1 Forderung des Anstandes, eine Forderung des Ehrgefühls. (Abg. Richter: Das geht mich doch nichts ani)
Das geht den Abg. Richter nichts an, sehr richtig, aber ich habe auch nur damit andeuten wollen, daß böfe Beispiele gute Sitten verderben. (Oh, oh! links. Sehr gut! rechts.)
Nun, meine Herren, ich verlasse jetzt die Wirthschaftspolitik, und wende mich zu den allgemeinen politischen Gesichtspunkten. Die Fortschrittspartei hat keine Gelegenheit vorübergehen lassen in dem ganzen verflossenen Wahlkampf, jede Kundgebung der Regierung mit dem Ruf zu beantworten, hier liegt die nackte Reaktion vor. Alles, was in Bezug auf allgemeine Gesetzgebung von der Regierung vor⸗ geschlagen ist, wird von der Fortschrittspartei ohne Weiteres unter diesen Gesichtspunkt subsumirt. Wenn das im Volke Anklang findet, dann tritt allerdings das ein, was der Abg. Richter vorhin aus sprach, dann gehen wir einer Vergiftung unseres offentlichen Lebens entgegen, welche es sehr zweifelhaft erscheinen läßt, ob unter solchen Umständen geordnete parlamentarische Verhältnisse überhaupt noch möglich sind. Wenn die Regierung nicht davor sicher ist, daß ihr bei jeder Gelegenheit reaktionäre Hintergedanken in die Schuhe geschoben werden — ich finde in diesem Augenblick keinen andern Ausdruck —,, dann muß ich doch sagen, daß es um unser öffentliches Leben schlecht bestellk ist. Was heißt denn Reaktion. Meine Herren, der Ausdruck ist sehr klug und vorsichtig gewählt, weil er auf den häufig etwas ängftlichen Wähler Eindruck zu machen im Stande ist, aber richtig betrachtet heißt Reaktion weiter nichts, wie eine willkürliche einseitige Ver⸗ schiebung des durch die Verfassung festgestellten gegenseitigen Verhält— nisses zwischen den Staatsgewalten, mit anderem Wort Bruch der Verfassung.
Also, meine Herren, ich wollte hier nur das Eine behaupten, daß, wenn irgend eine Partei Ursache hat, in ihren Angriffen auf Kundgebungen und Maßnahmen der Regierung oder anderen Par— teien vom Standpunkt der öffentlichen Moral vorsichtig zu sein, so ist es die Fortschrittspartei.
Ich kann ja nun zum Schluß mich noch mit einigen Artikeln, der „Provinzial-Correspondenz“ beschäftigen und wieder⸗ hole dabei, daß ich die ernste Absicht habe, welche ja auch schon in den letzten Monaten seit dem Aufhören des Wahlkampfes dokumentirt ist, den Ton derselben in denjenigen Grenzen zu halten, welche für die öffentliche Diskussion angemessen sind. Aber, meine
Herren, wenn hier mit so großer Emphase der „Provinzial⸗ Correspondenz“ vorgeworfen wird, daß sie Verdächtigungen auf die Fortschrittspartei häufe, so will ich doch nur anführen, daß die meisten der Artikel, von denen hier die Rede gewesen ist, retrospektiv waren und sich beziehen auf die Geschichte der Fortschrittspartei, welche in neuester Zeit sich allerdings als die vorzugsweise monarchische und sogar vorzugsweife religiöse dem Publikum empfohlen hatte, und der wesentlichste Zweck der meisten dieser Artikel war darauf gerichtet, zu untersuchen, wie es mit der Berechtigung der Fortschrittspartei in dieser Richtung bestellt ist. 3. B. der eine Artikel, den Hr. Richter heute nicht erwähnt hat, beschäftigt sich mit der militärifchen Frage und da — daß muß ich zugeben — wird in scharfen Worten der Fortschrittspartei vorgeworfen, daß sie ihrerseits die Organisation der Militärmacht des preußischen Staats es handelt sich um 1861, seitdem haben sich ja ihre Ansichten einigermaßen geläutert — nach Kräften zu hintertreiben gearbeitet hat. Run, meine Herren, glaube ich, wenn man sich einzelne Dokumente aus jener Zeit vergegen⸗ wärtigt, daß man da in Bezug auf die Stellung der Parteien zur Militärfrage, die hier erörtert wird, zu ganz eigenthümlichen Resul— taten kommt. Mir liegt hier ein Buch vor von einem Mitgliede dieses hohen Hauses von Ludolf Parisius, welches sich betitelt Deutfchlands politische Parteien und das Ministerium Bismarck.“ Das Buch enthält mannichfache Fingerzeige in Bezug auf manche Manifestationen der Fortschrittspartei, deren Glorifikation das Buch dient. Im Jahre 1861 z. B. hat eine Fraktion der damali— gen Fortschrittspartei — die rheinische Fraktion innerhalb derselben — ein Programm entworfen und veröffentlicht, welches auf diese Militärfrage sich bezieht, darin steht unter Anderem, nachdem gesagt ist, für Kriegszeiten werden wir ja natürlich Mannschaften und alles Mögliche bewilligen — also da heißt es:
Für Friedenszeiten zwingt uns die bisherige Ueberbürdung des Volkes mit Lasten, zur äußersten Sparsamkeit in Bewilligung der Steuern, indem wir es der Staatsregierung überlassen müssen
und nun merken Sie wohl auf, was jetzt kommt —
unter Beibehaltung des Landwehrsystems mit Hülfe von Turn— übungen und Schützenvereinen während einer kürzeren Dienstzeit die Ausbildung des Heeres zu bewirken, welche ohne diese Hülfe durch eine längere Dienstzeit bedingt wäre.
Nun, meine Herren, das ist also die Säule, auf welche wenigstens ein großer Theil der damaligen Fortschrittspartei Preußen * zu stützen gedachte! Ich wäre begierig gewesen zu sehen — Gotf fei Dank sind wir nicht dazu gekommen — wie diese Säule sich wohl 1876 vor dem Legiren des französischen Kaiserreichs bewährt hatte. So⸗ dann ist mit Entrüstung gesprochen worden von einem Artikel der Provinzial-Correspondenz“ über die bekannte Stellung der Fort— schrittspartei zu den religiösen Fragen. Ich gebe zu, meine Herren, daß auch dieser Artikel recht scharf gefaßt ist, aber das behaupte und wiederhole ich, sachlich trifft er vollkommen zu. Wenn ich mich der Aeußerungen entsinne, welche von seiten des Hrn. Abg. Virchow bei der allgemeinen Diskussion über die kirchenpolitischen Vorlagen in diesem Hause neulich gefallen sind, d. h. also, wir wollen am liebsten gar keine Kirche haben, — wir wollen jedenfalls keine Autorität in der Kirche haben — (Abg. Richter: Kein Wort wahr!) denn wer sein Gewissen einer Autorität in der Kirche unterordnet, sei eine lächerliche Person. die nicht in das Parlament gehöre — Hr. Abg. Richter, rufen Sie jetzt auch: kein Wort wahr?! — (Abg. Richter: Ja wohl h
ja, dann haben Sie den stenographischen Bericht vergessen — wenn ich mir alles das vergegenwärtige und dann dazu nehme die andere Aeußerung, welche Hr. Virchow vor Jahren in diesem Hause gethan hat, daß der Religion jedes erziebliche Moment sehlt — was *bleibt dann von der Wirksamkeit der Religion auf das Volksleben über haupt noch übrig? Davon wird in diesem Artikel der Provinzial⸗ Correspondenz“ lediglich und allgemein gesprochen.
Die Angelegenheit mit den guten Revolutionären hat der Hr. Abg. Richter hier in einer sehr ausführlichen Darlegung in einer Weise beleuchtet, als wenn mit diesem Artikel Hrn. Virchow ein himmelschreiendes Unrecht geschehen wäre. Meine Herren! Ich kann das nicht anerkennen, ich habe die damaligen Aeußerungen des ver⸗ ehrten Herren, von dem hier die Rede ist, mir allerdings auch natür⸗ lich im Zusammenhange überlegt und habe nun zu dem Resultat kommen können, daß er mit jenem Ausdrucke allerdings bis zu einem gewissen Maße Diejenigen hat in Schug nehmen wollen, welche die Staatsordnung durch revolutionäre Gewalt zu durchbrechen unter Umständen bereit sind.
Nun, meine Herren, ich werde mich auf die Bemerkungen be— schränken und werde zum Schluß, indem ich nochmals das hohe Haus bitte, den Tit. 14 anzunehmen, die Bilanz dahin ziehen: Auf der einen Seite, wie ich nochmals anerkenne, einige im Zorn geschriebene Artikel der „Provinzial-Correspondenz', welche in ihren Ausdrücken hätten milder sein müssen, welche aber in der Sache das Richtige ge⸗ troffen haben, auf der anderen Seite, von Seiten der Fortschrittz⸗ partei, eine konsequente systematische Herunterzsehung der Regierungs- autorität und Verdächtigung der Absichten der Regierung in allen ihren öffentlichen Manifestationen. Nun, meine Herren, schlage ich Ihnen einfach eine Kompensation vor: Ich werde darauf Bedacht nehmen und halte es für eine gebotene Pflicht, daß die „Provinzial Correspondenz', wie es ja auch geschieht, bei aller Schärfe der Ab⸗ wehr und des Angriffs gegen die ihr gegenüberstehende Partei, bei Fortsetzung des Kampfes gegen die Forischrittspartei die Formen, welche man auch dem politischen Gegner schuldig ist, wahrt. Ihnen, meine erf schlage ich dagegen vor: Sorgen Sie dafür, daß in Ihrer Presse und in Ihren Versammlungen ebenfalls dauernd? ein Ton eingeführt und bewahrt wird, welcher eine in angemessene Gren⸗ zen und Formen stattfindende öffentliche Diskussion gestattet, — dann
glaube ich, werden wir uns gegenseitig viele Verdrießlichkeiten ersparen und dem Lande nützen.
Der Abg. von Rauchhaupt erklärte, was der Abg. Richter vorgebracht habe, reiche nicht aus, um die Ablehnung eines Fonds zu motiviren, der seit Jahren von keiner Seite bean— standet worden sei und den auch keine Regierung entbehren könne. Er vermuthe daher, daß die Gründe für die Ab⸗ lehnung tiefer lägen, nämlich darin, daß sich der Gegensatz zwischen Fortschrittspartei und Regierung mehr und mehr ver— tieft habe. Wenn im Reichstag gesagt sei, man könne nicht zugeben, daß eine Presse, die von den Steuerzahlern unter— halten werde, Parteien im Lande angreise, wie das die „Pro⸗ vinzial-Correspondenz“ gethan, so lasse sich diese Behauptung schlecht vereinigen mit der anderen, daß gerade die Aus⸗ schreitungen der Provinzial-Correspondenz“ den Liberalen zu gute gekommen seien. Man könnte ja dann die offizielle Presse schalten lassen, zumal da der Minister in der kon— ziliantesten Form erklärt habe, daß derselbe einzelne Ausdrücke der „Provinzial-Correspendenz“ nicht immer billigen könne. Was bedenklich an der Regierungspresse gefunden fei, beruhe doch lediglich auf Ungeschicktheit der Form. Der Abg. Richter habe getadelt, daß der Minister bei dem Angriff auf den Abg. Virchow die Rede desselben nicht vollständig verlesen habe. Aber auch der Abg. Richter zitire ungenau, denn das Steno— gramm erweise, daß der Abg. Virchow wohl unterschieden habe zwischen Einzelmördern und guten Revolutionären, die bisweilen Barrikaden bauten und seiner Meinung nach ent— schuldbhar seien. Es sei etwas stark, wenn diese Acußerung vom Abg. Richter in Parallele gestellt werde mit einer Be— merkung, die der Generalfeldmarschall von Moltke über einen Theil der Sozialdemokraten gemacht. Er glaube, dem Abg. Virchow werde jene Aeußerung noch lange anhängen. Die „Prov.-⸗Corresp.“ habe gesagt, daß von einer kirchlichen Stellung oder Auffassung ernstlich bei der Fortschrittspartei nicht die Rede sein könne. Aber vergegenwärtige man sich, daß am 8. Februar der Abg. Virchow erklärt habe, am liebsten wolle er gar keine Kirche, und weiter, daß der lächerlich sei, der sich nicht los machen könne von einer Gewalt, die ihm vorschreibe, was der⸗ selbe zu glauben habe, so sei doch klar, daß jener Vorwurf gegen den Abg. Virchow und dessen Partei gerechtfertigt sei. Der Abg. Richter habe dann auch beklagt, daß man feiner Partei immer die Stellung vorgeworfen habe, die sie gegen— über der Heeresorganisation eingenommen habe; würde man die Absichten der Regierung gekannt haben, so hätte man sich sicherlich nicht ablehnend verhalten. Nun gehe aus den Memoiren von Unruh hervor, daß die Pläne Bismarcks schon 1864 bekannt geworden. Er frage, wo bleibe da die Wahrheit! Als der Krieg schon ausgebrochen gewesen sei, sei von einer Seite das Wort gefallen: „Diesem Ministerium keinen Groschen mehr.“ Möge darum die „Prov.⸗Corresp.“ etwas zu stark auf— getragen haben, wenn sie von landesverrätherischer Gesinnung gesprochen, das Auftreten der Fortschrittspartei sei doch min— destens ebenso stark gewesen. Der Abg. Rickert habe den Ar— tikel der „Provinzial-Correspondenz“, in dem von der Inthro⸗ nisirung der Abg. Rickert, Stauffenberg und Bamberger die Rede gewesen sei, getadelt. Aber wenn sich bei den Wahlen die Sezessionisten, er wolle lieber sagen die liberale Ver— einigung und der Fortschritt in den Ärmen gelegen hätten, so sei es seiner Ansicht nach vollkommen berechtigt gewesen, das Volk auf die Eventualitäten eines solchen Wahlbünd— nisses hinzuweisen. Am bittersten berührten die Artikel, in denen die Fortschrittspartei auf ihre Vergangenheit hinge⸗ wiesen werde. Aber habe die Fortschrittspartei nicht gegen alle Vorlagen gestimmt, denen man die Institutionen des neuen Reichs verdanke? Habe die Fortschritts partei je etwas dazu beigetragen, daß Deutschland seine jetzige Machtstellung erlangt habe? Sage die Fortschrittspartei nicht, sie wollte nicht, daß die Machtmittel des Staats zu Gunsten einer Partei ver— wendet würden. Die Regierung stehe, wie sie selbst erklärt habe, über den Parteien; und sei es etwa ausgeschlossen, daß nicht auch einmal zwischen den Konservativen und der Regie— rung Differenzen ausbrächen? Indem die Linke eine Forde— rung ablehne, welche die Regierung nothwendig zur Aufrecht— haltung ihrer Politik gebrauche, bezwecke sie nichts weiter, als die Regierung von den Parteien abhängig zu machen. Der Versuchung auf alles das einzugehen, was von den Par— teien bei den Wahlen gesündigt sei, widerstehe er, obschon eine solche Erörterung schätzbar wäre in diesem Augenblick. Er bitte nur seine politischen Freunde, die Forderung zu ge— nehmigen, da die Ablehnung derselben im Linde unverständ⸗ lich bleiben würde.
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Der Abg. Rickert entgegnete, der Abg. von Rauchhaupt habe Anstoß daran genommen, daß die liberale Vereinigung bei den Wahlen in den Armen der Fortschrittspartei gelegen habe. Jeder wisse, daß er (Redner) an der Opposition nicht Freude habe, sondern sich freuen würde, mit der Regierung gehen zu können. Aber nachdem der Reichskanzler sich den Konservasiven zuge⸗ wendet und Alles, was derselbe an Liberalismus besessen habe, über Bord geworfen habe, da sei ruhiges Schaffen nicht mehr möglich gewesen und den Liberalen die Pflicht geworden, klein— liche Unterschiede hei Seite zu schieben und in geschlossenen Reihen gegen die reaktionäre Bewegung anzukämpfen, die von den Konservativen ins Werk gesetzt sei. Das Bestrehen sei ner Partei, das ein richtiges sei, sei vom Lande bereits aner— kannt worden, vielleicht schon bald werde es mit der Macht der Rechten vorüber sein. Der Abg. von Rauchhaupt babe erklärt, daß der Minister ja in der konziliantesten Weise seine Mißbilligung über einzelne Ausdrücke der „Provinzial-Cor— respond.“ bekundet habe. Aber die Sache selbst habe der Minsster aufrecht erhalten, und er (Redner) hätte wohl gewünscht, daß, anstatt sich hinter einzelne Wörter zurückzuziehen, der Minister wie einst Graf Eulenburg erklärt hätte: die „Prov. ⸗-Corr.“ sei zu weit gegangen, es sei schmählich, Männer und Parteien zu rerleumden. Den Artikel der „Prov⸗Corr.“ über die In— thronisirung der Abgg. Bamberger — Stauffenberg — Rickert halte der Abg. von Rauchhaupt für sachgemäß. Er (Redner) glaube, im Volke sei man etwas anderer Meinung. Da kenne man nur eine Inthronisirung von Fürsten und Bischöfen. Bei einer solchen Auffassung enthalte jener Artikel eine Verdächti— gung, die ganz ungehörig sei. Wer das nicht fühle, mit dem könne er nicht disputiren, da gebe es nur Kampf, und er wolle abwarten, wer in demselben Sieger bleibe. Seiner Meinung nach habe die konservative Partei nur Berechti— gung durch den großen Führer, der zu ihr halte. Was solle man sagen, wenn die „Prov-Corr.“ erklärt habe, die Fortschrittspartei gehe darauf aus, sich die Armee unterzu⸗ ordnen, oder die Anhänger derselben könnten nur vom Hören⸗ sagen, was direkte Steuern seien. Werde nicht von Berlin, dem Hauptsitz dieser Partei, die größte Quote direlter Steuern aufgebracht? Im Reichstag habe ihm der Minister von Putt—
kamer zugesagt, im preußischen Landtag ein reichliches Materia beizubringen für die Untersuchung, ob seine Partei gerade berufen sei, sich zu Richtern der öffentlichen Moral aufzu⸗ werfen. Wenn das, was der Minister heute dem Hause vor— geführt habe, dessen ganzer Vorrath sei, so müsse er (Redner) sagen, daß er sehr enttäuscht sei. „Böse Beispiele verdürben gute Sitten!“ habe der Minister dem Abg. Richter zugerufen. Ihm scheine, dies Sprüchwort finde mehr auf die Untergebenen des Ministers Anwendung. Denn nach dem Vorgang der Provinzial-Correspondenz“ habe auch der Landrath von Köller die Fortschrittspartei eine antimonarchische, antinationale, antichristliche genannt. Die Herren im Centrum mögen nur sehr ruhig sein, denn die Charakteristik des Landraths laute weiter: das Centrum müsse erst gut deutsch werden, und vom Abg. von Bennigsen werde erklärt, daß derselbe unbedingt der Fortschrittspartei in die Arme fallen müsse. Der Minister habe sich beschwert, daß der Abg. Richter in einer Wahlrede die jetzige Politik eine egoistische, Interessenpolitik genannt habe. Auch von seiner Partei sei behauptet worden, daß sie gegen die Verstaatlichung der Bahnen wäre, weil hinter der— selben Börsenfürsten, die er übrigens nicht kenne, mit rein persönlichen Interessen ständen. Was sei nicht bei seiner eigenen Wahl in Danzig zusammen gelogen worden! Da sollte er kein Herz für die Armen haben und der liebe Gott selbst sich freuen, wenn er nicht in den Reichstag käme, und doch sei er mit größerer Mehrheit denn zuvor gewählt worden. Mit ein paar Wahlreden und Zeitungsartikeln sollte der Minister darum lieber nicht kommen, um die Prev.⸗Corr., zu rechtfertigen. Nun solle das literarische Bureau bestimmt sein, falsche Nachrichten oppositioneller Zeitungen richtig zu stellen. Unterschieden sich etwa die konservativen Zeitungen in diesem Punkte von den übrigen? Er erinnere daran, daß es die „Kreuzzeitung“ gewesen sei, welche die Nachricht gebracht habe, daß die Stellung des Finanz-Ministers Bitter erschüttert sei. Weitere Bemerkungen unterlasse er mit Rücksicht auf die Zeit. Er bemerke nur, daß er für den Fonds nicht stimmen werde, weil er dem Minister, der, obschon derselbe es verneine, die Vertrauensfrage gestellt habe, kein Vertrauen schenken könne. Er breche damit nicht die Brücke zu der Regierung überhaupt ab, er werde alle Vorlagen, auch die des Ministers von Puttkamer, sachgemäß prüfen. Vor der Hand aber bitte er, diesen Titel, sowie den Dispositionsfonds für geheime Äusgaben der Polizei in Kap. 95 der Budgetkommisston zu überweisen, da mit man erfahre, zu welchem Zweck die Fonds verwendet werden sollten. Werde dieser Antrag abgelehnt, so werde er gegen die Bewilligung der Fonds überhaupt stimmen. Der Staats-Minister von Puttkamer entgegnete, eine Ueberweisung an die Budgetkommission in dem vom Abg. Rickert angedeuteten Sinne könne zu nichts führen. Es wider— spräche dem Charakter der geheimen Fonds, wollte die Regierung über die Verwendung derselben Auskunft geben. Der Vor— redner beklage die Spärlichkeit des beigebrachten Materials, er (der Minister) hoffe, beim Etat des Ministeriums des Innern werde er den Abg. Rickert zufriedenstellen können. Der Abg. von Meyer (Arnswalde) bemerkte, diese Po—⸗ sition sei bisher allen Ministern bewilligt, wie er als eins der ältesten Mitglieder des Hauses bestätigen könne, weil man sich überzeugt gehabt habe, kein Ministerium könne den Fonds entbehren. Die Linke lasse heute wieder ein Feuerwerk los, weil sie im Reichstage eine der schwersten Niederlagen erlitten habe über den Erlaß vom 4. Januar. Die Liberalen hätten anerkennen müssen, daß dieser Erlaß das preußische Staatsrecht gegenüber der konstitutionellen Theorie enthalte und auf der Retirade, in der die Linke sich befinde, setze sie sich nun rückwärts auf das Pferd wie die Parther, das sei der Sinn. Außerdem habe die Linke vielleicht das Bedürfniß, auf offenem Markte die schmutzige Wäsche ihrer Gegner zu waschen. Die Konser— vativen hätten ja auch schwarze Wäsche. Es sei immer freundlich, daß die Gegenpartei die schwarze Wäsche wasche. Wenn die Wahlen einträten, entstehe immer eine Anstandspause, das heiße, es höre auf sechs Wochen Anstand und Moral auf und die anständigeren Leute machten wirklich Geschäste, wie sie sie in gewöhnlichen Zeiten nicht für sauber hielten. Das treffe beide Parteien, aber die Liberalen etwas schwerer. Die Konservativen hätten doch nur von den Liberalen gelernt. Böse Beispiele verdür— ben gute Sitten. Die Parteien hätten eigentlich nicht ge— logen, aber sie hätten es sich gefallen lassen, daß die lumpig⸗ sten Preßpiraten die infamsten Geschichten in die Welt setzten. In dem „Aufruf an die deutschen Volksschullehrer“ spiele natürlich die Erhöhung der Gehälter, welche vom Minister von Puttkamer nicht gehörig gesördert worden sei, eine sehr bedeutende Rolle. Dann sei hier ein Plakat an die deutschen Gastwirthe, in dem gesagt sei, daß im Falle eines Sieges der Konservativen die Schänken sehr früh Abends geschlossen werden müßten und daß die Gastwirthe dann eine hohe Geldstrafe zahlen müßten, wenn in ihrer Schänke sich einer von ihren Gästen betrinken würde. In einem Plakat für lönigstreue und freisinnige Wähler werde von dem erhabenen Beruf der Hohenzollern, den Bürger und Bauer gegen die Gewaltthätigkeit, Habsucht und Än⸗ maßung der Junker zu schützen, gesprochen. Er glaube wirk— lich, dieses Blatt sei ein Nachdruck von einem Aufruf vom Jahre 48 von Pannemann, oder wie die Leute gehießen hätten. Wenn er auch für dasselbe nicht gerade die Fort⸗ schrittspartei verantwortlich machen wolle, so muüsse er es doch thun für den politischen Katechismus für freisinnige Landleute mit der Unterschrift „Broschürenfonds der deutschen Fort= schrittspartei, in welchem von den Junkern gesagt sei, daß sie vor den Wahlen gegen die Bauern auffallend freundlich gewesen seien, sich im Grunde aber doch nach der alten guten Zeit des Faustrechts und des Straßenraubes zurüllck— sehnten, welches Handwerk ihren Vorfahren erst durch die Kurfürsten aus dem preußischen Herrscherhause gelegt worden sei dadurch, daß die letzteren mehrere Junker aufhängen ließen. Dann heiße es von den Landrähen, daß sie sich am wenigsten zu Abgeordneten eigneten, denn sie kämen nur in das Haus, um vor ihrem Minister zu paradiren, was dann leicht eine schnelle B förderung zur Folge haben könne. Wenn die Linke selbst an diese Dinge, die sie habe schreiben lassen, glaube, so müsse er von denselben behaupten, daß sie „unan⸗ ständig“ seien, zur Brunnenvergistung gehörten. Die Aus—⸗ drucksweise der „Provinzial-⸗Correspondenz“ erkenne er als zu stark an, aber dieselbe reiche noch lange nicht an das, was die Linke hier in Hunderten von Flugblättern auseinander⸗ gesetzt hätte. Ein halbpolnisches Flugblatt, auf dessen Rück⸗ seite ein polnisches Gedicht stehe, empfehle den „Bauern“ Dirichlet zum Abgeordneten, da derselbe nicht nur neue Steuern nicht wolle, sondern auch die alten zu verkleinern
strebe. Der Abg. Dirichlet sei nicht nur ein guter, sondern auch ein kluger Mann, dem die Konservativen im Reichstage nichts anhaben könnten, weil derselbe die Lacher stets auf seiner Seite habe, den die Konservativen nicht leiden könnten, weil derselbe manches schlechte Gesetz zu Fall gebracht habe. Darum solle man am naͤchsten Donnerstag einen Zettel ab— geben mit dem Namen des. Bauern Dirichlet in Klein— Bretschkehmen: derselbe sei ein guter Bruder, und solle leben hoch! Das Plakat sei doch wirklich eine Uebersetzung des Sprüchworts: „Mit Speck fange man Mäuse“. Der Abg. Dirichlet als „Bauer“ scheine ihm nicht unter ganz richtiger Flagge zu segeln. Ob Bauer, ob Rittergutsbesitzer, entscheide nicht mehr die rechtliche Natur des Grundbesitzes, sondern rein die Wirthschaftsform. Der Bauer sei poetisch definirt von einem Herrn, auf den man immer so viel gegeben hätte, nämlich vom Teufel persönlich, vom Mephisto im Faust. Nach seiner Ansicht sei das ein Bauer, der mit eigener Hand mitangreife, den Mist mit eigener Hand auf— lade, seine Schweine selber füttere. Wer aber selber mit seinem Gespann in die Stadt fahre, der sei schon ein vornehmer Bauer. Nun sei ihm zweifelhast, ob der Abg. Dirichlet zu dieser Kategorie gehöre. Er habe immer eine Probe bei den Mili⸗ tärreklamationen. Es komme ein Schmied und sage, sein Sohn müsse durchaus vom Militär frei, er könne nicht mehr arbeiten. Dann lasse er sich die Hände zeigen und wenn diese schwielig seien, dann brauche derselbe die Unterstützung nicht. Nun müsse man mal die Hände vom Abg. Dirichlet untersuchen. Ob es wohl zu seinen Arbeiten gehöre, Mist zu laden und Schweine zu füttern? Er glaube, man würde sich irren. Er wolle für jedes Ministerium der Zukunft diese Ausgabe bewilligen. Er wolle einmal annehmen, daß sein verehrter Gönner Rickert Minister des Innern wäre. Selbst dann wolle er sich enga⸗ giren und sagen: dieser Fonds müsse Sr. Excellenz bewilligt werden.
Der Abg. Richter erklärte, Exellenz Rickert werde aber diesen Fonds nicht verlangen. (Rufe rechts: Abwarten!) Das sei eben der große Unterschied zwischen der Fortschritts— und der konservativen Partei. Gegen die Ueberschwenglichkeit eines Flugblattes bedürfe man keiner geheimen Fonds, da reiche die Kritik eins guten Humors aus. Er habe die Ver— lesung dieses Aufrufes schon längst erwartet; ein besserer Lektor wie der Abg. von Meyer wäre nicht zu finden gewesen. Die konservativen littauischen Flugblätter schlössen aber nicht blos mit einem Hoch auf den Kandidaten, sondern enthielten vollständige Gebete für denselben. Die Broschüren und Flug— blätter der Fortschrittspartei seien aus den Mitteln seiner Partei hergestellt. Brauche die Rechte doch dieselben Waffen; warum verlange die Rechte, daß die Regierung dazu aus sol— chen Fonds Geld geben solle? Dazu seien die Mittel der Steuerzahler, unter denen es auch Gesinnungsgenossen von ihm gebe, nicht vorhanden, das sei ein Mißbrauch von Staatsgeldern. Gegen ein Preßbureau zur Orientirung für die Regierung habe er nichts einzuwenden, möchte man nur die Stimmen der Presse auch beachten. Zum Dementiren sei der „Staats-Anzeiger“ da; die Dementirungen würden mehr Eindruck machen, wenn sie sich weniger an die Worte als an die Thatsachen hielten. Man dementire, daß die politische Korrespondenz in Wien mit der Regierung in Verbindung stehe, dabei könne man doch nicht leugnen, daß der Direktor des literarischen Bureaus des Staats-Ministeriums mit der— selben in Verbindung stehe. Was seine Partei nicht wolle, sei, daß unter dem Schein unabhängiger Preßstimmen öffent⸗ lich Meinung gemacht werde. Der Minister habe in einer Reihe scharfer Ausdrücke die Fortschrittspartei und ihre Presse ge— tadelt; was aber habe der Minister an thatsächlichem Beweis für die allgemeinen Behauptungen vorgebracht? Eine Aeußerung aus einer Iserlohner Rede von ihm (dem Redner). Sei Fürst Bismarck gegenwärtig etwa gegen den Eisenzoll? Um— gekehrt, der Fürst habe denselben wieder eingeführt. Wie könne er nun durch den Nachweis des landwirthschaftlichen Interesses des Fürsten gegen den Eisenzoll darthun wollen, daß derselbe in der Gesetzgebung seine Privatinteressen ver— solze? Jeder könnte ihm doch sofort erwidern, daß die Wiedereinführung des Eisenzolls durch den Fürsten Bismarck gerade das Gegentheil beweise. Wenn die Rechte ihn sür schlecht halte, brauche sie ihn doch darum nicht für so dumm zu halten, einen Angriff zu machen, dessen Widerlegung so nahe liege. Was er in Iserlohn gesagt habe, habe er nicht blos dort, sondern seit Jahren in vielen Versammlungen, auch im Reichstage angeführt, um das Interesse der Landwirth⸗ schast gegen den Eisenzoll an dem Beispiel der Maschinen zu erläutern. Der Vorfall selbst sei so oft seit 1873 in der Presse ohne Widerspruch berichtet, daß an seiner Richtigkeit nicht mehr gezweifelt werden könne. Läge in seiner Anfüh⸗ rung eine Beleidigung, so wäre längst ein Klageantrag gegen ihn angestellt. Man könne höchstens sagen, es sei nicht zart, an den persönlichen Verhältnissen des Fürsten Bismarck die Wirkungen der Gesetzgebung zu exemplifiziren. Aber Fürst Bismarck selbst nöthige ihn zu dergleichen, denn es sei eine Eigenthümlichkeit desselben, am liebsten aus seinen persönlichen Ersahrungen hinaus bestimmte gesetzgeberische Maßregeln zu rechtfertigen. Der Fürst habe dies gethan bei den Differential⸗ tarisen für Holz, bei der Berliner Miethssteuer, beim Getreide⸗ soll. In der That sei im Sommer 1873 der Arbeitermangel so stark gewesen, daß das Bedürfniß zur Einführung land⸗ wirthschaftlicher Maschinen besonders lebhaft empfunden sei und der Zoll besonders drückend erschienen sei. Wie könne man aus dieser Bezugnahme einen Angriff herleiten, daß Fürst Bismarck in seinem Privatinteresse gehandelt habe? Der Minister verspreche die Milderung starler Ausdrücke. Starke Ausdrücke schadeten seiner (des Redners) Partei nicht, diese rich keten sich selbst. Was die Fortschrittspartei nicht wolle, seien die alschen Citate, die Fälschung aktenmäßiger Darlegung, kurzum die Fälschung der Thatsachen. Aber eine Besserung sei nach der heutigen Sitzung um so weniger zu erwarten, als das
eispiel des Ministers geeignet fei, die guten Sitten der Provinzial⸗Correspondenz“, wenn sie noch welche hatte, zu derschlechtern. Indem der Minister auf die Aeußerun⸗ * Virchows in Betreff der Kirche zurückgreife, citire derselbe llbst falsch. Der Minister stelle es so dar, als ob sich Virchow gegen die Kirche, gegen den Glauben, gegen die eligionsük ung und Religionsgemeinschaft ausgesprochen hätte, während selbst der Abg. Strosser hätte anerkennen müssen, aß jene Aeußerung gegen die Kirche nur im staatsrechtlichen Sinne gemeint sei; also die Kirche unabhängig von der Ge⸗ meinde im Gegensatz zur Autonomie der Religionsgemeinde. Schon in derselben Sitzung hätte er dargelegt, daß dieser tandyunkt im Extrem in Amerika zur Wahrheit geworden ei. Niemand habe behauptet, daß das amerikanische System der irche und Religion feindlich sei, ja die Centrumspresse erbr⸗
tere gerade jetzt, ob nicht dieses System der gegenwärtigen preußischen Kirchengesetzgebung vorzuziehen sei. Gerade diese ill oyale Kampfesweise, Aeußerungen aus allem Zusammenhang herauszugreifen und denselben einen entstellten Sinn unter— zulegen, vergifte den politischen Kampf. Der Minister habe sodann auf die früheren Geschäste der Fortschritts partei zurückgegriffen. Jener Artikel der „Provinzial-Correspondenz“ habe der Fort— schrittspartei außerordentlich genutzt, denn die Art, wie darin die politischen Verhältnisse vor 1866 behandelt würden, habe gerade in den alten Provinzen eine große Erbitterung gegen die Regie— rung wachgerufen. Der Minister citire nicht etwa das Pro— gramm der Fortschrittspartei von 1861, sondern ein Pro— gramm des National reins von Cölner Mitgliedern, die sämmtlich nicht seiner (des Redners) Partei hier im Hause angehörten. Indeß, er acceptire jenes Programm auch heute noch. (Redner verlas dasselbe, woraus hervorgehe, daß die Fortschrittspartei zu jeder Bewilligung von Geld und Mannschaften bereit sei, in einem Kriege Preußens für die Ehre und Freiheit Deutschlands; daß man, wie das Programm weiter sage, in Friedenszeiten möglichst Er⸗ sparungen machen müsse, sagten die Konservattloen selbst in jeder Wahlversammlung. Bei dem weiteren Citat hätten die Konservativen wiederum zu früh ihre Heiterkeit geäußert, indem sie geglaubt hätten, daß das Programm die Turner— und Schützenvereine an die Stelle der stehenden Heere setzen wolle. Die weitere Stelle aber lasse keinen Zweifel darüber, daß die Turnübungen und Schützenvereine nur eine kürzere Dienstzeit im stehenden Heere möglich machen sollten. Den— selben Gedanken finde man z. B. in der Schrift des Oberst von der Goltz ausgeführt, indem derselbe unter dieser Bedin— gung die Einführung der zweijährigen Dienstzeit für zulässig erkläre. Was bleibe also dabei Angreifbares noch übrig? Zur Revanche wolle er aber nun auch aus srüherer Zeit ein Citat machen. Fürst Bismarck habe am 6. September 1849 gesagt: „Die Armee hege keine drei—⸗ farbigen Begeisterungen, in ihr werde man ebensowenig als im übrigen preußischen Volke das Bedürfniß nach einer natio— nalen Wiedergeburt finden. Er habe noch keinen preußischen Soldaten singen hören: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Eine solche Rede dem Fürsten im Wahlkampfe entgegenzuhalten, dazu sei seine Partei zu anständig. Er könne der Rechten auch das Programm vom 20. September 1861, woran auch der Abg. Strosser betheiligt gewesen sei, enigegegenhalten. Dasselbe erkläre sich gegen den Kronenraub und RNationali— tätenschwindel. Der Minister spreche von Kompensationen. Mö— gen die Herren der Rechten beim Wahlkampf, das gestehe er den— selben zu, dieselben Mittel gebrauchen wie seine Partei. Aber be— nutzen sie nicht die Staatsgelder, nicht die amtliche Autorität zur Beeinflussung des Wahlkampfes. Der Wahlkampf solle entschei⸗ den, ob die Regierung für gewisse Maßnahmen die Unterstützung des Volkes verdiene, aber nicht eine Probe sein auf die Stärke der Regierungsgewalt zur Unterdrückung der wirklichen Meinung des Volkes. Niemals habe eine Regierung sich so stark an diesen Fonds geklammert, wie jetzt der Minister, indem derselbe die Brücke abgebrochen erkläre mit Jedem, der diesen Fonds nicht bewillige. Das zeige eben die Schwäche dieser Regierung. Je mehr die jetzige Regierung für ihre Absichten in weiten Kreisen der Bevölkerung an Unterstützung verliere, z. B. für das Tabaks— monopol, denn das sei doch eigentlich des Pudels Kern, desto mehr suche sie durch Beeinflussung der Beamten und der Presse, sowie durch sonstige äußere Mittel sich oben zu er— halten. Seine Partei werde die Regierung nach dieser Seite nicht unterstützen, seine Partei habe die Brücke nach dieser Richtung abgebrochen, weil sie überzeugt sei, daß dieses System nicht zum Vortheil, sondern zum Schaden des Landes gereiche.
Hierauf nahm der Vize-Präsident des Staats-Ministeriums von Puttkamer, wie folgt, das Wort:
Meine Herren, die letzten Ausführungen des Hrn. Abg. Richter leiden doch an einer ganz merkwürdigen Vermischung der Begriffe. Ich habe allerdings gesagt, daß diejenigen Herren, welche die Brücke mit der Regierung abbrechen wollen, gegen diesen Fonds stimmen mögen, aber doch wahrhaftig nicht in dem Sinne, daß wir ohne diese 93 000 M schlechterdings nicht leben können.
Was wir mit diesem Fonds bestreiten, dazu gehört ja allerdings auch die, Provinzial⸗Korrespondenz“; aber ich habe das vielleicht vorher vergessen, Sie mögen das auch in Betracht ziehen, daß die „Provinzial⸗ Correspondenz“ sich zum größten Theil selbst erhält Die Nettoausgabe, also der Ueberschuß der Ausgaben über die Einnahmen, die sie ver⸗— ursacht — das will ich Ihnen ganz offen mittheilen — ist wirklich so überaus geringfügig, daß, wenn hier mit so hohen Worten davon gesprochen wird: wir wollen nicht, daß aus unserer Tasche, aus der Tasche der Steuerzahler die Summen für die Regierungspresse ausgegeben werden — die Bedeutung solcher Aeußerungen doch wesentlich zusammenschrumpft. Der ganze Ueber— schuß der Ausgaben der „Provinzial-Correspondenz“ über Ihre Ein⸗ nahmen beträgt etwa 30000 M Ich bitte, daß Sie sich einmal die Frage vorlegen, ob denn, finanziell betrachtet, das wirklich von irgend einer Bedeutung sein kann.
Aber ich möchte doch noch auf einen anderen Punkt in der Ent gegnung des Hrn. Abg. Richter zurückkommen. Er hat den, wie ich glaube, nicht geglückten Versuch gemacht, seine Iserlohner Angriffe gegen den Herrn Reichskanzler in ein günstigeres Licht zu stellen. Ich habe behauptet und bleibe dabei stehen, daß der Wortlaut dieser seiner Aeußerung in Iserlohn gar keine andere Bedeutung zuläßt, als daß der Herr Fürst Reichskanzler, wie es sich um die Frage der Auf⸗ hebung der Eisenzölle gehandelt habe, seine eigenen Interessen nicht nur dabei zu Rathe gezogen, sondern in den Vordergrund gestellt habe. Das ist allerdings — ich gebe das dem Hrn. Richter zurück — eine Schmäbung des Herrn Reichskanzlers, über welche dieser Mann doch in der That absolut erhaben ist.
Ich kann aber dem Hrn. Abg. Richter noch weitere Kommentare zu demjenigen geben, was er in Iserlohn gesagt hat. Er sagte vor— hin: ich habe das, was ich in Iserlohn gesagt habe, in rielen ande⸗ ren Orten gesagt, im Reichztage, in anderen Wahlversammlungen. — Sehr richtig, Hr. Richter! Dadurch verliert die Sache aber nichts von ihrer Bedenklichkeit, im Gegentheil, sie steigert sich dadurch. Hören Sie an, was Hr. Richter in Gransee in einer ähnlichen Wahlversammlung gesagt hat, als er sich auch über die Thätigkeit des Reichskanzlers in Bezug auf die Zollgesetzgebung verbreitete. Er sagte Folgendes — bitte, merken Sie auf und warten wir ab, ob es Hin. Richter gelingen wird, den Kopf auch aus dieser Schlinge zu ziehen. Nachdem er davon gesprochen, daß Fürst Bismarck die Eisen—⸗ zölle aufgehoben habe, um seine Maschinen zollfrei einzuführen, fügte Hr. Richter in der Versammlung Folgendes hinzu:
Als er dann die Maschinen eingeführt hatte, hielt er es für besser, den Eisenzoll wieder einzuführen, und zugleich für seine Be—⸗ sibungen den Holz und Getreidezoll.
Das ist auch keine ‚Schmähung“, das ist eine vollkommen ‚ob—⸗ jektiv gehaltene Aeußerung“?
Ich kann also dem Hrn. Abg. Richter nur empfehlen, sein, wie ich aus Erfahrung weiß, sehr starkes Gedächtniß in Bezug auf seine eigenen Reden ein Weniges aufzuftischen; dann wird er, wie ich
meine, auch manche bedenklichen Punkte in denselben finden und sich
vielleicht bei folgenden Wahlkämpfen angelegen sein lassen, sich etwas zu maßigen.
Der Abg. von Bennigsen bemerkte, durch ihr Votum spreche seine Partei der Regierung weder Mißtrauen noch Vertrauen aus. Dieser Fonds sei ein solcher, wie ihn keine Regierung entbehren könne, und er und seine politischen Freunde würden den Fonds deshalb bewilligen. Damit billige er aber keineswegs die Art und Weise, wie die Regierungs— blätter verfahren seien und die der Regierung weniger genutzt als geschadet habe. Eine Regierung, von der Machtstellung wie die preußische, könnte den politischen Kampf in der Presse wohl vornehmer und sachlicher führe. Auf dem bisherigen Wege könne es in Preußen nicht weiter gehen. Die politischen Sitten hätten sich seit 1367 geradezu verschlechtert. Es wäre doch an der Zeit, nicht mehr blos die schmutzige Wäsche An⸗ derer zu waschen, sondern anzufangen, vor seiner eigenen Thür zu kehren. Die Debatte wurde vertagt.
In einer persönlichen Bemerkung erklärte der Abg. Dr. Virchow, man möge seine Worte bezüglich der „guten Revolutionäre“ nicht durch Herausreißung derselben aus dem Zusammenhange entstellen. Er habe damals zur Zeit der Attentate mit Hinweis auf die Sozialdemokraten behauptet, daß dieselben, wenn auch Revolutionäre, doch keine Königs⸗ mörder seien — ein Unterschied, den übrigens selbst das internationale Recht anerkenne.
Der Abg. Richter bemerkte in wiederholter Wechselrede mit den nachstehend aufgeführten Rednern, daß seine Rede in Gransee, in der er genau so gesprochen habe wie in Iserlohn, in der dortigen Versammlung dieselbe Interpretation von konservatirer- Seite erfahren habe, die ihr hier der Minister habe zu Theil werden lassen. Er habe r sofort an Ort und Stelle eine Berichtigung eintreten assen.
Die Abgg. von Quast und von dem Knesebeck wollten von einer Berichtigung nichts gehört haben, sie gäben aber zu, der Versammlung allerdings nicht bis zu Ende beigewohnt zu haben.
ö. . vertagte sich das Haus um 4 Uhr bis Montag 2
Literarische Neuigkeiten und periodische Schriften
Monatschrift für Deutsche Beam te. Organ des unter dem Protektorat Sr. Majestät des Kaisers stehenden Preußischen Beamtenvereins, redigirt von L. Jacobi, Königlicher Geheimer Regierungs⸗Rath. (Grünberg i. Schl, Verlag von Friedr. Weiß Nachfolger.) 6. Jahrgang. 1882. 2. Heft. — Inhalk: Angelegen⸗ heiten des Vereins: Bekanntmachung der Direktion des Preußischen Beamtenvereins. — Landgerichts Rath R. Hagemann. — Allerhöchste Kundgebung aus dem GCivilkabinet Sr. Majestät des Kaisers. — Rechtsverhältnisse der Beamten: A. Gesetzgebung; Verordnungen; Erkenntnisse. — B. Abhandlungen und Nachrichten über Fragen des Beamtenthums: Aus der Rede des Herrn Reichskanzlers, gehalten in der Reichstagssitzung vom 24. Januar d. J. — Aus dem Vorbericht zum Staatshaushalts-Etat für das Jahr vom 1. April 1881 — 82. — Aus dem Ladtage. — Zu dem Artikel „Zur Gehaltssteigerung nach. Maßgabe des Dienstalters! in Heft 1 der Zestschr. — Zum Kapitel „Dienststunden'. — Vertrauensärzte der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphen-Verwaltung. — Strafbare Mitwirkung bel dem Aus⸗ spruch eines studentischen Ehrengerichts. — Friedrich⸗Wilhelms⸗Stif⸗ tung für Marienbad. — Jahresbericht des allgemeinen Spar⸗ und Vorschußvereins der Reichs⸗Eisenbahnbeamten in Straßburg. — Beamten⸗Spar⸗ und Darlehnskasse zu Cassel. — Abhandlungen und Aufsätze allgemeinen Inhalts: Goethe als Staatsmann und Beamker. — Die Regierung des Königs Friedrich Wilhelm J. in ihrer Bedeu⸗ tung für Preußens Entwickelung. — Die Lotterie in Preußen unter Friedrich II. — Die Umwandelung des verbrecherischen Willens, — ein soziales Kapitel. — Vermischtes: Ich werde versuchen und werde sehen. Ein Ausspruch von Leibnitz. — Frische Fische, gute Fische. — Sprechsaal: Pensionsberechtigende Dienstzeit eines Staatsbeamten. — Wittwenkassenbeiträge der aus dem Staatsdienste übergetretenen Provinzial⸗ und Kommunalbeamten. — Bücherschau. — Beilage: Vakanzenliste. — Inserate.
Centrglblatt für allgemeine Gesundheitspflege, Organ des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Herausgegeben von Prof. Dr. Finkelnburg und Sanitäts⸗-Rath Dr. Lent. Bonn, Verlag von Emil Strauß. (Abonnementspreis halbjährlich 4 „) — Heft 2. Inhalt: Ueber den hygieinischen Gegensatz von Stadt und Land. Von Dr. Finkelnburg. (Schluß) — Ueber Irre und Irrenwesen. Von Dr. G. Pelman, Direktor der Provinzial⸗ Irrenanstalt Grafenberg bei Düsseldorf. (Schluß.) — Die Schulbank von Vandenesch. Von Dr. Creutz, Kreisphysikus in Eupen. — Kleinere Mittheilungen: Die Bevölkerung der Regierungsbezirke der Provinzen Westfalen, Hessen⸗Nassau und Rheinland nach der Volks— zählung vom 1. Dejember 1880 im Vergleich zu der Volkszählung vom 1. Dejember 1875. — Das Budget der französischen Republik für 1882. — Die Fabrikation künstlichen Nachweins, des sog. „vin de secours-“. — Die Einfuhr amerikanischen Schweinefleifches. — Ueber die Schädlichkeit des Tabakrauchens. — Cholera. — Literatur- berichte: Reuere Publikationen zur Impffrage, besprochen von Dr. Wolffberg.
Neue deutsche Jagd⸗-Zeitung. Offizielles Organ des Prüfungs⸗Clubs für Dachs- und Hühnerhunde in Berlin. II. Revier Jagen 20. — Inhalt; Ueber Jagdgewehre (Fortfetzung). — Aus dem Tagebuche des Piqueurs Christian Rauch (Schluß). — Die Cervusarten und die ihnen verwandten Jagdthiere (Fortsetzung). — Wasserstaare und Eisvögel. — Nützlichkeit der Rebbühner. — Wan derung durch die Wälder aller Zonen. Die Papyrusstaude (mit Ab⸗ bildung). — Aus den Hofjagdrevieren bei Berlin. — Einiges über Winterschläfer. — Literarischez. — Der Jagdhund. Offizielles des Prüfungsklub für Dachs« und Hühnerbunde in Berlin. — Zur Cbarakteristik des deutschen Vorstehhundes. — Zuchtstationen des Vereines für Hundezucht und Dressur in Böhmen. — Verein für Dundezucht und Dressur im Königreich Böhmen. — Hundemarkt. — Jagdtasche. — Anzeigen.
Deutsche Landwirthschaftliche Presse. Nr. 14. — In⸗ halt: Aus dem Klub der Landwirthe in Berlin. — Saatkartoffeln. Von Schulj. — Kartoffel⸗Pflanz und Pflanzgruben⸗Maschinen. Von Mierendorf⸗Rebfelde. Deutscher Landwirthschaftsrath. — Eröoͤff⸗ nung der Ausstellung für Spiritugindustrie. — Mittel gegen den Hausschwamm. — Treber. Von Professor Dr. Maerker. — Künst⸗ licher Dünger für Bobnen. Von Dr. Stutzer. — Schrotmühlen. Von Prof. Dr. Wüst u a
Politische Gesellschafts: Blätter. Sozial- politische Wochenschrift. 1J. Jahrgang. 11. Heft. — Inhalt: Nothgesetze. — Die Freiheit und Souveränetät des Römischen Stuhls. — Fort mit den Hypothekenbanken. — Zur kirchenpolitischen Lage. — Die Juden⸗ Lolonisation. — Die neuen Militärvorlagen in Frankreich. — Der Aufstand in Süd⸗Dalmatien und der Herjegowina. — Correspondenz.
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