1880 / 53 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 02 Mar 1880 18:00:01 GMT) scan diff

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

Aichtamtlich es.

Preußen. Berlin, 2. März. Im weiteren Verlaufe der gestrigen (10 Sitzung trat Rer. Reichstag in die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Er⸗ zänzungen ünd Aenderungen des N eichs-Militär=

efetzes vom 2. Mai 184 ein. Die Dehatte wurdg vom taats-Minister von Kameke mit folgenden Worten

eingeleitet: ; .

Meine Herren! Die verbündeten Regierungen sind sich wohl be— wußt, daß mit der Novelle zum Militaͤrgesetz Ihnen eine Vorlage von' schwererer Tragweite unterbreitet worden ist. Derselben sind im Schoße der Bundesregierung auch die ernsteften Erwägungen voran- gegangen. Ein Staat, wie unser Deu lsches Reich, kann es nicht dem Zufall zberlassen, ob er im gegebenen Falle die Stärke besitzt feine Freibest und die Unabhängigkeit seiner Entschließungen zu wahren. Von seinen Staats; männern ist vielmehr absolut zu verlangen, Sorge dafür zu tragen, daß das Gleichgewicht in der Stärke, welches zwischen dem Deutschen Reich und seinen großen Nachbarn besteht, nicht wesentlich alterirt wird. Wenn nach ausgebrochenem Konflikt es sich herausstellen sollte, daß durch Versäumnjsse im Frieden, in den Forderungen der Heeres verwaltung das Deutsche Reich nicht die Machtmittel besäße, seine Würde und seine Interessen vertheidigen zu können, würde Feder die Regier ung und speziell die Militärverwaltung verantwortlich machen, und das mit Recht. Daraus erwächst die Pflicht für die Regierung, mit offenen Augen den Vervollkommungen zu folgen, welche unsere Nachbarn in der Heeresverfassung einführen, die dargus resultirende Stärfe zu schätzen und zu beurtheilen, welchen Einfluß dies auf die militärischen Beziehungen zu uns ausübt. Es kann da bei keines wegs darauf ankommen, daß wir in den Ziffern stets gleich gehen mit unseren Nachbarn, wohl aber darauf, daß wir nicht bis zur Hülflosigkeit, überflügelt werden. Daß diese Beobachtung ge— schieht, brauche ich Sie wohl nicht zu versichern. Ich bin überzeugt, Jedermann hat in dieser Beziehung zu dem leitenden Staatsmann das vollste Vert rauen und weiß auch, daß er von der Militärver⸗ waltung mit aller Treue unterstützt wird. Dies Vertrauen, meine Herren, verbunden mit der festen Ueberzeugung, daß Deutschland nur den Frieden erstreben kann, werden nicht verfehlen, Beruhigung in den Gemüthern und eine Zuversicht auf den Bestand der Verhält- nisse herbeizuführen.

Nach unserer Beobachtung hat sich nun die Anschauung gebildet, daß, seitdem unsere Heeresstärke fixirt worden, durch das Vorgehen unserer Nachbarn dasjenige Gleichgewicht verschoben ist, welches wir durch unser Militärgesetz vom Jahre 1874 angestrebt haben. Es ist eine Ausgleichung dieses Mißverhältnisses erforderlich, und zwar sind es nicht Gründe akuter Natur, die augenblickliche politische Lage und dergl., welche dazu treiben, sondern dauernde Gründe, die Ab⸗ sicht, auf alle Fälle unser deutsches Vaterland den Chancen, die im Schoße der Zukunft ruhen, gewachsen zu erhalten. h

Die Veränderungen der Heereseinrichtungen unserer Nachbarn sind nun keineswegs plötzlich und erst jetzt eingetreten; man könnte also fragen; da so lange gewartet ist, warum jetzt die Veränderung, warum wird nicht noch länger gewartet? Hierauf kann ich die Ant⸗ wort geben, daß die Militärverwaltung allerdings das Bedürfniß der Vervollkommnung bereits seit längerer Zeit erkannt hat, daß sie aber aus Achtung vor dem bestehenden Gesetz nicht damit hervor= getreten ist, weil daz Gesetz hätte geändert werden müssen. Jetzt wo die gesetzliche Regelung ihrem Abliuf entgegengeht, war es Pflicht, vor neuer Feststellung das Bedürfniß zu prüfen.

Ich hoffe, daß Sie mir hier ein Gingehen auf die militärischen Erwägungen, die die Vorlage veranlaßt haben, erlassen werden, sie sind auch in den Motiven nur angedeutet; ich denke, daß, wenn Sie belieben sollten, diese Vorlage in eine Kommission zu verweisen, sich dort Gelegenheit finden wird, Ihnen die Ueberzeugung zu schaffen, daß Ab⸗ und Nachhülfen erforderlich sind, und daß man durch die Maß⸗ nahmen der nachbarlichen Militärverwaltungen gezwungen war, mit der Vorlage vor Sie zu treten.

Wenn Sie dies einmal annehmen wollen, bis Ihnen eben die Ueberzeugung dort gegeben werden kann, so tritt die Frage in den Vordergrund: wird durch die in der Vorlage vorgeschlagenen Mittel dem entftandenen Bedürfnisse in einer Weise abgeholfen, die die Kräfte des Lande am meisten schont? Meine Herren, glauben Sie nicht, daß ein Kriegs ⸗Minister das, was man gewöhnlich Militärlast zu nennen pflegt, nicht zu würdigen versteht. Berufen in der letzten Instanz, in fast allen Entscheidungen mitzuwirken, die die bürger⸗ lichen Verhältnifse der Heeres angehörigen betreffen, sammelt sich für ihn ein statistische; Material, aus welchem er den Einfluß des Heeresdienstes auf die wirthschaftlichen Verhältnisse des Landes wohl beurtheilen lernt und gejwungen, jede Forderung vor Bundesrath und Reichstag zu vertheidigen, ist er auch an eine peinliche Erwägung des finanziellen Effekts seiner Postulate gewöhnt. So sind denn auch in der Vorlage nur solche Vorschläge gemacht, die die geringste persönliche Last für das Volk auferlegen und mög lichst geringe Geldopfer fordern. Was die persönliche Last be⸗ trifft, so ist der Grundsatz befolgt, fie auf möglichst Viele zu ver theilen; die allgemeine Wehrpflicht wird damit mebr zur Wahrheit gemacht., wenigstens der gewachsenen Volkszahl entsprechend, erwei⸗ tert Man haͤtte vielleicht durch Verlängerung der Dienstzeit in der Landwehr auch die Mannschaften zur Kompletiru g unserer gtigee fern gt gn erhalten können, aber dann würden diejenigen Leute, . durch 12jährige Dienstzeit das Ihrige für die Sicherheit des ; aterlandes schon gethan haben, mehr belastet sein zu Gunsten an⸗

erer, die lediglich durch eine hohe Loosnummer von der Pflicht frei . man hat deswegen andere Wege gewählt. Nur für den Theil er . es vermehrung, welcher bestimmtist⸗ augenblicklich in die Kriegsfor⸗ mation einzutreten, ist eine vollständige Absolvirung der Dienstpflicht in uicht genommen. Man gelangt dadurch dahin, daß diese Last j 9 auf 3— 190 000 Mann jährlich mehr ausgedehnt wird. Für die⸗ . Mannschaft n, welche bestimmt sind, die Lücken während eines In andenen Krieges auszufüllen, ist die vollständige Absolvirung der f retzñlicht nicht beabsichtigt, obwohl in unseren Nachbarstaaten wer ien Zweck guch ausgebildete Mannschaften vorhanden sein Gere ; Bei uns befteht bis jetzt die Einrichtung, daß wir in die un ö ataillone Rekruten einstellen, die möglichst schnell ausgebildet . Inn nachgeschickt werden sollen. Die Rapidität der neueren nage . schnell erfolgenden Schläge und die daraus schnell er⸗ and enden Verluste lassen nicht die Zeit, diesen Nachersatz solf . nothdürftig kriegsgemäß auszubisden. Diesem Uebelstande

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im Frieden auflegt, damit sie, wenn sie im Mobil⸗ e, nenn . die e, ne. eingestellt werden, nach einigen werfen f das Nothdürftigste ausgebildet sind, um nachgeschickt zu

Ich muß hi j

di ier gleich dem Gedanken entgegentreten, als ob aus ine e ele gel zu folgern sei, wir brauchten für die Aut bildung Fall. F*tzaten, im Frieden zu viel Zeit. Das ist keinegwegg der den Nachersatz muß man fich damit begnügen, weil ders . nicht anders kann, und, es geht allenfalls, wird an . in. die geschulten Truppen hineingestellt des rn ö. er Anleitung der kriegsgebildeten Kameraden im Wechsel de nan ge , taͤglicher Gefahr schneller eine weitere Aus-

ommt. Der Rahmen aber, in welchen dieser jung ausgehobene

Berlin, Dienstag, den 2 März

Ersatz kommt, muß vollständig firm und ausgebildet sein, onst wird die weitere Ausbildung dieser jungen Mannschaften außerordentlich viel Blut kosten. Die Zahl der jährlich einzustellenden Mannschaften dieser Kategorie würde jäbrlich durch den Etat festzustellen sein. Die Re⸗

gierung hat die Absicht, daß in einiger Zeit die in die Ersatzbataillone bestimmte Quote diese vorläufige Ausbildung empfangen hat. Die Mannschaften, welche zu diesen Uchungen herangezogen werden sollen, sind die, welche, schon jetzt zum ß bestimmt sind als Ersatzreserve J. Klasse. Vie Zahl derselben ist so groß, daß bei der Einberufung zu den jährlichen Uehungen die hürgerlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse derselben volle Berkcksichtigung finden können. Nun ist nach der jetzigen gesetzlichen Lage der Ersatzreserve J. Klasse im Frieden fast von jener militärischen Verpflichtung frei; aber, meine Herren, wenn man annimmt, daß diesen Mannschaften auch die volle militärische Dienstpflicht zugemuthet werden kann, so ist es gewiß keine üibermäßige Belastung, wenn sie zu jener kurzen periodischen Dienstleistung herangezogen werden. Ein Blick in das Gesetz wird die Herren außerdem überzeugen, daß diesen Mannschaften nur die allernothwendigsten Beschränkungen ihrer bürgerlichen Bewegungs⸗ freiheit auferlegt werden sollen.

Eine zweite Maßregel, die daz Gesetz vorschlägt, ist die Ueber führung der Reserve zur Landwehr und der Landwehr zum Land⸗ sturm zum Frühjahrstermin. In den Motiven des Gesetzes finden Sie die Begründung für diese Maßregel. Ich will nur er— wähnen, daß die daraus erwachsende Last nur im Besuch einer Kontrolversammlung mehr besteht. Ich glaube hiernach, Sie werden mir zugeben, daß eine zu große Persönliche Belastung für unser Volk aus der Vorlage nicht zu entnehmen sein dürfte und daß der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht in nicht zu straffer Weise ausgebildet worden ist.

Was nun die Kosten, das Budgetmäßige betrifft, so sind Ihnen die voraussichtlichen Bedürfnisse in den Motiven dargelegt, sowohl das laufende Bedürfniß als auch das einmalige. Die zur Uebung eingezogenen Mannschaften müssen gekleidet, gelöhnt, einquartiert werden, sie müssen Waffen und Ausrüstung erhalten, und das sind die Basen, aus denen die ange— gebenen Ziffern zusammengesetzt sind. Eine Aufstellung von Stäben ist fast gar nicht ins Auge gefaßt, nur die Cadres für die neu zu formirenden Truppentheile sollen aufgestellt werden. Eine Errichtung von Kavallerie oder reitender Artillerie, als der theuren Truppen“ theile ist ebenfalls nicht beabsichtigt. Ich würde also glauben, daß es kaum eine sparsamere Art der Abhüͤlfe des entstandenen Bedürs⸗ nisses geben möchte.

Hlernach, meine Herren, empfehle ich die Volage persönlich aus vollster Ueberzeugung. Ein Arpell an den Patriotismus, weiß ich, ist hier nicht erforderlich, aber erinnern möchte ich Sie an die Verantwortung, die Sie für die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes durch Ihre Voten mit übernehmen. Der Reichstag ist sich bie her dieser Verantwortung stets in vollem Maße bewußt gewesen; dies schließt keineswegs eine gründliche und sachliche Prüfung der Vor—

ihre Vorschläge, dahin ganze, für die erste

zu machen, Einstellung

lage aus, sondern verlangt vielmehr dieselbe. . Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, der Kriegs-Minister habe wenigstens zugegeben, daß akute Ursachen für die Vor⸗ legung diefes Gesetzes nicht anzuführen seien, und daß dauernd wirkende Gründe schon seit langer Zeit für diese Vorlage sprächen. Es freue ihn, daß somit von vornherein alle Ar⸗ gumente bei Seite geschoben seien, welche die augenblickliche politische Situation für die Vorlage ins Gefecht führen wollten. Er würde also von diesem Punkte ganz absegen können, wenn nicht neulich der Abg. von Kardorff die politische Lage im Allgemeinen erwähnt hätte, um den Reichstag zu bewegen, für die Vorlage zu stimmen. Derselbe habe gesagt, das Ein⸗ vernehmen Rußlands und Deutschlands sei nicht mehr so herz⸗ lich wie früher, derselbe habe von der nihilistischen und pan⸗ slavistischen Gährung, welche leicht nach Außen explodiren könne, von den Preßstimmen, welche sagten, Konstantinopel müsse in Berlin erobert werden, und von den fortwährenden Hetzereien in der dortigen Presse gesprochen. Seine (des Red⸗ ners) Partei könne wohl kaum in dem Verdacht großer Sym⸗ pathie zu Rußland stehen, doch habe er niemals den Vater Nicolaus als den Patron des Konservatismus angesehen. Der Reichskanzler habe ihm und seinen Freunden vor zwei Jahren vorgeworfen, nur Dilettantismus in der Politik führe das Haus dahin, an Rußlands Freundschaft zu zweifeln und daran, daß es nur im Interesse der Kultur und Civilisation nur für das Christenthum gegen die Türkei in den Kampf ziehe. Er meine, der Reichskanzler habe zu optimistisch, der Abg. von Kardorff zu pessimistisch geurtheilt. Der Abg, von Kardorff habe gemeint, daß ihm jeder in seiner Ansicht beistehen müsse, er (Redner) bestreite dies, es fehle derselben jede positive Unterlage. Ob eine persönliche Gereiztheit der beiden Kanzler vorliege, die im Widerspruch stehe mit dem Einvernehmen der Souveräne, ob das Verhältniß der Kanzler nur ein Symptom sei für tieferliegende Umistände, man wisse es nicht; denn kein Parlament der Welt erfahre so wenig über auswärtige Po⸗ litik wie der deutsche Reichstag. Aus der offiziösen Presse werde man auch nicht klüger. An einem Tage erscheine in der „Nordd. Allg. Zeitung“ jener Artikel, der ausführe, daß eine Befestigung von Kowng die Basis einer aggressiven Politik m. gegen Deutschland sei, und vierundzwanzig Stunden darauf versichere ein anderer Offiziöser, Rußland sei so wenig aggressiv, wie Deutschland aggressive Politik ge⸗ trieben habe, indem es seit 1873 seine r gen im Osten mit detachirten Forts umgeben habe. Soviel dem deutschen Volke in der letäten Zeit geboten sei, mit Genugthuung hebe er hervor, daß die gesammte unabhängige deutsche er. ihre Enkruͤstung kundgegeben habe über ein so leichtfertiges und gefährliches Spiel mit der Ruhe Europas. Auch die „Kreuz⸗ zeitung meine, es sei darum nicht weniger verwerflich, weil man im Dunkeln tappe über den Urheber und die Verantwortung dafür. So unschuldig werde ja hier Niemand sein 6. meinen, die gereizten Nerven des Redacteurs der Noꝛhdenis en“ machten die Ge⸗ schäftswelt erzittern und es sei nur das Interesse, daran, wie Herr Pindter' über Rußland denke, was Überall hin den Tele. graphen in Bewegung setze⸗ Er verstehe alles dies nicht, weil er Überhaupt über Rußland nur wisse, was in ganz Eurgpa notorisch sei. Die alten Kräfte, welche bisher das russische Reich zusammengehalten, schienen nach den neuesten Ereig⸗ niffen dazu nicht mehr auszuüreichen. Rußland habe zwar im letzten Kriege elne Armee von itz Millionen, Mann aufge⸗ boten, aber dieses Aufgebot habe kaum ausgereicht, die Türkei, den kranken Mann in Europa, niederzuwerfen. J Außerdem wisse man nur, daß die Provinzial⸗Correspondenz“ die Neise

des Kanzlers nach Ẃien im vorigen Herbst als besonderen

Triumph seiner Politik gefeiert habe. Die Entente mit Oesterreich, so heiße es darin, biete Deutschland volle Sicher⸗ heit gegen Panslavismus und Revanchegelüste und neue Bürg—⸗ schast für den Frieden in Europa und die allmähliche Kon⸗ solidirung der durch die letzten Kriege neugeschaffenen Situa⸗ tion. Wäre im Gegensatz hierzu der Abg. von Kardorff so überzeugt von der Spannung der politischen Situation des Augenblicks, dann wäre es für die Presse und für ihn erst recht nicht angezeigt, angesichts des Pulver⸗ fasses irgend ein Feuer anzuzünden; der Minister sage dagegen, die politische Situation sei ganz friedlich, auch die Motivirung der Vorlage habe nicht, den geringsten Zusammenhang mit der augenblicklichen politischen Situation. Er könne nur sagen, daß er auch die allgemeinen Befürchtungen, welche hier vorgetragen seien, nicht billigen könne. Mian sollce es nicht so darstellen, als ob die Unab⸗ hängigkeit, die Existenz Deutschlands in Frage gestellt wäre, wenn das Haus die Vorlage nicht annehme. Damit wäre ja ein schwerer Vorwurf gegen die Verwaltung erhoben, wenn sie unter diesen Umständen mit dem Einbringen des Gesetzes bis zum Ablauf des Septennats gewartet hätte. Mit Recht werde von dem Minister bei allen Parteien dieses Hauses in gleicher Weise Patriotismus vorausgesetzt. Aber wenn es sich um eine Justizvorlage handele, werde auch Niemand befriedigt durch allgemeine Redentarten, daß die Gerechtigkeit unbedingt nothwendig, oder daß die justitia das fundamentum retz- norum sei. Ueber den Zweck der Vorlage seien ja alle Parteien einig; es handele sich nur darum, nachzuweisen, daß in nilitärischer, wirthschaftlicher und finanzieller Beziehung auch die richtigen Mittel gemählt seien. Zunächst solle man es doch nicht zu sehr überschätzen, wenn die Friedenspräsenzstärke von 401 659 noch um 26 006 Mann erhöht werde. Andererseits dagegen sei die Militärlast schon so enorm hoch, und laste schon so schwer auf Deutschland, daß es immerhin auch schon etwas sagen wolle, wenn der Etat um noch 17 Millionen erhöht würde, Es müsse ein Ausgleich gefunden werden zwischen den militärischen, wirthschaftlichen und finanziellen Interessen. Die Nachhaltigkeit der Wehrkraft selbst hänge zuletzd auch von der Schonung der wirthschaftlichen Kräfte ab. Von diesem Standpunkte aus müsse man die Vorlage mit möglichster Ruhe und Sachlichkeit prüsen. Freilich sei es nicht leicht, bei militärischen Vorlagen ein allgemein richtiges Urtheil zu finden, da dieselben nicht nur von aner⸗ kannt tüchtigen Generalen, welche in schweren Kriegen erprobt seien, vertreten würden, sondern auch weil sich der berühmteste Stratege der Welt im Reichstage befinde. Aber eben weil das tüch⸗ tige militärische Element vorwiege, sei es um so gerechtfertigter, die finanzielle und politische Seit ins Auge zu fässen. Durch Annahme des Zolltariss sei im vorigen Jahre die Steuerlast bedeutend vermehrt worden, die in Aussicht gestellten Steuer⸗ erlasse seien nicht erfolgt, ja der Unter- Stagtssekretär Scholz habe es bereits als eine fable convenus hingestellt, daß der Reichs⸗ kanzler überhaupt Steuererlasse versprochen habe. Indessen das Gedächtniß des Vo. kes sei noch zu frisch, und wenn nun die Mehrheit dieses Hauses sich entschließe, wiederum diese Mehrforderung zu bewilligen, ohne daran zu denken, einen Steuererlaß herbeizuführen, dann träte es ein, daß das Volk seine Hoffnungen immer wieder und wieder nicht erfüllt sehen würde, was der Minister von Puttkamer seinerzeit als ein Stoß in das Herz des monarchischen Prinzips bezeichnet habe. Man berufe sich in der Vorlage auf die zentrale Lage in Europa. Aber diese Entdeckung sei nicht neu. Für Preußen in seiner Vereinzelung und für den Norddeutschen Bund allein sei die⸗ selbe noch gefährlicher gewesen. Auch 1874 schilderte Graf von Moltke das Mißtrauen der Nachbarn Deutschlands. Deutschland hätte überall an Achtung, aber nirgends an Liebe gewonnen. Stets habe man auf die Mög—⸗ lichkeit einer Vertheidigung nach zwei Fronten Rücksicht ge⸗ nommen. Große Festungen seien seit 1373 im Westen und Osten verstärkt. Die Flotte sei verdoppelt, die Seeküste be⸗ . worden. Er zweifle, ob der Marine⸗-Minister dieselbe o leicht zugänglich wie die Vorlage darstellen werde. Nicht mehr könne das kleine Dänemark die deutschen Häfen bedrohen, und der Rhein sei gedeckt durch jene fast uneinnehmbar ge⸗ machten elsässischen Festungen. Warum sollten nun gerade die, 34 neuen Bataillone es sein, welche die Vertheidigung des Landes sicher stellten? Wolle man gegnerische Allianzen kombiniren, so sollte man doch auch nicht außer Acht lassen, daß Desterreich Ungarn eine Kriegsarmee von 1100000 Mann mit 7i7 Bataillonen besitze. Aber freilich, die Militärverwaltung Deutschlands verstehe sich nicht bles auf die Kriegstaktik, sondern sei auch in

der parlamentarischen Taktik allen Civilverwaltungen überlegen. Wie Batterien verständen sie ihre Ziffern so geschickt zu gruppiren, daß man, wenn man sich

nicht vorsehe, leicht zu kapituliren gezwungen werden könne. So verschweige sie in der Gegenüberstellung der Ba⸗ taillonsziffer, daß Bataillon und Bataillon in Deutschland, Rußland und Frankreich nicht dasselbe sei, in, Deutschland mindestens 549 Mann zähle, in Frankreich höchstens 3560, in Rußland kaum 400. Man verschweige, daß die Vermehrung der Bataillonszahl in Frankreich nicht eine Vermehrung der Infanterie, sondern eine Verminderung der Compagniezahl bedeute. Die Regimenterzahl sei in Frankreich dieselbe ge⸗ blieben; das Regiment zähle jetzt 18 statt . 21 Compag⸗ nien, welche jetzt in 4 statt früher in drei ataillone einge⸗ theilt würden. Das russische Reßiment habe früher 3 Batail⸗ lone à 5 gehabt und habe jetzt 4 Bataillone à 4 Compagnien. Die „Preußischen Jahrbücher, während sie sonst mit Vor⸗ siebe gegen die deutschen Juden Krieg führten, hrächten einen Krieg⸗in⸗Sicht⸗Artikel, der einen wahren Kriegsfangtis⸗ mus gegen Frankreich, und Rußland athme. Jede Ziffer in diesem Artikel sei falsch. Was solle man zu Hssto⸗ Rkern sagen, die nicht einmal, die Jetztzeit richtig dar⸗ stellten. Ber Artikel behaupte, Frankreich habe seit 1856 die Friedenspräsenz um 1449900 Mann erhöht. Aber schon 1874 habe Graf von Moltke die französische Friedenspräsenz auf 171 000 Mann angegeben, und heute betrage sie 497 000. Deutschland selbst habe sein Effektiv seit 1315 um 35 090 Mann erhöht. Es sei überhaupt falsch, die französische Frie⸗