1882 / 129 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 05 Jun 1882 18:00:01 GMT) scan diff

ö , . * 2 2 7 ' ; 2 2 * z 2 *. ö

Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 3. Juni. (Pr. Abendbl.) Nach der gestern ausgegebenen Hofansage werden der Ka iser und sämmtliche in Wien anwesenden Erzherzoge an der Frohnleichnamsprozession theilnehmen.

Das Kronprinzliche Paar ist heute zu dreiwöchent⸗ lichem Aufenthalte nach Reichstadt abgereist.

Der Handels⸗Minister Freiherr von Pino ist gestern nach Berlin gereist, um den Organismus des preußischen Staatsbahnbetriebes persönlich kennen zu lernen und dabei die Berliner Stadtbahn in Augenschein zu nehmen. Mit dem 1. Juli soll die neue Organisation der Staatsbahnen und des General⸗Eisenbahnratheg in Kraft treten. Sodann wird die Regierung sofort die Revision der Waarentarife vornehmen, die eben so billig gestellt werden sollen, wie es die deutschen Einheitstarife sind.

Gestern Morgens ist der ungarische Minister-Präsident von Tisza hier angekommen, um an gemeinsamen Minister⸗ berathungen theilzunehmen, deren Gegenstand die bosnischen Angelegenheiten bilden sollen. Nach Äbschluß der bezüglichen Konferenzen dürfte die Ernennung des neuen Reichs⸗Finanz⸗ Ministers publizirt werden.

In Salzburg wurde am 2. d. M. der Tag gefeiert, an welchem vor 30 Jahren der Erzherzog Rainer zum Inhaber des 59. Regiments ernannt wurde, und gleichzeitig das 209jährige Bestehen des Regiments. Hierauf fand die Ent— hüllung des Denkmals für die gefallenen Krieger des 59. Re⸗ giments statt. Die Erzherzoge Ludwig Victor und Rainer nahmen an der Feier Theil.

= 4. Juni. (W. T. B.) Das „Fremdenblatt“ bestätigt, daß der Minister des Auswärtigen, Graf Kal—⸗ noky, bei der gestern Mittag erfolgten Üeberreichung des formellen Vorschlags einer Botschafterkonferenz durch die Botschafter Englands und Frankreichs erklärt habe, diesen Vorschlag im Prinzip anzunehmen, in der Voraus— setzung, daß auch die anderen Mächte zustimmen würden.

Lemberg, 4. Juni. (W. T. B.) Die von verschiedenen Blättern gebrachte Nachricht von der Aufstellung eines Mili— tärcordons an der russischen Grenze zur Hintanhaltung der Einwanderung der jüdischen Bevölkerung aus Rußland ist unbegründet. Es ist nur eine strengere Handhabung der Vorschriften über den Grenzverkehr angeordnet und die Gensd'armerie angewiesen worden, darüber zu wachen, daß 3. Juden nur an den erlaubten Punkten über die Grenze

gehen.

Pest, 3. Juni, (Wien. Ztg. Im Abgeordne tenhause reichte Eduard Kristinkovics einen Gesetzentwurf über die im Interesse der Beschützung des Inundationsgebietes der Raab— Regulirungsgesellschaft von der Regierung zu treffenden Ver⸗ fügungen ein. Sodann wurden die Berathungen über den Gesetzentwurf, ben Verkauf der ärarischen Ueberlandfelder be⸗ treffend, fortgesetzt.

Schweiz. Bern, 2. Juni. (N. Zürch. Ztg.) Der Bun⸗ desrath hat den Gesetzentwurf über die politischen Rechte der Schweizerbürger nebst Botschaft an die eidgenössischen Räthe durchberathen. Der Entwurf eines Regulativs über Ausübung der Bundeskontrole gegenüber den Emisstonsbanken und die Verrichtungen des zu diesem Zwecke errichteten Kontrol⸗ bureaus wird genehmigt.

Heute versammelte sich hier die Subkommission der vom

Nationalrath zur Untersfuchung der Teffiner Wahlen be— stellten Kommission. m ff h

Belgien. Lüttich, 4. Juni. (W. T. B. In einer heute, stattgehabten Wählerversamm lung hielt der Minister des Auswärtigen Frere-Orban eine längere sehr beifällig aufgenommene Rede, in welcher er zunäͤchst des gehässigen Auftretens der Geistlichkeit gegenüber dem Ge⸗ setze über den Elementarunterricht gedachte! Sodann ging der Minister zu der Frage wegen der Wahlreform über und führte aus: eine solche Reform sei allerdings nothwendig, man müsse aber mit einer Reform der Kommunal- und Provinzial⸗ wahlen beginnen. Was die Revision des Artikels 7 der Ver— fassung angehe, so handele es sich um eine Frage, deren Lösung gegenwärtig ganz unmöglich sei.

Frankreich. Paris, 2. Juni. (Cöln. Stg.). In der heutigen Sitzung des Ausschuffes zur Prüfung der Gesetzentwürfe für Tuneflen“ bemerkte der Conseils-Präsident de Freycinet: das Protektorat und der Bardovertrag müßten als Grundlage der Neugestaltung Tunesiens festgehalten werden; in Betreff der Finanzkom⸗ mission sei Frankreich verpflichtet, die nationalen Verein⸗ barungen zu achten; die Finanzkommission könne nur beseitigt werden, wenn Frankreich die tunesische Schuld von 250 Millionen übernehmen wollte. Der Finanz⸗Minister Say erklärte sich entschieden gegen die Uebernahme der tunesischen Schuld durch Frankreich.

Der Herzog von Broglie wird im Senat eine Interpellation über die Haltung de Freycinets in der egyp⸗ tischen Frage stellen. :

3. Juni. (W. T. B.) Die Lammer der De— putirten beschloß mit 301 gegen 146 Stimmen, als Zeichen der Trauer um den Tod Garsbaldi' s die heutige Sitzung

aufzuheben. Dies geschah trotz der dagegen von der Rechten erhobenen Proteste.

Portugal. Lissabon, 24. Mai. (Pol. Corr) Die Cortes sind neuerdings verlängert worden. Es sst dies schon die dritte Erstreckung der Session. Die Bestimmungen der er e fung schreiben der Legislatursession eine dreimonat— liche Dauer vor, und ein Gesetz vom Jahre 1869 be⸗ schränkt die Diäten der Deputirten auf diefe drei Monate. Dieses 1 jedoch . und durch ein anderes, welches die Diäten auf 555 Francs monatlich sixirt, ersetzt worden. Das Budget für 1832 1883 sowie die Gesetze, betreffend die öffentliche Gewalt, sind von der Wahlkammer worden. Die finanziellen Reformen, mit der einzigen

usnahme der neuen Salzsteuer, haben bereits die Sanktion des Königs erhalten. Die Salzsteuer harrt noch der Geneh— migung Seitens der Pairskammer, ebenso die Indemnitãätsz⸗ vorlage für einige von der Regierung im letzten Jahre ohne = , , Zustimmung getroffene legislative Ver⸗ ügungen. In einem Monat wird der Verkehr auf der Eisenbahnlinie Veira⸗Atta eröffnet werden. Der König und die gönigin werden der Eröffnungs⸗ ceremonie, welche nach Schluß der Kammern statt⸗ * wird, beiwohnen. Der Handel vertrag mit

rankreich ist seit dem 15. d. M. in Kraft; die g atzkon⸗ vention, welche einige Zölle des neuen Vertrages erhöht, kann wegen der Behandlung als meistbegünstigte' Nation, welche nach dem Vertrage von 1866 anderen Landern gewährt wird,

nicht zur Anwendung gelangen. Man wird daher mit diesen Staaten Unterhandlungen einleiten müssen.

Italien. Rom, 3. Juni. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung der Deputirtenkammer theilte der Präsident die Meldung von dem Ableben Garibaldi's mit und hielt demselben einen warmen Nachruf. Die im Anschluß hieran von dem Präsidenten eingebrachten Anträge, betreffend die Suspendirung der Sitzungen der Kammer bis zum 12. Juni, eine zweimonatliche Trauer, die Entsendung einer Deputation nach Caprera zur Theilnahme an der Begräbnißfeier, die Theilnahme in corpore an den Feierlichkeiten in Rom und das Anbringen einer Gedenktafel in dem Sitzungssaale der Kammer, wurden ein⸗ stimmig angenommen. Auf den Antrag des Minister⸗ Präsidenten Depretis wurden ferner im Laufe der Sitzung folgende Gesetzentwürfe angenommen: betreffend die Ver⸗ schiebung der Nationalfeier auf den 18. Juni, die Bestreitung der Begräbnißkosten durch den Staat, die Errichtung eines nationalen Denkmals unter Mitwirkung des Staates und die Bewilligung einer Pension von je 10006 Fres. für die Wittwe und jedes der fünf Kinder Garibaldi's.

Aus allen Städten Italiens gehen Meldungen über Kundgebungen der allgemeinen Trauer über das Ableben Garibaldi's ein, so namentlich aus Parlermo, Genua, Neapel, Mailand, Venedig, Verona, Bologna u. A. Die Verkaufsläden wurden geschlossen, Trauerfahnen aufgehißt und die Theatervorstellungen eingestellt. In Rom, Genua und Neapel blieben die Börsen geschlossen. Allenthalben sind J für die Errichtung eines Denkmals eröffnet worden.

Maddalena, 3. Juni. (W. T. B.) Bei der Leiche Garibaldi's versieht ein Piquet Marinesoldaten mit einem Offizier den Ehrendienst. Man erwartet hier die Zusammen— kunft der Kinder Garibaldi's zur Verbrennung des Leichnams nach den Bestimmungen des Testaments des Verstorbenen. Letzteres ordnet außerdem an, daß die Asche in einer Porphyr— Urne in Caprera verbleibe.

Türkei. Konstantinopel, 3 Juni. (W. T. B) Das „Reutersche Bureau“ meldet: Die Botschafter der Mächte wurden heute auf die Pforte berufen, wo ihnen die erfolgt! Abreise der türkischen Kommissäre nach Egypten mitgetheilt wurde. Dieselben hätten den Auftrag, eine Aussöhnung zwischen Arabi Bey und dem Khedive Tewfik herbeizuführen und die Ruhe im Lande wieder herzustellen. Der Botschafter Lord Dufferin theilte dem Minister des Auswärtigen, Granville, telegraphisch mit, die Dispositionen ö ließen eine Vertagung der Konferenz nützlich er—

einen.

Derwisch Pascha, Lebib Effendi und ein Ulema sind ö auf der Jacht „Azzedin“ nach Alexandrien ab— gereist.

4. Juni. (W. T. * Nach der gestern der Pforte gemachten englisch⸗französischen Verbalmittheikung soll sich die in Aussicht genommene Botschafterkonferenz mit folgenden Punkten beschäftigen: 1) Ergreifung von Maß— regeln zur Aufrechthaltung der Rechte des Sultaͤns und des Khedive; 2) Bestätigung der internationalen Abmachungen und der daraus Frankreich und England resp. Frankreich, England und den übrigen Mächten gegenüber resultirenden Verbindlichkeiten; 3) Entwickelung der egyptischen Institutionen und Achtung der durch Firmans garantirten Freiheiten.

Die „Agence Havas“ meldet: In Beantwortung der englisch-⸗französischen Aufforderung zur Kon= ferenz telegraphirte die Pforte gestern Abend ihren Bot— schaftern in London und Paris, daß sie angesichts der Ent— sendung einer Mission nach Egypten den Zusammentritt einer Konferenz für inopportun halte. In gleichem Sinne wurde auch an die Vertreter der Pforte in Wien, Berlin, St. Peters⸗ burg und Rom telegraphirt.

Serbien. Belgrad, 4. Juni. (W. T. B. Die ge— sammte Majorität der Skupschtina hatte heute eine Audienz beim Könige. Der Verifikationsausschuß hielt heute eine Sitzung ab. Es wurden wenige Vollmachten Seitens der Oppositionellen übergeben.

Rußland und Polen. St. Petersburg, 4. Juni. (W. T. B.) Der Kaiser besuchte gestern, am Sterbetage seiner Mutter, der Kaiserin Maria Alexandrowna, Vormittags die Peter⸗Pauls⸗-Kathedrale und wohnte daselbst der Seelen—⸗ messe bei. Später stattete der Kaifer den Großfürsten im Winterpalais Besuche ab und kehrte sodann nach Pekrhof zurück.

Der „Regierungsanzeiger“ meldet: Die Botschafter Frankreichs und Englands begaben sich gestern zu dem Mini— ster des Auswärtigen von Giers und überreichten demselben eine identische Note, in welcher der Zzusammentrit einer Konferenz in Konstantinopel vorgeschlagen wird, um die egyptische Angelegenheit in Gemãäßheit des im vergangenen Februar von den Großmächten angenom— menen Prinzips zu ordnen. Die Kaiserliche Regierung hat diesem Borschlage zugestimmt.

Das „Journal de St. Peters bourg“ erklärt die Mittheilung des „Romanul“, daß der Vorschlag Barrẽre's in der Do naukommission von allen Mächten angenommen worden sei, in dieser kategorischen Form für unrichtig.

Moskau, 4. Juni. W. T. B.) Der Großfürst Alexis hat gestern die Reise nach Nicolajew, Poti und Batum angetreten.

Afrika. Egypten. (W. T. B.) Der „Times“ wird aus Kairo, vom 3. Juni gemeldet: Eine zahlreiche Deputation von Beduinen-Häuptlingen begab sich heute in das Palais des Khedine und versicherte demfelben ihrer Ergebenheit gegen seine Person. Die Häuptlinge er⸗ klärten: sie würden es mißbilligen, wenn Fremde kämen, um das Land zu besetzen, sie hegten aber freundschaftliche Gefühle Een Diejenigen, welche kommen würden, um lediglich die

rdnung wiederherzustellen.

Die „Agence Havas“ meldet über dieselbe Audienz: Vierzehn hervorragende Beduinen⸗Häuptlinge erschienen vor dem Khedive und versicherten ihm, wenn die Türken kämen, um die Ordnung wiederherzustellen, würden sie ihre Verbündeten sein; kämen sie aber, um das Land zu besetzen, so wären sie deren ent—

schiedenste Feinde. Die Einnahme von Khartum wird dementirt.

Seitungèstimmen.

Unter der Ueberschrist: Das Tabackmonopol und die Konservativen“ schreibt das „BVeutsche Tageblatt“:

Die Konservativen steben jetzt angesichts des Tabackmonopols ver einer gewichtigen Entscheidung. . .. Die liberale Presse, der die libe—⸗ ralen Witzblätter kräftig zur Hülfe gekommen sind, hat einen Popanz daraus gemacht, vor dem die meisten Raucher aberglãubisch zittern... Mit welchen Mitteln dabei gearbeitet wurde, beweist u. A, die systematische Diskreditirung, mit welcher man die 1 der Kaiserlichen Tabackmanufaktur in Straßburg verfolgt.

in solches Verfahren würde innerhalb unserer doch gewiß nicht prüden Handelswelt keinen Augenblick geduldet werden. Dem Staate gegenüber aber hält man alles für erlaubt, selbst was nach gewöhn⸗ licher Anschauung als böswillige Verleumdung eines neidischen Koön— kurrenten gestraft werden müßte. Alngesichts dieser Stimmung ist es erklärlich, wenn auch in kon— servativen Kreisen sich der Gedanke regt, das Tabackmonopol fallen zu lassen, wenn einzelne Blätter der Partei rathen, sie solle wenigstens die Regierung nicht drängen, daran festzuhalten, was, minder zart

ausgedrückt, doch nur bedeuten kann: die konservative Partei foll sich

nicht für das Tabackmonopol engagiren.

Wir sind anderer Ansicht, und gedenken unsererseits keineswegs den Kampf für das Monopol einzustellen. Und zwar aus zweierlei Gründen, Erstlich sind wir überzeugt, daß ein Zurückweichen der konserrativen Partei, oder doch wenigstens derjenigen konfervativen Politikern, die bisher für das Tabackmonopol eingetreten sind, nur als Schwäche ausgelegt werden würde. Wenn das Monopol eine so wenig bedeutsame Maßregel wäre, daß man nach einem ersten parlamentarischen Majoritätsvotum ohn? weiteres darauf verzichten dürfte, so wäre es in der That des vielen Lärmens nicht werth gewesen, und die Urheber dieses Tärmens wären jene muthwilligen Störer des wirthschaftlichen Friedens, für welche sie die „liberale“ Presse ausgeben möchte. Und was sollte man gar von der politischen Einsicht des Fürsten Bismarck denken, der das Tabackmonopol das letzte Ideal seines Lebens nannte? Wir haben denn doch zu dem Genius unseres großen Staats mannes das Zu⸗ trauen, daß er das Wort mit vollem Bedacht gesprochen hat. /

Die Bedeutsamkeit des Tabackmonopoles eben ist denn auch der zweite Grund, der uns zum Ausharren auf der einmal ein genommenen Positign zwingt. Als rein steuerpolitische Maßregel empfiehlt sich das Monopol durch Bequemlichkeit und Mangel eines empfindfamen Druckes, sowie durch ein stetiges Wachsen der Ein— nahmen, zumal in dem vielrauchenden Deutschland. Aber das Mono— pol hat nicht nur eine steuerpolitische, sondern auch eine nationale Seite. Es soll der Reichseinheit ein dauerndes Fundament bereiten. Und dieses Fundament wieder ist die mittels der dem Tabackmonopole entfließenden

tittel durchzuführende soziale Reform. Daß hier eine im eminen— ten Sinne konservative Politik vorliegt, braucht nicht weiter ausein— andergesetzt zu werden; das Programm der konfervativen Partei

für nothwendig hält, denn das deutsche Volk war durch seine ganze Geschichte ein im innersten Kerne konservatives Volk und ist es 'auch noch heute

Die Erkenntniß, daß ohne das Tabackmonopol weder die vor— schwebenden nationalen, noch steuer⸗ und fozialreformatorischen Ziele erreicht werden können, daß alle Maßregeln, die man zum Ersatze vorschlägt, nur Stückwerk und außerdem mit weit größeren UnanQ— nehmlichkeiten verbunden sind, als das Monopol, wird sich fehr bald überall Bahn brechen.

Der „Düsseldorfer Anzeiger“ erhielt folgende Correspondenz aus Berlin vom 2. Juni:

Unter den ständigen Requisiten parlamentarischer Resolutionen figurirt seit dem Beginn der Defizitzeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts die auch in der Resolution Lingens betonte Auf— forderung zur Sparsamkeit. Allein diesen Hinweifen fehlt ebenso regelmäßig die praktische Bedeutung. Denn sie begnügen sich stets mit einer völlig allgemeinen Formel, anftatt diejenigen Punkte zu präzisiren, an denen der Hebel an— gesetzt werden soll. Es ist dies äußerst erklärlich, denn es ist, wie die preußische ,, von 1878/79 beweist, nicht nur äußerst schwierig, objektiv zu ermitteln, wo Ersparnisse ohne Schädigung wichtiger Staatsinteressen möglich sind, sondern es treten dabei als— bald die politischen Parteigesichtspunkte in dem Maße in den Vorder— grund, daß, sobald das Gebiet der allgemeinen Phrafe verlassen wird, von einer Uebereinstimmung der Ansichten nicht mehr die Rede ist. . Vor allem aber lassen die Parlamente selbst es bei den Worten bewenden, in ihren Thaten werden die Rücksichten auf Sparfamkeit dagegen im m vermißt. Denn keine Session einer parlamen— tarischen Körperschaft vergeht, ohne daß aus der Mitte derfelben zahlreiche Anregungen zu Mehrausgaben hervorgehen. Gehalt und Pension der Lehrer, Aufbesserung verschiedener Beamten⸗ klassen, verstärkte Dotation der Kirche, vermehrte F ürsorge für Verkehrsanlagen aller Art, für den gewerblichen Unterricht, für meteorologische Beobachtungen ꝛc. A4, das ist eiwa fo das Bild dessen, was im Laufe einer Session gefordert wird, natür— lich ohne gleichzeitig eine Verbindlichkeit zur Bereitstellung der erfor— derlichen Millionen zu übernehmen. Hand in Hand mit dem Mangel an Zurückhaltung in Bezug auf die Befürwortung populärer Ausgaben geht das Drängen auf Steuererlässe auch dann, wenn die Ueberzeugung von der finanziellen Zulässigkeit der⸗ selben fehlt. . Soll wirklich sparsamer gewirthschaftet werden als bis- her, was in allerdings mäßigen Grenzen uns nicht unmöglich erscheint, so werden vor allen Dingen die parlamentarischen Körperschaften dazu übergehen müssen, bei den Finanzfragen die Popularitätsrück—= sichten bei Seite zu lassen und sich selbst in ftrengere Zucht zu nehmen.

In der „Politischen Wochenschrift“ lesen wir:

Während zur Zeit in Berlin keine einzige liberale Zeitung existirt, welche Verständniß für die sozialen Aufgaben der Gegenwart und die sozialpolitischen Gesetzvorschläge der Regierung zeigt, bringt der „Hannoversche Courier“ einen Artikel, in dem es heißt:

„Inzwischen sind wir glücklich so weit vorwärts gekommen, daß der Reichskanzler in zweien vom Reichstage nicht ungün stig auf⸗ genommenen Gesetzentwürfen über die Krankenversorgung und die Entschädigung bei Unfällen im Arbeitsbetriebe feine Gedanken in Be— treff der Anfänge einer sojialen Reform dargelegt. Wenn wir auch nicht beabsichtigen, dieselben hier einer Kritik zu unterziehen, so dürfen wir doch anerkennen, daß die Zwecke der Vorlagen mit unserer gegenwärtigen Staats⸗ und Gesellschafts ordnung 2 vereinbar und geeignet sind, einem zwingenden Bedürfniß abzuhelfen. Warum sollte ihnen also der Liberalismus grundsätzlich entgegentreten? Er mag offenbare Fehler auszumerzen suchen, der Tendenz kann und wird er zustimmen. Und ge⸗ länge es wirklich, die Keime zu gesunden und dauerhaften Gebilden der Selbstverwaltung behufgz Aufbesserung der Lage der Arbeitenden gesetzlich zu legen, so halten wir es nicht für ausgeschlossen, daß, so— bald die neuen Institute sich einge lebt und ihre Existenzfähigkeit er⸗ wiesen haben, die vorhandene Org anifation langsam und allmählich unter Inanspruchnahme der verpflichteten Industriejweige zur Alters versorgung wenn auch zunächst in bescheidenem Um an sich weiter entwickelt. ger muß freilich diese Eventualität als ein fernes. Ideal erscheinen, dessen Erreichung durch unbesonnene und voreilige legislatorische Experimente nur gefährdet werden könnte. Vergessen wir nie, daß die Arbeit der sozialen Reformen auf einem vulkanischen Boden gethan werden 7 daß jeder Mißgriff einen wilden Ausbruch zerstörender Leidenschaften nach sich ziehen kann! Solchen Gefahren gegenüber sollten kleinliche Jänkereien der alten Parteien füglich verstummen!“

Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau.

Cassel, Montag, 5. Juni, Vormittags. Gegenwãärtig berathen die Aerzte darüber, ob die Ueberführung Sr. König⸗ lichen Hoheit des Prinzen Carl von dem Hoiel nach dem Palais am Friedrichsplatz angängig ist.

Amtsblatt des Reichs ⸗-Postamts. Nr. 37. Inbalt: Verfügungen; Vom 30. Mai 1882. Vertrieb der Wechselstempel⸗ marken. Vom 21. Mai 1882. Behandlung der Packetsendungen mit Begleitscheinen bz. mit Uebergangsscheinen; Zoll -Inhalts— erklärungen zu Postpacketen nach Niederland. Vom 29. Mai 1882. Gröffnung der Eisenbahnstrecke Kailbach— Eberbach (Baden).

——

Reichstags Angelegenheiten.

Dem Reichstage ist folgender Bericht über die Thätig— keit des Reichs kommissars für das Auswanderungs— wesen während des Jahres 1881 vorgelegt worden: Die Auswanderung über die drei deutschen Häfen Bremen, Ham⸗ burg und Stettin hat während des Jahres 1881 in derartig hohem Maße zugenommen, daß die Gesammtzahl der in diesem Jahre über hie genannten Häfen beförderten (deutschen und ausländischen) Passa⸗ giere diejenige der bisher die größte Auswanderunz gufweisenden Jahre 1872, 1873 und 1880 um (in runder Summe) 100000 Köpfe sertrifft. . bert i en im Vergleich mit dem bisher die absolut höchste Ziffer aufweisenden Jahre 1872 ist die Auswanderung von 154 824 auf 247 346 Köpfe insgesammt und insbesondere die Zahl der deutschen reicht angehörigen) Auswanderer von 124534 auf 184369 Köpfe gti! Folge des während der Jahre 1880 und 1881 eingetretenen außergewöhnlich starken Andranges von Auswanderern sind außer den bisher betriebenen, sich mit Auswandererbeförderung befassenden vier direkten deutschen Dampferlinien (nämlich für Nordamerika: dem Norddeutschen Lloyd! in Bremen und der „Hamburg⸗Amerikanischen Hacketfahrt. Aktiengesellschaft .; für Südamerika : der „Hamburg⸗Süd⸗ ämerikanischen Dampfschifffahrts⸗Gesellschaft' und der „Kosmos Linie“ in Hamburg) im verflossenen Jahre zwei neue Dampferlinien für die direkte Passagierbeförderung, nach New⸗-Jork gebildet worden und zwar in Stettin unter der Firma Stettiner Lloyd, vorläufig zur erst mit einem Dampfer (ein zweiter im Bau), und in Hamburg durch die Rhederei von Edw. Carr C Cę., Passagierexpedient Morris K Co, so daß sich jetzt in Hamburg allein vier verschiedene Dampf- schiffslinien mit der direkten Personenbeförderung nach, Nord⸗ und Südamerika beschäftigen. Ferner hahen die bereits seit längerer Zeit hestehenden Dampferlinien ihre Schiffe theils vermehrt, theils öftere Reisen machen lassen, so daß sowohl, von Bremen als auch von Hamburg aus in manchem Monate 17 bis 18 Dampfschiffe mit Passagieren direkt nach transatlantischen Plätzen expedirt worden sind. Hierzu treten dann noch die zahlreichen wöchentlich mehrmals ausge⸗ führten Passagierbeförderungen über englische Zwischenhäfen, welche Beförderungsweise im verflossenen Jahre in verhältnißmäßig noch höherem Grade zugenommen hat, als die direkte Beförderung. Der Grund dieser letzteren Zunahme liegt indeß hauptsächlich, darin, daß für den Andrang der Passagiere direkt gehende Schiffe nicht in aus— reichender Anzahl vorhanden waren, und es hat denn auch im Spät— herbst, mit Abnahme des Andranges der Passagiere, die indirekte Be— förderung in um so größerem Maße wieder abgenommen. Auch von Bremen aus hat im Jahre 1881 entgegen den, früheren Jahren wie⸗ der eine, wenn auch nur noch ganz geringe indirekte Passagierbeförde⸗

ing stattgefunden. . ö. Die K und Dampfschiffslinien scheinen für das Jahr 1882 eine noch gesteigerte Auswanderung über die deutschen Häfen zu erwarten, da einerseits mehrere große Dampfer im Bau begriffen sind, andererseits aber auch bereits für bestimmte Monate mehr Reisen als in den entsprechenden Monaten des vorigen Jahres angesetzt sind; es hat, beispielsweise der Norddeutsche Lloyd in Bremen für den Monat März 20 Reisen gegen 13 im März issl, für den Monat April 19 Reisen gegen 13 im April 1881 ange— kündigt; außerdem sollen, wenn erforderlich, noch Extradampfer erpedirt werden.

Die in früheren Jahren von Hamburg aus erfolgte Auswanderer, beförderung nach Australien mittelst Segelschiffen hat aufgehört; statt dessen hat die Rhederei von R. M. Sloman in Hamburg im ver— gangenen Jahre eine direkte Güter- und Personenbeförderung nach Australien mittelst Dampfschiffen aufgenommen. Auch haben während des verflossenen Jahres Dampfschiffe der englischen „Union-Line von Hamburg aus Passagiere direkt nach dem Kaplande befördert.

Die Auswandererbeförderung mit Segelschiffen, welche bereits seit mehreren Jahren fast ganz aufgehört hat, ist auch im verflossenen Jahre eine kaum nennenswerthe gewesen, indem nur zwei Segelschiffe mit Auswanderern befördert wurden. Das eine ging mit 57 Per⸗ sonen von Hamburg nach Port Adelaide, das andere mit 111 Personen von Geestemünde hach Honolulu. Diese letzteren 111 Personen, be— stehend aus 30 Männern, 22 Frauen und 59 Kindern, waren von einer Bremer Firma für 5 Jahre als Arbeiter für Zuckerplantagen und Waldkultur auf den Sandwichsinseln engagirt worden. Nach den mit ihnen abgeschlossenen Kontrakten erhielten diese Leute freie Ueberfahrt mit Verpflegung, jede erwachsene, männliche Person bei Ankunft in Honelulu 259 baar zur Einrichtung eines Haut⸗ standes, freie Wohnung, jährlich das Jahr zu 306 bis 307 Arbeite tagen gerechnet 500 . Arbeitslohn, und ferner wöchentlich 5 kg Fleisch, 7 kg Mehl und 250 Gramm Thee. Nach Ablauf der Jahre sollten die Kontrakte erloschen und die Leute, welche unter Führung eines Forstmannes und eines Gärtners hinüber gingen, an nichts mehr gebunden sein. - . 6.

Die im Jahre 1881 aus den deutschen Häfen beförderten Aus— wanderer schienen ihrer äußeren Erscheinung nach, fast durchgängig einer bemittelteren Klasse, als die Auswanderer früherer Jahre, anzu⸗ gehören. In der letzten Hälfte des Jahres wanderten außergewöhnlich viele Ungarn und russische Israeliten aus. Für die letztere Kategorie waren die Expedienten kontraktlich verbunden, eigenen Proviant, separate Koch und Eßgeräthe und einen eigenen israelitischen Koch zu halten. . ; .

Von den im vorigen Jahre so zahlreichen Schiffsunfällen sind ch die deutschen Auswandererdampfer nicht ganz verschont geblieben. So brach im Monat Juni dem mit Auswanderern auf der Reise nach NewYork befindlichen Dampfer ‚Vandalia: (der Hamburg- Ameri⸗ lanischen Packetfahrt⸗Aktiengesellschaft gehörig) die Schraubenwelle und konnte das Schiff erst nach längerer Zeit Glasgow erreichen, wo die erforderliche Reparatur vorgenommen und sodann die Reise mit den Passagieren fortgesetzt wurde. . . ö

Einen ähnlichen Unfall erlitt der derselben Gesellschaft gehörende Dampfer ‚Allemannia“. Der Dampfer wurde mit gebrochener Welle von einem englischen Dampfer angetroffen und nach Queenstown geschleppt, die Passagiere jedoch durch den nächsten von Hamburg ab⸗ gegangenen Dampfer in Queenstown aufgenommen und nach New Vork befördert. .

Dem mit Passagieren nach New York bestimmten Dampfer Lessing“ (gleichfalls der Hamburg ⸗Amerikanischen Packetfahrt ˖ Aktien ˖ gesellschaft gehörig) brach unterwegs das Ruder, und war er genöthigt, zur Reparatur nach Plymouth zurückzukehren.

Der ebenfalls mit Passagieren nach Nem - NJork bestimmte Dampfer Cassius «, von der Hamburger Rhederei Edw. Carr & Co. erlitt unterwegs Schaden an Schiff und Maschine und mußte unter 8 nach Falmouth zur Reparatur zurückkehren. Auf Antrag des Passa⸗ giererpedienten wurde ein Beamter der Hamburger Autwanderer⸗ behörde nach Falmouth gesandt, um dort den Zustand des Schiffes nach erfolgter Reparatur zu untersuchen und die Expedition in dem englischen Hafen zu überwachen. ̃

Der mit indirekt von Hamburg über Hull und Liverpgol aus. wandernden Passagieren besetzte englische Dampfer „Sultan“ wurde auf dem Humber von einem anderen Dampfer angelgufen und sank sofort, Die Passagiere wurden bis auf einen gerettet. Bei den übrigen Unfällen war ein Verlust an Menschenleben nicht zu 2 6.

Ueber Veränderungen bezüglich der Einrichtung und Ausrüstung der Auzwandererschiffe für das , Folgendeg zu bemerken.

Die Zwi er, , . waren bisher verpflichtet, sich das erforderliche Bettzeug für die Reise selbst zu beschaffen. Da nun die

von den Passagieren beschafften Strohsäcke und Matratzen oft aus dem schlechtesten Material bestanden, mit nassem, schmutzigem Stroh und Hobelspänen gefüllt waren, überdies, wenn bei der Einschiffung nicht völlig treckenes Wetter war, feucht und naß in die Kojen kamen, was der Gesundheit der Passagiere nachtheilig sein mußte, so hatte der Reichskommissar bereits vor Jahren mehrfach Veranlassung zu Anträgen in der Richtung genommen, daß die Crpedienten verpflichtet werden möchten, die Matratzen für die Zwischendeckspassagiere, eventuell gegen Ersatz der Selbstkosten, zu liefern. Es konnte dann kontrolirt werden, daß nur gesunde Materialien verwendet und die Sachen trocken an Ort und Stelle gebracht würden; auch wäre durch solche Maßregel die Ordnung bei der Einschiffung in den engen Schiff s⸗ räumen weit leichter aufrecht zu erhalten gewesen. Die betreffenden Anträge wurden derzeit jedoch nach Anhörung der verschiedenen Rhedereien, seitens der Behörden abgelehnt und nur der frühere Baltische Lloyd in Stettin ging auf die unentgeltliche Lieferung der Matratzen und Kopfkeile ein, gab dieselbe jedoch, da keine der anderen Linien dem Beispiele folgte, bald wieder auf. In diesem Jahre hat nun der Norddeutsche Lloyd in Bremen in der Angelegenheit in an⸗ erkennenswerther Weise die Initiative ergriffen und liefert für jede Koje einen Strohsack und Kopfkeil unentgeltlich. Da weder das Stroh noch die Säcke ein zweites Mal benutzt werden dürfen, also eine etwaige Krankheitsübertragung ausgeschlossen ist, ist die Ein⸗ führung der Maßregel nur von Vortheil, sowohl für die Passagiere, als für die Rhederei, was sich auch bereits evident herausgestellt hat. Es ist zu hoffen, daß mit der Zeit auch die übrigen deutschen Dampferlinien diesem Beispiele folgen werden.

Da bei der so starken Auswanderung im verflossenen Jahre fast stets sämmtliche Räume im Zwischendeck mit Passagieren voll besetzt waren, das hintere Zwischendeck aber, ein unter der ersten Kajüte liegender sehr langer Raum, nur an seinem vorderen Ende mit Aus⸗ gängen versehen war, so war zu befürchten, daß bei irgend einem Unfalle, der dem Schiffe zustößt, bei der sodann unter den Passa— gieren herrschenden Verwirrung, Unglücke fälle mannigfacher Art nicht zu vermeiden sein würden; es wurde deshalb bei der rep. Behörden beantragt, die Anordnung zu treffen, daß in dem hinteren Theile des Hinterzwischendecks noch ein zweiter Aufgang hergestellt werde, der, da er bei den meisten Schiffen durch die erste Kajüte führen muß, als Nothaufgang im Falle einer Gefahr zu dienen hat. Dem An⸗ trage ist Folge gegeben worden und sind nunmehr bereits auf einem Theil der Schiffe diese Nothaufgänge vorhanden. .

Von Klagen, welche der Reichskommissar, gegen deutsche Aus— wandererschiffe zu erheben hatte, sind als erheblichere Fälle die folgen den zu erwähnen. Der eine Fall betraf, die Neberfüllung eines Dampfers mit Passagieren und führte zur Einleitung der gerichtlichen Untersuchung geben die Angestellten der betreffenden Rhederei. Die Untersuchung, bei welcher es hauptsächlich auf die Auslegung der in Nordamerika geltenden Vorschriften über die nach dem Raumgehalt des Schiffs zulässige Maximalzahl der Passagiere ankam, hat, nachdem in erster Instanz auf eine Geldstrafe von 300 . und im Unvermögens⸗ falle 20tägige Gefängnißstrafe erkannt worden war, in zweiter Instanz mit der Freisprechung der Angeklagten geendet. Ein zweiter Fall be—⸗ traf die Mitnahme von, für Auswandererschiffe verbotener Ladung, indem auf einem mit Auswanderern besetzten Dampfer gesalzene Häute verladen worden waren. In diesem Falle ist der betreff enden Rhederei seitens der Auswandererbehörde eine ernste Verwarnung für die Zukunft ertheilt worden.

Geringfügigere Klagen von Auswanderern gegen Winkelageten im Inlande und gegen Auswanderererxpedienten im Einschiffungshafen, gingen im verflossenen Jahre, theils begründete, theils unbegründete, mehr als in früheren Jahren ein. Dieselben betrafen fast ausschließ⸗ lich Fälle in welchen Auswanderer, die mit deutschen Schiffen direkt nach Amerika gehen wollten, Ueberfahrtsscheine für die indirekte Fahrt über England erhalten hatten. Viele dieser Klagen stellten sich in sofern als nicht begründet heraus. als die betreffenden Leute in Folge von Ueberredung freiwillig auf eine indirekte Beförderung eingegangen waren, was ihnen hinterher wieder leid geworden war. In anderen Fällen hatten sich Expedienten und Agenten so gesichert, daß ihnen eine Gesetzesverletzung nicht nachzuweisen war, und nur in einem Falle konnte ein Winkelagent wegen Vergehens gegen §. 10 des preußischen Gesetzes vom 7. Mai 1853 mit einer Geldstrafe belegt werden.

Die Revision der Auswandererschiffe, der inneren Einrichtung, der Proviantausrüstung, der Auswandererlogirhäuser, der Empfang⸗ nahme und Einschiffung der Auswanderer durch den Reichs kommissar, bat mit derselben Sorgfalt und Genauigkeit, wie in den früheren Jahren stattgefunden, und nahm bei der erheblich größeren Aus— wanderung eine erhöhte Arbeitskraft in Anspruch. Es wurde strenge darauf gehalten, daß die zum Schutze der Auswanderer erlassenen Verordnungen auf das Genaueste befolgt wurden. Die zur Unter— bringung der Passagiere bestimmten Räume sind stets genau ausge⸗ messen und es ist festgestellt worden, wie viel Passagiere in jedem dieser Räume nach den resp. Gesetzen untergebracht werden durften.

Sämmtliche erpedirte Auswandererschiffe sind, soweit es die gleichzeitige Beaufsichtigung der drei deutschen Häfen zuließ, persönlich von dem Reichskommissar, in der Regel im Verein mit den in den einzelnen Hafenorten bestellten Besichtigungsbehörden, revidirt worden.

Ueber den Umfang der Auswandererbewegung über die deutschen Häfen im Jahre 1881 geben die anliegenden zwei statistischen Tabellen 1 und II Auskunft, während Tabelle II eine Uebersicht über die nachweisbare deutsche Auswanderung während des letzten Jahrzehnts gewährt.

Zur Ergänzung ist noch Folgendes zu bemerken.

Es wurden im Jahre 1881 aus deutschen Häfen befördert:

247 346 Personen. Hiervon wurden befördert: ; über Hamburg s 131 Personen, über Bremen JJ ö über Stettin . 1418 . Summa 217345 Personen.

Von den über Hamburg einschließlich der Ausländer beförderten

123 131 Personen wurden: . . 1 174400 Personen, indirekt über England in 790 Schiffen 47612 8 mit Schiffen, die wegen der geringen

Anzahl Passagiere nicht als Aus⸗ wandererschiffe betrachtet werden. 1119 ö Summa 1235 151 Personen. Von den direkt beförderten 74 400 Personen gingen: . in 88 Dampfschiffen nach Newvork. 2 264 Personen, in? Dampfschiffen nach St. Thomas. 55 i in 14 Dampfschiffen nach Brasilien. 1354 ö in 8 Dampfschiffen nach dem La Plata und der Westküste Südamerikas 20 in 7 Dampf⸗ und 1 Segelschiffe nach ü der Kapstadt und Australien. 447 n

Summa. 71 409 Personen in 119 Dampf und 1 Segelschiffe.

Die indirekt über England beförderten 47 612 Personen gingen sämmtlich nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika; die in 18 nicht als Auswandererschiffe betrachteten Schiffen beförderten 1I19 Personen gingen nach verschiedenen Hafenplätzen.

Die über Bremen und Geestemünde beförderfen Personen wur⸗ den befördert: *

in 89 Dampfschiffen nach NewYork, in 45 Dampfschiffen nach Baltimore, ? in 3 Dampfschiffen nach New-Orleans und Galveston, in 11 Dampfschiffen nach Brasilien, in 15 Dampfschiffen nach dem La Plata, ; in 1 Segelschiffe (mit 111 Personen) von Geestemünde nach Honolulu, jusammen also in 154 Dampf und 1 Segelschiffe. ; 2 Die über Stettin beförderten 1143 Personen gingen sammilich

nech New⸗York, es wurden von ihnen

.

30 Personen direkt mit 4 Dampfschiffen und 668 ö. indirekt über Hull und Liverpool mit 39 Dampfschiffen befördert. Summa 1448 Personen.

Von der Gesammtzahl der Auswanderer wurden ca. 20 Prozent auf Freischeine, d. h. Billets, für welche der Fahrpreis von in Ame⸗ rika ansässigen Leuten bezahlt wurde, befördert.

Von transatlantischen Ländern nach deutschen Häfen wurden ca. 20 00 Personen befördert.

Statisti scht eich richten.

Die preußische Strafrechtspflege im Jahre 1881. (Statist. Corr) Aus Veranlassung der für die Statistik der Straf⸗ rechtspflege des Deutschen Reiches zur Geltung gelangten Bestimmun⸗ gen wurde durch die vom 22. Dezember 1850 datirte Verfügung des Justiz⸗Ministers die bis dahin gültige allgemeine Verfügung vom V.,. Oktober 1851, betreffend die Einrichtung der Uebersichten und Tabellen über den Zustand der Justizverwaltung“ aufgehoben. Gleich⸗ zeitig wurden die Staatsanwastschaften, sowie die Amtsgerichte be⸗ auftragt, die rechtskräftig gewordenen Urtheile oder Strafbefehle in die ihnen Seitens des Königlichen Statistischen Bureau s durch Ver— mittelung der Ober Staatsanwälte zugestellten Zählkarten einzutragen. Die solchergestalt ausgefüllten Zählkarten geben die strafbaren . lungen, die ergangenen Urtheile, den Civilstand, das Alter, den Beruf der Bestraften und die erkannten Strafen an.

Das gesammte Kartenmaterial ging dem Königlichen Statistischen Bureau zur Aufbereitung zu, welche Arbeit vor einigen Tagen beendet worden ist und uns ermöglicht, aus der Reihe der wichtigsten Ergebnisse der preußischen Strafrechtspflege⸗-Statistik für 1831 Nach—⸗ stehendes zu veröffentlichen. Mit der Aufnahme wie Aufbereitun der preußischen Kriminalstatistik war die von Änhalt, Lippe, Waldeck, sowie die vom Fürstenthume Birkenfeld und den thüringischen Staaten K die nachfolgenden Uebersichten beschränken fich jedoch auf

reußen.

Die Gesammtzahl der im Jahre 1881 bei den preußischen Gerichten Angeklagten bestand aus 213087 männlichen und 59 799 weiblichen Personen, d. h. 1,83 bezw. O43 ., der Civil— bevölkerung. Von den Angeklagten

Männer Frauen

wd Prozent ,, J Pro nenn,, das Verfahren wurde eingestellt bei. ... 2136 595 Prozent 100 0, 99.

Somit sind von den Angeklagten beider Geschlechter fast gena übereinstimmend S4 G verurtheilt und 15 Jο freigesprochen worden, während bei 1/0 derselben auf Einstellung des Verfahrens er⸗ kannt wurde. .

Außerdem ergingen auf Grund besonderer Urtheile über straf— bare Handlungen, welche neben anderen Verbrechen bezw. Vergehen begangen waren,

Verurtheilungen. bei 15 105 männl. u. 2184 weibl. Pers., Fette, 5335 J ö die Einstellung des Ver⸗ fahrens. d 174 ö 26 Von den 229 337 verurtheilten Angeklagten erhielten Verweise ; 1875 Personen, wurden straffrei erklärt. 583 wurden zu Strafe verurtheilt 226 879 J Der Geburt nach waren unter den zu Strafe Verurtheilten ehelich geboren , ,, 6482 Geburtsverhältniß nicht angegeben. 68769 . zusammen 226 879 dem Familienstande nach dne verheirathet , ,, 9174 nnn, 1045 Familienstand nicht angegeben. 25 480 ö

Der bohe Prozentsatz von Personen unbekannten Familienstandes läßt einen Vergleich mit den bezüglichen Zahlen der letzten Volks— zählungsergebnisse unthunlich erscheinen.

Etwas besser als die obigen lassen sich die auf das Alter der Verurtheilten bezüglichen Zahlen mit denen der zuständigen Klassen der Bevölkerung vergleichen. Von den einzelnen Altersklassen der 1 Civilbevölkerung des preußischen Staates entfielen im

ahre

ö. m 1880 1881

auf die . Personen (nach zu Strafe ver⸗ O0 der Volkszählung) urth. Personen 12 bis 18 Jahren.. 3253 059 193531 065

dazu mit Verweisen. 1875 1 über 13—30 Jahren 5161931 86 955 163

8 60 6 253 808 84 637 1,35

. 1145 623 20 5875 5 55h unbekannten Alters.. 60 303 15 059 Wenn sich die Verurtheilten ohne Altersangabe gleichmäßig auf die Altersklassen vertheilten, so würde der Prozentsatz bei allen um 068 steigen

Das Verhältniß der Verurtheilten zur Gesammtzahl der Ange— hörigen der einzelnen Religionsbekenntnisse weisen die folgenden Ziffern nach.

Es wurden

wurden verurtheilt .

wurden freigesprochen .

1 ).

1)

1880 1881 . gezählt zu Strafe verurtheilt 0

9197551 80 323 0, 88 Eyangelische 17 490 405 136656 674 11 362 481 2379 966 Personen sonstigen Glaubens. 22 259 236 1.06 Personen ohne Angabe oder mit un⸗ best. Angabe des Bekenntnisses 23 249 13 885

Aus diesen Angaben auf die größere oder geringere Moralitãt der den einzelnen Konfessionen oder Religionen Angehörigen zu schließen, würde durchaus verfehlt sein, da von hervorragender Be= deutung für die Entwickelung der Verbrechen der allgemeine Kultur zustand eines Landestbeiles, die Wohlstandsverhältnisse in demselben, die Vollsdichtigkeit und Störungen in den Nahrungsverhältnissen durch Mißernten und anderweitige Nothstände u. s. w. sind. Ver—⸗ theilten sich übrigens die Verurtheilten, deren Konfession nicht ge nügend angegeben ist, gleichmäßig auf die drei Hauptbekenntnisse, so würde deren Prozentsatz analog um O05 größer sein.

Als Strafen wurden erkannt:

Katholiken (einschl. 1353 griech. katholische] ... .

Zahl der Falle nnn, J 1 lebenslãnglich eee, 2 bis mit 5 Jahre bis mit 2 Jahre über 1 Gefängniß . 3 Monat biz mit 1 Jahr bis mit 3 Monat 3 Festungshaft ——— 7 Geldstrafe . Ehrverlust ; dae . 1875. Die vorstebende Uebersicht ergiebt, daß von der Gesammtheit der zeitigen Zuchthaus und Gefängnißstrafen (169 663) auf Zuchthaug⸗

Zuchthaus

strafen nur 3485 ͤo fallen. Von sämmtlichen Zu wee betragen die bis zu 2 Jahren einschließlich 6148 ν,, die von d biz