1898 / 58 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 08 Mar 1898 18:00:01 GMT) scan diff

in solchen großen Städten

würde dadurch für diese Orte das Postregal in Wegfall kommen. Würde ich meine Stelle wohl richtig ausfüllen, wenn ich nicht rechtzeitig dagegen Vorsorge erhöbe, wenn ich Sie nicht hinwiese auf die Summe von Ausfällen, die der Reichspostverwaltung bevorstehen? Ich glaube, es ist von niemandem das Monopol für die Beförderung des Briefes von Oct zu Ort bis jetzt irgendwie angezweifelt, aber die Beförderung von einer Postanstalt, die in der Gegend des Kurfürstendamms liegt, bis zu einer Postanstalt, die am Ostbahnhof liegt, das gleicht genau dem Verkehr von Ort zu Ort. Damals 1871 hat man geglaubt, man brauche nicht so weit zu gehen; die Erfahrung lehrt aber, es geht nicht so weiter. Heute ist es, wie ich schon sagte, noch Zeit; seit 1893 bestehen erst 60 von diesen An⸗ stallen, die älteste existiert seit 1885. Es handelt sich also nur um eine kurze Spanne Zelt, und je eher wir zugreifen, um so günstiger.

Meine Herren, ich will nicht etwa so motivieren: weil in den anderen Staaten die Privatbeförderungsanstalten durch Gesetz verboten sind, will die deutsche Postverwaltung das Monopol ihrerseits er⸗ weitern ich kann nur konstatieren, daß in allen Staaten von der Schweiz bis England das Ortsbrlefmonopol besteht, und daß sich dadurch keine Unzuträglichkeiten ergeben haben, sondern daß im Gegen⸗ theil die Post sich in jenen Ländern ebenso entwickelt hat, wie in Deutschland. Und darum sind die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen nicht ein Hinderniß für den Verkehr, wie man es heute beliebt darzustellen. Man sagt, durch die Konkurrenz mit den Privatanstalten würde die Post zu allen möglichen Tarifermäßigungen gezwungen. Nein, umgekehrt liegen die Verhältnisse. Volkswirthschaftlich ist es doch ein Unding, zwelfellos eine Verschwendung von Zeitaufwand und Arbeitskraft, die durch das Nebeneinanderbestehen zweier dem Verkehr dienenden Institute entsteht.

Gerade von der linken Seite des Hauses wird bei vielen Ge⸗ legenheiten hervorgehoben: gleiches Recht, keine Bevorzugung! Nun, die Herren zum theil, die immer diese Schlagwörter uns entgegen⸗ halten, die sagen jetzt, die großen Städte sollen ein Sonderrecht, eine Bevorzugung haben, wir wünschen dieses gleiche Recht nicht. (Zuruf links.) Gewiß, meine Herren, denken Sie nur geneigtest daran, welche Bedeutung die Reichspostverwaltung hat, denken Sie daran, daß die Privatbeförderungsanstalten in den 78 Städten einer Bevölkerungs⸗ ziffer von 86 Millionen dienen, während in dem ganzen Reichspost⸗˖ geblet mit eiwa 441 Millionen Einwohnern die Beförderung durch die Reichspostverwaltung besorgt werden soll. Ich glaube gerade, wer auf dem Standpunkt des gleichen Rechts steht, daß nämlich jeder einzelne in Deutschland nach denselben Bedingungen und unter denselben Verhältnissen seine Postsachen erhalten soll, der muß unbedingt für die Ausgestaltung des Monopols, für seine Ausdehnung auf die Beförderung des geschlossenen Briefes in den großen Orten sein. Es ist ganz klar, daß die Reichspostverwaltung nur dann im stande ist, die beabsichtigten Gebührenermäßigungen durchzuführen, wenn ihr nicht durch die Privatpostanstalten in steigendem Maße die Einnahmen aus dem Orteverkehr in solchen Städten entzogen werden, in denen die Besorgung allein lohnend ist. Bei den Etatsberathungen wurde schon gestreift, daß naturgemäß bei allen Privatbeförderungs⸗ anstalten allein der Erwerb das Maßgebende ist, und daß es ein Irrthum ist, wenn man immer behauptet, daß damit dem allgemeinen Verkehr gedient wird. Ein schlagendes Beispiel habe ich hier zur Hand; es betrifft die Stadt Köln. Es sind vielleicht Vertreter der Stadt Köln hier, die die Sache be⸗ stätigen können. Es sind mit Köln eine Menge von Vororten jnkommunalisiert. Aber glauben Sie nur nicht, daß die Privat⸗ beförderungganstalten auch auf diese Vororte ihre Thätigkeit ausdehnen; nein, sie bleiben in ihrem Rayon, wo es ihnen Geld einbringt, und überlassen die Sachen für solche Vororte der Reichspostverwaltung. Ich möchte nur darauf hinweisen: der Wettbewerb dieser Privat⸗ anstalten zwingt also die Post nicht zu Tarifermäßigungen, sondern er verhindert diese, schädigt also die Gesammtheit zu Gunsten einiger Unternehmer und eines beschränkten Korrespondentenkreises.

Nun frage ich aber, sind die Verkehrteinrichtungen unserer Reichs post nicht ausreichend, sodaß wir auf Privatanstalten zurückgreifen müssen? Ich kann mich da auf die jahrelangen Erfahrungen in diesem Hause stützen. Budgetkommission und Plenum sind immer bereit ge⸗ wesen, Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Postverkehreinrich˖ tungen in Deutschland auf das Beste auszugestalten; und wir haben ich glaube, das ist unbestritten— heute noch einen weiten Vor⸗ sprung vor vielen anderen Ländern. Sollten unsere mit den Mitteln des Reicht geschaffenen Verkehrteinrichtungen nicht ausreichen, ja dann wäre es meine Pflicht, vor den Reichstag zu treten und zu sagen: Die Mittel reichen nicht aus, ich muß dies und jenes noch ausgestalten. Aber, daß das Reich eiwa zu Privatanstalten Zuflucht nehmen sollte, das anzuerkennen, werden Sie mir nicht zumuthen und das wollen Sie auch garnicht. Ich bleibe bei der Behauptung: unsere Postperkehrseinrichtungen sind vorzüglich, und wir brauchen die Unterstützung von Privatanstalten nicht.

z liegt zur Cin icht der Herren eine Liste aus über die Art der Bestellung der Privatbeförderungeanstalten. Diese zeigt, daß diese in keiner Stadt die Briefe so oft bestellen oder ihre Brlefkästen so oft leeren wie die Reichtpost. Von den 78 Privatanstalten wird nur in 8 größeren Städten eine fünfmalige Bestellung ausgeführt, welche bis auf eine

ijweimalige sinkt in manchen Städten. Betrachten Sie demgegenüber die sorgsame und schnelle Beförderung der Post! Fordern Sie z. B. mal die Packetfahrt in Berlin auf, ihre Briefe während der Fahrt zu sortieren, wie es bei der Reichepost geschicht. Mir wurde einmal entgegengehalten, die Rechtsanwalte in Berlin benutzten vorwiegend die Packetfahrt. Ich habe eine große Bekanntschaft unter diesen Herren, habe hier den einen, dort den anderen gefragt; man hat mir geantwortet: Ja, unser kleines Zeuge geben wir wohl dahin, sobald es sich aber um wichtige Sachen handelt, setzen wir R. P. auf die Briefe das heißt „RNeichspostverwaltung“. Dies ist sehr be— zeichnend bei diesen Herren, die doch eine sehr umfangreiche und, wie mir Herr Lenzmann zugeben wird, wichtige Korrespondenz führen. Was nun die tarifarischen Dinge anbetrifft, so gebe ich ja zu, daß unterftützt durch die örtlichen Verhältnisse und eine Reihe von sonstigen Umständen, auf die ich noch kommen werde, die Privatbeförderungs— anstalten in der Lage sind, die Briefe in einem engen Bezirk billiger zu befördern. Ich habe schon Köln angeführt als Beispiel, wie solche Verhältnisse sich gestalten, und daß, sobald die Sache keinen Nutzen bringt, die Anstalten versagen. Wenn wir konsequent und ehrlich auf dem Wege der Tarifermäßigungen in der Reichspostverwaltung vorgehen, so ist das meines Erachtens der allein richtige Weg, auf dem man der Allgemeinheit Nutzen bringt.

Wer unser Geschãftsleben kennt, weiß, wie es der Einzelne anstellt: wer heute einen Brlef aufgiebt, muß 3 3 bezahlen; hat er eine größere Auflage, dann schließt er mit der betreffenden Gesellschaft eine Vereinbarung und sucht einen billigeren Preis herauszuschlagen. Das kommt also nur dem Einzelnen, nicht der Allgemeinheit zu gute, hauptsächlich nur dem Großkaufmann, und zwar vorwiegend dem, der viel Reklame macht. Gegenüber den die Gesammtinteressen berück- sichtigenden Gründen für das Monopol, ist das ein Zustand, der als erwünscht nicht bezeichnet werden kann.

Weiter hat man die Bezahlung der Beamten in den Vorder— grund gerückt. Sie alle werden die betreffende Broschüre erhalten und gelesen haben. Daraus geht deutlich hervor, wie die Verhältnisse dort beschaffen sind. Mit 2 S 50 3 fangen bei uns die untersten angestellten Beamten an, das macht also pro Jahr etwas über 900 , während die Boten bei den Privatbeförderungsanstalten nur zum sehr geringen Theil mit 870 , bei vielen Anstalten nur mit 720 6 jähr- licher Entlohnung beginnen. Damit ist der Beweis erbracht, und das ist auch ganz naturgemäß, daß das Reich für seine Beamten besser sorgt, als die Privatanstalten es zu thun vermögen. Noch ganz anders stellt sich das Bild dar, wenn Sie auf die Summe hinblicken wollen, welche alljährlich für Unterstützungen, Penstonen, Wittwen, und Waisengelder aufgebracht werden. Sehen Sie den bezüglichen Titel durch, so finden Sie, daß das Reich jährlich 18 Millionen für seine Beamten nach dieser Richtung hin zahlt. Die Privatbeförderungsanstalten bestehen ja auch erst seit wenigen Jahren, die große Mehriahl erst seit 5 Jahren, und da ist es ganz natürlich, daß dort noch keine Kapitalien für die Beamten angesammelt sein können. Berechnen Sie aber nach dem Verhältniß der Thätigkeit, gebiete der Privatanstalten und der Reichepostverwaltung 84 zu 445 Millionen Einwohnern watz die Privatanstalten in der angedeuteten Beziehung für ihr Personal zu leisten hätten, so kommen Sie etwa auf ein Sechstel jener 18 Milllonen Mark. Würden Sie aber den Gesellschaften zumutben, 23 bis 3 Millionen Mark jährlich für ihre Beamten autzugeben dann würde kein Wort mehr über die Sache gesprochen zu werden brauchen. Sie wissen, daß die hiesige Packetfahrt den Durchschnitt ihrer Einnahmen auf 170 000 jährlich angegeben hat. Wie sollen bei derartigen Einnahmen, die nur die größte dieser Gesellschasten hat, solche Aufwendungen für die Beamten ermöglicht werden können?

Ein weiterer Punkt betrifft die dienstfreien Tage. Das ist ein sehr interessantes Bild, besonders da es grade auch die Packetsahrt betrifft: Deren Angestellte drängten im Jahre 1896 auf dienstfreie Nachmittage, freie Sonntage u. s. w. Die Sache wurde versucht. Die Packetfahrt sagte aber, sie finde dabei ihre Rechnung nicht, und kündigte mit einem Schlage sämmtlichen Beamten, und nur die blieben, die sich dem unterwarfen, daß sie nur nach Möglichkeit, aber nicht bestimmungsgemäß freie Tage erhalten würden. Wie anders bei der Reichspostverwaltung, wo, wle Sie wissen, ausreichende Zeit zur Erholung in der Woche und jeder dritte Sonntag freigegeben wird! Ich verweise auf Bremen; sehen Sie sich in Bremen die Verhältnisse an, so finden Sie ich glaube, es ist noch kein Jahr her daß dort ein sehr interessanter Kampf gerade von sozialdemokratischer Seite gegen die Privatbeförderungeanstalt ge⸗ führt worden ist, und zwar weshalb? wegen der Engagementspberhält⸗ nisse, die ganz unglaublich waren. Wenn die Kontrakte vorgelesen würden, würden Sie erstaunen, mit welchen Drangsalierungen die Privatunternehmungen vorgehen, wie sie naturgemäß nur im Kampfe, in der äußersten Bedrängniß nach jeder Richtung hin versuchen, ihre Angestellten schlecht zu stellen; denn das ist der allein mögliche Weg, einigermaßen ein Erträgniß herauszubringen. Meine Herren, die Reichtpostverwaltung ist in ihrem großen Gebiet von über 445 000 qkm bestrebt, bis in die entlegenste Hütte unter gleichen Ver⸗ hältnissen die Postsachen zu befördern; und wo heute noch Differenzen bestehen, d. h. eine ungleichartige Behandlung zwischen Stadt und Land stattfindet, da erkenne ich die Verpflichtung an, in kommenden Jahren bei zunehmenden Einnahmen eine Gleichstellung nach jeder Richtung anzustreben. Ich sagte vorhin schon: bei diesem Kampfe giebt es naturgemäß eine gewisse Summe von Uebertreibungen; ich streifte schon den Ausruf: die Privatpostanstalten sind „die Post des armen Mannes. Nein, meine Herren, sie sind im Gegentheil die Post der Gewerbetreibenden und des Handel, standes. Man sah es auch sehr bald ein, wie wir den Herren mit den Zahlen entgegentraten, daß dieses große Schlagwort unmöglich aufrecht zu erhalten ist. Man hat ferner gesagt, die Besorgung des Lokalverkehrs sei nicht Aufgabe der Reichspostverwaltung. Ja, ich frage Sie: wenn hier in Berlin die Reichspostverwaltung dieser Aufgabe sich entziehen würde, wo sollen denn heute noch Anlagen ge⸗ schaffen werden, die, wie z. B. die Rohrpostanstalten ich muß das offen bekennen dem Reiche nur Geld kosten, aber der Bevölkerung von Berlin zweifellos durch schnelle Beförderung der Briefe nur Nutzen bringen? Nun sagt man weiter: ja, die Postverwaltung schlägt die Erweiterung des Regals nur vor, weil sie fiskalische Zwecke verfolgt. Ich habe schon vorher Gelegenheit gehabt, dies zurückzuwelsen. Es sind wahr⸗ lich nicht fiskalische Zwecke; denn, welchen Grund sollte ich wohl haben, in dem Momente, wo unsere Einnahmen so erheblich zunehmen, vor Ihnen zu glänzen mit noch größeren Zahlen, als die sind, an denen ich doch wahrlich nicht schuld bin? Diese Erträgnisse entspringen Maßregeln, die mein groher Vorgänger getroffen hat, und der Zu⸗ nahme' des Verkehrs. Ich kann doch unmöglich ein fiskalisches Interesse nach dieser Richtung hin vertreten, sondern kann nur sagen: wir müssen sehen, daß wir durch die Steigerung der Einnahmen in die Lage kommen, unsere Gebühren herabzusetzen, dann helfen wir der Allgemeinheit.

Nun hat man ferner gesagt: die Ausdehnung des Postregals ver⸗ nichtet die Existenz von Tausenden von Familien. Ich habe schon angeführt, wie sehr man geneigt ist, gleich mit großen Zahlen um⸗ zuspringen. Erst sprach man von 16 000 Angestellten, dann ging man auf 10000 zurück, man reduzierte die Zahl weiter auf 50ob, machte aber dann in einer Gingabe an den Herrn Handel⸗Minister aus 5000 Angestellten 5000 Familien. Ich hatte schon Gelegenheit, bei der Budgetberathung darauf hinzuweisen, daß bei manchen dieser Beförderungeanstalten zum theil junge Leute unter 18 Jahren be—2 schäftigt sind, und daß in einzelnen Städten auch Angestellte von Druckereien sich an der Austragung der Sachen betheiligen, die

Thãtigkeit bei den Privataustalten also nur als Nebengewerbe be⸗ treiben.

übrig? Nach unseren Erhebungen sind bet de 5 n Privatbeförderungs⸗ anstalten im Reichspoftgebiet in Summa 2570 Menschen beschäftigt.

Was bleibt nun thatsächlich von diesen 5000 Familien

Von diesen sind noch 71 Inhaber abzuziehen, die selbst, z. B. Mann und Frau zusammen, an der Besorgung der Briefe tbeil nehmen. Wir haben ja solche Anstalten an kleineren Orten, wo Mann und Frau das Geschäft für einige hundert Mark erworben oder eingerichtet, dazu ein paar Briefkasten in der Stadt aufgestellt haben, und den ganzen Dienst allein oder mit Hilfe von Angehörigen versehen. Aber weiter sind noch einige hundert Kutscher und Fahrschaffner bei der Packetfahrt⸗Gesellschaft abzuziehen, die mit der Briefbesorgung selbst nichts zu thun haben.

Rechnen Sie das zusammen, so kommen Sie auf eine Zahl von etwas über 2000 Angestellten in der Briesbeförderung bei den Privat anstalten. Meine Herren, bedenken Sie dabei, daß nach mir zu⸗ zugegangenen übereinstimmenden Berichten eine konstante Arbeiter oder Beamtenschaft sich nicht herausgebildet hat, sondern daß bei den mäßigen Löhnen und bei der mangelnden Aussicht auf dauernde Be— schäftigung oder auf ausreichende Versorgung im Alter die Leute ihre Thätigkest bei diesen Anstalten in der Mehrzahl immer nur als eine vorübergehende Arbeitsgelegenheit betrachten werden.

Weiter aber, meine Herren, erscheint noch in einem eigenthüm = lichen Lichte die Petition, die der Vorstand des freiwilligen Erziehungs⸗ beiraths in Berlin darunter Herren, die ein gewisses Ansehen im öffentlichen Leben genießen betreffs der Schädigungen, die ihm durch die Ausdehnung des Regals erwachsen würden, eingereicht hat. Darin steht zu lesen, um Hunderttausende von Mark würden diese Wohlthätigkeitginstitute hrlich allein in Berlin geschädigt werden. Meine Herren, klare Zahlen! Wir wollen beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes, wie Sie wissen, auf 5 J für Berlin heruntergehen; die Packetfahrtgesellschaft fordert 3 3; die Differenz zwischen H und 3 3 sind 2 J. Jetzt fangen Sie geneigtest an zu rechnen und dann werden Sie finden, daß eine Mehrausgabe von 100 000 6 die Be—⸗ förderung von 5. Millionen Briefen voraugsetzt. Es ist eine einfache Rechnung mit 2, und zwar mit 2 3. (Heiterkeit) Meine Herren, „Hunderttausende von Mark“ sind mindestens 200 000, danach müßten die Institute, welche der Woblthätickeit in Berlin dienen mindestens 10 Millionen Briefe jährlich schreiben. Wenn da der Fall wäre, wäre es besser, sie schrieben da weniger und gäben das Geld denjenigen Leuten, denen es zukommt. (Sehr richtig! rechts) Es ist dietz wieder eins von den Schlagworten, welche man bei Männern nicht versteht, von denen man beanspruchen muß, daß sie mit klaren Zahlen zu rechnen wissen, und daß sie sich dessen bewußt sind, watz sie unterschreiben. Dieselben unterschreiben: Hundert tausende! Ich habe Ihnen nachgewiesen, daß 200 000 Æ 10 Millionen Briefe bedingen, und dabei sagt die Packetbeförderung selbst, daß sie im Maximum 45 Millionen beförderte. Also was soll man von solchen Petitionen halten! Wie bedauerlich ist es, wenn dadurch die öffentliche Meinung irregeleitet wird!

Ich komme nun, melne Herren, zu der rechtlichen Seite der Ent⸗ schädigungsfrage, und ich halte dies für die bedeutsamste von meinen gesammten Ausführungen. Mit Erlaubniß des Herrn Präͤsidenten werde ich, damit betreffs der Rechtsfrage auch nicht ein falsches Wort fällt, die Erklärung vorlesen, welche die Reichspostverwaltung in dieser Beziehung abzugeben hat:

Die Frage: ob die Privat ⸗Briefbeförderungtanstalten im Falle der Ausdehnung des Postregalt und des Postzwangs auf verschlossene Ortsbriefe berechtigt seien, von dem Reiche für die Schädigung in ihrem Gewerbebetriebe Schadloshaltung zu beanspruchen, ist unbedingt zu verneinen.

Die Entscheidung dieser Frage ist davon abhängig, ob jene An stalten ein woh lerworbenes Recht der Briesbeförderung besitzen, oder nicht.

Wohlerworbene Rechte (jura quaes ita) sind ylche Rechte, welche einer bestimmten natürlichen oder juristischen Person zustehen und infolge eines bestimmten Rechtsgrundes erworben sind. Dadurch unterscheidet sich das wohlerworbene Recht von solchen Rechten, die infolge einer Rechtsregel allen Staatsbürgern oder doch gewissen Klassen derselben zukommen.

Nachdem seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Poft⸗ wesen des Norddeutschen Bundeß vom 2. November 1867 der Postjwang für verschlossene Ortsbriefe weggefallen ist, steht es jedermann frei, solche Briefe zu befördern. Bei der Briejbeförderung durch die bestehenden Privat · Brief · beförderungtanstalten handelt es sich also nicht um ein wohl⸗ erworbenes Recht; die Gesellschaften besitzen auch kein Privilegium;

vielmehr ist die Thätigkeit, welche sie ausüben, jedem erlaubt.

Wenn ein Staat zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine Handlung, welche bisher erlaubt war, fortan zu verbieten und zu bestrafen sei, so kann niemand verlangen, daß er die Handlung des⸗ halb ungestraft weiter fortsetzen dürfe, weil er dies bisher gethan habe. Da im vorliegenden Falle das Verbot der Beförderung von Ortsbriefen durch die Privatanstalten kein wohlerworbenes Recht verletzen würde, so haben die etwa Geschädigten einen Anspruch auf Schadenersatz

uit Vorstehendem kann also dem Reiche durch die Ausdehnung des Postjwangs ꝛe. auf verschlossene Ortsbriefe eine rechtliche Ver⸗ pflichtung zur Entschädigung der bestehenden Privat · Briefbeför⸗ derungsanstalten nicht erwachsen.

Der oben dargelegten Auffassung ist der Reichstag in anderen ähnlichen Fällen bereits früher beigetreten.

Als durch das Portofreiheitsgesetz vom 5. Juni 1869 eine große Zahl von Portofreiheiten aufgehoben ward, wurde im 86 des Gesetzes ausdrücklich ausgesprochen, daß für die Aufhebung oder Einschränkung von Portofreiheiten nur insoweit Entschädigung geleistet werden sollte, als dies mit. Rücksicht auf die den Portobefreiungen etwa. zu Grunde liegenden la stigen Privatrechtstitel' nach, den Landesgesetzen nothwendig fei. Es sollte alse nur in denjenigen Fällen eine Entschãdigung geleistet werden, in welchen die Portofreiheit auf einem wohl⸗ erworbenen Rechte oder auf einem Privilegtum beruhte

Ein jweiter Fall trat ein bei der Berathung de § lt Reichtvostgesetzss vom 28. Oktober 1871. Durch däsn art · graphen sind die Posten u. s. w. von der Entrichtun alle Kom. munikationgabgaben befreit worden, und es dürfen derntiige Abgaben nur von denjenigen Korporationen, Gemeinden und Yiipathersonen weiter erhoben werden, welche schon por dem Inkraftreten des DPastgeschts ein wohlerworbenes Recht zur Erhebung von Kommunilationt⸗ abgaben besessen hatten.

Da nun die Privat · Briefbeforderungsanstalten weder ein w ohl·