1882 / 34 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 08 Feb 1882 18:00:01 GMT) scan diff

zu den Kasinos und zu den sonstigen Vereinen der Geselligkeit, wel⸗ cher nicht heute voll und ganz in den Kreis der polnischen Agitation gejogen worden wäre. Das gilt namentlich auch von allen Vereinen, welche sich auf dem Gebiete des Kreditwesens, der gewerblichen Thä—- tigkeit entwickelt haben. Bis vor Kurzem galt allerdings die That— sache, daß jwischen der polnischen Berölkerung und jwischen der deutschen die religiöse Ueberzeugung, die katholische Konfession eine gr f Brücke bildete, aber auch dieses Band ist im Laufe der letzten

eichstagswahlen gelockert und an vielen Stellen völlig zerrissen; die polnische Bewegung ist extensiv und intensiv stetig gewachsen, sie ist ertensiv namentlich seit der schlesischen Katholikenversammlung vom Oktober 1880 in Breslau übergegangen nach Oberschlesien und ob— wohl dort, wie ich anerkenne, Seitens des Großpolonismus kein be—⸗ sonderer Erfolg erzielt worden ist, da namentlich die dortige Geistlichkeit auf dem Standpunkt des spezifisch oberschlesischen Polonismus sich befindet, so sind doch auch dort die Folgen der Agitation, welche zur Gründung eines besonderen Blattes in Oberschlesien geführt hat, nicht ausgeblieben.

Ganz anders dagegen hat sich die Bewegung in Westpreußen ge— staltet, und wer irgendwie in der Lage gewesen ist, Zeuge dieser Kämpfe zu sein, wird erstaunen über die Heftigkeit, welche dort zwischen den katholischen Plen und den katholischen Deutschen aus Anlaß der Reichstagswahlen eingetreten ift. Ich muß es mir hier im Zusam— menhang meiner allgemeinen Erörterung versagen, zu viel Detgils an⸗ zuführen, aber einen charakteristischen Ausspruch einer polnischen Zeitung, welche im Oktober v. J. die Frage des Kampfes zwischen Deutschen und Polen behandelte, möchte ich doch vortragen. Es ist ein Artikel vom 14. Oktober.

Hier muß man

so sagt die Zeitung zu stillen Mitteln greifen, um unser Volk vor der geistigen Nieder— trächtigkeit des Germanismus zu bewahren.

Das ist ein harter Ausspruch, auch nicht grade ein sehr ge— schmackvoller, aber er ist sehr ernst gemeint, und eines der stillen Mittel, welche hier bezeichnet sind, ist dasjenige, daß den Polen ver— boten wird, ihre Töchter an deutsche Katholiken zu verheirathen. Sie können daraus sehen, wie tief der Riß in die heiligsten sozialen Verhältnisse sich erstreckt. Ueberblickt man das ganze Gebiet, so gewinnt man den Eindruck eines mächtigen Stromes, in den immer neues Wasser hineingegossen, dem immer neue Quellen zugeführt werden eines Stromes, der dahin treibt, begleitet von der Hoff— nung derer, welche auf ihm fahren, daß eines Tages irgend ein viel⸗ leicht nicht bewußt gewolltes, aber doch erhofftes elementares Ereigniß die schützenden Ufer durchbrechen wird.

In dem Zusammenhang, in welchen ich hier die Angelegenheit behandle, ist es vor allen Dingen von entscheidendem Werth, der Fragen nahezutreten: wie verhält sich die katholische Geistlichkeit in den polnischen Landestheilen zu den Bestrebungen des Polonismus? Ich habe mir bereits anzudeuten erlaubt, daß in Oberschlesien mit nicht erheblichen Ausnahmen im Allgemeinen die Geistlichkeit nicht auf Seiten des Großpolenthums steht. Anders dagegen in den pol— nischen Landestheilen, und man kann mit Sicherheit behaupten, daß in der Provinz Posen fast sämmtliche, und in der Provinz West⸗ preußen ein großer Theil der katholischen Geistlichkeit zu den Mit- wirkern und Leitern der national-polnischen Bewegung gehört. Es giebt kaum einen Verein, wo nicht ein katholischer Geistlicher Vor— sitzender, Kassirer oder sonst maßgebendes Mitglied ist. Selbst der Marczinkowskische Verein, der 1841 gegründet worden ist, ohne alle Rücksicht auf Nationalität, ohne alle Rücksicht auf Konfession, zu dem edlen Zwecke, daß Angehörige der tieferen Volksschichten befähigt werden möchten, sich eine höhere Bildung zu erwerben und den in Posen noch sehr mangelnden Mittelstand zu ergänzen, ist im Laufe der ö Jahre unter Mitwirkung der Geistlichen zum Herde der energischsten Agitation geworden. Es giebt überhaupt kaum einen politischen Verein, irgend eine polnische Versammlung, irgend ein politisches Flugblatt, auf dem nicht die Namen katholischer Geistlichen in maßgebender Weise erscheinen, und dieses Verhalten, welches in ganz besonderer Intensität bei dem letzten Wahlkampf zu Tage ge⸗ treten ist, erscheint der Regierung am so auffallender, als es sich im direkten Gegensatze zu Anordnungen befindet, welche der Kardinal Ledochowski im Jahre 1866 erlassen hat. In einer Verfügung vom 18. Mai 1866, welche an das General⸗Konsistorium erlassen und sämmtlichen Geistlichen gegen Empfangsschein mitgetheilt worden ist, behandelt der Kardinal Ledochowski die Frage, in wie weit die Geistlichen ohne Verletzung ihrer kirchlichen Pflichten an den politischen Bestrebungen sich betheiligen dürfen. Er legt es ihnen nahe, daß sie hierbei sehr aufmerksam sein sollen, weil es überaus schwierig sei, den verschieden⸗ artigen und unerläßlichen Erfordernissen des kirchlichen Dienstes voll— ständig zu genügen, wenn sie sich in politische Thätigkeit zu sehr ver⸗ tiefen. Er lehne es zwar ab, ihnen die Verpflichtung aufzuerlegen, sich der politischen Wahl zu enthalten, das heißt, ihre Stimme ab⸗ zugeben, aber er erwartet doch durchaus, daß sie unter allen Umstän⸗ den loyale, wahrhafte und gewissenhafte Freunde der Ordnung und der bürgerlichen Treue wählen würden. Was nun die eigene Wahl der Geistlichen anbetrifft, so wünscht der Kardinal Ledochowski, daß die Geistlichen sich selbst weder als Kandidaten hinstellen, noch auch, falls ohne ihr Zuthun die Wabl zum Abgeordneten auf sie fallen sollte, die Wahl annehmen würden.

Diese Erörterungen, meine 6 sind auch gegenwärtig in Posen, wo die geistlichen Kräfte sehr zu mangeln anfangen, wieder praktisch geworden und finden bereits ihren Platz in der prinzipiellen Presse. Was aber für mich das Wesentliche in dieser Verfügung ist, enthielt folgender Passus:

Was endlich die weitere durch die Landesgesetze nicht vorge—⸗ schriebene Betheiligung an diesem politischen Akte betrifft, wie z. B. die Theilnahme an irgend welchen Comités, Versammlungen, Vorrechten u. s. w., in denen gewöhnlich die Vorzüge und Mängel verschiedener Kandidaten zur Erörterung gelangen, so hat eine der⸗ artige Betheiligung, wie vieljährige Erfahrung zur Genüge be— wiesen hat, große und empfindliche moralische Nachtheile nach sich gezogen; und darum ermahne und fordere ich kraft der mir von Gott verliehenen Gewalt nachdrücklichst die Geistlichen auf, daß dieselben sich hiervon gänzlich fern halten.

Wenn man nun aber, meine Herren, diese Cirkularverfügung mit dem thatsächlichen Verhalten der Geistlichen vergleicht, so ergiebt sich eine doppelte Möglichkeit, entweder daß die Geistlichen dieser Verfügung nicht mehr Gehorsam leisten, oder daß der Kardinal Ledochowsfi in späterer Zeit diese Verfügung, obwohl sie auf lang⸗ jähriger Erfahrung beruhte, zurückgezogen hat. Es ist möglich, daß das Letztere der Fall ist, möglich, namentlich wenn man erwägt, daß im Jahre 1866 der Kardinal Ledochowski ein Gegenstand der viel fältigsten Angriffe und Anfeindungen Seitens der nationalpolnischen Partei gewesen ist, und erst später ganz in das nationalxpolnische Lager übergegangen und dort seine Aufnahme gefunden hat. Wie dem auch * jedenfalls liegt der Staatsregierung die erste Pflicht ob, diesen Zuständen gegenüber nicht die Augen zuzuschließen und sich klar zu machen, welche Folgen jeder Schritt auf dem Wege der Erleichterung der kirchenpolitischen Vorschriften für die polnischen Landeetdeile bat, und hierin werden Sie in etwas die Erklärung des Art. 5 finden. Leugnen kann man nicht, daß, wenn in anderen, in deutschen Landes⸗ theilen die katholische Geistlichkeit den Gesetzen des Staates den Ge— horsam versagt, ein solches Verhalten sehr unbequem und mit großem Nachtheil für den öffentlichen Frieden und die öffentliche Wohlfahrt verbunden sein kann, daß der Staat aber nicht darüber aus den Fugen gehen wird; daß dagegen, wenn sich mit derartigen Bestrebun⸗ gen nationalpolnische Agitationen verbinden, die Gefahr nicht aus

eschlossen ist, daß nicht nur die Ruhe und das Wohlergehen des taates, sondern unmittelbar die Integrität des Staates in Frage steht.

Wenn ich von diesen innerpolitischen Beziehungen nunmehr noch den Blick wende und das gehört durchaus nicht zur Moti⸗ virung der Vorlage auch die zum Theil internationalen Beziehun r der Staatgregierung zur Kurie, so möchte ich folgende Bemer⸗

ungen daran knüpfen. In den letzten Wochen ist mit steigender

Bedeutung und steigendem Ernst auch seitens der Parteien, welche diesen Auffassungen früher nicht huldigten, die Aufforderung an die Staatsregierung gerichtet worden, sie möge im Wege der Vereinbarung zwischen ihr und der Kurie die Unebenheiten und Ungleichheiten be⸗ seitigen, welche heute noch auf kirchenpolitischen Gebieten beständen. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß auf allen Gebieten, welche inter⸗ nationale Verhältnisse berühren, das Wort niemals“ niemals aus⸗ gesprochen werden sollte; aber so weit meine Kenntniß von der jetzigen Staatsregierung und den künftigen Staatsreaierungen reicht, so sehe ich nicht die Möglichkeit, daß eines Tages der Fall eintreten wird, wo dieser Weg praktisch werden könnte. Und wie sollte auch die preußische Staatsregierung sich auf diesen Weg drängen lassen? Bezeichnet doch selbst der Schriftsteller, welcher in neuester Zeit, wie er selber bekundet, vom ultramontanen Stand⸗ punkte die Beziehungen zwischen Kirche und Staat behandelt, die Geschichte der Konventionen und Konkordate, als eine Geschichte der Thränen und Schmerzen für die Kirche, und wenn man die große Zahl von Encykliken des früheren Papstes betrachtet, die Encykliken, aus denen, wie bekannt, der Syllabus von 1864 hervorgegangen ist, so finden wir darin überwiegend Klagen über den Bruch von Kon— ventionen seitens katholischer wie akatholischer Staaten in Amerika, seitens Spaniens selbst, seitens Piemont, der Schweiz, Württemberg, Hessens, Oesterreichs, Rußlands u. s. w. Und wenn wir Umschau halten im Deutschen Reich, so gelten von allen den Konkordaten und Konventionen, die einstmals bestanden haben, heute nur noch der sogenannte Oldenburgische Vertrag von 1830 fällt nicht hierunter das sranzösische Konkordat vom Jahre 1801 neben dem die orga— nischen Artikel selbständig von dem französischen Staat erlassen wor—⸗ den sind und das bayerische Konkordat vom Jahre 1317 neben dem der bayerische Staat niemals verabsäumt hat, kraft des ihm zustehenden Ober⸗ hobheitsrechts selbständig eine großeReihe von Fragen durch das Religions⸗ edikt von 1818 die Verwendung von 1852 und dann durch das Gesetz vom Jahre 1873 zu regeln. Ueberschaut man das ganze Gebiet der Kon— kordate einheitlich vom historischen Standpunkte aus, so kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, daß die Konkordate zwar dahin geführt haben, augenblicklich und hier in eine gewisse Zeit Uneben— heiten und Schwierigkeiten zu beseitigen, daß sie aber auf die Dauer mehr zu Verwicklungen geführt haben und mehr Hindernisse für eine gesunde Entwicklung gewesen sind. Unmittelbar an diese von mir so eben kritisirte Auffassung schließt sich der weitere Vorschlag, welchen das Prinzip der do-ut-des-Politik vielfach erörtert hat und der Regiernng empfohlen worden ist, an. Es hat sich und ich darf dabei an die Erinnerung der Herren aus der neuen Vergangen— heit anknüpfen wiederholt herausgestellt, daß es ungemein schwierig ist, beim Fortbetreten auf diesem empfohlenen Wege zwischen Geben und Nehmen absolut die identische Ueberzeugung zu erwecken, und daß, wenn nachher mit dieser Politik Ernst gemacht wird, es sich häufig herausstellt, daß eine Reihe von Bedingungen und Voraus⸗ setzungen nicht zur Erörterung gekommen sind, welche der andere Theil für wefentlich erachtet hak. So glaubt denn die preußische Staatsregierung in Festhaltung der historischen Kontinuität an der einseitigen staatlichen Gesetzgebung festhalten zu sollen, und sie thut es um so mehr, als auch in den neu erworbenen Landestheilen, ins— besondere in Hannover, ein gleiches Prinzip alle Zeit gegolten hat. Diese formelle Freiheit des Staats, welche sich der preußische Staat wie die übrigen meisten modernen Staaten gesichert oder bewahrt hat, schließt selbstverständlich nicht aus, daß bei der materiellen Recht— findung er den Beruf und auch die Pflicht hat, auf die Interessen seiner katholischen Mitbürger gewissenhaft Rücksicht zu nehmen und daß es auch nicht ausgeschlossen ist, sich über die Intentionen zu verge⸗ wissern, die der Leiter der katholischen Kirche beabsichtigt oder beschlossenen Maßnahmen gegenüber hegt. Eine Gefahr liegt ja zweifellos in dem von mir eben verfochtenen Prinzip vor, das ist die Gefahr, daß der Staat bei einer einseitigen Gesetzgebung, so weit es sich nicht um Unterlassungen und Duldungen, sondern um Handlungen von katholi— scher Seite handelt, immer die Möglichkeit vorliegt, daß, wenn die Handlungen versagt oder deren Leistung Seitens der Oberen verboten wird, da sie eben nicht vertretbar sind, Schwierigkeiten entstehen, und daß der Staat, wenn er sich von vornherein legislativ fest legt, sich in immer neue Schwierigkeiten verwickelt, welche, wenn der vulgäre Ausdruck erlaubt ist, ihn schließlich gegen die Wand drücken. Alle diese Rücksichten treffen natürlich nicht zu bei denjenigen Bestimmun⸗ gen, welche, wie unser Art. 4, vom rein staatlichen Gesichtspunkte nach der Auffassung der Staatsregierung als ein Fortschritt er⸗ scheinen, aber die bedenkliche Seite, das Prinzip zeigt sich, wenn wir die Art. 3 und 5 der Vorlage betrachten. Es liegt allerdings und ich muß das hier ausdrücklich hervorheben bei der Ansicht, welcher ich hier Ausdruck gegeben habe, in keiner Weise irgend etwas vor, was nur entfernt als Mißtrauen bezeichnet werden könnte. Im Gegentheil, die Staatsregierung ist noch heute, wie seit langer Zeit, auch namentlich bei der Vorlegung dieses Gesetzentwurfs, von der festen Ueberzeugung durchdrungen, daß der gegenwärtige Leiter der katholischen Kirche voll und ganz bereit ist, für den Frieden ein zutreten, und daß, wenn demnächst diese Vorlage Gesetzeskraft erhalten hätte, der Leiter der katholischen Kirche sich darüber schlüssig machen muß, in wieweit er den Bischöfen ihre Gewalt auf den hier berühr⸗ ten Gebieten zurückgeben kann, er dann weniger auf die Rathschläge der freiwilligen, unverantwortlichen Rathgeber hören wird, als auf die Rathschläge der berufenen Hirten des katholischen Volkes. Auch hält die Staatsregierung an der Zuversicht fest, daß die katholischen Bischöfe treue Berather ihres höchsten Oberhirten und treue Düter des kirchlichen Friedens gegenüber ihren Parochialen sein werden.

Gehe ich nun von diesen politischen Erwägungen zu einer kurzen staatsrechtlichen Erörterung der gegenwärtigen Vorlage über, so sehe ich mich zunächst dem Schreckgespenst der diskretionären Gewalt gegenüber und ich glaube nicht fehlzugreifen, wenn ich auch hier be⸗ haupte, daß selten so wenig Anstoß gewesen ist, durch Abstraktion und durch eine gewisse Ueberspannung ein Stigma einer Vorlage auf— zulegen, welches sie nicht verdient. Wir finden solche Stignirungen in den Erzeugnissen der Presse, daß man auf der einen Seite Aus— sprüche hört, die dahin gehen, es sei viel besser, der katholischen Kirche absolute und volle Freiheit zu gewähren, wenn nur darüber eine feste Gesetzgebung bestände, und auf der anderen Seite, daß die katholische Kirche es lieber sähe, unter den schwersten Einwirkungen des Staates zu leben, wenn sie nur den festen gesetzlichen Boden unter ihren Füßen hätte.

Meine Herren! Das ist wieder ein Prinzip, und ein Prinzip es wird mir Keiner übel nehmen, wenn ich sage, daß es mit einem gewissen Schlagwort umkleidet ist ein Prinzip, welches ungemein die Diskussion der einzelnen konkreten Fragen erschwert. Darüber kann unter politischen Männern doch kein Zweifel sein, daß über⸗ haupt eine vollständige Grenzregulirung zwischen der katbolischen Kirche und dem Staat nicht im Wege eines freien administrativen Ermessens eintreten kann und weder Preußen in seiner absoluten Zeit auch nicht der josevhinische Staat haben es unternommen, einfach nur im Wege der wandelbaren Dekretur diese Grenzlinien festzustellen. Aber um was handelt es sich denn? Darum, daß eine untere Linie be⸗ reits gesetzlich feststeht und daß eine obere Linie auf sehr beschränktem Gebiete durch die gegenwärtigen Vorlagen erbeten wird, und doch zwischen diesen beiden Grenzlinien das Staats- Ministerium, be⸗ ziehungsweise der Knltus⸗Minister eine gewisse Freiheit der Bewegung haben soll. Daß in dieser Beziehung konstitutionelle Bedenken nicht bestehen, ist bereits im Jahre 1880 Gegenstand mehrfachen An⸗ erkennens gewesen, und in der That giebt es kaum ein öffentliches Gebiet, welches einer freieren Bewegung entbehren, welches absolut mit zwingender gesetzlicher Nothwendigkeit festgelegt werden kann. Und wenn versucht worden ist, diese Behauptung in Ansehung unserer firchenpolitischen Gesetzgebung aufzu—⸗ stellen, so genügt ein flüchtiger Blick in dieselbe, um mindestens 30 Paragraphen herauszufinden, in denen der Ober -⸗Präsi⸗ dent oder der Kultus⸗Minister Fakultäten hat, die zum Theil weit über das hinausgehen, was hier in der Vorlage vorgeschlagen wird. Es handelt sich um Artikel 3 und 5 der Vorlage. Der Artikel 3 der Vorlage wünscht, wie im Jahre 1880, daß das Staats⸗Ministerium

ermächtigt sein dürfe, mit Allerhöchster Genehmigung die Grundsätze festzustellen, nach welchen der Kultus⸗Minister von den Erfordernissen der Vorbildung . auch ausländischen Geistlichen die Vor⸗ nahme von geistlichen Amtshandlungen gestatten kann. Und was hat denn auf diesen Gebieten der Kultus⸗Minister bereits heute für Rechte? Nach 5. 5 des Gesetzes vom 11. Mai 1873 hat der Kultus⸗Minister bereits die Befugniß, alle Vorschriften, welche sich auf das akademische Triennium beziehen, zu erleichtern und von diesen Erfordernissen zu dispensiren. Und noch weiter darüber hinaus hat der Kultus⸗Minister nach 5§. 26 desselben Gesetzes das Recht: ‚„Denjenigen Personen, welche vor Verkündung dieses Gesetzes in ihrer Vorbildung zum geistlichen Amt vorgeschritten waren, den in diesem Gesetze vorgeschriebenen Nachweis der Vorbil⸗ dung ganz oder theilweise zu erlassen (Zuruf: Uebergangsbestim— mung!) und noch weitergehend und dies ist keine Uebergangs— bestimmung »der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist auch ermächtigt, Ausländer auch von den Erfordernissen des 5§. 4 des Ge— setzes, also von sämmtlichen Bedingungen der Vorbildung, zu dispen— siren. Es ist bereits 1881 wiederholt und zwar von der liberalen Seite des Hauses anerkannt worden, daß, virtuell betrachtet, diese Vollmacht, die in dem jetzigen Art. 3 erbeten wird, im Großen und Ganzen nichts Anderes enthält, als die Befugniß, von der Maturitätsprüfung zu dispensiren. Was besagt weiter Art. 5 der Vorlage. In Art. 5 wird erbeten, daß die Staatsregierung in bestimmten Bezirken gestatten darf, daß Geistliche, welche im übrigen den gesetzlichen Anforderungen genügen oder von denselben dis⸗ pensirt sind, zur Hülfeleistung im geistlichen Amt ohne Benennung nach Maßgabe des Gesetzes von 1873 verwendet werden dürfen. Hierin ist nun auch wir werden das vielleicht noch heute oder morgen hören eine vollständige Durchbrechung des Prinzips der Be⸗ nennungspflicht erblickt worden. Treten wir der Ernennungspflicht etwas näher, so kann man doch nicht leugnen, daß die ganze Handhabung des Ein⸗ spruchverfahrens und alles dessen, was damit verbunden ist, naturgemäß im weitesten Umfange einem gewissen administrativen Ermessen unter⸗ stellt ist. Ich will keinen besonderen Werth darauf legen, daß §. 2 des Gesetzes vom 11. Mai 1872 schon eine sebr große Schwierigkeit darin enthält, daß von einer vorgängigen Anzeige nicht die Rede zu sein braucht, wenn es sich um Gefahr im Verzuge handelt. Wenn nun die Administration oder Gerichtsbehörden über diesen Punkt ent— scheiden, so werden die Herren von vornherein zugeben, und ich kann es auf Grund meiner amtlichen Erfahrung bestätigen, daß kaum ein Fall gefunden werden kann, der schwerer zu erörtern und zu ent⸗ scheiden ist als dieser. Aber, wie gesagt, ich lege keinen besonderen Werth darauf, ich gehe über zum §. 16. Nach §. 16 ist der Ein⸗ spruch zul ässig, und insbesondere nach Nr. 3 zulässig, wenn gegen den Anzustellenden Thatsachen vorliegen, welche eine gewisse Annahme rechtfertigen. Nun hat die Handhabung dieses Paragraphen das jeden= falls konstatirt, daß auch bei der sorgfältigsten und peinlichsten Hand⸗ habung desselben eine große Freiheit arbiträren Ermessens überhaupt nicht ausgeschlossen werden kann und daß man gar nicht in der Lage ist, irgend einem Beamten einen ernstlichen Vorwurf zu machen, wenn er gewisse thatsächliche Vorkommnisse anders beurtheilt als ein Anderer. Für mich hat es immer eine Bedeutung, wenn man bei derartigen Erörterungen einen Blick auf andere Gesetzgebungen, welche heute unangefochten bestehen, wirft; da möchte ich doch behaupten, daß die österreichische Gesetzgebung, welche in sehr bewußter und be⸗ stimmter Weise die äußeren Rechtaverhältnisse der katholischen Kirche geregelt hat, durchweg auf dem Prinzip der Fakultäten beruht, und zwar in der Art, daß die gesammte Handhabung und Ausführung, auch die Repression und Bestrafung lediglich in das Ermessen der Landesbehörden und des Kultus-Ministers gelegt worden ist. Einem ähnlichen Verfahren haben sich auch andere Staaten, Bayern, Württemberg, Sachsen u. s. w. angeschlossen. In neuerer Zeit nun, ich würde auf diesen Punkt nicht gekommen sein, weil ich nicht gerne diese Art der Betrachtung sehr ausdehnen möchte hat man auch versucht, die badische Gesetzgebung als ein Beweis⸗ mittel gegen das Vorgehen der Staatsregierung heranzu⸗ ziehen, aber, meine Herren, ich glaube, mit einem großen Unrecht. Das Gesetz vom Jahre 1880, welches bekanntlich die wissen⸗ schaftliche Vorbildung der Kandidaten des geistlichen Amtes neu regelt, bewegt sich durchaus auf dem Gebiet der Fakultäten. Der Art. J dieses Gesetzes bestimmt die Voraussetzungen, welche die Kandidaten vorzulegen haben, bemerkt ausdrücklich, daß diese Vor⸗ aussetzungen das regelmäßige Erforderniß sind, schließt weiter bestimmt aus als nicht zur Dispensation geeignet diejenigen Kandidaten, welche Jesuitenanstalten besucht haben, und überläßt im Uebrigen die ge⸗ sammte Regelung der Materie der landesherrlichen Verordnung. Diese landesherrliche Verordnung, welche unter dem 11. April 1880 ergangen ist, unterscheidet nun ganz genau die verschiedenen Arten der Dispensation und erwähnt namentlich in dem 8§. 1, daß Niemand vorher amtiren kann, welcher nicht entweder die Anerkennung erhalten hat, oder welcher von dem Mangel gesetzlicher Erfordernisse aus be⸗ sonderen Gründen dispensirt worden ist. In ähnlicher Weise geht das weiter durch die übrigen Paragraphen; und erwähnt ist ausdrücklich am Schluß, daß diejenigen Geistlichen, die ent⸗ weder die Vorbedingungen erfüllt oder die Dispensation erhalten haben in den amtlichen Bekanntmachungen nominativ auf⸗ geführt werden sollen. Also, meine Herren, diese Bezugnahme auf die badische Gesetzgebung als Waffe gegen die Regierungsvorlage ist, glaube ich, keine zutreffende gewesen.

Es ist immerhin möglich, daß heute, wie es im Jahre 1880 ge⸗ schehen ist, Erklärungen dahin abgegeben werden, daß man über die Handhabung der Vollmachten eher beruhigt sein könnte, wenn die⸗ jenigen Staatsmänner, welche die Vorlage eingebracht baben, nach wie vor mit der Handhabung betraut sein würden. Meine Herren! Ich erkenne an, das ist eine sehr scharfsinnige und scharfsichtige Unter⸗ suchung, aber, ich glaube, auch eine sehr zweischneidige und sehr ge⸗ fährliche. Es wird bei dieser Betrachtungsart, glaube ich, übersehen, daß Vollmachten, wenn sie gegeben werden, nur in dem Sinne ge⸗ handhabt werden können und dürfen, in welchem sie eben gegeben sind; ferner wird übersehen, daß, wenn überhaupt der preußischen Staatsverwaltung eine charakteristische Eigenschaft nachzurühmen oder nachzusagen ist, jedenfalls die Kontinuität der Verwaltung ein ganz außerordentlich wichtiger Faktor immer ge⸗ wesen ist und, ich glaube, auch bleiben wird. Crwägen wir doch, daß im Jahre 1880 die Landesvertretung die Hand der Staatsregierung ergriffen hat und daß die Erfolge, welche durch das Bündniß hervor- gerufen sind, nicht als ungünstig bezeichnet werden dürfen. Wenn nun heute die Staatsregierung abermals die Hand ausstreckt und sie wird nicht angenommen, aus Besorgniß vor einer zukünftigen Staats—⸗ regierung, so bleibt meines Erachtens doch die Vorfrage immer uner⸗ ledigt, ob in der That die neue Staatsregierung, die wir ja Alle nicht kennen, dann, wenn die Parteien des Landes den Zeitpunkt für ge⸗ kommen erachten, ihrerselts das Ausstrecken der Hand zu wünschen, in der Lage ist oder es auch thun darf, die Hand darzubieten.

Meine Herren! Ich gehe nun zum Schsuß mit wenigen Worten auf eine kurze materielle Erörterung der Vorlage ein. Ich glaube, hier in diesem hohen Hause nicht die Verpflichtung zu haben, die Staagtt§zregierung gegen den Vorwurf zu vertheidigen, als ob sie dadurch, daß sie nicht alle Vorschriften der Vorlage vom Jahre 1880 wieder vorgebracht hat, irgend einen besonderen Plan, irgend einen beson—⸗ deren Hintergedanken habe verfolgen wollen. Meine Herren, so liegt die Sache nicht. Alle Diejenigen, welche die Verhandlungen des Jahres 1880 selbst miterlebt oder studirt haben, werden mir wohl zugeben, daß das Hereinziehen an und für sich sehr erwünschter, aber immer hin etwas desparater Bestimmungen die Diekussion und die Ver⸗ einigung in der Diskussion nicht gerade erleichtert hat und die Regie⸗ rung hat es in der gegenwärtigen Lage für das allein Richtige er—⸗ achtet, mit ganzer Kraft und mit bewußter Selbstbeschränkung sich zu konzentriren auf diejenigen Materien, deren Regelung vorzugsweise noththut: das ist die Wiederherstellung einer geordneten Diszesan⸗ verwaltung, das ist die Wiederherstellung einer geordneten Seelsorge. In der ersten Richtung bewegen sich die ersten beiden Artikel und ich darf hoffen, daß der Art. 1, welcher sich um die Verlängerung gewisser Vollmachten bemüht, der Regierung nicht versagt

JIondern das Produkt einer

ird; ich würde, wenigstens ohne besenderen. Anlaß nicht den Beruf. in mir fühlen, im gegenwärtigen Augenblick die Vorlage nach er Richtung hin weiter zu vertreten. Wat den Artikel 3 betrifft, ker, nie dat nicht anders zu erwarten ist, den Gegenstand heftiger Angriffe gegen die Regi crung bilden wird, so ist die Erwägung der Regierung. welche zur Wiederbringung dieser Bestimmung geführt hat: Die Regierung hält an der Anschauung fest, daß es richtig und noth- wendig ist, das landesherrliche Begnadigung recht gegen jeden Zweifel, nöthigenfalls, also, wie bier geschehen ist . im Wege der Gesetzgebung siher n stellen. Sir hat ferner die Ansicht, daß, wenn das Recht, bie Bischöfe wieder einzusetzen, dem Träger der Krone verlieben wird, e auch politisch möglich sein wird, unter gewissen Voraussetzungen und in der Weiterentwickelung der Dinge Seitens, der Staats— Ministeriums Sr. Majestät die Ausübung des Wiedereinsetzungsrechts u empfehlen. Das thut die Regierung, wissend, welche Auf sassung darüber. in allen Kreisen des Vaterlandes besteht, n dem. Kreise der evangelischen Kirche, wie auch in den Kreisen unserer katholischen Mitbürger, welche in diesem hohen Hause. weniger ihre Vertretung gefunden haben. Aber auch diejenigen Herren, welche dieser Auffassung nicht huldigen, werden doch das zugeben, daß vom Standpunkte der Taktik aus es durchaus geboten war, diesen Artikel wieder zu bringen. Denn

nn diesen Artikel knüpfte sich damals ich wiederhole das ausdrück—=

sich aus den Verhandlungen des Jahres 1889 die Prophezeiung, daß es der Negierung gelingen werde, um diesen Artikel die Majorität für die Vorlage zu bilden. ;

Mit der Wiederherstellung der Seelsorge beschäftigen sich die letzten drei Artikel. Es hat ein jeder seinen Werth für sich; in ihrer

Gesammtheit, regeln sie in, großen Umrissen eine der wichtigsten

Raterien unseres kirchenpolitischen Rechtes. Artikel 4 vor Allem ist

bpbemüht, an, die Traditionen von 1873 wieder anzuknüpfen und einen Zustand wieder herbeizuführen, welcher in den Nachbarländern im

Broßen und Ganzen besteht. Artikel 5, welcher inzwischen Gegenstand

mancher Mißrerständnisse geworden ist, sindet leicht seine Erklärung, wenn man ö kanonische Recht bildet, sondern die Gesetzgebung des preußischen Staats von 1873, welche ebenso für die evangelische Landeskirche ihre maßgebende Bedeutung hat. dieses Arsikels sich vergegenwärtigen will, so muß man vor allem seinen Blick auch auf den Art. 5 der kirchenpolitischen Novelle von 1881 richten.

davon ausgeht, daß seine Grundlage nicht dag

Wenn man die Wirksamkeit

Ich breche nunmehr meine Darlegungen ab. Ich gebe mich in

keiner Weise der Hoffnung hin, daß es mir gelungen wäre, alle Die Bedenken, zerstrenuen oder erwünschte werden Sie doch zugestehen müssen, daß nicht die Vorlage der Grund der gegenwärtigen Schwierigkeiten ist, sondern daß die Vorlage den Ausdruck bildet der Situation, in der wir uns befinden,. Herren! Der Friede läßt sich nicht dekretiren auch nicht im Wege der Gesetzgebung. im deutschen Volke herrscht, nicht mit einem einzigen Strich aus der Welt schaffen.

welche Sie gegen die er überhaupt Ihnen die erscheinen zu lassen. Das

Vorlage haben, zu Vorlage, als eine aber, meine Herren, Meine Es läßt sich auch die tiefgehende Bewegung, welche

Aber daran hält die Regierung fest: bewilligen Sie

der Regierung den vorliegenden Gesetzentwurf, so wird sie die Voll—

machten, welche Sie ihr etwa bewilligen, in eben dem Sinne an—⸗

wenden, wie sie ertheilt sind, sie wird die Vollmachten als ein Pfund betrachten, mit dem sie im Interesse des Friedens Wucher treiben kann, als eine Stufe, auf welcher die Regierung nicht ausruhen wird,

sondern auf der sie Kraft sammeln wird, um neue, breitere, sichere Stufen zu erreichen. Verwerfen Sie die Vorlage, so wird die Regierung darum nicht muthlos werden. Sie wird hierin ein Hinderniß, vielleicht ein sehr schwerwiegendes Hinderniß erblicken, aber in ihrem Verhalten gegen die katholische Kirche, unseren katholischen Mitbürgern gegen—

über, wird sie keineswegs sich verändert fühlen und sie wird unver⸗ rückt festhalten an dem Ziele, welches sie sich gestellt hat. Nicht

immer wird die Regierung von der Auffassung beherrscht bleiben, daß

äber alle Mühen des Tages und über alle Sorgen des parlamenta⸗

rischen Kampfes hinaus das eine Ziel unverrückbar festgehalten werden

muß die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in unserem Vaterlande. Der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alst wünschte zur Her⸗

stoe,hllung des Friedens beizutragen, er erkenne an, daß der Ninister in seinen letzten Ausführungen ein warmes Wort für den Frieden gesprochen, welches er (Redner) aber wieder in den vorhergehenden Ausführungen vermißt habe. der Minister hervorgehoben, daß derselbe persönlich in den kirchlichen Streit nie verwickelt gewesen, so müsse er (Redner) um sdo mehr bedauern, daß der Minister in seiner Begründung der Vorlage für die ganze Konfliktsperiode und die Auf— fãfassung, welche die Neglerung von derselben gehabt, ein so großes Verständniß an den Tag gelegt habe. mwhabe mit Anerkennung einen Erlaß des Kardinals Ledochowski

Wenn

Der Minister

verlesen. Und doch sei dieser selbe Kardinal von der preußi⸗

schen Regierung seines Amtes entsetzt worden, und der Minister

hahe für diese Thatsache keine andere Erklärung, als daß der— . elbe vielleicht später anderer Gesinnung geworden sei. Durch Nachdenken, meine der Minister, könne allein eine Lösung des

kirchlichen Zwistes gefunden werden. Man hätte nachdenken sollen, als man daran gegangen sei, die Maigesetze zu schaffen.

Damals habe man es auch sehr eilig gehabt, während man itzt, wo in der That Eile geboten sei, dem Centrum langes

Nachdenken empsehle. Der Kulturkampf solle nicht gemacht, indern historischen Entwickelung sein. Nun, über den Krieg von 1866 habe das Urtheil ebenso ge— hontet bis man vor Kurzem im Reichstage gehört habe, wie Ales vorbereitet gewesen sei. Das nenne man historische Ent⸗ wickillung. In der Versassung sei das Recht der Katholiken geregelt, dieselbe sei beschworen und müsse darum auch ge⸗ halten werden. Wenn der Minister meine, daß mit den Be⸗ stimmungen dieser Verfassung Preußen die alten Bahnen seiner Kirchenpolitik verlassen habe und nun in dieselben

zurücklenken musse, so bitte er zu beachten, daß auch der Par—

lamentarismus das Werk dieser Verfassung sei. Solle vielleicht auch dieser beseitigt und in die alten Bahnen zurückgelenkt werden? Der Minister von Goßler lage, daß die hervorragendsten Schriststeller die philo⸗ sophische Vertiefung des , Preußens Unglück nannt hätten. Die philosophische Vertiesung hätte wahrlich nichts geschadet, wenn sie nicht in der Praxis Früchte ge— tragen hätten. Was solle die Exemplifikation auf die Hsterreichische Gesetzebung? Dieselbe unterscheibe scharf zwischen der Wir— kung der Gesetze auf staatlichem und auf kirchlichem Gebiete, was der Arg. Windthorst dem Hause so oft schon auseinander gesetzt habe. Der Minister habe es als etwas ganz Beson⸗ deres hervorgehoben, daß die Prophezeiungen über die No⸗

velle vom Juli 1880 nicht in Erfüllung gegangen seien. Es

ei in der That mit derselben nicht viel erreicht worden. Es ollten nur 193 Kirchspiele verwaist sein. Das seien indeß Ge⸗ meinden, die ver Seelsorge überhaupt ermangelten, aber daneben bestãnden noch Hunderte von Gemeinden, die nur von vier zu vier Wochen Gottesdienst abhalten lönnten. Nur eines bewiesen alle Ausführungen des Ministers, daß die ganze Maigesetz— gebung überslüffig gewesen sei. Bei der gegenwärtigen Vor⸗ lage solle es sich nun darum handeln, die zerschnittenen Or⸗ gane wieder aneinander zu heilen. Der Uebelstand sei nur der, daß derselbe Chirurg, der die ZJerschneidung vorgenommen, . auch die Heilung übernehmen solle. Wer garantire denn afur, daß nicht plötzlich einmal wieder der Heilungeprozeß

unterbrochen werde? Der Kernpunkt der ganzen Vorlage liege darin, ob diskretionäre Gewalten fortbestehen sollten oder nicht. 1880 möge der Gedanke diskretionärer Gewalten seine relative Berechtigung gehabt haben: man habe Zeit für die Verhand⸗ lungen mit Rom gewinnen wollen. Aber da die seit zwei Jahren geführten Verhandlungen zu einem erheblichen Re⸗ sultate nicht geführt hätten, könne Niemand das Centrum zum weiteren Gebrauch diskretionärer Gewalten aufmuntern, Niemand im Hause werde für dieselben eintreten. Er erkenne gern die wohlmeinende Absicht der Regierung und des Ministers an, wo es in der Begründung der Vorlage heiße: „Durch den Entwurf wünsche die Königliche Staatsregierung von Neuem zu bethätigen, daß sie entschlossen sei, auf dem Wege einer friedlichen Entwickelung der Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche, wie derselbe durch das Gesetz vom 14. Juli 1880 angebahnt sei, fortzuschreiten. Auch jetzt wünsche sie in der Sorge für das Wohlergehen der katholischen Preußen denselben wesentliche Erleichterungen, die nach den bestehenden Gesetzen möglich seien, gewährt und diese Möglichkeit erweitert zu sehen.“ Er befürchte nur, daß auch hier Sorge getragen werden müsse, daß die Bäume, hier die Hoffnungen der Katholiken, nicht in den Himmel wüchsen, und die Miaßnahmen der Regierung, die Beibehal— tung des Sperrgesetzes, der Bescheid, den der Kultus-Minister neulich bezüglich der Simultanschulen erlassen habe, vor allem die Ernennung des Dr. Falk zum Präsidenten des Ober⸗ Landesgerichts in Hamm seien nur zu sehr geeignet, die Hoff— nungen der Katholiken zu zerstören. Er sei überzeugt, daß der Dr. Falk seine Geschäfte mit Gerechtigkeit führen werde, und habe auch Ehrerbietung vor der Allerhöchsten Ernennung, aber indem man denselben in Vorschlag gebracht habe, habe man des Zartgefühls gegen die katholische Bevölkerung Westfalens er— mangelt, für welche sich an den Namen Falk die schmerzlichsten und bittersten Erfahrungen im Kulturkampf anknüpften. Aller— dings habe man mit dem Kulturkampf die Gesetzgebung gefährdet, indem man 8 Millionen Preußen gezwungen habe, passiven Widerstand zu leisten. Zwei Bischofssitze und mehrere Kapitels⸗ vikariate seien ja wieder besetzt, auch die Orden hätten etwas mehr Freiheit erhalten, was helfe es aber, wenn diesen Or— ganen Hände und Füße durch die Maigesetze gebunden blie⸗ ben? In den drei Diözesen, die nach mit alten Bischöfen besetzt seien, seien doch die Sperrgesetze nicht aufgehoben, das sei doch eine Ungerechtigkeit der bestehenden diskretionären Ge⸗ walt! Es komme eben der Regierung nur darauf an, die Seelsorge wieder herzustellen, denn sie fühle wohl, daß bei dem jetzigen Zustande Gefahren für Staat und Monarchie vorhanden seien. Der Staat komme dadurch aus der größten Noth, aber die Katholiken blieben im alten Elend, welches jetzt chronisch zu werden drohe. Er wolle kein Mißtrauen gegen die jetzige Regierung aussprechen, aber die Mi— nister könnten wechseln, und keine Partei könne doch wünschen, daß der Klerus von einem einzelnen Mi nister abhängen solle. Im Artikel 5 finde er den alten Widerspruch zwischen Ernennung und Gestattung einer Hülfs— leistung. Artikel 4 bilde gewissermaßen eine Fußangel, die Frage der Anzeigepflicht bleibe in demselben ungelöst, sie würde nur noch verwickelter, gerade diese Frage könne nur durch Verhandlungen mit Rom beantwortet werden. Auch der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten bleibe be⸗ stehen, obgleich derselbe nach dem Juligesetz keine große Be⸗ deutung mehr habe. Sei denn aber der Minister eine bessere Rekursinstanz? Der Gerichtshof sei das größte Hinderniß für die Anzeigepflicht. Für die Nothwendigkeit der diskretionären Gewalten seien die Motive nur dürftig; eine solche Nothwendigkeit sei auch nicht zu begründen. Der Hauptgrund liege für die Negierung darin, daß dieselben be— dingt seien durch die Verschiedenheit der politischen Lage in den Landestheilen mit polnischer Bevölkerung. Das also sei die spanische Wand, hinter der sich die Ansprüche auf dis— kretionäre Gewalten versteckten! Wegen eines kleinen Bruch— theils der Bevölkerung werde die Gesammtheit der Katholiken im Kriegszustand erhalten! Die Begründung sei aber auch verletzend für die Polen. Hätten denn dieselben irgend etwas gethan, daß man sie so zurückstelle und über die Bezirke, die sie bewohnten, eine Art von Belagerungszustand verhänge? Hätten sie einen Aufstand versucht? Der Minister führe aus, daß sie Kredit- und landwirthschaftliche Vereine gegründet hätten, und ein Verbot erlassen sei, polnische Töchter an Deutsche zu ver⸗ heirathen. Die letztere Thatsache erscheine ihm von vornherein zweifelhaft und die beiden anderen seien doch sehr harmloser Natur. Als die Polen in den preußischen Staatsverband eingetreten seien, sei ihre Stellung innerhalb desselben durch feste Zusagen garantirt. Man habe diese Zusagen nicht ge⸗ halten. In Bezug auf die Kommunalverwaltung stehe Posen hinter den anderen Provinzen zurück, sogar im Gebrauch ihrer Sprache seien sie beschränkt worden, und dazu sei jetzt auch noch der Kulturkampf gekommen. Trotzdem hätten ste den Maigesetzen nur passiven Widerstand entgegengestellt, und in den Kriegen 1866 und 1870 hätten sie ihre Schuldigkeit gethan, für Preußen und Deutschland geblutet, wie die an⸗ deren deutschen Soldaten. Es sei darum nicht billig, wenn man zu den Stacheln, die man in ihr Fleisch getrieben, noch einen neuen hinzufüge, indem man sage, die Existenz der Polen sei schuld daran, daß die deutschen Katholiken zu einer vollen kirchlichen Freiheit nicht gelangen könnten. Dadurch verwildere Her; und Sitte und man treibe die Polen in Konspirationen hinein. Er wiederhole, was er bereits früher gesagt, man sollte den Polen halten, was man ihnen versprochen habe. Ständen die Polen dann auf, nun, so möge die ultima ratio entscheiden; ein solches Verfahren sei mit dem Gewissen Aller vollkommen vereinbar. Bei Artikel 2 beziehe er sich auf seine Auslassungen im Jahre 1689. Er sei der Ansicht, daß es das souveräne Recht der Majestät sei, das zu thun, was ihr durch diesen Artikel erst gegeben, oder, wie der Minister sich ausdrücke, gesichert wer⸗ den solle, und man könne darum in dem Artikel nur eine Verkümmerung der Rechte der Krone erblicken. Die Noth⸗ wendigleit des monarchischen Prinzips erkenne er voll an. Lebhast habe ihn der Erlaß vom 4. Januar gefreut, sowie die Wärme, mit der Fürst Bismarck ur dieses Prinzip ein⸗ getreten sei. Eben darum sollte man durch diese Vorlage nicht verkürzen, was man in dem Erlasse als nothwendig betont habe. Er halte auch das Vertrauen für gerechtsertigt, das man in die Armee setze als den ehernen Wall vor dem Throne. Aber die sesteste Stütze sei der Glaube und die christliche Gesinnung, die Justimmung nicht nur des Herzens, sondern auch des Gewissens. Er habe ein Verständniß dasür, daß man bei Beginn des Kultur⸗ kampfes sich gesagt habe, man wolle mit den Maigesetzen die Ultramontanen beugen. Der Erfolg sei ein anderer gewesen; man beuge sich nicht, wo es gegen das Gewissen gehe. Warum

wolle man jene Gesetze noch aufrecht erhalten? Warum wolle man sie nur auf den Fechtboden niederlegen, wenn nicht mit der Absicht, sie gelegentlich wieder zu benutzen? Man sage, das Centrum wolle keinen Frieden, es lebe vom Kulturkampf. Das Centrum wolle aber den Frieden, wie die Rechte, aher einen ehrlichen Frieden, der nicht abhängig sei von der Will⸗ kür der Machthaber. Das Centrum werde sich jedem Abkom⸗ men, das mit Rom getroffen werde, fügen, denn nach einem 1I1jährigen Kampf sehne man sich nach Ruhe. Wenn ihn nicht die Pflicht des Soldaten zurückhielte, er wäre schon längst nicht mehr Abgeordneter geworden. Das Centrum strecke die Hand entgegen, so weit es sein Gemissen erlaube. Wenn der Frieden die Centrumspartei sprengen solle, so mache man diesen Versuch getrost. Die Folgen desselben würbe das Cen—⸗ trum gern tragen.

Der Abg. Graf Wintzingerode erklärte, wenn er in der Rede des Vorredners auch nur irgend etwas Positives hätte herausfinden können, daß derselbe zum Verschwinden des Kulturkampfes beitragen werde, so würde er glauben, daß der Friede näher sei! Die Form aber, in der derselbe die Vorlage zurückgewiesen habe, zeuge von einem Friedens⸗ bedürfniß nicht! Wenn man immer wieder sage, der Kultur— kampf sei nicht historisch, sondern gemacht, und daraus einen Vorwurf für seine Partei herleite, so müsse er hier noch ein⸗ mal hervorheben, daß der Kulturkampf bereits aus dem An⸗— fang der 40er Jahre herstamme. Nun berufe man sich darauf, bie beschworene Verfassung dürfe nicht angetastet werden. Hier handele es sich aber nicht um Verträge, sondern um in die Verfassung gesetzlich eingefügte Bestimmungen, welche wiederum auf dem Wege der Gesetzgebung aufgehoben werden könnten. Ebenso unrichtig sei die Auffassung der Stellung des Dr. Falk, den keineswegs Feindschaft gegen religiöses Denken geleitet habe. Kaum irgend ein Mensch sei mit so tiefem Gefühl und so gewissenhaft an den Kulturkampf herangetreten, als der Dr. Falk, der sich unter Fesihaltung des Kerns der Maigesetze zu ihrer Revision bereit erklärt habe und noch heute so denke. Wenn das Centrum aher denselben als beseelt vom Antichrist, als Feind der katholischen Kirche, der Religion hinstelle und damit Eindruck in der westfälischen Bevölkerung machen wolle, so sei das Sache des Centrums. Aber die katholische Bevölkerung werde die Innerlichkeit und den Ernst des Mannes zu wür⸗— digen wissen und er freue sich, diese achtungsvolle Meinung über Dr. Falk hier aussprechen zu können. Was die Vorlage selbst betreffe, so liege für seine Freunde keine Ver⸗ anlassung vor, der Regierung die Erneuerung und Erweiterung der diskretionären Gewalt im Prinzip zu verweigern. Seine Partei stehe noch auf demfselben Boden wie früher. Es gehöre Vertrauen dazu, der Regierung gegenüber dem befürchteten Gang nach Kanossa solche Voll— machten in die Hände zu legen. Heute lägen solche Bedenken nicht vor. Die Situation habe sich höchstens insoweit ge⸗ ändert, als sich der Parteien ein gewisser unbestimmter Drang nach Frieden bemächtigt habe, der in keinerlei positiven Vor⸗ schlägen seinen Ausdruck gefunden habe. Seine Partei sei also bereit, der Regierung die erbetene Vollmacht unter Fest—⸗ haltung des Kerns der Maigesetzgebung zu gewähren; es frage sich nur, ob mit ader ohne Zeitbeschränkung. Allerdings würden unerquickliche Diskussionen durch eine zeitlich unbe⸗ schränkte Vollmacht ein für alle Mal abgeschnitten. Er und seine politischen Freunde würden sie auch gewähren, wenn es sich um eine vollständige Umarbeitung der Maigesetze handeln würde. Das Verlangen nach einer Zeitbeschränkung entspringe also nicht aus Mißtrauen. Vor allen weiteren Konzessionen müsse man erfahren, ob auch die Geistlichkeit dem Staate ent⸗ gegengekommen sei. Davon wisse er nichts. Unzweifel⸗ haft müsse die Regierung an der Anzeigepflicht der Geistlichen festhalten. Es sei aber ein durch die Noth der Verhältnisse nicht gebotenes prinzipielles Zurückweichen von der Anzeige⸗ pflicht, wenn im Art. 5 ein so weitgehender Dispens gegeben werde. Solle etwa für die Ausübung des Lehramts an den katholischen Schulen auch von der Vorschrift des deutschen Indigenats abgesehen werden? Hier werde eine Amendirung nöthig sein. Auch der Art. 2 über das Begnadigungsrecht sei für seine Partei bedenklich. Er könne es sich nicht denken, daß ohne Schaden für das Staatsbewußtsein seiner Angehöri⸗ gen katholische Kirchenfürsten, die ihrem Versprechen zuwider sich gegen die Staatsgesetze aufgelehnt und den Widerstand gegen dieselben befördert hätten, zurückgeführt würden. Aber er wolle es nicht ablehnen, auf die Berathung dieses Para⸗ graphen näher einzugehen, weil es vielleicht bei einer grund⸗ sätzlichen Anerkennung der Anzeigepflicht Seitens der kbatholi⸗ scher Kirch wünschenswerth sein möchte, durch einen hervorragenden Akt Königlicher Gnade das Zeichen dafür zu geben, daß wirklich das Gebäude des kirchlichen Friedens wieder hergestellt sei. Seine Partei habe nicht, wie so oft behauptet worden, mit Freude diesen Kampf geführt, aber bei der tief innerlichen Auffassung seiner Partei von den Aufgaben des Staates werde man diese allerdings nicht zurückweichen sehen vor der ersten besten feindseligen Stimmung. Seine Partei habe nicht nöthig, besondere Frie⸗ densversicherungen zu geben, weil sie sich niemals von einer kriegerischen Stimmung habe leiten lassen. Wenn man seiner Partei zeige, wie die nationale Bildung und Gesinnung der Geistlichen gesichert werden könne unter Wahrung des Kerns, des Inhalts der Maigesetze, dann werde man seine Partei auch bereit finden, in die Revision der Maigesetze einzutreten.

Der Abg. Dr. von Stablewski (Wreschen) bemerkte, wenn diese Vorlage wirklich die Bedeutung eines Friedens⸗ präliminars haben solle, wozu denn neue Leidenschaften gegen einen Theil der Katholiken wachrufen? Es sei nicht geglückt, den Kulturkampf auf der ganzen Linie mit einem Schlage zum Siege zu führen und darum versuche man jetzt, die Gegner getrennt zu schlagen. Man berufe sich seier⸗ lich auf das Hochhalten der preußischen Fahne und rufe nach Waffen, um das Vaterland gegen die Polen zu retten. Die Vorlage eröffne für die Polen schöne Perspektiven! Nicht mehr Papst und Bischöfe, sondern Minister und Ober⸗Präsident sollten die eigentlichen Herren sein. Dr. Falk habe sich be⸗ klagt, daß die Katholiken der Regierung nicht mehr glaubten. Könne man jetzt, wo die preußische Regierung auf dem Gipfel ihrer. Macht stehe, dies Wort anders als mit Lächeln wiederholen? Was habe man denn Gefährliches von den Polen angeführt, nichts als Wünsche und Hoffnungen, die man doch nicht in der Brust lesen lönne, und doch verlange die Regierung eine Diktatur auf religiösem Gebiete, als ständen die polnischen Legionen bereits vor dem Branden⸗ burger Thore. Trotz der Unterdrückungen hätten die Polen jeden Rachegedanken in ihrer Brust niedergehalten. Was werfe man ihnen vor? Die Gründung von Vereinen, ja von Bildungsvereinen! Die Regierung sollte den Geist⸗