so schauderhaft zurückgegangen sein, wie dies jetzt der Fall sei⸗ Hätte Fürst Bismarck sich ernsllich an die Spitze einer wahrhaft christlich konservativen Reformbewegung stellen wollen, so würde ihm die Majorität nicht fehlen. Denn die Mehrheit im Volke sei für eine solche, und das Centrum würde ihn darin unterstützen. Aber das sage er auch bestimmt: Eine Regierungspartei sans phrase könne und dürfe die Centrums⸗ fraktion nie und nimmer werden. Zu einer solchen Reform gehöre aber vor Allem die Beendigung des, Kulturkampses und die Aufhebung dieses Gesetzes. Wenn die besten Kräfte ur Lösung der sozialen Aufgaben gelähmt seien, dann 6 an eine solche Reform nicht zu denken. Deshalb, richte er an den Reichskanzler und den Reichstag die Bitte, dieses Ge⸗ setz aufzuheben und dem Antrage des Centrums beizustimmen. Um zu einem ersprießlichen Zusammenwirken zu kommen, dazu gehöre aber vor Allein die. Aufhebung der Maigesetze und zünächst dieses Gesetzes. Die Härte dleses Gesetzes sei eine solche, daß selbst die Sozialdemokraten und ausläandische Vagabunden dagegen noch mit Glaceehandschuhen angefaßt würden. Außerdem hätten die Natignalliberalen durch ihr Votum für das Gesetz eines der wichtigsten Verfassungsrechte preie gegeben. Der Abg. von Bennigsen sei noch immer der roße Staalsmann und Kulturkämpfer, und seit Anfang dieser Ceso saäßen ja die Abgg. von Bennigsen und hr. Falk als stillschweigende Bekenner des Kulturkampfs nebeneinander. Man habe dem großen Fabier nachgerühmt: cunctando restituit rem, Die nationalliberale Partei und ihr Führer schienen dem Grundsatze zu solgen: conçedendo restituit rein. Er habe den Nationalliberalen damals gesagt: Am Kulturkampse wür⸗ den dieselben zu Grunde gehen; die Thatsachen hätten dies, wenigstens etwas, bewahrheitet. Er freue sich, daß heute auch auf liberaler Seite dem Centrum Aussicht auf Beendigung des Kulturkampfes gemacht werde, um so mehr, als er auf der anderen Seite die Energie und Entschlossenheit ver⸗ misse, auf die seine Partei wohl hätte rechnen können. Man sollte keine Gelegenheit versäumen, diesen Kampf zu beseitigen. Die Liberalen sollten sich freuen, wenn der ganze Kulturkampf beseitigt würde, ehe sie an die Regierung kommen würden. Und wenn die Liberalen an die Regierung kommen würden, dann möchte er denselben diesen Rath geben: dann den Kultur⸗ kampf nicht wieder anzufangen und daran zu denken: „Ge⸗ branntes Kind scheue das Feuer.“ Wenn der Abg. von Ben⸗ nigsen noch weiter in dieser Weise Zukunstsmusik mache, könne ihm ja die Erreichung jenes Ziels nicht schwer fallen. Er schließe, indem er das Haus bitte, für den Centrumsantra zu stimmen und damit ein Gesetz zu beseitigen, welches au namentlich nach der politischen Seite hin als durchaus ver— werflich anerkannt werden müsse; man zeige damit den katholischen Mitbürgern, daß man den Schmerz der Katholiken lindern und den Kulturkampf beendigen wolle, aber nicht mit Worten, sondern mit der That.
Der Abg. Hobrecht bemerkte, daß die Gegner des Gesetzes vom Mai 1874 in dem Moment, in dem sie Aussicht auf Erfolg zu haben glaubten, den Versuch machen würden, es aus der Welt zu schaffen, könne Niemanden . Aber die Parteien, mit deren Justimmung es damals zu Stande gekommen sei, hätten die Pflicht, ernst zu prüfen, ob eine Ir fache vorliege, die dazu drängen lönne, die damalige Diskussion über die Nothwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit des Gesetzes zu erneuern. Er sei in die heutige Berathung mit einer gewissen unruhigen Neugier und der Erwartung eingetreten, daß die Antragsteller dem Hause ein Bild des Nothstandes geben würden, welches das Mitgefühl erregen und seine Bedenken
egen die Berathung des Antrages des Centrums in die⸗ em Augenblicke beseitigen würde. Aber er habe nur gehört, daß das Gesetz vom 4. Mai 1874 in der e Zeit vielfach angewendet sei, daß die Anwendung sehr rasch nachgelassen habe und in den letzten Jahren ganz auf⸗— gehört habe; außerdem eine Reihe von Scherzen und Witzen, u. A. auch über die Partei, der er anzugehören die Ehre habe, als eine reduzirte und eine solche, welche Aussicht habe, an die Regierung zu kommen; dazu noch andere Scherze, welche umgekehrt gerade den Eindruck machten, daß vie Stimmung des Unterdrücken, der sich in der Lage schwieriger Vertheidigung befinde, bei den Antragstellern nicht vorhanden sei. Mithin würde die Aufhebung des Gesetzes direkt von sehr geringer Wirkung sein, desto bedeutender in prinzipieller Veziehung. Im Jahre 1874 habe der Abg. Windthorst als schiwerwiegendsien Grund gegen das Gesetz ausge⸗ führt, daß das Reich kein Necht habe, das Verhältniß der einzelnen staatlichen Regierungen zur Kirche vor sein Forum zu ziehen. Derfelbe habe damals an das Interesse Bayerns und der anderen Staaten appellirt, die ihnen von der Reichsversassung gelassene Selbständigkeit gerade auf biesem Punkt zu vertheidigen; es sei ganz unmöglich dem Gesetz zuzustimmen, wenn man nicht die Maigesetze, bie ganze lirchenpolitische Gesetzgebung Preußens auch Seltens des Reichs⸗ tags prüfe und sie seien dem Reichstage nicht einmal zur Genehmigung vorgelegt; die Vorlage sei ein Versuch, den Einzelstaaten von Preußen aus das Kirchenrecht zu diktiren. Er wolle die Bedeutung dieser Einwendungen jetzt nicht unter⸗ suchen. Thatsache sei, daß die preußische Regierung die Mai⸗ gesetze dem Neichttage nicht vorgelegt habe, daß fie ihren An⸗ trag auf eine Neihe besonderer Fälle des Widerstandes gestützt habe, in denen sie, wie auch heut noch, nicht ohne Grund ausgefürt habe, daß die von ihr empfohlenen Zwangsmaßregeln nicht nur die wirksameren, sondern auch die milderen seien. Thatsache sei auch, daß damals eine große Zahl derer, die dem Gesetze zu⸗ gestimmt hätten, sich dagegen verwahrt hätten, als wollten sie damit die preußischen kirchenpolitischen Gesetze ohne Weiteres in Bausch und Bogen genehmigen. Wenn man aber jetzt ohne den Antrieb besonderer . Uebelstände als Ausflüsse des Gesetzes dasselbe aufheben solle, dann setze ein solcher Heschluß voraus, daß demselben eine Prüfung der preußischen kirchenpolitischen Gesetze zu Grunde gelegt werden müßte, und derselbe würde eine prinzipielle Verurtheilung der ganzen bisherigen preußischen Kirchenpolitik enthalten. Diese prinzipielle Bedeutung der Annahme des Antrags Windthorst würde noch durch die augenblicklichen Verhältnisse geschärsft. Die preußische Regierung sei schon seit Jahren und besonders jetzt bemüht, die Schärfe des Konflikts zu mildern, sie stehe in Unterhandlungen, um Mittel und Wege zur Herbeiführung eines friedlicheren Verhältnisses zwischen Kirche und Staat zu finden. In wenigen Tagen werde der preußische Landtag . dessen eine Hauptaufgabe die Berathung und Be⸗ . . kirchenpolitischen Fragen sein werde. . , d., r. aus das Gesetz vom . 1874 ange⸗ nere CGefeg n Te, fe hoben werde, so griffe man in die ein, wie cs ich iir preußischen Staates in einem Maße geschehen, und gerade der Abg. Windt⸗=
orst habe damals im Gegensatz zur heutigen Behauptung des
. 4. Schorlemer-Alst mit vollem Necht ausgeführt, daß das Gesetz vom Jahre 1874 sich gar nicht trennen lasse von der gesammten kirchenpolitischen Gesetzgebung. Möge die Stellung der Regierung in dieser Frage sein, welche sie wolle — er hätte gewünscht, sie hätte eine Erklärung in dieser Be⸗ ziehung abgegeben — er würde es in keinem Falle für richtig halten, unmittelbar vor Beginn des preußischen Landtages in eine Diskussion dieser Frage einzutreten. Seiner politischen Anschauung liege es fern, dem Versuch einer Ausdehnung der Kompetenz des Reiches in irgend einer Weise mit Mißtrauen zu folgen, aber es gebe ein Gebiet, auf welchem man die innere Gesetzgebung des Einzelstaates intakt lassen solle, so sei es das des Kultus, und dazu habe man im vorliegenden Falle bei der Lage der preußischen Gesetzgebung doppelte Veranlassung. Er und seine politischen Freunde würden daher gegen den Antrag Windthorst stimmen.
Der Abg. Dr. von Jazdzewski erklärte, er habe nach den Ausführungen des Abg. Windthorst geglaubt, daß sich alle Parteien fuͤr die Beseitigung des Gesetzes einigen müßten, aber die Ausführungen des Vorredners hätten das Gegentheil bewiesen. Der Krien, der durch dieses Gesetz inscenirt sei, solle zum Frieden führen. Dieser Friede sei aber der eines uche, denn die gesammte Christlichkeit wäre hei größter Schärfe der Anwendung des Gesetzes demselben anheimgefallen. Das Gesetz vom 4. Mai 1874 sei in der Provinz Poösen in achtundachtzig Fällen zur Anwendung gekommen, und zwar
in zwei Fällen die Internirung. Die Ausweisung aus Deutschland sei allerdings nicht vorgekommen. In erster Linie sei das Opfer dieses Gesetzes der Erzbischof Ledochowski, gewesen. Sein ganzes Ver⸗
brechen habe darin bestanden, daß derselbe die Anzeigepflicht, wie sie die Maigesetze vorgeschrieben, nicht erfüllt habe. Da⸗ für sei derselbe auf zwei Fßahre im Gefängniß zu Ostrowo eingeschlossen und nachher aus Posen ausgewiesen worden. Weitere Spfer des Gesetzes seien die Weihbischöfe von Posen und Gnesen gewesen, weil sie am Gründonnerstage die heili⸗ gen Oele geweiht hätten. Eine solche Ausführung des Ge⸗ setzes sei die härteste, die man sich überhaupt denken könne. Darüber habe ein Gericht, das aus Protestanten und vielleicht aus Juden bestehe, doch nicht he befinden, was ein Kirchen fürst in seiner Amtssphäre zu thun oder zu lassen habe. Sodann seien verschiedene Kuratgeistliche bestraft, weil sie angeblich unrecht⸗ mäßige Amtshandlungen sich zu Schulden hätten kommen lassen. Weil nun die katholische Geistlichkeit in die Möglich⸗ keit versetzt werden könne, daß das Gesetz mit derselben Schärfe wie früher wieder gehandhabt werden könne, sei es in der Ordnung, daß das Centrum den Wunsch nach dessen Aufhebung ausspreche. Das Gesetz sei in der Praxis obsolet geworden; was liege den Parteien daran, es noch weiter zu konserviren? Als das Gesetz vom 14. Juli 1880 in das Abgeordnetenhaus eingebracht sei, habe die konservative Parkei der Regierung einstimmig die Fakultäten geben wollen. Hier liege auch ein Ge⸗ setz vor, das der Regierung eine diskretionäre Gewalt in die Hand gebe, aber eine Gewalt, um die katholische Kirche zu vernichten. Die konservative Partei werde wohl der Regie⸗ rung kaum zumuthen, das Gesetz noch weiter anzuwenden, deshalb verstehe er nicht, warum die Konservativen nicht den Standpunkt der Antragsteller theilten.
Der Abg. Dr. Virchow erklärte, die große Mehrzahl seiner politischen Freunde sei entschlossen, mit dem Centrum für die Aufhebung dieses Gesetzes zu stimmen, und es werde ihn sehr freuen, wenn dieser Gegenstand des Streites zwischen den Parteien begraben sein sollte. Ihm persönlich werde dieser Standpunkt nicht schwer, er habe sich 1874, als er noch nicht
Mitglied dieses Hauses gewesen sei, öffentlich gegen die Exilirung von Deutschen ausgesprochen. Schwieriger sei natürlich die Sachlage für seine, Freunde gewesen,
namentlich für diejenigen, welche mit für dieses Gesetz votirt hätten. Auch der Abg. von Saucken habe für dasselbe als für ein Kampfgesetz gestimmt, aber ausdrücklich bemerkt, er halte es für ein provisorisches Gesetz, d. h. es werde die Nothwendigkeit der Anwendung fallen. Diese Vor— aussetzung habe sich ja auch wesentlich bestätigt; denn was die Herren angeführt hätten, seien Reminiscenzen aus den alten Zeiten des Kulturkampfes. Wenn man aber jetzt, wo die Re⸗ gierung den Frieden mit der Kirche herstellen wolle, ein Gesetz aufrecht erhalten wolle, welches als Kampfgesetz und als weiter nichts gegeben worden sei, so würde man vielleicht mehr an⸗ streben, als die Regierung überhaupt zu thun beabsichtige, man würde der Regierung gewissernmaßen eine Waffe an bie Wand hängen, damit sie von Zeit zu Zeit sehen, könne, ob sie nicht rostig und schartig geworden sei. Sonder⸗ bar sei es nun, daß in dieser wichtigen Sache keiner der hier anwesenden leitenden Staatsmänner irgend ein Wort verliere, um den Reichstag über die Auf⸗ fassung der Regierung zu verständigen. Der Reichskanzler habe das Haus allerdings schon daran gewöhnt, daß derartige einseitige Unterhaltungen auch als parlamentarische Aufgaben betrachtet würden, aber dann habe man den Reichstag doch wenigstens allein gelassen, heute habe man die sonderbare Er⸗ scheinung, daß in Anwesenheit der Vertreter der Negierung diese wichtige Materie behandelt werde, ohne daß auch nur der leiseste Ansatz gemacht werde, belehrend einzuwirken. Wer sei nun in dieser Kirchenangelegenheit die entscheidende Autorität? Von allen Seiten, auch von den Konservativen, werde die Beendigung des Kulturkampfes gefordert. Wer . ihn denn gemacht, die Liberalen doch nicht, sondern die legierung. Jetzt thue man so, als wenn nur die zwei Männer, welche nebeneinander auf den vordersten Sitzen der linken Seite sich befänden (die Abgg. Br. Falk und von Bennigsen), die Schuld trügen. Es sei höchst sonderbar, daß man nicht einnigl eins Ahnung habe; was denke nun wohl eigentlich der hohe Staatsmann, der die Geschicke des Reiches leite, über diese Angelegenheit? Kein Mensch wisse etwas davon. Habe auch der Reichskanzler bisher Über . Angelegenheit Stillschweigen beobachtet, so fei es doch lehrreich, von der rechten Seite erklären zu hören, daß es mit der Ertheilung diskretionärer Gewalten doch nichts fei. Ja, wenn der Reichs kanzler die ganze Gewalt, die ganze Macht in seine Hand allein gelegt sehen wolle, dann brauche derselbe eben keine Volksvertretung! Als dies Gesetz vom 4. Mai 1874 dem Neichstage zur Berathung vorgelegt sei, sei er (Redner) es gewesen, der vor der Annahme gewarnt, und es offen aus—⸗ gesprochen habe, wie dieser Weg nicht zum Ziel führen könne. Man habe seinen Auseinandersetzungen kein Gehör gegeben und geglaubt, die Regierung unterstützen zu müssen, weil man die ihr durch die Maigesetzgebung eingeräumte Gewalt nicht für ausreichend gehalten habe. Vie Folgen dieser Auffassung
schienen sich jetzt bitter rächen zu sollen. Nachdem die Ne= gierung aber zu früh umgekehrt sei, könne seiner Partei an diskretionären Gewalten erst recht nichts liegen. Die Auf⸗ hebung des Gesetzes von 1874 sei seiner Parkei aber um so unbedenklicher, als schon das Gesetz vom 14. Juli 1880 die Internirungsbestimmung völlig hinfällig gemacht habe. Eine gewisse Reserve müsse er aber bei seinem Votum aussprechen: die Haltung seiner Partei zu diesem Gesetze solle die Haltung derselben gegenüber der etwaigen Revision der übrigen Maigesetze nicht präsudiziren. Bei keinem einzigen der Nö,, würde eine analoge Operation statthaft sein; keins könne so wie das Grhatriirungsgeset einfach preisgegeben werden. Aber die polizeiliche Seite des Kulturkanipfes zu verewigen, könne seine 6 nicht beabsichtigen; allmählich sei ja aus dem, was man unter Kulturkampf verstanden habe, unter den Händen der Polizei⸗Organe etwas geworden, für das man stch auszusprechen fast Bedenken tragen müsse. Den Kainpf aber gegen die organisirte katholische Kirche werde aber weder Fürst Bismarck noch ein anderer Kanzler beseitigen, auch wenn er noch so viel Konzessionen mache. Darum vertrete er wie immer den Grundsatz, daß der Staat durch seine Gesetz- seinen Bürgern Frieden schaffen müsfe. So viel über die negative Seite des Kulturkampfs. Positiv habe er stets für eine Gesetzgebung plädirt, welche jeder Reli= gionsgesellschast ihre Grenzen ziehe, Gegen den Abg. Hobrecht müsse er hervorheben, daß die Aufhebung dieses Gesetzes auch für seine Partei nicht ein prinzipielles Verlassen der Gesetz⸗ gebung des selbständigen Staats bedeute, sondern nur eine Beseitigung von Auswüchsen, die die Praxis aus dem Gesetze von 1874 herbeigeführt habe. Seine Partei habe damals gerade geglaubt, die Internirung sei das kleinere Uebel gegen⸗ über dem Gefängniß, Allerdings wisse, man ja gar nicht, wie schnell der Reichskanzler hier eine Konversion seiner Anschauungen erleben könne. Der Reichskanzler habe erst meulich zum all— gemeinen Erstaunen erklärt, daß er von einer Sesson zur andern eine Konversion seiner Ansichten durchgemacht habe, wenn sich, das nun fortsetze auf alle Gebiete, da komme der Reichstag in die allerschwierigste Lage. Darnach lasse sich keine Politik machen, sondern das seien Einfälle, welche auf unvollstän⸗ digen Vorstudien beruhten, und welche eben aus unvollkommener Kenntniß der Sache hervorgingen. Diesem gegenüber müsse seine Partei ihre bessere Sachkenntniß entgegenstellen und müsse mit dieser besseren Sachkenntniß und mit der sicheren Ueberzeugung diesem ewigen Wechsel und Schaukeln in der deutschen Politik endlich ein Ende machen. Dazu gehöre, daß man solche Dinge wegwerfe, die blos Kampfmittel gewesen seien. Mache man eine ehrliche, regelrechte Gesetzgebung, die zu aller Zeit anwendbar sei, dann glaube er, werde das Deutsche Reich bestehen und groß und stark werden.
Hierauf, ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister von Boetticher das Wort:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat im Cingange seine⸗ Vortrags eine Provokation an den Bundesrathstisch gerichtet, er möge aus der Reserve heraustreten, die er sich bisher bei der Debatte auferlegt hat. Wenn ich auf eine frühere Anregung, es möge die Stellung der Regierung zu dem vorliegenden Antrage von hier aus kundgegehen werden, nicht geantwortet habe, so habe ich geglaubt, daß die Praxis, wie sie bisher in den Verhandlungen zwischen dem . und dem Reichstage beobachtet worden ist, nicht unbekannt ein würde.
Meine Herren, ich bin gar nicht in der Lage, aus der Reserbe, die wir, uns auferlegt haben, heraguszutreten, denn, zee Reserve ist für uns eine zwingende. Es handelt . um die Auf⸗ . eines Gesetzes; die Anregung dazu ist von einem Theile dieses
ohen ö gegeben, und erst, wenn sich das Haus über den vot⸗ liegenden Antrag schlüssig gemacht haben wird, und wenn dieser Be= schluß ein dem Antrage zustimmender gewesen sein wird, werden die verbündeten Regierungen in die Lage kommen, ihrerseits sich die
Frage vorzulegen, ob, auch sie, zu der Aufhebung. des Ge⸗ setztß vom 4. Mai 1874 ihre Zustimmung geben sollen. Ja, meine Herren, Sie mögen dies belächeln oder nicht, denn es ist dies die Stellung, die verfassungsmäßig gegeben ist. Ich bin gar nicht in der Lage, Ihnen heute zu sagen, was die Königlich bayerische Regierung, die Großherzoglich hessische Regierung, die hamburgische Regierung, ja ich bin nicht einmal in der Lage, Ihnen zu sagen, waz die Königlich preußische Regierung darüber denkt, denn alle diese Regierungen werden erst in die Lage kommen, fi mit der Materie zu beschäftigen, wenn dieses hohe Haus darüber beschlossen haben wird.
Ich könnte mit dieser Erlaͤuterung unserer Haltung schließen und könnte nur noch dem Herrn Abg. Virchow, der seinerseits wohl
schon an diese Auffassung gedacht hat und deshalb gesagt hat, „wenn
diese Auffgssung etwa für die Haltung des Bundegrathstisches die entscheidende gewesen sein sollte, so begreife er nicht, weshalb die Herren überhaupt hier erscheinen; wenn sie erscheinen, so könne man erwirken, dat sie — wie er sich ausdrückte — belehrend auf. das Haus einwirken“ — die Erklärung geben, daß wir hier erschienen . gerade um Belehrung zu suchen für unsere künftige Beschluß⸗ nahme.
Der Herr Abg, Virchow hat aber im weiteren Verlauf seiner Rede, — und das . sich nicht bloz auf den vorliegenden Gegen⸗ stand, sondern ist allgemeiner Natur — von der kirchenpolitischen ber . und den Plänen, die etwa der Herr Reichskanzler auf diesem Gebiete verfolgen könnte, gesprochen. Er hat gesagt, „wenn der Herr Reichtkanzler Vollmachten haben will, daß er thun und lassen kann, was er will, so braucht er kein Parlament. Ich erwidere ihm darauf, daß die Regierung — in diesem Falle wird es wahr, scheinlich die preußische Staatzregierung fein, da ja hier von den verbündeten Regierungen Vollmachten auf kirchenpolitischem Gebiete nicht begehrt werden — Vollmachten erbittet, so geschieht das nicht um einer Erweiterung ihrer Macht willen, sondern es geschieht um des Friedens zwischen Kirche und Staat willen, und gefschieht um des Wohles des Vaterlandes willen.
Wenn ferner der Hr. Abg. Virchow gemeint hat, . man nicht mehr wisse, wie man daran ei; denn der Herr Reichskanzler habe neulich auf sozialpolitischem Gebiete neue Ideen ausgesprochen, die den früher von ihm vertretenen schnurstracks entgegenstehen, so möchte ich erwidern, daß der Widerspruch so schroff doch nicht war, und daß es sich dabei um ein Gebiet handelt, auf welchem wir Alle fortgesetzt lernen können und müssen. Ich behaupte dreist, wer da meint, er sei auf diesem Gebiet fertig, daß der n och garnicht ange⸗ fangen hat, zu lernen. Und, meine Herren, wie ist es denn mit den wirthschaftlichen Gesetzen? Hat nicht die Fortschrittspartei im vorigen Jahre sich darauf gesteift, einfach die Ausdehnung des Haftpflicht. gesetzes zu verlangen und jetzt schließt sie sich einem Antrage an, der
den Versicherungszwang annimmt und den Jielen der Regierung, die
sie im vorigen Jahre Verfolgt hat, wesentlich näherkommt.
Meine Herren! Sie werden lernen und wir werden lernen,
und ich bitte Sie dringend, lassen Sie die Vorwürfe darüber, da wir klüger geworden sind, dann werden wir Ihnen auch gönnen, da Sie . . ; . ießlich habe ich noch ein Wort zu sagen. Mit der Wendung in, den Anschauungen des Herrn Reichskanzkers hat der Hr. Abg. Virchow auch den Namen Sr. Majestät des Kaisers verknüpft. Nun meine 6 wenn Se. Majestät der Kaiser in diesem Jahre zu er Ueberzeugung gekommen ist, daß es noch besser für bas Wohl des Landes und dez Volkes sei, ein System zu adoptiren, an welches man im vorigen Jahre nicht gedacht hat, so ist dies etwaz, was mit Chr= furcht und Bank aufgenommen werden muß.
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