utensilien nachgewiesen.
Was die Eisenbahnverwaltung betrifft, so ergiebt die gesammte Einnahme aus derselben einen Betrag von 369 150 547 S½ und gegen das Vorjahr mehr 12 608 547 M Die Ausgabe beträgt 266 687 286 A0 und gegen das Vorjahr weniger 131 807 S, so daß im Ganzen eine Mehreinnahme von 102 463 261 „S und ein reiner Ueberschuß gegen das Vorjahr von 12740 354 Me vorhanden ist. Ich sollte glauben, daß auch diese Zahlen wohl die Politik, welche das hohe Haus in , mit der Regierung befolgt, hinreichend rechtfertigen werden.
Bei den Dotationen und der allgemeinen Finanzverwaltung habe ich hervorzuheben, daß, abgesehen von der durch besonderes Gesetz zu beschaffenden Ausgleichssumme für das Ordinarium und neben einer Mehreinnahme von nahe 15 Millionen doch im Ganzen eine Mehr— ausgabe von 14 806 104 46 vorhanden ist. Bei den Einnahmen treten hervor besonders der Antheil Preußens an dem Ertrage der Zölle und Tabak⸗ steuer mit 45 020 100 4½, gegen das Vorjahr mehr 8 896 200 ; ferner der Antheil an dem Ertrage der Reichsstempelabgaben, welchen ich die Ehre gehabt habe, vorher schon zu beziffern, und der Verwaltungs⸗ überschuß für 1880/81 von 28 862 485 AM, den die Regierung geglaubt hat, hiernach einstellen zu müssen.
Der zur Balanzirung des Etats eingestellte Betrag beträgt 4 966 700 M6.
Es ist daher gegen den zu gleichem Zwecke eingestellten Betrag des vorigen Jahres ein Minderanleihebetrag von 23 663 300 MS zu verzeichnen.
Was diesen sehr hohen Einnahmen gegenüber die Ausgaben der allgemeinen Finanzverwaltung betrifft, so springt zunächst der erhöhte Matrikularbeitrag des Reiches mit 58 340 838 „ in die Augen, welcher gegen den vorjährigen Etat ein Mehr von 19 532 606 S enthält, von welchem 5 8390 433 ½ auf die nach dem diesjährigen Be⸗ schluß im Reichstage nothwendig gewordene weitere Erhöhung der Matrikularbeiträge entfallen.
Ich möchte dem hinzusetzen, daß diese Matrikularbeiträge gegen die Ueberschüsse, welche Preußen mit 50 Millionen Mark vom Reiche erhält, immer noch einen Zuschuß von rund 8 Millionen er⸗ forderlich machen.
Die Verzinsung der öffentlichen Schuld weist . einen Mehrbedarf von 6212 030 6 nach, eine Summe, welche darauf hinweist, daß die steigende Zinsenlast des Landes die möglichste Zu⸗ rückhaltung auf dem Gebiete derjenigen Ausgaben in Anspruch nimmt, die nur durch Staatsschulden gedeckt werden können.
Im Etat des Auswärtigen Amts wird unter den Gesandtschafts⸗ besoldungen eine Mehrausgabe von 90 000 „ gefordert, welche durch die in Preußen beschlossene Wiederaufnahme der diplomatischen Be⸗ ziehungen zu dem päpstlichen Stuhle bedingt ist.
Das Justiz⸗Ministerium weist eine Mehreinnahme von 1529 950 46, eine Mehrausgabe von 5 301 600 MS, also ein Mehrverbrauch von 3771 650 6 nach, welcher in der Hauptsache durch die vermehrten Besoldungen und persönlichen Ausgaben herbeigeführt ist.
Der Etat des Kultus⸗-Ministeriums ist in der Ausgabe um 1022648 M gestiegen, im Wesentlichen durch die Zuschüsse an die Universitäten und höheren Lehranstalten und das Elementarschul⸗ wesen.
In allen übrigen Ministerien haben die Verhältnisse sich nicht erheblich geändert, und ich glaube, über die dorthin gehörigen Zablen hier wohl weggehen zu können.
Hiernach schließt das Ordinarium einschließlich der Einnahmen der Ueberschüsse des Vorjahres, wie bereits erwähnt, mit einer runden Summe von 910 Millionen Mark ab; das Extraordinarium beziffert sich im Ganzen auf rund 34 Millionen Mark, also etwa 6 Millionen Mark weniger, als im vorjährigen Etat. Dasselbe wird, wie er⸗ wähnt, durch einen Zuschuß im Wege der Anleihe von 4 966 709 gedeckt werden. Es wird erwünscht sein, dabei darauf hinzuweisen, daß in den letzten Jahren erheblich höhere Anleihebeträge nöthig gewesen sind als jetzt; so im Jahre 1878/79 42 Millionen, 1879/80 68 Millionen, 1880/81 371 Millionen und 1881182 28 Millionen Mark. Aus dem Extraordinarium sind, was ich besonders hervorheben möchte, in diesem Jahre alle diejenigen Positionen ausgesondert und in das Ordinarium übertragen worden, welche sich in gleicher Weise in jedem Jahre wiederholt baben und auch nach der Aeußerung des Herrn Ressortchefs in jedem Jahre wiederkehren werden. Die Summe dieser Ausgaben, die im Ordinarium ihre Stelle gefunden habe, be⸗ trägt 1 8900 850 M6 Im Großen und Ganzen sind es neben den vielen Bauausgaben für alle Ministerien hauptsächlich Kulturzwecke, welche in diesem Theile des Etats ihre Deckung finden sollen und die sie bis auf den bemerkten Betrag auch gefunden haben. Die Staatsregie⸗ rung hat geglaubt, diesen besonderen Zwecken gegenüber und bei dem e. Interesse, welches das Land von der Bewilligung dieser Zwecke hat, die nicht erbebliche Unterbilanz im Etat nicht scheuen zu sollen.
Unter diesen Ansätzen des Extraordinariums finden Sie für Eisenbahnzwecke tund 4 Millionen Mark, für Regulirung der Wasserstraßen und sonstige Baujwecke nahe an 8 Mil⸗ lionen, für die Justizverwaltung 21 Millionen, für die Straf⸗ anstalte verwaltung 19 Millionen, für Darleben an die Domänen⸗ pächter behufs Ausführung von Drainage gegen Verzinsung und Amortisation 600900) 4 und ferner zum Ankauf von Forstgrund⸗ stücken neben den im Ordinarium bereits eingetragenen 105000900 M, 250 9007 W, im Ganzen also 2? Millionen Mark. Für die übrigen Bedürfnisse der landwirtbschastlichen Verwaltung rund 146 Millionen Mark, für Universitätsbauten etwas über 16300090 4, für die übri⸗ gen Unterricht jwecke 37 Millionen Mark, für Kunst und Wissen⸗ schaft 1116009 e, im Ganzen für das Kultus ⸗Ministerium 6 600009 Æ Es ist möglich gewesen, diese Summe in Vorschlag zu bringen unter Voraussetzung des oben erwähnten verhbältnißmaßig geringen Zuschusses von nahe an 3 Millionen Mart.
Ich habe diesen Bemerkungen hinzuzufügen, daß von den durch besondere Gesetze zur Verfügung gestellten Summen für Cisenbabn-⸗ bauten und Baubedürfnisse den verstaatlichten Eisenbabnen 12 932765 . definitiv erspart worden sind. .
Wenn biernach der Ftat, wie nachgewiesen, mit rund 940 Millionen abschließt, obne eine vollständige Balance erreicht jiu haben, so glaube ich doch, wie ich bereits die Ehre gehabt babe anzu⸗ deuten, die finanzielle Situation gegenüber den vergangenen drei Jahren als eine günstige umsomehr bejeichnen zu müssen, als in dieser neben den gesteigerten Ausgaben für das Land und neben wesentlicher Grböbung der Matrikularbeiträge nech einen Erlaß von mehr alg 29 Millionen Mark an Steuern seinen Ausdruck gefunden bat.
Meine Herten! Wenn nicht Alles hat erreicht werden können, wag die Staatsregierung gern erreicht haben wurde — ich meine biermit vor Allem die Erhöbung der Gebälter der Verwaltungs beamten — so berubt dieß auf der Erbeblichkeit der Mittel, die dafür in Anspruch genommen werden müssen und die nach den speziellen Feststellungen, die ich babe eintreten lassen, mebr als 20 Millionen dauernde Ausgaben in An⸗ spruch nehmen. Die Staatgregierung bat geglaubt, diese große Summe in den Etat nicht einstellen zu dürfen, da Deckungh⸗ mittel dafür nicht vorhanden sind und dlese nur durch
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