1898 / 60 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 10 Mar 1898 18:00:01 GMT) scan diff

stellen wollte. Aber solche Lohntgrife sind in verschiedenen Gewerbe zweigen eingeführt, e. bei der Buchdruckerei. Man kann den Arbei⸗ tern die schönsten Reden halten über die Harmonie der Interessen, über das n, und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt z., es wird immer Arbeiter geben, welche daran nicht glauben, welche den Versuch machen werden, einen höheren Lohn bei gegebener Gelegenheit zu erzielen. Damit thut der Arbeitnehmer nichts Anderes als der Arbeitgebtr. Die Bauern schließen sich zusammen zu Verkaufsgenossen« schaften, um bessere Preise zu erzielen. Das thun die Arbeiter auch.

Die Fabrikanten thun sich auch zu Syndikaten zusammen, um bessere

Preise zu erzielen; sowohl in der Eisenindustrie wie in der Kohlen industrie. Die gemeinsame Organisation von Arbeitern und Arbeitgebern ist ein alter Zentrumsgedanke, vielleicht wird er wieder lebendig Ich möchte Herrn von Heyl bitten, mit uns gemeinsam Arbeitskammern mit gewissen Kompetenzen zu schaffen; dafür werden sogar die Sozial⸗ demokraten zu haben sein. Herr von Stumm hat die englischen Ge⸗ werkvercine sehr abfällig kritisiert; aber diese Gewerkvereine müssen doch nicht so übel sein, da selbst das konservative englische Ministerium sie hätschelt. Meine Herren! Was ist Ihnen lieber? Dle englischen Gewerkvereine, oder die deutsche Sozialdemokratie? Das ist die Frage. Der Unterschied zwischen beiden ist doch fehr groß. Die Frage der Berufsvereine ist seit Jahren immer wieder angeregt worden, aber sie wurde niemals gesöst. Endlich kam 18690 das erlösende Wort, und wir dürfen nun wohl hoffen, daß die Frage endlich im Interesse der Arbeiter gelöst wird.

Ein Vertagungsantrag wird angenommen.

Persönlich bemerkt

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ich habe von Herrn Webb selbst ein in böflichen Ausdrlcken abgefaßtes Schreiben erhalten, daß ch ein gewisses Mißverständniß, welches vorliegt, berichtigen sollte. Das hätte ich auch ohne den Appell des Herrn von Elm gethan.

Schluß 6 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. 8 Berathung des Gesetzentwurfs über die freiwillige

erichtsbarkeit und zweite Lesung des Postdampfergesetzes.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

42. Sitzung vom 9. März 1898.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats für 1898,99 wird im Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗An⸗ gelegenheiten fortgesetzt.

ö. den ersten Theil der Debatte ist schon berichtet worden.

Bei dem Ausgabetitel Evangelischer Ober⸗-Kirchen⸗ rath“ bringt

Abg. Rickert (fr. Vgg), wie hier kurz wöiederholtz sei, den Fall des Pfarrers Kötzschke und dessen sozialvolitische Thätigkeit zur Sprache. Der Ober-Kirchenrath habe die jungen Geistlichen an2

swiesen, die Arbeiter autzusuchen, Versammlungen zu besuchen,

ereine zu gründen, um die vorhandenen Nothstaͤnde zu mildern, Pfarrer Kötzschte in Sangerhausen sei indeß feines Amtes entzetzt worden. Redner schildert datüz Disziplinarverfahren gegen denselben und hebt hervor, daß dieser in seiner Gemeinde ein großes Vertrguen beseffen, daß ein Comité sich mit einer Eingabe an den OberKirchen⸗ rath gewendet und darauf hingewiesen habe, daß Pastor Kötzschke die Sozialdemokratie mit Erfolg bekämpft habe.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich habe mir die äußerste Mühe gegeben, wie ich das immer thue, den Ausführungen des Herrn Abg. Rickert genau zu folgen. Es ist mir nicht gelungen, die Gründe und namentlich den Rechtsgrund zu entdecken, welcher ihn veranlaßt hat, diese Frage und diesen Fall Kötzschke hier im Landtage zur Sprache zu bringen. (Sehr richtig! rechts) Wenn der Fall Kötzschke überhaupt eine öffentliche Besprechung verlangt und in einer öffentlichen Versammlung, dann gehört er zweifellos in die General-Synode, aber nicht in den inter konfessionellen Landtag. (Sehr richtig! rechts) .

Run, meine Herren, es handelt sich hier lediglich um ein im gesetzlich geordneten kirchlichen Disziplinarperfahren ergangenes Urtheil des Evangelischen Ober Kirchenraths. Wenn das nicht eine rein interne Angelegenheit der evangelischen Kirche ist, dann weiß ich nicht, ob es selche Interna der Kirche überhaupt giebt. (Sehr richtig Und, meine Herren, wenn ich versuchen wollte, auch nur versuchen, eine Einwirkung in dieser Beziehung zu üben, so bin ich überzeugt, daß der Herr Abg. Rickert der erste sein würde, der über Gewalt schrie und mich korrigieren würde. Diesen Versuch lehne ich vollständig ab. Es fehlt der Staatsregierung an jeder gesetzlichen Handhabe, hier einzuschreiten. Es wäre auch nach meiner Ueberzeugung garnicht erwünscht, daß der Staat und die Staateébehörden in diese Dinge, die durch Gesetz der selbständigen Entscheidung der Kirche überlaffen sind, ein greift, und ich lehne einen solchen Eingriff durchaus ab.

Im übrlgen, meine Herren, muß ich doch sagen, daß ich dem Epangelischen Ober -Kürchenrath darin nur beipflichten kann, wenn er gegen Geistliche, die nicht etwa sozial, sondern sozialistisch und soꝛial—= demokratisch wirken, mit allem Ernst einschreitet. (Bravo! rechts)

Damit thut der Ober-Kirchenrath einfach seine Pflicht und Schuldigkeii,. Ich gebe Herrn Rickert vollkommen zu, daß es unter Umständen außerordentlich schwer sein kann, wenn ein solches Einschreiten einem Manne gegenüber

geschehen muß, der persönlich wohlwollend, persönlich von anständiger Gesinnung ist. Das kann dem Disziplinarrichter feine Aufgabe außerordentlich erschweren, aber es kann ihn nicht von der Pflicht entbinden, dafür zu sorgen, daß solche widernatürlichen Unordnungen vermieden werden in der evangelischen Kirche und in unserem Staate.

Meine Herren, ich habe auch den Eindruck gehabt, daß Herr Rickert selbst sich hat hin und her winden müssen. Mit der einen Hand hat er Herrn Kötzschke zu decken gesucht, andererseits hat er gesagt, daß er seine Anschauungen und Aussprüche nicht billige. Meine Herren, wohin sollen wir kommen, wenn wir diese Dinge, die nicht hierher gehören, hier erörtern! Ich möchte vorschlagen, daß wir uns in Reser Beziehung die Zurückhaltung auferlegen, die ohnehin so nöthig ist bei unserem diesjährigen Etat. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Irmer (kons.): Das formelle Recht, diese Dinge hier zur Sprache zu bringen, kann man Herrn Rickert nicht hestreiten; er unterliegt nur der Hisziplinargewalt des Präsidenten. Aber daraus, daß wir Geld zu bewilligen haben, folgt doch noch nicht, daß wir über alle möglichen Dinge, z. B. die Verwendung der Kronfidei⸗ kommißgelder, Rechenschaft fordern. Wir müssen die Gelder dem Evangelischen Ober-Kirchenrath bewilligen, dies beruht auf rechtlicher Verpflichkung. Der Fall Witte ist hier nicht anzuziehen. Stöcker gehöct nicht mehr unserer Partei an, wir können ihn also nicht einmal rekhifizieren. Ein Cingehen auf die Canistug⸗Gneyklika und den Papst haben wir ausdrücklich abgelehnt. Kirchenangelegenheiten gehören nicht vor den Landtag.

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Sentr.): Uns geht der materielle Inhalt dieser Debatte garnichts an. Vor dieses Parlament

gebören sosche Dinge absolut nicht. Wir halten uns stets fern von

den Angelegenheiten der ebangelischen Kirche. Von diesem Prinzip

nd wir nicht abgewichen. Ich hoffe, daß die Herren diesen Grunzsatz 3) . N anwenden werden. Zur Zeit des Kultur— kampfes Fat die Mehrheit einen anderen Standpunkt eingenommen, Ein Theil der damals beschlossenen kirchlichen Gesetz besteht noch fort, und ich hoffe, daß die Verren rechts uns unterstützen werden, um diese Ueberreste zu beseitigen. Abg. Pr. Friedberg (il): Was Herr von Heereman in die Debalte hineingezogen hat, ist ctwas ganz Ander. Es handelt sich hier um ' die stoatsbürgerlichen Rechte der Geistlichen, das Staate kirchenrecht; hier muß der Staat durch seine Gesetz. regelnd ein greifen, und ich muß dagegen protestieren, daß innere Angelegenheiten der Küche verwechselt werden mit dem Staatskirchenrecht und seinem dan, von Heereman: Die Auffassung des Vor redners ist eine ganz ,,,, ö ö nn e. atskirchenrecht, sondern ein Cingr nnersten An 8 ö. ails Ist die Beichte, die Spendung von Sakra⸗ nenten 'ctne innere kirchliche Angelegenheit? Das nennen Sie Stgats. täcchenrecht.! Pann ist eg mit unferer ganzen Kultur in christlicher Anffassung zu Ende,. Fürst Bismarck war zu sehr Staatsmann, um nicht einzusehen, daß der Staat früher auf einer falschen Bahn war, und! doch hatten die Herren an der Auffasfung fest, die Biemarck nicht getheilt hat. Ich protestiere desbalb dagegen, daß man hier als Staatekirchenrecht hinftellen will, was in die inneren kirchlichen de,, , (nl): Solche Bestimmungen sind ja bereits aufgehoben; die Grenzen zwischen Stagt und Kirche müssen doch fest⸗ gesezzt werben, und diesen Rest wollen wir uns allerdings nicht nehmen laffen, er hemmt durchaus nicht die freie Entwickelung der

irche. ; .

dg Freiherr von Zedlitz und Neutirch (fr kon); Auf den Kulturkampf wollen wir nicht weiter eingehen. Ueber die Grenz- linie zwischen Staat und Kirche kann man verschiedener Meinung sein, aber das Recht, die Grenzlinie zu ziehen, kann man dem Staat nicht bestreiten.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lgsa (kons: Wir lehnen 6 ab, innere flrchliche Angelegenheiten, der Beschlußfassung des Landtage zu unterstellen. Cine Zahl Ver, früheren Kulturkgmpfgesetze hat ja eine erhebliche Fückwirkung auf die inneren kirchlichen Angelegen. heiten gehabt. Meine Partei ist damit einverstanden gewesen, eine große Änzahl dieser Gesetze abjuändern, und wir werden auch in Zukunft dem Wunsche unserer katholischen Mitbürger so weit entgegen- kommen, wie es die Interessen des Staates zulassen. Wie weit dies geschehen kann, darüber müssen wir uns die Entscheidung vorbehalten; ein bestimmtes Versprechen haben wir nicht abgegeben. ;

Abg. Dr. Freiherr von Heereman: Die Anstellung der Geist= lichen, der Bischöfe, die ganze Disziplinargewalt gehören doch zu den inneren Angelegenheiten der Kirche, Der Staat kann die Grenze zwischen fich und, der Kirche nicht nach seinem Gutdünken ziehen. Beide Kirchen haben das Recht, nach ihren Glaubensvorschriften zu leben. Die Kirche muß frei fein, wenn sie ihre heilige Aufgahe er füllen soll. Die christliche Kirche hat eine höhere Aufgabe als der Staat, ö. war früher da. Die Staatzoberhoheit ist die von Gott gesetzte Autorität; streichen Sie diese Grundlage, so erschüttern Sie auch die Monagrchle, Die Regierung sollte erkennen, daß sie sich selbst die beste Unterlage schafft, wenn sie die Kirche . läßt. Am meisten schädigt sis dadurch den Staat und das öffentliche Wohl. Die einzelnen Kirchen müssen nach ihren Organjfationen verschieden be handelt werden. Wir verlangen ja nicht, daß die evangelische Kirche nach katholischen Grundsätzen geleitet werde, Auf einigen Gebieten, die nicht zu den inneren Angelegenheiten gehören, müssen Staat und Kirche sich einigen; das wird, wenn man bona vVoluntate und bong Ke handelt, leicht zu erreichen sein. Hat die Kirche das Recht be= halten, zu lehren, so hat sie auch das erste Recht auf die Schule, das muß in einem christlichen Staate anerkannt werden. Der Religiontz= unterricht darf ihr nicht entzogen werden.

Abg. Dr. Sattler: Herr von Heereman hat eben sein firchen⸗ politisches Programm entwickelt; daßselbe muß dech unseren Wider- spruch hervorrufen; damit verlängert er aber die Debatte, wie ich es mir nicht schlimmer denken kann. Die Sache gehört garnicht hierher. Daß die religiöse Kultur auch die Grundlage sein muß, auf der unsere Gefetze sich bewegen müssen, wer leugnet daz? Wir haben uns ja das Bismarck'sche Wort ven dem praktischen Christenthum angeeignet. Etwas anderes aber ist es, wie sich der Staat verhält zu den einzelnen Kirchen. Sie werden doch von Menschen geleitet, ö Leibenscheften und Schwächen spielen da eine Rolle, und deshalb kann der Staat der Kirche nicht freie Hand lassen. Die Kirchen bewegen sich auch nicht im leeren Raum. Die Kirche kommt tagtäglich in Konflikt mit anderen Personen und anderen religiösen Anschauungen. Darum muß der Staat dafür sorgen, daß diese Konflikte nicht über- handnehmen. In anderen Ländern mit lediglich kathölischer Konfession haben die Regierungen viel weitergehende Rechte als wir, Der Unter⸗ richt in der Schule gehört durchaus nicht allein der Kirche, das Gegen theil läßt sich durch die J rechtfertigen. Die Souveränität des Staats berlangt, daß die Grenzregulierung jzwischen Stagt und . durch Staaisgesetze erfolge, wenn auch auf Grund von Verein⸗

arungen.

Abg. Dauzenberg (Sentr.): Die einzelnen Organe der Kirche können fehlen; thun sie twas, was nicht recht und in der Ordnung ist, fo können ste ja bestraft werden. Ich kann mich in dieser Be ziehung nur auf Herrn von Heereman, beziehen. Die konserpative Partei hat zur Zeit des Kulturkampfes einen anderen Standpunkt ein genommen, als sie jetzt erfreulicherweise einnimmt.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Der Staat hat das Recht, die Grenzlinie mit der Kirche selbst zu ziehen. Die preußische Schule det Hohenzollernstaates ist, eine christliche, nicht eine heidnische. Erst als die Kirche nicht mehr in der Lage war, die all= gemeine Schulpflicht durchzuführen, hat er die Schule übernommen, um sie mit den Forderungen der Zeit in Einklang zu bringen.

Damit schließt die Debatte.

Bei den Ausgaben für die evangelischen Konsistorien beschwert sich K ; ;

Abg. Brütt (fr. kons.) über die Entscheidung des Konsistoriums in Schleswig⸗Holstein hinsichtlich der Beschlüsse der Gemeinde⸗ vertrẽtung. Die esammtsynode von Schleswig- Holstein habe empfohlen, daß die Beschlüsse der Gemeindevertretungen berücksichtigt werden möchten.

Abg. Dr. Lotichius (nl) tritt dafür ein, daß dem Bezirke Synodalauschuß in Wiesbaden das Recht gewährt werde, für die Befetzung der Bekanate Vorschläge zu machen, und daß das Amt des Direktors des Konststoriums in Wiesbaden in ein hauptamtliches ver⸗ wandelt werde, er also von der Regierung unabhängig werde, im Interesse der evangellschen Kirche in Nassau. . ;

Ministerial⸗ Direktor D. Dr. von Bartsch: Die erste Frage ist, streng genommen, auch eine innere Angelegenheit der ehangelischen Kirche. Indessen will ich zur Beruhigung mittheilen, daß wir eine gesetzliche Revision der Kirchengemeinde⸗ und Synodal⸗Ordnung für Nasfau vorbereifen, wobei dieser Punkt eventuell mitgeregelt werden könnte. Bis jetzt ist die Nothwendigkeit dazu nicht hervorgetreten. Ob die Sache auf dem Wege administrativer Anordnung erfolgen kann, ist eine Frage, für die ich nur eine wohlwollende Erwägung dersprechen kann. Aus der Vereinigung der Stellung des Konsistorigl=

räsidenten mit seinem Hauptstaattamt im Schulwesen haben sich is letzt Unzuträglichkeiten nicht ergeben.

Bei den Ausgaben für evangelische Kirchen und ö nn,

bg. Haacke (fr. kons.) eine anderweitige Regelung der Bureau— und Reisekosten Entschädigung und der Funktionszulagen für die evangelischen Superintendenten.

Minssterial.⸗ Direktor Dr. von Bartsch: Für die älteren Pro⸗ vinzen stehen uns zu diesem Zwecke 8 600 6, für die neuen 46 189 zur Verfügung. Diese Summen sind bestimmt zu Funktionszulagen und Entschädigungen für Bureaulosten. Vielleicht wäre es wünschenz.

werth, diese Ausgaben zu erhöhen, aber der jetzige Augenblick ist am wenigsten dazn geeignet, da uns ja ein Besoldungsgesetz für die epan⸗ gelischen Geistlichen beschäftigen wird. .

Bei den Ausgaben für die Bis thüm er beschwert .

Abg. Brandenburg (Zentr) darüber, daß ein für das katholische Krankenhaus im Bisthum Münster bestimmtes Legat von 9600 nicht diesem, sondern der politischen Gemeinde behufs Gründung eines Krankenhaufes übergeben worden sei. Auch die Annahme einiger anderen Legate habe die Regierung dem katholischen Krankenhaufe nicht gestattet.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich möchte wirklich glauben, daß diese Sache über das Maß ihrer Bedeutung hinaus behandelt wird. Ich bin aber gern bereit, wenn die Sache noch einmal an mich herankommt, sie auch unter dem von dem Herrn Vorredner hervorgehobenen Gesichts⸗ punkt anzusehen. Jetzt möchte ich mir nur die eine kurze Bemerkung an den Herrn Vorredner erlauben, daß ich doch glaube, daß die von uns getroffene Entscheidung nicht ausschließlich unter kirchlichen Gesichtepunkten angesehen werden darf. Bei der Entscheidung sind in erster Linie Gesichtspunkte der Kommunalverwaltung entscheidend gewesen. Es handelte sich um die Frage, ob eine Zivilgemeinde in der Lage ist, ihr Vermögen geschenkweise an eine kirchliche Gemeinde zu überlassen, und zwar zu einem Zwecke, von dem wir allerdings, ich glaube mit gutem Grunde, behauptet haben, daß er nicht in erster Linie ein kirchlicher ist. Denn in erster Linie dient das Vermögen der Kirchengemeinde den Kultuszwecken, wie aus 8 4 des Vermögens verwaltungsgesetzes sich schließen läßt, und erst in zweiter Linie stehen die charitativen Aufgaben, die sonstigen kirchlichen Zwecke, Wohlthätig keitszwecke u. s. w.

So haben wir die Sache angesehen, und lediglich der kommunale Gesichtspunkt oder der Gesichtspunkt, den die Aufsichtsbehörde der Kommunalverwaltung geltend gemacht hat, den auch die Probinzial- regierung uns gegenüber in den Vordergrund gestellt, hat untz be— stimmt, anzunehmen: es sei nicht zulässig, daß eine Zivilgemeinde ihr Vermögen an eine Kirchengemeinde verschenkt, damit diese ein Kranken⸗ haus baue, während doch die Krankenpflege auch nach unseren zivilen Gesetzen in erster Linie der Zivilgemeinde obliegt. So ist die Ent⸗ scheidung entstanden. Nun sind da kirchliche Gesichtspunkte hinein⸗ gebracht, und uns kirchliche Tendenzen oder vielmehr antikirchliche Tendenzen untergeschoben, die uns ganz fern gelegen haben. Ich habe, als ich die Verfügung unterschrieben habe, garnicht daran gedacht, daß in dieser Beziehung auch nur ein Zweifel obwalten könnte. Ich bin erst darauf aufmerksam geworden durch einen sehr heftigen Artikel eines westfälischen katholischen politischen Blattes, der in dieser Ver⸗ fügung allerhand kirchenfeindliche Tendenzen sah, die uns gänzlich fern gelegen haben. Kommt die Sache nochmals an mich heran, so will ich sie unter dem kirchlichen Gesichtspunkte prüfen, den der Herr Abg. Brandenburg hervorgehoben hat.

Abg. Cahensly Gentr.,) beklagt die ungenügende Pastorlerung der Katholiken in Frankfurt 4. M. infolge der geringen Zahl der Kirchen und bittet, in der Abtei gan far. eine Niederlassung der Prämonstratenser zu genehmigen.

Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr) kommt wiederum auf. die Frage der konfessionellen Kirchhöfe zurück, in welcher er bei Be⸗ rathung des Etats des Ministeriums des Innern keine genügende Antwort erhalten habe. In früheren 36 habe die Regierung auf dem Standpunkt gestanden, daß die Friedhöfe konfessionell getrennt fein sollten; diesen Standpunkt habe sie leider berlassen. Der Reichsbote! habe kürzlich einen Artikel darüber gebracht, auf dessen Verlefung er im Interesse einer ruhigen, sachlichen Erörterung ver⸗ zichte; fh Artikel könnten dem Frieden nicht dienen.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich möchte vorausschicken, daß ich es dem Herrn Abg. Freiherrn von Eynatten und seinen Freunden keinen Augenblick verdenken will, wenn sie eine gesetzgeberische Forderung, die sie für berechtigt halten, von der sie glauben, daß sie nützlich im kirchlichen und im staatlichen Interesse sein werde, hier mit allen Kräften vertreten; das ist ihr gutes Recht, dagegen werde ich auch keine Silbe sagen. Ich will auch, indem ich auf die Behandlung der Frage bei der Debatte des Ministe⸗ riums des Innern zurückgreife, das noch hinzufügen: sehr böse würde ich nicht gewesen sein, wenn mir damals die Antwort auf die Frage

des Herrn Freiberrn von Eynatten abgenommen wäre; in dessen es ist allerdings nach dem Verlaufe, den diese Verhandlung im Hause genommen hat, meine Pflicht,

daß ich die Antwort übernehme auch dann, wenn es mir wenig an— genehm ist. Ich muß, um unsere Antwort sie ist eine ablehnende zu begründen, zurückgreifen auf den Verlauf, den die Angelegenheit hier genommen hat.

Der Herr Abg. Dr. Bachem und Genossen hatten im Februar 18965 in diesem hohen Hause einen Gesetzentwurf aus ihrer Initiative eingebracht, dessen einziger Paragraph dahin lautete:

Die Kirchengemeinden der anerkannten Religionsgesellschaften haben im ganzen Umfange der Monarchie das Recht, auf ihre Kosten Begräbnißstätten für ihre Konfesstonsangehörigen zu er⸗ richten.

Dieser Vorschlag fand hier im hohen Hause bei der ersten Lesung zwar einigen Widerspruch, wurde aber doch in eine Kommission ver⸗ wiesen; er fand auch in dieser Anklang und erschien prima vista vielen Mitgliedern des Hauses ziemlich unbedenklich und in mancher Hinsicht einer gewissen Billigkeit entsprechend. Ich mache gar kein Hehl daraus, daß ich damals theoretisch denselben Eindruck gehabt habe. Ich habe dem Antrage nicht seindselig gegenübergestanden und feindselig stehe ich ihm auch heute nicht gegenüber aber ich habe damals nicht auf dem ablehnenden Standpunkt gestanden, den ich heute hier zu vertreten habe.

Die Königliche Staatsregierung hatte einige Jahre vor den Bhchem'schen Antrage aus Anlaß von ein paar einzelnen Fällen, die in der Rheinprovinz hervorgetreten waren, bereits in dieser Frage Ermittelungen angestellt. Wir waren von den Provinzial. behörden darauf aufmersan gemacht worden, daß die Sache im Gebiete des französischen Rechts, in welchem die kommunalen Kirchhöfe die gesetzliche Regel bilden, dech nicht so einfach liege, wie es auf den ersten Anblick erscheint. Namentlich hatten in a, reichen Fallen konfessionelle Minderheiten darauf hingewiesen, daß bei der Freigabe der konfessionellen Friedböse die kommunalen Friehhöfe nur zu leicht zu Friedhöfen minderer Ordnung herabstaken, und deß die konfessionellen Minderheiten dadurch verletzt und der kon sesstonell Frieden geschädigt würde. Die kommunalen Kirchhöfe bestehen äber 2 . ö. im vormaligen Heriogthum Nassan und Fäank— M. und es erschien un dem Bachem'schen Antrage gegenüber

nicht uubedenllich, ohne genaue Ermittelung der thatsächlichen Ver⸗ hältnisse, ohne nochmalige Befragung der Provinzial, Bezirkg., und