Zweite Beilage
zum Deutschen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Falls die Resolutlon Stresemann angenommen werden wird, werde ich gern bereit sein, dem Reichstage die darin gewünschte Denkschrift vorzulegen. Ich bitte jedoch, im vorhinein ju bedenken, daß bei den Düsseldorfer Verhandlungen uns von belden Seiten, von den reinen und von den gemischten Waliwerken, Müteilungen vertraulicher Natur gemacht worden find, die ich iahlen. mäßig Ihnen in der Denkschrift nicht unmittelbar wiedergeben kann. (Zuruf in der Mitte: Sind nicht geheim geblieben) — Ich weiß nicht, wer dann das Geheimnis nicht bewahrt hat, jedenfalls ist es nicht von irgend elner staatlichen Stelle gebrochen worden, und ich würde es auch jetzs immerhin ohne die Zustimmung aller Beteiligten nicht für erlaubt halten, diejenigen Geschäftszahlen, die uns dort mitgeteilt worden sind, der Deffentlichkelt preiszugeben. Soweit sich aber ohne Rücksicht hierauf eine Denkschrift zusammenstellen läßt, werde ich, wie ich wicderhole, gern der Refsolution Stresemann entsprechen.
Dem Herrn Abg. von Brockhausen möchte ich erwidern, daß die Grstreckung der Unfallversicherung auf die Speichergenossenschaften, von denen er sprach, in der Versicherungsordnung vorgesehen ist.
Der Here Abg. Hug hat heute von der Schiff barmachung des Oberrheins gesprochen. Wie bekannt, wenden sowohl die Schwelz wie das Großherzogtum Baden seit langer Zeit der Schiff barmachung des DOberrheins ihr lebhaftes Interesse zu. Inwiefern durch die beah— sichtigie Einführung von Schlffahrtsabgaben dieser Schiffbarmachung ein Hindernlg in den Weg gelegt werden sollte, vermag ich nicht ab. zusehen. (Sehr richtig! in der Mitte) Im Gegenteil, meine Herren! Belanntlich hat der preußlsche Herr Arbeits minifter hier Aus sührungen
ber gemacht; es soll bei der geplanten Regelung der Schiffahrts⸗ abgaben die Verwendung des ganzen Reinertrags aus diesen Abgaben lediglich für Verbesserung der Wasserstraßen erfolgen, für welche
erhoben werden. Düie Einführung von Schlffahrtsabgaben
wrde also, da sie größere und neue Mittel sür die Ver⸗
sserung der Schiffahrt zur Verfügung stellt, auch die Verhãltnisse auf dem Oberrhein eher gänstiger als ungünstig beeinflussen.
Der Herr Abg. Stresemann hat neulich den Wunsch aus⸗ gesprochen, eg möchte der deulsch, portugiesische Handelshertrag bald= möglichst; veröffentlicht werden. Ich bin außerstande, diesem Wunsch jetzt zu entsprechen. Die Veröffentlichung dieses Vertrages im gegenwärtigen Moment würde den diplomatischen Gepflogenheiten unmittelbar widersprechen. Im übrigen, meine Herren, haben wir vor Abschluß des Vertrages nicht nur den wirtschaftlichen Ausschuß sondern durch Vermiltlung dieses doch sehr sorgsam ausgewählten, und gut unterrichteten Organs auch eine große Reihe von Sachverständigen ge⸗ bört, und fie alle, einschließlich des wirtschaftlichen Ausschusseg, haben uns ihr Verdikt dahin abgegeben, daß der Vertrag, wie er vorgesehen war, den Interessen Deutschlands entspreche. —
Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Irrtum über den Inhalt des Vertrags ju zerstreuen versuchen. Meine Herren, den wesentlichen Wanschen sowohl der deutschen, wie der portugiesischen Jateressenten würde es schon entsprochen haben, wenn sich der deutsch⸗portugiesische Handelsvertrag auf die beiderseitige Meistbegünstigung erstreckt hätte. Der Vertrag gibt aber dem Warenaustausch jwischen belden Ländern noc eine stãrkere Sicherheit, indem er bestimmte Zölle für die Dauer des Vertrags fefllegt.
Der Herr Abg. Stresemann ist auch auf unser Verhältnis mit Canada jurückgekommen. Meine Herren, dieses unser Verhältnis zu Canada bildet, wie Sie wissen, seit langem den Gegenstand unferer ernstesten Aufmerksamkeit. Auf Selte Deutschlands liegt kein Hindernis vor, zu einer Verständigung zu gelangen, welche den Er. jeugnissen beider Länder den unbenachteiligten Eintritt in das Gebiet deg anderen Telles ermöglicht. Die dahin gerichteten Schritte haben bisher zu einem Ergehnis nicht geführt. Ich hege aber doch die Hoffnung, daß es gelingen wird, Deutschland das canadische und Canada das deutsche Absatzgebiet wiederum zu erschließen.
Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Pachnide hat gestern in seiner Rede den Wunsch ausgesprochen, es möge dem Verbande der Arbeits nachweise elne finanztelle Unterstützung seitens des Reichts zu teil werden. Ich kann den Entschluß der Arbeitgnachwelsverbände, unter Verzicht auf elne reichsgesetzliche Regelung in freier Vereinbarung das Arbeitgnachwelswesen in Deuischland weiter auszugestalten, nur freudigst und dankbar begrüßen; denn es wird auf diesem nicht bureaukratischen Wege, wie ich nicht jweifle, in schnellerer und besserer Weise eine Förderung des Ganzen herbeigeführt werden, wie wenn wir erst die Klinke der Gesetzgebung ergreifen sollten. Ich habe, da mir für das bevorstehende Etatejahr keine Mittel durch den Etat zur Verfügung gestellt werden können, es ermöglicht, diejenige Summe, welche von 2 erbeten worden ist, für das Jahr 1308 auz dizpositlben Mitteln Rässig iu machen. Wir werden in dem bevborstehen den Jahr hoffentlich . daß dieles Geld so gut angewendet wird, daß ich für das Jahr n,, Jabre mit Ihnen wegen der etatZ mäßigen
; n in Verbindung treten kann. (Bravoh
Abg. Horn⸗Sachsen (Sozg.): Der Abg. Dr. Mugd baupten ju können geglaubt, daß die , , und vortrefflichste auf der ganzen Welt fei. (Übg. Heckf cher?
richtig) Gewsß, auf dem fer ni Sehr und h. als die anderer n , nimmt sie sich wohl ganz gut
aber wi Ausführung? Der Abg. Dr. Mugdan überfieht ö .
ist als Reichsregierung und Reichsta 5 ö ist die Kapitalistenklasse, die heute . 16 i die Sozlaltefom und den Arbeiterschutz;
t Hohn über das von einer gewissen Selte . ö.
Ich will, daß in meinem Reiche jeder Arbeiter eine
babe is inz hobe Älter. Jeder Tag bringt ö.
daß den Fabrikanten, dem Unternehmertum die gesicherte C isten des
Arbeiters das gleichgültigste Ding von der Welt sst; . werden
. ö. Lerlcd . . n nn gemacht haben, guch on ahre emselben Unternehmer in Arb
auch wenn sie fich weder als sozialdemokratische, geln r e,
no gewerlschaftliche Agitatoren betätigt haben; jeder k
Berlin, Mittwoch, den 10. Februar
19099.
bewegung fleht Aussperrungen im weitesten Maße nach, die eine Unmengé Unhbeteillgter treffen. Den Gipfel besteigt diese wirtschaft⸗ siche Verf'mung in dem Statut der koalierten Zechenbesitzer betreffs der angeblich kontrakibrüchigen Arbeiter. Was die Unternehmer koalistonen, die Arbeitgeberverbände, sich herausnehmen, läßt sich daraus entnehmen, daß einer dieser Verbände ein besonderes Entlaffungsformular für ordnungsgemäßen Abgang eingeführt hat, auf daz aber statutarisch ein Arbeiter überbaupt keinen Anspruch hat. Scheidet der Arbeiter aus dem Betriebe aus, so enthält er unte, Um⸗ ssänden die Entlassungebescheinigung auf einem beliebigen Briefbogen und trägt so, ohne es zu wissen, den Urias brief in der Tasche; nirgend wird er in AÄrbelt genommen, wenn er diesen Schein präsentlert! Ganz befonders schlimm ergeht es nun heute den Glaꝛarheitern, obwohl es nach unsäglichen Mühen gelungen ist, die allerärgsten Auswüchse ke⸗ sonders auf dem Gebiet der Kinderarbeit zu beseitigen. Wir haben unfer- vorjährige Resolution, betreffend die Glatz. ndustrie, wieder ein⸗= gebracht. Damals wurde die von uns verlangte Einführung des Acht⸗ sundentags abgelehnt. Auch jetzt hat ja das Zentrum beantragt, unfere Forderung des Achtstundentages und des Verbots der Nachtarbeit an den Glatöfen und der Sonntagsarbeit ahzulehnen, Es will dafür den Erlaß elner Verordnung fordern, welche für die in der Glas⸗ indussrie beschäftigten Arbeiter die Arbeitszeit den besonderen Ver⸗ hältniffen entsprechend regelt und die Nacht⸗ und Sonntagsarbeit tunlichst einschränkit“. Im vorigen Jahre kat das Zentrum mit uns unferen Antrag, sowelt er die Sonniagsruhe betrifft, angenommen; heute will es die Sonntagkarbelt nur tunlichst einschränlen Man lehnt die Achtstundenschicht ab, weil sie praktisch undurchführbar und auch nicht im Interesse ber Arbeiter felbst gelegen sein soll, Beides ist unrichtig; sie läßt sich bei der heutigen Organisation der Betriebe durchführen, und die Arbeiter fordern sie einmütig. Aber auch Schutzvorrichtungen zum besseren Schutz der Glasbläͤser und Schmes jer gegen Augen heschädigung, gegen die Gefahren der Ver⸗= giflung, gegen andere Berufskrankheiten sind. unbedingt notwendig. Ftamenslich die jugendlichen Arbeiter stellen zu den erkrankten ein ganz underbältnismäßig großes Kontingent; kein Wunder, wenn der junge Mensch von 14 bis 16 Jahren in so eminent gesundheitsgefährlichen Betrieben eine elfstündige Arbeitsjeit hat Wir verlangen schlie ßlich auch, daß an Wocheniggen an den Glas- und Strecköfen, bei denen Schichtwechsel eingeführt ist, die erste Schicht nicht vor 4 Uhr Morgens beginnen und die zweite nicht nach 10 Uhr Abends enden darf. Im vorigen Jahre hat sich hier der Abg. v. Liebert, der Chef des Reichsberbandes zur Bekämpfung der Sozial demokratie, zum Verfechter der Glasindustriellen aufgeworfen und eine Masse Behauptungen aufgestellt, die er nicht beweisen kann; die richtige Reichsverbandsmethode! Er hat ohne die Spur eines
Beweises die Glasarbeiterorganisationen verdächtigt; er Hat ich dabei einer sobsektiven Unwahrheit schuldig gemacht. (Der räsident Graf zu Stolberg ruft den Redner wegen
diefer Aeußerung zur Ordnung). Er hat sich auch zum Verbreiter von Unwahrheiken gemacht. (Präsident: Sie dürsen nicht von einem Kollegen sagen, daß er sich zum Verbreiter von Unwahrheiten macht!) Hier ist ein Flugblatt in dem die Unwahrheiten stehen; ob sie bewußt waren oder nicht, lasse ich dahingestellt. Der Abg., von Liebert spricht von Fabrikdirekloren und Arbeitgebern; er sollte mit solchen Behauptungen in Arbeiterversammlungen auftreten, da würde er schön auf die Socken gebracht werden. (Präsident; Ich habe Ihnen einen welten Spielraum gelassen; es geht aber doch nicht an, daß Sie sich immerfort ausführlich mit dem Abg. von Liebert beschäftigen. Ich bitte Sie, jetzt zum Reichsamt, des Innern zurückjulehren. Der Redner bricht darauf seine Ausführungen ab.) Abg. Ka em pf (fr. Volkep.): Ich möchte diese Verhandlung nicht
zu Ende gehen laffen, ohne einen Blick auf die Folgen unserer Wirt- scheftspolsfik zu werfen. Ich knüpfe an an den deutschportugiesischen , der neulich schon hier besprochen worden ist. Dieser erfrag ist im Wirtschaftlichen Ausschuß verhandelt worden. Ich gehöre ibm selbst an und darf daraus nichts mitteilen. Immerhin ist daraus doch den Zeitungen einiges bekannt geworden. Ich fpreche durchaus nicht dagegen, daß der Reichskanzler sich durch diefen Ausschuß die nötigen Auskünfte verschafft hat. Im Gegenteil, ich halte diesen Ausschuß für eine guie wirtschaftliche Erscheinung. Man muß aber fragen, warum die Handelskammern, Handel und Industrie im unklaren darüber gelassen waren, was ihnen durch Diesen Handelsbertrag bevorsteht. Ich schließ mich dem an, daß dieser Vertrag veröffentlicht wird, bebor er hier zur Beratung ge bracht und wahrscheinlich dann in wenigen Tagen verabschiedet werden muß. Wichtiger ist noch ein anderer großer Gesichtspunkt. Seit 1903 haben wir den lückenlosen Zolltarif, der von dem Grafen Kanitz allerdings nicht als ganz lückenlos bezeichnet worden ist. Er ver= langte einen höheren Schutzzoll auf Schuhe, In 99 oo aller Haushalte wird aber doch über das teure Schuhzeug gellagt. Unsere virsschaftliche Situation zeigt noch eine ganz andere, tiefergehende Lücke. Trotz deß großen Rüstzeugs, mit dem wir uns umgeben haben, verfagt dies Rüstzeug doch. Wenn wir unseren autongmen Zolltarif ferner anwenden gegen Portugal, dann kann Portugal unsere Aus⸗ fuhr nach Portugal mit einem Zolliuschlag von 1090l0 belegen. Wir können zwar dazselbe tun, aber wir ziehen den kürzeren, weil unfere Ausfuhr nach Portugal viel ai ist als die Einfuhr von Por= tugal. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Frankreich, denn abgesehen pon Wein werden nur wenige Predutte von dort bel uns eingeführt. Wenn Frankreich seine Zölle weiter erhöht, so ist dafür unser Zoll; syssem Verantworllich zu machen. Der Abg, Gothein sprach neulich schon von den Kartellen und Syndikaten. Der Zug der Zeit geht nach Konzentration. Dagegen ist an und für sich gar nichts zu sagtn. Wir haben aber da Börsengesetz bekämpft, weil da. Kirch der Konzentration künstlich auf dem Wege der Gesetz gebung Vorschub geleistet würd. Gewiß ist es das gute Recht, aüch der Industrie, sich zufammenzuschließen und darauf, hinluwirken, daß sie ihre. Yiodultiong., und Absatzverhältnisse verbessert. Unser Widerfpruch beginnt aber in dem Augenblick, da die Kartelle ihre Prelzpolitit darauf richten, daß dem Auslande billigere Brfise gewährt werden alt dem Irlande, Dadurch wird die deutsche Arbeit?“ nicht geschützt, sondern auf das empfindlichste ge⸗ scharigt und unsere wirtschastliche Sitznation berschlechtett, Wenn ver ber Abg. Graf Kanitz die Preispolitik des Kohlenfyndikats be⸗ kfampft, dann darf er nicht die Prelepolitik der Landwirtschaft ver ; teidigen, die dem Auslande billigeres Getreide liefert als dem In⸗ ande?! Auch dadurch wird die natignale Arbeit zeschädigt und dem Auglande Arbeit verschafft. Ich war im vorigen Jahre in Rotterdam. Pan mecigts mir Schiffe und sagte; Sehen Sie, diese Schiffe sind aus Sichen zu unglaublich billigem Prelse gebaut worden. Damit fahren wir nachber auf dem Rhein und verdienen 6 des billigen Holzes noch die Frachten auf dem Rhein. Die Wirtschaftspolitik von 1879 hat elne Inkeressenpolitik, einen Kampf aller gegen alle zur Folge gekabt. Daß fehen wir auch beim Schiffsbau in Holland. Das Ausland nnn eint rirtschafiliche Depression leichter überwinden als wir, die wir teuerer arbeiten, indem bie Syndikate und Kartelle ihre Preise hochhalten. Der Kampf der reinen Walzwerk. gegn die, großen gemischten Werke ift ein lehrreiches Belspiel. Dl Resolution Becker würde zu einem Veredelungsverkebr führen. Wir werden der Resohutign zu- stimmen, denn sie siegi durchaus in der Linie unserer Wirtschafts, politik, die freie Einfuhr des Materlals bemweckt. . ist es mir zweifelhaft, ob durch die Einführung dieser Einfuhrschelne das Ziel erreicht wird, das die Antragsteller im Auge haben.
Ich hoffe aber, daß diese Cinfuhrscheine nicht den unnatür⸗ sichen Lebensweg gehen, den die Einfuhrscheine für Getreide seit 15882, seit der Aufhebung des Id ntitännachweises, gegangen sind. Heute liegen die Verhältnisse so, daß Roggen . 170 M0 im Inlande und für 120 S6 nach dem Auslande verkauft wird. Durch das System der Einfuhrscheine wird so das Ngtional= dermögen vergeudet. Durch die Ginfuhrscheine wird im Inlande eine fünstliche Preishöhe aufrechterhalten. Ich möchte bei dieser Gelegenhelt den Staatssekretär fragen, wie es mit den Er⸗ hebungen über den Rückgang der Geburten steht. Dieser Rückgang hängt wohl mit der Verteuerung aller Lebensmittelpreise, der teureren Cchenshaltung zusammen. Wenn wir uns mitz Zollmauern umgehen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Ausland Repressalien ergreift. Ich habe vor Jahren darguf hingewiesen, daß eine Folge unferes nenen Handelspertrages die sein müßte, daß unsere Industrie mehr als bisber nach dem Auslande auswandert, Viese Bewegung, die schon vorher eingesetzt hatte, hat sich seit den Handelsverträgen nech verstärlt. Der Abg. Freiherr von Gamp hat letzteres bestätigt. Ünfere Fabrikanten sind allerdings im Auslande so geachtet wie lein anderer Stand, ganz anders, als es hei ung der Fall ist. Unser Handel und unsere Induftrie sind schon hoch belastet, und infolge der projektierten Finanzreform und infolge des Rückgangs des Konsums droht ihnen ein Rückschlag. Sie werden sich den direkten Steuern nicht entziehen, sie dürfen dann aber auch eiwarten, daß auf sie Rücksicht genommen wird. Wir sind bereit, an der Reichsftnanzreform mitzuarbeiten unter folgenden Voraussetzungen: es muß erstlich eine wirtschaftliche Reform eingeleltet werden und den protektionistischen Gelüsten ein Halt zugerufen werden, die darauf hinausgehen, die Lebenshaltung der großen Masse des Volkes zu belasten. Zweiteng, es müssen im Gegenteil Mittel und Wege gefunden werden, um die deutschen Kon⸗ sumenten zu entlasten. Ferner müfsen dem deutschen Gewerbefleiße die fiemden Staaten geöffnet werden. Erst dann wird Handel und Industrie einen neuen großen Aufschwung erleben und damit die Reichsfinanzreform in ihren Wirkungen gesichert sein; wenn nicht, so bleibt die ganje Finanzreform ein Stückwerk.
Abg. Dr. Struve (fr. Volksp.): Mit den Ausführungen des Staatssekretärs in Betreff der Aerzte kann ich mich nicht einverstanden erklären. Ich freue mich sehr, daß sich seine neulichen Ausführungen nicht auf Cöln und den Cölner Streik bezogen haben, aber in der ganzen Presse sind sie so aufgefaßt worden und mußten nach dem amtlichen Stenogramm so aufgefaßt werden. Er hat von der Boykottierung von Schwerkranken usw. gesprochen; auch heute hat er von' der Rotwendigkeit gesprochen, auf die Cölner Verhältnisse und ihre Konsequenzen hinzuweisen. Auch dagegen muß Verwahrung ein. gelegt werden. Bel aller Achtung vor dem Staats sekretär werde sch mich nicht besinnen, guch den Aerzten ein Streikrecht zuzugestehen. Von diesem Streikrecht werden sie natürlich nur dann Ge— brauch machen, wenn ohne dasselbe die Existenz des Arztes ver⸗ loren ist. Die Aerzte stehen nicht unter der Gewerbeordnung, sie find mit Vorbedacht davon autgenommen, sagt der Stgatesekretäär. Gewiß gute, schöne Worte. Aber wie steht es in Wirklichkeit? Der Kampf in Cöln ist nicht plötzlich ausgebrochen, er war seit einem Jahr offen angesagt. Die Behauptung des Cölner Krankenkassen⸗ Derbandtß, er verfuͤge über genug Aerzie, und diese wären in der Tage, allen Bedürfnifsen und jeder Möglichkeit zu entsprechen, war unzutreffend. Es follten angeblich 86 tüchtige, als gewissenhaft und einwandfrei bekannte Aerzte zur Verfügung sein. In Wirklichkeit waren es nur rund H0, die nicht allein für Cöln, sondern auch für die Umgegend ausreichen sollten. 24 von ihnen waren aus Leipzig . kannten also das Streikbrecherwesen handwer ks mäßig. or diesen hatte die Leipziger Ortskranken⸗ kasse den Cölner Verband direkt gewarnt. Trotzdem von Cöln den deutschen Aerzten die glänzendsten Anerbtetungen gemacht waren trotzdem man ihnen bis 8000 S auf mehrere Jahre bot, fanden si trotz der matertellen Not des Aerztestandes in dem ganzen dentschen Vaterlande nur 30 bereit, nach Cöln zu gehen. Es ist also un⸗= zutreffend, wenn der Staatesekretär sagte, daß ein großer Teil der deutschen Aerzte nicht mit den Cölner Kollegen einverstanden ge— wesen sei, Es handelte sich um die Wahrung des , Die Regierung mag ihre Aufmerksamkeit darauf richten, ob überall die ärztliche Hilfe zureichend ist, und Anweisung geben, daß jede Beschwerde eines Krankenkassenmitgliedes über un- genügende Behandlung telephonisch der Aufsichtsbehörde gemeldet wird. Es ist merkwürdig, daß der Staatssekretär sich gegen eine staatliche Einrichtung wendet, die auch den Aerzten gegeben ist. Die ö Ausführungen des Abg. Grafen Carmer gegen unseren Kollegen Naumann betreffs der ißachtung des Koalitionsrechtes der technischen Beamten auf der Grube von Giesches Erben in Ober⸗ schlesien waren, soweit sie richtig waren, nicht neu, und soweit sie neu waren, nicht richtig. Der Hilfssteiger wie die anderen tech nischen Beamten sind eben einfach hinausgeschmissen worden, weill sie für ihre Berufginteressen eingetreten sind, wie es eines jeden Pflicht ist. Mit solchen Worten wie denen des Generaldirektors Üthemann: Ach was! Persönliche Freiheit, Koglitionsrecht! Das sind ja alles Phrasen', untergräbt man die Sittlichkeit weit gründ⸗ licher, als man es den Sozialdemokraten in diesen Kreisen so gern rachfagt. Ein Herabsinken, der Techniker bis zum absoluten Auto- maten können selbst die Unternehmer nicht wollen.
Gegen 7 Uhr wird hierauf auf Vorschlag des Präsi⸗ denten Vertagung beschlossen.
Perssonlich bemerkt der Abg. von Liebert (Rp.): Der Abg. Horn hat mich in etwaz ungewöhnlich unfreundlicher Weise beurteilt; Fälschung, subsektie Unwahrheiten usw. das ist ein bißchen viel. In der Sache selbst steht Meinung gegen Meinung, Behauptung gegen Behauptung. Er bat den Standpunkt der Arbeiter, ich habe den Slandpunkt der Glasindustriellen vertreten. Ich überlasse dem Abg. Horn die ganze Lohnstatistik.
Abg. Dr. Neu ma nn⸗Hofer (fr. Vgg.) Der Abg. von Brock hausen hat mir Aeußerungen in den Mund gelegt, die ich nicht getan zwabe und nicht getan haben kann; der heste Bewels dafür ist, daß ich schon im vorigen Jahre alles getan habe, um die Sache wegen der kommunalen Boppelbesteuerung im lippischen Landtage zum Außtztrag zu bringen. Er dagegen hat mit mindestens verdächtigem Eifer die an den Feichstag gebrachte Vorlage der Fingnzkommission überwelsen wollen, womit ihre Verabschiedung zum 1. April 1909 unmöglich ge⸗ worden wäre.
Abg. von Brockhausen (kons.) hält demgegenüber seine Aut führungen aufrecht.
Abg. Neumann⸗Hofer (fr. Vgg.) bleibt ebenfalls bei seinen
Ausführungen stehen.
Abg. von Brockhausen (kons): Ich habe selbst bei der damaligen Beratung nach dem Gang der Debatte den Vorschlag gemacht, die Vorlage einer besonderen Kommission zu überweisen.
Schluß? Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 2 Uhr. (Fort⸗ setzung der Beratung.)